Zum kommunistischen Widerstand im Konzentrationslager Buchenwald 1937 – 1945


Beitrag von Hans Christoph Stoodti

Am 11. April 1945 um 14:30 erhoben sich die bewaffneten Kampfgruppen der Internationalen Militärorganisation (IMO) des kommunistisch geführten Internationalen Lager-Komitees (ILK) im faschistischen KZ Buchenwald. Innerhalb von zwei Stunden und im seit Tagen aufrechterhaltenen Funkkontakt mit den Spitzen der inzwischen nah herangerückten III. US-Panzerarmee gelang es, die Lagertürme zu stürmen, zurückgebliebene SS-Einheiten aus dem Lager zu vertreiben, etwa 125 von ihnen zu entwaffnen und gefangen zu nehmen, die Hochspannung im Lagerzaun abzustellen, auf dem Torgebäude die weiße Fahne zu hissen und das Lager geordnet den inzwischen herangerückten US-Einheiten zu übergeben. Um 15:15 Uhr hatte der „Lagerälteste“, der Kommunist Hans Eiden, durch die Lautsprecheranlage des Lagers durchgegeben: „Kameraden – wir sind frei!“ Bis heute zeigen die Zeiger der Uhr des Torgebäudes diesen Moment.

Die angerückten US-Truppen schätzten die Lage ein, beauftragten die Aktiven des ILK mit der Verwaltung des Lagers und rückten wieder in ihren Kampfeinsatz ab, um erst zwei Tage später – dann endgültig – zurückzukehren. Der jahrelang vorbereitete bewaffnete Aufstand der Häftlinge von Buchenwald – zu diesem Zeitpunkt möglich durch die Entwicklung an der Front – war ein voller Erfolg. Seine unmittelbare Folge war: 21.000 im Lager verbliebene Häftlinge konnten von der SS nicht mehr, wie vorgesehen, auf einen Todesmarsch geschickt werden – anders als Zehntausende vor ihnen. Die bis heute wirksame Folge des Aufstands und seiner Lehre für uns kann kaum überschätzt werden. Dementsprechend ist sie auch bis heute umkämpft. 

Umso lohnender die Frage: Wie war es möglich, unter den Augen der SS, den Bedingungen nackten Terrors und absoluter Rechtlosigkeit einen Aufstand vorzubereiten und durchzuführen? Im Folgenden sollen in aller Kürze einige der wichtigsten Vorbedingungen dafür gezeigt werden.


1. Anfänge: 1937 – 1939


Buchenwald entstand im August 1937 als KZ vor allem für politische Häftlinge und für sogenannte „Berufsverbrecher“. Später wurden hier jüdische Häftlinge und ab 1939 in wachsendem Maß Kriegsgefangene inhaftiert. Bis zur Befreiung waren das (einschließlich der zahlreichen Außenlager von Buchenwald) 277.800 Menschen, von denen 56.000 die Lagerhaft nicht überlebten – von ihnen starben allein in den letzten Tagen 27.000 auf Todesmärschen aus dem Lagerii. In den ersten beiden Jahren des Lagers mussten die zu Beginn wenigen Tausend Häftlinge das gesamte Lager mit seiner Infrastruktur in Zwangsarbeit selber erbauen.

Schon mit dem zweiten Transport von Häftlingen hierher trafen am 7. August 1937 Häftlinge aus dem bisherigen KZ Lichtenburg ein. Dort hatte bereits eine gefestigte illegale KPD-Parteiorganisation gearbeitet, die unter der Führung der Dreiergruppe Albert Kuntz, Theodor Neubauer und Walter Stoecker stand. Kuntz war seit 1929 Kandidat des ZK und Absolvent eines neunmonatigen Kurses der Internationalen Lenin-Schule in Moskau, ehemaliger Org-Leiter in den Parteibezirken Frankfurt-Hessen und Berlin-Brandenburg und ab 1932 bis zu seiner Verhaftung Politischer Leiter in Frankfurt. Neubauer war Mitarbeiter des ZK und hatte wie Kuntz und Stoecker am 7. März 1933 an der illegalen Beratung im Sporthaus Ziegenhals bei Berlin teilgenommen. Stoecker war von 1924 bis 1929 Vorsitzender der Reichstagsfraktion der KPD gewesen.

Im KZ Lichtenburg war es ihnen gelungen, eine Parteiorganisation aufzubauen, in die SS und Gestapo nicht hatten eindringen können: in Dreier- und Fünfergruppen organisiert, gegeneinander abgeschottet und immer nur von einem Genossen auf der nächsthöheren Ebene vertreten, in strikter Konspiration und nach den ehemaligen Parteibezirken aufgebaut.

Diese Prinzipien setzten sich nach und nach auch in Buchenwald durch, weil sie den ersten selbstgestellten Aufgaben am besten gerecht wurden: eine Organisation aufbauen, sie zu schützen, gegenseitige Hilfe und Solidarität unter den Häftlingen organisieren. Kommunisten, die in Buchenwald eintrafen, wurden auch sorgfältig befragt und geprüft, bevor sie in die Parteiorganisation aufgenommen wurden. Ein nächster Schritt in der ersten Etappe des Widerstands im Lager bestand darin, gezielt die von der SS im Rahmen einer natürlich eng begrenzten „Selbstverwaltung“ der Häftlinge eingerichteten Stellen sogenannter „Funktionshäftlinge“ mit Genossen der Parteistrukturen zu besetzen, denn diese Positionen ermöglichten es, an wichtige Informationen zu kommen und sogar das Verhalten der SS in manchen Fällen beeinflussen zu können. Natürlich war dieses Vorgehen immer eine Gratwanderung und wurde in den eigenen Reihen auch heftig diskutiert, aber sie bot alternativlos die Möglichkeit, im Rahmen der eigenen Zielsetzungen aktiv werden zu können. Die SS kennzeichnete von ihnen unterschiedene Häftlingsgruppen mit farblichen Markierungen. Die als „Berufsverbrecher“ kategorisierten hatten im Lager-Jargon deshalb den Namen „Grüne“, während die „Politischen“ rote Markierungen tragen mussten. Die Lagerleitung setzte zunächst gezielt „Grüne“ als sogenannte Funktionshäftlinge ein – nicht zuletzt, um sie gegen die „Roten“ nutzen zu können. Sie wurden in zähen und harten Auseinandersetzungen aus ihren Positionen verdrängt und durch „Rote“ ersetzt, was auf Jahre erbitterte Auseinandersetzungen unter den Häftlingen bedeutete – eine Konsequenz, die die SS als Herrschaftsinstrument des „divide et impera“ durchaus beabsichtigte und auch gezielt einsetzte, um mit begrenzten Mitteln die immer größere Anzahl von Häftlingen kontrollieren zu können.

Ab August 1938 saß die kommunistische Führung der illegalen Lagerorganisation gemeinsam in Block 38 C und konnte dort, von einem Wachdienst abgeschirmt, Gespräche und Beratungen durchführen. So entstand das Buchenwalder Lageraktiv der KPD. Es griff auf seine Weise immer wieder verdeckt in das Lagerleben ein, organisierte Solidarität insbesondere mit neu ankommenden Häftlingen. Dazu kamen sogar Schulungsgruppen und Kurse zu Fragen des Marxismus-Leninismus oder, wie am 1. Mai 1939 in Block 39, eine geheime Maifeier.
Die Durchführung von Schulungsgruppen war möglich, weil Genossen, die in einer Altpapiersammelstelle des Lagers den aus Weimar angelieferten Papiermüll zu sortieren hatten und dabei marxistische Texte entdeckt hatten, diese ins Lager einschmuggelten. Ein ursprünglich in ukrainischer Sprache, von einem Rotarmisten mitgebrachtes Exemplar des 4. Kapitels des „Kurzen Lehrgangs“ der Parteigeschichte der KPdSU wurde zunächst ins Russische und von dort ins Deutsche übersetzt (beides natürlich handschriftlich). Dieses Kapitel enthält den Abschnitt „Über dialektischen und historischen Materialismus“. Nachdem das deutsche Exemplar bei einer SS-Kontrolle beinahe gefunden worden wäre, musste es zur Sicherheit verbrannt werden. Danach wurde aus dem russischen Exemplar unterrichtet.
Die Ziele dieser ersten Phase des Widerstands waren der Aufbau des Parteiaktivs, die Verbindung untereinander, die Stärkung des Durchhaltewillens, das Sabotieren möglichst vieler Maßnahmen der SS, das Eintreten für einen Mindeststandard gemeinsamer Häftlingsmoral („Kein Häftling schlägt einen Häftling!“), das Vorgehen gegen Diebstähle und das Sichern existenzminimaler Nahrung für alle, die Versorgung erkrankter und von der SS verletzter Mithäftlinge, das Sammeln und Verbreiten von Informationen usw.  Hierfür wurden auch die Funktionsstellen genutzt, in denen die „roten Kapos“ (siehe oben) versuchten, die politischen Ziele des Parteiaktivs zu fördern. Ihre Rolle wuchs mit der Ausweitung des Lagers – es entstanden eine Tischlerei, ein Elektrikerkommando, eine Wäscherei, eine mit Funktionshäftlingen besetzte „Schreibstube“ für die Verwaltung des „Häftlingsbestands“ usw. – immer auch Möglichkeiten der Informationsgewinnung und der konspirativen Kontaktaufnahme. Die Parteileitung tat alles, um möglichst viele solcher Stellen zu besetzen und schottete sie dann aus Sicherheitsgründen gegen die internen Anleitungsstrukturen der Organisation ab: Kein Funktionshäftling sollte zugleich eine Leitungsfunktion im Parteiaktiv bekleiden.

Eine der härtesten Bewährungsproben dieser Struktur war die Ankunft tausender jüdischer Häftlinge nach dem Novemberpogrom 1938, in der das Lageraktiv im Kampf gegen die „Grünen“ bestrebt war, die schlimmsten Exzesse der Bereicherung an den jüdischen Häftlingen zu unterbinden – viele von ihnen hatten insgeheim Wertgegenstände und Geld bei sich.

In dieselbe Zeit fällt die beginnende „Arbeite langsam“-Bewegung der Häftlinge im Lager, mit der es gelang, viele Häftlinge in den aktiven Widerstand einzubeziehen und die Ziele der SS zu erschweren. Auf diese Weise wurde gegen Ende der Zeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs das KPD-Parteiaktiv zur bestimmenden Kraft im antifaschistischen Kampf innerhalb des KZ. Neben den KPD-Strukturen gab es eine organisierte KPO-Gruppe (zB. Willi Bleicher, Robert Siewert), mit der eng kooperiert wurde, sowie Sozialdemokraten, die zur Zusammenarbeit bereit waren, aber keine eigene Organisation aufbauten.

Im April 1939 wurden im Rahmen einer „Amnestie“ etliche Führungsmitglieder freigelassen, darunter auch Theodor Neubauer. Walter Stoecker starb am 10. März 1939 an Typhus. Ab diesem Zeitpunkt war Albert Kuntz gemeinsam mit August Thöne Führungsspitze des Aktivs.

2. Konsolidierung: 1939 – 1941

In diese Phase, bis zum Angriff Nazideutschlands auf die europäischen Nachbarstaaten, konnte das Lageraktiv sich konsolidieren und wachsen sowie zunehmend nach innen und außen wirksam werden. Eine Aktivität bestand darin, Diskussionen unter Häftlingen zu führen, beispielsweise zu den Ergebnissen des VII. Weltkongresses der KI, aber auch zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag. Die entsprechenden Informationen dazu wurden aus den illegalen Strukturen der KPD mitgebracht – von Häftlingen, die neu im Lager inhaftiert wurden. Informationen kamen aber auch über das illegale Abhören von „Radio Moskau“ und anderen internationalen Sendern. Die Nachrichten wurden in der Parteileitung diskutiert und die Schlussfolgerungen daraus an alle Mitglieder weitergegeben. Mit der Okkupation Österreichs kamen vermehrt Genossen aus diesem Land nach Buchenwald, die mit Hilfe der KPD eine eigene Struktur aufbauten – bei strikter Wahrung ihrer nationalen Unabhängigkeit. Das war unter den Bedingungen seit 1938 politisch von Bedeutung, denn die Nazis hatten mit der Einverleibung Österreichs und der damit erfolgten Herausbildung des „Großdeutschen Reichs“ 1938 ein Ziel erreicht, dem sich KPÖ und KPD auf keinen Fall unterordnen wollten.

Wichtig war, dass ab 1939 mit dem lagerinternen SS-Betrieb „Deutsche Ausbesserungswerke“ (DAW) eine Produktionsstätte entstand, in der insbesondere Genossen, die als Facharbeiter ausgebildet waren, tätig wurden und auch dort eigene Kommunikationsstrukturen entstanden, deren Beziehung zu den existierenden Dreiergruppen zu klären war.

Der Funktionshäftling und „Blockälteste“ des „Judenblocks“, Rudi Arndt, Mitglied des ZK des KJVD, wurde am 3. Mai 1940 aufgrund der Denunziation eines Spitzels von der SS ermordet. Auch sein Tod war Anlass, einen von allen übrigen Strukturen getrennten Abwehrapparat der KPD aus Informanten aufzubauen.

3. Der antifaschistische Kampf mit Hilfe von ILK und IMO: 1941 – 1945

Mit dem Angriff Nazideutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 änderte der Zweite Weltkrieg seinen Charakter von einem Raubkrieg des imperialistischen Deutschland gegen seine Konkurrenten zu einem Krieg des Nazifaschismus als seinerzeit aggressivsten Imperialismus gegen den Sozialismus: Er wurde also seitens der UdSSR auch zu einem antifaschistischen Krieg.

Zugleich änderten sich die Herausforderungen an das Lageraktiv der KPD aufgrund der sich veränderten Funktionen des Lagers: Es wurde rasch Haftort für tausende internationale Kriegsgefangene und durch den Aufbau des Gustloff II-Werks ab 1943, in dem Häftlinge und Zivilarbeiter in der Rüstungsproduktion tätig sein mussten, Produktionsort für Waffen, die unter anderem gegen die Sowjetunion eingesetzt werden sollten. Beide Faktoren stellten neue Aufgaben und eröffneten neue Möglichkeiten.

In dieser dritten Widerstands-Etappe wurden deutsche Häftlinge zu einer Minderheit im Lager. Sie konnten aufgrund ihrer Nationalität nicht von vornherein voraussetzen, von Häftlingen aus den vom Faschismus überfallenen Staaten als ihresgleichen anerkannt zu werden.
Damit sowie mit dem Beginn der Rüstungsproduktion stellten sich neue Aufgaben: eine vor SS und Gestapo geschützte, organisatorisch und im Alltag eingriffsfähige, breite, antifaschistische und internationale Struktur aufzubauen sowie Sabotage zu organisieren und eine eigene bewaffnete Organisation zu errichten.

Pläne zu letzterem bestanden schon seit 1939. Es gab die große Hoffnung, dass der Krieg nach dem Angriff auf die Sowjetunion mit der Niederlage des deutschen Faschismus enden würde. Umso mehr musste Vorsorge getroffen werden, in diesem Fall nicht in letzter Stunde wehrlos abgeschlachtet zu werden, sondern einen aktiven Beitrag zum Überleben und zum Kampf der Häftlinge im KZ als – übertragen ausgedrückt – einen Teil der Front zu leisten.

Mit der Ankunft von Kriegsgefangenen und Häftlingen aus den besetzten Teilen Europas kamen auch zahlreiche Kommunisten nach Buchenwald – die meisten von ihnen als sowjetische Soldaten und Zivilisten. Bei der Ankunft der ersten sowjetischen Kriegsgefangenen kam es am 18. Oktober 1941 zum ersten Mal seit Bestehen des Lagers zu einer offenen Massenaktion gegen einen ausdrücklichen Befehl der SS: Hunderte Häftlinge rannten aus ihren Baracken auf die sowjetischen Kriegsgefangenen zu, umarmten diese und gaben ihnen, was immer sie entbehren konnten.  Über achttausend Offiziere der Roten Armee wurden dann 1941 – 1944 im sogenannten „Pferdestall“ ermordet. Die Überlebenden organisierten konspirative Partei- und Komsomolorganisationeniii. Es entstanden Kontakte zum KPD-Parteiaktiv, von wo aus Hinweise auf die Form der Organisation und der Widerstandstätigkeit weitergegeben wurden. Ähnliches wiederholte sich bei der Gründung von Parteiorganisationen aus anderen Ländern. Bis Mitte 1942 existierten in Buchenwald somit elf, zunächst nach Herkunftsnationen getrennte, verschiedene kommunistische Parteigruppen.

Albert Kuntz war gemeinsam mit 52 anderen, die die SS für führende Köpfe des Lageraktivs der KPD hielten, von März bis Juni 1942 im lagerinternen „Bunker“ inhaftiert. Nachdem die gesamte Gruppe wieder entlassen worden war, wurde Kuntz von der Parteileitung aufgefordert, sich aus Sicherheitsgründen in einen Transport zu einem der Buchenwalder Außenkommandos schleusen zu lassen. Dort, in der Nähe von Kassel und ab September 1943 im KZ Dora-Mittelbau, war er erneut Kopf der Parteigruppen, die vor Ort Widerstand leisteten, bis er in der Nacht vom 22. zum 23. Januar von der SS bei einem Verhör ermordet wurde.

Das Parteiaktiv in Buchenwald wurde ab Mai 1943 und bis zur Befreiung des Lagers von Walter Bartel, Ernst Busse und Harry Kuhn geleitet. Ab 1942 ging das Aktiv an den Aufbau einer eigenen militärischen Organisation, die ihrerseits wieder – strikt getrennt von den Parteistrukturen – in Fünfergruppen existierte und Aufgabenstellungen direkt von der Parteileitung erhielt. Diese Organisation war bis Ende 1942 fertig aufgebaut. Zugleich erweiterte die Parteiführung ihren Einflussbereich unter den „Grünen“. Eine speziell dafür abgestellte Vierergruppe im Auftrag der Parteileitung arbeitete systematisch daran, Vertrauen und Kooperation in dieser Häftlingsgruppe zu erreichen – mit Erfolg: Bis Ende 1943 gab es an die hundert Vertrauensleute im Bereich der „Grünen“, welche regelmäßig Kontakt zur Vierergruppe unterhielten.

Als sich im Winter 1942/43 mit Zustimmung der SS ein internationaler Ausschuss zur Gestaltung von Konzerten und Kinoabenden gründete – die Lagerführung hoffte auf diese Weise, die Arbeitsmoral in den Rüstungsbetrieben zu erhöhen – nutzte die Parteiführung das, um die Gründung eines dauerhaften Kontakts mit den übrigen im Lager arbeitenden kommunistischen Parteien voranzutreiben. Daraus entstand im Lauf eines Jahres bis Juli 1943 das Internationale Lagerkomitee und danach die Internationale Militärorganisation. „Wenn ich mich hier umschaue, dann haben wir hier eine kleine Komintern zusammen“, soll Walter Busse bei einer Zusammenkunft des ILK gesagt haben – wahrscheinlich nicht ahnend, dass die KI sich fatalerweise bereits im Mai desselben Jahres aufgelöst hatte. Mit dem ILK war ein einheitliches kommunistisches Führungszentrum im Lager entstanden, in dem aufgrund ihrer Sprache und ihres Erfahrungsvorsprungs deutsche Genossen eine führende Rolle einnahmen. Das ILK tagte in der Regel gut versteckt im Häftlingskrankenbau einmal wöchentlich samstags, diskutierte die politische Lage und die aktuellen Aufgaben sowie die nun gemeinsam organisierten Sabotage- und Widerstandsaktionen – besonders eindrucksvoll am 1. Mai 1944, als an insgesamt 47 Orten im Lager konspirative Mai-Veranstaltungen stattfanden. 1945 verfügten die im ILK zusammengeschlossenen kommunistischen Parteien über 3500 organisierte Kommunisten, davon etwas über 600 Mitglieder der KPD.

In der IMO wurden die militärischen Gruppen der Parteien des ILK zusammengefasst und unter dessen politische Leitung gestellt. Die deutschen Kommunisten Harry Kuhn, Otto Roth und Heiner Studer waren die Leitung der IMO, Harry Kuhn zuständig für den Kontakt zum ILK. Die IMO organisierte sich in vier nach Sprachengruppen zusammengesetzten Sektoren, denen eigene nach Farben benannte Namen zugeordnet wurden: „Gelb“ für die deutschen, österreichischen und niederländischen Gruppen, „Rot“ für die sowjetischen und tschechischen, „Grün“ für die polnischen und jugoslawischen, „Blau“ für die französischen, belgischen, italienischen und spanischen Gruppen.
Waffen wurden entweder selbst gebaut (Brandflaschen, Handgranaten) oder aus der Rüstungsproduktion geschmuggelt. Die etwa 900 militärisch ausgebildeten Kämpfer der IMO, von ihnen 140 der KPD, verfügten im Moment des Aufstands über ein leichtes Maschinengewehr, 96 Karabiner, 100 Pistolen, Brandflaschen sowie Hieb- und Stichwaffen, die dezentral im gesamten Lager versteckt waren.
Die IMO erarbeitete zwei Aufstandskonzepte für denkbare Szenarien: der Abwehr eines Angriffs auf das Lager von außen sowie für einen bewaffneten Ausbruch von Innen. Sie übte in Fünfergruppen regelmäßig und im Rahmen der ihnen bekanntgegebenen Aufgaben.
Neben der Planung für den Aufstand organisierte das ILK vor allem die Sabotage in der Rüstungsproduktion der Gustloff-Werke unter dem Slogan sowjetischer Genossen: „Kommando X – rabota nix!“ – bis diese Produktionsstätten am 24. August 1944 von britischen und US-Bomberkommandos zerstört und 400 Häftlinge getötet wurden.

Nach der Ermordung Erst Thälmanns am 18. August 1944 wurde im Lager eine geheime Totenehrung ausgerichtet. Das ILK und die Leitung der KPD wussten davon vermutlich nichts – eine solche Zusammenkunft widersprach allen Geheimhaltungsregeln und die IMO-Führung soll, als sie von den Vorbereitungen erfuhr, allen in ihren Reihen Organisierten die Teilnahme verboten haben. Die Feier fand in der Desinfektionsbaracke des Lagers statt.

Einer ihrer Organisatoren berichtet: „Der Raum, in dem die Feier stattfand, war von der Decke bis zum Boden mit weißem, schwarzgeränderten Tuch ausgekleidet, vorn hing ein Bild Thälmanns und darüber die Inschrift ‚Tod seinen Henkern‘, davor befand sich ein mit rotem Tuch überzogener Katafalk, und um den herum standen bewegungslos und in Viererreihen Rotarmisten in Felduniform und mit spitzen Mützen auf den Köpfen …
Die schweigende Ehrenwache von Rotarmisten, hier im KZ, war etwas Überwältigendes. Die Häftlinge kamen nach und nach in kleinen Gruppen zur Feier, es waren nur ausgewählt wenige, die man eingeweiht hatte. …
In dem Raum, in dem der Katafalk stand, hatten etwa 100 Menschen Platz, die Teilnehmer lösten sich im Verlauf der Nacht mehrmals ab. Mehrere Reden über Thälmann und seine Bedeutung für die Arbeiterbewegung wurden gehalten. Als Vertreter der deutschen Häftlinge sprach als erster Robert Siewert, darauf folgte ein Franzose und auf diesen der Tscheche Josef Lieberzeit … Die Trauerfeier wurde von Willy Bleicher eröffnet. Ein Geiger spielte einen russischen Trauermarsch und die anwesenden Kameraden sangen die Melodie leise mit. Karl Schnog beteiligte sich an der künstlerischen Gestaltung des Programms. Ich
[Robert Siewert] hielt eine Ansprache, schilderte Thälmanns Leben, seinen heldenhaften Kampf gegen die faschistische Terrorherrschaft, beurteilte die Situation, in der wir lebten, und sprach von den Aufgaben, die vor uns stehen. Nach der Ansprache wurde die Warschawjanka gesungen. Einige Minuten blieben wir mit geballter Faust in tiefes Schweigen versunken stehen.iv

Teil der Rede von Robert Siewert waren Überlegungen Lenins zum bewaffneten Aufstand vor der Oktoberrevolution. So riskant diese Feier war, so beeindruckend muss sie für alle gewesen sein, die an ihr teilnahmen – Ausdruck einer gewachsenen, gemeinsamen Identität der internationalen kommunistischen Organisation in Buchenwald.

Der Aufstand des 11. April 1945 begann im Grunde bereits Tage vor diesem Datum (4./5. April) mit der offenen und erstmals auch öffentlichen Weigerung des ILK, eine Gruppe von führenden Genossen, die von der Lagerleitung ermordet werden sollten, auszuliefern . Von diesem Moment an gab es kein Zurück mehr. Noch stand die US-Armee 40 Kilometer vor Weimar und faschistische Infanterie, 3000 Mann stark und unter anderem mit Flammenwerfern bewaffnet, stand in unmittelbarer Nähe des Lagers.

Der Aufstand kam unter diesen Bedingungen noch nicht in Frage, dennoch wurde die IMO mobilisiert, um im Fall eines Angriffs auf das Lager bewaffnet reagieren zu können. Die Umstände, die damals im Lager herrschten, sind von Bruno Apitz, selber Teilnehmer der Ereignisse, in seinem Roman „Nackt unter Wölfen“ realitätsnah dargestellt worden, ebenso wie die zermürbende Anspannung, unter der die Frage des richtigen Zeitpunkts für den Aufstand im ILK diskutiert wurde. Dieser Zeitpunkt wurde einerseits durch die Notwendigkeit, weitere von der SS erzwungene Todesmärsche zu verhindern, andererseits durch das langsame Vorrücken der III. US-Panzerarmee auf Weimar definiert. Mit letzterer konnte ein verdeckter Funkkontakt etabliert werden. Am 10. April wurden hunderte sowjetische Kriegsgefangene, darunter große Teile des IMO-Sektors „Rot“, auf einen Todesmarsch geschickt. Sie konnten wenigstens teilweise bewaffnet werden, sodass es für sie Chancen gab, auszubrechen und zu überleben. Aber natürlich fehlten nun mit ihnen die am besten ausgebildeten militärischen Kräfte der IMO. Im Lager herrschten bereits chaotische Zustände, die SS begann, sich als militärische Einheit aufzulösen. In dieser Situation gelang es dem ILK und der IMO, am 11. April die Macht im Lager an sich zu reißen und zu verhindern, dass die noch lebenden 21.000 Häftlinge, viele von ihnen erst seit kurzem im Lager, auch noch auf Todesmärsche geschickt wurden. Der Angriff auf die verbliebenen SS-Einheiten wurde gestartet, als sich die US-Panzer bei Hottelstedt zwei Kilometer vom Lager entfernt befanden. Damit fand sich die SS zwischen den Panzern der US-Armee und dem Gewehrfeuer der Häftlinge wieder.

In den Tagen und Wochen nach der Befreiung – vielmehr Selbstbefreiung – arbeiteten das ILK und das Parteiaktiv der KPD auf Hochtouren. Es wurden Mitgliederversammlungen abgehalten – diese bereits nach einem Erlass der US-Armee, der jegliche politische Tätigkeit verbot. Die IMO musste auf Befehl des US-Militärs die Waffen abgeben, das ILK sich auflösen. Diese Befehle richteten sich faktisch nur gegen die Kommunisten des Lagers, da es keine andere vergleichbare organisierte politische Kraft gab.

Die Führung des Parteiaktivs legte in einer offenbar trotz dieses Verbots stattfindenden Versammlung Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab und stellte fest, der demokratische Zentralismus als Organisationsprinzip habe sich unter den Bedingungen von Buchenwald bewährt. Eine Parteikontrollkommission überprüfte die Tätigkeit aller anwesenden KPD-Mitglieder und gab Parteidokumente für die 620 Mitglieder des „Lageraktiv KL Buchenwald“ aus. Die nach Parteibezirken geordnete Heimkehr wurde vorbereitet.

Vor allem aber wurde eine große Gedenkfeier zur Erinnerung an die Toten, zum Dank an die Alliierten und zur Proklamation des inzwischen verfassten „Schwur von Buchenwald“ vorbereitet und dafür ein hölzerner Obelisk als Erinnerungsmal gebaut. Die Feier wurde am 19. April 1945 auf dem Appellplatz abgehalten. Zwischen Mai und Juli – nach einer gemeinsamen Feier des 1. Mai, an der erstmalig auch ein als Gast anwesender Offizier der Roten Armee bejubelt wurde – kehrten die überlebenden Mitglieder der KPD in das, was einmal ihre Heimatstädte gewesen waren, zurück. Auch die Mitglieder der internationalen kommunistischen Parteien traten die Reise in ihre jeweiligen Heimatländer an.

4. Schlussfolgerungen: Solidarität, Internationalismus, Aufstand und Befreiung sind unter allen Bedingungen möglich


Sich mit der Geschichte zu befassen findet seinen Sinn im Verstehen der Gegenwart und der aktiven Gestaltung der Zukunft. Wie kaum sonst ist das mit Händen zu greifen, wenn man sich mit der Geschichte des kommunistischen Widerstands im KZ Buchenwald beschäftigt. Der ungeheuerliche Mut der Kommunisten so vieler Länder, ihr Wille zur Zusammenarbeit in tiefster Illegalität, ihre Fähigkeit aufgrund ihrer gemeinsamen Weltanschauung die Lage kollektiv einzuschätzen, sich wie selbstverständlich nach erprobten und bekannten Prinzipien zu organisieren, die künftige Entwicklung einzuschätzen und sich auf den Kampf um ihre Gestaltung aktiv und vorausschauend erfolgreich vorzubereiten – das alles ist an der Arbeit des KPD-Parteiaktivs, des ILK und der IMO wie durch ein Brennglas zu studieren
Wenn Robert Siewert bei der Totenehrung für Ernst Thälmann ein Referat über den bewaffneten Aufstand im Oktober 1917 hielt, zeigt sich exemplarisch, was gemeinsam erlebte und reflektierte Geschichte bedeutet und wie deutlich handlungsorientiert sie – nur Monate vor dem Aufstand am 11. April 1945 – damals war und heute sein muss.

Der Aufstand der kommunistischen Häftlinge von Buchenwald war kein spontaner Akt, sondern das Ergebnis jahrelanger politischer Arbeit und internationalistischer Kooperation. Seine wichtigste Lehre für uns lautet: Wenn es unter den Bedingungen eines faschistischen KZ möglich war, sich so wie die Buchenwalder zu organisieren, einen erfolgreichen Aufstand vorzubereiten und durchzuführen, dann ist gar nichts unmöglich. Auch nicht für uns.

i Dieser Text stützt sich nicht auf eigene Forschung aus Quellen, sondern durchgehend auf die unten genannte Literatur. Die Forschungsliteratur zum dargestellten Zusammenhang ist breit und kontrovers – Teil des Kampfes um das Erbe vor allem des kommunistischen Widerstands in Buchenwald. So gab es besonders nach der Konterrevolution von 1989 große Bemühungen, die Selbstbefreiung von Buchenwald und ihre Voraussetzungen zu leugnen oder zu diskreditieren.

ii https://www.buchenwald.de/geschichte/chronologie/konzentrationslager/Zahlen-und-Fakten.

iii KOMSOMOL – „Lenin‘scher Allunionsverband der Kommunistischen Jugend“ – ursprünglich Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), seit Mitte der 1950er Jahre sowjetische Massenorganisation auch für Nichtparteimitglieder, die über Sitz und Stimme in allen Sowjets und dem Recht eigener Gesetzesinitiative verfügte. Komsomol-Mitglied (Komsomolzin, Komsomolze) konnte man vom 14. bis zum 26. Lebensjahr sein. Der Komsomol war in der gesamten UdSSR (Betriebe, Verwaltungen, Schulen, Universitäten usw.) in eigenen Gruppen organisiert, auch in der Roten Armee. Er existierte seit 1918 und wurde 1991 verboten. Im Lauf seiner Geschichte waren etwa 120 Millionen sowjetischer Jugendlicher / junger Erwachsener Mitglied des Komsomol.

iv
Die Totenfeier für Ernst Thälmann, in: Milan Kuna, Musik an der Grenze des Lebens. Musikerinnen und Musiker aus böhmischen Ländern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen, Frankfurt 1993, S. 263 – 265. Trotz aller Vorsicht wurde die Feier verraten. Zwölf namentlich identifizierte Teilnehmer wurden verhaftet und bei der Gestapo Weimar gefoltert. Der erwähnte Redner Josef Lieberzeit nahm sich das Leben, um niemanden zu verraten. Der Gestapo gelang es nicht, an relevante Informationen über die Widerstandsaktion zu gelangen, vgl. Milan Kuna, a.a.O., S. 265.

Literatur

Wolfgang Kießling, Stark und voller Hoffnung. Leben und Kampf von Albert Kuntz, Berlin/DDR 1964

Günther Kühn, Wolfgang Weber, Stärker als die Wölfe. Ein Bericht über die illegale militärische Organisation im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald und den bewaffneten Aufstand, Berlin/DDR 1976

Erhard Pachaly, Die Entwicklung und der Kampf des Parteiaktivs der Kommunistischen Partei Deutschlands im Konzentrationslager Buchenwald 1937 – 1945, Weimar – Buchenwald 1988s

Arthur Roth (Hg.) Unter den Augen der SS. Otto Roth und der bewaffnete Aufstand im KZ Buchenwald, Köln 1995

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