Sowas kommt von sowas: Eingehegte Linke und aufstrebende Rechte

Kommentar zum Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

von Joshua Relko

Thüringen. Nach zehn Jahren sogenannter Linksregierung ist die AfD stärkste Kraft. Diese Feststellung ist so simpel wie unbehaglich. Zu Recht sind Viele jetzt empört, dass man mit Höcke an der Spitze in Thüringen Wahlen gewinnen kann. Aber die Meisten gehen schlussendlich doch davon aus, dass wenigstens eine der anderen Parteien die Alternative sein könnte. Das bildet den Nährboden für leere Wahlversprechen von rechts und „links“1. Keine bürgerliche Regierung der Welt ist eine Garantie gegen die faschistische Bedrohung: Die faschistischen Gewalttaten der 90er Jahre, die in die Gründung des „NSU“ mündeten, nahmen unter CDU-Regierungen ihren Lauf. „Thügida“ formierte sich unter Rot-Rot-Grün, in Jena waren das die ersten faschistischen Aufmärsche seit Jahren, denen da von der Landespolizei die Straße freigeprügelt wurde.

Sachsen. In den letzten Jahren hörten wir vor allem von rechten Mobilisierungen gegen Geflüchtete, gegen Linke, gegen die Corona-Politik. Seit 1990 regierte die CDU unter wechselnder Beteiligung von SPD und Grünen. Auch hier konnte sich im Windschatten der sogenannten Wiedervereinigung eine neofaschistische Bewegung formieren, konnten westdeutsche Nazi-Funktionäre mit Geld vom Verfassungsschutz und abgeschirmt durch den Repressionsapparat faschistische Strukturen aufbauen2. Im Großen und Ganzen konnten sich so revolutionäre Ansätze – nach dem Niedergang der DDR – gar nicht erst entwickeln, weil die potenziellen Leute dafür (die aktiven Linken unterschiedlichster Prägung) in den Abwehrkampf gedrängt, vertrieben oder gleich umgebracht wurden3. Mit dieser Defensive hat es sicher auch zu tun, dass pro-zionistische „Antideutsche“ in Teilen der ostdeutschen Antifa-Bewegung bis in die Gegenwart Einfluss ausüben, mehr als in den Westmetropolen – oder zumindest ungestörter.

Alle zusammen gegen…

Etwas anderes nahm den Platz ein, den die kommunistische Bewegung spätestens nach der Konterrevolution freiräumte, längst nicht nur im Osten: Alle zehn Jahre eine neue bunte Bewegungslinke, jede Dekade ein neuer sympathischer Hoffnungsträger auf den Wahlplakaten, jedes Mal wieder zumindest Teile der Jugend, die endlich auf Besserung hoffen. Hier der Ruf nach Reichensteuer, da eine Kümmererpartei im Stadtteil. Forderungen nach Umverteilung, Plädoyers für Abrüstung. Nichts davon hat je nachhaltig Wirkung entfaltet, im Gegenteil: Auf sozialpolitische Reformträume in Wahlprogrammen oder Koalitionsverträgen folgt der rechte Vormarsch, eine Entwicklung, die sich immer wieder zeigte – ob in Thüringen oder Sachsen, in Griechenland oder den USA. Betrachten wir den aktuellen Erfolg des BSW, müssen wir feststellen, dass Sozialstaatsillusionen (nun gepaart mit einem Law&Order-Programm) weiterhin Anschluss finden. Heute ist es noch düsterer: Selbst Umverteilungsbewegungen sind der breiten Allianz gewichen, die spätestens seit letztem Winter verstärkt gegen die AfD mobilisiert, deren Wortführende keine Parteien, sondern nur noch „Demokraten“ zu kennen scheinen. Den antifaschistischen Zusammenhängen, die da sind und selbst konsequenter auftreten, muss klar sein: Die Parteien, die auf solchen Kundgebungen Redezeit bekommen, halten die krisenhafte und reaktionäre Entwicklung nicht auf, sondern treiben sie selbst voran. Asylpakete, Aufrüstung, neue Versammlungsgesetze – um nur ein paar aktuellere Spitzen dieser Entwicklung zu nennen – erforderten gar keine Regierungsbeteiligung der AfD. Das hat die „demokratische Mitte“ selbst auf die Beine gestellt.

Nach Jahrzehnten Pluralismus-Diesdas und Bewegungsillusionen muss diese sich zum Teil besonders links gebende Sozialdemokratie jetzt mal Sendepause haben. Gerade in Momenten wie diesen zeigt sich, dass die Recht hatten, die sich in Thüringen nicht auf Rot-Rot-Grün verlassen haben, die in Sachsen nicht die pro-zionistische Hegemonie der „Szene“ akzeptierten, die nicht „in Bewegungen aufgegangen“ sind – kommunistische Ansätze, die heute so schwach aufgestellt sind.

Revolutionäre Alternative

Das war nicht immer so: In einem Monat jährt sich die Gründung der DDR zum 75. Mal. Vielleicht kommen wir darüber mal ins Gespräch, offen und ehrlich. Anerkennend, dass der Sozialismus in den ostdeutschen Bundesländern eine Geschichte hat, die sich auch nicht so einfach entsorgen und vergessen lässt, wie die Bourgeoisie es gerne hätte. Warum sind viele Ostdeutsche dem historischen Sozialismus gegenüber so positiv eingestellt und gleichzeitig sind Reichsbürger, freie Sachsen und zugezogene West-AfDler so viel erfolgreicher als klassenkämpferische Ansätze? Wer diese Frage stellt, sollte bedenken, dass der Sozialismus in Ostdeutschland (neben allen anderen vorhandenen Mängeln) vor allem den Makel des Scheiterns hat. Dieses Scheitern ließ die neu entstandene Gesellschaft zusammenbrechen und beraubte ganzen Generationen von Ostdeutschen die Existenzgrundlage, versetzte Frauen in ihrer gesellschaftlichen Lage letztlich um Jahrzehnte zurück. Der Kommunismus hat doch in Ostdeutschland sein Scheitern bewiesen – warum sollte man sich ausgerechnet ihm heute zuwenden? Ramelow und Wagenknecht, Höcke und Kretschmer sind für breite Bevölkerungsteile allesamt naheliegender. Die nicht überwundene Niederlage, die Isolation von der Klasse und die gesellschaftliche Irrelevanz der kommunistischen Bewegung zeigen sich im Erfolg der rechten Scharlatane und „linken“ Heilsbringer wie unter dem Brennglas.

Wer in Ostdeutschland revolutionäre Politik entfalten will, aber keine oder nur schlechte Antworten hat auf die Frage, wie der Sozialismus solch eine Niederlage einfahren konnte, wird zwangsläufig entweder in der Isolation bleiben oder dem Opportunismus verfallen oder beides. Spätestens hier sollte klar werden, dass Fragen der sozialistischen Gesellschaft – ihres Aufbaus und ihrer historischen Probleme, wie sie etwa von der KP gestellt und untersucht werden, erst mal nichts mit Theoriezirkel-Dasein zu tun haben. Die Antworten, die wir zum Teil schon kennen und zum Teil noch erarbeiten müssen, werden aber natürlich wirkungslos bleiben, wenn wir sie nicht im Kampf anwenden. Insofern müssen die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen als Weckruf verstanden werden für eine konsequente und organisierte Praxis, unabhängig vom Staat, verbunden mit der Klasse: Gegen alte faschistische Bedrohungen, gegen den anhaltenden Rechtsruck und für neue Niederlagen der Sozialdemokratie. Die Arbeiterklasse hat eine revolutionäre, eine sozialistische Zukunft – oder sie hat keine Zukunft.

1 Ich setze das Attribut „links“ dann in Anführungszeichen, wenn es sich im Grunde nur um sozialdemokratische Systemverwaltung handelt.

2 https://www.jungewelt.de/artikel/479676.verfassungsschutz-problemfall-der-demokratie.html

3 Eine Sammlung faschistischer Übergriffe seit 1990, die neben Linken vor allem unter Migranten und Obdachlosen Todesopfer forderte, findet sich bei hier

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