Syrien am Abgrund

Stellungnahme des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei vom 08. Dezember 2024

In Syrien überschlagen sich seit einigen Tagen die Ereignisse: In der Nacht von Samstag auf Sonntag ist Damaskus in die Hände der Dschihadisten gefallen, Präsident Baschar al-Assad hat Berichten zufolge das Land verlassen.

Seit Ende November ist der Bürgerkrieg in Syrien, der für einige Jahre relativ „eingefroren“ war, rasant eskaliert, nachdem Kämpfer der Hayat Tahrir al-Scham (HTS) Positionen der syrischen Armee angegriffen und auf breiter Front überrannt haben. Die HTS ist eine dschihadistische Organisation, die aus Al Qaida hervorgegangen ist, früher Al-Nusra Front hieß und jahrelang in Idlib, im Nordwesten Syriens, ihre Machtstellung halten konnte. Aktuell arbeitet sie zusammen mit weiteren, ideologisch teilweise ähnlichen bewaffneten Gruppierungen, insbesondere der von der Türkei unterstützten „Syrischen Nationalarmee“. Die Koalition der Rebellen eroberte innerhalb weniger Tage Aleppo und Hama, zwei der größten und wichtigsten Städte des Landes, und zahlreiche weitere Orte und strategisch wichtige Positionen. In der vergangenen Nacht drang sie dann in Homs ein, der letzten Großstadt vor Damaskus – und wenige Stunden später in Damaskus selbst. Die Regierung Assad scheint damit ein für alle mal Geschichte zu sein. Was ist der Hintergrund dieser Entwicklungen?

Syrien ist mit dem Wiederaufflammen des Krieges ein weiteres Mal zum Schlachtfeld eines Stellvertreterkrieges zwischen verschiedenen imperialistischen Akteuren geworden. Die dschihadistischen Rebellen werden insbesondere und am offensten von der Türkei unterstützt, sind aber auch offensichtlich mit Israel verbündet, das ihre Offensive durch Luftangriffe auf Positionen der syrischen Armee unterstützt hat. Israel hatte bereits in früheren Phasen des Krieges faktisch mit dem sogenannten Islamischen Staat und der Al-Nusra Front zusammengearbeitet, indem es seine Angriffe auf die syrische Armee konzentrierte und dschihadistische Kämpfer in ihren Krankenhäusern behandelte[1]. Auch die USA haben im Verlauf der letzten Jahre immer wieder dschihadistische Rebellen gegen die Regierung in Damaskus unterstützt – so erklärte Jake Sullivan, der damalige Sicherheitsberater des Außenministeriums der USA, 2012 in einer von Wikileaks veröffentlichten Email „AQ (Al Qaida) ist in Syrien auf unserer Seite“[2].

Doch die von den USA bevorzugte Kraft in Syrien sind die Truppen der „Syrischen Demokratischen Kräfte“, die von der kurdischen YPG in Nordostsyrien angeführt werden und den USA die relativ ungehinderte Ausbeutung des syrischen Öls ermöglichen[3]. Die SDF nutzten die Bedrängnis der Regierungstruppen, um diese nun ebenfalls anzugreifen und südlich von Rakka größere Gebiete zu erobern. Bezüglich der kurdischen Kräfte geraten die Interessen der USA mit denen der Türkei in Konflikt, die in der YPG, die eng mit der PKK verbunden ist, „Terroristen“ sehen.

Die syrische Regierung von Bashar al-Assad in Damaskus schließlich konnte in früheren Phasen den Krieg nur für sich entscheiden, weil sie massive militärische Unterstützung von Russland, Iran und der libanesischen Hisbollah erhielt. Ohne Syrien ist für den Iran die Landverbindung über den Irak zur Hisbollah im Libanon unterbrochen. Russland wiederum ist am Erhalt einer ihm freundlich gesinnten Regierung in Syrien und vor allem seiner militärischen Flottenbasis in Tartus interessiert.

Keine Seite des Bürgerkriegs in Syrien vertritt die Interessen der Arbeiterklasse und der verschiedenen Völker Syriens. Sicherlich nicht die von der Türkei und Israel unterstützten dschihadistischen Gruppierungen; aber auch nicht die nun gestürzte syrische Regierung, gegen die es 2010 und 2011 berechtigte Proteste wegen der Armut großer Bevölkerungsteile, der Privatisierungen, der Korruption und Repressionen gab; und auch nicht die kurdisch geführten Gebiete im Nordosten, die mit den USA zusammenarbeiten und sich an der blutigen Zerstückelung des Landes beteiligen.

Trotzdem wäre es falsch, aus der Ferne einfach nur die Geschehnisse unbeteiligt oder mit gleicher Distanz zu den verschiedenen Akteuren zu verfolgen. Der Sieg extrem reaktionärer und verbrecherischer Kräfte, die von der Türkei und Israel unterstützt werden, hat katastrophale Folgen. Nicht nur werden die Rechte der Arbeiterklasse mit Füßen getreten und sind insbesondere die der Frauen und religiösen Minderheiten (z.B. Alawiten und Christen) gefährdet, sondern die Zerstörung des Landes, die Spaltung der Arbeiterklasse entlang sektiererischer religiöser und ethnischer Linien wird verstärkt und die Bedingungen für den Kampf um den einzig wirklichen Ausweg, den Sozialismus, wird sich voraussichtlich extrem verschlechtern. Auch der palästinensische Befreiungskampf dürfte durch den Sieg der von Israel unterstützten Dschihadisten eine große Niederlage erlitten haben, indem eine tendenziell pro-palästinensische durch eine tendenziell pro-israelische Regierung ersetzt und auch die Unterstützung durch den Iran erschwert werden wird. Israel hat bereits Truppen in die besetzten Golanhöhen verlegt[4] und es bleibt abzuwarten, ob das zionistische Regime die Gelegenheit ergreifen wird, weitere Gebiete in Syrien zu annektieren.

Die politischen Verhältnisse in Syrien werden sich nun von Grund auf verändern. Wie auch immer sich die neue Regierung verhalten wird, ob als brutale terroristische Herrschaft, oder als „pragmatischere“ Variante – was nun anstehen wird, ist die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfes der Völker Syriens, unabhängig von Ethnie und Religion, gegen die Destabilisierung und Zerstörung ihres Landes, gegen das neue Regime der Reaktion, letztlich für die Machtübernahme der Arbeiterklasse und des Volkes.


[1] https://www.timesofisrael.com/yaalon-syrian-rebels-keeping-druze-safe-in-exchange-for-israeli-aid/

[2] https://www.wikileaks.org/clinton-emails/emailid/23225

[3] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1140025.nord-und-ostsyrien-usa-schliessen-oel-abkommen-mit-kurden.html ; https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/inside-story-how-trump-kept-oil-syria-and-lost

[4] https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/idf-again-shoring-up-forces-on-golan-as-syrian-rebels-take-area-close-to-border/

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