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Am 26. Mai wird das neue Parlament der Europäischen Union gewählt. Kaum jemandem wird dies entgangen sein – die Viertel sind voll mit Wahlplakaten, im Fernsehen wird debattiert und selbst in den sozialen Netzwerken gibt man uns die Möglichkeit, öffentlich zu verkünden: „Ich gehe wählen!“. Gerade in Deutschland wird diese Wahl zu einer Schicksalswahl aufgebauscht und heuchlerisch behauptet, dass die EU im Interesse der Völker Europas sei. Denn die deutschen Kapitalisten und ihre Vertreter im Bundestag befürchten, dass sich die Krise in der EU weiter vertiefen und letztlich die Existenz der EU gefährden könnte. Ist doch diese EU für die deutschen Kapitalisten das wichtigste politische Projekt zum Ausbau ihrer Dominanz in Europa. Was wollen also jene, die zur Wahl antreten, eigentlich wirklich? Welche Haltung sollten wir zur EU einnehmen?
Eine Wahl zwischen Pest und Cholera
Alle bürgerlichen Parteien – von der AfD bis zur Linkspartei – sind sich einig: Die EU gilt es zu erhalten. Natürlich gibt es in dieser Einigkeit verschiedene Schwerpunkte. So macht die AfD zwar ihre Zustimmung zur EU von der Umsetzung ihrer Reformforderungen abhängig – mit einer ernsthaften Ablehnung hat das jedoch nichts zu tun. Denn solange die EU im Interesse der großen Mehrheit des deutschen Kapitals ist, solange wird auch die AfD sich hüten, offensiv gegen die EU aufzutreten. Sie bezeichnet den Austritt Deutschlands nur als allerletzte Option, macht diesen „Dexit“ von einem Volksentscheid abhängig und strebt auch dann die Neugründung einer „europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ (EU-Wahlprogramm der AfD) an. SPD, Grüne, FDP und CDU sind die eifrigsten Vertreter der deutschen Kapitalinteressen in der EU-Frage doch auch die Linkspartei (PdL) strebt letztlich nur eine etwas „demokratischere“ und „sozialere“ EU an. In unterschiedlicher Ausprägung vertreten diese Parteien die Interessen der deutschen Kapitalisten in der EU – denn die EU selbst ist ein imperialistisches Projekt.
Soziale EU?
Wenn es nach CDU, AfD und FDP geht, sollen Sozialsysteme nicht EU-weit gelten. PdL, SPD und Grüne hingegen fordern einen europaweiten, national angepassten Mindestlohn. Das hört sich gut an, ist aber eine unrealistische, ablenkende Forderung: Die Arbeiterklasse des jeweiligen Landes hat wenig Möglichkeiten, auf EU-Ebene für diese oder andere Forderungen zu kämpfen. Denn weder EU-Parlament noch irgendeine der anderen von den Regierungen der einzelnen Staaten eingerichteten EU-Institutionen wäre in der Lage, eine solche Forderung umzusetzen. Letztlich läuft diese Forderung also auf einen „guten Willen“ der einzelnen Staaten hinaus und ist damit reine Augenwischerei. Wenn, dann müsste die Arbeiterklasse in Deutschland für einen umfassenden, höheren Mindestlohn und ein Existenzminimum kämpfen. Doch genau dann würde sie auf den Widerstand eben jener Parteien stoßen, die die großen Töne von einem „europäischen Mindestlohn“ spucken. Sie sind die Parteien, die in Deutschland Hartz4 und die Agenda 2010 zu verantworten haben und die aktuelle Armutspolitik in Bundes- oder Landesregierungen mit umsetzen.
Offene EU?
In der Frage von Flucht und Migration fordern die Grünen und die FDP eine geregelte „Arbeitsmigration“ für die deutschen Unternehmen. Im Klartext heißt das, nur solche Menschen ins Land zu lassen, die entweder als ausgebildete Fachkräfte zu billigeren Löhnen einsetzbar sind oder als billige, ungelernte Arbeitskräfte Druck auf die Löhne der gesamten Arbeiterklasse ausüben. Garniert wird diese Forderung von den Grünen mit der Aussage, „Klimaflüchtlinge“ vor Abschiebung schützen zu wollen. Sie verheimlichen, dass sie in allen beteiligten Regierungen wie z.B. in Baden-Württemberg, die Abschiebung Tausender in den Tod durch Armut und Krieg mittragen.
Die Linkspartei behauptet zwar, auch Menschen ins Land lassen zu wollen, die aufgrund von Armut aus ihrem Land fliehen. Doch ihre klare Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung neben der SPD, ihrerseits mitverantwortlich für alle Verschärfungen der aktuellen Asylgesetze, zeigt deutlich: Alles Gerede von einem „solidarischen Europa“ (EU-Wahlprogramm der PdL) ist heiße Luft und wirkt letztlich auch nur in Richtung einer weiteren Spaltung der Arbeiterklasse im In- und Ausland. Die CDU hingegen fordert ganz offen den Ausbau von Frontex und nimmt so den Tod von noch mehr Flüchtlingen in Kauf. Außerdem will sie die Zahl der akzeptierten Flüchtlinge weiter begrenzen. Die AfD wiederum will aus Europa eine noch skrupellosere Festung machen, an deren Außengrenzen schon jetzt zig Tausende sterben. Durch ihre offen menschenverachtende Hetze versucht sie, die Konkurrenz und Spaltung unter den Arbeitern zu vertiefen und dient damit ausschließlich den Interessen der Kapitalisten.
Friedliche EU?
Auch in militärischen Fragen fordern Grüne, FDP und CDU eine gemeinsame Politik, auch wenn sie das alle „Sicherheitspolitik“ nennen. SPD und CDU wollen sogar eine gemeinsame EU-Armee – mit dem Ziel, in militärischen Auseinandersetzungen den Interessen der verschiedenen Kapitalisten Europas mehr Durchsetzungskraft gegenüber den anderen Großmächten zu verleihen. Die scheinheilige Behauptung verschiedener Parteien, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen steht eine gnadenlose Realität gegenüber: „Fluchtursachen bekämpfen“ heißt im Deutsch der herrschenden Kapitalisten und ihrer Parteien Einflussgebiete durch „Entwicklungspolitik“, Beratertätigkeiten, militärische Präsenz und andere Machenschaften ausweiten. Denn eine Bekämpfung der wahren Fluchtursachen kann nur der Kampf gegen den Kapitalismus/Imperialismus selbst sein – und alle genannten Parteien verteidigen diesen bis zum Untergang. Zwar fordert die PdL noch immer den Stopp aller Rüstungsexporte aus der EU – aber spätestens bei Beteiligung an einer Bundesregierung wird sie auch dieses Feigenblatt fallen lassen: Denn ein kapitalistischer Staat wie Deutschland ist zur Wahrung der Interessen der deutschen Kapitalisten unweigerlich auf Rüstung angewiesen. Ein Rüstungsunternehmen, welches für den inneren Markt produziert, aber nicht exportieren darf, kann sich jedoch in der internationalen Konkurrenz nicht halten.
Die EU: Ein Projekt der Solidarität und der Gemeinschaft?
Wenn man Parteien wie SPD und CDU glaubt, macht die EU grundsätzlich das Leben für uns alle besser. Reisefreiheit, Wohlstand, eine gemeinsame Währung, friedliches Zusammenleben und vieles mehr sind Zweck und Errungenschaft der EU, wenn man den bürgerlichen Parteien und Medien Glauben schenkt.
Tatsächlich entstand die EU nicht spontan und aus plötzlichem Nachkriegs-Pazifismus heraus. Sie war von Beginn an ein Klassenprojekt – eines der herrschenden Klasse natürlich – und gegen die Errungenschaften der Arbeiterklasse und damit gegen den Sozialismus in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten gerichtet. Doch gleichzeitig war die Gründung der EU auch Ausdruck einer stärker gewordenen Konkurrenz der Kapitalisten Europas gegenüber den USA und anderen imperialistischen Länder. Die Handelskonflikte zwischen der EU und den USA heute sind daher kein Zufall – sie sind das Ergebnis einer sich verschärfenden imperialistischen Konkurrenz auf der gesamten Welt. Im Laufe der Jahrzehnte hat die EU gezielt mehr und mehr Gesetze und Strategien geschaffen, die Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung in der EU und weltweit bedeuten – ganz im Interesse der Steigerung der Profite der verschiedenen nationalen Monopolkonzerne in Europa.
So ist die Freiheit der EU die Freiheit der Unternehmen, ihre Arbeiter flexibler auszubeuten. Die europäische Jugend wird zur billigen, nicht versicherten Arbeitskraft, die von Land zu Land wandern darf. Die Arbeiter werden gegeneinander ausgespielt, der Lohndruck durch mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt spaltet im Interesse der Kapitalisten. Wer nicht nützlich für das Kapital ist, wird nicht hereingelassen. Den Opfern der imperialistischen Kriege, die in Europa ein neues Leben anfangen wollen, gesteht die EU daher keine „Reisefreiheit“ zu. Zehntausende Tote an den Außengrenzen der EU allein in den letzten Jahren zeugen davon. Und auch für viele Menschen in der EU ist an Urlaub im Ausland angesichts von Armut und existenziellen Nöten gar nicht zu denken.
Durchgesetzt werden die Interessen der Unternehmen entweder über die nationalen Politiker, wie bei Merkels Kampf gegen strengere Abgasnormen für die Automobilindustrie oder offen und direkt wie beim „Europäischen Runden Tisch der Industriellen“, der sowohl bei der Schaffung des zollfreien europäischen Binnenmarkts und der Einführung des Euro als Währung eine entscheidende Rolle spielte. Auch nach außen werden die Interessen der Unternehmen gesichert: Um zu verhindern, dass andere Länder ihre Rohstoffe irgendwann nicht mehr hergeben wollen, meldete die EU-Rohstoffstrategie 2008 dasselbe Anrecht darauf an: „Viele bedeutende Rohstoffvorkommen befinden sich in den Entwicklungsländern Afrikas und anderen Entwicklungsländern. Es empfiehlt sich, die EU-Entwicklungspolitik auf diskriminierungsfreien Zugang der EU zu Rohstoffen auszurichten“. In verschiedenen Dokumenten hat das europäische Parlament deutlich gemacht, dass es ohne Zweifel diese Interessen auch mit militärischer Gewalt durchsetzen wird, wenn es nötig wird.
Die Haltung der Kommunisten zur EU
In der europäischen kommunistischen Bewegung existieren zwei ihrem Inhalt nach verschiedene Aufrufe, die von kommunistischen Parteien unterschrieben wurden. Der erste stammt von der „Initiative kommunistischer und Arbeiterparteien Europas“ und wird von 36 Organisationen getragen. Unterzeichner sind zum Beispiel die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) und die Kommunistische Partei (PC) aus Italien. Ihr Aufruf ist richtig, weil er klar die Ablehnung der EU formuliert und die Illusion in eine Reformierbarkeit der EU zurückweist: „Die EU dient nicht und wird auch nie den Bedürfnissen der Werktätigen dienen. Die Erwartungen, dass die EU in eine volksfreundliche Richtung reformiert werden kann, haben sich als vergebens erwiesen.“
Stattdessen benennt der Aufruf unmissverständlich den Sozialismus als einzige Lösung für die Arbeiterklasse und macht deutlich, dass nationalistische und faschistische Kräfte wie die AfD in Deutschland und die „Goldene Morgendämmerung“ (Chrysi Avgi) in Griechenland einzig den Kapitalisten dienen und mit den Interessen der Völker Europas nichts gemeinsam haben.
Wir unterstützen den Aufruf der „Initiative“!
Die zweite Erklärung unter dem Titel „Für ein Europa der arbeitenden Menschen und der Völker“ umfasst ein augenscheinlich politisch breiteres Spektrum an Organisationen inklusive sozialdemokratischer Parteien wie der PdL. Wir kritisieren diesen Aufruf, weil er – ganz im Gegensatz zum ersten – die EU eben nicht als imperialistisches Bündnis benennt. Vielmehr bleibt er in seinen Formulierungen schwammig und bietet opportunistischen Haltungen, allen voran dem Glauben an eine Reformierbarkeit der EU, ein Einfallstor. Sätze wie: „Ein anderes Europa – ein Europa, das den Arbeitern und Völkern und ihren Bedürfnissen dient – kann durch einen radikalen Wandel in den Grundlagen, auf denen die EU aufgebaut wurde, entstehen.“ suggerieren, dass die EU an sich den Interessen der Arbeiterklasse nicht widersprechen würde. Nicht der Sozialismus, die Planwirtschaft und die damit verbundene Verstaatlichung der Produktionsmittel werden als notwendige Forderungen genannt, sondern lediglich die Einschränkung des Monopolkapitals sowie die zusätzliche Förderung (nicht weiter definierter) ,kleinerer und mittlerer‘ Unternehmen. So heißt es im Aufruf: „Für einen Weg der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung unseres Kontinents, der […] kleine und mittlere Unternehmen unterstützt; der Steueroasen, freie und deregulierte Kapitalbewegungen beendet und die spekulativen Aktivitäten des Kapitals bekämpft und besteuert.“
Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), welche auch zur EU-Wahl antritt, hat in den letzten Jahren zunehmend eine klarere ablehnende Haltung gegenüber der EU entwickelt und auch offen Kritik an der PdL und ihrer Europa-Politik geübt. Im aktuellen EU-Wahlprogramm stellt sie das imperialistische Wesen der EU klar heraus und schließt damit eine Reformierbarkeit richtigerweise aus: „Die ‚Europäische Einigung‘ war von Beginn an ein zu tiefst reaktionäres Projekt als Bollwerk gegen den Sozialismus. Im Gegensatz auch zu manchem Politiker der Partei ‚Die Linke‘ halten die KommunistInnen die EU nicht für reformierbar“.
Doch im Widerspruch dazu zählt auch die DKP zu den Unterstützern des zweiten, schwammigen Aufrufs. Dieser wird auch von den Kräften getragen, die nicht nur Illusionen in die EU verbreiten, sondern auch in der Europäischen Linkspartei (ELP) organisiert sind. Die ELP trägt jedoch mit ihrer Politik massiv zur Aufweichung und Zersetzung kommunistischer Parteien bei. Zwar richten sich die konkreten Forderungen, die die DKP im EU-Wahlprogramm aufstellt zu Recht gegen Militarisierung und Sozialabbau. Sie vermitteln aber den Eindruck, dass all das durch Umverteilung und Kürzung bei Rüstungsausgaben realisierbar sei. Sie lässt die Frage offen, wie die Arbeiterklasse den Kampf für die Realisierung der Forderung führen muss. Indem die DKP nicht den Kampf um die Macht der Arbeiterklasse, den Sozialismus, als einzigen Weg benennt, fördert sie reformistische Vorstellungen gegenüber der EU.
Die einzige Alternative – gegen die EU und für den Sozialismus!
Alle angesprochenen Probleme für die Arbeiterklasse und die Angriffe auf sie haben System – ihr Ursprung liegt im Kapitalismus, wo die Unternehmen und insbesondere die Monopolkonzerne stets nach dem größtmöglichen Profit streben. Imperialistische Bündnisse wie die EU schaffen den Rahmen dafür. In unseren Programmatischen Thesen halten wir daher fest: „Der Kampf gegen die EU ist notwendiger Bestandteil des Kampfes der Arbeiterklasse in Deutschland, sowie in allen Mitgliedsländern dieses Bündnisses“ (Programmatische Thesen der KO, S.9).
Wir dürfen uns keine Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus oder seiner Institutionen machen und auch ein Kapitalismus ohne die EU ist gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichtet. Unser Kampf muss deshalb unmissverständlich gegen den Kapitalismus und gegen die EU gerichtet sein und mit dem Kampf für die Macht der Arbeiterklasse, den Sozialismus verbunden sein. Der Kampf um eine solche bessere Zukunft wird vor allem im Betrieb, in der Schule, der Uni und im Stadtteil stattfinden. Doch auch Wahlen und Parlamente können von einer Kommunistischen Partei, welche konsequent die Interessen der Arbeiterklasse verteidigt, genutzt werden, um ihre Positionen zu verbreiten. Treiben wir also die eigenständige Organisierung der Arbeiterklasse und den Aufbau der kommunistischen Partei voran!