Aktuelles von Antonio Bianchi
In der Nacht zum 16. Februar haben die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Deutsche Bahn AG (DB AG) einen Tarifabschluss für ca. 192.000 Beschäftigte ausgehandelt.
Die fatalen Folgen von Privatisierungen, Sparmaßnahmen und schlechten Arbeitsbedingungen zeigte vor zwei Jahren der Zugunfall in Tempi, Griechenland: Ein Reisezug kollidierte frontal mit einem Güterzug, 57 Menschen starben, viele wurden verletzt. Der unerfahrene Fahrdienstleiter war unzureichend ausgebildet, die Prüfung der Weichenlagen im Fahrweg mangelhaft. Die Regierung untersuchte den Unfall oberflächlich, schob die Schuld auf menschliches Versagen und übernahm keine Verantwortung – doch es fehlten sowohl Personal als auch technische Sicherungssysteme. Diese waren aus Kostengründen stillgelegt worden.
Und in Deutschland? Macht die CDU Wahlkampf mit weiteren Privatisierungsplänen für die Deutsche Bahn. Während aktuell viele erfahrene Eisenbahner in den Ruhestand gehen, sind gleichzeitig immer weniger Menschen bereit, unter den aktuellen Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Bahn zu arbeiten und sich ausbilden zu lassen. In der Folge könnten die Wartungsintervalle für Streckeneinrichtungen, Wagenmaterial oder Bauwerke verlängert werden, was nicht nur die Sicherheit massiv gefährden, sondern auch die Leistungsfähigkeit des Bahnbetriebs einschränken würde. Für die Bahn-Beschäftigten wirkt sich all das außerdem in Form zunehmender Arbeitsverdichtung aus. Die weitere Zerschlagung des Unternehmens wird diese Tendenzen verstärken.
Laut einer Mitgliederbefragung der EVG im Dezember 2024 hatten sich ganze 83 % der 35.397 Befragten für Arbeitskampfmaßnahmen ausgesprochen. Denn die Kollegen spüren die schlechten Arbeitsbedingungen tagtäglich. Die EVG-Führung zog trotz dessen die Tarifverhandlungen um zwei Monate vor und brachte sie noch vor Ende der Friedenspflicht zu einem (katastrophalen!) Abschluss.
Die ursprünglichen Forderungen der EVG waren:
- +7,6 % für alle, inklusive Einmalzahlungen (sog. EVG-Zusatzgeld)
- Mehr Zusatzgeld für Schichtarbeiter
- Anpassung und Weiterentwicklung von Entgeltstufen
- Einen Mitgliederbonus von 500€ netto (nicht als Einmalzahlung)
Während andere Tarifrunden sich durch Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen über Monate entwickeln konnten, gab es hier schon nach drei Wochen die folgende Tarifeinigung:
- Entgelterhöhungen: +2 % ab Juli 2025, +2,5 % ab Juli 2026
- Einmalzahlung: 200 € im April 2025
- Zusatzgeld: 2 % ab Dezember 2027 als jährliche Auszahlung
- Zusatzgeld für Schichtarbeiter: 2,6 % ab Dezember 2026 als jährliche Auszahlung, umwandelbar in zwei freie Tage
- Verlängerung der Beschäftigungssicherung bis Ende 2027
- EVG-Mitgliederbonus von 156 € pro Jahr in der Laufzeit
Dieses Ergebnis gilt für eine Laufzeit von 33 (!) Monaten.
Welche Signale sendet die EVG-Führung damit? Anstatt durch Arbeitskampf Druck aufzubauen und Kampfbereitschaft zu demonstrieren, sucht sie den vorzeitigen Abschluss und zeigt sich damit gefügig gegenüber einer wahrscheinlichen CDU-geführten Bundesregierung, die ernsthaft die weitere Zerschlagung der Bahn plant. Durch den Abschluss folgen nun fast drei Jahre Friedenspflicht, in denen die Deutsche Bahn AG kaum mit gewerkschaftlichem Gegenwind rechnen muss. Es folgen fast drei Jahre, in denen die Beschäftigten daran gehindert sind, sich mit Streiks gegen die weitere Zerschlagung oder andere Angriffe des Kapitals zu wehren und damit auch gegen die weitere Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen.
Warum die vorgezogenen Verhandlungen? Begründet wurde dieser Schritt zynischerweise damit, dass man „Wertschätzung und Sicherheit“ für die Beschäftigten über den Regierungswechsel hinaus erreichen wolle – insbesondere angesichts von Plänen der CDU, die Deutsche Bahn AG weiter zu privatisieren. Die Sicherheit bestehe laut Co-Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay darin, „betriebs- und krankheitsbedingte Kündigungen bis Ende 2027 (sic!) weiterhin ausschließen zu können“. Diese Entscheidung der EVG-Führung hat gravierende unmittelbare Nachteile: Da die Friedenspflicht noch gilt, konnten keine Arbeitskämpfe stattfinden. Das führt zwangsläufig zu einem schlechteren Tarifabschluss. Ein Geschenk an die Kapitalseite!
Wie ist das Ergebnis für die Beschäftigten zu bewerten? Über die Zeitspanne von fast drei Jahren steigen die Löhne ohne Einmalzahlungen um mickrige 4,5 %, was eine jährliche Lohnsteigerung von rund 1,6 % bedeutet und das bei einer Inflation von 2,3 % im Januar 2025. Hier ist noch nicht eingerechnet, dass die Inflation in Bereichen wie Lebensmittel und Heizung deutlich höher liegt. Das Tarifergebnis ist also ein andauernder Reallohnverlust. Wie sich die Kosten für Mieten, Lebensmittel und die allgemeine wirtschaftliche Lage in 33 Monaten entwickeln werden, ist völlig unklar. Die EVG rechnet sich das schön und verkauft das Ergebnis als großzügige 9,1 % für Schichtarbeiter. Allerdings wird die Hälfte davon nur als Einmalzahlung ausgezahlt und fließt nicht dauerhaft in die Löhne ein. Die restlichen 2 – 4,6% werden während der Laufzeit als jährliche Einmalzahlung, sogenanntes EVG-Zusatzgeld, ausgezahlt. Damit sind die Forderungen um Längen verfehlt. Der Tarifabschluss ist ein Schlag ins Gesicht: Zu Recht äußern viele EVG-Kollegen ihre Kritik über den Tarifabschluss in den sozialen Medien und fühlen sich von den Führern der Gewerkschaft und Tarifkommission hintergangen.
Was wird der Abschluss für die EVG bedeuten? Die Macht der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen liegt im Arbeitskampf, insbesondere im Streik. Wir können nicht nur Druck auf die Kapitalseite aufbauen, sondern lernen den organisierten Kampf sowie Solidarität untereinander. Wir lernen unsere gemeinsamen Interessen kennen und für sie zu kämpfen. Das hat die EVG-Führung mit dieser Tarifauseinandersetzung sehenden Auges verhindert und einen Einschnitt in die Kampferfahrungen der Eisenbahner in Kauf genommen. Die EVG ist zwar die größte, aber nicht die einzige Gewerkschaft in der Eisenbahnbranche. Sie konkurriert mit der GDL um Mitglieder in den verschiedenen Bereichen des Konzerns. Dieser verräterische Tarifabschluss wird ein erneuter Grund sein, warum viele EVG-Mitglieder über einen Wechsel zur GDL nachdenken werden. Die EVG-Führung polarisiert mit diesem Abschluss die Belegschaft und befördert eine weitere Zersplitterung der gewerkschaftlichen Organisation der DB-Beschäftigten. Letzten Endes schwächt die Führung der EVG mit diesem Abschluss wohl abermals ihre eigene Organisation.
Vorauseilender Gehorsam der Gewerkschaftsführungen und schnelle Übereinkünfte der „Sozialpartner“ und dementsprechend schlechte Tarifabschlüsse sind leider keineswegs Einzelerscheinungen, wie zuletzt der Verzicht der IG Metall auf fortgesetzte Streiks im Bereich der Metall- und Elektroindustrie gezeigt hat.
Und in Griechenland? Anlässlich des zweiten Jahrestages des Zugunfalls von Tempi haben sich abermals Massenproteste formiert, die am 28. Februar in einem Generalstreik gipfeln sollen. Dieser wird von der klassenkämpferischen Gewerkschaftsfront PAME initiiert. Die Demonstranten werfen der Regierung die Vertuschung des Unglücks vor, denn es kamen massive Sicherheitsmängel ans Licht. Tempi zeigt: Ein Sparkurs im Bereich Sicherheit und Personal ist brandgefährlich – für die Eisenbahner und für uns alle!
Wie weiter? Politik und Kapital verstärken auch hierzulande angesichts der internationalen Konkurrenz zunehmend die Angriffe auf die Arbeiterklasse. Umso mehr müssen wir in den Gewerkschaften gegenüber den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführungen um eine kämpferische Linie ringen. Eine Linie, die die vorhandene Streikbereitschaft nutzt und tatsächlich die Interessen der Arbeiter umsetzt, statt im Dienste der Kapitalisten schon im Voraus auf den Arbeitskampf zu verzichten. Wir müssen betriebs- und branchenübergreifend für eine echte Verbesserung der Löhne kämpfen, für besseren Arbeitsschutz und mehr Personal. Wir stehen für die Einheit und Solidarität zwischen allen Arbeitern. Denn nur gemeinsam können wir Druck auf die herrschende Klasse aufbauen.