Die 70er lassen grüßen: Eine neue Welle Berufsverbote?

Aktuelles von Kamil Kazimierz

Im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte gab es in Deutschland immer wieder vereinzelte Fälle, bei denen linke Menschen aufgrund ihrer politischen Orientierung ihre Anstellung im öffentlichen Dienst verloren oder ihre Ausbildung dafür nicht abschließen durften. Einige Beispiele dafür, die sich alle in jüngerer Vergangenheit ereigneten, sind die Fälle von Luca Schäfer (2021), Kerem Schamberger (2016) und Benedikt Glasl (2017), um die es hier jedoch nicht im Detail gehen soll. Berufsverbote sind somit kein Phänomen vergangener Zeiten, das sich – nachdem Bund und Länder sich bis Mitte der 1980er Jahre stückweise wieder vom 1972 eingeführten Radikalenerlass verabschiedet hatten – vollständig in Luft aufgelöst hat. Mittlerweile häufen sich Fälle, in denen politisch aktiven und dem linken Spektrum zuzuordnenden Menschen die Ausübung ihres Berufs aktiv vom Staat erschwert oder ihnen gänzlich die Möglichkeit genommen wird. Das Thema ist heute so aktuell wie seit über 40 Jahren nicht mehr. Dabei erfreuten sich einige dieser Ereignisse einer beachtlichen medialen Aufmerksamkeit und wurden in der breiten Masse unserer Gesellschaft wahrgenommen. Nun gilt es festzustellen, woher diese Rückkehr zu vermeintlich antiquierten Methoden der Repression kommt und was sie für uns und unseren politischen Kampf bedeutet. Doch vorher lohnt es sich kurz auf den historischen Hintergrund der Berufsverbote zu blicken.

Ein kleiner Exkurs zum Radikalenerlass

Anfang der 1970er Jahre sahen die führenden bürgerlichen Parteien in Deutschland eine große Bedrohung darin, dass das Beamtentum von Kommunistinnen und Kommunisten unterwandert werden könnte, die – so die Annahme – in den staatlichen Strukturen „verfassungsfeindliche“ Ziele verfolgen wollten. Daraufhin setzte sich der damalige SPD-Kanzler Willy Brandt mit den Ministerpräsidenten zusammen und beschloss am 28. Januar 1972 den so genannten Radikalenerlass. Dieser Beschluss sollte sich auf dem Papier sowohl gegen linke als auch rechte Kräfte richten, in der Praxis waren jedoch wenig überraschend fast ausschließlich Menschen davon betroffen, die vom Staat als kommunistisch eingeordnet wurden. Konkret ermöglichte der Erlass, alle Bewerberinnen und Bewerber für den öffentlichen Dienst mit einer Abfrage beim Verfassungsschutz auf ihre politische Gesinnung zu überprüfen, wodurch dieser effektiv zur entscheidenden Instanz für Auswahl und Einstellung wurde.

Insgesamt wurden auf diesem Wege ca. 3,5 Millionen solcher Anfragen gestellt, wobei es über die konkrete Anzahl an daraus resultierenden Berufsverboten jedoch keine einheitlichen Daten gibt. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) wurden im Zuge des Radikalenerlasses aber ungefähr 11.000 Verfahren geführt, 1.250 Bewerberinnen und Bewerber durch diese Maßnahmen abgelehnt und 260 Menschen aus ihrer Anstellung im öffentlichen Dienst entlassen. Dabei handelte es sich primär um Lehrerinnen und Lehrer und die resultierenden Gerichtsverfahren zogen sich teilweise über mehrere Jahre hinweg.

Der Radikalenerlass wurde bereits damals scharf kritisiert und es entwickelte sich eine Welle des Protests, die weit über die direkt Betroffenen hinaus in sämtliche Teile der Gesellschaft hineinreichte. Schließlich unterließ der Bund ab 1979 die Regelanfragen bei seinen Bediensteten, auf Länderebene dauerte dies jedoch teilweise noch mehrere Jahre länger. Die Annahme, dies wäre auf die Gegenproteste zurückzuführen und basiere rein auf dem gutem Willen der bürgerlichen Politik, wäre jedoch zu kurz gedacht. In der Betrachtung dieser Entwicklung ist ausschlaggebender, dass zu diesem Zeitpunkt, unter anderem wegen erfolgreicher antikommunistischer Maßnahmen, einer ökonomischen Stabilisierung und sozialen Zugeständnissen an die Arbeiterklasse, das Klassenbewusstsein in Deutschland bereits stark zurückgegangen war. Somit hatte die kommunistische Bewegung zu diesem Zeitpunkt bereits massiv an Relevanz eingebüßt und der Bedarf an solch repressiven Methoden war schlichtweg nicht mehr vorhanden.

Kündigung wegen Israelkritik

Damals wie heute sind zwar hauptsächlich Lehrerinnen und Lehrer von Berufsverboten betroffen, doch wie der aktuelle Fall von Melanie Schweizer zeigt, können auch Menschen in anderen Berufen zur Zielscheibe werden. Schweizer arbeitete als verbeamtete Juristin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wo sie Referentin im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte war. Zudem kandidierte sie bei der Bundestagswahl 2025 für die Partei MERA25 als Direktkandidatin in Berlin-Mitte. Im Endeffekt war es ihre Kritik am israelischen Staat1, die dafür sorgte, dass sie ihren Posten als Beamte verlor.

Auf ihrem privaten Twitter (mittlerweile X) Profil hatte sie sich im Dezember 2024 nämlich „gegen den Genozid in Palästina, der von Israel begangen wird‘‘“ ausgesprochen. So richtig ihre Feststellung auch gewesen sein mag, veröffentlichte die Bild wegen des Posts einen hetzerischen Artikel mit dem Titel „Mitarbeiterin verbreitet übelsten Israel-Hass“, der den Vorfall und ihre Person in das Licht der Öffentlichkeit rückte. Daraufhin wurde sie zunächst vorläufig vom Dienst suspendiert und jetzt wurde Anfang März ihre Kündigung vom Ministerium endgültig durchgesetzt.

Dass Menschen aufgrund ihrer Solidarität mit Palästina ihren Job verlieren, ist spätestens seit dem 7. Oktober 2023 nichts Neues. So traf es beispielsweise Helen Fares, eine ehemalige Moderatorin beim öffentlich-rechtlichen SWR, die in einem auf Social Media geteilten Video dazu aufrief, Produkte israelischer Unternehmen zu boykottieren und daraufhin gekündigt wurde. Doch was zuvor der Willkür eines Chefs oder zumindest eines Unternehmens unterlag, wird jetzt darüber hinaus ein konkretes Mittel des Staates, systematisch unliebsame Stimmen aus den eigenen Reihen zu entfernen.

In kapitalistischen Gesellschaften ist Meinungsfreiheit, wie so vieles, zwischen den Klassen extrem ungleich verteilt und wird in den Reihen der Arbeiter stetig von Seiten der Bourgeoisie eingeschränkt. Auch in all diesen Fällen handelt es sich um eine kalkulierte Beschneidung ebenjener Freiheit, die langfristig dafür sorgen wird, dass Staatsbedienstete ihre Meinungen zu solchen Themen, sofern sie mit der deutschen Staatsräson nicht übereinstimmen, noch seltener als bisher äußern werden. Zudem sollen auf diesem Wege schon jetzt Präzedenzfälle geschaffen werden, um auch zukünftig Menschen möglichst schnell und unkompliziert ihres Amtes zu entheben, sobald sie es wagen sollten ihre Stimme zu erheben.

Kapitalismuskritik führt zu Berufsverbot

Der Fall der Münchener Lehramtsstudentin Lisa Pöttinger ist sicherlich das prominenteste Beispiel eines Berufsverbotes in jüngerer Zeit. Bis zuletzt befand sie sich in der Ausbildung für das Lehramt an Gymnasien und sollte im Schuljahr 2024/25 das Referendariat antreten, aber das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus teilte ihr am 10. Februar letzten Jahres mit, dass es sie dafür nicht zulassen werde. Das Ministerium ließ über einen Sprecher verkünden, diese Entscheidung basiere nicht auf Pöttinger‘s Engagement für den Klimaschutz. Sie selbst schrieb dazu hingegen auf Twitter: „Ich habe ein #Berufsverbot bekommen. Weil ich eine marxistische Analyse der #Klimakrise vertrete.“ und widersprach somit der Darstellung des Kultusministeriums.

In der gesamten Kommunikation dieses Falles war das Kultusministerium schwer darum bemüht, diesen Vorwurf von sich zu weisen, ließ aber über einen Sprecher verkünden „dass sich nach Erkenntnis des Verfassungsschutzes linksextremistisches Handeln und Engagement für den Klimaschutz nicht ausschließen, sondern, ganz im Gegenteil: Es ist nicht ungewöhnlich, wenn im Einzelfall – wie bei Ihnen – beides Hand in Hand geht“.

So oder so zweifelte das Ministerium Pöttingers Verfassungstreue an, weil sie bei einem Klimaprotest zur Automesse IAA in einem Interview den Begriff „Profitmaximierung“ verwendet haben soll, was laut Kultusministerium ein „Begriff Kommunistischer Ideologie“ sei. Der Versuch von Pöttinger und ihrem Anwaltsteam in einer Stellungnahme zu erklären, dass es sich dabei um einen wirtschaftswissenschaftlichen Begriff handelt, der nicht nur von Kommunisten und Kommunistinnen verwendet wird, trug wohl keine Früchte. Zusätzlich beruft sich das Ministerium in seiner Argumentation auf zwei weitere gegen sie laufende Strafverfahren, deren Inhalt nicht öffentlich bekannt ist sowie auf Pöttingers mehrjähriges Engagement beim Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München.

Der ausschlaggebende Punkt scheint die Beteiligung am genannten Offenen Klimatreffen zu sein. Denn der Freistaat Bayern darf, um Bewerber und Bewerberinnen für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen, eine Anfrage beim Verfassungsschutz stellen, sobald Verdacht auf Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation besteht. Zudem müssen Bewerber für den öffentlichen Dienst in Bayern einen Fragebogen ausfüllen, in dem unter anderem nach Mitgliedschaft in politischen Organisationen gefragt wird. Wie Pöttinger in einem Interview mit Jacobin erzählte, hatte sie bei diesem Fragebogen zuvor erwähntes Klimatreffen angegeben, was dann zur Grundlage für die Anfrage beim Verfassungsschutz wurde. Offen bleibt die Frage, inwiefern eine faktische Mitgliedschaft in einer, wie der Name schon sagt, offenen und somit losen Struktur, überhaupt möglich ist und auf welcher Grundlage ebenjene Gruppe als potenziell verfassungsfeindlich eingestuft wird. Dass diese zentralen Punkte in der Argumentation des Verfassungsschutzes nicht weiter erklärt wurden, vereinfacht es enorm, eine solch willkürliche Entscheidung zu treffen.

Bei seiner Entscheidungsfindung ließ sich das Ministerium zudem bis genau eine Woche vor Beginn des zweiten Schulhalbjahres Zeit, wodurch Pöttinger also bis zum letzten Moment nicht wusste, ob sie ihre Ausbildung fortsetzen darf, womit gegebenenfalls auch ein Umzug in eine andere Stadt einhergegangen wäre. Über das absurde Urteil hinaus, entschied man sich also zusätzlich dazu, Pöttinger weiter zu schikanieren.

Insgesamt scheint die Argumentation des Kultusministeriums durchweg willkürlich und an den Haaren herbeigezogen, daher hat Pöttinger bereits angekündigt, rechtlich dagegen vorzugehen. Das letzte Wort ist hier also noch nicht gesprochen. Bisher hält das Ministerium aber trotz großer öffentlicher Kontroverse unbeirrt an seiner Darstellung fest. Eindeutig zu erkennen ist, dass solches Handeln einen weiteren eklatanten Eingriff in die geltenden, vom bürgerlichen Staat zugesicherten und stolz propagierten Grundrechte darstellt und es sich dabei, entgegen der Darstellung des Bayerischen Kultusministeriums, nicht um einen Einzelfall handelt.

Die Bedingungen verändern sich

Geschichten wie diese trugen sich in den letzten Jahren bereits regelmäßig zu, aktuell ist jedoch eine Zunahme solch repressiver Handlungen zu erkennen. Zusätzlich zu den hier genannten Fällen kommen da beispielsweise noch die Namen der ebenfalls betroffenen Benjamin Ruß und Luca Schäfer ins Gedächtnis. Die sich häufenden Berufsverbote sind in Zeiten wachsender Krisen und Unsicherheit des Kapitals nur wenig verwunderlich und stellen lediglich eine Weiterentwicklung einer bereits lange vorhandenen Tendenz dar. Dass der bürgerliche Staat die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger angreift, ist bei weitem nichts Neues, nur jetzt scheint das Berufsverbot die von uns bereits zur Genüge erlebten Demoverbote, Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Abschiebungen als weiteres etabliertes Mittel der Repression zu ergänzen. Dadurch ist dem Staat die Möglichkeit gegeben, unter bestimmten Umständen unliebsame Personen zielgenau und auch öffentlich anzugreifen. Betroffenen kann somit in kürzester Zeit ihre ökonomische Lebensgrundlage und Zukunftsperspektive genommen werden, um sie einzuschüchtern und vom politischen Kampf abzuhalten.

Zum einen bedeutet diese Entwicklung für uns als Klasse, dass wir die Methoden, mit denen wir uns zu schützen versuchen, reflektieren und zukünftig noch besser auf uns und unsere Genossen und Genossinnen aufpassen müssen, um vermeidbare Schäden abzuwenden. Letzten Endes ist die beste Option, die wir im Angesicht dieser Bedrohung haben, gegenseitige Solidarität und unser Zusammenhalt als Klasse. Andererseits beweisen die genannten Fälle, dass wir uns, sobald wir die Entscheidung treffen, öffentlich mit unseren politischen Forderungen aufzutreten, kein Blatt vor den Mund nehmen sollten. Zurückhaltung im politischen Kampf ist in Zeiten, in denen selbst die loseste Systemkritik oder das Benennen eines Völkermords zum Verlust der eigenen Arbeitsstelle führen können, schlicht und ergreifend fehl am Platz.

1 Hierbei ist anzumerken, dass es sich bei MERA25 um eine linkssozialdemokratische Kraft handelt, die sich lediglich oberflächlich mit dem Palästinensischen Volk solidarisiert. Mehr dazu unter: https://kommunistischepartei.de/stellungnahmen/mera25-ein-prokapitalistisches-trojanisches-pferd-in-der-palaestina-bewegung/

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