Beitrag von Bob Oskar
Die deutsche Industrie befindet sich auch im neuen Jahr weiterhin in der Krise, wie die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom 7. März 2024 zeigen. Wie die Bundesbehörde in einer Pressemitteilung bekanntgab, sank der reale Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe im Januar 2024 gegenüber dem Vormonat saison- und kalenderbereinigt um 11,3 %. Besonders stark fiel der Rückgang bei den Investitionsgütern (-13,1 %) aus, zu denen gekaufte und selbst produzierte Fahrzeuge und Produktionsmaschinen ebenso wie Bürogebäude und ähnliches zählen. Eine beträchtliche Abnahme traf aber auch kurzlebige Verbrauchsgüter (Vorleistungsgüter wie chemische Grundstoffe, Holz, Metalle etc.: -9,3 %, Konsumgüter: -5,7 %). Saftig fiel der Rückgang bei elektrischer Ausrüstung (-33,2 %), im sonstigen Fahrzeugbau (-27,3 %) und bei Metallerzeugnissen (-14,5 %) aus – laut Destatis bewegten sich die Zahlen hier im Januar wieder auf einem durchschnittlichen Niveau, nachdem sie im Dezember durch Großaufträge unerwartet angehoben worden waren. Bereits am 1. März hatte das Statistische Landesamt Baden-Württemberg ähnliche Zahlen veröffentlicht und davon gesprochen, dass die „Südwestindustrie einen bedeutlichen Dämpfer“ erhalten habe: gegenüber Dezember 2023 waren nicht nur die Aufträge um 7,6 % zurückgegangen, auch die Produktion war um 9,2 % eingebrochen und der Umsatz hatte sich entsprechend um 8,6 % verringert.
Natürlich sind die Kapitalisten davon nicht erfreut. Der Referatsleiter für Konjunktur der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK lamentierte umgehend, lasse man die Großaufträge außen vor, dann zeige sich „seit Jahresbeginn 2022 weiter ein beständiger Abwärtstrend bei den Bestellungen“. Ein Grund dafür sei die Belastung durch hohe Kosten für Energie, Vorleistungen und Finanzierung, und auch aus dem Ausland gebe es noch keinen echten Impuls. Das ist korrekt – wie die detaillierten Zahlen auswiesen, gingen insbesondere in der Eurozone die Aufträge deutlich zurück, sage und schreibe um 25,7 % insgesamt und im Bereich der Investitionsgüter sogar um 39,3 %.
Das ganze reiht sich ein in sich stetig verdüsternde Konjunkturaussichten für 2024: Ging die Bundesregierung im Oktober 2023 noch von einem leichten Wachstum von 1,3 % aus, rechnete das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Mitte Februar nur noch mit 0,2 %. Anfang März zog das ifo-Institut nach und korrigierte seine Prognose ebenfalls auf 0,2 %, nachdem es im Dezember noch 0,9 % vorhergesagt hatte. Ähnliche Zahlen meldeten HWWI und das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Dazu passt der Verlauf weiterer Konjunkturindikatoren: Die Zahl an Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland bleibt unverändert hoch und liegt ca. 40 % über den Werten des Vorjahresmonats sowie 20 % über dem Durchschnittswert der Vor-Coronapandemie-Jahre 2016–2019, ebenso befindet sich die Zahl der Baugenehmigungen seit dem Höchstwert im März 2021 mehr oder weniger im freien Fall.
Auch andere imperialistische Mächte haben wirtschaftliche Probleme, momentan bekommt aber besonders das deutsche Kapital das Stottern der Weltwirtschaft zu spüren, auch in Folge der Kriege in der Ukraine und in Gaza. Während beispielsweise mit den USA, UK, Japan, Frankreich, Kanada und Italien alle anderen Länder der G7 für 2023 positive Wachstumsraten zwischen schätzungsweise 0,5 % (UK) und 2,1 % (USA) verzeichnen konnten, sank das Bruttoinlandsprodukt der BRD um 0,5 %.
Einen Ausweg aus der Misere sucht die deutsche Bundesregierung weiterhin in der „grünen Transformation“ – also in einer Umstellung der deutschen Industrie auf erneuerbare Energien, Elektromobilität usw. Dass die Ursachen von Klimawandel und Umweltzerstörung in der kapitalistischen Produktionsweise selbst zu suchen sind und zu finden wären (wie wir letztes Jahr ausführlich in unseren Thesen zu Klimawandel und Klassenkampf dargestellt haben) kommt Habeck und seiner „grünen“ Partei natürlich nicht in den Sinn. Anders als in einer sozialistischen Planwirtschaft ist der Raubbau an der Natur in der kapitalistischen Konkurrenz nicht zu vermeiden. Die imperialistischen Staaten liefern sich derzeit ein Rennen um die Ressourcen dieser Industrieumstellung – und das deutsche Kapital läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren: Erst Ende 2023 jammerte der Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (LADW) es sei „trotz intensiver Reisetätigkeit und einem zuletzt gesteigerten Bemühen der Bundesregierung um die Region“ (Lateinamerika) bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen, den anhaltenden Verlust an Marktanteilen zu stoppen – dabei ist der Kontinent ein Schlüsselfaktor für die Herstellung sämtlicher moderner Elektromobil-Batterien, allein im sogenannten Lithiumdreieck von Chile, Argentinien und Bolivien befinden sich über 50% der weltweiten Lithiumvorkommen. Aktuell importiert die BRD den Rohstoff vollständig, auch wenn derzeit die Möglichkeiten der heimischen Lithiumförderung erkundet werden.
Hinzu kommen in Lateinamerika Möglichkeiten zur Gewinnung von „grünem Wasserstoff“, und in Brasilien befinden sich – in etwas gleichauf mit Vietnam – nach China die drittgrößten Reserven an seltenen Erden. Letztere sind unersetzliche Rohstoffe für zahlreiche elektronische Geräte. Die EU legte sich 2023 mit dem „Critical Raw Materials Act (CRMA) selbst Beschränkungen für Importe seltener Erden auf, um die strategische Abhängigkeit von einzelnen Ländern zu reduzieren. Momentan ist China mit Abstand der größte Lieferant. Um in derartigen für das deutsche Kapital so zentralen Fragen Fortschritte zu erzielen, reiste in den vergangenen Tagen mit Franziska Brantner eine Parlamentarische Staatssekretärin durch Brasilien, Argentinien und Kolumbien (die drei größten Volkswirtschaften Südamerikas).
Währenddessen kassiert die deutsche Bourgeoisie auch in Zeiten konjunktureller Flaute gut ab: nach 50,9 Milliarden Euro (2022) und 53 Milliarden Euro (2023) werden allein die DAX-Unternehmen 2024 schätzungsweise 54,6 Milliarden Euro an Dividenden ausschütten, ein neuer Rekord und ein historischer Höchststand in der Dividendenrendite. Ein Viertel dieser Summe wird voraussichtlich alleine von den drei Automobilkonzernen Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW ausgezahlt. Auch die Unterstützung des Kriegs in der Ukraine rentiert sich für das deutsche Kapital: Erst im Frühjahr 2023 war der Rüstungskonzern Rheinmetall in den DAX aufgestiegen, dessen Aktienkurs sich zwischen Februar 2022 (knapp 100 Euro) und März 2024 (420 Euro) mehr als vervierfacht hat. Während die Arbeiterklasse sich also auf weiteren sozialen Kahlschlag und steigende Mieten einstellen muss, sind die Konjunkturprobleme für die deutschen Kapitalisten kein direkter Anlass zur Sorge.