Durch die Corona-Pandemie war die Regierung dazu genötigt, Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu treffen, um die Verbreitung des Virus zumindest zu verlangsamen. Als wirksames Mittel setzen die Herrschenden vor allem auf Ausgangsbeschränkungen und Aufrufe zur „sozialen Distanzierung“. Soziale Distanzierung klingt für viele sehr vertraut. Vielleicht nicht für den durchschnittlichen Arbeiter, der in der Fabrik oder im Büro seine Kollegen um sich hat, auf den zuhause Frau und Kinder warten, der im Fußballverein zweimal die Woche kickt und im Anschluss mit Freunden noch ein Bier in der Kneipe trinkt. Vertraut klingt es vor allem für die Leute, die auch ohne Corona alleine und isoliert sind. Die Alten, die Flüchtlinge, die Kranken, die Armen. Für sie gehört es zum Alltag, auf sich alleine gestellt zu sein. Sie spüren täglich, was „soziale Distanz“ bedeutet. Dies beruht aber fast nie auf freiwilligen Entscheidungen. Es ist der Mangel an sozialer Teilhabe und an solidarischen Netzwerken, die sie umgeben.
Durch die Pandemie und die getroffenen Maßnahmen verfestigt sich dieser Zustand. Wer vorher alleine war, der wird auch in der Krise alleine bleiben. Daran ändern auch die vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen nichts, deren Aufrufe und Solidaritätsbekundungen an den Laternen von größeren und kleineren Städten hängen oder durch diverse Messengergruppen geistern und dazu animieren sollen, für Menschen aus Risikogruppen Einkäufe zu verrichten.
Sie sind lediglich Ausdruck des guten Willens und des Anstands, die Armen und Alten zumindest mitgedacht zu haben. Das Bild auf den Straßen spricht eine andere Sprache. Gerade die, die um ihrer Gesundheit willen jetzt zuhause in selbst verordneter Quarantäne sitzen sollten, schlendern weiterhin zu den Supermärkten und Geschäften, um ihre Einkäufe zu tätigen.
Auch die Menschen, die in den Flüchtlingsunterkünften sitzen sind weiterhin zu sehen. Es geht dabei nicht nur um die Befriedigung von sogenannten „physiologischen Bedürfnissen“, also um das Einkaufen von Essen, Trinken und Klopapier. Ihnen geht es auch um Abwechslung und soziale Teilhabe in einem sonst tristen und ewig gleichen Alltag: Der Weg zum Supermarkt als „die kleine Besonderheit“. Auch wenn diese Menschen in der Regel über Smartphones und co. verfügen, um Kontakte in ihre Heimat zu halten oder sich untereinander Hilfe zu organisieren und das Smartphone somit mehr als ein Modeaccessoire für sie ist, ändert dies nichts an der gesamtgesellschaftlichen Situation dieser Gruppen. Besonders die Teilhabe an Kultur und Bildung gestaltet sich für sie auch im normalen Alltag schwerer, als für diedurchschnittliche Bevölkerung. Die Bildung der Kinder leidet in der Zeit, in der nun die Hausaufgaben via Email verschickt und korrigiert werden. Und auch wenn nun diverse Museen etc. ihre Ausstellungen online zur Verfügung stellen, werden sie diese Menschen nicht erreichen. Jahre lang haben die Kulturinsitutionen versäumt, die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsteile für diese Art der Unterhaltung und Regeneration zu begeistern und auch die Sätze der Sozialleistungen sehen nicht ausreichend Geld für Bildung und Kultur vor und machen damit eine Teilhabe so gut wie unmöglich. Und das gilt nicht nur für den Konsum von Kultur. Klassische Romane lesen, ein Instrument spielen oder sich sonst wie künstlerisch betätigen und entfalten, sind keine Dinge, die einem in die Wiege gelegt werden. Dies ist kein Armutszeugnis für die Menschen, die dies nicht können, sondern viel mehr für die Gesellschaft und ihren Staat.
Flüchtlinge in Unterkünften und Lagern sind weiterhin zusammengepfercht und damit der Pandemie schutzlos ausgeliefert. Durch Krieg und Not aus ihren Heimatländern vertrieben, vegetieren sie nun in überfüllten deutschen Sammelunterkünften vor sich hin. Oft mit dutzenden anderen Menschen in einem Zimmer, auf engsten Raum, mit einem Bad für mehrere Zimmer und mit riesigen Gemeinschaftsküchen haben sie weder die Möglichkeit, sich etwas Privatsphäre zu erhalten, noch sich an die Schutzmaßnahmen vor dem Virus zu halten. Statt sie zu schützen und in vernünftigen Unterkünften unterzubringen, unterdrückt der Staat jeden Protest gegen diese desaströsen Bedingungen.
Insbesondere ältere Menschen sind hingegen Abgehängte unserer modernen und auf Effizienz ausgerichteten Gesellschaft. Sie verfügen meistens weder über die Mittel, noch über das Know-How um z.B. mit der Digitalisierung des Lebens Schritt zu halten. Sie führen selten Skype – Konferenzen mit der Familie, um in Kontakt zu bleiben.
Hinzu kommt das Virus als solches. Die Bedrohung ist real. Zu den Risikogruppen gehören neben Menschen mit Vorerkrankungen, alle Menschen höheren Alters und besonders die, die ohnehin keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Zwar gibt es zum heutigen Tag in Deutschland noch keine Horrormeldungen, wie wir sie aus dem Norden von Italien oder den USA hören, wo Leichen aus Platzmangel in Kühllastern hinter den Krankenhäusern gestapelt werden müssen. Doch die Bilder dieser Tragödie sollten uns eine Warnung sein. Zum einen eine Warnung, nicht zu leichtsinnig mit der Bedrohung umzugehen und die Schutzmaßnahmen einfach beiseite zu schieben. Zum anderen nicht zynisch zu werden wie der Vize-Gouverneur des US-Bundesstaates Texas Dan Patrick, der in einem Fernsehinterview sagte, dass Großeltern sich für ihre Enkel opfern sollten, bevor man die Wirtschaft und das Land der Corona-Krise opfert.
Besonders in Pflegeheimen ist die Situation gravierend. Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass mindestens 40% der Todesfälle des Coronavirus sich in Pflegeheimen ereignen. In manchen Pflegeinrichtungen gibt es eine komplette Durchseuchung. Das heißt, dass so gut wieder jeder Bewohner, inklusive dem Pflegepersonal den Virus in sich trägt. Die gezogene Konsequenz lag hier vor allem auf der sozialen Isolation. So dürfen seit Beginn der Maßnahmen nur noch Angehörige zur Sterbebegleitung ins Heim und müssen ihre Verwandten und Bekannten ansonsten alleine lassen. Eine wirksame Alternative wäre es gewesen, regelmäßige Tests bei den Bewohnern durchzuführen und Infizierte zu isolieren. Auch die Verstorbenen werden ab einen bestimmten Alter mit Vorerkrankungen nicht mehr auf das Virus getestet.
Auch Obdachlose sind eine besonderes gefährdete Gruppe. Man soll nur in äußersten Ausnahmefällen das Haus verlassen und dabei immer einen Abstand von 1,5 Metern wahren, doch ist dies für diese Menschen auf Grund ihrer Lage nicht möglich. Der Staat kommt seit jeher nicht seiner Aufgabe nach, die Bevölkerung mit flächendeckend günstigem Wohnraum zu versorgen. Hier liegt die Hauptursache für die Obdachlosigkeit der Menschen. Nicht einmal in Zeiten der Pandemie unternimmt er keine Anstrengungen, z.B. die ohnehin stillgelegten Hotels zu Notunterkünften umzubauen, um seine Bevölkerung, zu der nun mal auch Obdachlose zählen, zu schützen. Stattdessen gibt es Berichte, dass es Platzverweise und andere Schikanen von Seiten der Ordnungsbehörden gegen die Schutzlosen gibt.
Aber nicht nur an den Rändern der Gesellschaft sind die Menschen derzeit massiv von der Coronapandemie und der damit verbundenen Krise betroffen. Auch die, die täglich für das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft sorgen, stehen jetzt einer verschärften Situation gegenüber.
Die Krankenpflege wird auf die große Pandemie eingeschworen. Präventiv werden bereits die Personalschlüssel runter gesetzt, um dem erwarteten großen Ansturm standhalten zu können. Bis dahin ist aber erst einmal Kurzarbeit angesagt, da man aktuell versucht die Auslastung der Krankenhäuser- und -stationen auf ein Minimum zu senken. Große Teile der Träger in privater und kirchlicher Trägerschaft zahlen lediglich die 60 bzw. 67% Kurzarbeitergeld, der eh schon zu niedrigen Löhne. In vielen Krankenhäusern wird das Klinikpersonal dazu angehalten, angehäufte Überstunden oder gar Urlaub zu nehmen, um diese Phase zu überbrücken. Die Folgen sind gravierend. Hunderte OPs, Behandlungen und Untersuchungen werden verschoben. Die Menschen gehen aus Angst vor dem Virus nicht mehr in die Notaufnahmen oder generell ins Krankenhaus. Sie bagatellisieren ihre Verletzungen und Krankheiten. Das Personal wird durch diese Lohnpolitik finanziell und damit auch psychisch in eine Existenzkrise gestürzt. Was dieser Zustand für weitreichende Folgen hat, bleibt abzuwarten.
Im Einzelhandel und der Logistik herrscht eine andere Situation. Trotz der gesellschaftlich verordneten Schutzmaßnahmen geht die Arbeit weiter. Leute stürmen in die Supermärkte und horten Lebensmittel und Kosmetika. Es kommt zu ersten Verknappungen durch Schwierigkeiten in den Lieferketten und zur Steigerung der Arbeitsintensität. Doch die einfachen Angestellten bekommen in der veränderten Lage nur dürftige Unterstützung. Weder werden ihnen Desinfektionsmittel und Atemmasken noch Handschuhe flächendeckend zur Verfügung gestellt. Ganz zu schweigen von finanziellen Ausgleichen für das höhere Risiko und die zunehmende Belastung. Auch die Paketzustellung läuft auf Hochkonjunktur. Die, die es sich leisten können, bestellen nun massenhaft Waren direkt via Internet in ihr Wohnzimmer. Die Leidtragenden sind dabei die Menschen in der Logistik, welche aktuell eine Arbeitsintensivierung erleben, die sonst bisher nur um Feiertage entsteht. Die Verlierer sind die, die auf günstige Discounterprodukte angewiesen sind und deren Geldbeutel es nicht her gibt, sich Lebensmittel und andere Waren im Internet zu bestellen. Auch Waren für den Gesundheitsschutz, wie Mundschutzmasken oder Desinfektion, sind in den üblichen Läden nur noch sehr selten zu bekommen. Die Kapitalisten haben die Preise für diese Produkte in den letzten Wochen um mehrere 100% gesteigert.
Auch solo-selbstständige Lehrer, Erzieher und ambulante Sozialarbeiter in der Familienhilfe oder Schulbegleitung sind direkt von den Folgen betroffen. Zwar will man eine Ausbreitung des Virus unterbinden, doch gibt es nur notdürftig ausgearbeitete Krisenkonzepte für Schulen, Kindertagesstätten oder sozialpädagogische Einrichtungen. Die Devise ist: Kontakt vermeiden, wo es geht Arbeit auf digital umstellen und weitermachen. Mit Ideen wie dies realisiert werden soll, werden diese Berufsgruppen aber alleine gelassen. Schüler, die schon im „normalen“ Alltag Lernprobleme haben, werden hier nun völlig abgehangen. Familien, die auf Sozialarbeiter angewiesen sind, müssen nun größtenteils selbst schauen, wie sie zurechtkommen.
Unter den Begriff der „Solidarität“ versuchen die Herrschenden die Kosten und vor allem ihre Verantwortung auf die Arbeiter und Angestellten umzulegen. Alle sollen nun mit anpacken und ggf. den Gürtel enger schnallen oder hohe Risiken in ihrer täglichen Arbeit eingehen. Daher müssen unsere Forderungen in der Konsequenz lauten:
- Maßnahmen, die die soziale Teilhabe von marginalisierten Gruppen gewährleisten, müssen getroffen werden.
- Sofortige Unterbringung von Flüchtlingen und Obdachlosen in Wohnungen. Bis dahin die Unterbringung in leerstehenden Hotels.
- Angemessene Schutzmaßnahmen und ausreichende Corona-Tests in Pflegeheimen.
- 100% Kurzarbeitergeld für alle, finanziert durch die Kapitalisten. Oder 100% Lohnfortzahlung für alle Arbeiter und Angestellte
- Gesetzlich verpflichtende, durch die Unternehmen finanzierte, ausnahmslose Aufzahlung des Kurzarbeitergeldes auf 100%!
- Kostenlose zertifizierte Schutzausrüstung und -maßnahmen für alle Arbeiter und Angestellten, die weiterhin in Kontakt mit Menschen arbeiten müssen.
- Sofortiger Stopp vom wucherhaften Handel mit Lebensmitteln, Gesundheitsschutzausrüstung und anderen Waren.
Angesichts dieser Krise wird einmal mehr deutlich:
Dieses System ist nicht in der Lage, das Volk zu schützen. Alle Maßnahmen zielen ausschließlich darauf ab, die wirtschaftlich wichtigen Industrien zu schützen und ein Mindestmaß an sozialer Infrastruktur zu sichern. Gerade soviel, damit es bald so weiter gehen kann wie bisher. Die, die gestern auf sich alleine gestellt waren, sind es auch heute und werden es auch morgen sein. Auch wenn die Kanzlerin und Millionäre noch so nachdrücklich von Solidarität reden, meinen sie eigentlich nur: weitere Selbstverantwortung, wo der Staat versagt. Sie zwingen uns Verhältnisse auf, in denen wir in Konkurrenz zu einander stehen, Verhältnisse in denen jeder auf sich alleine gestellt ist. Eine Gesellschaft der Solidarität ist nur möglich, wenn wir die Herrschenden entmachten und enteignen.
Machen wir Schluss damit. Die Krise heißt Kapitalismus!