Teil der Rechtsentwicklung: Charakter, Weg und Ziel der Linkspartei

Einleitung
Programm und Wesen der Linkspartei
Die Linkspartei in der Praxis
Die Linke – eine „Friedenspartei“?
Kommunisten und die Linkspartei – strategische und taktische Fragen und Antworten
Abschließende Bemerkungen

Beitrag von Timo Rade, Joshua Relko und Thanasis Spanidis

Einleitung

Im Kontext der Bundestagswahl 2025 wurde die Linkspartei für viele Menschen zu einem neuen Hoffnungsträger, was sich in einem kurzfristigen Popularitätsschub widerspiegelte. Binnen weniger Wochen bestritt die Partei einen spektakulären Wahlkampf, gewann über 40.000 neue Mitglieder1 und schaffte es, ihr Wahlergebnis im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 fast zu verdoppeln.2 Angesichts der immer offeneren reaktionären Entwicklungen aller im Bundestag vertretenen Parteien konnte sie sich erfolgreich als Alternative und Bollwerk gegen den Rechtsruck inszenieren. Insbesondere unter enttäuschten Anhängern anderer Parteien sowie unter jungen Leuten konnte sie damit stark punkten.3

Dass sich diese Hoffnungen allerdings nicht nur auf enttäuschte Grünen- oder SPD-Wähler beschränken, sondern auch in Teilen der (im weiteren Sinne) kommunistischen Bewegung Nährboden finden, wurde in den vergangenen Wochen ebenfalls deutlich. Nicht selten stieß unsere scharfe Kritik an der Linkspartei sowie der Aufruf zur ungültigen Stimmabgabe auf Unverständnis. Kommunistinnen und Kommunisten, die in anderen Fragen durchaus richtige Positionen vertreten, orientieren in diesem Thema auf die „Wahl des geringeren Übels“, betonen den angeblichen Nutzen der Linkspartei in der Opposition oder ziehen im schlimmsten Fall sogar in Betracht, ihr aus „taktischen Gründen“ beizutreten, um beispielsweise Arbeiter „an der Basis“ der Partei vom Kommunismus zu überzeugen oder sie von innen heraus zu reformieren.

So nachvollziehbar die Sehnsucht nach einem Funken Hoffnung in Gestalt der Linkspartei auch sein mag – wir erachten es als eine dringende Aufgabe, diese Vorstellungen als das zu enttarnen, was sie sind: Wunschdenken und Illusionen. Sie sind Ausdruck des weiterhin wirksamen Einflusses der Sozialdemokratie auf Teile der kommunistischen Bewegung und ein Beleg dafür, wie fruchtbar der Boden für opportunistische Vorstellungen aktuell ist. Denn sie verkennen die objektive Funktion der Linkspartei im Rahmen der Klassenverhältnisse.

Deshalb ist es dringend notwendig, die Linkspartei einer gründlichen Kritik hinsichtlich ihres ideologischen Fundaments, ihrer Strategie und ihrer Rolle innerhalb des bürgerlichen Staates zu unterziehen. Es gilt also, den reformistischen Charakter der Linkspartei herauszuarbeiten und ihre daraus resultierende Funktion im Dienst des deutschen Kapitals nachzuweisen. Nur so lässt sich verstehen, dass ihre arbeiterfeindlichen Praktiken – etwa in Regierungsverantwortung oder in der Zustimmung zum größten Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte – keine Abweichungen, sondern logische Konsequenzen ihrer Programmatik sind.

Dabei geht es uns ausdrücklich nicht darum, jedes einzelne Mitglied der Linkspartei mit dem Wesen der Partei gleichzusetzen und moralisch anzuklagen. Das Gegenteil ist der Fall. Viele von ihnen handeln subjektiv sicherlich aus aufrichtiger Überzeugung, wollen das Richtige tun und sich ehrlich für eine bessere Gesellschaft einsetzen. Doch genau darin liegt das Problem: Unser Anliegen ist es aufzuzeigen, dass eine reformistische Partei wie die Linkspartei diese Ehrlichkeit missbraucht – dass sie Menschen, die sich für gesellschaftliche Veränderung einsetzen wollen, systematisch täuscht, um sie in den Dienst zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus zu stellen und seiner Überwindung aktiv entgegenzuwirken. Wir wollen aufzeigen, dass der Zweck dieser Partei auf Täuschung beruht, dass sie weder ein sozialistisches Ziel noch eine Stärkung der Arbeiterklasse im Klassenkampf anstrebt, dass ihre Berufung auf Marx, Engels und Luxemburg reine Heuchelei ist und sie, wenn sie sich in der Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung sieht, in Wirklichkeit in der Tradition des Verrats durch die SPD steht.

Im ersten Teil des Textes untersuchen wir das Programm der Linkspartei und analysieren, wie sie den Begriff „Sozialismus“ seines revolutionären Inhalts entleert. Wir zeigen, dass sie nicht die Überwindung kapitalistischer Produktions- und Eigentumsverhältnisse anstrebt, sondern einen illusionären „demokratischen Sozialismus“ propagiert, der sich mit dem Bestehenden arrangiert. Im Anschluss beleuchten wir ihre reformistische Strategie, die den Klassenkampf systematisch entschärft und damit objektiv dem Interesse der herrschenden Klasse dient. Ein weiterer Abschnitt widmet sich der Linkspartei als Unterstützerin des imperialistischen EU-Projekts, als Bündnis kapitalistischer Staaten im Interesse ihres Kapitals – und wie sie damit ein Werkzeug zur internationalen Durchsetzung europäischer Kapitalinteressen legitimiert.

Im zweiten Teil analysieren wir die konkrete politische Praxis der Linkspartei. Zunächst werfen wir einen Blick auf ihre Rolle in Regierungsverantwortung: Wir zeigen anhand konkreter Beispiele, wie „linke“ Regierungsbeteiligungen immer wieder mit Angriffen auf die Arbeiterklasse, Sozialkahlschlag und staatlicher Repression einhergingen – und wie das strategische Ziel der „Regierungsfähigkeit“ zur vollständigen Eingliederung in die kapitalistische Ordnung führt. Anschließend beschäftigen wir uns mit der Rolle der Partei in der parlamentarischen Opposition und mit der Frage, ob und inwiefern sie tatsächlich eine nützliche „linke Stimme“ darstellt, oder ob sie vollständig in den bürgerlichen Herrschaftsapparat integriert ist. Ein Abschnitt zur „Friedenspolitik“ der Linkspartei zeichnet die Entwicklung von pseudo-antiimperialistischer, pazifistischer Rhetorik hin zu immer offenerer Unterstützung imperialistischer Kriege nach. Wir untersuchen, wie bürgerlicher Pazifismus spätere Kriegszustimmung ideologisch vorbereitet – und warum eine konsequente Anti-Kriegs-Haltung untrennbar mit einem antiimperialistischen und antikapitalistischen Standpunkt verbunden sein muss. Konkret wird dies an der Haltung der Linkspartei zum Krieg in der Ukraine und zum Genozid in Palästina dargestellt.

Abschließend befassen wir uns im dritten und letzten Teil mit taktischen Schlussfolgerungen im Verhältnis von Kommunisten zur Linkspartei. Wir argumentieren gegen Wahlunterstützung, gegen die Hoffnung auf eine vermeintlich positive Rolle der Partei bei der Gewinnung kommunistischer Kader – und kommen zu dem Schluss, dass jede Form der Integration in sozialdemokratische Projekte schädlich für ein Wiedererstarken einer revolutionären Arbeiterbewegung ist.

Ziel dieses Textes ist es, zur Stärkung der ideologischen Klarheit innerhalb der kommunistischen Bewegung beizutragen. Schärfe in taktischen und strategischen Fragen sowie ein starkes theoretisches Fundament sind Grundvoraussetzungen für die Überwindung unserer Schwäche und für den Aufbau einer revolutionären Organisation der Arbeiterklasse, die fähig ist, den Klassenkampf im Interesse der Arbeiterklasse anzuleiten.

Programm und Wesen der Linkspartei

Als politische Partei im bürgerlichen Parlamentarismus tritt die Linkspartei mit einem Parteiprogramm an, in welchem sie ihre Weltanschauung festhält, politische sowie wirtschaftliche Ziele definiert und ihre Strategie zur Erreichung ebenjener Ziele ausbreitet. In erster Linie werden dort entscheidende politische Grundsatzfragen beantwortet, die es ihr gleichermaßen erlauben, sich nach außen gegenüber anderen Parteien abzugrenzen sowie neue Anhänger und Mitglieder für ihre Sache zu gewinnen. Nach Innen hat das Programm für die Mitglieder der Partei außerdem eine verbindende und identitätsstiftende Funktion und gibt ihnen eine praktische Orientierung für die politische Tätigkeit an die Hand.

Das aktuell gültige Programm wurde am 23. Oktober 2011 auf dem Erfurter Parteitag mit sehr großer Zustimmung von 96,9 Prozent beschlossen und anschließend durch einen Mitgliederentscheid erneut mit 95,8 Prozent bestätigt.4 Seither bekennt sich jedes neue Mitglied bei seinem Eintritt in die Partei zu diesem Programm.5 Bereits 2007 wurden bei der Gründung der Linkspartei durch die Vereinigung der Parteien „Die Linke.PDS“ und „Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative“ (WASG) zu „Die Linke“ sogenannte „Programmatische Eckpunkte“ festgehalten. Diese wurden allerdings explizit nicht als Parteiprogramm verstanden, sondern sollten lediglich „das Maß an Gemeinsamkeit, das sich WASG und Linkspartei.PDS auf dem Wege zu einer neuen Partei erarbeitet haben“, widerspiegeln.6

Wegen seines allgemeinen und grundlegenden Charakters ist das Parteiprogramm in der ideologischen Beurteilung der Linkspartei von zentraler Bedeutung. Angesichts der starken Fraktionierung innerhalb der Linkspartei stellt dieser Moment eine seltene Gelegenheit dar, einen vergleichsweise ungehinderten Blick auf den wesentlichen Kern der Partei zu werfen – unabhängig von den sonst dominierenden innerparteilichen Strömungen. Es ist wohl relativ unstrittig anzunehmen, dass kein zweites strategisches Dokument eine vergleichbare Zustimmung aus der gesamten Partei erhält. In den folgenden Abschnitten werden wir anhand des Programms nachzeichnen, was die Linkspartei unter Sozialismus versteht, welche Bedeutung sie den Klassen und dem Staat im Kapitalismus zuspricht und welche strategischen Konsequenzen sie daraus für ihre Politik zieht.

Viele „linkere“ Parteifraktionen und Einzelpersonen – auch solche mit kommunistischem Selbstverständnis – beziehen sich immer wieder positiv auf das „Erfurter Programm“ und betonen seinen grundlegend „sozialistischen“ Charakter. Ob die Linkspartei sich daher wirklich im Widerspruch zu „jene[n] Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind“7 befindet, gilt es in den folgenden Abschnitten zu überprüfen.

Der „Demokratische Sozialismus“

Zweifellos versteht die Linkspartei sich selbst als sozialistisch. Dies wird schon in den ersten Sätzen des Erfurter Programms deutlich betont:

Die Linke als sozialistische Partei steht für Alternativen, für eine bessere Zukunft. […] Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.“8

Als Kommunisten wissen wir allerdings, dass in der langen Geschichte der Arbeiterbewegung bereits viele Organisationen und Parteien das Adjektiv „sozialistisch“ vor sich hertrugen, ohne diesem auch nur im Entferntesten gerecht zu werden. Dass das reine Lippenbekenntnis zum Sozialismus nichts wert ist, beweist allen voran die SPD, die selbst in ihrem aktuellen Parteiprogramm – über hundert Jahre nach ihrem Verrat an der Novemberrevolution – noch kühn behauptet:

Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist.“9

Ob der Sozialismus der Linkspartei nun also nicht nur dem Wort nach, sondern auch inhaltlich sozialistisch ist, gilt es anhand von objektiven Kriterien zu bestimmen. Gerade darin beweist sich die Stärke des von Marx und Engels begründeten wissenschaftlichen Sozialismus, auf den sich auch die Linkspartei gewissermaßen beruft:

Doch erst die Befreiung aus der Herrschaft des Kapitals und aus patriarchalen Verhältnissen verwirklicht die sozialistische Perspektive der Freiheit und Gleichheit für alle Menschen. Dies haben insbesondere Marx, Engels und Luxemburg gezeigt.“10

Was die Partei konkret darunter versteht, beschreibt sie ausführlich im eigens dem Thema gewidmeten Abschnitt „Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert“: Zunächst ist es der Linkspartei – ganz in der Tradition ihrer Vorgängerin PDS – ein zentrales Anliegen, ihren Sozialismus als besonders „demokratisch“ zu präsentieren. In vorauseilendem Gehorsam grenzt sie sich vehement vom vermeintlich undemokratischen, realen Sozialismus in der Sowjetunion und der DDR ab und spricht stets vom sogenannten „demokratischen Sozialismus“.11 Die Konterrevolution von 1989/90, die zur Zerschlagung des Sozialismus in der DDR führte, wird von der Partei dabei nicht etwa als Niederlage, sondern letztlich als Fortschritt bewertet. Zwar gesteht sie ein, dass diese einen „wirtschaftlichen und sozialen Niedergang“12 zur Folge hatte, doch sei dieser „schmerzliche soziale Absturz“13 hinzunehmen, denn: „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung sind unverzichtbar“.14 Auch personell setzt sich diese Abgrenzung vom historischen Sozialismus fort. Führende Vertreter der Partei wie Lothar Bisky oder Gregor Gysi waren zentrale Akteure im revisionistischen Flügel in der SED, prägten den Sonderparteitag von 1989 und wirkten maßgeblich an der Umwandlung der SED in die PDS mit. Der sogenannte „Bruch mit dem Stalinismus“15 wird bis heute als identitätsstiftendes Element hochgehalten und ersetzt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den realen Bedingungen und Erfahrungen des Sozialismus durch moralisch aufgeladene Distanzierungen. Bevor jedoch auf die Probleme eingegangen wird, die aus diesem zutiefst idealistischen und unwissenschaftlichen Verständnis erwachsen, soll zunächst ein Blick auf die ökonomische Grundlage dieses scheinbar brandneuen Sozialismus geworfen werden.

Eigentumsverhältnisse

Seit Marx wissen wir, dass sich die sozialistisch-kommunistische Produktionsweise historisch und logisch aus den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus entwickelt. Im Zuge der sozialistischen Revolution wird die bereits im Kapitalismus zunehmend vergesellschaftete Produktion von der privaten Aneignung der produzierten Reichtümer durch die Kapitalistenklasse befreit. Das private Eigentum an Produktionsmitteln wird abgeschafft und vergesellschaftet, damit die Wirtschaft den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft dienen kann und nicht nur dem Profitinteresse weniger Kapitalisten.16 Augenscheinlich folgerichtig schreibt die Linkspartei:

Die Überwindung der Dominanz kapitalistischen Eigentums in der Wirtschaft und ein sozialer Rechtsstaat sind dafür [für die sozialistische Gesellschaft, Anm.] die wichtigsten Grundlagen.“17

Direkt ins Auge sticht die sehr vage Formulierung: Das kapitalistische Eigentum müsse nicht vollständig abgeschafft, sondern lediglich in seiner Dominanz eingeschränkt werden. Natürlich ist der Einwand berechtigt, dass es zu Beginn des sozialistischen Aufbaus einen gewissen Zeitraum geben wird, in denen noch nicht alle Elemente der kapitalistischen Gesellschaft überwunden sind. Aber an dieser Stelle soll das Ziel der Partei beschrieben werden. Eine Überwindung des kapitalistischen Eigentums, das in einem unvereinbaren Widerspruch zur sozialistischen Produktionsweise steht und deshalb von Anfang an bekämpft und zurückgedrängt werden muss, wird offenbar nicht angestrebt. Kapitalistische Überbleibsel können maximal eine zeitlich begrenzte Ausnahme darstellen, aber unter keinen Umständen zu einem Wesensmerkmal des Sozialismus erklärt werden. Dass es sich bei dieser Unterscheidung nicht um Erbsenzählerei handelt, zeigt sich wenige Seiten später:

Selbstbewusste Selbstständige in Handwerk, Kunst und anderer Dienstleistung sind unverzichtbar für einen demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Grundsätzlich gehört zur pluralen Eigentumsordnung des demokratischen Sozialismus das Privateigentum kleiner und mittlerer Unternehmen. Das gilt auch für bäuerliches Eigentum an Grund und Boden.“18

Im „demokratischen Sozialismus“ ist die Eigentumsordnung „plural“, was schlicht bedeutet, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln, die rechtliche Existenzgrundlage der Kapitalistenklasse und Ausbeutung der Arbeiterklasse, für „kleine und mittlere Unternehmen“ ausdrücklich unangetastet bleibt. Nach gängiger Definition des Statistischen Bundesamtes bemisst die Obergrenze für mittlere Unternehmen eine Größe bis zu 249 „tätigen Personen“.19 Noch absurder wird die Äußerung, wenn man in Betracht zieht, dass derzeit ein Drittel bis die Hälfte aller Beschäftigten in kleinen oder mittleren Unternehmen arbeiten und entsprechend im sogenannten demokratischen Sozialismus weiterhin unter kapitalistischen Eigentumsverhältnissen ausgebeutet würden.20 Doch selbst wenn es um Großkonzerne geht, lässt sich die Linkspartei ganz bewusst ein Hintertürchen offen:

Strukturbestimmende Großbetriebe der Wirtschaft wollen wir in demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen überführen und kapitalistisches Eigentum überwinden. Auf welche Bereiche, Unternehmen und Betriebe sich die demokratische Vergesellschaftung erstrecken und in welchen öffentlichen oder kollektiven Eigentumsformen (staatliches oder kommunales Eigentum, Genossenschaften, Belegschaftseigentum) sie sich vollziehen soll, muss im demokratischen Prozess entschieden werden.“21

Auch hier wird sich offensichtlich vorbehalten, bestimmte „Bereiche, Unternehmen und Betriebe“ von der „demokratischen Vergesellschaftung“ zu verschonen. Anstatt klar zu benennen, welche Wirtschaftszweige die Linkspartei (abgesehen von Netzbetreibern und dem Gesundheitswesen22) „vergesellschaften“ will, verweist sie auf einen nicht näher definierten „demokratischen Prozess“. Damit wird die Verantwortung für die Zielbestimmung auf ein späteres Verfahren mit offenem Ausgang verlagert und lediglich der Anschein erweckt, eine konkrete Position zu beziehen – ohne dies tatsächlich zu tun. Es ist offensichtlich: Das Wirtschaftssystem, das der Linkspartei vorschwebt, hat mit Sozialismus wenig zu tun, sondern ist eine „gemischte Wirtschaft“, in der „verschiedene Eigentumsformen“ nebeneinander existieren sollen, aber das Privateigentum und damit die Ausrichtung der Produktion auf den Profit bestehen bleibt.

Wirtschaftsdemokratie

Dass mit diesem „pluralen“ Mix an Eigentumsformen die Anarchie der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht zugunsten einer sozialistischen Planwirtschaft abgelöst werden kann, ist der Linkspartei bewusst. Daher gibt sie dies auch – in etwas geschönter Form – zu:

Wirtschaftliche Entwicklung darf nicht nur [!] dem Markt und den Unternehmen überlassen, sondern muss in ihren Grundrichtungen [!] demokratisch gesteuert werden.“23

Laut dieser Aussage wird zumindest ein Großteil der Produkte weiterhin über den Markt ausgetauscht und bleibt somit warenförmig. Dabei entwickelte sich der Kapitalismus, historisch betrachtet, gerade aus und mit dem Warentausch. Wie Marx im Kapital nachweist, führte die zunehmende gesellschaftliche Arbeitsteilung zu notwendigen Anpassungen im Austauschprozess der erzeugten Produkte. Entlang der historischen und logischen Entfaltung der Wertform weist er die Entstehung des Kapitalismus als eine auf der Warenproduktion beruhende Gesellschaftsform nach. Im Tauschwert, der ein Produkt erst zur Ware macht, zeigt sich in konzentrierter Form, dass im Kapitalismus in erster Linie zum Verkauf und eben nicht zum Gebrauch produziert wird. Genau diesen Widerspruch gilt es jedoch im Sozialismus aufzuheben, damit die Produktion der gesamten Gesellschaft zugutekommt und nicht nur der Bereicherung einer kleinen Minderheit von Kapitalisten dient. Gleichzeitig muss dieser Widerspruch sogar aufgelöst werden, weil der gesellschaftliche Charakter der Produktion – der auch unter den Bedingungen der kapitalistischen Warenproduktion weiter anwächst – und die Entwicklung der Produktivkräfte zunehmend an die Grenzen des kapitalistischen Aneignungs- und Austauschprozesses stoßen. Die zahlreichen Krisenerscheinungen, die in der Regel auf eine Überproduktion bei fehlender Konsumption zurückzuführen sind, sind in der Marktwirtschaft veranlagt24 und lassen sich erst durch eine sozialistische Planwirtschaft endgültig lösen. Der Linkspartei scheint es aber nicht um eine konsequente Beseitigung der Widersprüche zu gehen, die den kapitalistischen Produktionsverhältnissen innewohnen – was eine Notwendigkeit für den Sozialismus wäre –, sondern um das oberflächliche Abfeilen der schärfsten kapitalistischen Kanten. Aus diesem Grund erfindet sie eine „demokratische Steuerung“ des Marktes:

Wir wollen die Wirtschaft den Maßstäben des Gemeinwohls unterwerfen, damit sie sozial und ökologisch verträglich wirkt. Demokratische Steuerung der Wirtschaftsentwicklung setzt voraus, die Finanzmärkte zu bändigen und auf ihre eigentliche dienende Funktion für die Realwirtschaft zurückzuführen.“25

Die Finanzmärkte werden nur gebändigt und auf eine nie dagewesene Funktion „zurück“geführt. Dass der Finanzmarkt die Funktion hat, die größtmögliche Bewegungsfreiheit des Kapitals auf seiner Suche nach dem maximalen Profit herzustellen und daher in einer sozialistischen Gesellschaft nicht existieren könnte, wird unterschlagen, weil das Ziel der Linkspartei nicht der Sozialismus ist.

Doch das Problem sitzt noch tiefer: Bei Märkten und „demokratischer Wirtschaftssteuerung“ haben wir es mit zwei völlig gegenteiligen Dingen zu tun. Der Markt kann nur existieren, weil die kapitalistische Produktion nicht gesellschaftlich bzw. demokratisch geplant wird. Allein die Kapitalisten entscheiden, über welche Produkte sie ihr Profitinteresse realisieren möchten und wie viel davon produziert wird. Der Markt „entscheidet“ erst nachträglich über den Erfolg der wirtschaftlichen Entscheidungen. Eine demokratische Steuerung der Wirtschaft mit dem formulierten Ziel, die Wirtschaft einer „dienenden Funktion“ nach „Maßstäben des Gemeinwohls“ zu unterwerfen, würde im Gegensatz dazu bedeuten, Produktionsziele im Voraus anhand der „Maßstäbe des Gemeinwohls“ zu bestimmen und sie den Unternehmen verpflichtend aufzutragen. Dies bedeutet keine „Bändigung“, sondern die Abschaffung des Marktes. Das ist offensichtlich mit privaten Unternehmen nicht möglich, denn ein Betrieb, der für das Gemeinwohl produziert und das auf Grundlage verbindlicher Vorgaben einer Zentrale tut, ist kein privater Betrieb mehr. Der Austausch über einen Markt wäre überflüssig und gleichzeitig unmöglich, da kein Austausch zwischen privaten Wirtschaftssubjekten stattfindet, sondern die gesamte Gesellschaft sowohl Eigentümer der Betriebe als auch Konsument der Produkte ist. Die Marktwirtschaft müsste also von einer Planwirtschaft abgelöst werden, in der die gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse zentral und demokratisch erhoben werden. Letztere lehnt die Linkspartei aber in Abgrenzung zum realen Sozialismus in Sowjetunion und DDR vehement ab, weil diese Art der „demokratischen Steuerung“ die „betriebliche Selbstständigkeit“ zu sehr einschränke.26

Die vermeintlich rettende Lösung, wie eine kapitalistische Marktwirtschaft trotzdem auf sozialistische Füße gestellt werden soll, bietet angeblich die „Wirtschaftsdemokratie“:

Ohne Demokratie in der Wirtschaft lassen sich die Interessen der Allgemeinheit gegenüber engen Profitinteressen nicht durchsetzen. Die Demokratie bleibt unvollkommen. Deshalb sehen wir in der Wirtschaftsdemokratie eine tragende Säule des demokratischen Sozialismus.“27

Konkret bedeutet dies beispielsweise die Möglichkeit einer „gemeinschaftliche[n] Übernahme von Betrieben durch die Beschäftigten“,28 welche „realen Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungen bekommen“29 müssen, ein bunter Strauß an „staatliche[n] und kommunale[n], gesellschaftliche[n], private[n] und genossenschaftliche[n] Formen des Eigentums“30 sowie die Beteiligung von „Verbraucherinnen und Verbraucher[n], die Repräsentanten der Gemeinwohlinteressen […], an den wirtschaftlichen Entscheidungen“.31 Die ökonomische Basis bleibt dabei allerdings weitestgehend erhalten, mit dem Unterschied, dass sich nun einige Arbeiter ohne vorherige Vermittlung durch einen Kapitalisten den Gesetzen der Konkurrenz des Marktes unterwerfen dürfen. Die Illusion der „Wirtschaftsdemokratie“ zeigt sich hier sehr deutlich. Indem das Hauptaugenmerk auf „Demokratisierung“ gelegt wird, wird der im Kapitalismus unauflösbare Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit auf einen Mangel an Mitbestimmung reduziert. Damit wird eine Folge zur Ursache ernannt und die wahre Ursache verschleiert. Die spezifischen Klassenverhältnisse des Kapitalismus ergeben sich aus der Ausbeutung der Arbeiterklasse – also der systematischen Aneignung eines Teils ihrer Arbeit durch die Kapitalisten. Aus der untergeordneten Position im Produktionsprozess und dem Ausschluss vom Eigentum an den Produktionsmitteln folgt gerade aus den Produktionsverhältnissen, dass die Arbeiter keine Entscheidungsgewalt in wirtschaftlichen Fragen haben. Diese liegt zum Teil bei den Kapitalisten, wird aber vor allem von den Gesetzen des Marktes diktiert. Selbst wo unter diesen Voraussetzungen einzelne Betriebe von den Beschäftigten übernommen werden, ändern sich diese Gesetzmäßigkeiten nicht. Die Gesetze des Marktes zwingen sie beispielsweise weiterhin, Kosten zu senken, indem sie ihre eigenen Löhne so niedrig wie möglich halten, oder bei Umweltmaßnahmen zu sparen. Tun sie dies nicht, können Genossenschaften sich – wie ganz normale Unternehmen auch – nicht auf dem Markt behaupten und fallen auf kurz oder lang der Konkurrenz zum Opfer (die nach Vorstellung der Linkspartei weiterhin aus privat geführten Unternehmen besteht). Wo also unter kapitalistischen Verhältnissen der Kapitalist aus dem Unternehmen gestrichen wird, werden die Arbeiter schlichtweg gezwungen, zu ihren eigenen Kapitalisten zu werden. Der Mangel an Mitbestimmung wird hier nur scheinbar aufgelöst. Eine wirkliche Mitbestimmung über gesellschaftliche Fragen der Produktion kann es in kapitalistischen Verhältnissen nicht geben. Der Kapitalismus erscheint als eine Wirtschaftsform, die sich dem Bewusstsein und dem Willen der Menschen entzieht – ihr eigenes Handeln tritt ihnen wie eine äußere Naturgewalt entgegen. Auch die Mitbestimmung in der Führung eines weiterhin kapitalistischen Unternehmens ändert nichts daran, da sie unter der Diktatur des Marktes in sehr eng vorgegebene Bahnen gelenkt wird. Diese Form der Mitbestimmung ist vielmehr dazu verdammt, ein vorübergehender Fremdkörper in einer vollkommen feindlichen Umgebung zu sein. Wo Privateigentum an Produktionsmitteln und Marktwirtschaft lediglich etwas eingedämmt, aber im Wesentlichen unverändert bleiben, bleiben kapitalistische Gesetzmäßigkeiten wie Zentralisation und Konzentration des Kapitals bestehen. Es ist dementsprechend nur eine Frage der Zeit, bis die genannten Errungenschaften (im unwahrscheinlichen Fall ihrer Umsetzung) allmählich vom allgemeinen Lauf der Dinge, d.h. von der gesetzmäßigen Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie, aufgefressen werden – eine Erkenntnis, für die ein Blick auf die Entwicklung Chinas genügt.32 Das Ziel einer „demokratischen Steuerung“ und „dienenden Form“ der Wirtschaft kann auf diesem Weg unmöglich erreicht werden. „Wirtschaftsdemokratie“ im Sinne einer kapitalistischen Wirtschaftsreform ist an sich bereits ein illusionäres und unmögliches Vorhaben, welches aber als vermeintliche „Säule des Sozialismus“ zu einem reinen Betrug wird.

Der herrschaftsfreie „Sozialismus“

Die Frage des Klassencharakters ist für die Beurteilung des Sozialismus ebenfalls von zentraler Bedeutung. In dieser Hinsicht vertritt die Linkspartei in ihrem Programm widersprüchliche Positionen. Zwar behauptet sie zunächst: „Wir wollen die Klassengesellschaft überwinden“,33 erfüllt allerdings die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht. Solange die kapitalistischen Produktionsverhältnisse weitgehend intakt bleiben, reproduzieren sich aus ihnen zwangsläufig auch kapitalistische Klassenverhältnisse. Auf der einen Seite existiert weiterhin eine Kapitalistenklasse, der die privaten Unternehmen gehören, auf der anderen Seite steht eine Arbeiterklasse, die in ebendiesen Unternehmen ausgebeutet wird. Die Arbeiter sind in dieser Gesellschaft ebenso frei vom Eigentum an Produktionsmitteln wie frei, ihre Arbeitskraft gegen einen Lohn anzubieten – mit dem Unterschied, dass nun einige genossenschaftliche oder kommunale Betriebe zur Auswahl stehen, die den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit verbergen sollen.

Schon im nächsten Satz des Programms folgt daher eine Relativierung: „Die neue und bessere Ordnung, die der demokratische Sozialismus erstrebt, ist eine von Klassenschranken befreite Gesellschaft.“

Eine von Klassenschranken befreite Gesellschaft ist jedoch etwas grundlegend anderes als eine klassenlose Gesellschaft. Hier können sehr wohl Klassen existieren, nur sollen Arbeiter vermeintlich bessere Aufstiegschancen haben oder der Klassenwechsel erleichtert werden. Aber selbst dies kann im beschriebenen Rahmen kaum realisierbar sein, denn Klassenverhältnisse reproduzieren sich notwendig aus den zugrundeliegenden ökonomischen Bedingungen. Vielmehr handelt es sich bei der Formulierung um eine inhaltsleere Floskel, die vermutlich auf „gleiche Bildungschancen“ oder weniger „Diskriminierung aufgrund von Klassenangehörigkeit“ abzielt. Gleichzeitig offenbart sich hier eine durch und durch bürgerliche Ideologie: Die Linkspartei versucht, den Rollenwechsel vom Ausgebeuteten zum Ausbeuter als Fortschritt zu verkaufen. Ihr Ziel ist nicht die Abschaffung der Ausbeutung, sondern deren „demokratische“ Verteilung – also die Möglichkeit, dass mehr Menschen an ihr teilhaben. Eine Vorstellung, die nicht im entferntesten etwas mit Sozialismus zu tun hat, jedoch gut zu einem Wirtschaftssystem passt, „in der private Großanleger und Finanzinvestoren keine Vormacht haben“,34 aber selbstverständlich ihren Platz haben sollen. Trotzdem auf das Kommunistische Manifest Bezug zu nehmen, um die Ablösung „der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen“35 zu fordern, erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur anmaßend, sondern kann nichts anderes als eine Instrumentalisierung marxistischer Rhetorik darstellen. Diese wird auf die Spitze getrieben, wenn die Linkspartei gar eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstreben möchte:

Unser Ziel eines Demokratischen Sozialismus im 21. Jh. ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft in der alle Menschen menschenwürdig leben können. Demokratischer Sozialismus orientiert sich an den Werten der Freiheit, Gleichheit, Solidarität, an Frieden und sozialökologischer Nachhaltigkeit.“36

Eine „herrschaftsfreie Gesellschaft“ im marxistischen Sinne setzt das Absterben des (sozialistischen Arbeiter-)Staates voraus – also einen Zustand, in dem alle inneren und äußeren Gefahren einer Konterrevolution und kapitalistischen Restauration überwunden sind. Es handelt sich also um einen sehr fortgeschrittenen Reifegrad der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft, die den endgültigen Sieg über den Kapitalismus errungen hat. Dass das Programm der Linkspartei auch nur ansatzweise diesem Ziel nahekommen könnte, ist eine bewusste Irreführung, da in ihrem „Sozialismus“ nur deshalb keine Gefahr von einer Wiederherstellung des Kapitalismus besteht, weil dieser zu keinem Zeitpunkt überwunden werden soll. Wo die ökonomische Macht der Kapitalistenklasse unangetastet bleibt und von einer Zerschlagung der politischen Macht – der Klassenherrschaft über den bürgerlichen Staat – nicht die Rede ist, kann „Herrschaftsfreiheit“ nicht einmal als ferne Perspektive erscheinen. Es kann sich in diesem Zusammenhang lediglich um eine radikal klingende Worthülse handeln, mit der darüber hinweggetäuscht werden soll, dass der gesamte Sozialismusbegriff bereits jeglicher Substanz beraubt wurde.

Wie gut sich diese beschriebene „neue Ordnung“ wirklich an den beschworenen Werten wie „Solidarität“ orientiert, bleibt fraglich. Allerdings tritt an dieser Stelle das bürgerlich-idealistische Weltbild offen zum Vorschein: In der Tradition liberaler Vordenker und Philosophen wird gesellschaftlicher Fortschritt aus der moralischen Haltung der Individuen entwickelt. Die besondere historische Leistung der Sozialisten bestand hingegen darin, zu erkennen, dass Geschichte nicht durch Moral und Ideale bestimmt wird. Die Stellung der Ausgebeuteten und Unterdrückten in einer Gesellschaft ist nicht das Ergebnis verwerflicher Entscheidungen einzelner Individuen, sondern Ausdruck objektiver Gesetzmäßigkeiten. So ergeben sich die spezifischen Klassenverhältnisse einer Epoche – also etwa, wer arbeitet, wer sich die Arbeit der anderen aneignet und wer herrscht – aus der Art und Weise, wie zu einer bestimmten Zeit produziert wird. Diese Produktionsweise wiederum hängt vom Entwicklungsstand der Technik, des Wissens und der Produktionsmittel – den sogenannten Produktivkräften – ab. Das historisch-spezifische Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen prägt somit maßgeblich die Form, Struktur und Widersprüche einer jeden Gesellschaft, ihre Probleme ebenso wie ihre Möglichkeiten zum Fortschritt.

Der Sozialismus ist daher weder die Erfindung besonders moralischer Köpfe, noch lässt er sich durch die beliebige Verbesserung einzelner Missstände des Kapitalismus verwirklichen. Er erfordert die Einführung einer neuen – eben sozialistischen – Produktionsweise, die vollständig mit der kapitalistischen bricht und ihre Widersprüche aufhebt. Es ist nicht der „gute Wille“, sondern die objektive Notwendigkeit, die den Sozialismus ermöglicht und gleichzeitig seinen Inhalt und die Strategie zu seiner Umsetzung bestimmt – ob er realisiert wird, hängt schließlich vom bewussten Eingreifen der Arbeiterklasse und ihrer Fähigkeit ab, diese Notwendigkeit in revolutionäres Handeln zu übersetzen. So schreibt Engels sehr deutlich: „Sie [die Besitzergreifung sämtlicher Produktionsmittel durch die Gesellschaft], wie jeder andre gesellschaftliche Fortschritt, wird ausführbar nicht durch die gewonnene Einsicht, daß das Dasein der Klassen der Gerechtigkeit, der Gleichheit etc. widerspricht, nicht durch den bloßen Willen, diese Klassen abzuschaffen, sondern durch gewisse neue ökonomische Bedingungen. […] Diese weltbefreiende Tat durchzuführen, ist der geschichtliche Beruf des modernen Proletariats. Ihre geschichtlichen Bedingungen und damit ihre Natur selbst zu ergründen, und so der zur Aktion berufenen, heute unterdrückten Klasse die Bedingungen und die Natur ihrer eignen Aktion zum Bewußtsein zu bringen, ist die Aufgabe des theoretischen Ausdrucks der proletarischen Bewegung, des wissenschaftlichen Sozialismus.“37

Fazit

Die Linkspartei beweist mit ihrem Begriff vom „demokratischen Sozialismus“, dass sie nicht gewillt ist, sich ernsthaft mit den Bedingungen und der historischen Erfahrung des Sozialismus auseinanderzusetzen. So schreibt sie beispielsweise:

Der erste große Versuch im 20. Jahrhundert, eine nichtkapitalistische Ordnung aufzubauen, ist an mangelnder Demokratie, Überzentralisation und ökonomischer Ineffizienz gescheitert. Unter Pervertierung der sozialistischen Idee wurden Verbrechen begangen. Dies verpflichtet uns unser Verständnis von Sozialismus neu zu bestimmen.“38

Hier wiederholt die Linkspartei nicht nur die Narrative bürgerlicher und revisionistischer Ideologen, um die Errungenschaften des realen Sozialismus – etwa in der Sowjetunion oder der DDR – zu delegitimieren. Sie verweigert sich auch jeglicher ernsthaften Analyse der Ursachen seines Scheiterns. Statt beispielsweise zu untersuchen, inwiefern die zunehmende Aushöhlung der jahrzehntelang erfolgreichen Planwirtschaft durch marktwirtschaftliche Elemente hervorgerufen wurde, flüchtet sie in pauschale Verurteilungen. Anstatt also aus den Fehlern der Kommunisten zu lernen, erklärt sie die historischen Erfahrungen für irrelevant und konstruiert einen völlig „neuen Sozialismus“ aus der Fantasie sozialdemokratischer Reformer.

Sie verlässt den Boden der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Widersprüchen und ersetzt ihn durch subjektive Ideale, die mit der materiellen Realität unvereinbar sind. Ihr Wunsch, einen völlig neuen Sozialismus zu erfinden, führt schlussendlich zum genauen Gegenteil: In ihrem Eifer, sich soweit wie nur möglich vom realen Sozialismus zu distanzieren, arrangiert sie sich mit den kapitalistischen Verhältnissen und verklärt diese, in etwas abgemilderter und geschönter Form, zum neuen, „demokratischen Sozialismus“.

Doch dieser sogenannte Sozialismus ist in Wahrheit nichts weiter als Kapitalismus mit Mitbestimmungsfassade: Trotz der „pluralen Eigentumsordnung“ wird das Privateigentum an Produktionsmitteln erhalten;39 auch wenn einige Betriebe verstaatlicht oder in Genossenschaften umgewandelt werden, bleibt der Austausch der Güter weiterhin warenförmig und den Gesetzen des Marktes unterworfen. Der bürgerliche Staat soll zwar etwas weniger autoritär herrschen, bleibt aber in seiner Funktion als Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie, als „ideeller Gesamtkapitalist“, unangetastet. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch das Kapital wird nicht aufgehoben, sondern stabilisiert.

Im Ergebnis hat die Linkspartei keinen Sozialismus, sondern die Illusion eines „demokratischeren Kapitalismus“ zum Ziel. Die entscheidende Täuschung liegt darin, dass sie die zentralen Widersprüche des Kapitalismus – den zwischen Kapital und Arbeit beziehungsweise zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung – nicht aufheben will, sondern verschleiert: Der Klassenwiderspruch wird ersetzt durch einen moralisch aufgeladenen Gegensatz zwischen „Reich und Arm“, der zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung durch einen Mangel an wirtschaftlicher Mitbestimmung. Wo Kommunisten die ökonomische Grundlage der auf Ausbeutung beruhenden Klassengesellschaft beseitigen wollen, versucht die Linkspartei diese zu konservieren, indem sie das Bestehende als unveränderlich erscheinen lässt und kleine Symptomlinderungen als großen Fortschritt verkauft.

Ihr Vorhaben ist damit, wie die Partei selbst feststellt, „Utopie und Realismus zugleich“40 – „Realismus“, weil es sich nicht wirklich vom bestehenden System unterscheidet, „Utopie“, weil es voraussetzt, dass die Kapitalisten die angestrebten „Verbesserungen“ des Kapitalismus einfach widerstandslos über sich ergehen lassen würden, aber vor allem, weil sie all seinen innewohnenden Gesetzmäßigkeiten widersprechen.

Ironischerweise fällt die Linkspartei damit noch hinter die utopischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts zurück. Diese waren, wie Engels schreibt, „Utopisten, weil sie nichts andres sein konnten zu einer Zeit, wo die kapitalistische Produktion noch so wenig entwickelt war. Sie waren genötigt, sich die Elemente einer neuen Gesellschaft aus dem Kopfe zu konstruieren“.41 Die Ideologen der Linkspartei hingegen wissen es besser – das zeigen die zahlreichen Bezüge auf die marxistischen Klassiker. Sie haben sich bewusst dafür entschieden, mit dem wissenschaftlichen Sozialismus zu brechen – und damit zugleich jede reale Möglichkeit auf gesellschaftlichen Fortschritt aufgegeben.

Der Reformismus der Linkspartei

Im vorherigen Abschnitt wurde bereits gezeigt, dass der sogenannte demokratische Sozialismus der Linkspartei nicht ansatzweise das Versprechen einer sozialistischen Gesellschaft einlöst. Was als Alternative zum Kapitalismus präsentiert wird, ist in Wahrheit nur ein Bündel an Reformvorschlägen, das den bestehenden Rahmen der kapitalistischen Verhältnisse nicht verlässt.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Partei die Durchsetzung ihrer Ziele – ganz im Sinne der klassischen Sozialdemokratie – als einen „transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung“ bezeichnet, der aus „vielen kleinen und großen Reformschritten“42besteht. Eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus erscheint ihr demnach als nicht notwendig. Stattdessen sei bereits im Hier und Jetzt „eine andere Entwicklungsrichtung durchzusetzen und so auch Ausgangsbedingungen für weitergehende demokratisch-sozialistische Umgestaltungen zu schaffen“.43Sie vermittelt also, dass der Kapitalismus Schritt für Schritt in eine bessere, vermeintlich sozialistische Gesellschaft überführbar sei. Die Reform steht bei der Linkspartei entsprechend sowohl am Anfang als auch am Ende aller politischen Bestrebungen – sie ist Mittel und Zweck zugleich. Das macht sie aus marxistischer Perspektive zu einer reformistischen Partei.

Reformismus damals und heute

Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts bekämpften marxistische Vordenker wie Luxemburg und Lenin reformistische Entwicklungen in der Arbeiterbewegung. So zeigte Rosa Luxemburg in ihrer Schrift Sozialreform oder Revolution, dass die Vorstellung, der Kapitalismus könne schrittweise in eine sozialistische Gesellschaft überführt werden, eine gefährliche Illusion darstellt. Weder der bürgerliche Staat noch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse können durch schrittweise Verbesserungen einen sozialistischen Charakter erhalten, noch können die der gegenwärtigen Gesellschaft innewohnenden Widersprüche langfristig unterdrückt werden. Die letztlich liberale Vorstellung einer „ununterbrochenen Kette fortlaufender und stets wachsender Sozialreformen von der heutigen Gesellschaftsordnung unmittelbar zur sozialistischen“ führt, so Luxemburg, in der Praxis zur Aufgabe des Klassenstandpunkts, „der nur im Hinblick auf eine angestrebte politische Machteroberung Sinn hat“, aber „immer mehr zu einem bloßen Hindernis [wird], sobald unmittelbare praktische Erfolge den Hauptzweck bilden“. Er weicht einer „versöhnlichen, staatsmännisch klugen Haltung“,44 die das sozialistische Ziel gegen die Verwaltung des Kapitalismus eintauscht.

Der Reformismus, wie er damals von Eduard Bernstein repräsentiert wurde, trat zu einer Zeit auf, in der sich die Arbeiterbewegung im Aufschwung befand. Die Arbeiterklasse verfügte, neben den großen und kämpferischen Gewerkschaften mit der SPD über eine überaus einflussreiche, schlagkräftige Partei, deren Programm45 damals ausdrücklich die Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch die politische Machtergreifung der Arbeiterklasse verfolgte. Schwächen in der strategischen Klarheit ermöglichten es jedoch reformistischen Strömungen innerhalb der Partei, ihre Positionen auf dem vermeintlichen Boden des Parteiprogramms zu vertreten. Im ideologischen Kampf um die strategische Ausrichtung der Sozialdemokratie zielte der Reformismus darauf ab, das revolutionäre Potential der Bewegung systematisch zu schwächen. Dabei ging er subtil vor, indem er im Wort nicht mit dem Sozialismus brach, sondern an die Reformerfolge der letzten Jahre anknüpfte – diese aber umdeutete: So wurden diese nicht als Zugeständnisse der Kapitalistenklasse an die Arbeiterklasse aus Angst vor revolutionären Erhebungen verstanden, sondern als Ausdruck einer vermeintlich dem Kapitalismus innewohnenden demokratischen Entwicklung hin zum Sozialismus. In diesem Licht erschienen weitreichendes Klassenbewusstsein oder gar eine sozialistische Revolution nicht nur als überflüssig, sondern sogar als Hindernis, weil sie den angeblichen graduellen Fortschritt zum Sozialismus gefährden würden. In seltener Offenheit äußerte sich hierzu beispielsweise Philip Scheidemann (SPD) im Jahr 1924 während eines Gerichtsverfahrens zur Rolle von ihm und Friedrich Ebert im Januarstreik 1918 – einem wichtigen Vorläufer der später verratenen Novemberrevolution – mit den Worten: „Wenn wir nicht in das Streikkomitee hineingegangen wären, dann wäre der Krieg und alles andere meiner festen Überzeugung nach schon im Januar erledigt gewesen. Durch unser Wirken wurde der Streik bald beendet und alles in geregelte Bahnen gelenkt. Man sollte uns eigentlich dankbar sein.“46

Tatsächlich ist es jedoch gerade die revolutionäre Zielsetzung, die anhaltende Erfolge in tagespolitischen Kämpfen ermöglicht: Reformisten versuchen durch Abstriche in Forderungen, Verzicht auf Konfrontation und Rücksicht auf Kapitalinteressen das Vertrauen der Kapitalisten zu gewinnen und untergraben damit die Durchsetzungskraft der Arbeiterbewegung. Revolutionäre betrachten hingegen jeden Reformkampf als Teil eines größeren, unversöhnlichen – eben revolutionären – Kampfes zwischen Kapital und Arbeit. Sie wissen, dass organisierte Arbeiter die Kämpfe gewinnen werden, weil ihre Position im Produktionsprozess ihnen mehr Macht gibt, als jeder Verhandlungstisch je könnte. Daher führen sie diese Reformkämpfe nicht, um sich in das System einzugliedern, sondern um Erfahrungen zu sammeln, das Klassenbewusstsein und die Einheit der Arbeiterbewegung zu stärken sowie die Ausgangsbedingungen für den nächsten Kampf zu verbessern. Niederlagen werden so zu Möglichkeiten, um die Grenzen von Reformen und die Notwendigkeit der Revolution aufzuzeigen sowie aus Fehlern zu lernen, um sich auf den nächsten Kampf noch besser vorzubereiten. Um wirklich konsequent für Reformen zu kämpfen, muss also über die einzelne Reform hinaus gezielt werden.

Indem der Reformismus die Strategie der Partei von der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat weglenkte, untergrub er das Fundament, auf dem die bisherigen Reformen möglich waren. Er versuchte somit, in einem einzigen ideologischen Schlag nicht nur eine zukünftige sozialistische Revolution zu verhindern, sondern schwächte gleichzeitig den alltäglichen Kampf der Arbeiterbewegung, indem er ihm die Grundlage seiner Erfolge entzog. Die unmittelbare Gefahr, die von dieser Strömung ausging, wurde daher von den Revolutionären der Zeit vollkommen zu Recht nicht als Kampf „um diese oder jene Taktik, sondern um die ganze Existenz der sozialdemokratischen Bewegung“47 erkannt und als das bekämpft, was sie war: ein Angriff bürgerlicher Ideologen auf eine revolutionäre Bewegung.

Der heutige Reformismus der Linkspartei steht klar in dieser Tradition: Er knüpft unmittelbar an die Abkehr vom wissenschaftlichen Sozialismus an und ersetzt den revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus durch einen vermeintlich realistischeren Reformweg. Häufig wird jedoch eingewandt, dass sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Zwischenzeit grundlegend verändert hätten. In Deutschland existiere heute keine kämpferische und klassenbewusste Arbeiterbewegung mehr, die der Reformismus der Linkspartei schwächen könne. Aus dieser Beobachtung folgt jedoch allzu oft ein gefährlicher Fehlschluss: nämlich, dass vom Reformismus unter heutigen Bedingungen weniger oder sogar keine Gefahr ausginge – oder dass er trotz immanenter Risiken etwas zum Wiederaufbau der Bewegung beitragen könne.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Die Annahme, Reformismus könne aktuell keinen Schaden anrichten oder gar nützlich sein, setzt voraus, er vertrete ehrlich die Interessen der Arbeiterklasse und sei lediglich eine strategische Fehlorientierung. Sicherlich gibt es in der Linkspartei nicht wenige Leute, bei denen genau dies der Fall sein mag. Aber eben diese Illusion macht den Reformismus so gefährlich: Als Ideologie wirkt er systemstabilisierend und vertritt das objektive Interesse der Kapitalistenklasse – und zwar gerade dadurch, dass er sich als Ausdruck proletarischer Interessen tarnt. Für das deutsche Kapital nimmt die Linkspartei somit unabhängig vom Willen einzelner oder sogar größerer Teile ihrer Mitglieder eine Funktion als Träger und Verbreiter dieser Ideologie ein und wird zu einer Waffe gegen die Arbeiterklasse. Rosa Luxemburg warnte eindringlich vor diesem Betrug:

Von einer Opposition gegen den wissenschaftlichen Sozialismus erwarten, daß sie von Anfang an ihr inneres Wesen selbst klar und deutlich bis zur letzten Konsequenz ausspricht, […] hieße die Macht des wissenschaftlichen Sozialismus unterschätzen. Wer heute als Sozialist gelten, zugleich aber der Marxschen Lehre, […] den Krieg erklären will, muß mit einer unbewußten Huldigung an sie beginnen, indem er sich vor allem selbst zum Anhänger dieser Lehre bekennt und in ihr selbst Stützpunkte für ihre Bekämpfung sucht, die letztere bloß als ihre Fortentwicklung hinstellt.“48

Wenn die Linkspartei heute behauptet, die „strategische Kernaufgabe der Linken besteht darin, zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse beizutragen, um eine solidarische Umgestaltung der Gesellschaft“49 zu erreichen oder „die Entstehung und Durchsetzung von Klassenmacht […], in denen gemeinsame Interessen formuliert und Kämpfe zu ihrer Durchsetzung geführt werden“,50 zu ihrer Aufgabe erklärt, mag dies der Form nach wirken, als verfolge er eine Wiederbelebung der sozialistischen Arbeiterbewegung. Ihrem Wesen nach beabsichtigt die reformistische Strategie allerdings damals wie heute das genaue Gegenteil. Wenn von der „Sammlung von gesellschaftlichen Kräften“ die Rede ist, geht es in Wirklichkeit darum, sich zum Anlaufpunkt für jene Teile der Arbeiterklasse zu machen, die beginnen, ein Bewusstsein für ihre Lage zu entwickeln – nur um ihnen im nächsten Schritt ein Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse zu vermitteln. Der Reformismus gibt sich mit kleinen Verbesserungen zufrieden – nicht um eine große Veränderung vorzubereiten, sondern um sie überflüssig erscheinen zu lassen. Eine klassenbewusste Arbeiterbewegung steht diesem Ziel im Weg. Daher strebt die Linkspartei eine solche auch nicht an. Stattdessen orientiert sie auf ein „breites gesellschaftliches Bündnis“, das „gemeinsam mit anderen linken Kräften“ über alle Klassen hinweg „sozial, libertär und humanitär orientierte Milieus ansprechen“51 soll. Dieses Bündnis soll nicht geführt, sondern mit den „eigenen Kompetenzen“ und Ressourcen unterstützt werden.52 Es ist damit von Anfang an auf eine Verwässerung der Klasseninteressen der Arbeiter zugunsten einer Einbindung bürgerlich-liberaler Kräfte angelegt und verhindert so die Herausbildung von Klassenbewusstsein.

Der Reformismus in seiner heutigen Erscheinungsform verfolgt somit (aktuell) nicht das Ziel, eine bestehende revolutionäre Bewegung zu schwächen, sondern soll verhindern, dass eine solche überhaupt wieder entstehen kann. Er wirkt vorbeugend.

Der neutrale Staat und der parlamentarische Weg

Um das reformistische Programm der Linkspartei zu verstehen, genügt es nicht, die Rolle des Reformismus historisch einzuordnen. Es ist ebenso notwendig, das ideologische Fundament zu analysieren, auf dem er in die Arbeiterklasse hineinwirken will. Denn wie schon der historische Reformismus den bürgerlichen Staat nicht als Instrument der Klassenherrschaft, sondern als Ausgangspunkt gesellschaftlicher Veränderung missdeutete, setzt auch die Linkspartei auf eine vermeintliche „Demokratisierung“ staatlicher Strukturen. Die Annahme eines neutralen, formbaren Staates bildet die ideologische Grundlage für die Illusion, gesellschaftlicher Wandel könne nicht durch eine sozialistische Revolution, sondern durch parlamentarische Mehrheiten und institutionelle Beteiligung herbeigeführt werden. Gerade dieser Glaube macht den reformistischen Kurs nicht nur wirkungslos, sondern politisch gefährlich – denn er verschleiert die reale Klassenherrschaft der Kapitalisten durch den bürgerlichen Staat und verhindert so die Herausbildung eines revolutionären Klassenbewusstseins.

Oberflächlich erkennt die Linkspartei zwar durchaus an, dass der heutige deutsche Staat keineswegs die Interessen der gesamten Bevölkerung vertritt. Sie stellt fest, dass Deutschland eine Klassengesellschaft ist, in der die politische „Macht der Konzerne und des Finanzkapitals zunimmt“53 und das „Staatshandeln und die Politik entscheidend von den Interessen des Kapitals bestimmt“54 werden. Doch anstatt diese Bestandsaufnahme zum Anlass zu nehmen, den Klassencharakter des Staates zu analysieren, entkräftet sie diese durch eine pseudo-sozialistische, letztlich idealistische Fehlinterpretation. Die Linkspartei folgert, der Kapitalismus habe „die Grundlagen von Demokratie als Herrschaft des Volkes untergraben“, indem „die Gewählten ihre Entscheidungen von Großunternehmen und den Vermögenden diktieren lassen und so der demokratischen Kontrolle entziehen“.55 Die politische Macht der Kapitalistenklasse im heutigen Staat erscheint somit als Folge persönlicher Schwäche oder Korruption der Repräsentanten – ein völlig idealistischer Erklärungsansatz, der vom eigentlichen Gegenstand der Betrachtung ablenkt und stattdessen individuelles Fehlverhalten zur Verantwortung zieht. Nach dieser Vorstellung handele es sich also lediglich um eine Abweichung von der eigentlich neutralen Rolle des Staates als Vermittler des Volkswillens – eine Sichtweise, die das bürgerliche Staatsideal perfekt wiedergibt, jedoch nichts als Wunschdenken ist.

Ein Blick auf die historische Entwicklung der Staaten im Allgemeinen und jene bürgerlicher Demokratien im Besonderen zeigt: Einen neutralen Staat hat es nie gegeben. Tatsächlich ist der Staat mit der Entstehung der Klassengesellschaften, wie Engels schreibt, „mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden“; er wurde zum „Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse“.56 Der Klassencharakter zeigte sich historisch deutlich offensichtlicher als heute:

In den meisten geschichtlichen Staaten werden außerdem die den Staatsbürgern zugestandnen Rechte nach dem Vermögen abgestuft und damit direkt ausgesprochen, daß der Staat eine Organisation der besitzenden Klasse zum Schutz gegen die nichtbesitzende ist.“57

Die moderne Demokratie bildet darin allerdings keine Ausnahme. Engels schreibt weiter:

Die höchste Staatsform, die demokratische Republik, die in unsern modernen Gesellschaftsverhältnissen mehr und mehr unvermeidliche Notwendigkeit wird […] weiß offiziell nichts mehr von Besitzunterschieden. In ihr übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sichrer aus. […] die besitzende Klasse [herrscht] direkt mittelst des allgemeinen Stimmrechts.“58

Und Rosa Luxemburg ergänzt:

Was zeichnet die bürgerliche Gesellschaft von den früheren Klassengesellschaften – der antiken und der mittelalterlichen – aus? Eben der Umstand, daß die Klassenherrschaft jetzt nicht auf ‚wohlerworbenen Rechten‘, sondern auf tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen beruht, daß das Lohnsystem nicht ein Rechtsverhältnis, sondern ein rein ökonomisches ist. […] Der Proletarier wird durch kein Gesetz gezwungen, sich in das Joch des Kapitals zu spannen, sondern durch die Not, durch den Mangel an Produktionsmitteln. […] Mit einem Worte, alle Grundverhältnisse der kapitalistischen Klassenherrschaft lassen sich durch gesetzliche Reformen auf bürgerlicher Basis deshalb nicht umgestalten, weil sie weder durch bürgerliche Gesetze herbeigeführt, noch die Gestalt von solchen Gesetzen erhalten haben.“59

Dass der Parlamentarismus die Interessen der Gesellschaft zum Ausdruck bringe, kann daher nur insofern zutreffen, dass, wie Luxemburg über die moderne Demokratie schreibt, „es doch nur die kapitalistische Gesellschaft, d.h. eine Gesellschaft, in der die kapitalistischen Interessen maßgebend sind, die sie zum Ausdruck bringt. Die der Form nach demokratischen Einrichtungen werden somit dem Inhalt nach zum Werkzeuge der herrschenden Klasseninteressen.“60

Die bürgerliche Demokratie ist somit eine verhüllte Form der Klassenherrschaft. Ihre Aufgabe ist es, den Ausgebeuteten das Gefühl politischer Teilhabe zu vermitteln – ohne dabei die Eigentums- und Produktionsverhältnisse anzutasten. Der demokratische Staat dient in erster Linie der politischen Absicherung der kapitalistischen Ordnung. Als Parteien zur Wahl stehen lediglich die unterschiedlichen Strategien der herrschenden Klasse und ihrer Fraktionen. In ihnen wird darüber verhandelt, wie das deutsche Kapital – im In- und Ausland – seine Klasseninteressen am effektivsten durchsetzt. Der Staat fungiert entsprechend als „ideeller Gesamtkapitalist“, als Repräsentant des kollektiven Interesses der Kapitalistenklasse – notfalls auch gegen Einzelinteressen innerhalb derselben. Wenn die Linkspartei den Staat nun als „Geisel der Vermögensbesitzer und Spekulanten“61 darstellt, übernimmt sie das Narrativ der Herrschenden. Sie spricht von einer „Instrumentalisierung“ des Staates durch die Reichen und verschleiert damit, dass der Staat selbst das Instrument der Kapitalistenklasse ist – von Beginn an und seinem Wesen nach. Mit der Vorstellung eines vermeintlich neutralen Staats, der von seiner eigentlichen Bestimmung abweiche, stellt sie die offen zutage tretenden Momente kapitalistischer Klassenherrschaft nicht als Normalität, sondern als Ausnahme dar.

Aus dieser falschen Diagnose leitet die Linkspartei ihre politische Strategie ab: Der Staat müsste lediglich „erneuert“62 und vom „Kartell der neoliberalen Parteien“63 zurückerobert werden. Die heutigen politischen Missstände erscheinen nur als Resultat einer „Krise der Demokratie“,64 ausgelöst durch einen „gefährlichen Teufelskreis der Unterhöhlung eines demokratischen Systems durch ökonomische Macht und der hilflosen Reaktion darauf“.65 Was nie existierte, soll nun durch eine Vielzahl institutioneller Reformen „wiederhergestellt“ werden – etwa durch die „Stärkung der Parlamente“66 oder mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten, „um die Demokratie vor dem Einfluss des großen Geldes zu schützen“.67 Hier reiht sich die Linkspartei in das bürgerliche Loblied auf Rechtsstaat und Gewaltenteilung ein, ohne zu erkennen, dass diese gerade dazu geschaffen wurden, die kapitalistische Ordnung abzusichern – also das genaue Gegenteil von dem bewirken, was die Linkspartei vorgibt. Die marxistische Betrachtung zeigt beispielsweise an der Gewaltenteilung, dass diese ihrem politischen und sozialen Inhalt nach darauf abzielt, Exekutive und Judikative bewusst dem Einfluss der Bevölkerung zu entziehen, um deren Einfluss – etwa im Falle einer starken Arbeiterbewegung im Parlament – von vornherein institutionelle Grenzen zu setzen.68

Die Linkspartei täuscht mit dieser Strategie nicht nur über den Klassencharakter des Staates hinweg, sondern lenkt das politische Engagement ihrer Anhänger auf einen aussichtslosen Kampf gegen Windmühlen. Denn der Staat ist eben kein neutrales Werkzeug, das sich im Sinne einer „Demokratisierung“ umgestalten ließe.69 Er ist das notwendige Produkt der Klassengesellschaft und zugleich das Mittel zu ihrer Aufrechterhaltung. Als solches kann er kein Instrument der Emanzipation werden. In besonderem Maße zeigt sich das, wie Luxemburg schreibt, spätestens darin, dass, „sobald die Demokratie die Tendenz hat, ihren Klassencharakter zu verleugnen und in ein Werkzeug der tatsächlichen Volksinteressen umzuschlagen, die demokratischen Formen selbst von der Bourgeoisie und ihrer staatlichen Vertretung geopfert werden“. Die reformistische Illusion, über parlamentarische Wege wesentliche gesellschaftliche Veränderungen erreichen zu können, ist daher eine „Kalkulation, die ganz im Geiste des bürgerlichen Liberalismus bloß mit der einen, formellen Seite der Demokratie rechnet, die andere Seite aber, ihren reellen Inhalt, völlig außer acht läßt.“70

Aus Sicht des Kapitals erfüllt der Reformismus als Parlamentarismus mehrere nützliche Funktionen: Er verbreitet ideologische Vorstellungen, die die kapitalistischen Verhältnisse legitimieren, misst den Grad der Unzufriedenheit in der Bevölkerung und dient als Ventil, um sozialen Druck in ungefährliche Bahnen zu lenken. Auf die Spitze getrieben wird die reformistische Strategie jedoch, wenn sie offen Regierungsbeteiligung anstrebt – also direkte Bündnisse mit anderen Interessenvertretern des Kapitals. Die Linkspartei sieht solche als sinnvoll an, „wenn wir damit eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können“.71 Obwohl sich schon die Oppositionstätigkeit vollständig innerhalb des bürgerlichen Rahmen bewegt, stellt die Regierungsbeteiligung eine offene Integration in die Verwaltung des Kapitalismus dar. Damit eine Koalition überhaupt realistisch wird, muss die Linkspartei in Gesprächen und praktischer Politik beweisen, dass sie keine Gefahr für das deutsche Kapital darstellt. Der Reformismus muss in gewisser Weise sein wahres Gesicht zeigen: Er muss sich als eine jener Parteien präsentieren, die sich – wie es im Erfurter Programm treffend heißt – „ devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind“.72Ohne die Aufgabe zentraler Forderungen kann die Linkspartei kein Koalitionspartner des Kapitals werden – denn diese (nicht einmal sozialistischen) Forderungen widersprechen dem Zweck des bürgerlichen Staates. In der Regierungsverantwortung muss sie sich der Verwaltung des Kapitalismus und den Interessen des Kapitals vollständig unterwerfen.

Außerparlamentarische Arbeit

Die Strategie der Linkspartei fokussiert sich nicht ausschließlich auf den Parlamentarismus. So betont sie:

Ein politischer Richtungswechsel lässt sich nicht allein auf parlamentarischer Ebene durchsetzen. Er kann nur gelingen in einem Wechselspiel politischer Auseinandersetzungen im außerparlamentarischen und im parlamentarischen Bereich.“73

Im Zentrum steht dabei – wie bereits vorher erwähnt – der Aufbau eines „breiten gesellschaftliche[n] Bündnisses“, das sich unter anderem aus „Gewerkschaften, globalisierungskritischen und gesellschaftskritischen Initiativen, sozialen Bewegungen, progressiven Menschen aus Wissenschaft und Kultur und der parteipolitischen Linken entwickeln“74 soll. Die Linkspartei versteht sich in diesem Zusammenhang als parlamentarischer Arm dieses Bündnisses. Sie erklärt ihre Rolle darin so, „die Anliegen und Aktivitäten“ der politischen Partner aufzugreifen, gleichzeitig aber auch ihre Mitglieder zu bestärken,selbst „in Gewerkschaften, sozialen Organisationen, Initiativen, Projekten und globalisierungskritischen Bewegungen aktiv mitzuwirken“.75 Die eigene parlamentarische Arbeit soll sich auf diese Weise „auf die Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen und die Mobilisierung außerparlamentarischen Drucks stützen können“76– auch in der Hoffnung, so „nicht der strukturellen Macht von Kapitalinteressen und parlamentarischer Logik zu unterliegen“. Dass dieses vermeintliche Korrektiv seinen Zweck nicht erfüllen kann, wurde bereits im vorherigen Abschnitt deutlich: Die Wurzel des Problems liegt nicht in einem Mangel an außerparlamentarischer Kontrolle, sondern im Reformismus selbst. Um innerhalb der kapitalistischen Ordnung handlungsfähig zu bleiben, muss er sich den bestehenden Spielregeln immer stärker unterwerfen – und damit auch die außerparlamentarischen Bewegungen in diese Logik einbinden.

In der Praxis bedeutet das: Der Linkspartei geht es bei der außerparlamentarischen Tätigkeit nicht um die Förderung einer eigenständigen, vom Parlamentarismus unabhängigen Bewegung. Vielmehr betrachtet sie gesellschaftliche Kämpfe außerhalb der Parlamente nicht als Ausdruck des Klassenkampfes, sondern als Verhandlungsmasse und Zulieferer für ihre parlamentarische Strategie. So bleibt auch die außerparlamentarische Arbeit der Logik institutioneller Reformpolitik untergeordnet und mit der Zielsetzung der „Verbindung von demokratischem und sozialem Protest“ und „politische[r] Mitgestaltung in der Gegenwart und die Entwicklung von langfristigen Reformalternativen“77 auf den begrenzten Handlungsspielraum innerhalb bürgerlicher Institutionen ausgerichtet. Damit die Einbindung funktionieren kann, ist es daher notwendig, zähmend auf spontane Kämpfe und soziale Bewegungen einzuwirken. Zu radikale Forderungen oder für den Staat unkontrollierbare Dynamiken sind für die parlamentarische Verhandlungsposition der Partei nicht nützlich, sondern hinderlich. In dem Moment, in dem sie die kapitalistische Ordnung auch nur annähernd in Frage stellen oder stören könnten, gefährden sie das Vertrauen der anderen bürgerlichen Parteien und Institutionen, auf das die Linkspartei zur Durchsetzung ihrer Reformvorhaben angewiesen ist. Damit sie sich also zum Stellvertreter der Arbeiterklasse machen kann, muss diese zunächst entwaffnet werden.

Hier zeigt sich einmal mehr die Funktion des Reformismus: Anstatt – wie es die Aufgabe einer kommunistischen Partei wäre – die Notwendigkeit der Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse aufzuzeigen, wirkt er aktiv auf die politische Neutralisierung klassenkämpferischen Potenzials. Die außerparlamentarischen Kämpfe werden in eine Strategie eingebunden, die nicht auf revolutionäre Veränderung, sondern auf institutionelle Anpassung zielt. Potenziell revolutionäre Bewegungsansätze werden damit nicht gestärkt, sondern in geordnete, ungefährliche Bahnen gelenkt – wodurch sie letztlich zur Stabilisierung der bestehenden Ordnung beitragen.

Fazit

Der Kampf um Reformen war historisch – und ist auch heute – ein wichtiges und notwendiges Mittel der Arbeiterbewegung auf dem Weg zum Sozialismus. Der Unterschied zwischen einer sozialistischen und einer reformistischen Haltung zu Reformen liegt nicht in der Frage, ob man sie befürwortet oder ablehnt, sondern darin, wie und zu welchem Zweck sie geführt werden. Eine sozialistische bzw. kommunistische Partei unterstützt Reformkämpfe in Betrieben, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und auch im Parlament, weil sie die Lage der Arbeiterklasse konkret verbessern, kollektive Kampferfahrungen ermöglichen, den Arbeitern beibringen, sich selbst zu organisieren und sie so auf die Eroberung der politischen Macht vorbereitet. Gleichzeitig sollen diese Kämpfe die Grenzen dieser Reformen erfahrbar machen und damit die Notwendigkeit einer revolutionären Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse verdeutlichen.

Der Reformismus verfolgt genau das Gegenteil: Er erklärt die Übernahme der politischen Macht für unmöglich oder zwecklos und konzentriert sich ausschließlich auf kleine, vermeintlich realistischere Verbesserungen der kapitalistischen Verhältnisse. So vermittelt er dem Proletariat, eine Einschränkung von Ausbeutung und Unterdrückung sei Stück für Stück möglich, bis sie irgendwann ganz verschwinden. Damit macht er die Reform nicht zum Mittel, sondern zum Zweck und verabschiedet sich vom sozialistischen Ziel. Indem er das sozialistische Ziel aufgibt, entzieht er dem Reformkampf die Grundlage seines Erfolgs: der Furcht der Kapitalisten vor einer Revolution. Um es mit den Worten Rosa Luxemburgs zu sagen: „Damit aber verliert der praktische Tageskampf der Sozialdemokratie in letzter Linie überhaupt jede Beziehung auf den Sozialismus“.78

Was bleibt übrig, wenn weder Weg noch Ziel des Programms der Linkspartei einen sozialistischen Inhalt haben? Zahlreiche ihrer Mitglieder handeln in ehrlicher Überzeugung, für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen – nur tun sie das nicht. Indem der Reformismus sich sprachlich auf den Sozialismus beruft, während er praktisch vollständig mit ihm bricht, entfaltet er seine Wirksamkeit. Er führt potentielle Genossinnen und Genossen in eine politische Sackgasse; er hindert sie nicht nur an echter sozialistischer Praxis, sondern macht sie zu Agenten des Kapitals – während er sie im Glauben lässt, im Interesse der Arbeiterklasse aktiv zu sein. Der Reformismus zieht seine Stärke aus Täuschung. Er tarnt bürgerliche Ideologie und systemstabilisierende Praxis als alternativen Ansatz und trägt sie in die Arbeiterbewegung hinein. Wer in der Linkspartei aktiv ist und es mit dem Sozialismus ernst meint, wird entweder getäuscht oder täuscht sich selbst. Wer versucht, die Partei als mögliches Instrument einer sozialistischen Politik darzustellen, trägt – bewusst oder unbewusst – zur Stärkung des Reformismus bei. Er verleiht ihm Legitimität, erweitert seinen Einfluss unter sozialistisch interessierten Arbeiterinnen und Arbeitern und dichtet ihm ein revolutionäres Potential an, das er nicht besitzt.

Den angeblich sozialistischen Charakter der Partei und ihres Programms zu verteidigen, heißt, sich aktiv am Akt der Täuschung zu beteiligen. Die Vorstellung, diese reformistische Partei könne auf Grundlage ihres derzeitigen Programms in eine sozialistische Partei reformiert werden, ist Selbstbetrug. Der Reformismus ist kein Fehler im Programm – er selbst ist das Programm und damit sowohl Ursache und Zweck dieser Partei. Ihn von Innen zu bekämpfen, bedeutet, ihn mit der eigenen Waffe schlagen zu wollen. Doch die Waffe wurde zu einem einzigen Zweck geschaffen: zum Angriff auf die Arbeiterbewegung und das Aufsaugen von revolutionärem Potenzial. Was nötig wäre, wäre keine Reform, sondern eine Neugründung: eine Organisation, die die kapitalistischen Verhältnisse auf materialistischer Grundlage kritisiert, die Bedingungen gesellschaftlichen Fortschritts analysiert, daraus ein revolutionäres Programm entwickelt und ihre Organisationsform auf dieses ausrichtet. Das Ergebnis wäre keine reformierte Linkspartei, sondern eine kommunistische Partei.

Die Linkspartei und die EU – „linke“ Lobeshymnen auf die Diktatur der Konzerne

Für die politische Praxis jeder Partei in Europa ist die Haltung zur Europäischen Union offensichtlich von entscheidender Bedeutung. Mit der EU haben die herrschenden Klassen ihrer Mitgliedsländer sich eine politische Struktur geschaffen, die teils oberhalb der Ebene der Nationalstaaten besteht, teils als Zusammenarbeit zwischen diesen Nationalstaaten, aber die Klassenherrschaft in den Nationalstaaten mit durchsetzt und entscheidend mitprägt.

Die „Linke“ macht ihre Haltung in ihrem Programm deutlich: Sie ist für die Europäische Union. Die EU, so das Parteiprogramm, sei eine „unverzichtbare politische Handlungsebene“;79die auf EU-Ebene getroffenen Entscheidungen seien „von zentraler Bedeutung für die Sicherung des Friedens, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und die Lösung der ökologischen Herausforderungen auf dem Kontinent und darüber hinaus“.80 Und schließlich habe die Gründung der EU „einst dazu beigetragen […], den Frieden zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu sichern“.81 Aber natürlich ist die „Linke“ mit der heutigen Ausgestaltung der EU nicht zufrieden: „Wir wollen eine andere, eine bessere EU. Die Europäische Union muss zu einer tatsächlich demokratischen, sozialen, ökologischen und friedlichen Union werden.“82 Deshalb macht sie unterschiedliche Reformvorschläge, auf die weiter unten eingegangen wird.

War die EU jemals ein Friedensprojekt?

Die Behauptung der Linkspartei, wonach die EU in ihren Ursprüngen (damals als EWG und EGKS) den Frieden gesichert habe, ist bereits falsch und eine unkritische Übernahme der Propaganda der EU selbst. Motivation der Gründung der EU war vor allem, Westeuropa wirtschaftlich zusammenzuschließen, um es politisch (und militärisch) gegen das sozialistische Lager zu richten. Die Abmilderung des deutsch-französischen zwischenimperialistischen Gegensatzes diente dem gemeinsamen Kampf gegen den Sozialismus und der Vorbereitung auf einen möglichen Krieg mit den Staaten des Warschauer Vertrags.

Das Problem liegt aber tiefer: Die Linkspartei verliert kein Wort über den grundsätzlichen Charakter der EU – ihren Charakter als imperialistisches Konstrukt, als Bündnis kapitalistischer Staaten im Interesse ihres Kapitals, als ein Werkzeug zur Durchsetzung der Interessen dieses Kapitals, insbesondere des international agierenden Monopolkapitals, gegenüber den kapitalistischen Konkurrenten und Rivalen (wie Russland und China), aber auch gegenüber ihrer eigenen Arbeiterklasse.

Seit dem Ende der Systemkonkurrenz gegen das sozialistische Lager trat der aggressive, kriegstreiberische Charakter der EU noch weiter in den Vordergrund, beispielsweise durch sogenannte „EU Battlegroups“, die flexibel für Militäroperationen außerhalb der EU eingesetzt werden können und auch werden, beispielsweise in Bosnien-Herzegowina, vor der Küste Somalias, in Mali oder derzeit im Roten Meer gegen die jemenitische Ansarallah.

Die historische Entwicklung zeigt: Von einem „ursprünglichen“, angeblich friedensfördernden Charakter der EU kann keine Rede sein. Wer die EU unterstützt, stellt sich grundsätzlich hinter die imperialistischen Ziele der europäischen Kapitalisten.

Die EU – Instrument der Diktatur des Kapitals

Die EU-Verträge schreiben nicht nur den Kapitalismus als Wirtschaftsordnung unmissverständlich fest – sie machen selbst eine reformistische Politik, wie sie sich die Linkspartei unter dem Begriff „Demokratischer Sozialismus“ in ihrem Programm vorstellt, unmöglich. Diese juristischen Rahmenbedingungen zu verändern ist zudem de facto unmöglich, da dies die Zustimmung aller (!) Mitgliedsstaaten voraussetzen würde. Dies kann hier aus Platzgründen nicht ausgeführt werden und wäre ein Thema für einen eigenen Text.

Wir können aber zusammenfassen: Die Diktatur des Kapitals ist in den grundlegenden Verträgen der EU festgeschrieben. Die EU dient den nationalen herrschenden Klassen dazu, diese Herrschaft auf direktere, brutalere, autoritärere Weise auf nationalstaatlicher Ebene durchzusetzen und es damit auch der Arbeiterbewegung schwerer zu machen, gegen die reaktionäre Politik des Kapitals Widerstand zu leisten. Je mehr Entscheidungen auf der Ebene der EU getroffen werden, desto leichter können die Monopole ihre Interessen durchsetzen.

Wenn also die Linkspartei eine EU fordert, „deren Rechtsgrundlagen wirtschaftspolitisch neutral gestaltet sind und die gegenüber einer gemischtwirtschaftlichen Ordnung mit einem bedeutenden öffentlichen Sektor sowie künftigen Gesellschaftsentwicklungen offen sind“,83 dann ist selbst diese lasche sozialdemokratische Forderung reine Augenwischerei – denn sie ist innerhalb der EU schlicht nicht durchsetzbar, und das wissen die führenden Ideologen der Partei mit Sicherheit auch.

Die einzige Möglichkeit für die Arbeiterbewegung besteht darin, diese Institutionen grundsätzlich abzulehnen und auf eine Machtübernahme der Klasse, zwangsläufig verbunden mit dem Bruch und der Herauslösung aus der EU zu orientieren.

Die Linkspartei hat eine solche Position prinzipiell ausgeschlossen und sich für die Unterstützung der EU entschieden. Damit hat sie sich für die Unterstützung der Diktatur des Kapitals auch auf der EU-Ebene, für die Unterstützung eines der mächtigsten Instrumente der europäischen Kapitalisten und einer noch offener autoritären Herrschaftsdurchsetzung des Kapitals entschieden. Allein diese Position entlarvt einen Großteil ihrer reformistischen Zielvorstellungen, ihre gesamte Konzeption des „demokratischen Sozialismus“, der ja, wie oben gezeigt wurde, schon aus viel grundsätzlicheren Gründen unmöglich ist, als einen einzigen Betrug. Selbst wenn sie es wollte, könnte die Linkspartei als Pro-EU-Partei ihre Vorstellungen in der Regierung unmöglich umsetzen.

Die Linkspartei in der Praxis

Linke Regierungsbeteiligung

Im Lichte des Linkspartei-Hypes vor den Bundestagswahlen im Februar dieses Jahres schien Manchen die Perspektive einer rot-rot-grünen Bundesregierung, also einer erstmaligen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene fast greifbar. Schon fast traditionell wird in der Partei um einen solchen Schritt gestritten, linke und rechte Sozialdemokraten inszenieren sich dann in Flügelkämpfen zwischen „Reformern“ und „Linken“. Die einen argumentieren pragmatisch in ihren Zugeständnissen an SPD und Grüne, arbeiten seit Jahrzehnten unermüdlich am Fall bestimmter mit Regierungsbeteiligungen inkompatibler Parteipositionen (etwa zu Einsätzen der Bundeswehr), die anderen spielen gewollt oder nicht das Feigenblatt und tragen die Hoffnung auf eine „linke Opposition“ vor sich her. Wenn es aber darauf ankommt, lässt zumindest die Bundesspitze keinen Zweifel am Willen zur Regierungsfähigkeit. Das liegt auch nahe: Wer jahrzehntelang einen Großteil seiner Kraft auf Wahlkämpfe und Parlamentspolitik gibt und darauf, von der Oppositionsbank her den Regierenden tagein tagaus zu erklären, wie bürgerliche Politik doch besser funktionieren könne – warum sollte der, wenn sich die Möglichkeit bietet, selbst Hand an die Macht zu legen, darauf verzichten? Auf Kommunal- und Landesebene hat die Partei, wie schon die PDS als eine ihrer Vorgängerorganisationen, Erfahrung in Regierungsverantwortung gesammelt. Um zu verstehen, was „linkes“ Mitregieren im Zweifel tatsächlich heißt, lohnt es sich, einen Blick auf diese Erfahrungen zu werfen, was im Folgenden beispielhaft getan werden soll.

1990er und 2000er: Vollstrecker des sozialen Kahlschlags

Bereits wenige Jahre nach dem Übergang von Teilen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zur Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) konnte diese in punktuell im Osten Schritte zur Regierungsverantwortung gehen. Weder die Deindustrialisierung noch den kulturellen Ausverkauf in diesen Teilen der ehemaligen DDR, weder der Wegzug vieler Ostdeutscher noch die steigende faschistische Gewalt auf den Straßen wurden dadurch verhindert.

1994 kam es zu einer von der PDS geduldeten rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt, vier Jahre später koalierte sie mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern, ab 2002 dann auch in Berlin. Besonders in Berlin dürften vielen Älteren die massenhaften Privatisierungen von Wohnraum im Gedächtnis geblieben sein. 2004 verkaufte Rot-Rot über 65.000 städtische Wohnungen, vor allem, um Schulden abzubauen. Hinzu kamen tausende Grundstücke, womit die Partei auch landeseigenen Boden in die Hand privater Investoren gab.84 Dietmar Bartsch, damaliger Bundesgeschäftsführer der PDS, rechtfertigte die Privatisierungen unter dem Schlagwort der „progressiven Entstaatlichung“ als Teil einer „Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus“.85 Der Zorn der eigenen Wählerschaft darüber dürfte aber absehbar gewesen sein, und so bemühte sich die Partei ein Jahr später, eine weitere Wohnraumprivatisierung zu verhindern – so bekam Rot-Rot eine zweite Chance in einer weiteren Legislatur. Doch die Privatisierungen waren schon vollzogen – die Auswirkungen sind heute in der Hauptstadt besonders sichtbar und zeigen sich in den horrenden und weiter steigenden Berliner Mieten, in den fast täglichen Zwangsräumungen,86 in der Verdrängung von alten Mieterinnen und Mietern, kleinen Läden, kulturellen und auch politischen Orten. Progressiv im Sinne der Arbeiterklasse, auch wenn es bei Bartsch so klang, war das natürlich nicht, sondern ein direkter Angriff auf die Klasse im Interesse und Auftrag des Kapitals. Finanzsenator der Stadt in dieser Zeit war übrigens Thilo Sarrazin, der, damals noch in der SPD, vor einigen Jahren mit üblen rassistischen Thesen in die Öffentlichkeit trat. In Zeiten des rot-roten Wohnungskahlschlags verbreitete er sozialchauvinistische Propaganda, die gewissermaßen zur Begleitmusik der Einsparungen der Landesregierung ebenso wie der Hartz-IV-Reform von Rot-Grün im Bund wurde.

2010er bis heute: Training für eine „linke“ Bundesregierung

Ein Highlight im Aufstieg der Linkspartei war sicherlich die Regierungsbeteiligung in Thüringen, wo die Partei über zwei Legislaturen von 2014 bis 2024 mit Bodo Ramelow sogar den Ministerpräsidenten stellte. Sein Regierungsantritt fiel in die Zeit kurz nach der öffentlichen Enttarnung des faschistischen Mörder-Trios um den NSU und der Zusammenarbeit deutscher Behörden mit faschistischen Netzwerken. Ihre vehement erhobene Forderung nach einer Auflösung des Thüringer Verfassungsschutzes setzte die Partei jedoch nicht um.87 Lediglich das sogenannte V-Leute-System wurde abgeschafft, zumindest offiziell – und mit Ausnahmen, versteht sich.88

Eine gewisse Öffentlichkeit erfuhr der Abschiebestopp, der tatsächlich von Rot-Rot-Grün im ersten Winter ihrer Amtszeit – auf Drängen von Geflüchteten- und Hilfsorganisationen – umgesetzt wurde. Im nächsten Winter war das wieder passé, die altbekannten „Sachzwänge“ brachten Ramelow dazu, Menschen selbst im kalten Winter abschieben zu lassen.89 Wann immer Leute argumentieren, unter der Verantwortung der Linkspartei könnte für Asylsuchende eine bessere oder zumindest nicht verschlechterte Situation geschaffen werden, sollten sie mit deren realer Abschiebepolitik der Vergangenheit konfrontiert werden. Auch sonst sind die versprochenen „progressiven Veränderungen“ – wie könnte es auch anders sein in einem System, das auf der Ausbeutung einer absoluten Mehrheit durch eine kleine Minderheit beruht – nach zwei Legislaturen „Linksregierung“ in Thüringen nicht zu sehen: Auf dem Land hat sich die Armut verschärft, in den Städten steigen die Mieten, das Lohn- und Rentenniveau bleibt deutlich hinter den westdeutschen Bundesländern zurück.90

Im Ergebnis der rot-rot-grünen Regierung ist die AfD in Thüringen bekanntermaßen die stärkste Kraft. Der rechte Vormarsch folgt auf „linke“ Regierungsexperimente und ihre zunehmende Selbstentlarvung. Denn spätestens in der Regierungsverantwortung stellen sich die sozialdemokratischen, schein-sozialen Forderungen der Linkspartei als Illusion heraus. Die Wünsche und Hoffnungen der (proletarischen) Wählerschaft werden enttäuscht, sie wandert nach rechts. Es ist der gleiche Mechanismus, den Clara Zetkin vor über hundert Jahren so beschrieb: „Tausendköpfige Massen strömten dem Faschismus zu. Er wurde ein Asyl für politisch Obdachlose, für sozial Entwurzelte, für Existenzlose und Enttäuschte. Und was sie alle nicht erhofften von der revolutionären Klasse des Proletariats und vom Sozialismus, das erhoffen sie als Werk der tüchtigsten, stärksten, entschlossensten, kühnsten Elemente aller Klassen, die zu einer Gemeinschaft zusammengefaßt werden müssen.“91 Was die Linkspartei in der Regierung also unterm Strich erreicht hat, ist, Björn Höcke zum stimmenmäßig stärksten Politiker im Bundesland gemacht zu haben. „Die Linke“ war in der Regierung, also bildete sich die Opposition rechts, weit rechts in diesem Falle.

Im thüringischen Eisenach, wo die Linkspartei ab 2012 mit Katja Wolf eine Oberbürgermeisterin stellt, zeigte sie sich wie schon in den 90ern und 2000ern als willige Vollstreckerin der Kosteneinsparung, also der Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Wolf gibt das selbst zu,92 es ist auch offensichtlich: Unter dem Schlagwort „Haushaltssicherung“ erlebte die Stadt einen rigiden Sparkurs, der natürlich in erster Linie die Arbeiterklasse traf.93 Die Oberbürgermeisterin a.D. erklärt sich aber damit, dass es ohne ihre Verantwortungsübernahme, also z.B. mit einem CDU-Bürgermeister im Amt, noch viel schlimmer hätte kommen können. Das ist also das einzig verbleibende und verheißungsvollste Argument für „linke“ Verantwortungsübernahme: nicht schlimmer zu sein als die CDU.

Katja Wolf, die heute Politikerin des Bündnisses Sahra Wagenknecht und Thüringer Finanzministerin ist, hat die „Haushaltssicherung“ 2023 feierlich für beendet erklärt. Mit anderen Worten: Die Einsparungen im Lebensstandard der Eisenacherinnen und Eisenacher waren gesichert. Nicht nur hier hat die Linkspartei eine einwandfreie Geschäftsführung im bürgerlichen Sinn – aufkommende Krisenlasten auf den Rücken der einfachen Leute zu schnallen – bewiesen.

In Berlin kam die Linkspartei 2016 erneut in die Landesregierung und hielt der bürgerlichen Herrschaft die Treue, nicht zuletzt, indem sie diverse Aufrüstungsprogramme für die Berliner Polizei mittrug.94 Das Ergebnis sehen wir heute: In Zeiten von Krieg und Krise zeigt Berlin dem Rest des Landes, wie etwa palästinasolidarische Proteste oder Teile der 8.-März-Demonstration niedergeprügelt werden – von gut ausgerüsteten Hundertschaften. Dass die Partei schließlich noch den Volksentscheid für die Enteignung von Immobilienkonzernen hinterging – den sie im Wahlkampf rhetorisch unterstützte und dann schlichtweg mit weg ignorierte, um mit der SPD regierungsfähig zu bleiben –, überrascht kaum noch.95

Die Lehren aus „linker“ Regierungsverantwortung

Festzuhalten ist, dass die Regierungsbeteiligungen der Linkspartei auf kommunaler oder Landesebene nie zu nachhaltigen Verbesserungen für die Arbeiterklasse geführt haben. Naiv könnte man fragen, warum die Partei sie dann trotzdem immer wieder anstrebt. Die Frage ist deshalb naiv, weil sie von der falschen Prämisse ausgeht, dass es ihr um solche Verbesserungen ginge und nicht letztendlich um ihren eigenen Erhalt im parlamentarischen System der BRD. Selbst wenn die Partei ernsthaft bestrebt wäre, soziale Verbesserungen umzusetzen, wäre ihr Mittel, um das zu erreichen, die Mitverwaltung des Kapitalismus. Diese verfolgt ein anderes Ziel, nämlich die Akkumulation des Kapitals, die im scharfen Gegensatz zu den Ansprüchen der Klasse auf ein gutes Leben steht. Das einzige, was die Partei mit ihrer Politik der Regierungsfähigkeit erreicht, sind große Illusionen im Rahmen von Wahlkämpfen und -programmen, hinterher umso größere Enttäuschung und ein neue Wählerwanderung nach rechts. Dass die Linkspartei bereit wäre, auch auf Bundesebene Regierungsverantwortung zu übernehmen, signalisiert sie seit geraumer Zeit deutlich, und es ist nicht so, dass sie, etwa im Zuge der vielen Neueintritte, von diesem Ziel abgerückt wäre. Es ist also nur noch eine Frage der kommenden Wahlergebnisse und des Willens von SPD, Grünen oder wer sonst für eine Koalition infrage käme, bis das Thema Regierungsbeteiligung real greifbar wird. Das Mantra der „demokratischen Parteien“ in Abgrenzung zur AfD, das auch von Linkspartei-Vertretern bemüht wird, kann sicher noch zur tauglichen Rechtfertigung werden: Wahlweise kann dann mit Grünen, SPD oder CDU koaliert werden, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Eine Hoffnung für die Arbeiterklasse liegt in einer solchen Perspektive definitiv nicht.

Linkspartei in der Opposition

Weitaus gewichtiger aber als der Wunsch nach Regierungsbeteiligung war im letzten Bundestagswahlkampf zweifellos folgendes Argument: Fliegt die Linkspartei aus dem Bundestag, gibt es gar keine „linke“ Stimme mehr im Parlament, gar keine Fürsprecherin der Armen und Migranten, des Friedens, des Antifaschismus. Ein berühmtes Beispiel sind die Anfragen an die Bundesregierung, die Oppositionsparteien stellen dürfen und die in der Vergangenheit von der Linkspartei immer wieder auch genutzt wurden, um bestimmte Missstände zu verdeutlichen, beispielsweise, was faschistische Einflüsse in der Bundeswehr angeht, oder etwa, um Bundeswehrauftritte im Innern transparent zu machen (was wiederum der Antikriegsbewegung insofern nutzte, als dass sie wusste, bei welchen Jobmessen die Bundeswehr zugange sein würde). Die Anfragen können im Zweifelsfall tatsächlich nützlich sein – dies darf aber nicht als Existenzberechtigung der Linkspartei gesehen werden. Denn das Grundproblem bleibt: Diese ist und bleibt eine letztlich bürgerliche Kraft im Schoße des Parlamentarismus, sie sieht sich als Teil des scheinbar „bunten“, in Wirklichkeit geschlossen dem Kapital dienenden Parteienspektrums in der BRD und trägt ihren „sozialen“, „progressiven“ Teil dazu bei. Das heißt umgekehrt, dass jegliche aufgedeckte Missstände und jegliche Hilfestellung für soziale oder politische Bewegungen nicht mehr bewirken können als eine Empörung, die sich im systemischen Rahmen bewegt.

Was wie ein Bonus für alle links Engagierten erscheint – eine Kraft im Bundestag, die auch mal etwas Vernünftiges sagt, die Informationen und vielleicht sogar Gelder bereitstellt –, entpuppt sich als Integration in den Apparat des bürgerlichen Staates. Jede Einbeziehung von Protestpotenzial in die Politik der Partei bedeutet zwangsläufig, dieses Potenzial einzuhegen, Kräfte zu binden und langfristig zu zersetzen. Wer seine politische Arbeit darauf aufbaut, beispielsweise regelmäßig Gelder über die Linkspartei zu erhalten, macht sich unmittelbar davon abhängig. Es liegt auf der Hand, dass der deutsche Staat und auch die Linkspartei selbst als Teil des vom Kapital tolerierten Parteienspektrums nicht einfach zusehen werden, wenn sich klassenkämpferische Ansätze durch ihre Mittel finanzieren und aufbauen. Sie werden die Unterstützung entziehen, wann immer es ihnen sinnvoll erscheint. Ganz zu schweigen von der ideologischen und organisatorischen Zersetzung, die mit solchen Abhängigkeiten früher oder später zwangsläufig einhergeht: Es schafft Bequemlichkeit, über vermeintlich sichere Geldquellen für die eigene Arbeit zu verfügen, und es untergräbt eine scharfe Kritik an Staat und Sozialdemokratie unmittelbar – entweder, weil man es sich mit den eigenen Financiers nicht verscherzen will oder, weil man selbst diese Kritik nicht mehr so recht annimmt – schließlich wird das eigene Projekt doch von diesen Kräften geduldet und finanziert. Auch diejenigen, die sich für ein Engagement in den Parteistrukturen selbst entscheiden, werden mit zunehmendem Erfolg bequem, karriereorientiert, angepasst: Die Aufstiegschancen als Bundestagsabgeordneter, in der Fraktion und darüber hinaus haben schon so manchen Linken zum Karrieristen werden lassen.

Die Linke – eine „Friedenspartei“?

Über viele Jahre war die Linkspartei für viele links denkende Menschen vor allem wegen ihrer „Friedensposition“ ein Bezugspunkt: Auch diejenigen, denen klar war, dass die Partei den Kapitalismus nicht abschaffen will oder wird, beriefen sich darauf, dass doch zumindest in der entscheidend wichtigen Kriegsfrage die Linkspartei sich gegen den Kurs der Herrschenden stelle und deshalb unsere Unterstützung verdiene.

Eine solche Haltung lief immer schon darauf hinaus, die Politik von der Ökonomie und den gesellschaftlichen Verhältnissen zu trennen – in Wirklichkeit ist es aber äußerst widersprüchlich, nur „gegen Krieg“ zu sein, während man den Kapitalismus, der Kriege immer wieder hervorbringt, akzeptiert. Wir werden weiter unten zeigen, weshalb ein solcher bürgerlicher Pazifismus nicht nur etwas anderes ist als eine antiimperialistische Position, sondern dass sich der Pazifismus sehr schnell in eine Pro-Kriegs-Position verwandeln kann. Und genau diesen Prozess konnten wir bei der Linkspartei in den letzten Jahren beobachten.

Die Kriegsfrage im Parteiprogramm: Pazifismus oder Antiimperialismus?

Für ein korrektes Verständnis von Kriegen und eine wirksame Strategie im Kampf gegen sie ist ein marxistisches Verständnis vom Imperialismus unabdingbar. Auf einen ersten oberflächlichen Blick kann es fast so erscheinen, als hätte die Linkspartei sich ein solches marxistisches Verständnis ins Programm geschrieben, immerhin wird dort der Begriff Imperialismus verwendet – im Unterschied zu konservativeren bürgerlichen Positionen, die „Imperialismus“ als eine längst vergangene Phase der Geschichte betrachten oder ausschließlich als Kampfbegriff zur Bezeichnung außenpolitischer Rivalen verwenden. So heißt es im Erfurter Programm: „Der heutige Imperialismus stützt sich vor allem auf ökonomische Abhängigkeit und Verschuldung. Imperiale Kriege erwachsen aus Kämpfen um geopolitische Macht, um ökonomische, politische und kulturelle Vorherrschaft, um Profite, Märkte und Rohstoffe. Kriege entspringen darüber hinaus aus Armut und Unterdrückung, aus Klimawandel, aus Verknappung und ungerechter Aneignung von Naturressourcen.“96

Doch diese Formulierungen, die sicherlich nicht zufällig, sondern sorgfältig gewählt sind, widersprechen in Wirklichkeit direkt dem marxistischen Verständnis. Denn in Wirklichkeit stützt sich der Imperialismus keineswegs „vor allem“ auf ökonomische Abhängigkeit und Verschuldung. Imperialismus ist nicht „vor allem“ die Vorherrschaft der reichen Länder über den „globalen Süden“. Imperialismus ist vor allem die ökonomische und politische Herrschaft des Monopol- und Finanzkapitals.97 Und es ist die Konkurrenz der Monopole, aus denen Kriege „entspringen“. Die Konkurrenz zwischen den Kapitalisten ist jedoch der Kern des Kapitalismus. Die Linkspartei hingegen führt Kriege einfach auf „Kämpfe“ zurück, die um verschiedene Dinge wie Märkte und Rohstoffe, aber auch „Macht“ und „kulturelle Vorherrschaft“ geführt werden. Wenn jedoch nicht benannt wird, welche gesellschaftlichen Kräfte es sind, die miteinander um diese Dinge konkurrieren und auf Grundlage welcher Gesetzmäßigkeiten (eben der Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz), dann lässt sich sehr leicht die Schlussfolgerung umgehen, dass der Kapitalismus revolutionär überwunden werden muss, um den Grund der Kriege abzuschaffen.

Und natürlich wird diese Schlussfolgerung von der Linkspartei als bürgerlicher Partei nicht gezogen. Statt einer revolutionären Strategie zur Abschaffung des Kapitalismus als Grund der Kriege lesen wir: „Die Linke ist eine internationalistische Friedenspartei, die für Gewaltfreiheit eintritt, ob im Inneren von Gesellschaften oder zwischen Staaten.“98 Die Forderung nach Gewaltfreiheit zwischen kapitalistischen Staaten und innerhalb der Staaten ist aber eine leere Phrase, eine bedeutungslose Utopie. Kriege fallen nicht vom Himmel, sondern sie sind die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wer aber die Politik, die zu Kriegen führt, nicht abschaffen will, der kann auch die Gewalt, die daraus resultiert nicht abschaffen. Und wer fordert, dass Staaten im Inneren keine Gewalt mehr anwenden sollen, der hat entweder nicht verstanden, was ein Staat ist – nämlich gerade die organisierte Gewalt zur Beherrschung einer Klasse durch eine andere –, oder er ist ein bewusster Betrüger.

Als praktische Konsequenz fordert die Linkspartei in ihrem Programm „die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat“,99 und behauptet: „An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.“100

Die Forderung nach einer „Auflösung der NATO“ klingt radikal, sie ist aber das Gegenteil. Eine Auflösung der NATO wäre formal nur durch einen einstimmigen Beschluss aller Mitgliedsstaaten möglich. Solange auch nur ein Staat das Bündnis beibehalten will, ist seine Auflösung unmöglich. Aus diesem Grund haben Kommunisten auch nie die „Auflösung“ der NATO gefordert, was eine völlig bedeutungslose und irreführende Phrase ist, sondern den Austritt ihres Landes aus der NATO. Weshalb fordert die Linke stattdessen die „Auflösung“?

Auskunft darüber gibt ein Gespräch Gregor Gysis mit dem ehemaligen US-amerikanischen Botschafter in Deutschland Philip Murphy: Wie die Plattform Wikileaks enthüllt hat, erklärte Gysi darin, „die Forderung der Linken nach Abschaffung der Nato sei in Wirklichkeit ein Weg, den gefährlicheren Ruf nach einem Rückzug Deutschlands aus dem Bündnis zu verhindern. Für eine Auflösung der Nato sei ja die Zustimmung der USA, Frankreichs und Großbritanniens nötig. Und das sei unrealistisch.“101 Diese Episode ist beispielhaft für die Funktion der Linkspartei in der Kriegsfrage und in der Politik allgemein: Sie formuliert Alternativen zur herrschenden Kriegspolitik immer nur scheinbar, um ihre Unterstützer und Wähler davon abzuhalten, sich effektiv gegen die Kriegspolitik zu wenden und revolutionäre Konsequenzen daraus zu ziehen.

Das Erfurter Programm wurde 2011 verabschiedet, zu einer Zeit, als die Linke (in ihrer jetzigen Form) noch eine junge Partei war und von vielen enthusiastischen Aktivistinnen und Aktivisten getragen wurde, die sich von dieser Organisation einen wirklichen Kampf gegen die herrschende Kriegspolitik erhofften. Der von SPD und Grünen begonnene Angriffskrieg gegen Jugoslawien von 1999 war noch in Erinnerung; seit März 2011 führten die USA und eine Reihe europäischer Staaten Krieg in Libyen. Vom Widerstand gegen diese Kriege profitierte auch die Linkspartei, weshalb sie sich in ihrem Programm noch gegen eine Beteiligung an Kriegsregierungen und gegen Rüstungsexporte ausspricht.102

Wie wir im Folgenden zeigen werden, weicht die oberflächliche pazifistische Antikriegsposition der Partei längst einer immer offeneren Pro-Kriegs-Haltung. Diese Entwicklung ist jedoch nur scheinbar ein Bruch mit den „friedenspolitischen Wurzeln“ der Partei. Denn der bürgerliche Pazifismus, der Krieg und Gewalt abstrakt und moralisch ablehnt, aber den Kapitalismus als ihre Ursache nicht antasten will, ist sehr anfällig dafür, im ersten „schwierigeren“ Fall – wenn es vermeintlich darum geht, einen „Völkermord“ zu verhindern, oder wenn der „Aggressor“ ein Rivale der Herrschenden im eigenen Land ist – in eine Pro-Kriegs-Position umzukippen. Wenn nicht der Klassenstandpunkt der Arbeiterklasse als Ausgangspunkt genommen wird, von dem aus niemals ein Interesse an Krieg zwischen den Kapitalistenklassen bestehen kann, sondern eine naive allgemeine Ablehnung von Gewalt, dann fehlen zuverlässige Kriterien für eine generelle Ablehnung des imperialistischen Kriegs. Mit einer solchen Position, wie sie die Linkspartei vertritt, wird letztlich nur die Gewalt der Ausgebeuteten gegen ihre Ausbeuter, die revolutionäre Gewalt, zuverlässig und konsequent abgelehnt, während alle möglichen Hintertüren offen bleiben, um die Kriege der Herrschenden doch noch unterstützen zu können.

2014: „Linke“ stimmen für einen Bundeswehreinsatz

Um in einer Partei, die sich gegen alle Militäreinsätze positioniert, eine Pro-Kriegs-Position durchzusetzen, ist es notwendig, in kleinen Schritten vorzugehen. Denn die Mitglieder der Partei sind in dem Glauben beigetreten, sich mit ihrem Beitritt gegen Kriege einzusetzen und werden ihre Vorstellungen nicht von einem Tag auf den nächsten aufgeben. So war und ist es auch in der Linkspartei.

Als ein Meilenstein bei der Etablierung von bellizistischen Positionen wird oft das Abstimmungsverhalten der Linken zum Marineeinsatz im Mittelmeer 2014 gesehen. Dabei ging es darum, ob eine Fregatte der Bundeswehr als Begleitschutz für ein Kriegsschiff der US-Marine eingesetzt werden sollte, um die Vernichtung syrischer Chemiewaffen zu überwachen. Die Fraktion der Linkspartei war in der Frage gespalten, es gab Stimmen dafür, Stimmen dagegen und Enthaltungen. Jan van Aken, inzwischen Bundesvorsitzender, wollte in seiner Rede im Bundestag „sehr viele, sehr gute Argumente für diesen Einsatz und sehr viele, sehr gute Argumente gegen den Einsatz“ erkennen, weshalb es „auch gut so“ sei, dass die Fraktion unterschiedlich bzw. teils gegensätzlich abstimmte.103 Inhaltlich gleich äußerte sich auch Gregor Gysi.104

Es war das erste Mal, dass Abgeordnete der Linkspartei einem Bundeswehreinsatz außerhalb der deutschen Grenzen zustimmten. Gerechtfertigt wurde die Zustimmung damit, dass es sich nicht um einen Kriegseinsatz handle und dass der Einsatz zwar außerhalb Deutschlands, aber nicht in einem anderen Land, sondern in internationalen Gewässern stattfinde. Außerdem sei man ja immer für Abrüstung gewesen und insbesondere für die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen. Tatsächlich handelte es sich bei dieser Abstimmung, wie damals schon Kritiker zutreffend feststellten, um einen Türöffner für eine zunehmende Anpassung der Programmatik der Partei an den außenpolitischen Kurs des deutschen Imperialismus.

Weshalb ist das so? Natürlich sind auch Kommunisten im Allgemeinen gegen Massenvernichtungswaffen; natürlich ist abstrakt betrachtet nichts dagegen einzuwenden, solche Waffen unschädlich zu machen, ganz im Gegenteil. Dass jedoch ausgerechnet die USA, die vielleicht die größten Arsenale von menschheitsvernichtenden Waffen besitzen und als einziger Staat der Welt bereits Hunderttausende Menschen mit Atombomben vernichtet haben,105 den Einsatz anführten, gibt einen Hinweis darauf, worum es dabei eigentlich ging: Nämlich keineswegs darum, im Allgemeinen die Menschheit vor solchen Gefahren zu schützen, sondern um die Entwaffnung einer Regierung, die enge Beziehungen zu Russland und dem Iran pflegte und auf der Abschussliste der NATO stand. Forderungen wie die nach einer Entwaffnung Israels, das nicht nur seit Jahrzehnten als Hauptkriegstreiber in der Region auftritt, sondern auch über das tödlichste Arsenal an Massenvernichtungswaffen verfügt, waren von der „Linken“ unterdessen nicht zu hören. Der bürgerliche Pazifismus der Linkspartei, der allgemein Waffen und Waffengewalt kritisiert, es aber auslässt, die kapitalistische Konkurrenz als Ursache von Kriegen zu benennen, machte es möglich, deutsche Militäreinsätze, wenn auch zunächst in einem Spezialfall, zu befürworten. Indem einige Abgeordnete des rechten Flügels der Partei sich hier prinzipiell auf den Standpunkt des eigenen Imperialismus stellten, eine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Bundeswehreinsätzen machten und diese Haltung von führenden Politikern wie Gysi und van Aken legitimiert wurde, wurde die Tür für eine weitere Aufgabe der Anti-Kriegs-Haltung aufgestoßen.

Die Ukraine und der „Dammbruch“: Die Linkspartei wird zur Pro-Kriegs-Partei

2014 war auch in anderer Hinsicht ein entscheidendes Jahr für den Entwicklungsweg der Partei: In jenem Jahr fand in Kiew mit Unterstützung aus EU und NATO der Putsch prowestlicher reaktionärer Kräfte gegen die Regierung Janukowytsch statt; in der östlichen und südlichen Ukraine entstanden die Anti-Maidan-Proteste gegen den Kurs des neuen Regimes, das sich außenpolitisch scharf gegen Russland und innenpolitisch gegen die russischen Bevölkerungsteile richtete und eine Rehabilitierung des Nazismus und ukrainischen Faschismus betrieb; das Regime schritt zur militärischen Niederschlagung der separatistischen Bewegungen, womit der Krieg um den Donbass begann und die Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der NATO ihren weiteren Lauf nahm. Zu diesem Zeitpunkt kritisierte die Linkspartei noch beide Seiten, sprach die dominierende Rolle von Faschisten auf dem Maidan, ihre Präsenz im neuen Putschregime und die Verantwortung der NATO für die Zuspitzung des Konfliktes an – wenn auch selbstverständlich vom Standpunkt der Verteidigung des Völkerrechts und nicht vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus aus.106

Das änderte sich mit der russischen Invasion in der Ukraine acht Jahre später. Diese löste sofort Auseinandersetzungen innerhalb der Partei aus. Eine Gruppe um Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen und Klaus Ernst verabschiedete eine Erklärung,107 in der sie den russischen Einmarsch unmissverständlich verurteilte, aber auch die Osterweiterung der NATO kritisierte. Dieser Mangel an Loyalität gegenüber dem deutschen Imperialismus war für führende Funktionäre wie Gregor Gysi bereits ein Skandal. Gysi forderte am März 2022 in einem Antwortbrief einen Kurswechsel, eine wahre „Zeitenwende“ für die Linkspartei ein. Wagenknecht und den anderen Unterzeichnern warf er vor, sie seien „nur daran interessiert, eure alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten. Die Nato ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch“. Er stellte die rhetorische Frage: „Müssen nicht auch wir über uns nachdenken, eine gewisse Zäsur begreifen?“ Worin diese Zäsur besteht, machte Gysi auch klar: Deutschland sollte zwar „wegen seiner Geschichte“ keine Waffen liefern, aber keinesfalls solle die Linkspartei allgemein Waffenlieferungen an das Regime in Kiew ablehnen. Er sei „strikt anderer Auffassung“, denn: „Damit sprecht ihr der Ukraine faktisch ein Selbstverteidigungsrecht ab und seid indirekt dafür, dass sie nur die Chance zur bedingungslosen Kapitulation bekommt“. 108

Gysi als einer der bekanntesten und einflussreichsten Politiker der Partei nahm also sofort nach Kriegsbeginn eine explizite Pro-Kriegs-Position ein, er befürwortete Waffenlieferungen und pochte vehement auf ein „Selbstverteidigungsrecht“ der Ukraine – so, als wäre der imperialistische Krieg weniger verbrecherisch, wenn das Morden mit Waffen aus den USA oder Polen geschieht statt mit deutschen; und so, als könnte das „Verteidigungsrecht“ der Ukraine etwas anderes bedeuten als die Unterstützung des Krieges.

Gysi agierte dabei wiederum nur als Stichwortgeber des rechten Parteiflügels, war aber mit seiner Pro-Kriegs-Position keineswegs isoliert. Ganz im Gegenteil: Auch die Parteiführung bekannte sich zum „Selbstverteidigungsrecht“ der Ukraine109 und forderte Sanktionen gegen Russland. Sanktionen seien sinnvoll, sofern sie „die Machtbasis von Putin schwächen“. Lediglich „Sanktionen, die vor allem die Zivilbevölkerung treffen (z.B. weil Lebensmittel knapp werden) halten wir nicht für sinnvoll und human“.110 Auch mit der Forderung nach Sanktionen stellt die Linkspartei sich grundsätzlich auf den Standpunkt der NATO, sie will dieselben Ziele, nämlich die Schwächung des imperialistischen Rivalen Russland, nur mit (teilweise) anderen, „friedlicheren“ Mitteln erreichen. Die Logik der imperialistischen Rivalität stellt sie nicht infrage, sondern macht sie sich im Gegenteil zu eigen.

Die Position des proletarischen Internationalismus ist das direkte Gegenteil der Position der Linkspartei: Rosa Luxemburg beispielsweise, deren Name von der Linkspartei und ihrer Stiftung in frecher Geschichtsfälschung vereinnahmt wird, vertrat keineswegs ein „Selbstverteidigungsrecht“ des russischen Zarentums oder des französischen Imperialismus gegen das deutsche Kaiserreich, ebenso wenig wie umgekehrt. Ganz im Gegenteil mobilisierten Luxemburg, Liebknecht, Lenin und andere Revolutionäre gegen den imperialistischen Krieg auf beiden Seiten, weil die Arbeiterklasse am gegenseitigen Abschlachten für die Profite des Kapitals ganz allgemein kein Interesse hat.

Auf dem Parteitag der Linken im Jahr 2022 wurden die Kriegstrommeln ganz offen gerührt. Aus der Ukraine hielt eine Vertreterin der sozialchauvinistischen Gruppierung „Sozialny Rukh“ ein Grußwort. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die sich selbst als „links“ bezeichnet, aber Seite an Seite mit militanten Neonazis zur Verteidigung des autoritären Kiewer Regimes zu den Waffen greift und deshalb im Gegensatz zu sämtlichen Organisationen, die eine internationalistische Position vertreten, auch unter der Diktatur Legalität genießt. Stolz berichtete sie: „Unsere Genossen verteidigen jetzt die Ukraine als Teil der Streitkräfte und der territorialen Verteidigung. (…) Die UkrainerInnen sind sehr enttäuscht von der Haltung der herrschenden Kreise in Deutschland, die sich in jeder Hinsicht der praktischen Unterstützung der Ukraine entziehen. Die sogenannte deutsche Militärhilfe für die Ukraine ist so mager, dass sie in der Ukraine nur ein trauriges Lächeln und sarkastische Witze hervorrufen kann“. Dass sie selbst den Schulterschluss mit Faschisten übten, erwähnten sie freilich nicht, dafür rief sie aber ihre deutschen „Genossen“ dazu auf, „sich im Kampf gegen den russischen Faschismus solidarisch zu zeigen“.111 Kein Wort der Linkspartei von Solidarität mit den Kommunistinnen und Kommunisten der Ukraine, beispielsweise der Arbeiterfront der Ukraine und der Union der Kommunisten der Ukraine, die gegen beide Seiten des Krieges kämpfen, die dafür seit Jahren in den Untergrund gezwungen wurden, und denen bei Aufdeckung Gefängnisstrafen drohen.

Noch weiter ging eine „Oppositionelle“ aus Russland in ihrer Grußansprache. Angeblich „im Namen der russischen Linken“ hetzte sie gegen ein mögliches Ende des Völkergemetzels und beschwor den Kampf bis zum Endsieg: „Auch ein Waffenstillstand ist unmöglich, denn zu den Bedingungen des Aggressors geschlossen, liefe er auf die Okkupation ukrainischen Territoriums durch russische Truppen hinaus. Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, ist ein Sieg der Ukraine. Dafür braucht sie die konsequente Unterstützung anderer Länder, die Unterstützung der Europäischen Union.“112 Der Parteitag der Linken wurde also gefragt, ob er den totalen Krieg will, und ein Teil schrie begeistert „Ja!“. So zum Beispiel der sicherheitspolitische Sprecher der Linksfraktion Matthias Höhn, der diesen Aufruf zum hunderttausendfachen Abschlachten zustimmend auf X zitierte, von einem „beeindruckenden Grußwort“ sprach und twitterte: „Danke für diese klaren Worte!“113

Die Linkspartei stellt sich seit 2022 also immer deutlicher auf den Standpunkt, den die chauvinistische deutsche Sozialdemokratie 1914 einnahm: Für den Krieg, wenn auch „mit Bauchschmerzen“. Dass ihre Position, wenn auch verschleiert, eine rechte Pro-Kriegs-Position ist, hat sich seitdem immer wieder gezeigt. So sprach etwa die ehemalige Parteivorsitzende Janine Wissler, die aus dem trotzkistischen Netzwerk Marx21 kommt, die NATO und den „eigenen“ deutschen Imperialismus gleich ganz von der Kriegsschuld frei: „Die Nachfrage, ob sie der Nato die Schuld am Ukraine-Krieg gebe, verneinte die Linken-Vorsitzende. ‚Ich halte die Nato-Osterweiterung für einen Fehler. Aber sie ist keine Rechtfertigung, in die Ukraine einzumarschieren und Städte zu bombardieren‘“114 – so als ob die Feststellung, dass die NATO den Krieg maßgeblich (mit)verursacht hat, gleichbedeutend damit wäre, den russischen Einmarsch zu rechtfertigen.

Das Ausmaß der Rechtsentwicklung der Partei lässt sich an einigen Zitaten von Spitzenpolitikern der Linkspartei verdeutlichen. Dietmar Bartsch antwortete auf die Frage nach der Notwendigkeit einer EU-Armee: „Das ist nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Unser Ziel ist ja, möglichst wenig Armee zu haben. Aber Fakt ist, dass wir im Zuge der gesamten europäischen Einigung auch diese Frage behandeln müssen.“ Zur „Auflösung der NATO“ – also einer ohnehin illusorischen und irreführenden Forderung – sagte er: „Wir müssen darüber reden, wie eine neue Sicherheitsstruktur aussieht. Da ist die Nato ein Element.“115 Ramelow meinte in einem Interview: „Ich lasse mir von Ihnen keinen Pazifismus unterschieben, ich stehe auf der Seite der Bundeswehr.“116 Bartsch wollte auch die Lieferung deutscher Waffen, die von der Partei als Ganzer nach wie vor offiziell abgelehnt wird, nicht sofort beenden. Im Juni 2023 erklärte er der Presse, es sei unmöglich, die Waffenlieferungen an die Ukraine sofort zu stoppen, da diese dann „am Ende“ sei. Deshalb brauche man einen „Übergang“, um dem Ziel einer „waffenfreien Welt“ näher zu kommen.117 Da Bartschs Argument für Waffenlieferungen die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine gegenüber Russland ist und die ersehnte „waffenfreie Welt“ bis auf weiteres nicht in Aussicht ist, ist offensichtlich, was Bartsch eigentlich meint: Man müsse der Ukraine genug Waffen liefern, damit sie den Krieg weiter führen kann.

Auch van Aken, mittlerweile Bundesvorsitzender, betätigte sich in verschiedenen Interviews als Einpeitscher des imperialistischen Krieges: Man solle endlich die „rostigen Tanker“ aus Russland mithilfe der Küstenwache „an die Kette legen“. Ein Überfall auf ein russisches Schiff in internationalen Gewässern wäre allerdings völkerrechtlich Piraterie und ein Kriegsakt, der Russland zwangsläufig dazu veranlassen würde, seine Handelsschifffahrt militärisch abzusichern und eine kriegerische Eskalation in der Ostsee auslösen könnte.118

Zum Schluss zitieren wir noch einmal Ramelow, der am 9. Juli 2024 auf X schireb: „Ich habe da eine mich sehr bedrückende Frage: 256.000 junge Männer aus der Ukraine, im Wehrfähigen [sic] Alter, leben derzeit in Deutschland. Wie sollen wir uns als Behörden dazu verhalten? Ich bin weiter für die Lieferung von Waffen, aber was ist mit Wehrpflicht und Soldaten?“119 Diese Intervention Ramelows fiel in eine Zeit, als in verschiedenen EU-Ländern bereits diskutiert wurde, ukrainische Kriegsflüchtlinge in die Ukraine abzuschieben, damit sie dort den erzwungenen „Heldentod“ im russischen Maschinengewehr- und Artilleriefeuer erleiden dürfen.

Im September 2024 stimmte schließlich Carola Rackete, die auf Platz 2 der Liste der Linken in das EU-Parlament gewählt worden war, für eine Resolution, in der die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, „Einschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen gegen legitime militärische Ziele im Hoheitsgebiet Russlands unverzüglich aufzuheben“ und „insbesondere Lieferungen moderner Luftabwehrsysteme und anderer Waffen und Munition, einschließlich des Marschflugkörpers ‚Taurus‘, zu beschleunigen“. Ihr Fraktionskollege Martin Schirdewan war sich wohl unsicher, ob er einen Dritten Weltkrieg gut oder schlecht fände und enthielt sich bei der Abstimmung.120 Diese Schritte werden aus russischer Sicht als direkter Kriegseintritt gewertet und stellen dies auch real dar, da die Raketenangriffe auf russisches Gebiet unmittelbar von NATO-Personal ausgeführt werden würden. Offiziell lehnt die Linkspartei deshalb beide Maßnahmen ab. Eine nennenswerte Diskussion darüber, wie die Kriegstreiberin Rackete auf der Liste der Partei gewählt werden und entgegen der offiziellen Position abstimmen konnte, fand indessen nicht statt.

Spaltung der Partei und Comeback 2025

Lange Zeit schien es so, als würde die immer weitere Anbiederung der Partei an den deutschen Imperialismus sich nicht auszahlen. Innerlich war die Linke zerstritten, nicht zuletzt um Fragen der Außenpolitik. Der Flügel um Sahra Wagenknecht war nicht bereit, die immer deutlichere Ausrichtung der Partei am NATO-Kurs mitzutragen und trat im Oktober 2023 schließlich aus, um Anfang 2024 mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine neue, ebenfalls klar bürgerliche und staatstragende Partei zu gründen. Die Umfragewerte der Linken fielen vor und nach der Spaltung immer weiter in den Keller, bei der EU-Wahl 2024 erhielt die Linke gerade einmal noch 2,7 Prozent der Wählerstimmen, der Wiedereinzug in den Bundestag bei den Wahlen 2025 schien damit in weite Ferne gerückt.

Hier ist nicht der Platz, um die Spaltung der Partei genau zu analysieren. Wir können jedoch festhalten, dass die Prognose, wonach die Linkspartei sich 2023 in zwei rechte Flügel gespalten hat, sich voll bewahrheitet. Das BSW befürwortet zwar eine Entspannungspolitik gegenüber Russland und ein Ende des Ukrainekriegs und hat auch im Gegensatz zu allen anderen größeren Parteien (einschließlich der Linkspartei) den Genozid in Gaza kritisiert; ihre „Friedensposition“ formuliert sie aber nicht vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus, die sich auf den Schlachtfeldern gegenseitig niedermäht, sondern von dem des mittelständischen Kapitals, dessen Geschäften der Krieg schadet. Trumps Plan, den Ukrainekrieg zu beenden und die ukrainischen Rohstoffe dem US-Kapital zu übereignen, bezeichnete Wagenknecht als „ernsthaftes Verhandlungsangebot“ und deutete an, auch Deutschland solle von dem kriegszerstörten und zahlungsunfähigen Land Rückzahlungen einfordern.121 Zudem stimmte die Partei voll und ganz in die von den gleichgeschalteten Medien befeuerte rassistische Hetzkampagne gegen Flüchtlinge und Migranten ein und strich die meisten Forderungen nach Entlastungen für die ärmsten Teile der Bevölkerung aus dem Wahlprogramm für die Bundestagswahlen.

Die Linkspartei hingegen hat ihren Pro-Kriegs-Kurs seit der Spaltung weiter vertieft und in der Tat, wie wir an der Haltung zu Israel sehen werden, radikalisiert. Zum dritten Jahrestag der russischen Invasion brachte eine Reihe von Landesregierungen, darunter Mecklenburg-Vorpommern, eine Resolution ein, die von weiteren Landesregierungen, darunter Bremen, unterstützt wurde. In beiden Ländern ist die Linkspartei Teil der Regierung. In der Resolution wird dem „entschlossenen und fortdauernden Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer“ Respekt gezollt und man bekennt sich zur „notwendigen weiteren militärischen Unterstützung“.122 Während man sich im Fall Rackete noch darauf berufen konnte, dass diese kein Parteimitglied ist, stimmten hier indirekt, über den Umweg der Landesregierungen, zwei Landesverbände der Partei für Waffenlieferungen an die Ukraine.

Ungefähr zeitgleich, im Februar, kam dann der spektakuläre Wahlerfolg der Linken bei den Bundestagswahlen, gekoppelt mit Zehntausenden Neueintritten. Der Rechtstrend schlug auch im Wahlkampf durch, beispielsweise indem die Partei zur Verbesserung ihres Ansehens eine SocialMedia-Kampagne namens „Mission Silberlocke“ startete, in der sie ausgerechnet drei der am weitesten rechts stehenden Figuren der Parteiführung ins Rampenlicht stellte: Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow.

Das nächste Kapitel der „linken“ Kriegstreiberei gegen Russland stellte dann der Eiertanz um die Reform der Schuldenbremse im Vorfeld der Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen vom Februar 2025 dar. Die Schuldenbremse steht dem gewaltigen Aufrüstungsprogramm von 500 Milliarden Euro, das SPD und CDU/CSU anstreben, um Deutschland zur militärischen Großmacht zu machen und auf einen Krieg mit Russland vorzubereiten, im Weg und soll entsprechend angepasst werden. Da den beiden Fraktionen eine Mehrheit fehlte, witterte man nun auch in der Linkspartei seine Chance, sich als „verantwortungsvolle“ Kraft im Sinne des deutschen Imperialismus beweisen zu können. Im Interview versuchte die neue Parteivorsitzende Ines Schwerdtner zunächst, die Frage der Zustimmung zu den Kriegskrediten zu umgehen, stellte auf Nachfrage des Reporters aber klar, dass sie im Gegenzug für höhere Sozialausgaben auch den Aufrüstungsplänen von CDU und SPD zustimmen werde: „Das wird Teil der Verhandlungen sein (…). Wir werden schauen, was die neue Regierung da vorlegt und dann überlegen, ob wir zustimmen. Aber (…) wir werden das an harte Bedingungen knüpfen: Wenn nicht in die soziale Infrastruktur investiert wird, werden wir definitiv nicht mitmachen“. Andere Spitzenpolitiker der Partei äußerten sich sinngemäß gleich.123 Kriegskredite und Kriegsvorbereitungen ja, aber nur im Tausch gegen einen Mietendeckel und etwas mehr Geld für Krankenhäuser und KiTas – so ließ sich die Haltung der Linkspartei zum Aufrüstungs-Sondervermögen auf den Punkt bringen. Und selbst ihr Versuch, den Weltkriegsvorbereitungen ein „soziales“ Mäntelchen umzuhängen, ist in Wirklichkeit lächerlich: Denn selbst wenn man einmal davon absieht, dass das Aufrüstungspaket die Gefahr eines großen imperialistischen Krieges mit Millionen Toten drastisch erhöht, dann bedeutet es zumindest auch in der Zukunft massive weitere Einschnitte bei Sozialleistungen, Bildung, Gesundheit, Kultur usw., da die Zinsen für die gestiegene Staatsverschuldung selbstverständlich aus dem regulären Staatshaushalt bezahlt werden.

Selbstverständlich waren aber ohnehin vor allem die Unionsparteien CDU/CSU keineswegs gewillt, im Gegenzug für die Zustimmung der Linkspartei zu den Kriegskrediten auch die Ausgaben für Soziales, Gesundheit oder Bildung zu erhöhen, selbst wenn es nur für kurze Zeit wäre. Stattdessen nahmen sie Zuflucht zu einem Trick, um diese Zustimmung auch nicht zu brauchen: Sie führten die Abstimmung entgegen allen üblichen Gepflogenheiten noch im alten Bundestag durch, wo die Mehrheitsverhältnisse einfacher waren. Es wäre möglich gewesen, mit einem Drittel der Abgeordneten des neuen Bundestages dieses Manöver zu durchkreuzen, indem man die sofortige Einberufung des neuen Parlaments beantragt hätte. Die AfD stellte einen solchen Antrag. Die „Linke“ hätte einen separaten Antrag mit dem gleichen Begehren einreichen können, womit ausreichend Stimmen vorhanden gewesen wären, um die frühere Einberufung des Bundestages zu verlangen und damit die Pläne von CDU/CSU und SPD zu versuchen zu durchkreuzen. Doch sie tat es nicht. Heidi Reichinnek erklärte dazu: „Ich arbeite nicht mit der AfD zusammen. Niemals und nirgends. Das ist für uns ganz klar, das ist Teil unserer politischen DNA. Und wir werden nicht mit Feinden der Demokratie ein Urteil von der obersten Hüterin der Verfassung angreifen und mit faschistischen Parteien gegen demokratische Parteien agieren“124 – eine Aussage, die die Linkspartei erneut auf ganze Linie entlarvt – als wäre es eine „Zusammenarbeit“ mit der AfD, wenn beide Parteien unabhängig voneinander dem Kriegskurs der Regierung ein paar Steine in den Weg legen; und als wären SPD und CDU, die Reichinnek als „demokratisch“ adelt, mit ihren Kriegsvorbereitungen auch nur einen Funken weniger reaktionär als die AfD. Es liegt auf der Hand, was der eigentliche Grund dafür war, dass die Linkspartei die Hände in den Schoß legte, als die kommende Regierung an den parlamentarischen Mehrheiten vorbei die Aufrüstung durchgedrückt hat: Sie hatte kein ernsthaftes Interesse daran, sie zu verhindern.125

Dass die Linkspartei gar nicht in die Verlegenheit kam, den Kriegskrediten im Bundestag zustimmen zu müssen, ist ein Glücksfall für sie, da es ihr ermöglicht, ihr verlogenes Friedenstauben-Image noch eine Weile länger aufrecht zu erhalten. Und dennoch wollten zwei Landesverbände sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, zumindest symbolisch bei der Jahrhundert-Aufrüstung mitzumachen. Im Bundesrat stimmten die Regierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, an denen die Linkspartei beteiligt ist, für das Sondervermögen. Hätte die Linke sich in den Regierungen dagegen gestellt, während ihre Koalitionspartner (die SPD) weiter darauf bestehen, hätten die Landesregierungen sich im Bundesrat enthalten. Doch das hätte vermutlich bei den anderen bürgerlichen Parteien Zweifel an der „Regierungsfähigkeit“ der Linken aufgeworfen, und solche Zweifel wollte man nicht aufkommen lassen. Zwar verstieß das Abstimmungsverhalten im Bundesrat gegen die offizielle Linie der Partei, aber Kritik an dieser Entscheidung war von der Parteiführung kaum zu hören. Ein Antrag auf dem Parteitag im Mai, der die rechten Mandatsträger aus Bremen und Mecklenburg-Vorpommern zum Rücktritt aufforderte, wurde von Schwerdtner niedergeredet und dann mit 219 gegen 179 Stimmen (und 39 Enthaltungen) niedergestimmt.126 Zuvor hatte die Parteiführung die Zustimmung zu den Kriegskrediten im Kern verteidigt. Reichinnek etwa sagte: „Wenn ich beispielsweise mit unserer Senatorin in Bremen spreche, sagt sie mir, wenn ich dieses Geld bekomme, kann ich den Frauennotruf und die Obdachlosenhilfe behalten und viele weitere soziale Projekte, die ich sonst streichen müsste. Die sehen das natürlich aus der Länderperspektive und ich kann das nachvollziehen.“127 Der dritte Weltkrieg kommt, aber der Frauennotruf bleibt erhalten – für die Linke also alles in bester Ordnung.

Es bleibt nun abzuwarten, wie die vielen Neueintritte sich auf die inhaltliche Entwicklung der Partei auswirken, aber vieles deutet darauf hin, dass die neuen, überwiegend jungen Mitglieder vor allem aus den liberalen Mittelschichten kommen, teilweise durch eine oberflächliche und inkonsequente „antirassistische“ Haltung gegen die AfD motiviert sind und mit einer Kritik an Krieg und Militarisierung wenig anfangen können. Dass die Partei sich ungebremst weiter nach rechts entwickelt, ist aber sehr wahrscheinlich und zeigte sich auch unmittelbar nach den Bundestagswahlen.

Zuletzt bewies die Partei „staatsbürgerliche Verantwortung”, also ihre Loyalität zur herrschenden Klasse, auch bei der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler. Nachdem Merz im ersten Wahlgang scheitert, war Bodo Ramelow „krachsauer“ über das „Chaos“.128 Die Linkspartei stimmte daraufhin einer Änderung der Geschäftsordnung zu, die es Merz ermöglichte, noch am selben Tag in einem zweiten Wahlgang gewählt zu werden. Schwerdtner dazu: „Wir wollen keine Tage der Unsicherheit und auch des Chaos.“ Reichinnek und andere forderten, die CDU solle nun ihren Unvereinbarkeitsbeschluss zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei fallen lassen, um auch bei anderen politischen Entscheidungen mit der Linkspartei zu verhandeln.129 Nahm die konstruktive Mitarbeit bei der Verwaltung des Kapitalismus bisher vor allem die Form der Kooperation mit SPD und Grünen an, streckt die Linkspartei nun auch ihre Fühler in Richtung der CDU aus.

Die Linkspartei und Israel: Unterstützung für den Genozid

Das vielleicht schändlichste und abstoßendste Kapitel der Pro-Kriegs-Position der Linkspartei ist die Unterstützung der Partei für Israel – einem terroristischen Apartheids- und Besatzungsregime unter einer faschistischen Regierung, das spätestens seit Oktober 2023 eindeutig einen systematischen Genozid verübt.

Diesem Kapitel vorangestellt sei die Anmerkung, dass es in der Linkspartei immer wieder Auseinandersetzungen zur Frage des Verhältnisses zu Israel und Palästina gibt; dass natürlich viele Parteimitglieder solidarisch mit dem palästinensischen Volk sind und darum kämpfen, die Position ihrer Partei dazu zu ändern. Wir werden jedoch im Folgenden zuerst das darstellen, welche Position die Partei insgesamt vertritt und am Ende noch einmal darauf zu sprechen kommen, was die innerparteilichen Auseinandersetzungen zu dieser Frage für eine Rolle spielen.

Schon im Parteiprogramm von 2011 steht mit Bezug auf den Holocaust: „Insbesondere diese Verantwortung verpflichtet auch uns, für das Existenzrecht Israels einzutreten.“130 Dass gerade das Verbrechen des Massenmords an den europäischen Juden als Rechtfertigung dafür herangezogen wird, ein zutiefst rassistisches und in seinem Staatsprogramm von Anfang an auf ethnische Säuberung ausgerichtetes Staatsprojekt wie Israel zu unterstützen, ist ein Hohn nicht nur auf die zahllosen Opfer der israelischen Kriegs- und Vernichtungspolitik, sondern auch auf die Opfer des Nazismus. Der Möglichkeit eines gemeinsamen Staates für Juden und Palästinenser wird durch die chauvinistische und rassistische Positionierung der Linkspartei bereits im Parteiprogramm eine Absage erteilt. Als würde der Satz im Parteiprogramm nicht ausreichen, hielt der Parteivorstand es am 8. Mai 2025 – ausgerechnet am Tag der Befreiung vom Faschismus, auf dessen Opfer man damit ein weiteres Mal spuckte – für notwendig, einen erneuten Beschluss zu fassen: „Das Existenzrecht des Staates Israel ist für uns nicht verhandelbar.“131

Was ein in dieser Form vorgetragenes Bekenntnis zum „Existenzrecht Israels“ in der Praxis bedeutet, zeigte sich nach dem 7. Oktober 2023: Der Rechtsaußen-Vertreter Bodo Ramelow ließ sich am 9. Oktober medienwirksam mit der Fahne des Besatzungsregimes ablichten und hisste sie vor der Thüringer Staatskanzlei.132 Der Parteivorstand verurteilte zwei Tage später „die entsetzlichen Terror-Angriffe der Hamas auf Israel“ und den „Antisemitismus (…) der Hamas“, so als läge die Motivation für den Angriff vom 7. Oktober im Hass auf Juden und nicht in dem Versuch, aus den grauenvollen Lebensbedingungen von über zwei Millionen Menschen, die im Freiluftgefängnis Gaza zusammengepfercht sind, auszubrechen und den Krieg gegen das Besatzungsregime in eine neue Phase zu überführen. Unterstützer des palästinensischen Widerstands in Deutschland werden gemäß der verordneten imperialistischen Staatsräson von der Linkspartei des „Antisemitismus“ bezichtigt.133

Dass das Regime in den Wochen und Monaten danach zur offenen, systematischen und gezielten Vernichtung der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza überging, wie von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen umfassend dokumentiert ist und von der zionistischen Führung auch bei unzähligen Gelegenheiten offen ausgesprochen wurde, hat die Partei nicht davon abgehalten, ihrem Kriegskurs treu zu bleiben. Sie vermeidet konsequent, in Gaza von einem Genozid zu sprechen, obwohl auf der ganzen Welt Genozidforscher, bürgerliche Menschenrechtsorganisationen und selbst die zuständigen UN-Institutionen dies tun. Heidi Reichinnek, die gezielt zum „Star“ der sozialen Medien aufgebaut wurde, erklärte im März 2024 im Bundestag, Israel, eine „befreundete Demokratie“, habe „selbstverständlich das Recht, sich zu verteidigen“. „Bei der Hamas“, so Reichinnek, handle „es sich nicht um Freiheitskämpfer, sondern um Terroristen, die entwaffnet werden müssen. Darüber müssen wir uns hier alle einig sein.“134 Dass ein Besatzungsregime das Recht habe, sich gegen ein von ihm besetztes Volk zur Wehr zu setzen, entspricht in Wirklichkeit nicht einmal dem bürgerlichen Völkerrecht, das hingegen durchaus explizit ein Recht zum bewaffneten Widerstand gegen eine Besatzung vorsieht. Das Beharren auf ein „Selbstverteidigungsrecht“ Israels bedeutet ebenso wie die Forderung, die Hamas zu „entwaffnen“, eine prinzipielle Unterstützung des genozidalen Kriegs Israels. Reichinnek wiederholte ferner die längst widerlegte Propagandalüge des israelischen Regimes über „sexualisierte Gewalt gegen Frauen“, die man von Seiten der Hamas „gesehen“ habe – in Wirklichkeit hat Reichinnek diese keineswegs gesehen, da bis heute kein einziger solcher Fall nachgewiesen werden konnte –, und zitierte vor dem Bundestag sogar zustimmend den israelischen Staatspräsidenten Itzchak Herzog. Herzog ist ein führender Vertreter eines genozidalen faschistischen Regimes, der eine Woche nach dem 7. Oktober auf einer Pressekonferenz keinen Hehl aus seiner Bereitschaft zum Völkermord machte: „Es ist ein ganzes Volk, das verantwortlich ist. Diese Rhetorik über Zivilisten, die angeblich nicht involviert wären, ist absolut unwahr (…) und wir werden kämpfen, bis wir ihr Rückgrat brechen.“135

Während es an der Basis der Partei natürlich Mitglieder gibt, die mit den Palästinensern solidarisch sind, waren von der Partei selbst ausschließlich hohle Lippenbekenntnisse zu einer „friedlichen Lösung“ zu hören, immer verbunden mit einer weitaus schärferen Verurteilung der Hamas. Die von den herrschenden Medien und Parteien betriebene Umkehr von Tätern und Opfern wurde von der Linkspartei übernommen und mit betrieben. Eine Kritik an der offenen Solidarisierung etwa Ramelows mit dem genozidalen Regime war nicht zu vernehmen; hingegen wurde der palästinensische Aktivist Ramsis Kilani aus der Partei ausgeschlossen mit der Begründung, dass er sich nicht ausreichend von der Hamas distanziere, Israel als „koloniales Gebilde“ bezeichnete und dessen „Existenzrecht“ negiere.136

Gegen den Genozid hat sich auch in Deutschland ein anhaltender Widerstand formiert, auf den der deutsche Staat mit immer heftigeren Repressionen reagierte: Mit Demonstrationsverboten, Berufsverboten und Entlassungen, mit Zensur, mit dem Verbot ganzer Vereine und Organisationen, mit Abschiebungen und der Drohung des Entzugs der Staatsbürgerschaft. Über diese extreme Zuspitzung der Repressionen war von der Linkspartei kaum ein kritisches Wort zu hören, im Gegenteil trug sie die rasante Abschaffung demokratischer Rechte weitgehend mit, nicht nur durch die Unterdrückung palästinasolidarischer Stimmen in den eigenen Reihen. Als im Bundestag im November 2024 und im Januar 2025 zwei extrem reaktionäre „Antisemitismus“-Resolutionen beschlossen wurden, die nichts mit wirklichem Antisemitismus zu tun hatten, aber einige der gravierendsten Einschränkungen der Meinungsfreiheit beinhalten, die es in Europa seit Jahrzehnten gegeben hat, enthielt die Linkspartei sich in beiden Fällen der Stimme. Die Resolutionen setzen explizit Antizionismus mit Antisemitismus gleich, fabulieren von einem fiktiven Antisemitismus „linksextremistischer Akteure“, erklären die unwissenschaftliche IHRA-Definition von Antisemitismus (die, besonders in Deutschland, wo sie durch die Bundesregierung entsprechend „ergänzt“ wurde, Kritik an Israel als antisemitisch diffamiert) als verbindlich, fordern die Exmatrikulation von israelkritischen Studierenden sowie die generelle Unterbindung der Aktivitäten von Gruppen, die Israel „dämonisieren“ und weitere Organisationsverbote.137

Die Tatsache, dass die Linkspartei aller schönen Worte zum Trotz den Völkermord an den Palästinensern letzten Endes unterstützt und Solidarität mit einer aus Faschisten zusammengesetzten Regierung übt, entlarvt nicht nur die formelhaften Forderungen nach einer Zwei-Staaten-Lösung und gelegentliche Kritik an israelischen Kriegsverbrechen, sondern auch die öffentlichkeitswirksam inszenierten Tiraden gegen die AfD als pure Heuchelei.

Das ändert sich auch nicht dadurch, dass die Linke auf ihrem Parteitag Anfang Mai 2025 die unwissenschaftliche „Antisemitismus“-Definition der IHRA abgelehnt und die „Jerusalemer Erklärung“138 als Grundlage ihres Antisemitismusverständnisses beschlossen hat, die anders als die IHRA-Propaganda nur tatsächlichen Antisemitismus als Antisemitismus bezeichnet. Dieser Antrag wurde zwar immerhin gegen den Widerstand der Parteiführung durchgesetzt (mit 213 gegen 181 Stimmen).139 Doch auch wenn die Palästina-Solidarität vieler Parteimitglieder sicherlich ehrlich gemeint ist, selbst falls die schamlosesten Vertreter offen reaktionärer Positionen in der Partei in dieser Frage mehr in die Defensive geraten sollten – es ist nicht absehbar, dass sich an den Grundpfeilern der Parteilinie etwas ändert. Alle Zeichen stehen auf weitere Einbindung in den bürgerlichen Politikbetrieb – und dafür ist die Übereinstimmung mit der Staatsräson bezüglich Israel Voraussetzung. Das Bekenntnis zum „Existenzrecht“ und „Verteidigungsrecht“ Israels machen jede Position, die sich wirklich auf die Seite der Palästinenser stellt und über symbolische Kritik hinausgeht, unmöglich. Gleichzeitig erzeugen gerade die ständigen Diskussionen über Palästina und die palästinasolidarische Haltung vieler Mitglieder die Illusion, dass es zu dieser Frage unterschiedliche Standpunkte gebe und sie noch umstritten sei, während die Partei in Wirklichkeit im Wesentlichen hinter Israel steht. So schafft es die Führungsriege immer wieder, die Einheit der Partei trotz gegensätzlicher Standpunkte zu wahren und eine im Kern pro-zionistische Linie zu verfolgen, während auch palästinasolidarische Menschen Mitglied bleiben und darauf hoffen, sich mit ihrer Position irgendwann durchsetzen zu können.

Fazit

Die Linkspartei hat sich im Wesentlichen innerhalb weniger Jahre vom bürgerlichen Pazifismus zu einer mehr oder weniger offenen Pro-Kriegs-Position gewandelt. Diese Entwicklung liegt letztlich in der Natur des Reformismus: Eine Position zur Kriegsfrage, die die Ursachen der Kriege ausblendet und den Krieg rein moralisch ablehnt, statt ihn aus der Klassenperspektive des Proletariats als Krieg der Bourgeoisie zu bekämpfen, ist immer offen dafür, unter bestimmten Bedingungen in eine Pro-Kriegs-Haltung umzukippen. Mehr noch: Eine Position, die impliziert, dass der bürgerliche Staat und die imperialistische EU, die als Herrschaftsstrukturen des Kapitals geschaffen wurden und zu diesem Zweck existieren, auch eine ganz andere, friedliche Politik machen könnten, ist ein Betrug gegenüber den Massen. Eine solche Position führt dazu, die Masse des Volkes in gefährliche Illusionen zu verwickeln und im Moment des Kriegsausbruchs ohne ideologische Vorbereitung dastehen zu lassen, wenn seine Kinder für das Gemetzel auf den Schlachtfeldern eingezogen werden. Der Reformismus spielt seine historisch immer wieder bestätigte verheerende Rolle als Instrument der Herrschenden zur Entwaffnung der Arbeiterklasse: Wer behauptet, der Löwe könnte auch Vegetarier werden, der ist dann auch schuld daran, wenn jemand sich nicht vor den Zähnen des Löwen schützt, sondern bei dem Versuch, ihn mit Möhren zu füttern, gefressen wird.

Kommunisten und die Linkspartei – strategische und taktische Fragen und Antworten

In den letzten Monaten haben die Diskussionen über ein mögliches taktisches Verhältnis der Kommunisten zur Linkspartei wieder an Fahrt aufgenommen, nachdem sie davor aufgrund des Niedergangs der Partei zeitweilig eher verstummt waren. In verschiedenen Varianten wird die Frage aufgeworfen, ob der Wiederaufstieg der Linken trotz ihres reformistischen Charakters für Kommunistinnen und Kommunisten nicht doch positiv sei, ob es nicht möglich sei, „taktisch“ davon zu profitieren. Viele, die sich der kommunistischen Bewegung zurechnen, beantworten diese Fragen mit ja. Dagegen müssen mindestens zwei grundsätzliche Einwände erhoben werden.

Erstens: „Taktik“ wird als etwas behandelt, das vom strategischen Ziel mehr oder weniger unabhängig sei: „Strategisch“, so wird dann gesagt, strebe man ja weiterhin den Sozialismus an und zu diesem Zweck den Aufbau einer revolutionären Partei, aber da es ja nun ein weiter Weg bis dahin sei und die Kräfteverhältnisse so negativ seien, müsse man „taktisch“ erst einmal etwas ganz anderes tun. Nun ist aber die Taktik nichts von der Strategie unabhängiges, sondern der flexiblere Teil der Strategie und dieser untergeordnet. Sie dient dem strategischen Ziel oder sie ist falsch.

Zweitens: Der Reformismus wird nicht mehr als der große Feind der revolutionären Arbeiterbewegung eingeordnet, nicht als Kraft zur Desorientierung und Lähmung der Bewegung, sondern als vielleicht ungewollter Geburtshelfer der revolutionären Bewegung. Vergessen sind die Lehren aus der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, aus den Kriegskrediten 1914, dem Verrat an der Novemberrevolution 1918/19 und den Ruhrarbeitern 1920, dem Blutmai 1929, der Rolle als Steigbügelhalter der Nazis. Nirgendwo hat es sich historisch jemals bestätigt, dass die reformistische Sozialdemokratie ein Sprungbrett zu einer revolutionären Bewegung oder die Vorstufe einer kommunistischen Partei sein könnte, und dennoch wird eisern daran festgehalten.

Wir kritisieren solche opportunistischen Einschätzungen der Sozialdemokratie grundsätzlich. Wir halten sie für einen gewaltigen Stolperstein auf dem Weg zur Organisierung der Klasse, zum Aufbau eines massenhaften Widerstands gegen die Zumutungen des Kapitals und zur Entstehung einer kommunistischen Partei mit Masseneinfluss. Doch wir wollen nicht beim Allgemeinen stehen bleiben, sondern im Konkreten argumentieren, warum jede „taktische“ Unterstützung der Linkspartei durch Kommunisten ein schwerer Fehler ist.

Ablehnung des Reformismus = Ablehnung von Reformkämpfen?

Angesichts des jahrzehntelangen Niedergangs des marxistischen Denkens in Deutschland ist es wohl notwendig, dass wir als erstes gewisse Grundbegriffe in Erinnerung rufen und falschen Interpretationen widersprechen.

Ja, wir lehnen den Reformismus ab, ohne Wenn und Aber. Das wird von Vielen so verstanden, als würden wir Reformkämpfe ablehnen: Den Kampf um den höheren Lohn, den Kampf für bessere Kinderbetreuung, für eine Mietpreisbremse, für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs oder gegen die Aufrüstung, gegen Waffenlieferungen nach Israel oder in die Ukraine. Tun wir das? Natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Als Revolutionäre führen wir diese Kämpfe nicht nur, wir führen sie sogar sehr viel konsequenter als die Reformisten. Denn da wir den Kapitalismus nicht verwalten und verbessern, sondern überwinden wollen, begrenzen wir unsere Forderungen und Kampfformen nicht aus Rücksicht auf die Profite des Kapitals und die politische Stabilität des Staates. Wir führen diese Kämpfe allerdings nicht als Selbstzweck, sondern vor allem, um die Arbeiterklasse im Kampf besser zu organisieren, mit ihr Kampferfahrungen zu sammeln, in diesen Kämpfen das Bewusstsein über die Unversöhnlichkeit des Gegensatzes von Arbeit und Kapital zu schärfen und schließlich die Stärke zu gewinnen, um den Kapitalismus zu stürzen.

Reformismus hingegen bedeutet nicht einfach nur, für Reformen zu kämpfen. Reformismus ist eine Strategie, die den Kampf um Reformen anstelle des Kampfes für die Revolution setzt; er ist die Auffassung, dass alle wesentlichen Probleme des Kapitalismus durch Reformen lösbar sind. Er ist deshalb als Idee objektiv falsch und führt die Arbeiterklasse in die Irre. Er ist aber vor allem auch als organisierte Kraft, in Form der Sozialdemokratie, im äußersten Maße schädlich für den Kampf der Arbeiterklasse, da er ihn immer wieder in die Sackgasse führt und die Klasse davon abhält, revolutionäre Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die Linke als „Durchlauferhitzer“ für kommunistische Kader?

Nun gibt es manche, die die klassische marxistische Kritik am Reformismus im Grundsatz verstehen und ihr auch (wenigstens oberflächlich) zustimmen, aber dennoch daran festhalten, dass die Linkspartei, obwohl reformistisch, doch in der jetzigen Situation der Entstehung einer kommunistischen Partei behilflich sein könnte. Heute, so wird argumentiert, sei der Kommunismus so eine Minderheit und kommunistische Organisationen so schwach, dass für die meisten Menschen, die sich „nach links“ politisieren, die Linkspartei der logische erste Anlaufpunkt sei. Einmal dort eingetreten, bestünden aber gute Chancen, dass diese Personen sich politisch weiterentwickeln und von reformistischen zu revolutionären Positionen übergingen.

Nun stimmt es natürlich, dass niemand sofort ein kohärentes marxistisches Weltbild herausbildet – dass dies so ist, liegt in der Natur der Sache: Die Welt lässt sich nur in ihrer Gesamtheit und als Ganze richtig verstehen; die Wahrnehmung der Welt in voneinander getrennten Bruchstücken zeichnet gerade das bürgerliche Denken aus. Doch wie geht jemand den Schritt vom reformistischen Wunsch, die Welt zu verbessern, dahin, sich dem Kampf der kommunistischen Partei für den Sozialismus anzuschließen? Dieser Schritt setzt immer eine Kombination aus konkreten Widerspruchs- und Kampferfahrungen im realen Leben und theoretischer Einsicht durch die Aneignung der revolutionären Theorie voraus. Nun beteiligt sich die Linkspartei allerdings kaum am Klassenkampf und erst recht nicht, wo es ernst wird und die Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat ansteht – an der Bewegung gegen den Genozid in Palästina beispielsweise beteiligte sie sich erst gar nicht, sondern agierte von der Parlamentstribüne aus im Wesentlichen als Feind dieser Bewegung. Vor allem aber vermittelt die Partei ihren Mitgliedern mitnichten ein marxistisches Weltbild; vielmehr hantiert man, wie das Parteiprogramm exemplarisch zeigt, mit „marxistischem“ Vokabular, dessen Inhalt aber seines Wesenskerns, nämlich seiner revolutionären Konsequenzen, beraubt ist.

Natürlich ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass einzelne Mitglieder einer reformistischen Partei über die Zeit bemerken, dass der Reformismus keine Antworten zu bieten hat; dass diese Personen dann selbstständig beginnen, sich zu bilden und ihre Schlussfolgerungen zu ziehen und schließlich zu der Erkenntnis kommen, dass sie nur in der kommunistischen Partei ihren Kampf zu seinem Ziel führen können. Solche Fälle gibt es. Doch sie sind kein Beweis für die Behauptung, dass die reformistische Partei der Grund oder Auslöser ihrer Politisierung hin zum Kommunismus sind. Ihre Entwicklung zum Kommunismus wäre selbstverständlich in den Reihen der kommunistischen Partei sehr viel schneller und geradliniger verlaufen; die Entscheidung, stattdessen zuerst der Linkspartei beizutreten, wird aber oftmals bewusst getroffen aus der falschen Logik heraus, dass man dort zumindest „etwas bewirken“ könne.

Wer also behauptet, die Partei fungiere als eine Art „Durchlauferhitzer“ für revolutionäre Kader, der kann sich nicht einfach nur auf den einen oder anderen Fall berufen, bei dem ein Mitglied sich später zum Kommunisten oder zur Kommunistin entwickelt hat. Und wie viele Leute, die sich an den Widersprüchen des Kapitalismus politisieren, werden eigentlich von der Linkspartei auf Dauer aufgefangen und damit aus Sicht des Systems unschädlich gemacht?

Entrismus – eine revolutionäre Taktik?

Ein Teil derer, die in den Mitgliedern reformistischer Parteien ein besonders wichtiges Potenzial für den Aufbau „revolutionärer“ Organisationen sehen, setzen auf die Taktik des Entrismus. Dies trifft vor allem auf trotzkistische Gruppen zu, in Deutschland z.B. SAV, Sol und Marx21. Der Gedanke dahinter ist, die vermeintliche Funktion der Linkspartei als „Durchlauferhitzer“ systematisch und organisiert dafür zu nutzen, für die eigene Organisation neue Mitglieder zu gewinnen.

In der Praxis bedeutet der Entrismus in den allermeisten Fällen, dass die „revolutionären“ Gruppen, die ihre Mitglieder anweisen, in die Linkspartei oder in deren Jugendorganisationen einzutreten, die reformistische Politik unterstützen. Die Publikationen der entristisch arbeitenden Gruppen sind voll von Aufrufen, die Linkspartei zu unterstützen. Als Beispiel sei ein aktueller Aufruf der „Sozialistischen Organisation Solidarität – Sol“ angeführt, der die Linkpartei „als Partei des Klassenkampfs“ aufbauen will: Es gebe nun „die Chance nun eine neue, sozialistische und kämpferische Partei zu schaffen“, eine „Partei der Arbeiter*innenklasse und des Klassenkampfs“, eine „Partei des Sozialismus“140. Die ursprüngliche Rechtfertigung des Entrismus, dass es nur darum gehe, aus der Sozialdemokratie Mitglieder abzuwerben für eine „revolutionäre“ Politik, ist ganz offensichtlich einer ganz unverblümten Unterstützung der Sozialdemokratie selbst gewichen, mit der illusorischen Vorstellung, man könne aus einer bürgerlichen Partei eine „Partei des Sozialismus“ machen. Verkannt wird dabei, dass die bürgerlichen Parteien, einschließlich der „linken“ Parteien, letztlich Teil des bürgerlichen Staates sind; dass ihre Politik auf die Bewahrung der kapitalistischen Verhältnisse abzielt und nicht in ihr Gegenteil umgekehrt werden kann; dass eine „Partei des Sozialismus“ nicht einfach nur ein anderes, „radikaleres“ Programm erfordern würde, sondern eine völlig andere, der Sozialdemokratie direkt entgegengesetzte Organisationskonzeption notwendig macht, während die Mitgliederbasis der Sozialdemokratie über Jahre hinweg mit einem bürgerlichen Verständnis von Politik erzogen wurde. In all den genannten Fällen führt der Entrismus geradewegs in den Sumpf des Reformismus – mit dem Eintritt der „revolutionären“ Gruppen in die reformistische Partei ist auch der Reformismus in diese Gruppen eingetreten (falls er dort nicht immer schon seinen Platz hatte). Und das ist auch wenig verwunderlich: Denn wer in der Linkspartei arbeiten will, muss sich in ihr ja auch seinen Platz verdienen, indem man die Partei selbst unterstützt und sich mit allzu grundsätzlicher Kritik zurückhält.

Nun wäre es natürlich auch vorstellbar, Entrismus auf andere Weise zu betreiben: Ohne Aufgabe eigener Standpunkte, ohne Anbiederung an die Parteiführung und Parteilinie und bereit, den Parteiausschluss in Kauf zu nehmen. De facto vertreten nur sehr wenige ein solches Verständnis von Entrismus. Doch auch dieses Konzept bedeutet, dass man von außen als Teil der Linkspartei wahrgenommen wird; dass man dazu beiträgt, die scharfe Trennlinie zwischen reformistischer und revolutionärer Politik verschwimmen zu lassen; dass man Abstriche dabei machen müssen wird, die Massen und die eigenen Mitglieder zur konsequenten Gegnerschaft gegenüber dem Reformismus zu erziehen. Auch dieser Entrismus steht dem Aufbau einer revolutionären Partei im Weg.

Bedeutet all das, dass wir die vielen Mitglieder sozialdemokratischer Parteien links liegen lassen? Oder gar anfeinden? Natürlich nicht. Es ist richtig, als kommunistische Partei danach zu streben, möglichst viele der Anhänger und Mitglieder der Sozialdemokratie für den Kommunismus und die KP zu gewinnen. Dafür ist es notwendig, in Betrieb und Gewerkschaft, im Kampf um das Wohnviertel oder gegen den Krieg mit den einfachen Mitgliedern der Linkspartei (aber auch anderer bürgerlicher Parteien) Seite an Seite zu stehen. Es ist notwendig, eine Sprache und Diskussionskultur zu entwickeln, die diese Menschen verstehen lässt, dass wir unsere Kritik an ihrer Partei nicht als Feindseligkeit gegen sie selbst meinen. Aber all das bedeutet nicht, dass wir die Trennlinie zwischen der Partei der Revolution und den verschiedenen Parteien des bürgerlichen Systems jemals aufgeben oder verwischen dürfen.

Die Wirkung der Linken im Bundestag

Ein weiterer Argumentationsstrang lautet in etwa: „Die Linke mag eine reformistische Partei sein, aber für den Klassenkampf ist es besser, wenn sie in den Bundestag kommt.“ Verschiedene Gründe werden dafür angegeben: Es sei schlecht, wenn die Kriegsverbrecherparteien SPD und Grüne das „linkeste“ im Parlament seien; die Abgeordneten der Linkspartei würden der AfD Sitze wegnehmen; sie würden zumindest gewisse „linke Argumente“ in die öffentliche Diskussion und damit die Medien einbringen, die sonst gar nicht vertreten wären; sie würden außerdem auch nützliche Anfragen stellen, ohne die gewisse Informationen gar nicht zu bekommen wären; und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) fördere linke Studenten bei ihrem Studium und stelle Analysen bereit.

Wir möchten nicht allen dieser Argumente widersprechen: Es ist gut, wenn durch Anfragen bestimmte Informationen öffentlich gemacht werden und es ist ebenfalls gut, wenn junge Studenten mit fortschrittlichem Gedankengut gefördert werden. Insgesamt ist die Argumentation aber sehr problematisch.

Sie ist problematisch, weil sie vergisst, dass das bürgerliche politische System in seiner Gesamtheit funktioniert und nur so verstanden werden kann. Sicherlich, für sich genommen vertreten SPD, Grüne, CDU und AfD „schlimmere“ Positionen als die Linkspartei. Aber die bürgerliche Politik als Ganze benötigt all ihre Flügel und Varianten: Erstens, weil sie für verschiedene Methoden der Verwaltung des kapitalistischen Systems stehen, die sich abhängig von den Entwicklungen gegenseitig ablösen, aber auch gleichzeitig angewandt werden und sich dabei ergänzen können (z.B. angebotsorientierte „neoliberale“ und keynesianische Wirtschaftspolitik; repressive und integrative Methoden zur Bekämpfung der Arbeiterbewegung). Zweitens aber auch, weil die Variation bürgerlicher Politik dazu beiträgt, die Illusion der Mitbestimmung aufrechtzuerhalten. Gerade dass eine „linke“, vermeintlich „radikale“ und „sozialistische“ Option auf dem Wahlzettel steht und im Parlament vertreten ist, hat für die herrschende Klasse einen enormen politischen Wert, selbst wenn manche ihrer Vertreter diesen Wert nicht erkennen mögen. Es verleiht dem System die erforderliche Flexibilität, auch bei einem Aufschwung des Klassenkampfes und einer Radikalisierung breiterer Teile der Massen diese Tendenzen abfangen und politisch neutralisieren zu können, ja sie sogar in Massenunterstützung für eine „linke“ bürgerliche Koalitionsregierung ummünzen zu können. Von Morena in Mexiko über Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland141 gibt es aus der jüngeren Zeit zahlreiche Beispiele dafür.

Die Funktion, den Klassenkampf zu entschärfen und das kapitalistische System vor seinen Gegnern zu beschützen bedeutet aber auch, dass die Linkspartei mindestens indirekt die reaktionäre politische Entwicklung, die letztendlich von den Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus selbst hervorgebracht wird, mit unterstützt. Wenn es stimmt, dass die Linkspartei der Entwicklung des Klassenkampfes der Arbeiterklasse Hindernisse in den Weg stellt, dass sie dazu beiträgt, die Arbeiterklasse auf illusorische Irrwege zu führen, dann befördert sie damit letztlich auch die Stärkung extrem reaktionärer Kräfte wie der AfD.

Wenn die Linkspartei durch ihre Zustimmung zum Kriegskurs der Herrschenden dazu beiträgt, dass in den Köpfen vieler Arbeiter der Begriff „links“ mit einer staatstragenden, kriegstreiberischen Politik in Verbindung gebracht wird, dann hilft sie damit der AfD dabei, sich als vermeintliche „Friedenspartei“ zu profilieren. Wenn die Linkspartei in verschiedenen Landesregierungen die Angriffe auf die Arbeiterklasse mit anführt, dann trägt sie dazu bei, Teile der Arbeiterklasse in die Resignation oder in die Arme der extremen Rechten zu treiben. Wenn wir all das verstanden haben, können wir aber nicht mehr argumentieren, dass die Rolle der Linken im Bundestag irgendwie positiv sein könnte. Denn sie ist, nicht nur direkt durch ihre Pro-Kriegs- und Pro-Genozid-Positionen, sondern vor allem auch indirekt, ein Teil des Geflechts von Faktoren, das das politische Spektrum insgesamt nach rechts treibt und einen günstigen Nährboden für extrem reaktionäre und faschistische Kräfte schafft.

Ein paar Worte müssen wir auch zur RLS verlieren. Es steht außer Zweifel, dass für den Wiederaufbau einer revolutionären Arbeiterbewegung auch die Schaffung eines wissenschaftlichen Apparats der kommunistischen Partei und gegebenenfalls auch eines wissenschaftlichen Instituts wichtige Schritte wären. Ohne die ständige Weiterentwicklung unseres Weltverständnisses werden wir den Klassenkampf nicht siegreich führen können. Die RLS ist allerdings kein solches Institut, sie ist auch kein Schritt in diese Richtung. Sie liefert zum einen Analysen, die sozialdemokratische, reformistische Schlussfolgerungen nahelegen. Zum anderen legt sie seit jeher einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Delegitimierung, Diffamierung und Verzerrung revolutionärer kommunistischer Geschichte, die sie mit dem antikommunistischen Kampfbegriff des „Stalinismus“ belegt. Konterrevolutionäre Bewegungen, die sich gegen den Sozialismus richteten, werden von der RLS regelmäßig positiv hervorgehoben, so beispielsweise der „Prager Frühling“ von 1968 in der CSSR oder die antisozialistischen „Reformer“ in der SED 1989.142 Damit steht die RLS im ideologischen Klassenkampf letztlich auf der Seite der Herrschenden und stellt ein Hindernis für die Entwicklung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse dar.

Als Revolutionär eine reformistische Partei wählen?

Aus dem bereits Geschriebenen folgt, dass wir als Revolutionäre einer reformistischen Partei auch keine Stimme geben können. Viele Genossinnen und Genossen sind da anderer Meinung und berufen sich auf eins oder mehrere der oben genannten Argumente. Wir meinen, dass dies ein unzureichendes Verständnis des Charakters und der Rolle der Sozialdemokratie zeigt. Die Sozialdemokratie wird implizit – entgegen allen historischen Erfahrungen, die das Gegenteil beweisen – als ein geringeres Übel, wenn nicht sogar als eine Art „Zwischenetappe“ oder Hilfestellerin der kommunistischen Bewegung verstanden.

Manchmal hören wir, sozusagen als letzte Verteidigungslinie in der Diskussion, es sei doch letztendlich egal, was man wähle, dann könne man ja auch der Linken eine Stimme geben. Diese Herangehensweise verbindet gleich zwei falsche Auffassungen miteinander: Die Geringschätzung des Klassenkampfes auch auf dem Terrain der bürgerlichen Wahlen, deren Bedeutung für die politische Bewusstseinsbildung der Massen nicht unterschätzt werden darf, und eine Prinzipienlosigkeit im Verhältnis zu den Parteien des Klassengegners. Wir können uns nicht leisten, eine „halbe“ Position zur Sozialdemokratie zu propagieren: Grundsätzlich dagegen, aber im Zweifel doch dafür. Wenn wir überzeugen wollen, müssen unsere Taten zu unseren Worten passen. Wer die Sozialdemokratie unterstützt, lädt damit auch einen Teil der Verantwortung für das auf sich, was die Sozialdemokratie mit dem ihr verliehenen Einfluss gegen unsere Klasse verbrechen wird. Die Vorstellung, man könne die Linke wählen und trotzdem Revolutionär bleiben, beruht somit auf einem Fehlschluss: Nicht, weil wir all denen, die das getan haben, ihre revolutionäre Gesinnung absprechen wollen, sondern weil wir uns eine derart krasse Inkonsequenz nicht erlauben können.

Die Notwendigkeit einer klaren Haltung zur Sozialdemokratie

Die Herrschaft der Bourgeoisie braucht die Sozialdemokratie. Die Geschichte zeigt, dass in den Ländern, in denen sich aus verschiedenen Gründen keine oder keine starke sozialdemokratische Partei herausgebildet hatte ( in Europa etwa Italien und Griechenland, in Asien China und Vietnam in den Jahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg), bei einem Aufschwung der Klassenkämpfe die kommunistischen Parteien die Führung übernehmen und die kapitalistische Herrschaft als solche bedrohen konnten. In diesen Ländern waren vor dem Krieg die kommunistischen Parteien vergleichsweise schwach, trotzdem war es für sie kein Pech, sondern im Gegenteil ein großer Vorteil, dass der reformistische Einfluss in der Arbeiterbewegung schwach war. Und in Ländern, in denen heutzutage keine nennenswerten sozialdemokratischen Kräfte vertreten sind, etwa aufgrund des Vorherrschens extrem nationalistischer Kräfte (wie in vielen Ländern Osteuropas), wird die Bourgeoisie in den kommenden Zeiten tiefer politischer Krisen und Zusammenbrüche auf die taktische Reserve der Sozialdemokratie nicht zurückgreifen können, was die Handlungsspielräume gut vorbereiteter kommunistischer Kräfte erweitern würde.

Aufgrund ihrer reformistischen Ziele und Parolen, die die echten Probleme der Arbeiterklasse aufgreifen und zu lösen versprechen, ist die Sozialdemokratie ein besonders gefährlicher Gegner, der sich gerade in der gesellschaftlichen Gruppe, an die sich die kommunistische Partei primär richtet, nämlich der Arbeiterklasse, hartnäckig hält. Die Sozialdemokratie ist gleichzeitig eine Kraft innerhalb der Arbeiterklasse und sie ist ein Instrument des kapitalistischen Systems zur Unterdrückung der Arbeiterklasse, zur Verhinderung ihrer eigenständigen Organisierung und letztlich auch zu ihrer blutigen Repression, wie die Geschichte oft gezeigt hat. Da die Sozialdemokratie den Massen ein besseres Leben verspricht, aber nicht liefern kann, tritt die Enttäuschung über sie früher oder später gesetzmäßig ein. Von dieser Enttäuschung können und müssen die Kommunisten profitieren, indem sie über den Charakter der Sozialdemokratie und die Gründe ihres vermeintlichen „Verrats“, der in Wirklichkeit nur die Konsequenz aus ihrem Programm ist, aufklären. Sie können davon aber nur profitieren, wenn sie als entgegengesetzte Kraft wahrgenommen werden und nicht nur als die etwas „radikalere“ Variante der gleichen „linken Politik“. Die Bedeutung der Abgrenzung von der Sozialdemokratie kann daher kaum überbetont werden – aber natürlich immer als organischer Bestandteil des Kampfes gegen die Politik des Kapitals insgesamt und nicht als „Abarbeiten“ an einer einzelnen Partei.

Die politische und organisatorische Unabhängigkeit von der Sozialdemokratie ist eine Existenzbedingung des Kommunismus – weshalb auch die Abspaltung der kommunistischen Parteien von den sozialdemokratischen Parteien in den Jahren nach der Oktoberrevolution eine gewaltige Errungenschaft war, hinter die wir niemals (durch Entrismus, durch „taktische Wahlunterstützung“ oder ähnliche Dinge) zurückfallen dürfen. Überall da, wo kommunistische Parteien sich selbst zum linken Wurmfortsatz der Sozialdemokratie degradiert haben, haben sie sich der Sozialdemokratie auch inhaltlich angenähert und haben ihre Wurzeln in der Arbeiterklasse meistens verloren. Um solcherart tödliche Fehler nicht zu wiederholen, ist es eine Pflicht jeder kommunistischen Partei, ihre Mitglieder über die Gefahren des Revisionismus, der bürgerlichen Ideologie im Allgemeinen und der Sozialdemokratie im Besonderen ständig zu bilden.

Abschließende Bemerkungen

Wir haben für diesen Artikel den Titel „Teil der Rechtsentwicklung“ gewählt, um damit der weithin vertretenen Behauptung zu widersprechen, wonach die Linkspartei ein Gegengewicht zur reaktionären Entwicklung in Deutschland bilde. Wir haben im Gegensatz dazu argumentiert, dass die Partei dieser Entwicklung einerseits Vorschub leistet, indem sie den Kapitalismus durch die Verbreitung von reformistischen Illusionen stabilisiert und durch die arbeiterfeindliche Politik, die sie in allen Landesregierungen, an denen sie beteiligt war, umgesetzt hat, große Teile der Arbeiterklasse der Rechten und extremen Rechten in die Arme treibt; andrerseits vertritt sie aber auch selbst zunehmend reaktionäre Positionen in entscheidenden Fragen: Sie trägt im Kern die Weltkriegsvorbereitungen des deutschen Imperialismus mit, gibt dem israelischen Regime Rückendeckung dabei, seinen barbarischen Völkermord an den Palästinensern durchzuführen, sie schweigt zum eskalierenden Autoritarismus in der Bundesrepublik, sie singt Loblieder auf NATO und EU und verbreitet antikommunistische Propaganda über die Geschichte. Ihre Entwicklung, die mit einer kontinuierlichen Stärkung solcher Positionen einhergeht, ist damit selbst Teil der Rechtsentwicklung der Gesellschaft, der Tendenz zu Militarismus und Autoritarismus. Ihre Abgrenzungsrituale gegenüber der AfD sind leere Symbolpolitik, sie sind heuchlerisch und dienen letztlich dazu, die anderen „demokratischen“ bürgerlichen Parteien aus der Schusslinie zu nehmen. Der Kreis schließt sich, indem die reaktionäre Politik dieser Parteien wiederum der extremen Rechten nützt. Aus diesen Gründen muss der Kampf gegen den Faschismus mit dem Kampf gegen die Sozialdemokratie und die anderen bürgerlichen Parteien einhergehen – nicht, weil Sozialdemokratie und Faschismus das gleiche wären, sondern weil die Politik der Sozialdemokratie das Wachstum des Faschismus begünstigt.

Einigen unserer Leserinnen und Lesern werden die Schlussfolgerungen aus diesem Artikel nicht gefallen. Zu tief ist die Krise der kommunistischen Bewegung, zu aussichtslos ist scheinbar, oberflächlich betrachtet, der Kampf für den Aufbau einer revolutionären Partei, zu verlockend ist es daher, an den Illusionen in den Reformismus festzuhalten. Doch diese Illusion ist tödlich: Vor uns liegen Zeiten schwerer Klassenauseinandersetzungen, die bisher vor allem vom Klassengegner organisiert und systematisch geführt werden. Die Sozialdemokratie hat sich dabei immer und immer wieder als wirksames Instrument der Herrschenden erwiesen, um zuerst Hoffnungen zu wecken, dann den Klassenkampf einzuhegen, die Radikalisierung fortschrittlicher Menschen in systemkonforme Bahnen zu lenken und im Ernstfall die Revolution mit Feuer und Schwert zu bekämpfen. Die Konsequenz aus der reaktionären Rolle, die die deutsche Sozialdemokratie 1914, 1918/19, 1920 und auch danach immer wieder gespielt hat und die sich in ähnlicher Form überall auf der Welt gezeigt hat, kann nur eine sein: Die völlige, organisatorische, politische und ideologische Unabhängigkeit der kommunistischen Bewegung von der Sozialdemokratie in all ihren Formen; sowie der Aufbau einer unabhängigen Partei der Arbeiterklasse, die unzweifelhaft und ohne Schwankungen auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus steht, sich in jeder Situation des Klassenkampfes von einer konsequent revolutionären Strategie leiten lässt und nicht zuletzt die Sozialdemokratie als objektive Agentin der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung bekämpft.

Manche Formen mögen sich seit den Klassenkämpfen der Weimarer Republik geändert haben. Diese Veränderungen sind zu analysieren. Doch wichtiger ist, dass der grundsätzliche Charakter der Sozialdemokratie der gleiche ist und bleibt: Es handelt sich um eine politische Bewegung, die auf der illusorischen Vorstellung basiert, die explosiven Widersprüche des Kapitalismus ließen sich dauerhaft abmildern oder gar aufheben, ohne dem kapitalistischen System als solchem den Garaus zu machen. Passend zur jeweiligen Situation wird der Sozialismus entweder offen bekämpft, etwa indem konterrevolutionäre Ereignisse heroisiert werden, oder er wird scheinbar unterstützt, aber im Namen des „Realismus“, des „Pragmatismus“, der „momentanen Kräfteverhältnisse“ auf den Tag nach dem jüngsten Gericht verschoben – nur um damit die konstruktive Mitarbeit im Kapitalismus, das Mitverwalten der kapitalistischen Ausbeutung rechtfertigen zu können. All das repräsentiert die Linkspartei. Sie ist Folge und Ausdruck unserer historischen Niederlage, der vorübergehenden Niederlage des Kommunismus 1989/90, und dient gleichzeitig dazu, diese Niederlage zu verewigen und zu verhindern, dass alle diejenigen, die den Kapitalismus satthaben, revolutionäre Schlüsse ziehen.

Der Opportunismus ist keine zufällige Erscheinung, er wird von der bürgerlichen Politik zwangsläufig produziert. Solange es den Klassenkampf gibt, wird er existieren und uns, den Kommunistinnen und Kommunisten, die Arbeit erschweren. Seinen Einfluss zurückzudrängen geht nur auf eine Art und Weise: Durch den Aufbau und die Stärkung der kommunistischen Parteien in allen Ländern, durch die Entfaltung ihres Masseneinflusses und indem wir praktisch aufzeigen, dass die Alternative zum Reformismus nicht im Nichtstun, sondern im Kampf liegt.

1 https://www.rundschau-online.de/politik/linke-hat-erstmals-ueber-100-000-mitglieder-972517.

2 https://bundeswahlleiterin.de/info/presse/mitteilungen/bundestagswahl-2025/29_25_endgueltiges-ergebnis.html.

3 https://www.die-linke.de/fileadmin/4_Wahlen/wahlnachtberichte/Wahlnachtbericht_BTW_25_S_G.pdf, S. 20ff.

4 https://www.die-linke.de/partei/programm.

5 https://www.die-linke.de/mitmachen/mitglied-werden.

6 https://web.archive.org/web/20110806073754/http://www.die-linke.de/partei/dokumente/programmderparteidielinkeprogrammatischeeckpunkte/vorbemerkung.

7 https://www.die-linke.de/fileadmin/user_upload/Parteiprogramm_Die_Linke_2024-web.pdf, S. 8, im Folgenden: Erfurter Programm.

8 Ebd.

9 https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Grundsatzprogramme/hamburger_programm.pdf, S. 16f.

10 Erfurter Programm, S. 14.

11 Vgl. ebd., S. 37.

12 Ebd., S. 18.

13 Ebd., S. 19.

14 Ebd., S. 18.

15 Ebd.

16 Vgl. Grundlagenschulung der KO/KP, S. 231.

17 Erfurter Programm, S. 37.

18 Erfurter Programm, S. 44.

19 https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/Kleine-Unternehmen-Mittlere-Unternehmen/Glossar/kmu.html.

20 https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/Kleine-Unternehmen-Mittlere-Unternehmen/aktuell-beschaeftigte.html.

21 Erfurter Programm, S. 41.

22 Erfurter Programm, S. 42f.; „netzgebundene Dienstleistungen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge“ sollen immerhin in „öffentliches Eigentum“ überführt werden.

23 Ebd., S. 45.

24 MEW 20, S. 257f.: „In den Krisen kommt der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung zum gewaltsamen Ausbruch. Der Warenumlauf ist momentan vernichtet; das Zirkulationsmittel, das Geld, wird Zirkulationshindernis; alle Gesetze der Warenproduktion und Warenzirkulation werden auf den Kopf gestellt. Die ökonomische Kollision hat ihren Höhepunkt erreicht: die Produktionsweise rebelliert gegen die Austauschweise, die Produktivkräfte rebellieren gegen die Produktionsweise, der sie entwachsen sind.“

25 Ebd., S. 40.

26 Ebd., S. 17.

27 Ebd., S. 40.

28 Ebd., S. 41.

29 Ebd., S. 42.

30 Ebd., S. 41.

31 Ebd.

32 Vgl. Spanidis, Thanasis (2023): Die Herrschaft des Kapitals in China.

33 Erfurter Programm, S. 38.

34 Ebd., S. 43.

35 Ebd., S. 39.

36 Ebd.

37 MEW 20, S. 262-265.

38 Erfurter Programm, S. 37.

39 Auch nach einer erfolgreichen sozialistischen Revolution kann zeitweise noch Privateigentum an Produktionsmitteln vorkommen. Dieses steht aber zu jedem Zeitpunkt im direkten, unlösbaren Widerspruch zur sozialistischen Produktionsweise und kann ausschließlich als eine vorübergehende Ausnahme toleriert werden. Es kann niemals (wie bei der Linkspartei) Ziel und Bestandteil der sozialistischen Produktionsweise sein. So schreiben wir an anderer Stelle: „In den ersten frühen Phasen der sozialistischen Entwicklung werden zwangsläufig noch nicht alle Überbleibsel der kapitalistischen Gesellschaft in ökonomischer (z.B. Kleinproduktion, die sich nur schwer von einer zentralen Stelle aus planen lässt), aber auch ideologischer und kultureller Hinsicht (z.B. Klammern am kleinbürgerlichen Privateigentum, Konkurrenzdenken, Rassismus usw.) überwunden sein. Es ist somit auch möglich, dass nach der Vergesellschaftung der konzentrierten und zentralisierten Produktionsmittel Formen des privaten oder kooperativen Eigentums an Produktionsmitteln für eine begrenzte Zeit weiterhin bestehen.Wir betonen jedoch, dass alle Vorstellungen eines sogenannten „Marktsozialismus“, wonach das Fortbestehen des Privateigentums an Produktionsmitteln oder von Elementen des Marktes mit der sozialistischen Produktionsweise vereinbar sei, falsch sind und eine revisionistische Verfälschung des Marxismus darstellen. Es handelt sich um Elemente, die mit dem grundlegenden Gesetz der sozialistischen Produktionsweise, der zentralen Planung der Produktion zur immer besseren Befriedigung der Bedürfnisse, nicht vereinbar sind, die den Sozialismus durch wirtschaftliche Dysfunktionalitäten und den Erhalt potenziell konterrevolutionärer Klassen aushöhlen und deshalb überwunden werden müssen“ (Entwurf des Parteiprogramms der Kommunistischen Partei, S. 44).

40 Erfurter Programm, S. 39.

41 MEW 20, S. 247.

42 Erfurter Programm, S. 39.

43 Ebd., S. 47.

44 Rosa Luxemburg: Werke, Bd. 1.1, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 402f.

45 Vgl. Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1891).

46 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 3. Berlin, Dietz Verlag, 1966, S. 33.

47 Rosa Luxemburg: Werke, Bd. 1.1, S. 370.

48 Ebd., S. 370f.

49 Erfurter Programm, S. 93.

50 Ebd., S. 94.

51 Ebd., S. 94f.

52 Ebd., S. 95.

53 Ebd., S. 33.

54 Ebd., S. 26.

55 Ebd., S. 60.

56 MEW 21, S. 166f.

57 Ebd., 167.

58 Ebd., 167f.

59 Rosa Luxemburg: Werke, Bd. 1.1, S. 429-431.

60 Ebd., S. 399.

61 Erfurter Programm, S. 33.

62 Ebd., S. 59.

63 Ebd., S. 93.

64 Ebd., S. 33.

65 Ebd.

66 Ebd., S. 60.

67 Ebd.

68 Vgl. Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaft Liberalismus – Faschismus, S. 35f.

69 In diesem Kontext ist auch die Forderung der Linkspartei nach „gesellschaftlichem Eigentum“ durch Verstaatlichung (s. Abschnitt „Eigentumsverhältnisse“) einzuordnen. Solange die politische Macht bei der Kapitalistenklasse liegt, bleibt der Staat ein Instrument ihrer Herrschaft. Wird ein Unternehmen also verstaatlicht, bedeutet dies lediglich, dass der bürgerliche Staat – als ideeller Gesamtkapitalist – die Leitung übernimmt, nicht aber, dass die Kontrolle in die Hände der Arbeiterklasse bzw. „der Gesellschaft“ übergeht. Eine wirkliche sozialistische Vergesellschaftung setzt die politische Herrschaft der Arbeiterklasse im sozialistischen Arbeiterstaat voraus – erst dann kann aus staatlichem Eigentum ein gesellschaftliches werden.

70 Rosa Luxemburg: Werke, Bd. 1.1, S. 399.

71 Erfurter Programm, S. 96.

72 Ebd., S. 8.

73 Ebd., S. 94.

74 Ebd.

75 Ebd., S. 95.

76 Ebd., S. 97.

77 Ebd., S. 94.

78 Rosa Luxemburg: Werke, Bd. 1.1, S. 401.

79 Erfurter Programm, S. 85.

80 Ebd.

81 Ebd, S. 29.

82 Ebd, S. 85.

83 Ebd., S. 85.

84 Vgl. https://jacobin.de/artikel/regierungsbeteiligung-minderheitsregierung-die-linke-linkspartei-sachsen-thueringen.

85 https://www.tagesspiegel.de/politik/linkspartei-zankt-um-privatisierung-1351222.html.

86 https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/05/berlin-2369-wohnungen-wurden-zwangsgeraeumt-zwangsraeumung-schulden.html.

87 Vgl. https://www.die-linke-thl.de/aktuelles/nachrichten/detail/linksfraktion-fordert-schlussstrich-unter-verfassungsschutz.

88 https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/thueringen-schafft-v-leute-beim-verfassungsschutz-ab-13494676.html.

89 https://www.sueddeutsche.de/politik/migration-kein-winterabschiebestopp-in-thueringen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-151021-99-00644.

90 https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/einkommen-gehalt-statistik-100.html.

91 https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1923/06/faschism.htm.

92 Siehe dazu ihre Aussagen im Interview mit „jung&naiv“: https://www.youtube.com/watch?v=VCGtEEFWfns.

93 Vgl. https://www.eisenachonline.de/kommunales/stadt-eisenach-beendet-10-jahre-haushaltssicherung-120728.

94 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-01/berlin-rot-rot-gruen-sicherheitspaket und https://www.morgenpost.de/berlin/article227179049/Mehr-Geld-fuer-Rettungswagen.html.

95 https://www.tagesspiegel.de/berlin/eklatanter-vertrauensbruch-durch-berliner-linke-warum-dw-enteignen-politisch-zunehmend-isoliert-ist-424234.html.

96 Erfurter Programm, S. 35.

97 Vgl. Imperialismus-Resolution; Spanidis: Zur politischen Ökonomie des heutigen Imperialismus.

98 Erfurter Programm, S. 88.

99 Ebd., S. 89.

100 Ebd., S. 97.

101 Der Spiegel 2010: Gysi plauderte über linke Placebo-Politik, 18.12.2010 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/forderung-nach-nato-aufloesung-gysi-plauderte-ueber-linke-placebo-politik-a-735428.html).

102 Erfurter Programm, S. 89.

103 https://www.youtube.com/watch?v=qgKgCpYYXAo.

104 https://www.youtube.com/watch?v=Cve4VOKv150.

105 In Japan 1945. Entgegen den üblichen Mythen hatten die Atombombenabwürfe über Japan praktisch keinen militärischen Nutzen, da das Japanische Kaiserreich ohnehin schon bereit war zu kapitulieren. Sie dienten vielmehr schon der Abschreckung gegenüber der Sowjetunion, dem eigentlichen Klassengegner des US-Imperialismus.

106 So z.B. Gysi im Bundestag https://www.youtube.com/watch?v=WsRok4I73hg.

107 https://www.sevimdagdelen.de/fuer-frieden-keine-generalermaechtigung-fuer-die-bundesregierung.

108 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/russland-naehe-gregor-gysi-kritisiert-sahra-wagenknecht-mit-scharfem-brief-a-bfdfc267-4fed-41b3-b407-752592c2656e; https://taz.de/Gysi-attackiert-Wagenknecht–Co/!5838062; auch später bekräftigte Gysi seine grundsätzliche Befürwortung von Waffenlieferungen, z.B. im Gespräch mit dem Jacobin Magazine: https://www.youtube.com/watch?v=6eknkjsl6u4&pp=ygUMZ3lzaSBqYWNvYmlu.

109 https://taz.de/Leipziger-Erklaerung-der-Linkspartei/!5898840.

110 https://www.die-linke.de/themen/frieden/ukraine-krieg.

111 https://www.linkekritik.de/fileadmin/pb22-04/27-linken-parteitag-gastrede-slobbodian-d-1.html.

112 https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteitag/erfurter-parteitag-2022/live/reden/grussansprache-von-oxana-timofeeva.

113 https://x.com/MatthiasHoehn/status/154074091881431040.

114 https://rp-online.de/politik/deutschland/linken-chefin-janine-wissler-fuer-aufloesung-der-nato-trotz-krieg-in-der-ukraine_aid-85627343.

115 https://www.wsws.org/de/articles/2021/08/02/bart-a02.html.

116 https://www.n-tv.de/politik/Interview-mit-Bartsch-Gysi-und-Ramelow-Ich-lasse-mir-von-Ihnen-keinen-Pazifismus-unterschieben-article25495214.html.

117 https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/ukraine-waffen-bartsch-100.html.

118 https://www.demokratisch-links.de/jan-van-aken-kriegstreiber-von-links#comment-250079.

119 https://x.com/bodoramelow/status/1810778953507876993.

120 https://www.demokratisch-links.de/niedergang-der-linkspartei-rackete-schiesst-den-vogel-ab-mit-links-fuer-die-nato-eu-abgeordnete-will-einschraenkungen-des-einsatzes-westlicher-waffen-aufheben-und-taurus-a.

121 https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/bundestagswahl/id_100607384/ukraine-wagenknecht-und-weidel-stellen-sich-hinter-trump-vorstoss.html; https://www.focus.de/politik/wie-trump-jetzt-verlangt-afd-von-ukraine-ausgleich-fuer-milliardenhilfen_4d5208cf-b292-4248-818d-b53d3192539f.html.

122 https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2025/0001-0100/62-25(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1; zum Abstimmungsverhalten: https://www.regierung-mv.de/static/Regierungsportal/WKM/Downloads/Abstimmungsverhalten%20des%20Landes%20M-V%20in%20der%201051.%20Sitzung%20des%20Bundesrates%20am%2014.%20Februar%202025.pdf.

123 https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/welt-am-morgen/linke-will-reform-der-schuldenbremse-nur-unter-bedingungen-zustimmen-100.html; einige Tage später bestätigte auch Christian Görke, der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, diese Position in einem Brief an CDU/CSU, SPD und Grüne. Eine Reform, die „ausschließlich Militär- und Aufrüstungsausgaben priorisiere“, lehne man zwar ab, für alles andere sei man aber verhandlungsbereit (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/linke-schuldenbremse-reform-100.html). Auch Reichinnek forderte nur, dass „es im Haushalt die Spielräume gibt, in alle Bereiche zu investieren“, und zwar „nicht nur“ in Rüstung; man solle nun einfach „in Ruhe“ darüber reden, „was die Bundeswehr braucht“ (https://www.jungewelt.de/artikel/496301.ganz-in-ruhe.html).

124 https://jacobin.de/artikel/heidi-reichinnek-die-linke-linkspartei-schuldenbremse.

125 Für einen ausführlicheren Kommentar zur opportunistischen Haltung der Linken bezüglich der Abstimmung über die Kriegskredite: https://kommunistischepartei.de/aktuelles/die-linke-und-die-kriegskredite-linke-scheinopposition-im-deckmaentelchen-des-antifaschismus.

126 https://www.jungewelt.de/artikel/499790.linke-nach-der-bundestagswahl-viel-in-bewegung.html.

127 https://jacobin.de/artikel/heidi-reichinnek-die-linke-linkspartei-schuldenbremse.

128 https://www.tag24.de/nachrichten/politik/deutschland/politiker/bodo-ramelow/bodo-ramelow-krachsauer-weil-friedrich-merz-nicht-gewaehlt-wird-3383273.

129 https://www.deutschlandfunk.de/interview-mit-ines-schwerdtner-linke-vorsitzende-zu-parteitag-und-merz-wahl-100.html.

130 Erfurter Programm, S. 16.

131 https://www.die-linke.de/start/presse/detail/das-existenzrecht-des-staates-israel-ist-fuer-uns-nicht-verhandelbar.

132 https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-ramelow-hisst-israelische-flagge-vor-staatskanzlei-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-231009-99-500498.

133 https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand-2022-2024/detail-beschluesse-pv/fuer-ein-ende-der-gewalt-in-israel-und-palaestina.

134 https://www.juedische-allgemeine.de/politik/solidaritaet-jenseits-der-floskeln.

135 https://www.nachdenkseiten.de/?p=106148.

136 https://www.jungewelt.de/artikel/491831.linke-schlie%C3%9Ft-ramsis-kilani-aus-grundprinzipien-aufgegeben.html.

137 https://dserver.bundestag.de/btd/20/147/2014703.pdf.

138 https://jerusalemdeclaration.org.

139 https://www.jungewelt.de/artikel/499790.linke-nach-der-bundestagswahl-viel-in-bewegung.html.

140 https://solidaritaet.info/2025/03/die-linke-aufbauen-als-partei-des-klassenkampfs.

141 https://kommunistischepartei.de/hintergrund/griechenland-syriza-und-die-deutsche-linke.

142 Vgl. z.B. https://www.rosalux.de/news/id/50911/der-prager-fruehling-und-die-arbeiterraete; https://www.rosalux.de/publikation/id/41057/bruch-mit-stalinismus-als-system.

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