Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Das Industrieproletariat kann die anstehenden Kämpfe gewinnen – gelingen wird das aber nur durch Konfrontation statt Kompromisssuche

Stellungnahme des Zentralkomitees der KP vom 15. Oktober 2024

Die verschärfte zwischenimperialistische Konkurrenz, insbesondere mit China, macht sich in Deutschland immer mehr bemerkbar. Als eines der führenden Industrieländer Europas rutschte Deutschland 2023 in eine bis heute anhaltende Rezession, die sich besonders in zentralen Bereichen der Industrie zeigt: Die Baupläne für die lang ersehnte Chipfabrik in Magdeburg wurden auf Eis gelegt, während Stellenstreichungen und Werksschließungen bei Bosch, ZF Friedrichshafen und VW angekündigt wurden. Im Zuge der zunehmenden Spannungen wird die Militarisierung vorangetrieben. Wenn es nach den Herrschenden geht, soll Deutschland bis 2030 wieder “kriegstüchtig” sein. Die Kosten der Krise und der Aufrüstung versucht die herrschende Klasse auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Diese soll gefälligst den Gürtel enger schnallen und im “Burgfrieden” mit dem Kapital die Füße stillhalten. In diesem Kontext stehen die aktuellen Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie und bei VW.

Laufende Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie

Heute ruft die IG Metall unter dem Motto “Druck aufbauen” zu einem Aktionstag in Ludwigsburg auf. Denn dort beginnt die zweite Verhandlungsrunde für neue Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie (M&E) in Baden-Württemberg. Auch in anderen Tarifgebieten stehen die zweiten Verhandlungsrunden bevor, wie beispielsweise in Sachsen, wo am 17. Oktober in Leipzig weiter verhandelt wird.[1] Die Tarifkommission fordert 7 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 12 Monaten sowie 170 Euro mehr für Auszubildende.[2] Die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie sind nicht nur für Baden-Württemberg relevant, sondern für ganz Deutschland. Viele der größten und einflussreichsten Unternehmen in Deutschland, wie Mercedes-Benz, Audi oder Bosch, gehören zu dieser Branche. Gleichzeitig ist hier ein bedeutender Teil der deutschen Arbeiterklasse beschäftigt, mit nach wie vor hohen Organisationsgraden und großer Kampfkraft. Was die Kolleginnen und Kollegen der IG-Metall durchsetzen können, hat eine wichtige Signalwirkung für alle anderen Branchen. Deshalb ist eine kämpferische Tarifbewegung der Metallerinnen und Metaller im Interesse der gesamten Arbeiterklasse.

Druck aufbauen ist dabei bitter nötig. Noch bevor die IG Metall ihre Forderungen aufgestellt hatte, provozierte der Arbeitgeberverband Südwestmetall mit der Forderung nach einer Nullrunde.[3] Bei der ersten erfolglosen Verhandlung setzten sie noch eins oben drauf und behaupteten, dass selbst eine Nullrunde zu viel sei.[4] Begründet wird diese Dreistigkeit mit den gleichen Vorwänden, die sich bei jeder Tarifrunde wiederholen: Die wirtschaftliche Lage lasse das nicht zu und gefährde den Standort Deutschland.

In der letzten Tarifrunde verlangte die Tarifkommission 8 % Lohnerhöhung für 12 Monate. Letztlich wurden jedoch – abgesehen von den einmaligen, tabellarisch unwirksamen Zahlungen – nur 5,2 % für 2023 und 3,3 % für 2024, also deutlich geringere Erhöhungen für eine doppelt so lange Laufzeit, durchgesetzt. Dies steht in deutlichem Kontrast zur Inflationsrate[5], die 2022 bei knapp 8 % und 2023 bei 5,9 % lag und welche man eigentlich ausgleichen wollte. Demnach war man in der letzten Tarifrunde nicht in der Lage, den Reallohn zu steigern. Das sollte in der jetzigen Tarifrunde anders aussehen: Trotz sinkender Inflationsrate wünschten sich 58% von 318.000 befragten Metall- und Elektroarbeitern und -arbeiterinnen einen Ausgleich für die Preissteigerungen der letzten Jahre.[6] Dazu sollte das Tarifergebnis deutlich über der aktuellen Inflationsrate[7] von ca. 2 % liegen. Um das gegen das Kapital durchsetzen zu können, braucht es große Arbeitskampfmaßnahmen. Mit ein bis zwei Warnstreikwellen wird das Ziel kaum zu erreichen sein. Ob die Gewerkschaftsführung und die Basis diesen kämpferischen Schritt wagen, ist fraglich.

Die Situation bei VW

Währenddessen haben die Kapitalisten einen massiven Angriff gestartet, der nicht nur die VW-Arbeiter und -arbeiterinnen direkt trifft, sondern auch gezielt dazu dient, die Forderungen der M&E-Tarifrunde zu untergraben. Der Zeitpunkt dieser Ankündigungen scheint dabei alles andere als zufällig: Wenige Monate bevor die bestehenden Haustarifverträge ausgelaufen wären und zeitgleich mit der Verkündung der 7-Prozent-Forderung der IG Metall in der M&E-Runde, kündigte VW mehrere zentrale Vereinbarungen auf – darunter die seit 1994 bestehende Beschäftigungssicherung, die Übernahmegarantie für Auszubildende und die tariflichen Regelungen für Leiharbeit. Auch mit massivem Stellenabbau und sogar Werksschließungen wird gedroht. Besonders auf dem Spiel stehen wohl das E-Auto-Werk in Zwickau, das Motorenwerk in Chemnitz und die Gläserne Manufaktur in Dresden[8] – drei Standorte im Osten, deren Beschäftigte seit über drei Jahrzehnten durch höhere Wochenarbeitszeiten und geringere Löhne benachteiligt sind. Bereits in den 2000er-Jahren scheiterten sie aufgrund fehlender Solidarität aus dem Westen daran, die 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Erst knapp 20 Jahre später gelang der Durchbruch, allerdings mit einer langen Einführungsphase. Bis 2027 sollte die Arbeitszeit in Ost und West bei VW gleich sein[9]. VW ist sich der fehlenden Kampfkraft bewusst und weiß, dass der letzte große Arbeitskampf, der eine gemeinsame Kraftanstrengung der west- und ostdeutschen Beschäftigten benötigt hätte, misslang.

Dennoch reagierte die VW-Belegschaft sofort mit beachtlichem Protest, sowohl bei der Betriebsversammlung in Wolfsburg als auch beim Verhandlungsauftakt zwischen IG Metall und VW in Hannover. Zurecht weisen sie auf die erst im Juni ausgeschütteten Dividenden im Wert von 4,5 Milliarden Euro hin, während der VW-Vorstand erklärt, er müsse jetzt 4 Milliarden Euro sparen. Die IG Metall und der Betriebsrat positionieren sich kämpferisch: Sie stellen klar, dass es mit ihnen keine Werksschließungen geben werde und halten – analog zur M&E-Tarifrunde – an den beschlossenen Forderungen von 7 % fest.

Gleichzeitig öffnet die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner eine Tür für Kompromisse und fordert einen “gemeinsamen Weg”.[10] Wie dieser gemeinsame Weg aussehen kann, nimmt sie gleich vorweg und hält die Wiedereinführung der 4-Tage-Woche ohne Lohnausgleich für möglich[11]. Dies würde einem Lohnverzicht gleichkommen. Mit solchen Aussagen deutet die IG-Metall-Führung an, dass sie bereit ist, auf das Management zuzugehen. Das nimmt dem Protest den Wind aus den Segeln, bevor er überhaupt richtig Fahrt aufnehmen kann.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Sozialpartnerschaft – die vermeintliche Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit – nur dann greift, wenn die Kapitalseite davon profitiert. Streiks werden dadurch berechenbar, und Zugeständnisse helfen, Proteste einzudämmen. Ein Beispiel dafür ist die gescheiterte flächendeckende Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland, die letztlich daran scheiterte, dass VW und andere große Betriebe dieses Zugeständnis frühzeitig machten und so einen wichtigen Teil der ostdeutschen Arbeiterklasse befriedeten und von weiteren gemeinsamen Kämpfen abbrachten. Nun, da die Kapitalseite ihre Strategie von Kompromissen zu offenen Angriffen geändert hat, steht die Gewerkschaft vor einer neuen Herausforderung: Wird die IG Metall – in ihrer Führung und an der Basis – es schaffen, den Kampf entschlossen und konsequent zu führen?

Unsere Aufgabe

Genau hier müssen wir ansetzen. Wenn Nadine Boguslawski, die Tarifchefin der IG Metall, “Respekt der Arbeitgeber” für die Situation der Beschäftigten fordert,[12] müssen wir zeigen, dass die Kapitalisten keinen Respekt vor uns haben können. Betteln beim Arbeitgeber rettet keine Arbeitsplätze, sondern bringt die Belegschaft in eine schlechtere Verhandlungsposition. Galeria Kaufhof ist das beste Beispiel dafür, wie Kompromisse letztlich in einer Sackgasse enden: ver.di hat der Kapitalseite große Zugeständnisse gemacht und die Belegschaft musste über Jahre hinweg Lohnkürzungen hinnehmen, in der Hoffnung, so ihre Arbeitsplätze zu sichern[13] – nur, um letztendlich doch vor die Tür gesetzt zu werden.

Was wirklich Arbeitsplätze rettet, ist, sich vom Klassenfeind nicht einschüchtern zu lassen und den Kampf konsequent zu führen. Das bedeutet erstmal, den Einfluss der Ideologie der Sozialpartnerschaft an der Basis der Gewerkschaft zurückzudrängen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, denen 7 % schon zu viel sind oder die sofort bereit wären, zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten, solange sie ihren Arbeitsplatz behalten können. Auch sie müssen wir davon überzeugen, dass sie gegen ihre Interessen handeln und mit dieser Position langfristig den Kürzeren ziehen werden. Kampflos gemachte Zugeständnisse setzen unweigerlich eine Abwärtsspirale in Gang, führen zu Enttäuschung, Unzufriedenheit und Austritten bei den Gewerkschaftsmitgliedern und schwächen die Arbeiterklasse dadurch langfristig. Kämpfe können verloren werden oder mit Kompromissen enden – schaffen aber in jedem Fall wertvolle Erfahrungen, die die Klasse für die kommende Auseinandersetzungen dringend braucht. Denn die nächste Wirtschaftskrise, das nächste schlechte Jahr wird kommen und die Kapitalseite wird wieder versuchen, ihre Krise auf den Rücken der Arbeiter abzuwälzen.

Wir müssen uns bewusst sein, dass gerade nur eine Minderheit der Kolleginnen und Kollegen bereit ist, in einem Erzwingungsstreik einen Reallohnzuwachs zu erkämpfen. Als Kommunistinnen und Kommunisten müssen wir verstehen, wie bürgerliche Ideologie – von der Verschleierung der Ausbeutung durch die Form der Lohnarbeit über Illusionen in die Rolle des Staates bis hin zur aktiv geförderten Lüge der Interessensüberschneidung von Arbeiterklasse und Kapitalistenklassen – eine kämpferische Orientierung verhindert und wie wir diese überwinden können. Häufig hört man von Kolleginnen und Kollegen, dass man das Unternehmen nicht zu sehr belasten dürfe oder dass man gerade nicht mehr rausholen könne. Auch lenkt die herrschende Klasse von der Klassenfrage ab, indem sie Ängste gegen Migration schürt und mit ihrer Kriegshetze von sich als den eigentlichen Feind der Arbeiterklasse ablenkt. In der Gewerkschaftsarbeit muss es uns gelingen, die Ausbeutung wieder klar zu benennen.

Wir können nur in offensivere Kämpfe kommen, wenn der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit erlebt und benannt wird.

Wir müssen aber auch klarmachen, dass keine unserer Errungenschaften im Kapitalismus jemals sicher ist, die scheinbare Stabilität ist immer nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Die Widersprüche im imperialistischen Weltsystem spitzen sich unaufhaltsam zu und werden sich durch massive Angriffe und verschärften Klassenkampf von oben äußern und auch vor dem Kern der heute noch relativ gut bezahlten und organisationsmächtigen Industriearbeiterklasse nicht Halt machen.

Um diese Kämpfe führen zu können, müssen wir eine strategische Orientierung erarbeiten, in deren Zentrum die Selbstaktivierung, Selbstermächtigung und Bewusstseinsbildung der Arbeiterklasse steht. Unser Ziel ist es, eine klassenkämpferische Bewegung von unten aufzubauen, mit der wir Erfahrungen sammeln und systematisch auswerten. So müssen wir Gewerkschaften wieder zu Orten des Klassenkampfes machen: indem wir Kollegen und Kolleginnen zusammenbringen für eine Stärkung und Aktivität der Basis, um gemeinsam den Widerspruch von Kapital und Arbeit und die Feindschaft der Arbeiterklasse gegenüber der Bourgeoisie aufzudecken.


[1] https://www.merkur.de/deutschland/sachsen/naechste-tarifrunde-fuer-metall-und-elektroindustrie-zr-93349985.html

[2] https://www.igmetall.de/tarif/tarifrunden/metall-und-elektro/metall-tarifkommissionen-beschliessen-forderung

[3] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/metallindustrie-arbeitgeber-provozieren-die-ig-metall-mit-forderung-nach-nullrunde/100044129.html

[4] https://www.pforzheim.igm.de/news/meldung.html?id=108959

[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1045/umfrage/inflationsrate-in-deutschland-veraenderung-des-verbraucherpreisindexes-zum-vorjahresmonat/

[6] https://www.igmetall.de/tarif/tarifrunden/metall-und-elektro/forderung-empfehlung-beschluss-2024

[7] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1045/umfrage/inflationsrate-in-deutschland-veraenderung-des-verbraucherpreisindexes-zum-vorjahresmonat/

[8] https://www.fr.de/wirtschaft/drei-waeren-besonders-gefaehrdet-sorge-um-werkschliessungen-bei-vw-in-deutschland-diese-zr-93280033.html#:~:text=sei%20nicht%20nachvollziehbar.-,Update%20vom%204.,h%C3%A4ngen%20ebenfalls%20von%20Volkswagen%20ab.

[9] https://industriemagazin.at/artikel/vw-jetzt-gilt-in-ganz-deutschland-die-35-stunden-woche/

[10] https://www.igmetall.de/im-betrieb/vw-sparkurs-standortschliessungen-und-stellenabbau-drohen

[11] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/volkswagen-christiane-benner-und-stephan-weil-bringen-vier-tage-woche-bei-vw-ins-spiel-a-8da09e86-64cf-4f5d-a8ef-7aca06777cb8

[12] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/ig-metall-tarifforderung-100.html

[13] https://www.zeit.de/news/2019-12/20/keine-streiks-tarifeinigung-bei-galeria-karstadt-kaufhof

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