„Nicht nach ihrer Pfeife tanzen“

Interview mit Vincent über Verfolgung, Angebote und Freispruch im Gerichtssaal

Am 20. Oktober fand die Verhandlung im Verfahren gegen unseren KP-Genossen Vincent (Namen geändert) wegen Palästina-solidarischen Protests statt. Vincent, kannst du kurz umreißen, worum es in diesem Verfahren ging und wie es dazu kam?

Die Vorwürfe bezogen sich auf zwei Palästina-solidarische Versammlungen im vergangenen Jahr, bei denen ich als Anmelder und Versammlungsleiter fungierte. Im Nachhinein wurde mir vorgeworfen, nicht ausreichend meinen Pflichten in dieser Verantwortung nachgekommen zu sein. Das heißt konkret, dass mir im ersten Fall vorgeworfen wurde, die Kundgebung anlässlich einer Personenblockade für Palästina sei nur vorgetäuscht eine Eilversammlung gewesen – ich hätte sie also nicht rechtzeitig bei der Polizei angemeldet. Im zweiten Fall lautete der Vorwurf, dass es zu „erheblichen Abweichungen“ der angezeigten Versammlung gekommen sei, denen ich nicht ausreichend begegnet wäre. Von Anfang an war klar, dass die Vorwürfe konstruiert sind, dass sie auf einer wackligen Beweislage fußten, dass sie sich vielmehr einfügten in die Welle von Anzeigen und Gerichtsverfahren gegen Palästina- und Antikriegsaktivisten in den letzten Jahren. Insofern war das hiesige Verfahren auch ein Einschüchterungsversuch gegen alle, die beispielsweise Demonstrationen für Palästina organisieren.

Interessant ist jedenfalls, dass die Staatsanwaltschaft unmittelbar mit der Mitteilung über das Verfahren auch ein Angebot zur Einstellung gegen Auflage machte: Gegen eine Zahlung von 300 Euro hätte sie das Verfahren beigelegt. Das lässt zumindest vermuten, dass sich die Justiz selbst keine allzu hohen Chancen ausrechnete, die Vorwürfe in einem Prozess bestätigt zu finden.

Warum hast du dich gegen das Angebot zur Einstellung gegen Auflage entschieden, wenn es sich doch um eine vergleichsweise geringe Summe handelte, warum bist du das Risiko größerer Prozess- und Urteilskosten eingegangen?

Politisch ist wichtig festzuhalten, dass eine Einstellung (und erst recht gegen Auflage) kein Freispruch ist. Während der Freispruch den Staat zwingt, die eigene Unschuld gerichtlich anzuerkennen, bedeutet die Akzeptanz der Auflage bei einer solchen Einstellung in erster Linie eine Übereinkunft, also einen Deal mit der Justiz. In meinem konkreten Fall hatte die Polizei angedroht, mich zukünftig nicht mehr als Versammlungsleiter zuzulassen, auf Basis der eben geschilderten Vorwürfe, auf die sich dann auch das Gerichtsverfahren später bezogen hat. Eine Einstellung gegen Auflage – und sei sie noch so gering – hätte von der Polizei als Schuldeingeständnis interpretiert werden können. Das wiederum hätte tatsächlich die Grundlage geschaffen, zukünftige Anmeldungen von Versammlungen meinerseits abzulehnen. Ich wollte also kein Schuldeingeständnis, keine Übereinkunft mit der Gegenseite, sondern den Prozess – zusammen mit meinen Mitstreitern – offensiv und politisch führen. Bei all dem wusste ich, dass ich mich auf die Unterstützung meiner Genossinnen und Genossen in der KP und in der Palästina-Bewegung hier vor Ort verlassen kann, auch wenn es um so etwas wie Spendensammlungen für Verfahrenskosten geht.

Kannst du beschreiben, was du mit „politischer Prozessführung“ meinst?

In erster Linie eigentlich das eben schon Angeklungene: Kollektivität. Egal was passiert: Es gibt eine Anzeige, Vorladung, Gerichtsprozess – die Betroffenen beraten sich mit ihren Mitstreitern, machen sich schlau über die Vorwürfe, schalten gegebenenfalls solidarische Anwälte ein. Bei allem muss klar sein: Der Staat und seine Organe arbeiten aus der politischen Motivation des Klassenkampfes heraus gegen uns – sie sind keine Hüter einer klassenneutralen Ordnung, sie sind niemals unsere Verbündeten und wir machen uns nicht die Illusion, mit ihnen Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen oder so etwas. Natürlich versucht der Staat, seine Verfolgung gegen uns nicht als klassenpolitisch motiviert erscheinen zu lassen, aber genau das müssen wir entlarven. In meinem Fall hat es geholfen, den Prozess öffentlich anzukündigen und dafür zu mobilisieren, Mitstreiter und Freunde direkt anzusprechen und einzuladen. Es gab eine Solidaritätskundgebung vor dem Gericht, es gab eine Prozessbegleitung drinnen, es gab gemeinsame Kraft und selbstgebackenen Kuchen. Ich hatte eine ausführlichere Prozessrede vorbereitet, mit der ich trotz anfänglicher Unterbrechung durch den Staatsanwalt in die Verhandlung starten konnte. Ich versuchte also, die trotz aller Umstände gebotene Bühne im Gericht zu nutzen, unser politisches Anliegen offensiv und ohne Reue oder Distanzierung zu den politischen Aktivitäten von uns oder denen, mit denen wir uns solidarisch erklären, vorzutragen.

Drei Verhandlungsstunden und acht Zeugenaussagen von Polizei und Mitdemonstrierenden später wurdest du vom Gericht tatsächlich freigesprochen. Sogar die anklagende Staatsanwaltschaft schloss sich der Feststellung des Freispruchs an. Wie kam es dazu?

In meinem Fall konnten unter anderem Zeugenaussagen zum Geschehen der Staatsanwaltschaft den Wind aus den Segeln nehmen – das ist sicher nicht verallgemeinerbar, und Aussagen vor Gericht sollten nicht leichtfertig getroffen werden. Die Beweislage war in meinem Fall faktisch null und nichtig, die Widersprüche in den Aussagen der Polizei war schnell für alle sicht- oder besser hörbar. Der ganze Verhandlungsablauf schrie nach Freispruch – dennoch haben wir niemals eine Garantie dafür, wie Richter entscheiden, müssen also immer auch mit einem Urteil kalkulieren.

Was bedeutet der Freispruch aus deiner Sicht?

Ich fang mal damit an, was er nicht bedeutet: Freispruch bedeutet nicht, dass der Staat auf einmal gnädig mit mir oder uns als Klasse geworden ist. Die nächsten Prozesse werden kommen, sie werden nicht immer so glimpflich ausgehen wie in meinem Fall und schon heute sind Leute in diesem Land wegen politischer Aktivitäten gegen die herrschenden Verhältnisse teilweise von deutlich härterer Repression betroffen, bis hin zu Gefängnisstrafen oder Abschiebung. In solchen Fällen stellt sich die konkrete Umsetzung politischer Prozessführung noch einmal ganz anders. In meinen Fall gilt, dass es genau die richtige Entscheidung war, das Angebot zur Einstellung gegen Auflage nicht anzunehmen, sondern den Prozess zu führen. Ich denke, es ist eine natürliche Reaktion, zusätzlichen Stress – den so ein Prozess natürlich mit sich bringt – vermeiden zu wollen. Auf der anderen Seite wissen wir von der Auseinandersetzung mit dem Klassengegner im Betrieb, dass der vermeintlich einfachste Weg nicht unbedingt der beste ist: Vermeintlich gute Deals mit dem Unternehmer am Verhandlungstisch entpuppen sich als kurzweilige Erfolge, weil sie weder Organisation noch Kampfkraft stärken. Auch die Angebote von Staat und Justiz bezwecken Einhegung, Kontrolle oder Distanzierung vom eigenen Handeln. Egal wie und warum wir uns im gegebenen Fall für einen Umgang im Verfahren entscheiden, wir dürfen uns nicht darauf einlassen, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Wir dürfen auch keine Illusionen in „Rechtsstaatlichkeit“ oder so etwas haben, sondern müssen den Klassenstaat der Kapitalisten als solchen verstehen, so wie er sich uns mit all seiner Schikane und Unterdrückung zeigt: auf der Straße durch die Polizei, im Jobcenter, in Asylverfahren, an der Uni, als Rekrut in der Armee und eben auch in Gerichtsverfahren gegen unser politisches Handeln.

Das Interview führte: Fatima Saidi

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