Beitrag zur Diskussionstribüne Klima&Kapitalismus – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)
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Ein Beitrag von Philipp Kissel
Ich möchte drei Punkte machen:
- Wohin führt die Vorstellung einer „Klimakatastrophe“?
- Der politische Charakter der Klimadebatte
- Die Weltanschauung in den Naturwissenschaften
Der Gastbeitrag von Hans-Christoph Stoodt macht deutlich, wohin die Vorstellung einer Klimakatastrophe führen kann: „Die Geschichte der Gattung wird dann nach heutigem Kenntnisstand nicht vorbei sein – aber sie wird sehr wahrscheinlich unter solch veränderten Bedingungen verlaufen, daß wir das, was wir heute unter den Grundannahmen des historischen Materialismus annehmen und tun können, sehr wahrscheinlich in Teilen neu formulieren müssen – einschließlich einer Theorie der sozialen Revolution, der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft und so weiter. Das zu behaupten folgt logisch daraus, daß die Gesellschaften im Rahmen einer 4-Grad-Welt – wie oben beschrieben – mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so aussehen werden, als ob sie einfach eine Verlängerung des heute bekannten Kapitalismus-Imperialismus sein könnten, aber auch kein Sozialismus auf dem Weg zum Kommunismus. Was aber dann?“
Da haben wir den Salat. Die Neubetrachtung, Revision, des historischen Materialismus in seinem Kern. Nach dieser Aussage wäre die Grundlage der menschlichen Gesellschaft nun eine ganz andere. Deshalb könne man auch nicht mehr von der Gesellschaftsformation Kapitalismus oder Sozialismus ausgehen und dementsprechend auch nicht von einer sozialistischen Revolution.
Die Gesellschaft und die ganze Welt ist nur noch von einem gezeichnet: Der Klimakatastrophe. Was aber sollen Gesellschaften (plural) sein, die weder kapitalistisch noch sozialistisch sind? Was ist ihre materielle Grundlage, wie sind ihre Produktionsverhältnisse? Stoodt lässt diese Frage konsequenterweise offen. Nicht nur weil er es nicht wissen kann, sondern weil darin der wesentliche Kern seiner Argumentation besteht. Das was kommt, wird so schlimm sein, dass dann etwas ganz anderes sein wird. Was genau, können und sollen wir nicht wissen. Denn wichtig ist nur, dass es alles in Frage stellt und alles ganz dringend ist.
Anzuerkennen ist, dass Stoodt klipp und klar sagt, dass es sich um eine Katastrophe handelt. „Was den Zeithorizont angeht, der bleibt, um das bevorstehenden Erreichen und Überschreiten jener Kipp-Punkte der Entwicklung zu vermeiden, jenseits deren menschliches Tun oder Lassen welcher Absicht auch immer etwas an den unwiderruflichen, katastrophalen und die bisherige menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen in Frage stellenden Welt etwas ändern kann, sind sich die damit Beschäftigten auch weitgehend einig: es handelt sich um allenfalls wenige Jahrzehnte.“ Wichtig an dieser Aussage ist: „…jenseits deren menschliches Tun oder Lassen (…) etwas (…) etwas ändern kann…“ Es wird also eine Welt sein, die die bisherige menschliche Zivilisation in Frage stellt. Und – das ist besonders wichtig – es wird einen Punkt geben, ab dem menschliches Handeln nichts mehr ändern wird.
Der aufmerksame Leser fühlt sich jetzt vielleicht an Science-Fiction-Filme erinnert, in denen man auf Planeten reist, wo alles Leben ganz anderen Gesetzen gehorcht und die Menschen spannende Abenteuer erleben. Nicht selten sind diese Planeten Orte der Zerstörung, der „Hölle“ auf der einen Seite oder ideale Orte auf der anderen Seite. Mit Zitaten aus einem Buch eines Journalisten beschreibt Stoodt eine Welt, die von Hitze, Verwüstung und Überschwemmungen, schmelzenden Eisschilden, Wassermangel für hunderte Millionen Menschen und unbewohnbaren Großstädten, ja halben Kontinenten gezeichnet ist. Mit beeindruckenden Zahlen wird eine rasante Erhitzung beschrieben. Und vor allem: „Einige dieser Prozesse laufen über Jahrtausende ab, aber sie sind unumkehrbar und daher dauerhaft. Niemand sollte sich daher der Hoffnung hingeben, den Klimawandel wäre einfach rückgängig zu machen. Das geht nicht. Er wird uns davonlaufen.“ Die Botschaft: Es gibt keinen Ausweg! Wenn die Hölle erstmal eingetreten ist, wird sie für ewig sein.
Wissenschaftlicher Sozialismus statt Dystopie
Der historische Materialismus hat die Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Gesellschaft entdeckt und daran wird sich nichts ändern, solange es menschliche Gesellschaft gibt. Es sei denn, jemand entdeckt die neue materielle Grundlage der Gesellschaft. Solange das nicht der Fall ist, sind es die Produktionsverhältnisse, die die Gesellschaft bestimmen. Aus dem Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen ergibt sich die notwendigerweise nächste Gesellschaftsformation. Sie ist nicht zufällig oder nur von menschlicher Vorstellungskraft abhängig. Aus dem Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und dem privaten Charakter der Aneignung des geschaffenen Reichtums in der kapitalistischen Gesellschaft ergibt sich notwendigerweise der Sozialismus als nächste Stufe der menschlichen Gesellschaft.
Die ersten Sozialisten verfügten noch nicht über den historischen Materialismus und mussten deshalb utopische Sozialisten bleiben. Ihre Bedeutung und große Leistung soll hier nicht relativiert werden. Mir geht es hier nur um einen Aspekt. Sie entwickelten ideale Welten, in der die Vernunft herrscht und die in alle Einzelheiten ausgeschmückt – aber nicht realisierbar waren. Ihre Utopie war zukunftsgewandt und aufstrebend. Aber sie blieb Utopie, was wörtlich übersetzt aus dem altgriechischen nicht-Ort, ou – „nicht-“ und topos – „Ort“, heißt. Da es eine positive Zukunftsvision war, handelt es sich in dem Sinne um ein Sprachspiel zwischen Utopie und Eutopie aus eu – „gut“ und „topos“ – Ort.
Was hier dagegen gezeichnet wird, ist das Gegenteil einer Utopie. Die Welt wird nicht als guter oder idealer Ort beschrieben. Es ist eine Dystopie, dys- = schlecht und tópos = Ort. Während die utopischen Sozialisten die Widersprüche und das Elend anprangerten und vorerst nur in einer idealen Vision auflösen konnten, werden sie hier in der Vision einer größtenteils unbewohnbaren Welt aufgelöst. Und wie bei Science-Fiction-Filmen auch, sagt die Welt die dargestellt wird mehr darüber aus, wie man die jetzt existierende Welt sieht und interpretiert. Der Kern bei der Vorstellung der Klimakatastrophe ist, dass eine Situation eintritt, bei der alles Handeln aussichtslos ist. Die „4-Grad-Welt“ ist ein Nicht-Ort, der höchstens noch als Chaos zu verstehen ist. Der Mensch ist ausgeliefert und hilflos.
Geschichtspessimismus und Fatalismus
Für Millionen von Menschen ist die Welt aktuell tatsächlich die Hölle. Sie sterben an Hunger und Krankheiten, die schon längst heilbar sind. Was aber hat das mit Naturereignissen an sich zu tun? In Afrika sterben Millionen Menschen an Hunger, während es dort gleichzeitig die größten ungenutzten landwirtschaftlichen Flächen der Welt gibt, mit denen Milliarden Menschen ernährt werden könnten. Die Menschen sterben also nicht daran, dass es in Afrika zuviele Wüsten geben würde, sondern daran, dass der Imperialismus die Entwicklung einer eigenständigen Landwirtschaft verhindert. Selbst wenn sich die Wüsten ausdehnen würden, müsste niemand an Hunger sterben. Es sei denn, man nimmt an, dass die Ausmaße der Katastrophe so groß sind, dass gar kein Handeln mehr daran etwas ändert. Das gleiche ließe sich für alle anderen Probleme durchspielen, für den Wassermangel, für Überschwemmungen oder Hitzewellen. An letzterem sei nur verdeutlicht, dass bei den Hitzewellen der vergangenen Jahre in Deutschland und Frankreich niemand aufgrund der Hitze an sich gestorben ist, sondern weil alte Menschen allein gelassen in ihren Wohnungen unterversorgt blieben.
Die aktuelle reale Welt zeigt, dass der Mensch längst in der Lage ist, viele Probleme zu lösen und wenn nicht, dann weil ihn die überkommenen gesellschaftlichen Verhältnisse daran hindern. Die Vorstellung einer so großen Katastrophe, die jegliches menschliches Handeln sinnlos macht, ist irreal und lediglich eine ideologische Denkfigur, die in ihrem Fatalismus dem Bewußtsein der herrschenden Klasse entspricht und ihr zugleich dazu dient, ihre Herrschaft abzusichern. Denn die Vorstellung, der Mensch ist eh schlecht und das wird sich nicht mehr ändern, da kann man nichts machen, ist denen, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, höchst willkommen.
In der Vorstellung einer Situation, in der nichts mehr möglich ist, liegt nicht nur ein tief gehender Geschichtspessimismus. Die Klimadebatte ist Ausdruck eines konservativen Rollback. Hier sei kurz auf den „Club of Rome“ verwiesen, der Ende der 1960er Jahre mit der Ideologie der „Grenzen des Wachstums“ die Marschrichtung vorgab. Der Soziologe und Publizist Matthias Greffrath brachte es im Deutschlandfunk auf den Punkt: „Daran aber wird klar, dass Demonstranten und Politiker zu kurz springen, wenn sie den Kampf gegen den Klimawandel zum alles überwölbenden globalen Großthema erklären. Noch einmal: nicht der Klimawandel ist das Problem, er ist das massive Symptom des Grundproblems: Wachstum.“ (https://www.deutschlandfunk.de/essay-und-diskurs.1183.de.html?drbm:date=2019-12-08)
Geschichtspessimismus und Fatalismus sind besonders gefährliche bürgerliche Ideologien, weil sie die Rolle der Arbeiterklasse in der Geschichte negieren – was aus Sicht der Klasse, die bereits einmal enteignet und entmachtet wurde, nur verständlich ist. Für uns sind diese Ideologien ein großes Hindernis bei der Organisierung der Klasse. Mit dem Aufruf zur Bekämpfung des Klimawandels wird eigentlich der gesellschaftliche Wandel bekämpft. Denn im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen nicht mehr die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Eigentumsfrage, sondern die Katastrophe, die äußere Bedrohung, die Naturgewalten, etc. Deshalb ist dieser Aufruf konservativ.
Die Klimadebatte ist politisch
Es handelt sich bei der Klimadebatte um eine zutiefst politische Auseinandersetzung. Auch wenn Stoodt und auch die Genossen Spanidis et. al beteuern, dass es nur einen objektiven wissenschaftlichen Standpunkt in dieser Frage gäbe und alle, die das in Frage stellen, wissenschaftsfeindlich seien – so einfach ist die Sache nicht.
Zuallererst sollten bei jedem die Alarmglocken angehen, wenn ein Diskurs und eine Bewegung dermaßen offen und offensichtlich von den Herrschenden gefördert und aktiv vorangetriebenwerden. Nun könnte man entgegnen, dass das vielleicht für Deutschland zutreffe, aber zum Beispiel für die USA, zumindest für Trump und andere nicht. Oder dass es auch Teile der Herrschenden gibt, die nicht gleichermaßen die Angst vor dem Klimawandel schüren. Das stimmt und das zeigt, dass die Debatte maßgeblich von politischen und ökonomischen Interessen geprägt ist und es von den konkreten Bedürfnissen der herrschenden Klasse abhängt, wann, wie und wie lange welche Diskurse und ideologischen Schreckensbilder durch die Medienlandschaft und Köpfe der Menschen gescheucht werden. Gänzlich das Klasseninteresse an und in der Klimadebatte abzustreiten, ist nicht haltbar.
Dass in dieser Debatte Panik und Hysterie im Spiel sind, liegt auf der Hand – daran ändert auch die Wahl eines Unwort des Jahres nichts. Und – leider – ist der Gastbeitrag von Stoodt ein Beispiel für diese Panik. Der Vorwurf, wer dies als Panik bezeichne, sei „Klimaleugner“ und wissenschaftsfeindlich führt ins Leere, denn er geht an der Sache vorbei, denn es gibt einen Streit unter den Wissenschaftlern. Man könnte sich also gegenseitig vorwerfen, wissenschaftsfeindlich zu sein – und würde keinen Schritt vorankommen.
Es geht also nicht um die Beantwortung der Frage: Gibt es denn den Klimawandel nicht? Zu allererst muss man diese Debatte, die unter Wissenschaftlern, Politikern, Publizisten, etc. stattfindet analysieren. Das ist eine intensive Arbeit, die nicht nebenbei gemacht werden kann und für die man systematisch vorgehen muss.
Die Soziologin Anita Engels, die den Diskurs über den Klimawandel begrüßt und mit Sicherheit keine Sprecherin angeblicher „Klimaleugner“ ist, führt in einem Interview aus: „Ich habe von so manchem Forscher die Beschwerde gehört, dass Journalisten von ihm klare Aussagen hören wollten, wo es eigentlich noch Unsicherheiten gab. Weil die sich in einem Zeitungsartikel nicht darstellen ließen, hat man sich auf etwas geeinigt, das wissenschaftlich nicht wirklich gedeckt war. Das ist eine Form der Popularisierung, die dem Forscher negativ ausgelegt werden kann. Zudem gab es vor allem in der Frühphase Wissenschaftler, die sich verantwortlich fühlten, auf das Klimaproblem aufmerksam zu machen. Sie haben bewusst dramatisiert oder sich zumindest nicht gegen dramatisierende Darstellungen gewehrt. Das ist riskant.“ Das ist richtig und zeigt den politischen Charakter der Auseinandersetzung. Engels geht aber noch weiter: „Frage: Als Lösung für das Klimaproblem hat sich die Wissenschaft früh auf die drastische Reduzierung von CO2 geeinigt, noch bevor eine gesellschaftliche Debatte darüber in Gang gekommen war. Ein Grund für die Eskalation? Antwort: Diese Verengung auf CO2 ist von vielen Seiten betrieben worden. So erschien das Problem überhaupt erst mal bearbeitbar.“ (https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2019/gefuehle/klimawandel-panik-hilft-nicht)
Engels spricht auch den Skandal um das sogenannte „Hockeyschläger-Diagramm“ an, der von „Klimaskeptikern“ genutzt worden sei. Dabei handelte es sich um eine Prognose des US-Klimaforschers Michael Mann, die einen rasant starken Anstieg prognostizierte – daher das Bild des Hockeyschlägers. Diese Temperaturkurve wurde vom IPCC in seinen Bericht des Jahres 2001 aufgenommen und als letzter Beweis für eine menschengemachte Klimaerwärmung gewertet. Andere Klimaforscher erhoben massive Einwände gegen die Kurve und warfen Mann Fälschung vor. Die Kurve wurde 2007 vom IPCC aus dem Bericht entfernt. Die der falschen Temperaturkonstruktion zu Grunde liegenden Daten wurden nie herausgegeben. Es gab eine ganze Reihe weiterer Skandale rund um das IPCC, die die Frage aufwerfen, um welche Auseinandersetzung es hier eigentlich geht. Darunter der „Email-Skandal“, mit dem kritische Wissenschaftler öffentlich diskreditiert werden sollten und der „Himalaya-Skandal“ von 2007, als der IPCC behauptet hatte, der Himalaya-Gletscher schmelze bis 2035 ab. Als diese Prognose kritisiert und unter anderem vom indischen Umweltminister bezweifelt wurde, behauptete das IPCC, allein den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit beanspruchen zu können. Wenig später musste das IPCC die Prognose zurücknehmen, es habe sich um einen Zahlendreher gehandelt.
Diese Beispiele werden auch von den Kritikern des IPCC verwandt, von denen manche politisch rechts stehen. Heißt das, dass wir uns nicht mit den Widersprüchen, der Entwicklung und Auseinandersetzung beispielsweise des IPCC und den Argumenten der Wissenschaftler beschäftigen sollen, die den IPCC kritisieren? Im Gegenteil, wir sollten ein umfassendes Verständnis der Klimadebatte und ihres politischen Charakters gewinnen.
In der Klimadebatte gab es von Anfang an Wissenschaftler, die einen anderen Standpunkt vertreten haben und ihn auch öffentlich gemacht haben. Anstatt sie einfach als von der Ölbranche bezahlte Rechte abzutun, sollten wir uns mit ihnen und ihren Argumenten beschäftigen. Das sei hier nur kurz angerissen, um die Aufgabe zu skizzieren. Bereits 1992 veröffentlichten über 3000 Wissenschaftler, darunter 74 Nobelpreisträger (davon 66 in Naturwissenschaften) den Heidelberger Appell (https://en.wikipedia.org/wiki/Heidelberg_Appeal). Darin warnen sie vor dem Aufkommen einer irrationalen Ideologie, die sich gegen Wissenschaft und industriellen Fortschritt wende und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt behindere. Sie führen weiter aus, dass es keinen natürlichen Zustand gebe, wie es manche rückwärtsgerichteten Bewegungen annehmen, dass die Erfassung, Beobachtung und der Schutz der natürlichen Ressourcen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen müsse und Regierungen in ihren Entscheidungen sich nicht von pseudowissenschaftlichen Argumenten leiten lassen sollen. Außerdem, dass die unterentwickelten Länder ein Niveau der Entwicklung des restlichen Planeten erreichen können sollen und sie nicht durch Probleme und Gefahren der entwickelten Nationen gehemmt werden, nicht in ein Netz von unrealistischen Verpflichtungen verwickelt werden sollen, die ihre Unabhängigkeit und Würde gefährden.
Unter den Unterzeichnern befindet sich auch der Nobelpreisträger und Atmosphärenphysiker Richard Lindzen. Er hat in den folgenden Jahren wiederholt den IPCC und andere Klimawissenschaftler massiv kritisiert und eine Diffamierung der Wissenschaftler, die eine andere Auffassung als die des IPCC vertreten, beklagt. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Erklärungen von Wissenschaftlern, die sich kritisch positionieren. Die Leipziger Erklärung von 1995, die Oregon-Petition von 1998 und zuletzt die Erklärung „Es gibt keinen Klimanotstand“ von 700 Wissenschaftlern, in dem sie vertreten, dass nicht nur Faktoren des menschlichen Handelns für die Veränderung des Klimas verantwortlich sind, dass der Wandel deutlich langsamer vonstatten geht, als behauptet und noch kein umfassendes Verständnis des Klimawandels erarbeitet wurde. Sie schreiben: „Die Klimawissenschaft sollte weniger politisch sein, während die Klimapolitik wissenschaftlicher sein sollte. Wissenschaftler sollten offen auf die Unsicherheiten und Übertreibungen bei ihren Vorhersagen zur globalen Erwärmung eingehen.“ (https://clintel.nl/wp-content/uploads/2019/10/European-Climate-Declaration-Oslo-18-October-2019.pdf)
Können diese Wissenschaftler und ihre Standpunkte einfach abgetan werden? Wurden ihre Argumente geprüft, wurde ihre Kritik ins Verhältnis gesetzt zu dem was in der Klimaforschung geschieht? Ich finde, das muss unsere Aufgabe sein.
Aufrufe und Appelle gab und gibt es auch von Klimaforschern, die vor einer Katastrophe warnen. Ende 1992 als Antwort auf den Heidelberger Appell die „erste Warnung der Wissenschaftler der Welt an die Menschheit“, die mit den Worten beginnt: „Die Menschen und die natürliche Welt sind auf einem Kollisionskurs.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Warnung_der_Wissenschaftler_an_die_Menschheit)
Das soll an dieser Stelle genügen, um deutlich zu machen, dass es einen Streit unter den Wissenschaftlern gibt, den wir verstehen müssen. Oft wird den Wissenschaftlern, die sich gegen die Vorstellung einer Klimakatastrophe wenden, vorgeworfen, sie seien von Öl-, Kohle- oder einer anderen Industrie bezahlt, finanziert durch neoliberale oder konservative Thinktanks. Mit Sicherheit wird das bei manchen auch eine Rolle spielen. Das gilt allerdings für Wissenschaftler der anderen Stoßrichtung ebenso. Kapitalinteressen und politische Interessen der Bourgeoisie haben Einfluss auf die gesamte Wissenschaft und die Vertreter der „grünen“ Richtung sind dabei keineswegs fortschrittlicher oder weniger reaktionär. Die Untersuchung der politischen Organisation der Klimaforschung, insbesondere in Form des IPCC ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe zur Klärung in dieser Frage.
Tatsächlich sind viele Klimaforscher politisch sehr aktiv und betätigen sich als Berater von Regierungen und Unternehmen. Das gilt aber ganz unabhängig davon, welche Position sie in welcher Frage beziehen. So ist beispielsweise Hans Joachim Schellnhuber, der Gründer und langjährige Leiter des Potsdam-Instituts bereits in den 90er Jahren Berater für Angela Merkel gewesen und in der Folgezeit für die Bundesregierung. Schellnhuber selbst positioniert sich auch ganz offen politisch, wenn er sich gegen die „technikverliebte Bequemlichkeitsgesellschaft“ wendet und beispielsweise sagt: „Man könnte die Situation mit einem leckgeschlagenen Schiff auf hoher See vergleichen. Natürlich gibt es auch neben dieser Havarie Probleme: Das Essen in der dritten Klasse ist miserabel, die Matrosen werden ausgebeutet, die Musikkapelle spielt deutsche Schlager, aber wenn das Schiff untergeht, ist all das irrelevant. Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, wenn wir das Schiff nicht über Wasser halten können, brauchen wir über Einkommensverteilung, Rassismus und guten Geschmack nicht mehr nachzudenken.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Joachim_Schellnhuber) Hier wird Klassenversöhnung propagiert bzw. die ausgebeutete Klasse zum Stillhalten und weiteren Ertragen aufgefordert. Es ist ein klarer Klassenstandpunkt.
Zunächst gilt es also das zu tun, was die Aufgabe der historischen Materialisten ist: die Veränderung in der materiellen Grundlage der Gesellschaft zu untersuchen, also zum Beispiel die ersten Krisenerscheinungen des Kapitalismus nach 1945 und die verschiedenen Reaktionen darauf, unter anderem den „Club of Rome“. Die in der Veränderung wirkenden Klasseninteressen zu erkennen und die ideologischen Erscheinungen, mit denen sie artikuliert werden. Das heißt für die aktuelle Klimadebatte, welche Veränderungen zeichnen sich ab (Stichwort Umstrukturierung Energie- und Automobilbranche), worin besteht der Streit der Wissenschaftler untereinander und die Verbindung zur Klimafrage von Politik und Ökonomie? Dabei ist die Auseinandersetzung bzw. Kritik an den Methoden der Klimaforschung besonders wichtig. An die Frage, wie sich nun das Klima verändert, können wir uns erst annähern, wenn die Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlern um Gegenstand, Methoden und Probleme der verschiedenen Wissenschaften, die hier betroffen sind, erarbeitet wurden.
Idealismus in den Naturwissenschaften
Der letzte Aspekt, den ich kurz benennen möchte, ist die Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen und weltanschaulichen Fragen in der Klimaforschung. Wie zu jeder Zeit ist die Naturwissenschaft auch heute nicht losgelöst von der Frage der Weltanschauung. Am Beispiel des profilierten Klimaforscher Schellnhuber kurz angerissen: Er hat eine Variante der sogenannten „Erdsystemanalyse“ erfunden. Als Erdsystem wird dabei die Summe physikalischer, chemischer, biologischer und sozialer Komponenten, Prozesse und Wechselwirkungen bezeichnet, die den Zustand und die Veränderungen des Planeten Erde beeinflussen. Es soll um die Interaktion zwischen Land, Atmosphäre, Wasser, Eis, Biosphäre, Gesellschaften, Technologien und Wirtschaft gehen. Das Ziel ist: Dokumentation globaler Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten, Vorhersagen künftiger Veränderungen anhand von quantitativen Modellen, Zusammenfassung der Informationen, um auf die Konsequenzen der globalen Veränderungen effektiver reagieren zu können. Zwei Dinge sind daran wichtig: Erstens: Das sind sehr viele verschiedene Bereiche, die hier in ein (welches?) Verhältnis gesetzt werden. Zweitens: Im Zentrum steht die Vorhersage an Hand von Modellen.
Aus dieser „Erdsystemanalyse“ leiten Schellnhuber und andere Wissenschaftler „planetarische Leitplanken“ oder „Grenzen“ und „Kipp-Punkte“ ab. Zu den „Belastungsgrenzen“ gehört die Definition des Zwei-Grad-Ziels, das also die Erwärmung der Erde nicht zwei Grad übersteigen dürfe. Die Idee der „planetarischen Grenzen“ ist auch die Grundlage des Hauptgutachtens des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen aus dem Jahr 2011 mit dem Titel „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“. Die Kipp-Punkte, auf die sich auch Stoodt bezieht, sind quasi eine zeitliche Dimension der „Belastungsgrenzen“, die besonders brisant wirken, weil sie Punkte sein sollen, ab denen ein Umsteuern nicht mehr möglich sei. Stets ist der Ausgangspunkt oder das Problem das menschliche Handeln. Man könnte das Bild zeichnen, das auf der einen Seite die „Natur“, die „Welt“ steht und auf der anderen Seite der Mensch, der die Grenzen dieser „Welt“ überschreitet und sich damit selbst gefährdet. Das neueste Buch von Schellnhuber heißt „Selbstverbrennung – Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“. Darin warnt er, dass „die fortgesetzte Verbrennung fossiler Energieträger zum kollektiven Suizid zu führen droht.“
Auch wenn Schellnhuber ein besonders einflussreicher Klimaforscher ist, sind die hier skizzierten Vorstellungen keineswegs allein seine Erfindung oder nur von ihm vertreten, sondern weit verbreitet. Es gibt zahlreiche verschiedene Erdsystemanalysen. Einen gewissen Ausgangspunkt für diese Entwicklung stellt die „Gaia-These“ des britischen Wissenschaftlers James Lovelock dar. Er vertrat die Ansicht, dass die Erde ein lebendiger Organismus sei – Gaia. Der Titel eines seiner Bücher von 1991 lautet: „Die Erde ist ein Lebewesen. Was wir heute über Anatomie und Physiologie des Organismus Erde wissen und wie wir ihn vor der Gefährdung durch den Menschen bewahren können.“ Das in dieser These vertretene Verständnis von Mensch und „Erde“ beschreibt Lovelock in einem Interview: „Seit mehr als dreieinhalb Milliarden Jahren hat Gaia die Erde mit diesen gefährlichen Experimenten bewohnbar gehalten und dabei kontinuierlich besser abgestimmt. All diese Zeit hat es gekostet, ein Lebewesen zu schaffen, dass sowohl sozial als auch intelligent ist. Andere Tiere, Wale vielleicht, sind eventuell intelligenter als wir, aber sie sind nicht sozial und kommunizieren nicht so gut. Dies ist also eine wichtige Eigenschaft, und das System würde es sehr bedauern, uns zu verlieren.“ (https://www.heise.de/tr/artikel/Koennen-wir-die-Erde-zerstoeren-917173.html) Schellnhuber schrieb 2006 zur Gaia-Hypothese: „Lovelocks Theorie ist ein wichtiger Bezugspunkt für die nun entstehende Wissenschaft der Erdsystemanalyse geworden, trägt aber auch zu jenem Substrat von aktuellem Weltverständnis bei, auf dem sich umwelttheoretische Vorstellungen entwickeln.“ (in Politische Ökologie 24, 2006). Ist es vermessen, wenn dieses „Weltverständnis“ an religiöse Vorstellungen, wie der Schöpfung, erinnert?
Diese kleinen Ausschnitte sollen verdeutlichen, dass für Materialisten hier viel Arbeit lauert. Denn dass hier idealistische und mechanisch deterministische Positionen im Spiel sind, liegt auf der Hand. Es wird ersichtlich, warum eine kollektive und systematische Auseinandersetzung mit den politischen, ideologischen und wissenschaftlichen Implikationen der Klimadebatte unbedingt notwendig ist. Hier sei kurz angemerkt, dass dabei die Auseinandersetzung von Marx und Engels mit dem Ökonomen Malthus beachtet werden sollte, weil Malthus ebenfalls von „natürlichen Grenzen“ des Wachstums ausging.