Zur Widerlegung einiger unhaltbarer Behauptungen bezüglich des Krieges
Diskussionsbeitrag von Thanasis Spanidis und Rudy Vermelho
In der Diskussion um den Krieg in der Ukraine kamen in den letzten Wochen aus den Reihen der KO bestimmte Auffassungen zum Vorschein, bei denen sich wohl viele von uns verwundert die Augen gerieben haben: Auf einer theoretischen Ebene wird nun unsere mit guten Argumenten entwickelte Imperialismusanalyse grundsätzlich infrage gestellt. Diese Kontroverse ist die wichtigste, da jede Parteinahme für das heutige kapitalistische Russland letzten Endes auf tiefgreifende weltanschauliche Irrtümer in Fragen der Strategie und Imperialismustheorie zurückgeht.
Gleichzeitig wird aber auch auf der Ebene der konkreten Politik der imperialistische Krieg Russlands mit einer Reihe von Behauptungen gerechtfertigt, die sich so oder ähnlich auch der russischen Propaganda entnehmen lassen. Das spricht im Prinzip noch nicht dagegen, dass sie trotzdem auch wahr sein könnten. Nun sind sie aber aus unserer Sicht nicht nur unwahr, sondern stehen auch in einem sehr offensichtlichen Widerspruch zur Realität.
Während die Diskussion um das korrekte marxistische Imperialismusverständnis an anderer Stelle geführt werden muss[i], soll es hier darum gehen, konkrete Behauptungen, die zur Rechtfertigung des imperialistischen Gemetzels in der Ukraine herangezogen werden, auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Der Artikel bezieht sich auf Behauptungen aus den Texten von Klara Bina, Philipp Kissel und Alexander Kiknadze. Während wir der Auffassung sind, dass die Wurzel des Problems in einem stark fehlerhaften Verständnis des Imperialismus bei den genannten Genossen liegt, wird auf der konkreten Ebene der Krieg der Russischen Föderation mit einer Reihe sehr weitreichender, aber dafür umso schwerer nachvollziehbarer Thesen legitimiert, verharmlost und beschönigt.
Alle drei Autoren stellen nämlich klar, welche Haltung sie zur russischen Invasion in der Ukraine einnehmen: Sie befürworten diese uneingeschränkt. Kritik wird nur bei Klara deutlich, allerdings lediglich „an der Halbherzigkeit und am Zuspätkommen des Einsatzes“.
Um die Invasion in der Ukraine irgendwie als legitime Verteidigungsmaßnahme zu deklarieren, führen die Genossen eine Reihe von Faktenbehauptungen an, die in ihrer Gesamtheit ein aus unserer Sicht völlig verzerrtes Bild zeichnen. Das Problem dabei ist, dass es vielen Genossen in der KO schwerfällt, zu bestimmten Detailfragen der politischen und militärischen Entwicklungen fundierte eigene Einschätzungen zu entwickeln und sie deshalb wohl tendenziell unterschätzen, wie sehr die Analysen von Klara, Philipp, Alexander und anderen daneben liegen. Um diese Fehleinschätzungen in einer auch für andere Diskussionsteilnehmer nachvollziehbaren Weise geradezurücken, werden wir sie uns nun Punkt für Punkt vornehmen.
Behauptung 1: „Der russische Einmarsch kam einem geplanten Angriff der NATO auf Russland zuvor“
Der Dreh- und Angelpunkt in Philipps Text ist die These, wonach die NATO kurz davor stand, Russland anzugreifen. Er behauptet: „Die RF war zu der Militäroperation gezwungen, um einen groß angelegten Angriff der NATO und Ukraine auf die Volksrepubliken und die Krim und damit im weiteren Verlauf einen möglichen Angriff auf die RF zu verhindern“. Diese These wird an mehreren Stellen in seinem Artikel wiederholt: „Eine direkte militärische Invasion der Volksrepubliken und der Krim ist das Ziel“; „Es ist davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt die Anstrengungen der NATO, den Angriff vorzubereiten und durchzuführen in eine neue Stufe getreten sind“. „komme ich zu dem Schluss, dass die Russische Föderation mit der Militäroperation in der Ukraine einem Angriff der Ukraine – unterstützt, bewaffnet und finanziert durch die NATO – auf die Volksrepubliken und die Krim, sowie eventuell im weiteren Verlauf eines Angriffs mehrerer NATO-Länder auf die RF, zuvorgekommen ist“. Philipp glaubt sogar zu wissen: „Dadurch konnte ein Zeitvorsprung von ca. ein bis zwei Wochen gewonnen werden“.
Diese Behauptungen sind äußerst weitreichend. Die Belege, die dafür angeführt werden, halten wir allerdings für ausgesprochen dürftig. An einer Stelle verweist Philipp zur Stützung seiner Behauptungen auf einen Artikel von Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung, allerdings belegt dieser keine von Philipps Thesen, vielmehr analysiert er den Konflikt zwischen der NATO und Russland als „gegenseitiges Hochschaukeln“[ii]. Philipp scheint der Überzeugung zu sein, dass das Nachzeichnen der Chronologie des Konfliktes und das Benennen aggressiver Handlungen des westlichen Imperialismus als konkreter Beleg für Angriffsplanungen ausreichend wäre. Dem ist nicht so, wie wir im Verlauf dieses Kapitels auch zeigen wollen.
Der einzige Punkt, den man als Beleg anerkennen könnte, ist die Nennung des von Selenskij unterzeichneten Dekrets zur Rückgewinnung des Donbass und der Krim. Es handelt sich hierbei um das Dekret 117/2021 vom 24. März 2021. Darin wird eine „Strategie zur De-okkupation und Reintegration der temporär besetzten Territorien der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol“ dargelegt, die durch eine Reihe von diplomatischen, militärischen, ökonomischen, informationellen, humanitären und anderen Maßnahmen das Ziel hatte, die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen[iii]. Beweist dieses Dekret wirklich, dass die Ukraine einen Angriff auf die Krim und damit auf Russland konkret geplant hatte?
Zunächst einmal sollte daran erinnert werden, dass die ukrainische Regierung zu keinem Zeitpunkt die Annexion der Krim durch Russland anerkannt hat und daher der ukrainische Anspruch auf „Reintegration“ der Halbinsel nichts Neues darstellte. Bedeutsam ist dabei, dass nun verschiedene Maßnahmen in Auftrag gegeben wurden, um dieses Ziel zu erreichen. Die Aufzählung unspezifizierter militärischer Maßnahmen als ein Unterpunkt neben anderen, u.a. auch diplomatischen, spricht nicht gerade dafür, dass es hier um die konkrete Planung eines offenen Krieges ging. Einen solchen Krieg zu beginnen, wäre für die Ukraine auch ohne Zweifel selbstmörderisch gewesen, denn zumindest auf der Krim wäre dieser Krieg ja unmittelbar ein Krieg zwischen der Ukraine und Russland geworden. Das militärische Kräfteverhältnis zwischen der Ukraine und Russland war (insbesondere vor dem Beginn der massiven Waffenlieferungen seit dem 24. Februar) hoffnungslos für die Ukraine, wenn es um einen ukrainischen Offensivkrieg gehen soll.
Vor allem aber, und das ist das Entscheidende, beweist es sicherlich keinen Plan der NATO, Russland anzugreifen. Genau das ist aber Philipps Behauptung. Er beschränkt sich nicht darauf, einen lokal begrenzten Krieg zwischen der Ukraine und Russland vorherzusagen, wobei die NATO ihrem Verbündeten Ukraine möglicherweise mit Waffenlieferungen unterstützt hätte. Ein solches Szenario scheint Alexander vor Augen zu haben, es bedeutet aber qualitativ etwas völlig anderes. Nein, Philipp behauptet, dass die dramatischste aller möglichen Entwicklungen eingetreten wäre, nämlich ein Weltkrieg zwischen der NATO und Russland.
Man sollte denken, dass ihm die Tragweite einer solchen Behauptung bewusst wäre und er sich daher eigentlich selbst in der Bringschuld sehen sollte, diese These besser zu belegen. Da wir davon ausgehen, dass diese Behauptungen viele Genossen verwirren dürften und zudem dazu beitragen, durch absurde Schreckensszenarien die ganze Diskussion in eine unsachliche Richtung zu verschieben, wollen wir dennoch darauf eingehen. Diese These ist für Befürworter des momentanen russischen Krieges essenziell. Sie übernehmen damit die offizielle russische Propaganda, wonach Russland sich mit seiner Invasion in der Ukraine lediglich „zur Wehr setzen“ würde. Sicherlich kann man grundsätzlich infrage stellen, ob es richtig ist, einem imperialistischen Staat im Fall eines „Verteidigungskrieges“ die Solidarität auszusprechen – Lenins Position war dies keineswegs, wie nun schon oft anhand zahlreicher Zitate gezeigt wurde. Trotzdem macht die Behauptung des „Defensivschlags“ es schwieriger, den russischen Angriff eindeutig zu verurteilen. Für die konkrete Einordnung des Krieges macht es eben doch einen Unterschied, ob – wie behauptet – die Existenz des russischen Staates auf dem Spiel stand oder ob es sich nach den jahrelangen aggressiven Manövern der NATO nun schlicht um eine Gegen-Aggression Russlands handelt.
Wir greifen also die Behauptung Philipps deshalb hier auf, um sie auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Also: Wenn schon nichts für die These des bevorstehenden NATO-Angriffs angeführt werden kann, spricht denn umgekehrt etwas gegen diese These?
In den Beiträgen von Philipp, Klara und Alexander wird mit irreführenden und falschen Behauptungen ein Bedrohungsszenario konstruiert, nach dem die NATO nicht nur die Fähigkeit, sondern auch den Willen habe, Russland in einem offenen Krieg mit konventionellen (oder auch nuklearen) Waffen zu besiegen. Den Genossen ist mit Sicherheit bewusst, dass Russland über ein substanzielles Arsenal nuklearer Gefechtsköpfe und Trägersysteme verfügt und zur Ausschaltung der nuklearen Zweitschlagfähigkeit somit ein massiver Enthauptungsschlag durch die NATO geführt werden müsste. Die Fähigkeit der NATO, einen solchen durchzuführen, resultiert ihrer Auffassung nach sowohl aus der Stationierung strategischer Trägerraketensysteme als auch von ABM-Systemen (Anti-Ballistic Missile) in Osteuropa. Erstere können einen Erstschlag durchführen, während letztere für die Abwehr der verbliebenen Zweitschlagfähigkeit zuständig sind. Während Philipp ein solches Szenario in näherer Zukunft für wahrscheinlich hält, sieht Alexander eher die Androhung der vollständigen Vernichtung als Mittel zur Durchsetzung der NATO-Interessen gegenüber Russland. Beides impliziert aber, dass die Möglichkeit zur vollständigen Enthauptung gegeben ist, denn keiner der beiden Genossen beschäftigt sich mit dem Szenario eines Gegenschlags, Alexander schreibt sogar von der „Verhinderung eines Zweitschlagszenarios“.
Wie ist also das nukleare Kräfteverhältnis tatsächlich, welche Systeme können nach dem öffentlich bekannten Stand der Dinge was leisten und was hat es überhaupt mit den Begriffen auf sich, mit denen hier um sich geworfen wird?
Alle nuklear bewaffneten Staaten der Erde besitzen zusammen geschätzte 13000 nukleare Gefechtsköpfe. Davon entfallen alleine ungefähr 48% auf Russland und 42,5% auf die USA. Nicht alle Gefechtsköpfe sind sofort einsatzbereit, beide Staaten besitzen um die 1800 Gefechtsköpfe, welche vollständig intakt sind, aber für die Demontage eingelagert wurden. Des Weiteren sind, durch die Ratifizierung und Verlängerung des New START Vertrags (New Strategic Arms Reduction Treaty) durch beide Staaten, „nur“ 1458 (Russland) bzw. 1389 (USA) strategische Sprengköpfe auf Raketen oder Bombern aufgestellt und damit unmittelbar einsatzbereit.[iv] Aufgrund fehlender Beschränkung von taktischen Atomwaffen durch Verträge ist die Zahl der einsatzbereiten taktischen Gefechtsköpfe und Systeme unbekannt. Die USA schätzen die Zahl der von Russland aufgestellten taktischen Nuklearwaffen auf 2000. Diese sind für das Szenario eines großangelegten Schlagabtauschs weniger relevant, ihr Zweck ist der Einsatz auf dem Schlachtfeld.[v] Dennoch liegt in ihrer Verbreitung eine besondere Gefahr, nämlich die mögliche „Versuchung“, einen Krieg durch einen begrenzten Atomwaffeneinsatz gegen lediglich militärische Ziele führen zu können, ohne eine massive Antwort des Gegners gegen eigene strategische Ziele zu provozieren. Im Falle eines ausgedehnten Atomkrieges ist natürlich sowieso auch mit dem massiven Einsatz taktischer Gefechtsköpfe zu rechnen. Ihre Vernichtung durch eine Enthauptung ist schon alleine durch die Unbekanntheit ihrer Zahl, Verbreitung und Orte ausgeschlossen.
Wie wir sehen, verfügt Russland also nach wie vor über die meisten Atomwaffen der Welt, trotz umfassender Abrüstung beginnend ab 1987 mit dem inzwischen durch die USA aufgekündigten INF-Vertrag. Angenommen, die NATO würde den besagten Enthauptungsschlag versuchen. Wäre es ihr dann möglich, durch die sogenannten ABM-Systeme einen Vergeltungsschlag mit den verbliebenen Raketen zu verhindern?
Raketenabwehrsysteme bestehen aus einem Netz von Radaranlagen und Raketenstellungen. Auf Seiten der NATO ist zu unterscheiden zwischen dem GMD-System (Ground-Based Midcourse Defense System) und Systemen wie „Patriot“, „THAAD“ oder dem „Aegis Combat System“.
Das GMD ist das Hauptsystem zur Raketenabwehr in den USA. Es hat die Aufgabe auf die USA abgefeuerte ballistische Interkontinentalraketen im Weltraum abzufangen, bevor sie wieder in die Erdatmosphäre eintreten. Im Jahr 2018 bestand es lediglich aus 44 Abfangraketen, zusätzlich wird die Wahrscheinlichkeit einer einzelnen Abfangrakete ein einzelnes Ziel erfolgreich abzufangen mit lediglich 56% angegeben. Das System ist damit völlig ungeeignet einen massiven Schlag mehrerer hundert bis tausend ballistischer Flugkörper in relevantem Ausmaß zu beeinträchtigen, geschweige denn zu verhindern. Das System kann realistischerweise nur einen Vergeltungsschlag einer kleinen Atommacht wie Nordkorea mit einer Handvoll abgefeuerter Interkontinentalraketen abfangen und dies vermutlich auch nur teilweise[vi].
Patriot, THAAD und Aegis sind mobile Systeme. Ihre Stationierung in Osteuropa seit einigen Jahren dient zweifellos unter anderem dem Ziel, im Falle eines Atomkrieges mit Russland die russische Zweitschlagsfähigkeit (oder ggf. Erstschlagsfähigkeit) einzuschränken – d.h. die NATO soll dadurch in die Lage versetzt werden, ihre Atomraketen auf Ziele in Russland abzufeuern, ohne dass Russland gegen die europäischen Verbündeten der USA zurückschlagen kann. Der offensive und aggressive Charakter dieses „Abwehrschildes“ ist damit offensichtlich. Doch bedeutet das, dass der Atomkrieg gegen Russland aus NATO-Sicht wirklich „führbar“ wird und dabei die eigene Vernichtung vermieden werden kann? Auf einen nuklearen Schlag gegen die USA selber haben diese Systeme in Osteuropa kaum Einfluss. Um das zu erkennen genügt ein Blick auf den Globus und die Tatsache, dass Interkontinentalraketen tief in russischem Gebiet ins Weltall gestartet werden können, der maximale Einsatzradius von Systemen wie Patriot oder THAAD aber bei weniger als 200km liegt.[vii] Auch die reale Möglichkeit eine relevante Zahl von – geschweige denn alle – Raketen, die auf europäische Länder abgefeuert würden abzufangen ist definitiv nicht gegeben. Erstens ist die Zahl der eingesetzten Systeme viel zu gering. Beispielsweise wird das Patriot System von Deutschland, Griechenland, Spanien und Rumänien eingesetzt. Zukünftig soll es auch von Polen eingesetzt werden. Polen will 4 Einheiten mit insgesamt 16 Startfahrzeugen kaufen, bei 4 unmittelbar einsatzbereiten Raketen pro Startfahrzeug ergibt das eine Zahl von 64 Abfangraketen.[viii] Diese Zahl steht in keinem Verhältnis zu den einsatzbereiten nuklear bestückbaren ballistischen Raketen oder Marschflugkörpern Russlands. Zweitens ist die Erfolgsrate der Systeme bisher relativ gering. Das Patriot System hat zwar in der Zwischenzeit Upgrades unterlaufen, wurde aber bereits im Ersten Golfkrieg das erste Mal eingesetzt, als der Irak 88 ballistische Kurzstreckenraketen auf Saudi Arabien und Israel abfeuerte. Laut einer Aussage des MIT-Professors Postol und seines Kollegen Pedatzur von der Tel Aviv Universität vor dem US-Kongress 1992, erreichte das Patriot System eine Erfolgsrate von weniger als 10% beim Versuch diese einfach konstruierten, ballistischen Raketen abzufangen.[ix]
Die Performance des Systems bei aktuellen Konflikten wie dem Saudi Arabischen Krieg im Jemen lässt ebenfalls zu wünschen übrig. So konnten die sechs durch Saudi Arabien eingesetzten Patriot Bataillone beispielsweise im September 2019 nicht die kritische Ölinfrastruktur vor veralteten ballistischen Kurzstreckenraketen vom „Scud“-Typ beschützen.[x] Auch hochgepriesene moderne Systeme, wie der erst 2010 in Betrieb genommene israelische „Iron Dome“ erreichen Berichten zufolge geringe Abfangquoten.[xi]
Eine wesentlich größere Gefahr für den Erhalt der russischen Zweitschlagfähigkeit gegen Ziele in den USA, stellt das hochmoderne seebasierte Aegis System dar. Obwohl die USA große Anstrengungen unternehmen diese Raketen in hoher Stückzahl auf ihren Kriegsschiffen zu stationieren, liegt die Gesamtzahl der bereiten Raketen vermutlich unter 300. Die theoretische Fähigkeit mit den neuesten Raketen Interkontinentalraketen abzufangen wurde im November 2020, jedoch in lediglich einem einzigen Test, zwar demonstriert.[xii] Es gibt keine Daten, wie das System im Einsatz abschneidet, aber die Auswertung der Tests schafft ernstzunehmende Zweifel an der Effektivität auch dieses Systems, selbst gegen potenzielle Gegner wie den Iran oder Nordkorea. Zahlreiche Gegenmaßnahmen können sowohl Erfassung als auch Zerstörung verhindern.[xiii]
Zu solchen Gegenmaßnahmen gehört die schon seit den späten 60er Jahren eingesetzte sogenannte MIRV-Technologie (Multiple Independently Targetable Reentry Vehicle), welche es erlaubt auf einer ballistischen Rakete mehrere Gefechtsköpfe und Täuschkörper unterzubringen. Die Täuschkörper verfolgen den Zweck die Raketenabwehr des Gegners durch die hohe Zahl an unabhängigen Flugkörpern auszutricksen und zu überfordern, sodass diese die tatsächlichen Gefechtsköpfe nicht verlässlich abfangen kann. Rechnet man die Zahl der dadurch eingesetzten Gefechtsköpfe, ob reale Bedrohung oder nur Täuschung, gegen die verfügbaren Abwehrraketen auf, wird klar, dass die potenzielle Fähigkeit einen massiven Atomschlag abzufangen noch deutlich sinkt. Zusätzlich wurden in den 80er Jahren die sogenannten MARV (Maneuverable Reentry Vehicle) entwickelt und aufgestellt, welche durch zufällige und unberechenbare Ausweichmanöver zusätzlich die Raketenabwehr erschweren. Wir sehen also: Entgegen der Vorstellung von Alexander und Philipp ist es absolut nicht trivial, einen feindlichen Angriff mit Atomraketen zu verhindern. Solche Raketen auf ihrer Flugbahn abzuschießen ist technisch äußerst schwierig, zumal seit Jahrzehnten große Anstrengungen unternommen werden, um genau dies weiter zu erschweren. Auch die USA sind dazu bisher, trotz aller Anstrengungen, nur in geringem Maße in der Lage.
Die also faktisch nicht vorhandene Sicherheit gegenüber ballistischen Raketenangriffen wird zusätzlich durch neuere Entwicklungen von sogenannten Hyperschallraketen unterlaufen. Diese bewegen sich mit Geschwindigkeiten von über Mach 5 durch die Atmosphäre und sind damit weniger vorhersehbar als die Trajektorie einer ballistischen Interkontinentalrakete, welche sich auf einer elliptischen (oder abgesenkten) Flugbahn durch den Weltraum mit anschließendem Wiedereintritt in die Atmosphäre bewegt.[xiv] Interessanterweise findet in Philipps Beitrag lediglich die angebliche Stationierung von Hyperschallraketen in Osteuropa durch die NATO Erwähnung. Um welche Systeme es sich dabei handeln soll, in Anbetracht der Tatsache, dass sich solche Waffen auf Seiten der NATO nur in einem experimentellen Stadium befinden, bleibt offen. Auch wird verschwiegen, dass Russland und China bei dieser Technologie weit voraus sind und bereits solche Waffen im Einsatz haben.[xv]
Nicht zuletzt ist ein nicht unerheblicher Teil der strategischen nuklearen Waffen auf U-Booten stationiert, deren Ort dem Gegner im Idealfall völlig unbekannt ist, welche über lange Zeiträume unabhängig operieren, über lange Zeit in den Tiefen verbleiben können und von denen aus atomare Schläge mit minimaler Vorwarnzeit möglich sind. Es ist praktisch unmöglich diesen Teil der nuklearen Abschreckung zu „enthaupten“.
Die Entwicklung und Verbreitung neuer, zielgenauer U-Boot-gestützten Atomwaffen veranlasste die UdSSR in den 80er Jahren das „Perimeter“-System zu entwickeln, da die Gefahr bestand, dass, wenn die NATO zu der Überzeugung gelangt die sowjetische Führung durch einen präzisen Erstschlag vollständig ausschalten zu können, sie diesen auch real erwägen würde. Das System stellt durch teilweise automatische Systeme sicher, dass selbst in diesem Fall die Fähigkeit zur nuklearen Vergeltung aufrecht erhalten bleibt und ein Gegenschlag durchgeführt wird.[xvi] Mutmaßlich ist dieses System nach wie vor für Russland im Einsatz, wie der Oberbefehlshaber der russischen strategischen Raketentruppen Karakajew 2011 bestätigte.[xvii]
Zusammengefasst: Ein atomarer Angriff gegen Russland wäre reiner Wahnsinn und sicherlich nicht im Interesse des westlichen Imperialismus. Wie sieht es dagegen mit einem konventionellen Angriff der NATO auf Russland aus?
Auch ein solcher Krieg wäre aus Sicht der NATO in höchstem Maße irrational und selbstmörderisch. Führen die Imperialisten Kriege, um sich selbst und die ganze Welt zu vernichten oder um ihre strategischen Ziele zu erreichen? Offensichtlich ist letzteres ist der Fall. Der Krieg ist, wie Carl von Clausewitz sagte, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Bei einem Krieg mit Russland gibt es für die westlichen Imperialisten nicht viel zu gewinnen und alles zu verlieren. Zu gewinnen gäbe es möglicherweise Zugeständnisse Russlands oder, was unwahrscheinlich ist, Gebietsabtretungen – all das aber nur unter zwei durchaus zweifelhaften Voraussetzungen: Erstens, dass der Krieg auf der konventionellen (d.h. nicht-atomaren) Ebene verbleibt und zweitens, dass die NATO einen konventionellen Krieg auf russischem Boden gewinnen würde. Eine Schwächung Russlands ist auf anderem Wege sehr viel billiger und risikoärmer zu haben: Durch wirtschaftliche Sanktionen, das Schüren von Krisenherden an Russlands Grenzen, die Verwicklung Russlands in ein Wettrüsten, das es nicht gewinnen kann usw. Weil das die aus westlicher Sicht weitaus sinnvolleren Optionen sind, sind es auch – im Gegensatz zum herbeiphantasierten NATO-Angriffskrieg – die Optionen, die der Westen wählt.
Doch die Annahme, dass ein Angriff auf Russland keinen atomaren Vergeltungsschlag nach sich ziehen würde, ist ohnehin höchst gewagt. Die Sowjetunion hatte explizit in ihrer Nukleardoktrin auf Erstschläge verzichtet und selbst bei existenzieller Bedrohung des Staates versichert nur konventionell zu antworten. Erst ein atomarer Schlag des Gegners hätte eine atomare Antwort der Sowjetunion hervorgerufen.[xviii] Mit dem Ende der Sowjetunion hat Russland diese Selbsteinschränkung aufgegeben. In der finalen Fassung der neuen Doktrin aus dem Jahr 2010 behält sich Russland das Recht vor Atomwaffen einzusetzen. Einerseits als Antwort auf die Benutzung von nuklearen Waffen oder anderen Massenvernichtungswaffen gegen Russland oder seine Verbündeten durch den Gegner. Andererseits auch bei einer Aggression durch konventionelle Waffen, welche die Existenz des Staates bedroht.[xix] Die durch den Genossen Alexander herbeibeschworene „faktische“ Gefährdung der Existenz Russlands durch die Ukraine würde also, wenn sie denn tatsächlich real wäre, einen nuklearen Erstschlag Russlands im Sinne der russischen Doktrin erst rechtfertigen können. Ganz zu schweigen von einer großangelegten NATO-Offensive auf russisches Territorium. Die NATO-Strategen würden also ihre Offensive in dem Wissen planen, dass ihr Erfolg höchstwahrscheinlich zu vernichtenden atomaren Schlägen gegen die Länder der NATO führen würde.
Was ist die Schlussfolgerung aus all diesen militärischen Details? Ein Atomkrieg mit Russland würde auch für den Westen vernichtende Gegenschläge und ein Ausmaß an Zerstörung bedeuten, das es in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben hat. Die USA wären, wenn sie den Krieg in irgendeiner Form als Staat überleben würden, keine Supermacht mehr, vermutlich auch keine Großmacht, sondern eine atomare Wüste mit Dutzenden Millionen Toten, verstümmelten und verstrahlten Menschen. Für Europa würde dasselbe gelten. Als unangefochtene Supermacht bliebe in dem Fall allein China.
Doch nicht einmal die Nichteinmischung Chinas kann als garantiert angesehen werden. Denn Russland und China sind Verbündete im Rahmen der SCO (Shanghai Cooperation Organisation). Seit dem Beitritt Indiens und Pakistans zur SCO umfassen die Staaten des Bündnisses fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Über die Entwicklung und Rolle der SCO im imperialistischen Ringen muss zukünftig dringend mehr geforscht werden.
Der Eintritt Chinas in einen Atomkrieg und insbesondere auch in einen konventionellen Krieg würde eine erhebliche Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten Russlands bedeuten. China besitzt das personell stärkste Militär[xx] und die zahlenmäßig größte Kriegsflotte der Welt.[xxi] Es ist nach den USA das Land mit den höchsten Militärausgaben.[xxii] Obwohl sich die militärische Zusammenarbeit der SCO Länder offiziell hauptsächlich auf „Anti-Terror“-Operationen beschränkt, wurden die gemeinsamen militärischen Aktivitäten der SCO in den letzten Jahren umfassend ausgebaut. Seit 2003 wurden mehr als 24 (Stand 2018) gemeinsame Militärübungen durchgeführt, an denen jeweils mehrere Tausend Soldaten teilgenommen haben.[xxiii] Solche „Kriegsspiele“ großen Ausmaßes dienen wohl kaum der gemeinsamen „Terrorabwehr“, sondern vielmehr der Schaffung eines Militärbündnisses in Konkurrenz zur NATO. Sie finden zwar nicht in direkter Nachbarschaft zu den USA statt (im Gegensatz zu den NATO-Manövern, die bewusst in geografischer Nähe Russlands abgehalten werden), doch sicherlich können sie von Verbündeten der USA in der Region wie Japan, Südkorea und Australien ebenfalls als Bedrohung ihrer Sicherheitsinteressen interpretiert werden. Um einen möglichen Einwand vorwegzunehmen: Die SCO ist selbstverständlich nicht ohne Widersprüche. Indien hat sowohl mit Pakistan als auch China ungelöste Grenz- und Territorialkonflikte, obwohl alle drei Staaten Vollmitglieder der SCO sind. Ähnliches gilt allerdings auch für die NATO, bekanntlich sind mit Griechenland und der Türkei zwei NATO-Mitgliedsländer immer wieder (bei der türkischen Invasion Zyperns 1974, in den 90ern bei der Imia-Krise und in den letzten Jahren erneut) haarscharf an einem Krieg vorbeigeschrammt. All das ändert nichts daran, dass NATO und SCO die beiden wichtigsten und sich im Wesentlichen in Rivalität gegenüberstehenden Militärbündnisse der Welt sind.
Bezeichnend ist, dass Philipp die Militärübungen der russischen Seite zwar benennt, aber sogleich betont, dass es reine NATO-Propaganda sei, diesen einen aggressiven Charakter zuzuschreiben – während er umgekehrt jede noch so kleine Aktion der NATO als Beleg für ihre Angriffsplanungen wertet. In höchst irreführender Weise spricht Philipp von 2022 geplanten Angriffsoperationen der NATO gegen Russland und Weißrussland, obwohl es sich in Wirklichkeit „nur“ darum handelte, in den Manövern einen möglichen Krieg mit Russland zu simulieren. Es wäre wichtig, besser darauf zu achten, wie objektive Fakten wahrgenommen werden, ansonsten wird eine objektive wissenschaftliche Untersuchung eines so heiß umstrittenen Themas kaum gelingen.
Es entspricht auch gar nicht der aktuellen geopolitischen Strategie der USA, in Europa einen extrem gefährlichen Krieg mit Russland vom Zaun zu brechen, der im „besten“ Fall, d.h. in dem Fall, dass er auf der konventionellen Ebene bleibt, über längere Zeit einen Großteil der Streitkräfte und Ressourcen der USA binden würde. Der Hauptrivale der USA im zwischenimperialistischen Ringen ist nicht Russland, sondern die VR China. Spätestens mit der Ausrufung des „pazifischen Jahrhunderts“ durch die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton im Jahr 2011 ist die Verlagerung des „Engagements“ der USA in den Indo-Pazifischen Raum klare Strategie und der Öffentlichkeit bekannt.[xxiv] Das gibt auch Alexander zu, offenbar aber ohne die Implikation zu erkennen, dass diese Tatsache alleine bereits gegen die behaupteten Angriffspläne der NATO auf Russland spricht.
Hinzu kommt allerdings noch ein weiteres schwerwiegendes Gegenargument, das ebenfalls für sich genommen ausreichen würde, um große Zweifel an den Behauptungen der Genossen zu wecken: Es ist äußerst zweifelhaft ob ein Krieg der NATO gegen Russland überhaupt operativ durchführbar wäre bzw. was seine Aussichten wären, nicht in einem völligen Debakel für die NATO zu enden.
Wie sieht das militärische Kräfteverhältnis in Osteuropa konkret aus? Dafür hilft es wenig, die Truppenstärke aller NATO-Länder zu addieren und dann der Armee der Russischen Föderation gegenüberzustellen. Die Truppen der USA und in geringerem Maße auch anderer NATO-Staaten sind zum Teil auf der ganzen Welt verstreut und in anderen Kriegen gebunden. Doch auch für Kontingente, auf die dies nicht zutrifft, gilt, dass es kaum möglich wäre, riesige Truppenverbände von Hunderttausenden oder Millionen Soldaten innerhalb weniger Tage und Wochen ins Baltikum oder nach Osteuropa zu verlagern und zu versorgen.
Konkret standen im Januar 2022 laut Medienberichten in den NATO-Verbänden 4000 Soldaten in Polen und im Baltikum und weitere 4000 in Rumänien und Bulgarien. Hinzu kommen natürlich die regulären Truppen der genannten Länder: Polen und die drei baltischen Republiken verfügen zusammengenommen über eine aktive Mannstärke von weniger als 150.000 Soldaten. Die russischen Streitkräfte umfassen eine aktive Personalstärke von 850.000 Mann[xxv]. Bei Panzern, Artillerie oder Flugzeugen liegt das Stärkeverhältnis gegenüber Russland zwischen 1:10 und 1:20. Bei Kriegsschiffen ist es noch deutlich schlechter. Insgesamt haben die USA 74.000 Truppen in Europa stationiert, allerdings sind nicht alle davon im aktiven Dienst und die meisten davon nicht in Osteuropa[xxvi].
Vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine stand die NATO lediglich im Baltikum, genauer gesagt in Lettland und Estland, an der russischen Grenze. Hinzu kommen natürlich die Grenzen Litauens und Polens mit der Enklave Kaliningrad. In der Ukraine selbst waren und sind keine regulären Kampfverbände der NATO stationiert.
Der Vollständigkeit halber: Auf der anderen Seite der Welt liegen der russische Ferne Osten und Alaska sich ebenfalls gegenüber. Der militärische Sinn einer Invasion in diesem strategisch eher wertlosen und unwegsamen Gelände ist allerdings sehr zweifelhaft. Ein Angriff der NATO wäre also höchstwahrscheinlich aus dem Baltikum erfolgt (oder von Polen aus über Belarus). Nun muss man nur einmal die Landkarte ansehen: Die Versorgungslinien der NATO bei einem Krieg im Baltikum wären gelinde gesagt problematisch gewesen. Zwischen Belarus und Kaliningrad sind Polen und Litauen lediglich durch einen dünnen Grenzstreifen, die sogenannte „Suwalki-Lücke“ verbunden. Im Fall eines Krieges, der Belarus einbezieht, könnten russische und weißrussische Verbände möglicherweise in einem schnellen Schlag eine Brücke nach Kaliningrad herstellen und damit das gesamte Baltikum und alle dort stationierten Verbände einschließen. Die Versorgung dieser Truppen müsste dann über das baltische Meer erfolgen, wo Russland leicht die Lufthoheit erringen und feindliche Schiffe mit Antischiffsraketen effektiv und kostengünstig bekämpfen könnte. Die eingeschlossenen Verbände könnten kaum evakuiert werden und würden Gefahr laufen, schließlich von der lokalen russischen Übermacht aufgerieben zu werden. Doch selbst bei einem für die NATO günstigeren Verlauf des Krieges: In jedem Fall wäre es ein Krieg, den die NATO, sobald sie die Grenze überschreitet, auf feindlichem Gebiet kämpfen müsste, wobei sie den Nachteil schlechterer Ortskenntnis und einer feindseligen Zivilbevölkerung hätte, zusätzlich zu einer weitaus schlechteren Versorgung.
Ein offensiver Krieg mit mechanisierten und gepanzerten Verbänden, der Vorstöße ins feindliche Gebiet gestützt auf Luftüberlegenheit versuchen würde, benötigt zudem Unmengen an Treibstoff. Dies stellt ein weiteres schweres strategisches Hindernis eines solchen Krieges dar. Denn auch in Friedenszeiten können die europäischen Länder ihren Bedarf an Öl nicht ohne Russland decken, weshalb der Ölhandel bekanntlich trotz der Konfrontation in der Ukraine weiter läuft. 2022 beziehen die europäischen Länder mehr als ein Viertel ihres Rohöls aus Russland[xxvii]. In Kriegszeiten würde der Bedarf an Öl massiv ansteigen, die Abhängigkeit von Russland würde sich also noch viel stärker bemerkbar machen. Die USA sind zwar vom russischen Öl unabhängig, dies gilt allerdings nur auf ihrem eigenen Kontinent. Ein Krieg in Europa würde also enorme Öllieferungen über den Atlantik voraussetzen, was die Versorgungslinien wiederum verwundbar machen würde. Es ist völlig unklar, wie unter diesen Bedingungen aktuell ein Krieg gegen Russland möglich wäre, wenn Russland doch die Quelle eines erheblichen Teils des Treibstoffs ist, der für einen solchen Krieg benötigt wird. Offensichtlich ist dagegen, dass das deutsche Kapital es sich momentan noch nicht einmal leisten kann, auf die russischen Erdgasimporte zu verzichten, geschweige denn einen Krieg gegen das Land vom Zaun zu brechen, aus dem sie kommen. Zwar gibt es Bemühungen vieler westlicher Staaten, sich von den Öl- und Gasimporten aus Russland unabhängig zu machen, allerdings ist diese Unabhängigkeit noch lange nicht erreicht und es ist fraglich, ob es jemals vollständig dazu kommen wird. Schließlich haben auch die OPEC-Staaten ihre eigenen Interessen und folgen oftmals nicht den Bedürfnissen von USA und EU, wie sich auch an der aktuellen Weigerung einiger Staaten zeigt, ein Ölembargo gegen Russland mit umzusetzen[xxviii].
Nicht zuletzt spricht die offensichtliche Tatsache, dass die NATO nicht einmal bereit ist aktiv mit ihren Truppen in den jetzigen Krieg einzugreifen vollkommen gegen die These, die NATO habe einen Angriff auf Russland geplant. Ein Angriff von ukrainischem Territorium aus sollte also Philipp zufolge unmittelbar bevorstehen, aber die Ukraine gegen einen russischen Angriff verteidigen liegt außerhalb der Möglichkeiten oder des politischen Willens der NATO-Führung? Warum kündigte die NATO ihre militärische Nichteinmischung bereits vor der russischen Invasion an? Warum erteilt sie wiederholt dem Flehen der Ukraine nach einer Flugverbotszone klare Absagen? Wieso packt die NATO nicht die Gelegenheit beim Schopf und setzt ihren von langer Hand geplanten Angriff auf Russland nun in die Tat um? Warum stoßen keine NATO-Verbände vom Baltikum aus Richtung St. Petersburg vor? Wäre das gerade nicht der günstigste Moment dafür, wo Russland mit einem erheblichen Teil seiner einsatzfähigen Streitkräfte in einen verlustreichen Krieg an seiner Südwestflanke verwickelt ist? Warum hält die NATO sich bisher an ihre Aussage, keine Kampftruppen in die Ukraine zu schicken? Böten sich nicht auch dafür beste Voraussetzungen, um die russischen Verluste in der Ukraine in die Höhe zu treiben, um danach zur Gegenoffensive überzugehen?
Wäre das nicht der perfekte Auftakt zum geplanten Dritten Weltkrieg, bei dem man sich selbst auch noch als selbstloser Hilfeleister der bedrängten Ukraine präsentieren könnte?
Die Antwort auf all diese Fragen liegt doch auf der Hand: Die USA und der Großteil der NATO betreiben seit Jahren die Strategie, den Konflikt unterhalb der Schwelle des offenen Krieges mit Russland weiter köcheln und eskalieren zu lassen. Diese Strategie ist selbstverständlich brandgefährlich, weil es keine Garantie gibt, dass diese Schwelle infolge der Eskalation nicht doch überschritten wird. Das bedeutet aber nicht, dass dies das Ziel wäre.
Trotz aller dieser Widersprüche und unbeantworteter Fragen behauptet Philipp, der Angriff Russlands auf die Ukraine sei einem Angriff der NATO auf Russlands nur „ein bis zwei Wochen“ zuvorgekommen. Es findet sich in seinem Text keinerlei Beleg für diese doch wunderlich präzise Angabe. Nicht einmal die Behauptung des geplanten Angriffs selbst kann er beweisen. Die präsentierten Belege können nicht ansatzweise überzeugen. Es werden hauptsächlich NATO-Truppenverlegungen von wenigen tausend Soldaten angeführt, welche wohl kaum als Beweis für eine bevorstehende Invasion herhalten können. Ein Beispiel: Unmittelbar vor Beginn des Krieges verkündeten die USA am 12. Februar im Rahmen einer Übung angesichts der sich zuspitzenden Lage acht F-16 Kampfflugzeuge und 1000 Soldaten nach Rumänien verlegt zu haben. Einige Tage zuvor hatten sie bereits vier F/A-18 verlegt und 8500 Soldaten in erhöhte Bereitschaft versetzt um schnell verlegt werden zu können.[xxix] Wer da behauptet, dass es sich um konkrete Angriffsvorbereitungen handelt, der vergisst 1. dass zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 100.000 russische Soldaten an der russisch-ukrainischen Grenze massiert waren[xxx] und 2. dass die NATO beispielsweise vor ihrem Angriffskrieg gegen den Irak im Jahr 1991 2700 (!) Flugzeuge zusammengezogen hatte.[xxxi] Glaubt die NATO wirklich, dass Russland ein wesentlich schwächerer Gegner als der Irak ist? Diese riesige Diskrepanz ist wohl eher damit zu erklären, dass es sich bei der Verlegung um reine Symbolpolitik gehandelt hat, welche zwar – wie jede Truppenverlegung und jedes Manöver an der Grenze Russlands – ein Akt der Aggression ist, aber von einer konkreten Angriffsvorbereitung weit entfernt ist. Dass nach dem Beschluss der russischen Duma die „Volksrepubliken“ anzuerkennen und der damit einhergehenden Zuspitzung zusätzliche Soldaten verlegt wurden, dürfte auch niemanden wundern. In diesem Fall war es aber die NATO, die auf einen aggressiven Schritt Russlands reagiert hat.
Wir denken, dass wir ausreichend Fakten angeführt haben, um die Absurdität der These eines NATO-Angriffskrieges gegen Russland offengelegt zu haben. Wenn Genossen weiterhin an dieser Behauptung festhalten wollen, sind sie hiermit dazu aufgefordert, unsere Argumente zu widerlegen und endlich stichhaltige eigene Argumente für ihre These ins Feld zu führen.
Behauptung 2: „Russland hatte keine Alternative zur Invasion in der Ukraine“
Eine weitere Behauptung der Genossen besteht darin, dass Russland keine Optionen übrig blieben außer der, die „militärische Spezialoperation“ zu beginnen. So schreibt z.B. Klara: „Russland musste meiner Ansicht nach in diese „Falle“ gehen und versucht noch trotz der schlechten Gesamtsituation das Bestmögliche herauszuholen, eine Alternative zum jetzigen militärischen Vorgehen hatte Russland nicht. Für diejenigen, die das nicht verstehen wollen: die Unterwerfung ist keine Alternative und es ist entweder naiv zu glauben, dass ein Land sich wehrlos unterwerfen würde oder es ist reiner Chauvinismus die Unterwerfung als Alternative zu bezeichnen“.
Im Gegensatz zum Genossen Philipp, der konkrete Angriffsvorbereitungen der NATO auf Russland sieht, vertritt Genosse Alexander die These, dass die NATO nicht auf eine direkte Konfrontation mit Russland aus ist. Stattdessen sollte Russland durch einen Angriff der Ukraine auf das Donbass mit nur indirekter NATO-Unterstützung in eine offene militärische Auseinandersetzung gezwungen werden. Dass solche Pläne im Geheimen existiert haben könnten ist natürlich nicht vollständig auszuschließen. Es erschließt sich allerdings nicht, inwiefern das einen „Präventivschlag“ Russlands rechtfertigt, insbesondere nachdem die Erlässe zur Anerkennung der beiden „Volksrepubliken“ am 21. Februar in Kraft getreten und russische Truppen an die Kontaktlinie verlegt wurden. Hätte Russland nicht, wenn die Angriffsplanungen real waren, einen ukrainischen Angriff abwarten und erst dann zurückschlagen können? Damit hätten die russischen Truppen zwar für eine gewisse Zeit die Initiative verloren, es ist jedoch schwer vorstellbar, dass die ohnehin deutlich unterlegene ukrainische Armee an einer seit 8 Jahren bestehenden Frontlinie signifikante Fortschritte bei einer Angriffsoperation gegen eingegrabene und vorbereitete russische Einheiten hätte erzielen können. Stark vereinfacht lautet die militärtheoretische Daumenregel, dass ein Angreifer eine Übermacht von 3:1 erzielen muss, um einen Gegner in vorbereiteten Positionen besiegen zu können. Das benötigte Verhältnis, um einen Gegner aufzuhalten bis zusätzliche Kräfte mobilisiert werden können wird sogar mit nur 1:6 zugunsten des Verteidigers angegeben.[xxxii] Zusätzlich hätte Russland mit einem von der Ukraine ausgehenden Angriffskrieg zumindest teilweise die moralische Oberhand gegenüber der Weltöffentlichkeit behalten, es wäre unnötig gewesen die Tatsache, dass Krieg geführt wird, mit lächerlichen Begriffen wie der „militärischen Spezialoperation“ zu verschleiern oder unsinnige Propagandabehauptungen zur Rechtfertigung des eigenen Handelns in die Welt zu setzen.
Auch das Argument, dass ein potenzieller NATO-Beitritt der Ukraine in ungewiss entfernter Zukunft eine „existenzielle Bedrohung“ für Russland ist, wird durch die Tatsache, dass der aktuelle Krieg kurzfristig zum NATO-Beitritt Finnlands und vermutlich auch Schwedens führt vollkommen ad absurdum geführt.[xxxiii] Bereits im Jahr 2008 erhielt die Ukraine auf dem NATO-Gipfel in Bukarest eine grundsätzliche Beitrittsperspektive durch Unterstützung der USA. Jedoch sprachen sich schon damals insbesondere Deutschland und Frankreich gegen einen Beitritt der Ukraine aus.[xxxiv] Diese Politik hat sich zumindest aus Sicht der deutschen Regierung über die Jahre nicht geändert.[xxxv] Diese Tatsache widerspricht auch der Vorstellung, dass nicht auch im imperialistischen NATO-Bündnis widersprüchliche Positionen und Interessen existieren. Finnland pflegte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs traditionell gute Beziehungen zur Sowjetunion und später Russland und blieb weitgehend neutral zwischen den beiden Blöcken[xxxvi]. Das lag im Interesse Russlands, denn seine geografische Lage macht Finnland zu einer besonderen potenziellen Bedrohung. Beide Länder teilen heute eine 1300km lange Grenze und die russische Millionenstadt St. Petersburg (ehemals Leningrad) ist weniger als 170km von der finnischen Grenze entfernt. Finnland ist nicht nur deswegen als weitaus wertvollerer Verbündeter für die NATO zu betrachten als die Ukraine: obwohl es nur ein Achtel der Bevölkerung hat, erwirtschaftet es ein 73% höheres BIP.[xxxvii] Dass Finnland auch ein politisch wesentlich stabileres Land ist, welches sich nicht seit acht Jahren im Bürgerkriegszustand befindet, braucht nicht weiter erläutert zu werden.
Ohnehin ist die Argumentation Klaras hier sehr problematisch: Sie rechtfertigt Russlands Krieg damit, dass die Alternative eine „Unterwerfung“ gewesen wäre. Was ist hier mit „Unterwerfung“ gemeint? Dass Russland, hätte es nicht die Ukraine angegriffen, zu einer „Kolonie“ des Westens geworden wäre? Das ist offensichtlich absurd, denn der russische Großmachtstatus hängt nicht primär davon ab, was im wesentlich schwächeren und ärmeren Nachbarland Ukraine passiert. Oder einfach nur, dass es einen Teil seiner geostrategischen Ziele nicht erreicht hätte? Falls das so gemeint war, mag das stimmen oder auch nicht. So oder so bedeutet Klaras Aussage dann aber einfach, dass sich die Arbeiterklasse mit den Interessen des russischen Imperialismus und der möglichst erfolgreichen Durchsetzung all seiner Pläne identifizieren soll. So wird Klara das wohl nicht gemeint haben – allerdings ist auch nicht klar, wie sie es sinnvollerweise gemeint haben könnte.
Behauptung 3: „Der Krieg ist objektiv im Interesse der Arbeiterklasse und verbessert ihre Kampfbedingungen“
In der ganzen Diskussion ist bisher auf Seiten der Kriegsbefürworter die Perspektive der Arbeiterklasse auf den Krieg in bezeichnendem Maße abwesend. Es wird abgelehnt, von einem zwischenimperialistischen Krieg zu sprechen, als Ursache für den Krieg werden lediglich auf einer Seite imperialistische Motive ausgemacht, auf der russischen Seite hingegen vermeintlich klassenübergreifende „Sicherheitsinteressen“. Dadurch eröffnen die Autoren sich die Möglichkeit, noch einen Schritt weiter zu gehen: Wenn der Krieg nicht imperialistisch ist, jedenfalls nicht von Seiten Russlands, dann könnte es sich ja um einen Krieg im Sinne der Arbeiterklasse handeln! Schließlich unterschied doch auch schon Lenin imperialistische Kriege von legitimen nationalen Befreiungskriegen.
Alexander behauptet: „Die Absetzung der ukrainischen Regierung und Entmilitarisierung des Landes ist in der Tat das Ziel der russischen Intervention. Dieses Ziel fällt in dieser konkreten Situation mit dem Interesse der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse zusammen.“. Auch Nasrin „möchte (…) die These aufstellen, dass die russische Militärintervention grundsätzlich sowohl im Interesse der ukrainischen wie auch der russischen Arbeiterklasse ist“.
Stimmt das? Ist der aktuelle Krieg, der von Alexander als „Intervention“ verharmlost wird, im Interesse der russischen und sogar der ukrainischen Arbeiterklasse?
Fangen wir mit letzterer an: Die ukrainische Arbeiterklasse hat bisher seit Beginn der russischen Invasion einen schwer abschätzbaren, aber sicherlich im Bereich einiger Tausend Leben liegenden Blutzoll entrichtet. Das betrifft zum einen einige Tausende gefallene Soldaten, auf der anderen Seite aber auch Zivilisten, d.h. Männer, Frauen und Kinder, die durch Bombardements, Raketenangriffe und Feuergefechte ums Leben gekommen sind. Nach Angaben der UN waren bis zum 15. Mai knapp 3.700 zivile Todesopfer und fast 3.900 verwundete Zivilisten bestätigt. Der Großteil dieser Opfer war das Ergebnis von Beschuss durch schwere Artillerie, MLRS (Mehrfachraketenwerfer), Luft-Boden-Raketen oder Marschflugkörper. Sicherlich muss eine Dunkelziffer hinzuaddiert werden[xxxviii]. Westliche Medien zitieren zudem eine Vielzahl von Augenzeugen, die von Kriegsverbrechen russischer Truppen berichten. Da der Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen sich schwer zu 100% überprüfen lässt und die Lage der ukrainischen Arbeiterklasse selbst ohne Berücksichtigung solcher Akte ohne Zweifel katastrophal ist, sollen sie hier aber außen vor gelassen bleiben.
Auch die russische Arbeiterklasse bezahlt den Krieg teuer mit Tausenden Leben von meist jungen Rekruten, die teilweise offenbar anfangs in den Krieg geschickt wurden, ohne dass ihnen der Charakter ihres Einsatzes bewusst war.
Nun könnte die Behauptung aufgestellt werden, dass sich durch den Krieg die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse – die ja nun wahrlich auch vor dem 24. Februar nicht gerade erfreulich waren – so stark verbessern werden, dass diese Todesopfer, so schrecklich sie auch sind, als notwendiges Übel in Kauf zu nehmen wären. Da wir davon ausgehen können, dass Alexander und anderen Befürwortern des Krieges die Schrecken dieses Krieges durchaus bewusst sein müssen, scheint dies in der Tat die intendierte Argumentation zu sein.
Welche Verbesserungen des Lebensstandards stehen der ukrainischen Arbeiterklasse also nach Beendigung des Krieges in Aussicht?
Erstens wird sicherlich die mögliche Absetzung des Regimes in Kiew genannt werden. Es handelt sich dabei zweifellos um ein reaktionäres, nationalistisches und autoritäres Regime, das repressiv gegen die Opposition vorgeht. Der zweite Punkt wird sicher dann die Beseitigung der faschistischen Banden sein, die seit acht Jahren Linke und Antifaschisten terrorisieren und im Krieg im Donbass eine verbrecherische Rolle gespielt haben. Drittens könnte man die Beendigung des Kriegs im Donbass nennen, der ebenfalls seit 2014 Tausende Todesopfer gefordert hat.
Nun ist es inzwischen sehr zweifelhaft, ob der Krieg mit einer Absetzung der Regierung in Kiew enden wird. Die Umgruppierung der russischen Truppen und der Abzug von der Nordfront spricht nicht dafür, dass das Ziel eines militärisch erzwungenen Regierungswechsels verfolgt wird. Offiziell wird dem auch widersprochen, so die Sprecherin des russischen Außenministeriums Sacharowa bereits am 9. März: Ziel sei „weder die Besetzung der Ukraine noch die Zerstörung ihrer Staatlichkeit noch der Sturz der aktuellen Führung“[xxxix]. Doch selbst, wenn im Ergebnis des Krieges Russland tatsächlich eine neue Regierung einsetzen würde, inwiefern wäre eine prorussische Marionettenregierung aus Sicht der ukrainischen Arbeiterklasse wünschenswert? In Russland selbst geht die Regierung mit großer Härte gegen Antikriegsproteste vor. Das ist bereits an sich zu verurteilen. Es ist aber auch absurd zu glauben, dass diese Repressionen sich nicht in Zukunft auch gegen Kommunisten richten werden – jedenfalls gegen diejenigen Teile der russischen kommunistischen Bewegung, die den Burgfrieden mit der Regierung ablehnen und weiterhin internationalistische Standpunkte vertreten: Der Revolutionäre Kommunistische Jugendverband (Bolschewiki), die Jugendorganisation der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei, hat sich beispielsweise klar gegen den Krieg positioniert[xl]. Aber auch vier Duma-Abgeordnete der KPRF haben sich entgegen der Parteilinie öffentlich gegen den Krieg positioniert. Weitere lokale Abgeordnete sowie in einem „Appell der Kommunisten und Sozialisten gegen den brudermörderischen Krieg“ Hunderte Mitglieder, Lokalpolitiker und Sympathisanten der Partei haben es ihnen gleich getan[xli]. Für den Wiederaufbau einer internationalistischen, sich gegen den „roten Putinismus“ der KPRF-Führung stellenden kommunistischen Bewegung werden diese mutigen und prinzipientreuen Äußerungen in Zukunft wichtige Anknüpfungspunkte sein. Sie gegen Repressionen und bellizistische Stimmungsmache in Russland zu verteidigen ist Aufgabe der Kommunisten in Deutschland und auf der ganzen Welt. Doch zurück zum Krieg in der Ukraine:
Auf Grundlage welcher Fakten soll man davon ausgehen, dass ein Regierungswechsel hin zu einer prorussischen Marionettenregierung günstige Bedingungen für die Betätigung von Kommunisten schaffen würde? Eine solche Regierung wäre mit Sicherheit überall in der Ukraine, abgesehen vielleicht von einigen Gebieten im Osten und Süden des Landes, extrem unbeliebt und müsste sich mit repressiven Mitteln an der Macht halten. Sicherlich ganz und gar keine guten Bedingungen für die Entstehung einer unabhängigen Arbeiterbewegung, für Streiks und Kämpfe für bessere Lebensbedingungen.
Vermutlich läuft der Krieg aber auf ein anderes Ergebnis hinaus, nämlich auf eine territoriale Aufspaltung der Ukraine in einen bzw. mehrere Teile, die mit Russland verbündet bzw. von diesem abhängig sein werden oder wie die Krim direkt annektiert würden und eine Rumpf-Ukraine, in der die pro-westlichen und nationalistischen Tendenzen die Mehrheit hätten.
Die Gründung einer „Volksrepublik Cherson“ in der Südostukraine wäre beispielsweise ein solcher Schritt, möglicherweise als Vorbereitung auf eine spätere Annexion. Anhand der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk lässt sich erahnen, dass dieses Szenario wohl kaum im Interesse der Arbeiterklasse wäre. Lagen die Anfänge der „Volksrepubliken“ noch in einem genuinen Volksaufstand, der sich u.a. gegen die faschistischen und nationalistischen Tendenzen des neuen Regimes in Kiew richtete, haben in diesen quasistaatlichen Gebilden sehr schnell prokapitalistische Kräfte die Führung übernommen, die den demokratischen Bestrebungen der Anfangszeit ein jähes Ende gesetzt haben. Der Lebensstandard der Bevölkerung sank aufgrund der wirtschaftlichen Isolation und des Krieges rapide. Die völlige politische und ökonomische Abhängigkeit der beiden Republiken von Russland erschwert den Klassenkampf für verbesserte Lebensbedingungen massiv – in der Tat stellt sich ja die Frage, worin letztlich die strategische Perspektive des Kampfes bestehen soll, wenn die beiden Republiken dauerhaft und vollkommen am Tropf Moskaus hängen. Anders als in der restlichen Ukraine ist die Betätigung von Kommunisten in Donezk und Lugansk zwar weiterhin erlaubt, allerdings wurde der Kommunistischen Partei der Volksrepublik Donezk die Teilnahme an den Wahlen untersagt – und das trotz ihrer russlandfreundlichen und sicherlich nicht konsequent revolutionären Haltung. Es gibt zahlreiche Indizien dafür, dass Machtkämpfe in Donezk und Lugansk immer wieder durch politische Morde „gelöst“ wurden. Alexej Mosgowoj, der beliebte Kommandant der bekannten Prisrak-Brigade der „Volksrepublik Lugansk“ wurde unter ungeklärten Umständen und nach wiederholten Mordversuchen und einem gescheiterten Anschlag im Mai 2015 ermordet. Mosgowoj hatte sich immer wieder kritisch zu den herrschenden Kreisen der „Volksrepublik“ geäußert, so z.B. zu den „Wahlen“ in den „Volksrepubliken“ am 2.11.2014: „In der gesamten Periode der Existenz unserer Republik und ihrer Regierung gab es genau genommen noch nichts Konstruktives. Nur die dumme Erfüllung der Wünsche einiger Herren. Das Gleiche ist es mit den anberaumten Wahlen. Ein Gelage in Zeiten der Pest. Nur eine Masse an Versprechen und schöner Losungen“[xlii]. Auch der spätere Kommandant der Brigade, Alexej Markow, der sich selbst als Sozialist verstand, kam unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall im Jahr 2020 ums Leben.
Eine Spaltung der Ukraine wäre zudem bereits an sich mit einer Verschlechterung der Kampfposition der Arbeiterklasse verbunden. Sie würde die Politik in allen Teilen weiter auf die Grundlage des ethnischen Nationalismus orientieren (auch mit negativen Konsequenzen für die kleineren Minderheiten wie Juden, Griechen oder Tataren). Sie würde die verschiedenen daraus entstehenden Splitterstaaten noch stärker von den beiden involvierten imperialistischen Polen machen (die NATO/EU, USA, Deutschland usw. einerseits, Russland andrerseits). Sie würde einen gemeinsamen Kampf der gesamten Arbeiterklasse der Ukraine auf Dauer unmöglich machen.
Diese Spaltung der Ukraine ist selbstverständlich nicht alleine Russland anzulasten. Es stimmt, dass es zuerst die NATO und von ihr geförderten Faschisten waren, die die Spannungen zwischen russisch- und ukrainischsprachigen Bevölkerungsteilen angeheizt haben. Doch der Krieg Russlands löst diese Situation nicht im Interesse der Arbeiterklasse, ganz im Gegenteil beteiligt Russland sich damit an der territorialen Aufspaltung des Landes und versucht, „seinen“ Anteil mit Gewalt zu vergrößern.
Der Krieg, die Verheerungen der Ukraine, die vielen Toten, die territoriale Spaltung, die nationalistische, teilweise faschistische Kriegspropaganda der ukrainischen Seite, aber auch der chauvinistische Nationalismus der russischen Seite – all diese Faktoren führen dazu, dass die Arbeiterklasse der Ukraine in extremem Maße nationalistisch verhetzt und für faschistische politische Kräfte empfänglich wird. Auch die Arbeiterklasse Russlands, des Donbass und der Krim werden durch den Krieg und die russische Kriegspropaganda sowie den großrussischen Chauvinismus, beispielsweise die Leugnung der nationalen Identität der Ukraine, nationalistisch aufgehetzt. Auch sie werden für reaktionäre politische Kräfte empfänglicher gemacht – dass immer wieder Bilder russischer Panzer oder Kriegsbefürworter mit sowjetischen Symbolen die Runde machen, sollte nicht zu der Illusion führen, den reaktionären nationalistischen und staatstreuen Charakter der Pro-Kriegs-Bewegung in Russland zu unterschätzen. Die prinzipienlose, opportunistische Positionierung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation an der Seite der Kriegstreiber hat bisher diese Partei eher Sympathien in der Bevölkerung gekostet: Ihre Umfrageergebnisse sind von ca 22% Ende 2021 auf 14% Anfang Mai 2022 gefallen[xliii]. Da die Unterstützung des Krieges in Russland eine nationalistische und staatstragende Position ist, ist es nicht verwunderlich, dass sich damit keine Werbung für sozialistische Politik machen lässt.
In der Ukraine und in Russland ist also eine Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts zu beobachten, die große Teile der Arbeiterklasse betrifft und die Handlungsspielräume der Kommunisten und der Arbeiterbewegung weiter einschränken wird.
Interessant und bezeichnend ist aber auch, dass die angebliche Verbesserung der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse in der Diskussion von Seiten der Kriegsbefürworter bisher rein politisch begründet wird. Ist nicht die Entwicklung des ökonomischen Lebensstandards auch Teil der Lebens- und Kampfbedingungen der Arbeiterklasse? Sind Kommunisten nicht auch die konsequentesten Verteidiger der unmittelbar ökonomischen und sozialen Lebensinteressen der Klasse, weil die Klasse sich nur in diesem Kampf zur „Klasse für sich“ formieren kann?
An den Auswirkungen des Krieges auf den Lebensstandard der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse kann kein Zweifel bestehen: Sie sind ausgesprochen negativ. In Russland treffen die westlichen Sanktionen vor allem die werktätige Bevölkerung: Mehl und Zucker wurden bereits Tage nach Beginn der Invasion knapp, die Preise auf viele importierte Nahrungsmittel und Güter des täglichen Gebrauchs explodierten. Lebenswichtige medizinische Güter wie Insulin sind ebenfalls Mangelware[xliv]. Hinzu kommen die hohen ökonomischen Kosten des Kriegseinsatzes selbst, die der russische Staat ebenfalls über Steuereinnahmen finanzieren muss, die an anderer Stelle fehlen werden.
Schlimmer sind die Folgen für die ukrainische Arbeiterklasse: In den Kriegsgebieten, d.h. im Donbass, Kramatorsk, Mariupol, in der Südukraine in den Oblasts Cherson und Saporischje, im Nordosten, in Charkiw/Charkow und im Kiewer Oblast sind die Zerstörungen auch jetzt schon gewaltig, obwohl die russische Armee sicherlich nicht, wie es in der westlichen Propaganda behauptet wird, absichtlich möglichst große Schäden an der zivilen Infrastruktur anrichtet.
Machen wir uns einmal in Zahlen deutlich, was der Krieg für das Leben der ukrainischen Arbeiterklasse bedeutet: Bereits nach drei Wochen schätzte die UNO ein, dass die Kriegsschäden an der Infrastruktur 100 Mrd. US$ ausmachten. Diese Zahl muss inzwischen sehr viel höher sein und vermutlich einige Hunderte Milliarden US$ betragen – bei einer Wirtschaftsleistung der Ukraine von jährlich um die 150 Mrd. US$. Die UN schätzte zudem, dass bis zu 90% der ukrainischen Bevölkerung durch den Krieg in die Armut absinken könnten und bereits drei Wochen nach Kriegsbeginn das unmittelbare Überleben von etwa 30% der Bevölkerung von humanitärer Hilfe abhängig gewesen sei[xlv]. Die Flüchtlingsagentur der UNO (UNHCR) gibt an, dass bis zum 9. Mai 2022 fast sechs Millionen Ukrainer aufgrund des Krieges zur Flucht aus ihrem Land gezwungen wurden. Diese bereits gewaltige Zahl schließt wohlgemerkt nicht die zweifellos ebenfalls hohe Zahl an Binnenflüchtlingen ein, die innerhalb der Ukraine aus ihrer Heimat geflohen sind. Ebenso wenig werden Flüchtlinge mit der Nationalität von Nachbarländern gezählt, die aufgrund des Krieges in ihre Heimat zurückkehren[xlvi].
Solche Zerstörungen und humanitären Tragödien sind bei einem Luft- und Landkrieg, der von russischer Seite vor allem mithilfe überlegener Feuerkraft gewonnen werden soll und zumindest in den ersten Wochen auch Versuche zur Eroberung von Großstädten einschloss, schlicht unvermeidlich. Die Ukraine wird auch nach dem Krieg unter Schäden in mehrhundertfacher Milliardenhöhe leiden. Eine schwer abschätzbare Zahl von Menschen wird ihre Wohnung verloren haben. Auch nach dem Krieg wird das Land von nicht explodierter Munition übersät sein, die auch Jahre nach dem Friedensschluss zivile Opfer fordern wird. Zahllose Ukrainer werden hoffnungslos und resigniert ihr Land verlassen, der „brain drain“ wird die Wirtschaft des Landes noch stärker belasten. Kurz gesagt: Auf absehbare Zeit wird die Ukraine noch viel stärker als bisher das Armenhaus Europas sein. Es besteht kein Zweifel daran, dass allen voran die Arbeiterklasse unter diesen Belastungen leiden wird.
Verbessern sich zumindest die Kampfbedingungen der Kommunisten durch den Krieg? Auch das darf getrost bezweifelt werden. Der Krieg verstärkt in der Ukraine in ungeheurem Ausmaß den bestehenden Nationalismus und Russenhass. Diejenigen der ukrainischen Kommunisten, die sich hinter die russische Invasion gestellt oder diese nicht klar abgelehnt haben, werden auf Dauer als Handlanger der Invasoren und Besatzer diskreditiert sein.
Wenn wir versuchen, die konkreten Auswirkungen des Krieges auf die Lebens- und Kampfbedingungen der Arbeiterklasse einzuschätzen, müsste all dies zumindest in ein Verhältnis zu den vermeintlich positiven Effekten der „Entnazifizierung“ gestellt werden. Stattdessen argumentiert Nasrin einfach so: In dem Krieg werden Nazis liquidiert, Nazis sind schlecht für die Kampfbedingungen der Arbeiterklasse, ergo ist der Krieg gut für diese Kampfbedingungen. Leider funktioniert die Gleichung aber nicht so einfach. Sicherlich gibt es keinen Kommunisten oder aufrechten Antifaschisten auf der Welt, der für einen Neonazi des Asow-Regiments, der in Mariupol von einer russischen Rakete getroffen wird, eine Träne vergießt. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass ein Land in Schutt und Asche gelegt, vermutlich territorial aufgespalten, seine Bevölkerung umgebracht und die Beziehungen zwischen den ethnischen Gruppen der Ukraine und der Region über Jahrzehnte vergiftet werden. Dabei handelt es sich um eine massive und strukturelle Verschlechterung der Lebens- und Kampfbedingungen. Es besteht kein Zweifel daran, dass der politische ebenso wie der sozial-ökonomische Nettoeffekt des Krieges für die Arbeiterklasse extrem negativ ist, selbst wenn im Verlauf der Kampfhandlungen einige Hundert Faschisten das Zeitliche segnen. Das muss erst einmal festgehalten werden, bevor wir uns den Vorwand der „Entnazifizierung“ noch genauer ansehen werden.
Behauptung 4: „Der Krieg dient der Entnazifizierung der Ukraine“
Diese These wird vor allem in Nasrins Beitrag ausgearbeitet und begründet, aber auch andere Genossen stellen ähnliche Behauptungen auf. Nasrin schreibt: „Die Militärintervention öffnet nicht nur Handlungsspielräume für die Bevölkerung in den Volksrepubliken, sondern bedeutet für sie, sowie für alle antifaschistischen Kräfte in der Ukraine eine massive Verbesserung ihrer momentanen Kampfsituation. Gerade jetzt kann die Intervention auch von der russischen Arbeiterbewegung genutzt werden, um auch eine antifaschistische Offensive in Russland voranzutreiben, Druck auf die russische Regierung ausüben, die Forderung nach Denazifierung nicht auf die Ukraine zu beschränken, sondern z.B. Nazis in Russland in den Blick zu nehmen, usw.“
An diesen Ausführungen ist einiges bemerkenswert. Erstens die befremdliche und bereits widerlegte Behauptung, durch das militärische Vorgehen gegen einige faschistische Verbände in der ukrainischen Armee würde sich die Kampfsituation der Arbeiterklasse insgesamt verbessern.
Zweitens das Verständnis von Entnazifizierung, das hier deutlich wird. Während die KO bisher immer darauf gepocht hatte, dass ein Vorgehen gegen Faschisten letztlich nur dann wirksam ist, wenn es die gesellschaftlichen Grundlagen des Faschismus beseitigt, wird „Antifaschismus“ hier im Kern auf „Nazis töten“ reduziert. Was ist eigentlich aus unseren früheren Aussagen geworden, wonach in Nachkriegsdeutschland lediglich die SBZ bzw. DDR eine wirkliche Entnazifizierung durchgeführt haben, weil nur sie die Grundlagen des Nazismus wirklich beseitigten? Oder unserer Analyse, wonach eine Bekämpfung von Nazis, die nicht die gesellschaftlichen Grundlagen des Faschismus angreift oder überhaupt nur thematisiert, ineffektive Symptombekämpfung bleibt?
Drittens die Vorstellung, man könnte ausgerechnet im Kontext eines russischen Krieges, vor dem Hintergrund umfassender nationalistischer Mobilisierung und eines sehr viel repressiver werdenden politischen Klimas in Russland die Situation „taktisch ausnutzen“, um die russische Regierung zu einer Entnazifizierung Russlands zu drängen. Wie könnte das in der Realität aussehen? Anscheinend folgt Nasrin der Vorstellung, die Bevölkerung in Russland würde den Krieg tatsächlich primär aus antifaschistischen Motiven unterstützen, sodass es eine antifaschistische Mobilisierung gäbe, die man nun ausnutzen könnte. Selbst dann wäre es natürlich keine korrekte Position für Kommunisten, der irregeleiteten Stimmung der Massen zu folgen und einen Krieg reaktionären Charakters gutzuheißen. Aber wie sieht die Stimmung im russischen Volk tatsächlich aus? Es ist bekannt, dass bei Umfragen eine große Mehrheit der Russen ihre Unterstützung für den Krieg aussprechen: Nach einer Umfrage unterstützen 53% das Vorgehen der Streitkräfte eindeutig und 28% gaben an, dass sie es „eher“ unterstützen[xlvii]. Dabei ist es schwierig, zwischen einem irregeleiteten Antifaschismus einerseits, der wirklich an die „Entnazifizierungs“-Propaganda glaubt, und offenem Chauvinismus und Eroberungsphantasien andrerseits zu trennen. Ein großer Teil der russischen Bevölkerung ist offenbar so nationalistisch aufgehetzt und blind für geopolitische Realitäten, dass er eine dauerhafte Besetzung oder Annexion der Ukraine befürwortet oder zumindest für bedenkenswert hält. Bei einer Umfrage, die kurz vor Kriegsbeginn stattfand, waren nur 43% eindeutig dagegen, die Ukraine mit Waffengewalt an Russland anzuschließen, während 36% diese Option sogar klar befürworteten[xlviii]. Die Unterstützung eines Eroberungskrieges des russischen Imperialismus ist offensichtlich etwas ganz anderes als die berechtigte Sorge über den Faschismus in der Ukraine. Es ist daher völlig unklar, woher die Einschätzung kommt, es gebe aktuell ein fortschrittliches Klima, das man ausnutzen könnte. Sicherlich ist es positiv, dass ein großer Teil des russischen Volkes den Faschismus ablehnt und die Erinnerung an die Sowjetunion hochhält. Aber daran kann man nicht anknüpfen, indem man die verlogene Instrumentalisierung dieser Stimmungen für die Kriegsziele des russischen Imperialismus unterstützt, sondern ganz im Gegenteil nur dadurch, dass man den reaktionären Charakter der russischen Bourgeoisie und ihres Staates aufzeigt und die Verlogenheit ihrer Propaganda entlarvt.
Vor allem aber muss über den Charakter des russischen Staates und der Kräfte, die in seinem Auftrag kämpfen, gesprochen werden. Bei vielen Linken und Kommunisten scheint die irrige Vorstellung vorzuherrschen, das heutige, kapitalistische Russland hätte gewisse Eigenschaften der Sowjetunion nicht völlig aufgegeben und wäre irgendwie noch Repräsentant der antifaschistischen und antiimperialistischen Traditionen. Mit der Realität hat all das leider nichts zu tun. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die Konterrevolution in ausnahmslos allen ehemaligen Sowjetrepubliken und Ländern des Warschauer Vertrags einem Vormarsch der schwärzesten Reaktion Bahn gebrochen hat. Die Rehabilitierung von Faschisten, die antikommunistische Verfälschung der Geschichte, der positive Bezug auf die reaktionärsten historischen Traditionen ist alles andere als ein Spezifikum der Ukraine – all das findet sich in der einen oder anderen Form auch in den baltischen Ländern, in Polen und Ungarn, den ehemaligen jugoslawischen Republiken, Rumänien, Zentralasien und eben auch in Russland. Die Russische Föderation war nach dem Ende der Sowjetunion bemüht, lediglich in solchen Punkten an die sowjetische Symbolik anzuknüpfen, wo man deren Gehalt in ein „patriotisches“ großrussisches Narrativ einordnen konnte. Vor allem die Armee als Rückgrat des russischen Großmachtstatus hat deshalb die revolutionären Symbole (wie den roten Stern, das jährliche Gedenken zum 9. Mai usw.) in Teilen beibehalten. Der Staat selbst zeigte aber recht deutlich, wo er seine historischen Anknüpfungspunkte sieht: Die rote Fahne mit Hammer und Sichel als Symbol der Arbeiter- und Bauernmacht wurde ersetzt durch die weiß-blau-rote Trikolore des Russischen Zarenreiches, die im Russischen Bürgerkrieg von der konterrevolutionären Weißen Armee und im Zweiten Weltkrieg teilweise auch von der sogenannten Wlassow-Armee, also russischen Kollaborateuren der Nazis, verwendet wurde. Das Staatswappen Russlands zeigt den Adler der Zaren mit der Zarenkrone und ein Bild des heiligen Georg, als Zeichen für die positive Anknüpfung an das Zarenreich und die Orthodoxe Kirche.
Die Geschichte der Sowjetunion wird in instrumenteller und äußerst selektiver Weise eingesetzt: Als Teil der Geschichte Russlands als Großmacht, obwohl die Sowjetunion sich explizit nicht als russischer Staat, sondern als Staat aller Nationalitäten auf seinem Territorium verstand. Die positiven Gefühle, die ein Großteil des russischen Volkes mit der UdSSR verbindet, werden auch im Ukrainekrieg ausgenutzt, etwa indem man russischen Soldaten gestattet, die rote Fahne auf ihren Fahrzeugen oder eingenommenen Gebäuden zu hissen. Dies hat offenbar auch einige westliche Linke verwirrt, die darin ein Zeichen für einen fortschrittlichen Charakter des Krieges zu sehen glauben. Sicherlich ist es eine richtige und wichtige Frage, wie die prosowjetische Stimmung in der Bevölkerung von Kommunisten genutzt werden kann – die Unterstützung eines reaktionären imperialistischen Krieges ist allerdings sicherlich nicht die Antwort.
Entsprechend der antikommunistischen Staatsräson der Russischen Föderation wird auch der Anspruch der russischen Staatsführung auf Einfluss in der Ukraine begründet. Die Ukraine sei „integraler Bestandteil unserer eigenen Geschichte, unserer Kultur, unseres geistigen Raums. (…) Die heutige Ukraine wurde voll und ganz und ohne jede Einschränkung von Russland geschaffen, genauer: vom bolschewistischen, kommunistischen Russland. Dieser Prozess begann im Grunde gleich nach der Revolution von 1917. Lenin und seine Mitstreiter gingen dabei äußerst rücksichtslos gegen Russland selbst vor, von dem Teile seiner eigenen historischen Gebiete abgetrennt und abgestoßen wurden“, so Putin drei Tage vor Beginn der russischen Invasion. Die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki, den kleineren Nationen Selbstbestimmung und Autonomie zu verleihen, war nach Putin „nicht nur einfach ein Fehler, sie waren, sozusagen viel schlimmer als ein Fehler“. In einer Rede, in der es eigentlich um den Konflikt im Donbass und zwischen Russland und der Ukraine geht, verwendet Putin einen großen Teil seiner Redezeit, um die angebliche „künstliche“ Erschaffung von Nationalitäten wie der Ukraine durch die Bolschewiki anzuprangern, durch die verschiedene nationale Gruppen erst auf die Idee gekommen seien, sich vom russisch dominierten Staat zu trennen. Putins Schlussfolgerung kann daher nicht überraschen: „Eine Überwindung des Kommunismus wollt Ihr? Alles klar, vollkommen einverstanden. Aber dann bitte nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Wir zeigen euch gerne, was eine echte Überwindung des Kommunismus für die Ukraine bedeutet.“ [xlix]. Dass Putin neben der „Entnazifizierung“ auch die „Entkommunisierung“ der Ukraine als Ziel benannt hat, wurde in den westlichen Medien aus offensichtlichen Gründen verschwiegen. Sie ist jedoch sehr ernst zu nehmen: Aus dem Kontext von Putins Rede ergibt sich, dass es dabei nicht nur darum geht, die Erinnerung an den Kommunismus auszulöschen, was ja von den ukrainischen Autoritäten bereits betrieben wird, sondern darum, die Ergebnisse der Leninschen Nationalitätenpolitik, d.h. konkret die Existenz einer unabhängigen Ukraine, letzten Endes infrage zu stellen.
Ein Anfang April erschienener Artikel der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti treibt Putins Aussagen noch weiter auf die Spitze. Darin wird offen ausgesprochen, dass die vermeintliche „Entnazifizierung“ eine dauerhafte russische Besatzung sowie das Ende einer eigenständigen nationalen Identität der Ukrainer bedeute. „Die Entnazifizierung kann nur vom Sieger durchgeführt werden, was voraussetzt, dass er (1) die unbedingte Kontrolle über den Entnazifizierungsprozess hat und (2) die Macht, diese Kontrolle zu gewährleisten. In dieser Hinsicht kann das entnazifizierte Land nicht souverän sein“. Und: „Der Name ‚Ukraine‘ kann offensichtlich nicht als Bezeichnung für ein vollständig entnazifiziertes Staatsgebilde auf einem vom Naziregime befreiten Gebiet beibehalten werden. (…) Die Entnazifizierung wird unweigerlich eine Ent-Ukrainisierung sein – eine Absage an die von den sowjetischen Behörden eingeleitete künstliche Aufblähung der ethnischen Komponente der Selbstidentifikation der Bevölkerung“. Dann wird recht offen über eine territoriale Aufteilung der Ukraine gesprochen, wobei auch die Westukraine dauerhaft unter russischer Besatzung bleiben soll: „Eine Russland feindlich gesinnte, aber zwangsneutrale und entmilitarisierte Ukraine, in der der Nationalsozialismus formell verboten ist, wird dahinter zurückbleiben. Russlandhasser werden dorthin gehen. Eine Garantie dafür, dass diese Rest-Ukraine neutral bleibt, sollte die Androhung einer sofortigen Fortsetzung der Militäroperation sein, wenn die aufgeführten Anforderungen nicht erfüllt werden. Dies würde wahrscheinlich eine ständige russische Militärpräsenz auf dem Territorium des Landes erfordern“[l].
Während in Russland bereits die Vokabel „Krieg“ für den in der russischen Staatspropaganda als „militärische Spezialoperation“ verharmlosten Krieg verboten ist und Kritik an diesem in den Medien nicht vorkommt, bekommt ein rabiater, anti-ukrainischer Nationalismus darin ein Forum geboten und gehört damit zum zugelassenen Meinungsspektrum darüber, was mit der Ukraine zukünftig zu tun sei.
An dieser Stelle muss man sich bereits fragen: Kann ein Krieg, der mit offenem Nationalismus und Chauvinismus begründet wird, die „Entnazifizierung“ eines Landes bewerkstelligen? Bietet er einen günstigen Nährboden für eine „antifaschistische Offensive“, wie Genossin Nasrin behauptet, oder vielleicht vielmehr für die explosionsartige Ausbreitung nationalistischer Stimmungen in der Bevölkerung?
Angesichts der überwiegend reaktionären historischen Bezugspunkte der Russischen Föderation kann man bereits die Frage stellen, mit welcher Glaubwürdigkeit ein solcher Staat sich den Kampf gegen den Faschismus auf die Fahnen schreiben kann. Doch zum Verhältnis der Regierung Putins gegenüber dem Faschismus kann noch einiges mehr gesagt werden.
Bekannt sind die durchaus freundlichen Beziehungen Putins zu Ideologen der extremen Rechten wie Alexander Dugin und Alexander Solschenizyn. Solschenizyn, der im Westen wegen seiner hervorstechenden Rolle als antikommunistischer Geschichtsfälscher immer noch gefeiert wird, war ein Unterstützer der faschistischen Franco-Diktatur in Spanien[li]. Vor allem aber stellte er sich in den 2000er Jahren auf die Seite Putins, den er für den Schutz der russischen Staatlichkeit gegen westliche Unterwanderungsversuche lobte. Die russische Administration belohnte ihn mit der Verleihung eines Staatspreises und Präsident Putin besuchte den greisen Solschenizyn in dessen Wohnung, um ihm mitzuteilen, dass ihre Vorstellungen über den zukünftigen russischen Staat sich in Übereinstimmung befänden. Was damit gemeint war: Die geteilte Überzeugung, dass Belarus und die Ukraine wieder zum russischen Staat gehören müssten und die orthodoxe Kirche ein zentraler Pfeiler der russischen Kultur sei[lii].
Alexander Dugin gilt als persönlicher Freund und Berater Putins, dessen Denken erheblichen Einfluss auf die weltpolitische Konzeption der russischen Regierung hat. Dugin kann als der führende zeitgenössische Theoretiker der extremen Rechten Russlands bezeichnet werden. Sein zentrales Theorem ist die „eurasische Idee“, d.h. die Befürwortung eines von Russland dominierten Großraumes „Eurasien“, das sich kulturell vor allem im Gegensatz zur „westlichen Welt“, also zum Liberalismus und zur „Globalisierung“ sieht, die den Zusammenhalt der Nationen untergraben würden. Auch der Sozialismus wird selbstverständlich abgelehnt. Die ideologischen Bezugspunkte des „Eurasismus“ von Dugin sind u.a. Alain de Benoist, wichtigster Vorreiter der Neuen Rechten, der faschistische Rassentheoretiker und Mussolini-Sympathisant Julius Evola und der als „Kronjurist des Dritten Reiches“ bezeichnete Carl Schmitt[liii].
Zu den Ideologen, auf die Putin sich während der letzten 20 Jahre in seinen Reden häufig explizit berufen hat, gehört auch Iwan Iljin. Der Adlige Iljin war einer der führenden intellektuellen Unterstützer der „weißen“ Konterrevolution im Russischen Bürgerkrieg und später bekennender Faschist. In der Machtübertragung an Hitler sah er einen „Akt der Erlösung“. Allerdings orientierte er sich in den folgenden Jahren stärker an anderen faschistischen Diktatoren wie Mussolini und Salazar, deren enges Bündnis mit der Kirche ihm mehr zusagte. In Russland findet seit Jahren eine schleichende Rehabilitierung Iljins statt: Nachdem Iljins Schriften in der Sowjetunion jahrzehntelang verboten waren, wurden 2005 seine sterblichen Überreste gemeinsam mit denen des Oberkommandierenden der Weißen Armee Anton Denikin nach Russland überführt und in Moskau bestattet. Iljins zentrales Werk „Unsere Aufgaben“ wurde 2014 vor der Annexion der Krim an alle höheren Beamten und Regionalgouverneure der Russischen Föderation versandt und zur Lektüre empfohlen. Iljins Traum war der eines traditionalistischen Führerstaates in Russland, der sich offensiv gegen alle ausländischen Versuche zur Destabilisierung und Zerstückelung zur Wehr setzt. Darin liegt sein Wert für die heutigen russischen Kapitalisten und ihre Regierung[liv].
Die Regierung Putins nutzt Fragmente verschiedener Ideologien für ihre Ziele, wo sie diesen dienlich sind. Das Ziel ist die Konzeptualisierung eines starken imperialistischen Russlands, dessen im Inneren verbindende Ideologie sich im Wesentlichen auf die Bejahung eines „starken Staates“ und der russischen Identität stützt, die wiederum v.a. durch die orthodoxe Religion und das Slawentum definiert wird. Dafür werden auch positive Bezüge auf bestimmte Aspekte der sowjetischen Geschichte aufgenommen, bei gleichzeitig scharfer Ablehnung der sozialistischen Oktoberrevolution selbst, der die Destabilisierung des russischen Staates vorgeworfen wird (oft verbunden mit dem geschichtsrevisionistischen Narrativ, Lenin sei „deutscher Agent“ gewesen). Vor allem aber werden auch die Vordenker der weißen Konterrevolution, des russischen Faschismus und der „Neuen Rechten“ dafür herangezogen.
Auch zur Durchsetzung außenpolitischer Ziele nutzt der russische Staat seit Langem faschistische Kräfte. Bekannt geworden ist die „Wagner-Gruppe“, eine paramilitärische Organisation, die von dem Neonazi Dmitri Utkin gegründet wurde und seitdem in verschiedenen Konflikten die Interessen des russischen Staates vertreten hat. Beispielsweise hat die Wagner-Gruppe in der Zentralafrikanischen Republik im Bürgerkrieg interveniert und die dortige Regierung stark von Russland abhängig gemacht. In Syrien hat die Gruppe ebenfalls auf Seiten der Regierung operiert und sich ansonsten vor allem auch im Donbass einen Namen gemacht, wo seit Beginn russische Söldner mit faschistischer Gesinnung auf Seiten der „Volksrepubliken“ gekämpft haben. Utkin wurde für seine Dienste gegenüber dem russischen Staat mehrfach mit dem Tapferkeitsorden ausgezeichnet.
Doch nicht nur die Wagner-Gruppe beweist, dass die russische Regierung kein grundsätzliches Problem mit Faschisten hat, sondern lediglich ein Problem mit antirussischen Faschisten. Schließlich steht z.B. der russische Verbündete Kasachstan der Ukraine, was die Rehabilitierung des Faschismus angeht, kaum nach. Die dortigen Faschisten sind ebenso antirussisch wie die ukrainischen. Kasachische Faschisten unterdrücken die russische Minderheit im Land, u.a. mit „Sprachpatrouillen“, die sich gegen jeden richten, der in der Öffentlichkeit Russisch spricht. Auch in Kasachstan haben extreme Nationalisten und Faschisten hohe Staatsämter inne, beispielsweise Staatssekretär Jerlan Karin, ein Unterstützer der europäischen Neuen Rechten und der türkischen Grauen Wölfe. Die Regierung arbeitet seit Jahren daran, die Turkestan-Legion der Wehrmacht und die muslimischen Einheiten der SS zu rehabilitieren, die im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion im Vernichtungskrieg zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wurden[lv]. In Kasachstan ist – ebenso wie in der Ukraine – die Kommunistische Partei verboten und wird massiv verfolgt, Gleiches gilt für die Sozialistische Bewegung Kasachstans. Auch die Gewerkschaften werden verfolgt und Arbeiterkämpfe mit blutigen Repressionen überzogen, wie beim Zhanaozen-Massaker 2011, wo viele Arbeiter von den Staatsorganen getötet und weitere verletzt worden. Beim Arbeiteraufstand vom Januar 2022 wurden über 200 Menschen getötet, zum großen Teil ebenfalls durch staatliche Repressionen.
Das kasachische Regime war somit (mindestens bis zum Beginn der russischen Invasion) eher noch repressiver gegen die Arbeiterbewegung und die Kommunisten und auch kaum weniger profaschistisch als das ukrainische. Trotzdem unterhielt die russische Führung mit dem Regime von Kassym-Jomart Tokajew gute Beziehungen im Rahmen der Organisation des Vertrages für Kollektive Sicherheit (OVKS). Sie startete keine „Militäroperation“ zur „Entnazifizierung“ in Kasachstan, vielmehr schickte sie auf Geheiß der kasachischen Regierung ihre Soldaten, um das Regime im Kampf gegen den Arbeiteraufstand zu stützen. Während die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) in der Ukraine den Kampf der russischen Streitkräfte gegen den Faschismus propagiert, hieß sie in Kasachstan den OVKS-Einsatz zur Stützung des reaktionären und arbeiterfeindlichen Regimes gut. Im ersten Fall wird der Krieg für notwendig erklärt, um eine arbeiterfeindliche Diktatur zu stürzen, während im anderen Fall eine arbeiterfeindliche Diktatur unterstützt wird, um einen (angeblich drohenden) Krieg zu verhindern. Daher liegt wohl der Verdacht nahe, dass es der KPRF in Wirklichkeit nicht um den Kampf gegen Nazis, sondern um die Stützung der eigenen Regierung und ihrer Außenpolitik geht, wobei je nach Situation die Vorwände ausgewechselt werden, wie es gerade passt.
Die Faschisierung der Gesellschaft in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des Warschauer Vertrags bzw. RGW ist eine Folge der Dynamik der Konterrevolution, die, um den Kapitalismus restaurieren und eine rechtfertigende Ideologie für diesen bereitstellen zu können, den Kräften der äußersten rechten Reaktion die Bahn frei gemacht hat. Die Faschisierung wird in der Ukraine von der NATO vorangetrieben, aber wie Kasachstan und Russland zeigen, ist die Anbindung an die NATO dafür keine zwingend notwendige Voraussetzung. Der gesellschaftliche Ursprung des Faschismus in Osteuropa ist nicht die NATO, sondern die Konterrevolution. Und für diese steht Putin ebenso wie Selenskij.
Was Russland also in der Ukraine betreibt, ist keine „Entnazifizierung“, auch wenn im Verlauf der Kriegshandlungen Faschisten auf ukrainischer Seite sterben. Es ist ein imperialistischer Krieg zur Aufteilung der Ukraine, eine Spätfolge der Zerstörung der Sowjetunion. Mit jedem Haus, das zerstört, jedem ukrainischen Zivilisten, der getötet wird, wächst der Hass auf Russland und die Russen und ermöglicht es den Faschisten, sich als legitime Verteidiger der territorialen Integrität der Ukraine darzustellen. Durch die westlichen Waffenlieferungen, die seit Beginn der russischen Invasion um ein Vielfaches angeschwollen sind, sind die Faschisten in der ukrainischen Armee nun vermutlich besser ausgerüstet als jede andere faschistische bewaffnete Formation seit dem Zweiten Weltkrieg. Es kann nicht unterschlagen werden, dass die Faschisten, obwohl sie bereits vorher von den westlichen Imperialisten unterstützt wurden, erst durch den russischen Krieg in extremem Maße eine Aufwertung erfahren haben. Das zeigt sich auch darin, dass seitdem die kritischen Berichte, die es bis dahin auch im Westen immer wieder gab, so gut wie verstummt werden und der faschistische Charakter des Regiments Asow inzwischen in westlichen Medien in der Regel geleugnet wird, um eine immer offenere Unterstützung dieser Gruppierung möglich zu machen. Sich von einer solchen Entwicklung, die eindeutig eine Folge des russischen Krieges ist und nicht etwa seine Ursache, eine Beseitigung des Faschismus in der Ukraine oder auch nur seine nachhaltige Schwächung zu erwarten, ist offenkundig absurd. Die Vorstellung, dass eine Entnazifizierung von Reaktionären und von der Bourgeoisie vorangetrieben würde, ist eine zutiefst bürgerliche Auffassung, die sich auch und gerade im konkreten Fall Russlands an der Realität blamiert.
Behauptung 5: „Russland führt den Krieg vorrangig zur Verteidigung seiner Sicherheitsinteressen“
Wie gezeigt wurde, ist die Behauptung, dass Russland zu einem „Defensivschlag“ gezwungen war, um sein eigenes Überleben zu sichern, völlig haltlos. Aber weshalb hat die russische Führung den Krieg dann begonnen?
Ging es, wie einige Genossen behaupten, überhaupt vorrangig um „Sicherheitsinteressen“?
Sicherlich spielen Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation auch eine Rolle. Die Verhinderung eines NATO-Beitritts der Ukraine ist eine wichtige Forderung in den Friedensverhandlungen. Doch das alleine reicht wohl kaum aus, um eine überzeugende Erklärung für den Krieg zu liefern. Denn ein NATO-Beitritt der Ukraine stand vor dem Beginn der Invasion überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Dies hat vor allem auch die deutsche Regierung immer wieder klargemacht – zu groß wäre das Risiko für die deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen gewesen[lvi]. Selenski selbst äußerte sich ernüchtert über die Hinhaltetaktik der NATO, die zwar von „offenen Türen“ spreche, „aber jetzt haben wir auch gehört, dass wir dort nicht eintreten dürfen, und das müssen wir einsehen“[lvii]. Auch dass andere benachbarte Länder nun ihre Aufrüstung und NATO-Präsenz verstärken würden, sowie dass Finnland und Schweden mit hoher Wahrscheinlichkeit der NATO beitreten würden, dürfte der russischen Führung bewusst gewesen sein. Es war daher von vornherein fraglich, inwiefern der Krieg überhaupt zu einem Gewinn an Sicherheit für Russland führen würde.
Den Krieg auf „Sicherheitsinteressen“ zu reduzieren, ist eine verkürzte Sichtweise, die dem Wesen des Konflikts nicht gerecht wird. Der Konflikt begann als ein Tauziehen zwischen Russland und der EU darum, zu welchem „Block“ die Ukraine zukünftig gehören würde: Zur EU-Nachbarschaft oder zur Eurasischen Wirtschaftsunion. Allgemein ging es um wirtschaftlichen und politischen Einfluss in einem wichtigen Schlüsselland in Osteuropa. Russland verlor diesen Kampf mit dem Putsch 2014, woraufhin es dazu überging, sich einen Rest-Einfluss auf dem Gebiet der Ukraine zu sichern, indem es die „Volksrepubliken“ im Donbass unterstützte und die Krim annektierte. Die Zustimmung der örtlichen Bevölkerungen lieferte den benötigten Vorwand dafür. Die Ambitionen des Regimes in Kiew, sich das Donbass zurückzuholen, und zwar ohne die im Minsk-II-Abkommen vereinbarten Autonomierechte zu gewähren, waren für Russland ein direkter Affront. Ein Affront allerdings nicht gegen seine „existenziellen Sicherheitsinteressen“, denn ob die Ukraine das Donbass kontrolliert oder nicht, ändert an Russlands allgemeiner Sicherheitslage relativ wenig. Vielmehr ging es darum, dass das Donbass erstens die wichtigste Verhandlungsmasse war, über die Moskau im Konflikt mit Kiew verfügte; und zweitens auch wirtschaftlich eine der wichtigsten Regionen der Ukraine. Eine gewaltsame Einverleibung des Donbass durch Kiew bedrohte also zwar nicht die Sicherheit Russlands, wohl aber seine machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen in der Region. Eine der unverhandelbaren Forderungen Russlands in den Verhandlungen ist darum auch die Anerkennung der Sezession des Donbass sowie der Annexion der Krim durch Kiew. Dies ist auch ein Aspekt hinter der strategischen Verlagerung der russischen Truppen aus dem Norden der Ukraine in den Osten – die „Befreiung“ der gesamten Ostukraine durch russische Truppen soll das gesamte von den „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk beanspruchte Territorium umfassen und im Südosten eine oder mehrere weitere „Volksrepubliken“ mit prorussischer Marionettenregierung installieren oder diese Gebiete möglicherweise direkt annektieren. Diese Zielsetzung ist inzwischen offiziell bestätigt. Mit Generalmajor Rustam Minnekajew hat ein hochrangiger russischer Militär die Kontrolle des gesamten Südens der Ukraine, also eine lückenlose Besetzung der ukrainischen Schwarzmeerküste und Herstellung einer Landbrücke vom Donbass zur Krim und von der Krim über Odessa bis nach Transnistrien (wo ebenfalls russische Truppen stationiert sind) als Kriegsziel formuliert[lviii]. Diese Eroberungsziele Russlands zeichneten sich bereits seit Wochen dadurch ab, dass in den eroberten Territorien der Südukraine eigene Verwaltungsstrukturen geschaffen, der Rubel als Währung eingeführt, der Anschluss der Regionen ans russische Strom-, Gas- und Eisenbahnnetz angekündigt, Ortsnamen geändert und russische Staatssymbole angebracht wurden. All dies sprach gegen eine nur vorübergehende Besetzung dieser Gebiete.
Russland will mit seinen Eroberungen sicherstellen, dass es nicht seinen Einfluss auf die gesamte Ukraine verliert, sondern das Land zwischen den rivalisierenden imperialistischen Blöcken aufgeteilt wird: In einen pro-westlichen und im Süden und Osten einen russischen bzw. pro-russischen Teil. Russland nutzt dafür auch aus, dass erhebliche russischsprachige Bevölkerungsteile mit historischer Verbundenheit zu Russland in diesen Regionen leben. Es nutzt in verlogener Art und Weise antifaschistische Parolen und Symbole, um an die Gefühle der dortigen (wie auch der eigenen) Bevölkerung zu appellieren. Ziel ist die dauerhafte Eroberung (durch Annexion oder Einsetzung abhängiger Regierungen) einiger der wertvollsten Gebiete der Ukraine: Der bedeutenden Industrieregion Donbass und der gesamten Nordküste des Schwarzen Meeres. Dadurch wird die wirtschaftliche Integration des Donbass mit Russland abgesichert, die russische Position als Handels- und Militärmacht im Schwarzen Meer weiter gestärkt und ein großer Teil der russischsprachigen Bevölkerung unter die Herrschaft des russischen Staates gebracht. Der berühmte Ausspruch von Zbigniew Brzezinski, einem der führenden Strategen des US-Imperialismus, wird von der russischen Führung ernst genommen: „Ohne die Ukraine hört Russland auf ein Imperium zu sein, aber mit der Beeinflussung und dann Unterordnung der Ukraine wird Russland automatisch zum Imperium“[lix]. Sicherlich ist diese Aussage übertrieben – richtig ist jedoch, dass die Ukraine für das Streben Russlands nach der Weltmacht eine Schlüsselrolle spielt.
Zu guter Letzt ging es aus russischer Sicht sicherlich auch darum, mit der Invasion in der Ukraine gegenüber der NATO ein Zeichen zu setzen. Die russische Führung setzt damit einen außenpolitischen Kurs fort, der mit dem Krieg in Georgien 2008 einen ersten Höhepunkt erlebte, einen zweiten und dritten mit der Intervention in Syrien und der Annexion der Krim und nun mit einem voll ausgewachsenen Krieg gegen die Ukraine alles Bisherige übertrifft. Es geht also um eine Machtdemonstration: „Russland ist als Großmacht auf die Weltbühne zurückgekehrt. Die NATO muss russische Interessen in ihre Kalkulationen mit einbeziehen, sonst wird Russland nicht davor zurückschrecken, sie mit Gewalt zu sichern“.
Die russische Kriegsführung deutet darauf hin, dass man in Moskau mit schnellen militärischen Erfolgen und einem wahrscheinlichen Kollaps des ukrainischen Regimes rechnete bzw. mit schnellen Verhandlungen, in denen man Zugeständnisse erpressen können würde. Deshalb wurde Kiew bereits am ersten Tag mit Fallschirmjägern angegriffen und vieles deutet auf übereilte Vorstöße der russischen Verbände hin, die wohl nicht mit anhaltendem und organisiertem Widerstand rechneten. Der Erfolg eines russischen „Blitzkrieges“, von dem damals auch zahlreiche westliche Analysten ausgingen, hätte den russischen Machtanspruch untermauert und die Überlegenheit des russischen Militärs demonstriert. Als Nebeneffekt wäre der Krieg auch ein Testgelände gewesen, um neue russische Waffentechnik wie z.B. Hyperschallraketen in der Praxis zu erproben, was mit Raketen vom Typ Kinschal auch bereits geschehen ist.
All diese Kriegsmotive entsprechen dem typischen Verhalten imperialistischer Mächte, die bedenkenlos über Leichen gehen, um wirtschaftliche und geopolitische Ziele zu erreichen. Mit den Interessen der Arbeiterklasse und der betroffenen Völker hat all das nichts zu tun.
Fazit:
Der Charakter des Krieges als zwischenimperialistischer Krieg erfordert von Kommunisten eine eindeutige Positionierung gegen diesen Krieg. Trotzdem wurde in der Diskussion versucht, mit verschiedenen Argumenten diese Schlussfolgerung zu unterminieren: Russland habe keine Wahl gehabt, weil es sonst selbst angegriffen worden wäre; der Krieg diene der Entnazifizierung und verbessere die Lebenssituation der Arbeiterklasse usw. usf. Es wird eine angebliche „Überschneidung der Interessen der Arbeiterklasse mit der russischen Bourgeoisie“ behauptet. Wie gezeigt wurde, ist diese Überschneidung inexistent. Die ukrainische Arbeiterklasse hat in der Tat keineswegs ein Interesse daran, dass sie von russischen Bomben zerfetzt, ihre Häuser zerstört und ihr Land aufgeteilt wird. Entsprechend absurd sind auch historische Vergleiche mit dem Zweiten Weltkrieg, wo beispielweise der Kriegseintritt der USA ebenfalls objektiv im Interesse der Arbeiterklasse gewesen sei. Die Ukraine ist nicht Nazideutschland, die NATO plante kein „Unternehmen Barbarossa“ gegen Russland, der aktuelle Krieg dient weder der Verteidigung des Sozialismus noch wird er die Kampfbedingungen der Kommunisten verbessern – ganz im Gegenteil.
Die Unterstützung des russischen Krieges ist also ein schwerer politischer Fehler. Dieser Irrtum wiegt nicht nur schwer, weil er einen Bruch mit dem proletarischen Internationalismus darstellt – er ist vor allem deshalb verheerend, weil seine Konsequenzen verheerend sind. In der Auseinandersetzung zwischen den imperialistischen Blöcken ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Kommunisten eine eigenständige Position unabhängig von und gegen alle kapitalistischen Mächte einnehmen. Die Kriege der Imperialisten werden immer mit Propaganda aller Art gerechtfertigt. Noch kein imperialistischer Krieg wurde vom Zaun gebrochen, ohne dass die Herrschenden schwülstige und verlogene Reden zu seiner Legitimierung geschwungen hätten. Noch keine Aggression hat im imperialistischen Stadium des Kapitalismus stattgefunden (und wohl auch wenige in den Zeiten davor), die nicht durch an den Haaren herbeigezogene Propagandalügen zu Friedensmissionen verdreht wurden. Für Kommunisten ist es entscheidend, diese Lügen der Herrschenden zu durchschauen und sie zu entlarven. Nur dann können sie ihre Aufgabe erfüllen, die darin besteht, die Arbeiterklasse über ihre Interessen und den Widerspruch zur Bourgeoisie aufzuklären. Je weiter Kommunisten sich in ihren Analysen von der Realität entfernen, desto unglaubwürdiger machen sie sich für die Masse der Bevölkerung. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn man einmal verstanden hat, wie man ins Reich des Absurden vordringen muss, um überhaupt einigermaßen überzeugende Rechtfertigungen für den Krieg produzieren zu können, dann beginnt man zu erahnen, wie falsch die Rechtfertigung des imperialistischen Krieges der Russischen Föderation ist.
[i] Hier sei beispielhaft auf den Artikel „Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen“ verwiesen, in dem versucht wird, die Imperialismusanalyse der Programmatischen Thesen auszuführen und zu begründen: https://kommunistischepartei.de/diskussion-imperialismus/zur-verteidigung-der-programmatischen-thesen-der-ko/
[ii] Jürgen Wagner 2022: NATO-Aggression und Russlands Reaktion, online: https://www.imi-online.de/2022/01/24/nato-aggression-und-russlands-reaktion, abgerufen 9.5.2022.
[iii]https://www.ukrinform.net/rubric-polytics/3214479-zelensky-enacts-strategy-for-deoccupation-and-reintegration-of-crimea.html
[iv] https://www.armscontrol.org/factsheets/Nuclearweaponswhohaswhat
[v] https://sgp.fas.org/crs/nuke/RL32572.pdf
[viii] https://www.reuters.com/article/us-raytheon-poland-patriot-idUSKBN1H417S
[ix] https://web.archive.org/web/20090415122817/http://www.fas.org/spp/starwars/congress/1992_h/h920407p.htm
[x] https://www.washingtonpost.com/world/2019/09/17/billions-spent-us-weapons-didnt-protect-saudi-arabias-most-critical-oil-sites-crippling-attack/
[xi] https://www.haaretz.com/opinion/.premium-reuven-pedatzur-does-iron-dome-really-work-1.5233223
[xiii] https://www.armscontrol.org/act/2010-05/flawed-dangerous-us-missile-defense-plan
[xiv] https://www.spektrum.de/news/hyperschallwaffen-der-hype-um-den-hyperschall/1935553
[xv] https://www.science.org/content/article/national-pride-stake-russia-china-united-states-race-build-hypersonic-weapons
[xvi] https://slate.com/human-interest/2007/08/did-the-soviets-really-build-a-doomsday-machine.html
[xvii] https://web.archive.org/web/20170821193850/https://de.sputniknews.com/technik/20170821317111742-tote-hand-moskaus-russland-zum-atomaren-gegenschlag-ausholen/
[xviii] Frank Blackaby, Jozef Goldblat, Sverre Lodgaard. „No-First-Use of Nuclear Weapons“, 1984, Bulletin of Peace Proposals
[xix] https://sgp.fas.org/crs/nuke/RL32572.pdf
[xx] https://www.statista.com/statistics/264443/the-worlds-largest-armies-based-on-active-force-level/
[xxi] https://worldpopulationreview.com/country-rankings/largest-navies-in-the-world
[xxii] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/
[xxiii] http://english.scio.gov.cn/infographics/2018-06/05/content_51673238.htm
[xxv] https://www.globalfirepower.com/active-military-manpower.php
[xxvi] https://www.reuters.com/world/europe/where-nato-forces-are-deployed-2022-01-24/?msclkid=cfefe510be4111ecafcb032e95d4ab99 ; www.armedforces.eu
[xxvii] https://www.transportenvironment.org/discover/europes-dependence-on-russian-oil-puts-285m-a-day-in-putins-pocket/#:~:text=Europe%20is%20dependent%20on%20Russian%20oil%20for%20over,the%20bloc%20are%20via%20oil%20tankers%20and%20ports.?msclkid=d13f9e4bbe4311ec9b50fa82484c3db0
[xxviii] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8914
[xxix] https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/joe-biden-schickt-tausende-us-soldaten-nach-deutschland-und-osteuropa
[xxx] ebenda
[xxxi] https://rp-online.de/politik/eu/ukraine-krieg-droht-der-dritte-weltkrieg-wie-begruendet-ist-die-angst_aid-66274863
[xxxii] Joshua T. Christian. „An Examination of Force Ratios“, 2019, U.S. Army Command and General Staff College, USA
[xxxiii] https://www.tagesschau.de/ausland/finnland-nato-beitritt-eu-russland-ukraine-krieg-101.html
[xxxiv] https://www.lpb-bw.de/ukraine-eu-nato
[xxxv] https://www.dw.com/de/krisendiplomatie-olaf-scholz-sucht-seine-rolle/a-60705908
[xxxvi] Klaus Törnudd. „Finnish Neutrality Policy During the Cold War“, 2005, The SAIS Review of International Affairs; https://www.deutschlandfunk.de/verhaeltnis-zu-russland-finnland-zwischen-den-stuehlen-100.html
[xxxvii] https://www.laenderdaten.info/laendervergleich.php?country1=FIN&country2=UKR
[xxxviii] https://ukraine.un.org/sites/default/files/2022-05/Ukraine%20-%20civilian%20casualty%20update%20as%20of%2024.00%2015%20May%202022%20ENG.pdf
[xxxix] Patrick Diekmann: Kein Sturz der ukrainischen Regierung? Putin hat sich den Realitäten in der Ukraine ergeben, t-online.de, 9.3.2022.
[xl] http://www.solidnet.org/article/Urgent-Joint-Statement-of-Communist-and-Workers-Parties-No-to-the-imperialist-war-in-Ukraine/, abgerufen 15.4.2022.
[xli] IDcommunism: Russian communist lawmakers condemn Ukraine war, 11.3.2022, online: http://www.idcommunism.com/2022/03/russian-communist-lawmakers-condemn-ukraine-war.html?fbclid=IwAR1dx5iHJZ6mE1KB5xyXwCpa–bBH2EGSezUDiz60NhrJ746OPzSB9jLdX0 ; Birger Schütz: Kommunisten für den Krieg, Neues Deutschland, 8.4.2022.
[xlii] Wjatscheslaw Chripun: Warum Alexej Mosgowoj ermordet wurde, Ukraine Nachrichten, 29.5.2015, online: https://ukraine-nachrichten.de/warum-alexej-mosgowoj-ermordet-wurde_4262?msclkid=09790f7cbbf711ec850b8d62e4ef9f95 , abgerufen 15.4.2022.
[xliii] https://politpro.eu/en/russia , abgerufen 7.5.2022.
[xliv] Andrew Roth: ‚We’re going back to a USSR’: long queues return for Russian shoppers as sanctions bite, The Guardian, 23.3.2022.
[xlv] UN News: Ukraine war: $100 billion in infrastructure damage, and counting, online: https://news.un.org/en/story/2022/03/1114022?msclkid=c3cead9cbca111ecb6d78d264acb9aa0 , abgerufen 15.4.2022.
[xlvi] Ukraine refugees: UN map shows total nears 5.9 million, online: https://www.msn.com/en-ae/news/world/ukraine-refugees-un-map-shows-total-nears-5-9-million/ar-AAUFmVZ?ocid=uxbndlbing , abgerufen 9.5.2022
[xlvii] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/russen-einstellung-ukraine-krieg-russland-100.html?msclkid=2d74d94bbe8411ecbfaa809c4d779aef
[xlviii] https://edition.cnn.com/interactive/2022/02/europe/russia-ukraine-crisis-poll-intl/index.html?msclkid=4d195201be8311ecb5ebc00f812ab5ee
[xlix] https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/putin-rede-21.2.2022/
[l] https://ria.ru/20220403/ukraina-1781469605.html?fbclid=IwAR1vhwCvYc-iMassF8HdQT4-mlZZl5L0-CCDtTUN_TbUS8KLceg7iQPnU10
[li] Solshenitsyn bids Spain use caution, New York Times, 22.3.1976, online: https://www.nytimes.com/1976/03/22/archives/solzhenitsyn-bids-spain-use-caution.html, abgerufen 9.5.2022.
[lii] https://www.nzz.ch/feuilleton/alexander-solschenizyn-ein-mahner-der-den-kreml-stoert-ld.1440031
[liii] Micha Brumlik: Der Philosoph hinter Putin, Tageszeitung 4.3.2022, https://taz.de/Der-russische-Faschist-Alexander-Dugin/!5836919/
[liv] Sascha Buchbinder: Er hat’s erfunden, Die Zeit 17.3.2022; NZZ: Rückkehr General Denikins in die russische Heimat, 4.10.2005.
[lv] Aynur Kurmanov: The process of rehabilitation of Nazi accomplices in Kazakhstan continues!, online: https://peloantimperialismo.wordpress.com/2022/04/12/the-process-of-rehabilitation-of-nazi-accomplices-in-kazakhstan-continues/?fbclid=IwAR0M_9OhwHtrm6Spfk4YTjKRBuHqam5Ne7Tg_xRn1ZUEtulXsp6ClUCPN1w
[lvi] https://www.rnd.de/politik/ukraine-und-nato-beitritt-hintergruende-und-aussichten-nach-russlands-invasion-PHYTMCJBHZCLZHKESEYDN3J25I.html?msclkid=8363049fbe7e11ecbae6f25f0c43e010
[lvii] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-nato-105.html?msclkid=83633782be7e11ec80ce96ea9c1a2f37
[lviii] Matt Murphy: Ukraine war. Russia aiming for full control of south, commander says, https://www.bbc.com/news/world-europe-61188943
[lix] William Tyler: Ukraine: Past Present Future, online: https://www.talkhistorian.com/post/ukraine-past-present-future, abgerufen 9.5.2022.