Debattentheater und Kanonenfutter-Roulette

Kommentar von David Brandt

Am Donnerstag, dem 16. Oktober 2025, stand die erste Lesung des kontrovers diskutierten Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes auf der Tagesordnung des Bundestages. Eckpunkte: In einer ersten Phase soll über einen für junge Männer verpflichtend abzugebenden Fragebogen inklusive Musterung ihre allgemeine Bereitschaft und Tauglichkeit zum Wehrdienst erfasst werden. Falls es an Einsatzwilligen in der jeweiligen Generation mangelt, soll zunächst ein Losverfahren zum Einsatz kommen oder im nächsten Schritt gar erneut der allgemeine Grundwehrdienst durch die Regierung verordnet werden können (vorausgesetzt der Bundestag stimmt zu – man ist ja „Parlamentsarmee“). Der Verteidigungsminister soll in Form von benötigten Rekrutenzahlen pro Jahrgang Bestellungen abgeben dürfen. Um einen Überblick über die potentielle Rekrutenzahl zu erlangen, bestand der Verteidigungsminister in der Bundestagsdebatte auf verpflichtende Musterungen. Das erklärte mittelfristige Ziel dabei ist die Verdoppelung der aktuell gut 180.000 unter Waffen stehenden Soldaten zur, so der Bundeskanzler, „stärkste[n] konventionelle[n] Armee“ der EU. All das wird explizit mit einem angeblich drohenden russischen Angriff auf die NATO begründet. Inspiriert ist dieses nun diskutierte mehrstufige Modell von Dänemark. So scheint dessen sozialdemokratische Regierung ihr Land zur experimentellen und propagandistischen Avantgarde der EU machen zu wollen. Beispiele dafür sind das „innovative“ Migrationshandling Dänemarks, der dänische Entwurf für die Etablierung einer Chatkontrolle in der EU oder das Framing von Drohnensichtungen über dänischen Flughäfen als „hybriden Angriff“ auf die NATO. Die diskursive Aufgabenteilung der Koalitionsregierung in Deutschland bei dem Gesetzesentwurf über eine Neugestaltung der Wehrpflicht war wiederum absehbar: Die Sozialdemokraten zeigten ihre altbewährte Einsicht in staatstragende Notwendigkeiten und die Union sprach forsch ihre Maximalforderungen aus. Den Unionspolitikern nach mangelte es vorausgegangenen Gesetzentwürfen an Deutlichkeit bei den Einzugskriterien. Das Debattentheater der Koalition in den vergangenen Tagen beinhaltete gar eine abgesagte Pressekonferenz wegen Unstimmigkeiten über den Inhalt des Gesetzentwurfes. Jetzt wurde der Entwurf in die Ausschüsse verwiesen.

Im schwindelerregenden Durchlauf dürfen wir indessen bereits seit 2011 das ganze Instrumentarium der Verwaltung von „Menschenmaterial“ durch den bürgerlichen Staat bestaunen: Auf die auf unsichtbaren Zwang in Richtung der Prekärsten setzende neoliberale Guttenbergsche Variante des „modernen Militärs“ folgen nun wieder autoritär gestrafftere Zügel. Benefits für die jungen Menschen, ob geworben oder ausgelost, sollen locken: vielleicht mit einem Führerschein, einem Parka oder gleich dem künstlichen Darmausgang. Zurzeit hat das Kanonenfutter-Roulette per Losentscheid selbst bei bürgerlichen Kommentatoren noch Legitimationsprobleme und der Gesetzesentwurf könnte tatsächlich noch in Karlsruhe sein Ende finden. Doch das ist wohl einkalkuliert: Denn die Debatte über die Wehrpflicht ist erfolgreich verschoben, die existenzielle Dringlichkeit derselben nochmals verdeutlicht worden und der Anlauf zum nächsten Versuch damit gut vorbereitet. Wenn für die Durchsetzung der Interessen des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt mehr militärische Gewalt gebraucht wird, qua mehr Soldaten notwendig sind, wird der Staat auch das Notwendige tun, um den Erfolg des deutschen Kapitals sicherzustellen.

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