Offener Brief an die Redaktion der Roten Hilfe Zeitung (RHZ)

Liebe Redaktion,

ich schreibe euch hier als Sprecher der Kommunistischen Organisation (KO) und als eines von vielen, z.T. langjährigen Mitgliedern der Roten Hilfe (RH), welche auch in der KO organisiert sind. Einige von uns haben in der Vergangenheit eure Unterstützung in Anspruch genommen und Viele verfolgen aufmerksam die Veröffentlichung der RHZ.

Nun hat mich der Schwerpunkt der letzte Ausgabe, welche vergangen Woche erschienen ist, entsetzt und wütend gemacht und mich veranlasst, diesen Brief zu verfassen. Es geht dabei keineswegs darum, dass ich mich als Mitglied einer Organisation, die das Erbe der DDR und der Sowjetunion verteidigt (siehe Programmatische Thesen), „auf den Schlips getreten“ fühlen könnte[efn_note]Ihr schreibt in der Einleitung zum Schwerpunkt: „Dieser Themenschwerpunkt ist eine Herausforderung. Vor seiner Erstellung hat es innerhalb und außerhalb der Roten Hilfe Diskussionen gegeben, teils sehr emotionale, nicht immer solidarische. Und auch nach seinem Erscheinen wird es Diskussionen geben, teils sehr emotionale, hoffentlich aber solidarische.“ Siehe RHZ 01/2019[/efn_note]. Es geht mir mit diesem Brief viel mehr darum, eine scharfe Kritik an der Stoßrichtung eures Schwerpunktes zu formulieren, mit dem Interesse, mit euch und den Mitgliedern der RH in eine Diskussion darum zu kommen.

Das Heft ist ein krasser Ausdruck des Antikommunismus, der die althergebrachten Lügen und Diffamierungen der deutschen Kapitalistenklasse wiederholt. Soll die Rote Hilfe in eine Linie mit Adenauer, Kohl, Merkel und Gauck gestellt werden? Denn der Antikommunismus ist bundesdeutsche Staatsdoktrin und dass die deutschen Kapitalisten die DDR hassen, ist verständlich. Dort wurden sie schließlich enteignet und entmachtet. Dort hat die Arbeiterklasse ihre Gesellschaft errichtet und den Kriegsplänen des deutschen Imperialismus einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wenn die Rote Hilfe in das antikommunistische Horn stößt, landet sie im Schoß der herrschenden Klasse. Die Linkspartei hat mit ihrer Anti-DDR-Politik bereits vorgemacht, wo es hingeht. Wenn Bodo Ramelow die NATO nicht mehr so schlimm findet, dann ist er (und seine Partei) bereit, die Kriegspolitik mitzutragen. Will die Rote Hilfe sich dem anschließen?

Ich richte mich auch an alle Mitglieder der Roten Hilfe und fordere sie auf, gegen diesen Kurs der Roten Hilfe Widerspruch einzulegen. Wir wissen aus den letzten Jahren, dass es viele politische Probleme und problematische Strömungen in der Roten Hilfe gab und gibt. Aber die Anerkennung dieses Hefts wäre ein Totalschaden. Ich fordere den Bundesvorstand und die Redaktion auf, diesem Heft etwas entgegenzusetzen und es nicht als Linie der Organisation stehen zu lassen.

Ich meine, dass sich in allen Artikeln des Schwerpunktes sehr falsche Darstellungen über die Verhältnisse in der DDR, der Sowjetunion und der Kommunistischen Bewegung befinden. Mir ist es nicht möglich, in der Kürze auf all diese Falschdarstellungen ausführlich einzugehen – einiges findet sich auch schon in anderen offenen Briefen und Artikeln an euch[efn_note]Siehe die Texte von Patrick Köbele und Hans Bauer sowie die Artikel von Klaus Hartmann und Leo Schwarz.[/efn_note]. Es ist mir auch deshalb nicht einfach möglich, weil an vielen Stellen des Schwerpunkts auf eine Begründung der gemachten Einschätzung verzichtet wird und ich daher nur mutmaßen kann, wie der Autor auf die jeweilige Einschätzung gekommen ist. Ich werde dennoch versuchen, manche dieser Abschnitte im Schwerpunkt als Beispiele anzuführen.

Viele Facetten, viele Standpunkte?

Bereits im Editorial der Ausgabe schreibt ihr:

„Für diesen Schwerpunkt sind bei uns sehr, sehr viele Einsendungen eingegangen – danke dafür! Wir haben uns bemüht, davon so viele wie möglich ins Heft zu nehmen. Denn es war uns noch wichtiger als sonst, viele Facetten und Standpunkte zu bringen.“

Das Gegenteil ist der Fall: Anstatt viele verschiedene Standpunkte darzustellen, zeichnet der Schwerpunkt letztlich ein sehr klares, einheitliches Bild davon, wie man sich als „Linker“ zur DDR und Sowjetunion verhalten sollte. Ob bewusst oder unbewusst setzt ihr einen Grundkonsens bei den Lesern voraus, nämlich jenen antikommunistischen Grundkonsens, wie er vom ersten Tag der Gründung der DDR als Staatsräson der BRD propagiert wurde – wenn auch in unterschiedlicher Schattierung. Besonders krass wurde dieser Grundkonsens nach der Konterrevolution propagiert, als es darauf ankam, die DDR mit allen ihren Seiten zu delegitimieren. Ob das Bild, was Klaus Kinkel und Konsorten von den gesellschaftlichen Verhältnissen der DDR zeichneten, nur ein Fünkchen Wahrheit enthielt, war nicht von Belang – Hauptsache war, dass die Arbeiterklasse in Deutschland nicht an der Idee festhalten sollte, dass der Sozialismus der DDR doch einen Fortschritt in der Menschheitsgeschichte und die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung bedeutet hatte. Diese Tatsache, der erbarmungslosen Tilgung jeglicher Identifikation mit der DDR, wie ihr sie auch in eurem Heft zur Siegerjustiz[efn_note]RHZ 04/2016[/efn_note] zum Teil beschreibt, macht es aber unumgänglich das gesamte von der BRD gezeichnete Bild der DDR in Frage zu stellen. Nur so werden wir herausfinden können, was wirklich schieflief in der DDR, wie es zur Konterrevolution kommen konnte aber eben auch, was fortschrittlich und richtig war.

Diesen Schritt macht ihr nicht. Mit eurem Schwerpunkt bleibt ihr stehen auf dem Grundkonsens der Herrschenden der BRD, dass die DDR doch irgendwie ein „Unrechtsstaat“ gewesen sein muss. Dass dieser Staat nicht der fortschrittlichste Staat gewesen sein konnte, den die deutsche Arbeiterklasse je erlebt hat.

Dieser Grundkonsens aller im Schwerpunkt vorhandenen Artikel, möchte ich im Folgenden darstellen und kritisieren. Teil der Kritik wird es auch sein, dass ihr euer eigenes Versprechen, euch als Redaktion der RHZ aller „allgemeinpolitischer Aussagen und Wertungen“ zu enthalten, nicht einlöst, sondern auch in den antikommunistischen Grundkonsens einstimmt.

Grundkonsens: Antikommunismus

Was veranlasst mich, dem Schwerpunkt einen antikommunistischen Grundkonsens zu bescheinigen? Als Beispiel sei hier gleich der erste Absatz in eurem Editorial genannt. Hier schreibt ihr:

„in ihrer Hymne behauptete die Deutsche Demokratische Republik: ‚Wenn wir brüderlich uns einen, schlagen wir des Volkes Feind‘ – gemeint waren Krieg, Faschismus, Kapitalismus, Bourgeoisie. Doch das darin liegende Versprechen von Solidarität hat sie nur sehr mangelhaft eingelöst. Im Gegenteil, sie hat linken Kritiker_innen vorgeworfen, Teil des Problems zu sein, und sie als „des Volkes Feind“ verfolgt. Die in diesem Heft thematisierte Repression belegt das deutlich. Dabei hat die Repression der DDR nicht nur vielen einzelnen Genoss_innen Schlimmstes angetan, sondern auch zu tiefem Misstrauen unter Linken und zu einer Diskreditierung des ‚Sozialismus‘ beigetragen.“

Zwar wollt ihr euch „allgemeinpolitischer Aussagen und Wertungen“ enthalten, legt aber gleich zu Beginn damit los: Ihr verzichtet darauf, zu erwähnen, dass die DDR ein antifaschistischer Friedensstaat war, der erfolgreich den deutschen Imperialismus daran gehindert hat, Krieg zu führen und zu expandieren. Es war ein sozialistischer Staat, in dem die Produktionsmittel vergesellschaftet waren und die Kriegsverbrecher, Großgrundbesitzer und Monopolisten enteignet wurden. Gleichzeitig reduziert ihr „Solidarität“, auf eine Eigenschaft, die wohl nur auf „linke Kritiker_innen“ zutrifft – denn wie sonst ist es zu erklären, dass ihr meint, die DDR hätte ihr Versprechen von Solidarität „nur sehr mangelhaft“ eingelöst?

Wer sich mit der Geschichte der DDR und auch der Sowjetunion beschäftigt, wird früher oder später feststellen müssen, dass der Aufbau des Sozialismus in beiden Staaten ohne eine umfassende Solidarität der Arbeiterklasse und dem werktätigen Volk mit ihrem Staat völlig unmöglich gewesen wäre. Wie erklärt ihr euch, dass ein Staat wie die DDR im wahrsten Sinne des Wortes „aus Ruinen“ auferstehen konnte und bedeutenden Reparationszahlungen und Zerstörungen zum Trotz innerhalb weniger Jahre die Grundversorgung aller Menschen gewährleisten konnte?

Doch die proletarische Solidarität, die den sozialistischen Ländern eigen war, beschränkte sich keineswegs darauf, dass die Menschen den Aufbau des Sozialismus mit ungeahnter Kraft organisierten. Es war gleichzeitig internationalistische Solidarität – und auch über jene verliert der Schwerpunkt kein einziges Wort. Es wird nicht erwähnt, dass die in der Sowjetunion gegründete Internationale Rote Hilfe maßgeblich an der Solidaritätskampagne für Sacco&Vanzetti[efn_note]Sacco und Vanzetti waren zwei italienische Arbeiter, die nach der Emigration in die USA dort 1927 in einem politischen Prozess zu Tode verurteilt wurden. Es war eine der größten internationalen Kampagnen für die Befreiung von politischen Gefangenen. Am 23.08.1927 wurden beide hingerichtet.[/efn_note] und viele anderen beteiligt waren, es wird nicht erwähnt, dass die DDR maßgeblich an der Kampagne für die Freilassung von Angela Davis in den 1970er Jahren beteiligt war. Die DDR war, wie auch die Sowjetunion, Zeit ihres Bestehens Zufluchtsort für abertausende von politisch Verfolgten in der gesamten Welt – ihr zu unterstellen, dass sie ihr „Versprechen von Solidarität nur sehr mangelhaft eingelöst“ hat, ist schlicht absurd. Nur der wird eine solche Annahme akzeptieren, der für sich schon entschieden hat, dass die DDR und die Sowjetunion „Unrechtsstaaten“ gewesen sein müssen.

All dies wird von euch nicht genannt, aber gleichzeitig behauptet, dass die Repression in der DDR „zu tiefen Misstrauen unter Linken“ geführt und zu einer „Diskreditierung des ‚Sozialismus‘ beigetragen“ habe. Ohne Zweifel hat es in der DDR einzelnes Unrecht gegen Mensch gegeben – es wäre eine Illusion zu glauben, dass ein sozialistischer Staat im Aufbau in einer solchen historischen Situation überhaupt in der Lage wäre, das zu verhindern. Doch für mich stellt sich die Frage: Gemessen an der gängigen Repression in den kapitalistischen Staaten wie der BRD und den beeindruckenden Fortschritten der DDR in der Frage der Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft – wie könnt ihr da von „Diskreditierung des Sozialismus“ sprechen? Ist es nicht so, dass die DDR und noch viel mehr die Sowjetunion durch ihre Existenz schon einen schlagenden Beweis für die reale Möglichkeit des Sozialismus geliefert und damit die Kämpfe auf der gesamten Welt für nationale Befreiung und den Sozialismus angefeuert haben?

Antikommunistische Mythen noch und nöcher

Die Beiträge im Schwerpunkt belegen leider entgegen eurer Aussage viel zu wenig, dass die Repression des Staates der Arbeiterklasse ungerechtfertigt war und die Falschen getroffen haben könnte. Deutlich machen möchte ich das an der sogenannten „Field-Affäre“, auch deshalb, weil ein bedeutender Teil der in den Artikel genannten Repressionsfälle letztlich mit dem Namen Noël Field im Zusammenhang stehen. Zwar taucht die „Field-Affäre“ in drei Artikeln des Schwerpunkts[efn_note]„Mangelnde Wachsamkeit gegenüber den Klassenfeinden“? Von Ulrich Schneider, „… wurden sie zu Werkzeugen des Klassenfeindes“ von Maja, Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, Verbrechern … ? von Herbert Mayer[/efn_note] an zentraler Stelle auf, in keinem wird aber eindeutig gezeigt, dass die Vorwürfe gegen Noël Field durch das ZK der SED ungerechtfertigt waren. Zur Begründung dient einzig, dass ein Teil der Verurteilten nach 1956 bzw. 1990 Rehabilitation erfahren hätten – als ob das für sich sprechen würde. Es verhält sich doch eher umgekehrt: Gerade weil die Verurteilten in Zeiten rehabilitiert wurden, in denen Opportunisten wie Nikita Chruschtschow nach 1956 oder gar Gegner des Sozialismus die Überhand hatten (Gorbatschow/Jeltzin nach 1990) ist eher ein Indiz dafür, dass es sich bei den Rehabilitierten auch um Opportunisten und Gegner des Sozialismus gehandelt haben könnte und die Rehabilitation selbst zur Delegitimierung des Sozialismus dienen sollte.

Zurück zur „Field-Affäre“: Bemerkenswert ist, dass Ulrich Schneider in seinem Artikel nicht mal auf die nachweisbaren Verbindungen von Noël Field zum Amerikanischen Geheimdienst OSS hinweist[efn_note]Siehe hierzu die Ausführliche Abhandlung von Kurt Gossweiler in seinem Artikel „Die Ursprünge des modernen Revisionismus“ in der offen-siv 10/2003.[/efn_note]. Die Vorstellung von Field als „parteitreuem Kommunist“ und „stalinistischem Opfer“ ist ein hartnäckiger antikommunistischer Mythos – trotz dessen, dass die Beweisführung der Führung der SED stichhaltig darlegt, dass er im Auftrag der US-Regierung versuchte, die kommunistische Bewegung von innen zu zersetzen[efn_note]Ebenda.[/efn_note].

Die politische Dimension der Repression in der DDR wird meist völlig auf die angebliche Repression gegen „linke Kritiker_innen“ reduziert und überhaupt nicht in den Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse von Imperialismus und Kaltem Krieg gestellt. Kurt Gossweiler hingegen zeigt anschaulich, dass die Rolle Fields nicht verstanden werden kann, wenn nicht auch die Interessen und die Strategie des US-Imperialismus in der Nachkriegsordnung beleuchtet werden. Diese Strategie zielte nicht primär auf die kriegerische Unterwerfung des Sozialismus[efn_note]Dennoch gab es natürlich die ganze Zeit Kriegsvorbereitungen für den potenziellen Einsatz.[/efn_note], sondern verstärkt auf die innere Zersetzung der sozialistische Staaten. Ein Element dabei war die Beförderung revisionistischer Ideen in der kommunistischen Bewegung – und Noël Field war einer ihrer Propagandisten[efn_note]Ebenda.[/efn_note].

Das ganze Kartenhaus der Argumentation für die ungerechte Repression in der DDR im Zusammenhang mit der „Field-Affäre“ fällt in sich zusammen, sollte Noël Field doch Agent der USA gewesen sein – warum legen die Autoren im Schwerpunkt der RHZ jedoch keinen Wert auf einen Nachweis des Gegenteils?

Stalinismus, Machtstreben und „Agentenwahn“

Platter Antikommunismus kommt auch in vielen Artikel zum Ausdruck, wenn es um die Beschreibung vom sozialistischen Staat (sei es die Sowjetunion oder DDR) und der verschiedenen Kommunistischen Parteien geht (KPD, KPdSU und SED). So schreibt der Autor des ersten Artikels, Willi, an verschiedenen Stellen über das Verhältnis der Komintern und der KPdSU. Dieses Verhältnis sei geprägt davon, dass „die russische Partei immer stärker die Ausrichtung der Kommunistischen Internationale administrativ bestimmte[efn_note]Artikel „Eine Vorgeschichte – Kommunistische Internationale und oppositionelle Genoss_innen“ von Willi[/efn_note]. Später sei die „Kommunistische Internationale und die in ihr versammelten Parteien […] zum außenpolitischen Instrument der Sowjetunion“ geworden. Auch hier ein klassischer antikommunistischer Mythos und der genannte Autor macht sich nicht im Mindesten die Mühe, Beweise für seine Thesen anzuführen. Dabei braucht man nur die Geschichte der Komintern zu studieren[efn_note]Als Beispiel seien hier die Protokolle und Beschlüsse der Komintern-Kongresse genannt oder auch die Tagebücher von Georgi Dimitroff.[/efn_note], um zu verstehen, dass sogar die Auflösungserklärung der Komintern in Mitten der Kriegswirren eine demokratische Angelegenheit war[efn_note]Die Auflösung der Komintern wurde durch das Exekutivkomitee vorgeschlagen, aber erst nach Eingang der Rückmeldung von einer großen Anzahl von Sektionen für gültig erklärt. Unter den Rückmeldungen fand sich keine einzige Ablehnung der Auflösung. Dies soll nicht heißen, dass es eine richtige Entscheidung gewesen ist. In der historischen Perspektive betrachtet müssen wir von einer Fehlentscheidung ausgehen. Vgl. Programmatische Thesen der Kommunistischen Organisation, Abschnitt „Proletarischer Internationalismus“[/efn_note]. Dass die Verteidigung der Sowjetunion zentraler Bestandteil der Politik aller Kommunistischen Parteien sein musste, liegt klar auf der Hand: Die Sowjetunion, das Herz der Revolution, war es, die den deutschen Faschismus besiegte und die Welt damit vor dem Abstieg in dunkelste Zeiten bewahrte.

Der Artikel „… wurden sie zu Werkzeugen des Klassenfeindes“ der Autorin Maja kann exemplarisch für die antikommunistische Haltung des gesamten Schwerpunkts herangezogen werden. Zu viele der in ihrem Artikel genannten Behauptungen lassen jedwede Begründung oder Quellenangabe missen. So schreibt sie gleich zu Beginn ihres Artikels:

„Ende der 1940er Jahre dehnten sich der AgentInnenwahn und die sowjetischen Schauprozesse auf die sozialistischen osteuropäischen Staaten aus und erreichten auch die DDR.“

Was für einen „AgentInnenwahn“ kann sie wohl meinen? Tatsache ist, dass tausende Agenten aller imperialistischer Geheimdienste versuchten, die DDR zu destabilisieren und Sabotage verübten. Doch sie lässt den Leser im Dunklen, fügt aber noch etwas hinzu, was ihrem ganzen Text eine besondere Note gibt und dem Antikommunismus ihm Heft noch einmal richtig an Schwung verleiht.

Antisemitismus-Vorwurf

Sie schreibt also im direkten Anschluss an das obige Zitat:

„Von den massenhaften Vorladungen, Parteiausschlüssen und Suspendierungen von KommunistInnen waren auffallend viele jüdische Menschen betroffen, insbesondere als das Feindbild ‚Zionismus‘ zum Hauptvorwurf erhoben wurde.“

Die Katze ist aus dem Sack, Antisemitismus lautet das Urteil. Der Vorwurf des Antisemitismus ist heutzutage eben nicht nur ein Vorwurf, den Kritiker der israelischen Aggression gegen das Palästinensische Volk entgegen geschleudert bekommen. Es handelt sich um einen sehr zentralen Vorwurf zur Delegitimierung des allgemeinen Kampfes der Arbeiterklasse gegen die imperialistische Barbarei, da er neben Kritikern der israelischen Politik vor allem Bevölkerungsgruppen trifft, die in Deutschland einen Teil der Arbeiterklasse bilden (arabische Migranten, Muslime im Allgemeinen aber auch Ostdeutsche). Konsequenterweise muss dieser Vorwurf auch auf den ersten Staat der Arbeiterklasse auf deutschem Boden angewandt werden.

Antisemitismus ist das Stichwort, hinter dem sich heute alle bürgerlichen Strömungen von AfD bis Teile der Linkspartei und der „radikalen Linken“ vereinen können. Unbeirrt setzt die Autorin das Wort Zionismus in Anführungszeichen, so als ob es die Ideologie des Zionismus nicht bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts real geben würde – die kolonialistische Idee, mit der Teile der jüdischen Bourgeoisie in engster Verbindung mit anderen europäischen und US-Imperialisten die Enteignung, Vertreibung und Ermordung von mehr als 700 000 Palästinensern legitimierten und auch heute Vertreibung, Entrechtung und Ermordung von Palästinensern legitimieren. Selbst nach dem bürgerlichen Völkerrecht, also dem Recht, was sich die herrschenden Klasse weltweit selbst auferlegt hat und in welches wir keine Illusionen haben, war und ist die Praxis der Zionisten rechtswidrig.

All dies scheint Maja nicht zu interessieren, stattdessen versteht sie es, in ihrem Artikel geschickt Suggestionen zu provozieren, die alle auf dem Grundkonsens basieren, dass die Führung der DDR nur zu Unrecht handeln konnte. So schreibt sie beispielsweise:

„1950 wurden die Ausforschungen auf alle Parteimitglieder und schließlich auf andere Einrichtungen und Massenorganisationen ausgedehnt, wobei von Anfang an der hohe Anteil von jüdischen Betroffenen auffiel. Nur einer der Gründe war, dass sie in leitenden Stellen überdurchschnittlich stark vertreten waren, was an der hohen Fachbildung lag, die zum Aufbau eines entnazifizierten Staatsapparats benötigt wurde; dabei wurde auch über den als Makel betrachteten bürgerlichen Hintergrund vieler jüdischer Spitzenkader hinweggesehen. (…) Zudem erfüllten viele von ihnen die Verdachtskriterien: Als jüdische AntifaschistInnen doppelt gefährdet, mussten sie schon früh vor den Nazis ins Ausland flüchten und hatten im (westlichen) Exil in der illegalen KPD gearbeitet. Dabei hatten sie gemäß den Parteivorgaben mit Hilfsorganisationen sowie den alliierten Geheimdiensten zusammengearbeitet, was ihnen nun zum Vorwurf gemacht wurde.“

Es sticht die Frage ins Auge, was an dieser Überprüfung überhaupt falsch gewesen sein sollte, also weshalb die Gründe, die die Autorin selbst nennt, nicht plausible Annahmen waren, wenn doch klar belegt werden kann, dass die USA tatsächlich versucht hat, die kommunistische Bewegung in der Emigration zu infiltrieren. Wer den Gegenstand so betrachtet wird schnell erkennen, dass es gut und richtig war, dass die Führungen der Kommunistischen Parteien Überprüfungen vornahmen und versuchten, die Reihen von imperialistischen Agenten zu säubern. Das Zusammenfallen bestimmter Faktoren, die eine genauere Überprüfung nötig machten, mit der jüdischen Herkunft ist jedoch kein Antisemitismus.

Für uns ist es keine Frage, dass der widersprüchliche Umgang der Sowjetunion mit dem Zionismus und der Anerkennung der Staatsgründung Israels genauer untersucht werden muss – dazu werden wir in unseren Arbeitsgruppen des Klärungsprozesses Analysen vornehmen und unsere gewonnenen Einschätzungen zur Diskussion stellen.

Sozialfaschismusthese

Die Behauptungen im Zusammenhang mit der Sozialfaschismusthese und insbesondere der Extra-Kasten setzen der ganzen antikommunistischen Figur die Krone auf. So schreibt Willi in seinem Artikel:

„Wenn auch verständlich war, warum zum Beispiel die ‚Sozialfaschismustheorie‘ bei vielen linksradikalen Genoss_innen auf fruchtbaren Boden fiel – das Ergebnis war eine paralysierte Arbeiterbewegung, die einzige Kraft, die den deutschen Faschismus hätte verhindern können.“

Und im Extra-Kasten wird der Inhalt der Sozialfaschismus-These beschrieben:

„Nach dieser ‚Analyse‘ war die Sozialdemokratie als eine der Hauptstützen der Bourgeoisie eine Variante des Faschismus, die mit derselben Schärfe bekämpft werden müsse wie der Faschismus selbst. Vor allem Ende der 1920er Jahre feierte diese These innerhalb der KPD Exzesse, die in der Sozialdemokratie den gefährlicheren ‚Faschismus‘ sah.“

Es ist schon eine Unverschämtheit, das Wort Analyse in Anführungszeichen zu setzen um zu unterstreichen, dass die Komintern ja wohl kaum um eine tatsächliche wissenschaftliche Analyse zur Grundlage ihrer Politik machen könnte. Tatsächlich gibt es zur Sozialfaschismus-These selbst nur einzelne erklärende Äußerungen von verschiedenen Kommunisten, jedoch hatte die Komintern durchaus eine umfassende Analyse zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Faschismus. Und die Geschichte hat bewiesen, dass es falsch ist, Sozialdemokratie und Faschismus einfach gleichzusetzen, aber sehr wohl richtig, dass die Sozialdemokratie zur Vorbereitung des Faschismus beiträgt. Hat doch die Geschichte tausendfach bewiesen, dass die Sozialdemokratie eine gefährliche Strömung in der Arbeiterbewegung darstellt. Wir schreiben dazu in unseren Programmatischen Thesen:

„Von besonderer Bedeutung für die kommunistische Bewegung ist der Kampf gegen die Sozialdemokratie. Diese ist nicht einfach nur eine von vielen Varianten bürgerlicher Ideologie. Ihr besonderer Charakter ergibt sich daraus, dass sie als Strömung der Arbeiterbewegung agiert, allerdings die Arbeiterklasse nicht auf ihre Selbstbefreiung vorbereitet, sondern im Gegenteil objektiv für die Fortsetzung und Verewigung der Ausbeutung arbeitet.“[efn_note]Programmatische Thesen der Kommunistischen Organisation, Abschnitt 12[/efn_note]

Wer die Rolle der SPD zur Integration bzw. Befriedung der Arbeiterklasse im Ersten Weltkrieg nicht erkennt, wer die vorbereitende Rolle der SPD- und Gewerkschaftsführung beim Aufstieg der Faschismus in Deutschland nicht sehen will, der begeht schwere Fehler. Die SPD hat 1914 den deutschen Angriffskrieg offiziell unterstützt und die SPD war es, die 1918–1919 Polizei, Militär und Freikorps beauftragte, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und tausende Arbeiter zu morden. Es war der SPD-Mann Zörgiebel, der am 1. Mai 1929 zig Arbeiter ermorden ließ.

Doch auch der Kosovo-Krieg 1999, der erste Krieg nach 1945 konnte nur durch eine SPD-geführte Regierung gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden[efn_note]Siehe dazu unsere aktuelle Stellungnahme „20 Jahre rot-grüne Kriegspolitik“[/efn_note]. Und das Kriegsgemetzel unter der SPD-Fahne ging in Afghanistan, Libyen und Syrien weiter.

Die Sozialdemokratie ist eine zentrale Gefahr für die Arbeiterbewegung und jeden, der sich als Antikapitalist versteht. Sie übt in Machtpositionen (Regierung, Gewerkschaftsführung) nicht nur mit Zuckerbrot und Peitsche einen zersetzerische Wirkung auf die Arbeiterbewegung aus, sondern sie unterstützt auch den Aufstieg des Faschismus. So schreiben wir:

„Wir gehen davon aus, dass sozialdemokratische und faschistische Ideologie und Methoden der kapitalistischen Herrschaftsausübung sich nicht prinzipiell ausschließen.“[efn_note]Programmatische Thesen, Abschnitt 12[/efn_note]

Die SPD unterstützte die Wahl des Reichspräsidenten Hindenburg, der als Repräsentant der deutschen herrschenden Klasse Adolf Hitler 1933 die Macht übertrug. Die SPD wehrte sich nicht, als Hindenburg mit dem sogenannten „Preußenschlag“ das preußische Parlament entmachtete. Die Gewerkschaftsführungen, eng verbandelt mit der SPD, riefen die Arbeiter am 1. Mai 1933 zum gemeinsamen Marsch mit den Faschisten auf und lehnten einen Generalstreik bei der Machtübernahme der Faschisten ab.

Es ist der Antikommunismus eines Ernst Nolte[efn_note]Ernst Nolte war ein führender deutscher Historiker, der die KPD verantwortlich für den Faschismus machte, da die Destabilisierung der Weimarer Republik durch die Massenkämpfe unter Führung der Kommunisten den Aufstieg der NSDAP begünstigt haben soll. Was Nolte nicht erwähnt ist, dass die KPD genau umgekehrt der schärfste Gegner der Faschisten war und auch praktisch den Kampf organisierte.[/efn_note], wenn Willi der KPD den Vorwurf macht, dass das Ergebnis ihrer Sozialfaschismus-These „eine paralysierte Arbeiterbewegung [war], die einzige Kraft, die den deutschen Faschismus hätte verhindern können.“ Er schweigt darüber, dass die KPD der SPD auf allen Ebenen unzählige Angebote zum gemeinsamen Kampf gegen die Faschisten machte. Er schweigt darüber, dass die Führung der KPD nach 1933 allein viermal auf die Prager Exilführung der SPD mit dem Angebot zuging, den gemeinsamen Kampf zu organisieren und dass es umgekehrt die SPD-Führung war, die jedes dieser Angebote ablehnte.

Doch nicht nur historisch, sondern auch aktuell deutet vieles darauf hin, dass die Führung der Sozialdemokratie, ob traditionell wie die SPD oder modern wie die Partei die Linke, keinen ernsthaften Kampf gegen den Faschismus führt, sondern durch vordergründige moralische Verurteilung von den Wurzeln des Faschismus im kapitalistischen System ablenkt und so seiner Ausbreitung nichts entgegenzusetzen hat. Dass es an der Basis beider Parteien Menschen gibt, die den Kampf gegen den Faschismus ernst meinen und auch aktiv werden, ändert nichts daran, dass die Parteien selbst und ihre Führungen täglich aufs Neue ihre Funktion als Gralshüter der kapitalistischen Verhältnisse unter Beweis stellen.

Wer sind eigentlich „linke Oppositionelle“?

Leo Schwarz hat in seinen Artikel in der Jungen Welt vom 22.03.2019 bereits klar und deutlich den Widerspruch dargestellt, in den ihr euch mit dem Schwerpunkt begebt und der nur noch deutlicher zeigt, wie wichtig der antikommunistische, „strömungsübergreifende“ Grundkonsens ist. Er schreibt:

„Man ahnte also, dass aufmerksame Leser die zwölf Texte davor durchblättern und sich irgendwann fragen werden, an welcher Stelle dieses Heftes die versprochene Befassung mit der Repression »gegen linke Oppositionelle in der DDR« eigentlich stattfindet. Hierfür, soviel ist offenbar klar, braucht es nicht nur einen staatlichen Sicherheitsapparat, der – aus, nebenbei bemerkt, für ihn rationalen Gründen, die man für sich selbstverständlich nicht akzeptieren muss, aber doch zur Kenntnis nehmen sollte, wenn man sich auf das Feld historischer Analyse begibt – repressiv agiert, sondern natürlich auch eine »linke Opposition« in der DDR. Und da wird die Luft schnell dünn.“

In allen Artikel tauchen viele Einzelbeispiele von Repression auf, jedoch bedarf es in jedem dieser Fälle einer wissenschaftlichen Untersuchung der Fälle und keiner pauschalisierten, letztlich antikommunistischen Prämissen.

Doch auch wenn man den Begriff der „linken Opposition“ nicht so weit dehnen würde, wie ihr es tut, bleibt die Frage wer eigentlich gemeint ist, d.h. gegen wen sich die Repression in der DDR eigentlich richtete. Und es zeigt sich, dass es genau der „strömungsübergreifende Charakter“ ist, der ein wissenschaftlich korrektes Verständnis der Repression in der DDR verunmöglicht. Repression wird allgemein und immer als etwas Negatives, moralisch Falsches verstanden – nicht jedoch als etwas, was einen eindeutig bestimmbaren Klassencharakter hat. Es ist nämlich nicht irrelevant, welche Klasse repressive Maßnahmen ergreift, um die Frage zu beantworten, ob Repression gerechtfertigt war oder ist. Und sowohl die DDR als auch die Sowjetunion waren Staaten der Arbeiterklasse und nicht wie BRD und USA Staaten der Bourgeoisie. Der Klassencharakter der Repression war demnach zur Verteidigung der Errungenschaften der Arbeiterklasse, zur Verteidigung des Fortschrittes der Menschheit und damit das genaue Gegenteil der Repression in den kapitalistischen Staaten. Natürlich bedeutet dies nicht, dass nicht Fehler gemacht wurden und gemacht werden. Aber es sind keine systematischen Fehler, es ist keine in der übergroßen Mehrheit der Fälle notwendigerweise falsche Repression und Fehler können korrigiert werden. Im Unterschied dazu muss sich die Repression in kapitalistischen Staaten notwendigerweise vor allem gegen die Arbeiterklasse richten, gegen den Fortschritt der Menschheit.

Wer diesen Unterschied, diesen grundsätzlichen Klassenwiderspruch nicht sehen möchte, kommt zu einer allgemeinen, moralischen Ablehnung aller Repression und spielt damit der herrschenden kapitalistischen Klasse in die Hände. Euer Schwerpunkt zur „Repression gegen linke Oppositionelle in der DDR“ schlägt genau in diese Kerbe.

Jakob Schulze

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