1 Einleitung
Liebe Genossinnen und Genossen,
mit fünf Monaten Verspätung findet an diesem Wochenende die dritte Vollversammlung der KO statt. Sie findet in einem neuen, ungewohnten Format statt, das wir hoffentlich nicht noch einmal wählen müssen. Sie ist angepasst an die neuen Gegebenheiten, an die Lage der Pandemie. Die herrschende Klasse in Deutschland ebenso wie in den meisten kapitalistischen Ländern weltweit und quasi allen westlichen Ländern schafft es nicht, die Probleme der Pandemie in den Griff zu bekommen. Wir können diese Probleme nicht ignorieren, auch wenn wir nicht in der Position sind, sie lösen zu können. Ganz konkret besteht zum Beispiel das Dilemma, dass wir uns einerseits lokal und bundesweit organisieren müssen und dies mit den Kontaktbeschränkungen kompliziert geworden ist. Darunter leidet die Kommunikation in der gesamten Organisation, es erschwert die Diskussion und es erschwert den Aufbau, den Klärungsprozess und die Massenarbeit. Andererseits sind die Kontaktbeschränkungen trotz der inkonsistenten und halbherzigen Pandemiebekämpfung der Regierung sinnvoll und wir halten sie, wo es möglich ist ein, aus Verantwortung gegenüber der Gesundheit aller Genossinnen und Genossen, unserer Mitstreiter vor Ort, unserer Familien und Kollegen.
Seit der zweiten Vollversammlung hat sich viel getan, wir kommen gleich auf die Entwicklungen zu sprechen. Was sich aber nicht geändert hat, das ist die Aufgabe, die sich den Kommunisten in Deutschland weiterhin stellt: Es ist die Aufgabe, die Voraussetzungen für eine kommunistische Partei in Deutschland zu schaffen und diese Partei aufzubauen. Wir sind als Organisation seit der Gründung 2018 einige Schritte dafür gegangen: wir haben die thematischen Arbeitsgruppen inhaltlich und organisatorisch aufgestellt, wir haben mit dem BolscheWiki eine erste Ausgangsbasis und Form für die Klärung geschaffen. Im politischen Beschluss zur Massenarbeit haben wir wichtige Prinzipien der Massenarbeit festgehalten, die trotz der ungelösten konkreten Probleme in der Praxis wertvoll bleiben. Wir haben zu Beginn dieses Jahres begonnen, einen ersten Entwurf der Grundlagenschule organisationsweit zu bearbeiten und wollen diese dann gemeinsam weiterentwickeln. Wir haben eine zwar kleine, aber dennoch nicht zu vernachlässigende Ausstrahlungskraft mit unseren Publikationen entwickelt, insbesondere auch mit der Interviewreihe zur DDR und mit den regelmäßig erscheinenden Podcasts.
Liebe Genossinnen und Genossen, die Coronapandemie unterstreicht dabei die Notwendigkeit des Sozialismus. Der Imperialismus schleppt sich von einer Krise in die nächste. Die fortschrittliche Seite der kapitalistischen Produktionsweise ist längst Geschichte, der Kapitalismus hat sich als Gesellschaftsformation überlebt. Er hat die Menschen aus den persönlichen Abhängigkeiten vorkapitalistischer Herrschaft gerissen, er hat Produktivkräfte entwickelt, die vor zweihundert Jahren undenkbar schienen, aber diesen Entwicklungen zugrunde lag immer die Verwertung des Mehrwerts auf der Basis von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung des produzierten Reichtums. Es ist dieser Widerspruch, der sich fortbewegt hat und der nun mit derselben Zwangsläufigkeit, mit der er den Feudalismus abriss, sich selbst seine eigene Grundlage nimmt. Und ein Ausdruck davon ist es, wenn in Deutschland, einem der stärksten imperialistischen Staaten der Welt, die Pandemie nicht gestoppt wird. Es mag auch in kapitalistischen Staaten möglich sein, dies zu tun, wir kennen das Beispiel Neuseelands. Aber die Notwendigkeit der Kapitalverwertung wirkt wie eine Schwerkraft solchen Lösungen entgegen und deshalb sind sie auch in der Strategie der Pandemiebekämpfung selten gewesen. Mit Kuba gibt es ein sozialistisches Land, welches mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die Menschen zu schützen und auch die bescheidenen, aber dennoch sehr beachtlichen Fähigkeiten in seinem biotechnologisch-medizinischen Sektor dafür einsetzt, um die Krankheit Covid-19 zu bekämpfen und einen Impfstoff zu entwickeln. Kuba gelang es so, die Pandemie weitestgehend in Schach zu halten.
Die Entwicklung der Organisation macht uns inzwischen deutlicher, wo wir grundsätzliche Probleme haben, wir müssen und wollen diese angehen. Das ist kein kleiner Schritt und daher ist auch der zentrale Vorschlag des Leitantrags darauf ausgerichtet: die kollektive Erarbeitung eines Selbstverständnisses soll uns in die Lage versetzen, unsere Kräfte besser zu fokussieren.
Wir wollen diesen Moment der VV3 auch nutzen, um uns die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre vor Augen zu führen. Auch wenn wir nicht an dem Punkt sind, dass wir stringent aus dieser Entwicklung ableiten können, welche Schritte die Organisation konkret in welchen Bereichen zu gehen hat, halten wir es trotzdem für wichtig, diesen großen Blick zu entwickeln und auch zu schauen, inwiefern wir in diesen Einordnungen in einen größeren Zusammenhang eine gemeinsame Position haben.
2 Die ökonomische und politische Entwicklung
2.1 Bedeutsame Entwicklungen in der weltpolitischen Lage
2.1.1 Die Coronapandemie
Die weltweite ökonomische und politische Entwicklung der letzten Jahre können wir weder zeitlich in diesem Referat unterbringen, noch sind wir vermutlich als Organisation dazu in der Lage, sie umfassend zu analysieren. Wir wollen dennoch einige wichtige Punkte herausgreifen und einordnen.
Die Pandemie, die Ende 2019 ihren Ausgangspunkt hatte und im Frühjahr 2020 im Laufschritt so gut wie alle Länder dieser Welt ergriffen hat, diese Pandemie hat weitreichende ökonomische und politische Folgen, von denen einige vermutlich auch noch nicht ganz abzusehen sind. Aus den westlichen Ländern wurde die Ausbreitung des Virus Anfang 2020 zunächst noch belächelt, eindämmende Maßnahmen wurden auch nach den ersten bekannten Infektionen in europäischen Ländern nur auf absoluter Sparflamme ergriffen. Es wurde schnell klar, dass Maßnahmen, die lediglich auf die Isolierung von bekanntermaßen infizierten Menschen nicht ausreichen würde, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Die herrschende Klasse in Deutschland entschied sich de facto zu einer Strategie der stetigen Durchseuchung, eine Strategie, die von vornherein den Tod Tausender Menschen billigend in Kauf nahm. Zu keinem Zeitpunkt unternahm sie ernsthaft den Versuch, den Virus auszurotten. Sie war und ist allerdings darauf bedacht, die volkswirtschaftlichen und auch die ideologischen Schäden gering zu halten. Aus diesen Gründen wurden durchaus Maßnahmen neben den Quarantäneverordnungen ergriffen, so z.B. eine Maskenpflicht in unterschiedlichem Ausmaß eingeführt, und vor allem Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verordnet. Diese Maßnahmen haben durchaus ihren ökonomischen Preis, das Bruttoinlandsprodukt sank in Deutschland 2020 das erste Mal nach zehn Jahren Wachstum wieder, und zwar gleich um 5 %, was an den letzten Einbruch in der Krise 2008/2009 von 5.7 % nahezu herankam. Es ist jedoch nicht die Menschenliebe der Kapitalisten, die sie zu solchen Taten treibt. Sie wissen, dass eine vollkommen unkontrollierte Durchseuchung der Bevölkerung erstens die Legitimation ihrer Herrschaft untergraben könnte, viel schlimmer aber noch, dass zweitens bei vollständiger Überfüllung von Intensivstationen und Überlastung des medizinischen Personals auch viele Menschen sterben würden, die im Räderwerk der arbeitsteiligen Produktion der westlichen Ökonomien eben nicht so einfach zu ersetzen wären. Die Politik der Herrschenden ist ein Balanceakt zwischen diesen Abgründen.
Ebenso wie die BRD sind weltweit Ökonomien unter Druck geraten. Im Krisenjahr 2009 gab es noch gegenläufige Tendenzen in der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder: während die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien starke Einbrüche meldeten, verzeichnete China zwar einen leichten Wachstumsrückgang, das prozentuale Wachstum lag jedoch weiterhin bei 9.4 %. In der Summe sank das weltweite reale Bruttoinlandsprodukt nur minimal. Im Krisenjahr 2020 ist die Situation eine andere, auch wenn die Entwicklung der Länder stark ungleichmäßig verläuft: Chinas Wachstum war bereits 2019 auf gut 6 % zurückgegangen und zeigte 2020 einen sprunghaften Rückgang auf unter 2 %. Die neben China größten Volkswirtschaften der Welt USA, Japan und Deutschland erleben wiederum Einbrüche von ungefähr 5 %, andere Länder wie Großbritannien und Italien rechnen sogar mit einem Rückgang um ca. 10 %, und in der Summe sinkt diesmal auch das weltweite BIP um 3.5 %. In einigen Ländern reiht sich dies in ein rückläufiges Wachstum über die letzten Jahre ein. Beispielsweise Indien, welches 2019 das niedrigste Wirtschaftswachstum seit 11 Jahren aufwies, und selbst China, welches sich Anfang der 2000er mit zweistelligen Wachstumszahlen in die Spitzengruppe der weltgrößten Volkswirtschaften katapultierte. Die Akkumulation des Kapitals ist demzufolge in den letzten Jahren systematisch und nicht nur in einigen Ausnahmefällen, ins Stocken geraten. Es stellen sich daher einige Fragen zum Verhältnis von Coronapandemie und Wirtschaftskrise, auf die wir momentan keine zufriedenstellenden Antworten haben: Inwiefern überdeckt die von der Coronapandemie zweifellos bedingte Krise eine notwendigerweise anstehende Wirtschaftskrise? Hätte es auch ohne die Pandemie einen krisenhaften Verlauf gegeben? Bildet die jetzige Krise einen Bestandteil des kapitalistischen Produktionszyklus in dem Sinne, dass sie zur massenhaften Vernichtung von Produktivkräften und Werten einerseits und einer beschleunigten Zentralisation des Kapitals durch Pleiten und Zusammenschlüsse andererseits führt? Es handelt sich dabei um offene Fragen nicht nur bei uns, die kommunistische Bewegung in Deutschland wird darauf in Zukunft Antworten finden müssen. Wir sehen, dass andere Organisationen auf derartige Fragen Antworten geben, diese aber nicht herleiten und begründen.
Was wir beobachten können, ist, dass die Gesetzmäßigkeiten zur ungleichmäßigen Entwicklung der Länder verstärkt zum Vorschein kommen. Insbesondere China hat sich in der Pandemiebekämpfung bisher wesentlich besser geschlagen als die starken und alten Imperialisten wie die USA, Großbritannien und Deutschland, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die politische Strategie im Umgang mit der Pandemie stark variiert und China bisher mit seiner Strategie der Eindämmung besser fährt.
Auch innerhalb von Staatenbündnissen wie der EU treten die unterschiedlichen Entwicklungen deutlicher zutage: Deutschland kann hier aus einer vergleichsweise starken ökonomischen Ausgangsposition besser das kapitalistische Instrumentarium zur Krisenbewältigung wie beispielsweise das Kurzarbeitergeld nutzen und gewinnt relativ gesehen weiterhin an Stärke. Es zeigt sich auch, dass zusätzlich zu den generell maßgeblichen Wirtschaftssektoren wie dem in Deutschland wichtigen Maschinenbau und dem Kfz-Bau weitere Industriezweige eine strategisch-ökonomische Bedeutung bekommen: Die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten in der alten Pharmaindustrie Hand in Hand mit neuen Biotechnologieunternehmen, die relativ junge technologische Fortschritte zur Anwendung bringen, hat sich seit Beginn der Pandemie als ein neuer Faktor in der Konkurrenz der Nationalstaaten herauskristallisiert, allen Kooperationen zwischen Unternehmen verschiedener Staaten zum Trotz. Ebenso zeigt sich, wie wichtig es für die Nationalstaaten sein kann, die nationale Produktion umstellen zu können auf Güter für den Katastrophenfall. Beispielsweise wurde in Deutschland laut darüber nachgedacht, Unternehmen zur Produktion von Masken im Sinne einer „Notfallwirtschaft“ (wie Markus Söder es nannte) zu verpflichten. Hinzu kommt, dass diverse Monopolkonzerne gerade aufgrund der Pandemie an Stärke gewinnen und ein Teil der Kapitalistenklasse enorm und ganz direkt von der Pandemie profitiert. In erster Linie sind hier die Unternehmen im digitalen Dienstleistungssektor zu nennen, deren Geschäftsmodell nur geringfügig durch die politischen Maßnahmen von Kontaktverboten und Geschäftsschließungen beeinträchtigt wurden – ganz im Gegensatz zu ihren traditionellen Konkurrenten, wie am Beispiel vom Online-Versandhandel versus lokalem Einzelhandel deutlich wird.
Im Kapitalismus geht der Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung des produzierten Reichtums immer einher mit der Anhäufung des Reichtums auf der Seite der Kapitalistenklasse und der Akkumulation von Armut und Verelendung auf Seiten der Arbeiterklasse. In Zeiten der Pandemie wird dies wie unter dem Brennglas deutlich. Die Arbeiterklasse ist in besonderem Ausmaß von der Pandemie betroffen, gleichzeitig ist dies aber auch innerhalb der Klasse sehr unterschiedlich der Fall: Während in Deutschland Hunderttausende vor allem Arbeiterinnen in Minijobs, Teilzeit, Leiharbeit oder befristeten Arbeitsverhältnissen innerhalb kürzester Zeit arbeitslos wurden, kamen andere Teile der Klasse, wie beispielsweise festangestellte Arbeiter der großen Industriebetriebe in finanzieller Hinsicht vergleichsweise gut weg. Es wird in der Pandemie deutlich, warum die Herrschende Klasse seit Jahren daran arbeitet, Beschäftigungsverhältnisse wie Minijobs und Leiharbeit im Verhältnis zur Vollzeit-Festanstellung auszubauen.In den USA, welches anders als Deutschland und andere europäische Länder nicht auf das Instrument des Kurzarbeitergeldes zurückgreift, zeigte sich noch offener das Ausmaß der Krise: In einem historisch lange nicht gesehenen Ausmaß explodierte die Arbeitslosenquote von offiziell 3,5 % im März auf 14.8 % im April, mehr als 15 Millionen Menschen verloren innerhalb kürzester Zeit ihren Job. Auch Teile des Kleinbürgertums werden in die Arbeiterklasse hinab geschleudert, ein Prozess, der mit der Zentralisation von Kapital einhergeht, wie am Beispiel von Ladenschließungen im Angesicht eines boomenden Versandhandels deutlich wird. Es ist eine marxistische Banalität, dass der bürgerliche Staat der Staat des Kapitals ist, dass er der Staat der Kapitalisten ist. Diese Feststellung wird dadurch aber nicht weniger wichtig und in Krisenzeiten tritt sie überdeutlich zutage. Das Maßnahmenpaket der BRD ist das größte der Geschichte dieses Staates, es ist in erster Linie ein Hilfspaket für die Monopolbourgeoisie.
Auf dem Nährboden dieser Krise sind Bewegungen in den westlichen Staaten aus dem Boden geschossen, die sich in Frontstellung zum Staat sehen. Ihr vermeintlicher Protest fällt jedoch mit den Interessen des Kapitals zusammen, wo die Gefährlichkeit des Virus und der Pandemie geleugnet und Lockerungen gefordert werden. Sie sind in verschiedener Hinsicht dem Kapital nützlich: als falsche Opposition, gegen die man sich als rationaler Akteur positionieren kann, als Stichwortgeber für Lockerungen, wenn behauptet werden muss, dass der gesellschaftliche Rückhalt für die Maßnahmen fehle, als Sündenbock für die Ausbreitung der Pandemie, wenn auf die Effekte ihrer Demonstrationen auf die Ausbreitung des Virus verwiesen wird. Es zeigt sich auch hier, dass der Irrationalismus unerlässliches und funktionales Produkt des Imperialismus ist. Linker Protest dagegen existiert, bleibt aber meist bei einem eher dünnen Antifaschismus stehen.
2.1.2 Die Entwicklung der EU
Mit dem Brexit, der im Januar 2020 mit einem Austrittsabkommen besiegelt wurde und welcher nach der Übergangsphase am 1. Januar 2021 mit dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt seinen vorläufigen Abschluss fand, haben sich Tendenzen zur Auseinanderentwicklung in der EU neu realisiert. Der Zusammenhalt dieses imperialistischen Staatenbündnisses bröckelt. Ein Kernstaat der EU wie Italien, welches mit Abstand die drittstärkste Volkswirtschaft der EU ist, schwächelt ökonomisch und bleibt politisch instabil, was seinen Ausdruck in immer wechselnden Regierungskoalitionen und Ministerpräsidenten findet. Auch innerhalb der EU verstärkt sich die ungleichmäßige Entwicklung. Seit der Krise 2008/2009 haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen den führenden imperialistischen Ländern Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien, die zuvor schon ungleich waren, noch einmal zugunsten der BRD verschoben. Die Volkswirtschaften von Italien, Großbritannien und Frankreich hatten auch vor der Coronapandemie noch nicht einmal das Vorkrisenniveau von 2008 wieder erreicht, wohingegen das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2019 um 35 % gegenüber 2008 gewachsen ist. Dieser Trend setzte sich im Pandemiejahr 2020 fort, die Wirtschaft brach in Italien, Frankreich und Spanien deutlich stärker ein als in Deutschland. Die Spannungen in der EU spiegeln sich auch in den stark unterschiedlichen Arbeitslosenquoten der Mitgliedsstaaten, die in Griechenland und Spanien im Dezember 2020 bei über 16 % lagen, in Italien immerhin 8 % erreichten, hingegen in Ländern wie den Niederlande und Deutschland unter 5 % blieben. Auch die erwarteten Wachstumsraten für 2021, zunächst als aufsteigender Ast einer V-förmigen Entwicklung der Wirtschaft in der Coronapandemie vorausgesagt, werden schon wieder nach unten korrigiert. Wie die EU-Staaten im Vergleich zu den USA, Japan, China und Russland aus der Pandemie herauskommen bleibt dennoch abzuwarten.
Gerade im Rahmen der Pandemie zeigt sich, wie wenig die Nationalstaaten bereit waren, ihre eigenen ökonomischen und politischen Interessen zugunsten einer angeblichen „europäischen Identität“ und eines gemeinsamen Vorgehens zurückzustellen: die Antworten der europäischen Regierungen waren geprägt vom jeweiligen Stand des Infektionsgeschehen im Land sowie von den Einzelinteressen der jeweiligen Kapitalistenklasse. Ein gemeinsames und abgestimmtes Handeln gab es kaum, stattdessen ein europäischer Flickenteppich an Maßnahmen wie Grenzschließungen und Kooperationen einzelner Nationalstaaten, wie der Einsatz kubanischer Ärzte in Italien oder die chinesischen Impfstofflieferungen an den EU Beitrittskandidaten Serbien. Was sich in der kapitalistischen Produktion als Widerspruch zwischen der planmäßigen Produktion innerhalb von Monopolkonzernen und der Anarchie der Gesamtproduktion auftut, taucht hier gewissermaßen auf politischer Ebene wieder auf: innerhalb der Nationalstaaten folgt die Pandemiebekämpfung einer gewissen Logik – selbst wenn sie nicht die Gesundheit der Bevölkerung als Hauptziel hat. Aber selbst auf dieser niedrigen Ebene wirkt die Konkurrenz der Nationalstaaten einem abgestimmten Handeln entgegen. Auch die nationale Gebundenheit des Kapitals zeigte sich in der Pandemie erneut, so stützte Deutschland beispielsweise mit einem 750 Millionen Euro schweren Sonderprogramm zur Impfstoffentwicklung die drei Pharmaunternehmen Biontech, CureVac und IDT Biologika und brachte mit diesem Schritt zumindest Biontech erfolgreich in die vorderste Reihe der Impfstoffproduzenten in der Pandemie. Gleichzeitig zeigt sich in den Kooperationen verschiedener Unternehmen in der Entwicklung, Produktion und im Vertrieb der Impfstoffe, wie vernetzt die globalen Ökonomien sind.
In den Beziehungen zu den USA, Russland und China findet die EU weiterhin kein einheitliches Vorgehen. Es existieren objektiv widerstreitende Kapitalinteressen und widerstreitende politische Interessen, die auch in Deutschland dazu führen, dass die Strategie gegenüber diesen Ländern in Frage gestellt wird. Dennoch bleibt die BRD fest in das westliche Militärbündnis NATO eingebunden, die traditionelle transatlantische Orientierung wird in dieser Hinsicht bisher nicht in Frage gestellt. Deutschland braucht dabei die EU weiterhin als Transmissionsriemen für die eigenen Interessen, der Abstand in ökonomischer Macht und militärischer Möglichkeit ist ohne die EU gegenüber den anderen imperialistischen Mächten zu groß. In diesem Licht ist auch der Wiederaufbaufonds zu verstehen, der auf einen Vorschlag von Macron und Merkel zurückgeht: Es war der Versuch, einen Kompromiss zwischen den sogenannten „sparsamen Vier“, die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden, und den Süd- und westeuropäischen Staaten herzustellen, nachdem gerade Deutschland jahrelang eine ähnliche Politik wie die „sparsamen Vier“ verfolgt hatte.
Die brüchige ökonomische Basis der EU geht mit Rissen im ideologischen Zusammenhalt einher und verstärkt diese. Die neuen reaktionären Gesetze in den osteuropäischen Staaten, wie beispielsweise die verschärften Abtreibungsgesetze und das Verbotsverfahren der Kommunistischen Partei in Polen, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Mit der Flüchtlingsfrage existiert außerdem ein Problem, das die EU zwar zu lösen weiß: Abschreckung, Lager, Pushbacks, Abschiebung in Kriegsgebiete sind ihre Antwort. Gleichzeitig zeigt sich in den Bränden der Flüchtlingslager Moria und Lipa in zugespitzter Art und Weise, dass im Kapitalismus die hochtrabenden Ideale des Bürgertums nichts als Wolkenschlösser sind. Die EU hat mit ihrem Vorgehen gleichzeitig ein Exempel statuiert: wir sollen lernen, dass Proteste wie z.B. gegen die Flüchtlingspolitik nichts bringen, und uns an den Zustand gewöhnen. Die Proteste waren von Empörung getragen, diese Empörung ist mehr und mehr einer Ohnmacht gewichen. Auch daran erkennt man, wie wichtig die langfristig angelegte Strategie des Aufbaus einer Partei ist, die solche Kämpfe anders und konsequenter führen und mit dem Kampf für den Sozialismus verbinden kann.
2.1.3 Veränderungen in der imperialistischen Pyramide
Das Verhältnis der alten imperialistischen Länder und der aufstrebenden Weltmacht China ändert sich stetig. Nach wie vor stellen die USA und mit ihr die NATO den aggressivsten Pol der globalen Mächte dar, die NATO-Osterweiterung und damit die Einkreisung Russlands ist mit dem Beitritt Nordmazedoniens als dreißigstes Mitglied der NATO weiter vorangeschritten. An den vergangenen Konflikten in der Ukraine, in Syrien und jüngst um Berg-Karabach zeigt sich auch, dass Russland weiterhin der militärische Hauptkonkurrent der USA ist. Insgesamt zeichnet sich jedoch auch ab, dass nicht primär Russland, sondern China die USA in ihrer Rolle als führende Weltmacht zunehmend herausfordert. Die Konfrontation ist dabei unausweichlich und ergibt sich aus der ungleichmäßigen Entwicklung der beiden Länder: China schließt ökonomisch weiter gegenüber den USA auf und dürfte diese noch vor 2030 als weltgrößte Volkswirtschaft ablösen, bzw. ist das je nach Berechnungsart des BIP schon jetzt der Fall. Mit dem Freihandelsabkommen RCEP hat die Volksrepublik es geschafft, die weltweit größte Freihandelszone zu etablieren und neue Fakten zu schaffen, was die strategische Einbindung von Staaten in die jeweiligen ökonomischen Einflusssphären angeht. Besonders zu nennen ist hier die Teilnahme von Australien und Neuseeland, die traditionell enger an die USA und die EU gebunden sind. Das umfassende Projekt One Belt One Road, auch bekannt als Neue Seidenstraße, schreitet weiter fort, 2019 schloss sich nach Griechenland, Polen und Ungarn auch Italien als erstes G7-Land dem Projekt an. Die westlichen Staaten schauen hin- und hergerissen auf die neue ökonomische und politische Stärke des chinesischen Monopolkapitalismus. Dieser schafft es im Moment ungleich besser, ökonomische Interessen im großen Maßstab staatlich zu unterfüttern und zu dirigieren. Der historische Produktivkraftvorsprung der alten imperialistischen Mächte gegenüber China besteht nur noch in manchen Bereichen wie Chipentwicklung und Maschinenbau und schrumpft tendenziell auch da.
Militärisch ist der Abstand Chinas zu den USA weiterhin groß. Die Militärausgaben Chinas sind zwar um ein vielfaches niedriger als die der USA, steigen aber proportional zum Wirtschaftswachstum an. Insgesamt stiegen die weltweiten Militärausgaben 2019 mit knapp 4 % stärker als in den 10 Jahren zuvor, wobei sowohl bei China als auch den USA die Ausgaben mit ca. 5 % noch stärker stiegen.
Die Gefahr einer militärischen Eskalation begleitet den Imperialismus gesetzmäßig. Neben den Drohgebärden der NATO gegenüber Russland, wie beispielsweise dem Großmanöver Defender 2020, rückt mit dem südchinesischen Meer als Schauplatz eine Konfrontation der imperialistischen Altmächte mit China in den Mittelpunkt. Das Gebiet ist sowohl geostrategisch als Handelsroute bedeutsam, aber auch wirtschaftlich mit Fisch-, Öl- und Gasvorkommen relevant. Selbst europäische Staaten, inklusive Deutschland, schicken inzwischen Fregatten durch die Region. Auch im Mittelmeer haben sich die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland verstärkt. Berücksichtigt man die Konflikte in Libyen und Syrien sowie die anhaltende Besatzung Zyperns offenbart sich auch das Mittelmeer als Pulverfass.
Die objektiv vor sich gehenden Veränderungen spiegeln sich auch in zunehmenden politischen Auseinandersetzungen und Krisenerscheinungen der bürgerlichen Herrschaft wider. In fast allen führenden imperialistischen Ländern nehmen die politischen Konflikte zu, neue Kräfte entstehen, sei es in den USA, Frankreich oder Italien. Damit ist nicht die Herrschaft an sich in der Krise, aber die politische Führung reagiert auf die komplexen und widersprüchlichen Entwicklungen.
Innerhalb der linken Bewegung gibt es rund um diese Fragen Debatten: Kommt ein neuer Faschismus? Wenn ja, woran macht man das fest? Wie sind die Auseinandersetzungen zu verstehen? Geht es um Kapitalfraktionen oder um Auseinandersetzungen der politischen Führung? Zum Teil haben wir versucht, diese Debatten zu reflektieren und dies wird auch in der nächsten Zeit eine Aufgabe bleiben.
2.1.4 Internationale Kämpfe der Arbeiterklasse
International waren die letzten zwei Jahre in vielen Ländern von Kämpfen und Widerstand gegen den Kapitalismus und Imperialismus geprägt.
In Indien kam es im November des vergangenen Jahres zu einem gesamtindischen Generalstreik, an dem sich nach Angaben der Gewerkschaften 250 Millionen Menschen beteiligten. Damit handelt es sich um den größten Streik der Geschichte der Menschheit. In dem Streik spielten Kommunisten verschiedener Parteien eine wichtige Rolle. Auf den Streik folgte ein Marsch zur Hauptstadt Neu-Delhi, an dem sich Hunderttausende Bauern beteiligten.
In den USA kam es nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch einen rassistischen weißen Polizisten im Sommer 2020 zu landesweiten großen Protesten, die mit dazu beigetragen haben dürften, eine ganze Generation zu politisieren. Immer mehr junge Menschen in den USA verstehen, dass der imperialistische Staat nicht nur keinerlei Antworten auf die drastische soziale Ungleichheit, den Rassismus und die Gewalt hat, sondern deren Ursache ist. Es gibt Anzeichen für ein wachsendes Bewusstsein von Organisierung und einem Zusammenführen von Kämpfen. Die notwendige Organisierung der Klasse in Gewerkschaften und kämpferischen Massenorganisationen und vor allem auch der Aufbau einer kommunistischen Partei der gesamten US-amerikanischen Arbeiterklasse steht aber aus.
Auch in Chile kam es in den letzten zwei Jahren zu Protesten von historischem Ausmaß, bei denen breite Massen der Bevölkerung gegen die soziale Ungleichheit im Land und die arbeiterfeindliche Regierungspolitik auf die Straße gingen. In Frankreich mündeten die Proteste gegen die reaktionäre Rentenreform Ende 2019 in einen landesweiten Generalstreik. In Griechenland setzten die klassenkämpferischen Gewerkschaftskräfte, die unter dem Dach der PAME organisiert sind, am 1. Mai 2020 ein starkes Zeichen durch eine Abstandskundgebung vor dem Parlament, von der die Bilder um die Welt gingen. Die klare Positionierung der KKE für den Fall eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei, der im vergangenen Jahr immer wieder als reale Bedrohung erschien, ist ebenfalls von großer Bedeutung: Eine Positionierung gegen die eigene Bourgeoisie und die der angreifenden Macht, für die Macht der Arbeiterklasse.
Diese Entwicklungen zeigen wieder einmal eindrucksvoll, wie verlogen die bürgerliche These ist, wonach der Klassenkampf angeblich tot sei und heute keine Rolle mehr spiele.
2.2 Die Situation in Deutschland
Die deutsche Volkswirtschaft bleibt die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Sie hat in den letzten zehn Jahren die anderen großen europäischen Volkswirtschaften Frankreich, Großbritannien und Italien auf ökonomischer Ebene inzwischen deutlich hinter sich gelassen. Der Einbruch des Bruttoinlandsprodukt 2020 von gut 5 % wird 2021 noch nicht wieder eingeholt werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Arbeiterklasse wurden zum Teil im Sinne der Unternehmen mit Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld abgefedert, um die Produktion schnell wieder anlaufen lassen zu können., Die Arbeiterklasse wird auch in den nächsten Jahren starken Angriffen ausgesetzt sein. Bereits jetzt zeigt sich, wie Veränderungen der Arbeitswelt im Zuge der Coronapandemie wie das Homeoffice, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Arbeiterklasse bedeuten. Die Verschlechterung der Lebenssituation der Massen zeigt sich u.a. darin, dass die privaten Konsumausgaben im vergangenen Jahr stark rückläufig waren.
Auch wenn die ökonomische Lage des deutschen Imperialismus recht stabil zu sein scheint, spielt die BRD auf der internationalen Bühne politisch nicht die Rolle, die sie gerne spielen würde. Das wird in regelmäßige Abständen von allen Parteien und von Diplomaten beklagt. Wie sich diese Stellung des deutschen Imperialismus vor dem Hintergrund der Zuspitzung der innerimperialistischen Widersprüche entwickeln wird, müssen wir genau im Auge behalten.
Das Management der Coronapandemie war von Anfang an ein Management im Interesse des Kapitals. Der Bevölkerung wurde eine Lüge nach der anderen aufgetischt, ein konsequentes Vorgehen, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, gab es nicht. Schon bei der ersten „Welle“ im März wurde von einer umfassenden Betriebsschließung abgesehen, um die Profite der Unternehmen nicht übermäßig zu gefährden. Sobald die Infektionszahlen auf ein niedrigeres Niveau gedrückt waren, wurden die Maßnahmen zudem wieder aufgehoben, eine Ausrottung des Virus wurde zu keinem Zeitpunkt versucht. Bei der zweiten Welle wurde, wiederum aus Rücksicht auf die Profite, viel zu spät ein halbherziger Lockdown verhängt, als die nachgewiesenen Infektionszahlen bereits sehr hoch waren. Diese unverantwortliche Politik in Deutschland und den meisten anderen Ländern hat es dem Virus erlaubt, sich über Monate zu verbreiten und eine Vielzahl von noch gefährlicheren Mutationen hervorzubringen. Es ist deshalb selbst mit dem Impfstoff nicht absehbar, wann die Pandemie in Deutschland besiegt sein wird.
Die Coronapandemie wirkt sich auch auf die Bedingungen des Klassenkampfes in Deutschland aus. Ansätze zur Organisierung und Politisierung werden durch die Kontakteinschränkungen und die Verlagerung des Soziallebens in den engsten persönlichen Kreis oder die digitale Kommunikation erschwert. Auch wir haben mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die sich daraus ergeben.
Die Sozialdemokratie ist weiterhin ein Hindernis der Organisierung des Klassenkampfes. Doch sie befindet sich in der Krise. Die Linkspartei zeigt immer deutlicher, dass sie vollkommen im bürgerlichen System angekommen ist. Ihre Regierungsbeteiligungen in Thüringen oder Berlin haben keineswegs zu Verbesserungen für die Arbeiterklasse geführt. Schrittweise werden in der Partei die Weichen gestellt für eine offenere Anerkennung der NATO und eine Aufgabe ihrer ohnehin immer schon inkonsequenten Positionen zur Kriegsfrage. Indem sie sich zudem auch mit sogenannten „Dissidenten“ in Kuba solidarisiert, also mit rechten, vom US-Imperialismus gestützten Konterrevolutionären gemein macht, wird dieselbe offen konterrevolutionäre Haltung eingenommen, die die Linkspartei auch gegenüber der DDR immer schon vertreten hat. Durch diese Kurskorrekturen wird der bürgerliche Charakter der Partei nach außen hin deutlicher und es sollen die Voraussetzungen für ein Mitregieren auf der Grundlage des Kapitalismus geschaffen werden.
Auch in den Gewerkschaften wird gerade in der Pandemie deutlich, wie schwach und passiv die Führungen agieren. Tarifrunden werden vorzeitig abgeschlossen, indem die Gewerkschaften sich beeilen, dem Kapital Zugeständnisse zu machen. Während in der Tarifpolitik die sozialpartnerschaftliche Haltung dominiert, werden z.T. auch richtige Forderungen und Kritik am Krisenmanagement der Bundes- und Landesregierungen erhoben.
Schließlich hält auch der rechte Terror weiter an: Nach der Ermordung des CDU-Politikers Lübcke im Juni 2019 und dem Anschlag auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss im Oktober desselben Jahres folgte dann Anfang 2020 der faschistische Terroranschlag auf eine Shisha-Bar in Hanau, bei der 10 Menschen ermordet wurden. Die Verknüpfungen zwischen den Faschisten und dem bürgerlichen Staat werden zunehmend erkennbar, auch wenn oft die notwendigen Details oder letzten Beweise fehlen und nicht aufgeklärt werden können. Die Entwicklungen in der Reaktion sind wichtig zu beobachten, unabhängig davon, ob es sich um faschistischen Terror oder die parlamentarische Rechte in Form der AfD handelt, in der sich ebenfalls zahlreiche faschistische Elemente tummeln. Dass ein Schwenk von der bürgerlich-liberalen Demokratie hin zu offener repressiven Regierungsmethoden nicht ausgeschlossen ist, zeigt auch die Tatsache, dass zeitgleich zum zunehmenden faschistischen Terrorismus der Staat die Bewegungsspielräume von Antifaschisten und Linken einengt.
2.2.1 Die Lage der Arbeiterklasse in der Pandemie
Wir müssen uns klar machen, dass die Pandemie selbst und der Umgang der Herrschenden damit die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert. Gesundheit ist ein wichtiger Bestandteil der Lage der Klasse. Die Arbeiterklasse ist besonders von der Pandemie betroffen. Das liegt zum einen daran, dass die Betriebe der Produktion Anwesenheit voraussetzen. Damit sind die Arbeiter einem deutlich größeren Risiko ausgesetzt, sich zu infizieren und zu erkranken. Zum anderen wird der Gesundheitsschutz dort oft nicht eingehalten oder kann gar nicht eingehalten werden, weil Abstand halten, Lüften, Masken und andere Schutzmaßnahmen nicht möglich sind. Aus vielen Betrieben werden keine Infektionszahlen gemeldet, die Betriebsärzte decken das Vorgehen des Unternehmens und Kontrollen finden nicht statt. Größere Ausbrüche, wie in der Fleischindustrie, bei Automobilzulieferern oder in Logistikzentren sind die Spitze des Eisbergs.
Besonders die Teile der Arbeiterklasse, die von Niedriglohn, prekären Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeit betroffen sind, leiden unter der Pandemie. Sie sind häufiger schlechten Arbeitsbedingungen ausgesetzt und haben weniger betriebliche Möglichkeiten, sich zu wehren. Leiharbeiter sind nach einer Untersuchung der Barmer-Krankenkasse Bremen besonders häufig von Infektionen und schweren Verläufen betroffen. Hinzu kommen die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Teile der Arbeiterklasse. Schlechte Ernährung, körperlich belastende Tätigkeiten, chronische Krankheiten und schlechte und beengte Wohnverhältnisse erhöhen das Risiko eines schweren Verlaufs. Erhebungen aus anderen Ländern wie z.B. aus den USA haben gezeigt, dass die Infektionen in den Arbeitervierteln deutlich höher liegen als die in den reicheren Vierteln und die arme Bevölkerung höhere Todeszahlen zu beklagen hat. In Deutschland wird keine repräsentative Entnahme von Stichproben vorgenommen, um besser zu ermitteln, welche Teile der Bevölkerung von der Pandemie betroffen sind – die herrschende Klasse weiß warum.
Viele Arbeiter bezahlen für den schlechten Gesundheitsschutz und die Strategie der Herrschenden im Umgang mit der Pandemie mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben. Weitere Gruppen von Beschäftigten sind einem hohen Risiko ausgesetzt und haben bereits zahlreiche Tote zu beklagen. Dazu gehören die Beschäftigten im Pflegebereich und in Erziehung und Betreuung.
Zwei weitere Faktoren verschlechtern die Lage der Arbeiterklasse: Die ökonomischen Auswirkungen der Maßnahmen gegen die Pandemie und die Strukturkrise von Teilen der Industrie, dazu gehört der Umbau zur Elektromobilität und die Einführung neuer Fertigungstechniken. Zu diesen Fragen müssen wir uns noch mehr Fakten erarbeiten, die verschiedenen Faktoren einschätzen, die Zusammenhänge besser verstehen und sie in Bezug zu den Grundannahmen der marxistischen Krisenanalyse setzen. Die bisher vorliegenden Zahlen zeigen, dass die Arbeitslosigkeit weltweit und insbesondere in den Industriestaaten ansteigt. In Deutschland werden Massenentlassungen in den Monopolkonzernen vorgenommen, von Thyssen über Daimler bis zu den Banken. Diese dürften eher auf Umstrukturierung, als auf die Maßnahmen gegen die Pandemie zurückzuführen sein.
Insgesamt geht die Zahl der Erwerbstätigen und der Arbeitsstunden zurück, Arbeitskraft ist weniger gefragt. Zum Teil liegt dies an der massiven Ausweitung der Kurzarbeit, die auf einem historischen Rekordniveau liegt. Dies dürfte sich zum Teil wieder ändern, wenn die Pandemie überwunden ist. Es ist noch nicht endgültig zu sagen, ob das gesamtgesellschaftliche Arbeitsvolumen mit Ende der Maßnahmen gegen die Pandemie auch wieder steigt, oder ob die Strukturkrise sich hier fortsetzt. In Teilen der Produktion und Zirkulation wird die Ausbeutung zugleich durch Mehrarbeit und Verdichtung der Arbeit gesteigert. Auch das verschlechtert die Lage der Klasse, drückt auf Gesundheit, Zeit für Erholung und Bildung.
Die Arbeitslosigkeit steigt vor allem bei prekär Beschäftigten und bei gering qualifizierten Arbeitskräften. An- und Ungelernte sind überproportional von Entlassung und von Lohneinbußen betroffen, ihre Löhne gingen um bis zu 18 % zurück. Dies könnte zum Teil auf die Umstrukturierung der Auto-Industrie und damit zusammenhängenden Branchen zurückzuführen sein. Zum Teil kann es auch auf die Auswirkungen der Maßnahmen auf Branchen wie Gastronomie, Tourismus, Security, Reinigung, Einzelhandel und andere zurückzuführen sein, die einen großen Anteil an Niedriglohnarbeitern haben.
Von den Maßnahmen gegen die Pandemie sind Bereiche betroffen, in denen es mehr kleine Selbständige gibt (Einzelhandel, Gastronomie, …). Der Zugang aus Selbständigkeit in die Arbeitslosigkeit liegt bei 17 % und damit höher als sonst. Wie lange dieser Zustand anhält, ist nicht abzusehen, evtl. gehen davon viele wieder zurück in Selbständigkeit.
Die Lage der Arbeiterjugend hat sich weiter verschlechtert, weil noch mehr Ausbildungsplätze fehlen. Einer großen Zahl der Arbeiterjugend hat das System keine Perspektive zu bieten, sie werden in die einfachen und zermürbenden Tätigkeiten gepresst, ihr Potential und ihr Wissensdurst wird unterdrückt. Das war schon vor der Pandemie der Fall, nun nutzen manche bürgerlichen Politiker ihre Lage, um mehr Lockerungen zu fordern. Die Lage der proletarischen Frauen hat sich ebenfalls weiter verschlechtert, weil viele ihrer Jobs gekündigt wurden und weil die Reproduktion noch mehr auf ihren Schultern lastet. Auch das ist keine neue Entwicklung, auch hier müssen wir die heuchlerische Ausnutzung der Lage der Frau durch die bürgerliche Politik zurückweisen.
Ein Teil der Verschlechterung der Lage hängt damit zusammen, dass die Lasten der Pandemiebekämpfung auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden. Insgesamt ist die Armut mit über 13 Millionen Menschen auf einen neuen Höchststand gestiegen. Die Lage der Aufstocker und Erwerbslosen hat sich deutlich verschlechtert, auch weil viele Minijobs gekündigt wurden und die Lebenshaltungskosten durch die Einschränkungen gestiegen sind. Die Hilfeleistungen kamen nicht nur viel zu spät, sondern sind winzige Krümel, die die Herrschenden vom Tisch fallen lassen.
Insgesamt wird die Verelendung und die Spaltung der Arbeiterklasse erneut zunehmen. Der Druck, die Ausbeutung zu erhöhen, steigt durch die Krise an. Inwiefern sich die Zusammensetzung der Arbeiterklasse sowohl bei den Beschäftigten als auch bei der industriellen Reservearmee verändert, müssen wir genauer versuchen zu verstehen.
2.2.2 Zur Einschätzung der gesamten Klasse
In Deutschland sind weiterhin sehr viele Arbeiter von Niedriglohn und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Den 23 Millionen sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Arbeitsplätzen standen 2019 rund 20 Millionen (!) Beschäftigte gegenüber, die Teilzeit-, befristet, ausschließlich geringfügig, oder in Leiharbeit beschäftigt sind. Hinzu kommen 3,6 Millionen, die erwerbslos sind – offiziell sind sie „unterbeschäftigt“.
Allerdings gehören auch Vollzeit-Arbeiter zum Niedriglohnbereich, besonders in den Branchen Leiharbeit, Gastgewerbe und Wach- und Sicherheitsdienste, aber auch in Einzelhandel, Nahrungsmittelindustrie und Verkehr und Logistik, sowie Teilen der Pflegebranche. Überdurchschnittlich hohe Löhne werden in der Finanz- und Versicherungsbranche, Luftfahrt, Pharmaindustrie und Energieversorgung gezahlt.
Insgesamt arbeiten über 20% der abhängig Beschäftigten für Niedriglohn, das sind in absoluten Zahlen ca. 8 Millionen. Knapp eine Million Arbeiter verdienen so wenig, dass sie ergänzende Leistungen beantragen müssen. 3 Millionen (8%) sind trotz Arbeit arm. Besonders betroffen sind gering Qualifizierte, Frauen und Migranten. In manchen Bereichen der Produktion werden höhere Löhne als im Durchschnitt bezahlt. Allerdings sind viele der Arbeitskräfte trotz formeller Ausbildung eher gering qualifiziert. Durch die Veränderungen und Rationalisierungen wird für viele vermutlich eine Entwertung der Arbeitskraft stattfinden.
Von der aktuellen Krise sind insgesamt besonders die einfachen Arbeiter betroffen. Es ist davon auszugehen, dass knapp die Hälfte der abhängig Beschäftigten, also ca. 20 Millionen, in der einen oder anderen Form betroffen sind. In nächster Zeit dürfte die industrielle Reservearmee größeren Zustrom bekommen. Ein Teil von den Arbeitern, die jetzt entlassen werden, scheidet aus dem Arbeitsleben aus, ein anderer wird vermutlich längerer Arbeitslosigkeit ausgesetzt sein und durch die Maschinerie der Arbeitsverwaltung in schlechtere Arbeitsverhältnisse gedrängt werden. Der Anteil der Arbeiter, die höhere Löhne und sicherere Arbeitsverhältnisse haben, dürfte eher zurückgehen.
Um ein genaueres Bild der Struktur und Lage der Klasse zu bekommen, müssen wir uns einen Überblick über die verschiedenen Faktoren und deren Zusammenhänge erarbeiten.
2.3 Die Lage der kommunistischen Bewegung in Deutschland
Die kommunistische Bewegung in Deutschland hat in den letzten Jahren keine neue Stärke entwickeln können. Die Organisationen mit kommunistischem Anspruch sind weiterhin relativ unbedeutend und gespalten. Als eine neue Gretchenfrage entpuppt sich mehr und mehr die Einschätzung von und Haltung zu China, eine Frage, die auch in der kommunistischen Weltbewegung an Bedeutung gewinnt. In der Coronapandemie treten außerdem wiederholt unterschiedliche Standpunkte zum Vorschein, zuletzt anhand der Diskussion über die Stoßrichtung der Initiative ZeroCovid: Ein Teil der Bewegung legt das Hauptaugenmerk auf die Pandemie als Bedrohung der Gesundheit der Volksmassen, während ein anderer Teil die Hauptgefahr der Zeit in der Entwicklung autoritärer Tendenzen im Staat sieht. Diese Spannungslinien tun sich nicht nur zwischen den Organisationen, sondern auch in ihnen auf. Die Einschätzung der Kräfteverhältnisse dieser Positionen ist schwierig, klar ist aber, dass organisationsübergreifend eine Unfähigkeit vorherrscht eine einheitliche Positionsfindung zu organisieren. Sowohl zwischen als auch in den Organisationen stehen oft die Positionen im Wesentlichen nebeneinander, anstatt sich aufeinander zu beziehen. Bei der DKP steht außerdem eine Programm- und Strategiedebatte aus, die vom 23. Parteitag letztes Jahr beschlossen wurde. Der Parteivorstand der DKP wurde beauftragt, die Diskussion um zahlreiche Fragen, von der Funktionsweise des Imperialismus, über die Klassenstruktur in Deutschland bis hin zu Fragen der marxistisch-leninistischen Partei zu organisieren und so eine Überarbeitung des Parteiprogramms von 2006 vorzubereiten. Inwiefern es hier zu einer geschlossenen Weiterentwicklung der DKP in die eine oder andere Richtung kommt oder aber sich Spaltungslinien in der Partei verstärken müssen wir abwarten.
Auch außerhalb kommunistischer Kreise fällt auf, dass verschiedene Akteure aus der autonomen und anarchistischen Szene mit unterschiedlichen Analysen der Pandemiebekämpfung angesetzt haben. Oftmals wird nicht der Staat der herrschenden Klasse als wesentlicher Akteur angegriffen und eine Distanz zu den Gewerkschaften eingenommen, stattdessen sind die Bewegung der Querdenker und der Rechten im Fokus. Die Regierung und ihr Versagen geraten so aus der Schusslinie, die Position der Arbeiterklasse kann so nicht eingenommen werden.
Die Uneinigkeit in der Frage, wie Kommunisten und die Arbeiterklasse auf die Pandemie und die Strategie der Herrschenden reagieren müssen unterstreicht, wie wichtig ein Klärungsprozess ist. Auch in der Frage der Niederlagenanalyse, der Analyse des Imperialismus, des Charakters und der Aufgaben der kommunistischen Partei, der Einschätzung der Zusammensetzung und der Lage der Arbeiterklasse, der Arbeit in den Gewerkschaften und der schon angesprochenen Frage der Einordnung Chinas wird dies deutlich.
3 Die Entwicklung unserer Organisation und der aktuelle Stand
Liebe Genossinnen und Genossen,
Fast ein Jahr ist es nun her, dass uns als Organisation bewusst wurde, dass die Coronaepidemie sich zu einer Pandemie ausweiten würde und wir darauf reagieren müssen. Selbstkritisch müssen wir sagen, dass wir die Anzeichen dafür nicht früh genug verstanden haben, dass darin aber auch alle größeren kommunistischen Organisationen in Deutschland gescheitert sind. Es ist aber bemerkenswert, dass wir bis zum jetzigen Zeitpunkt als dermaßen junge und gleichzeitig bundesweite Organisation die Pandemie mit all ihren Schwierigkeiten nach unserer bisherigen Einschätzung recht gut überstanden haben und uns dabei auch den Veränderungen anpassen konnten. Die dritte Vollversammlung selbst ist Ausdruck davon und auch wenn natürlich erst nach diesem Wochenende klar ist, welche Resultate sie hervorbringt und wie es weitergeht meinen wir, dass wir allen Grund haben, optimistisch nach vorne zu schauen. Dabei wollen wir nicht unter den Tisch kehren, dass wir an vielen Stellen mit Problemen zu kämpfen haben. Worauf es ankommt ist, dass wir es schaffen, sie zu erkennen und zu lösen.
Wir wollen nun auf einige wichtige Entwicklungen der Organisation in den letzten anderthalb Jahren eingehen.
Zunächst zum Klärungsprozess: Bereits in den programmatischen Thesen von 2018 haben wir formuliert, worin die zentralen Aufgaben der Revolutionäre in Deutschland bestehen, nämlich im Aufbau einer klassenkämpferischen Arbeiterbewegung und einer kommunistischen Partei in Deutschland, und dafür: die Organisation eines Sammlungs- und Klärungsprozesses. Letzterer ist sicher nicht unbedingt so schnell fortgeschritten, wie wir es uns gedacht oder erhofft haben. Dies ist nicht nur, aber zu Teilen auch auf die Pandemie zurückzuführen. Auch: weil die Handlungsfähigkeit und auch der Versuch des organisierenden Eingreifens in der Pandemie vorrangig war. Aber nicht nur, denn wir sind mittlerweile auf ein anderes Problem gestoßen: Wir stellen fest, dass wir uns über das Ziel, den Sinn und den Weg der Klärung einig werden müssen. Und in diesem Zuge müssen wir auch diskutieren, was für eine Organisation wir brauchen, um genau diese Arbeit überhaupt leisten zu können. Das bestehende Fundament des Klärungsprozesses hat offensichtlich nicht ausgereicht, um ihn auch direkt durchzuführen. Wir sollten nicht denken, dass wir dieses Problem hätten vorwegnehmen können, indem wir den Klärungsprozess am Reißbrett perfekt vorgepaust hätten. Einige Probleme hätten wir umgehen können, aber wir stehen jetzt an diesem Punkt, weil wir überhaupt erst angefangen haben mit der Arbeit in den thematischen AGs. Wir haben vor der Pandemie diese AGs neu aufgestellt. Ein entscheidender Grund, warum wir diese Neuaufstellung gemacht haben war, dass wir festgestellt haben, dass die Fragen und die Umsetzung der AG Arbeit nicht kollektiv vermittelt waren. Diese Fehlstellung ist in der Neuaufstellung auch noch einmal klarer geworden: Wir müssen die AGs besser fokussieren auf die wichtigsten Fragen und können die Mängel nur mit einer kollektiven Diskussion beheben. Trotzdem ist es wichtig hervorzuheben, dass die AGs bereits mit der Erarbeitung der Arbeitspakete gute Schritte gegangen sind und kreative Ansätze zur Bearbeitung der Themen gezeigt haben.
Nicht formale Veränderungen können die Organisation auf ein neues Niveau heben, ein Niveau, auf dem die Arbeit aller Genossinnen und Genossen ineinander greift und die Organisation an einem Strang zieht. Nein, wir müssen unser gemeinsames Verständnis von unserer Rolle und unseren Aufgaben heben, um uns weiterzuentwickeln. Dass wir auf viele und auch große Fragen stoßen ist nicht verwunderlich. Nicht nur sind wir zum ersten Mal dabei die Architekten und Baumeister einer neuen Organisation, wir müssen unser Handwerk auch während der Arbeit erst noch erlernen, keiner von uns hat darin Erfahrung. Wir befinden uns in einem Lernprozess und ebenso wie wir lernen müssen, wie und mit welchem Zweck wir einen Klärungsprozess organisieren, müssen wir lernen, wie wir die Organisation aufbauen, wie Kollektivität funktioniert, wie demokratischer Zentralismus funktioniert.
Es gehört mit zu unserem Prozess, dass sich zwar einerseits herausschält, was unsere Aufgaben sind und welche Anforderungen das an uns als Organisation und an jeden Einzelnen stellt, was es heißt: die Führung zu übernehmen. Andererseits sind da Reibungen und Rückschläge, diese gab es, gibt es und wird es auch weiterhin geben. Die Phasen eines solchen Prozesses haben verschiedene Dynamiken, die zum Teil frustrierend sein können. Wichtig ist, dass wir die Geduld und Ernsthaftigkeit gewinnen, die für eine kontinuierliche Weiterentwicklung nötig sind. Man kann sich den Aufbau einer kommunistischen Partei kleinreden, ihn unterschätzen – diese Auffassung wird zwangsläufig mit der Zeit von der mühsamen Realität eingeholt. Man kann ihn auch überschätzen, ihn in unerreichbare Ferne rücken – diese Auffassung wird mit der Zeit den Sinn des Vorhabens infrage stellen. Beide Auffassungen sind zu kritisieren, beiden ist nur mit einer geduldigen und disziplinierten Haltung zu begegnen, die an dem wirklichen Stand der Dinge, dem Stand unserer Organisation und dem Klassenkampf anknüpft, und ihr Ziel fest im Auge behält.
4 Schlussteil
Liebe Genossinnen und Genossen, vor uns liegen die Jahre dieses Lernprozesses, des Aufbaus und der Klärung. Der Leitantrag erscheint in diesem Licht wie ein eher kleiner Schritt, er sieht zunächst viel kleiner aus als der politische Beschluss zur Massenarbeit von der zweiten Vollversammlung. Er ist aber von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Organisation. In der Entwicklung eines Selbstverständnisses werden wir uns darüber verständigen, worin genau die Aufgaben der KO bestehen und was das für unsere politische Arbeit bedeutet. Die Entwicklung des Selbstverständnisses ist daher eine zentrale Aufgabe im Organisationsaufbau. Wir stärken unser Fundament, unsere Kollektivität, arbeiten an einem kontinuierlichen Modus der Selbstreflexion und Weiterentwicklung unserer Organisation, und schärfen die kommenden Aufgaben und einen Plan zur Formierung der Kommunistischen Partei in Deutschland. Die Diskussion um den Leitantrag war den Umständen entsprechend kompliziert. Wir haben aber auch viel dabei gelernt, was wir für kommende politische Diskussionen und den KKP mitnehmen können.
Der Kampf um die Organisation ist ein fundamental wichtiger Kampf. Er darf nicht hinter die tagespolitischen, aktionsorientierten und spontanen Fragen zurückfallen. Der Aufbau der Organisation ist überhaupt die Bedingung dafür, dass wir Kämpfe führen können. Wir müssen in unseren Reihen und in unserem Umfeld darum ringen zu vermitteln, dass die spontanen Kämpfe ohne eine mit Klarheit und Einheit gefestigte Organisation letztendlich scheitern werden. Noch schlimmer, ein solches Scheitern kann zu Defätismus, Ohnmacht und Resignation führen und im schlimmsten Fall von den Herrschenden für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert und kanalisiert werden. Wir leben in nicht-revolutionären Zeiten, aber das bedeutet nicht, dass die Organisation weniger wichtig wäre, wir brauchen sie für die Abwehrkämpfe, und wir müssen uns vorbereiten für die kommenden stürmischeren Zeiten: durch die Entwicklung von Klarheit, durch den Aufbau arbeitender und funktionierender Strukturen, und durch die Entwicklung von Kadern, die die Klarheit und Einheit der Organisation und den Kampf der Arbeiterklasse repräsentieren. Der Kampf für den Sozialismus steht auf der Tagesordnung, solange der Kapitalismus und seine Widersprüche bestehen. Die Arbeiterklasse muss erkennen können, dass wir in unserem Kampf für den Sturz der Kapitalistenklasse und für den Aufbau des Sozialismus den Kampf um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Klasse im Hier und jetzt aufheben, den Kampf um Solidarität und gegenseitige Unterstützung, um demokratische Rechte. Wir müssen in der Lage sein aufzuzeigen, warum sowohl der Kampf um jeden Zentimeter für uns heute und der Kampf für den Sozialismus im Kern darin besteht, uns zusammenzuschließen und zu organisieren. Denn nur so können wir überhaupt kämpfen und letztlich auch siegen. Am Beispiel der historischen KPD können wir sehen, wie dringlich die Vorbereitung der Arbeiterklasse auf bevorstehende Kämpfe ist, wie dringlich es ist, der Ideologie von Sozialpartnerschaft, Klassenversöhnung und chauvinistischem Nationalismus entgegenzutreten, und ein revolutionäres Bewusstsein in jeder Arbeiterin und jedem Arbeiter zu entzünden. Die Gründung der historischen KPD mündete in der stärksten revolutionären Bewegung, die dieses Land je sah, aber sie kam zu spät, um nach dem Ersten Weltkrieg die Schlagkraft zu entfalten, die notwendig gewesen wäre, um den Sozialismus im ganzen Land zu erkämpfen und damit auch den Faschismus in Deutschland zu verhindern. Dennoch bereitete sie die Grundlage dafür, dass nach dem Zweiten Weltkrieg mit der sozialistischen DDR der fortschrittlichste Staat, ein Arbeiterstaat, entstand. Die Arbeiterklasse in Deutschland braucht wieder eine starke kommunistische Partei, sie braucht sie besser heute als morgen. Es ist ein großes Ziel, aber es lohnt sich, dafür zu kämpfen.