Über Völkerrecht und Völkerrecht

Kommentar von Natalja Merten

„Der Krieg ist ein Massaker von Leuten, die einander nicht kennen, zum Profit von Leuten, die einander immer kennen – sich aber nie massakrieren“  (aus einem französischen Antikriegslied).

24. Februar 2022: Russland startet eine Militäroffensive gegen die Ukraine. Als Ergebnis der sich zuspitzenden Konfrontationen zwischen den mächtigen imperialistischen Polen NATO und Russland, tritt der russische Imperialismus an diesem Tag in den offenen Krieg gegen sein Nachbarland. Die Ukraine hatte in den Jahren zuvor ihre Beziehungen zur NATO deutlich intensiviert. Der russische Imperialismus sah seine Interessen in der Region und in der Welt bedroht. Als Begründung für den Einmarsch diente die Behauptung, damit einen unmittelbar bevorstehenden militärischen Überfall auf das eigene Staatsgebiet abgewendet zu haben. Um die Heimatfront zu schließen, brauchte die herrschende Klasse Russlands eine für die Volksmassen glaubhafte Begründung – man gab an, die Ukraine demilitarisieren zu müssen.

Die westlichen Unterstützer der Ukraine zeigten sich empört über den russischen Bruch des Völkerrechts – und dürften insgeheim begeistert gewesen sein: Die Kassen der eigenen Rüstungskonzerne klingelten bereits und der Krieg bot die Gelegenheit, sich selbst durch Aufrüstungsprogramme wieder „verteidigungsfähig“ zu machen. Es wurde verurteilt, verurteilt und verurteilt, denn: „Das Völkerrecht…“.

Am Zustandekommen dieser Blaupause zur eigenen Aufrüstung war man natürlich durchaus selbst beteiligt gewesen: Der NATO-Block hatte seit Jahren seine Einflussnahme auf die Ukraine ausgebaut und Russland provoziert – durch den Bau von Militärbasen, wiederholte Manöver in Grenznähe sowie durch die politische Unterstützung anti-russischer Kräfte, bis weit hinein in die faschistische Bewegung der Ukraine. Russlands herrschende Klasse sah ihre Interessen bedroht und handelte – dem Völkerrecht zuwider. Ein imperialistischer Krieg war entbrannt, maßgeblich provoziert durch die NATO, letztlich begonnen vom russischen Imperialismus.

13. Juni 2025: Israel startet eine Militäroffensive gegen Iran. Als Ergebnis der zunehmenden Aggression der zionistischen Kolonialmacht, die mit der NATO im Rücken und insbesondere im Interesse des US-Imperialismus in Westasien Krieg führt, geht der zionistische Imperialismus an diesem Tag in den offenen Krieg gegen Iran über. Getroffen wird ein Land, das als wichtigster Unterstützer der bürgerlichen Kräfte des palästinensischen Widerstands gilt und das – gestützt auf BRICS-Partner wie Russland und China – die einzig ernstzunehmende, offen konkurrierende Regionalmacht in der Region ist.

Die militärisch stärksten potenziellen Bündnispartner des Iran sind derzeit handlungsunfähig: Syrien wurde durch einen reaktionären Umsturz geschwächt, Russland ist selbst in einen imperialistischen Krieg verwickelt. Irans wichtigster Partner, der chinesische Imperialismus, hält sich im globalen Kräftemessen bislang militärisch zurück und setzt traditionell auf diplomatische Mittel. Israel konnte also davon ausgehen, dass ein iranischer Gegenschlag verkraftbar ausfallen würde. Während die Unterstützung für Israels Vernichtungskrieg in Gaza selbst im Westen langsam zu bröckeln begann, war klar: Bei einem Angriff auf den Iran würden Friedrich Merz und Kollegen im Geiste des Völkerrechts jubeln. Israels Argument für den Überfall – der Iran stehe kurz vor dem Bau einer Atombombe – wurde bereitwillig geschluckt. Trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse selbst westlicher Geheimdienste war man sich schnell einig: Israel mache nur von seinem völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch. Keinerlei Verurteilungen, nichts als Jubel – denn: „Das Völkerrecht…“.

Bisher zählt man im Iran über 900 Todesopfer – darunter viele Zivilisten. Auch die iranischen Gegenschläge fordern Opfer auf israelischer Seite. Während Israel in Gaza jedes Krankenhaus zerstörte, ist der politische und mediale Aufschrei im Westen groß, wenn iranische Raketen ein Krankenhaus auf israelischem Staatsgebiet treffen – denn: „Das Völkerrecht…“.

Der 24. Februar 2022 und der 13. Juni 2025 zeigen: Das Völkerrecht ist bürgerliches Recht – es dient den Stärkeren. Es ist biegsam wie Gummi, ein Herrschaftsinstrument, das nach Belieben angeführt oder ignoriert wird.

Der Krieg ist ein Massaker von Leuten, die einander nicht kennen, zum Profit von Leuten, die einander immer kennen – sich aber nie massakrieren: In jedem imperialistischen Krieg sind es die Massen, die gegeneinandergehetzt und ins Feld geführt werden, die für die Interessen der Herrschenden geopfert werden. Sowohl der Iran als auch Israel sind bürgerlich-kapitalistische Staaten. Der Krieg zwischen dem Iran und Israel – mit dem US-geführten Block im Rücken – ist eine zwischenimperialistische Auseinandersetzung zweier reaktionärer Regime, deren Lasten die Volksmassen tragen.

Besonders am israelischen Staat ist: Seine rassistisch-reaktionäre Heimatfront steht seit Beginn des Kolonialprojekts im frühen 20. Jahrhundert nahezu ungebrochen zusammen. Die israelische Arbeiterklasse hat als kolonisierende Arbeiterklasse eine Doppelrolle: Sie ist Trägerin und Stütze der Unterdrückung – und kann zugleich Trägerin von Befreiung und Frieden sein. Doch oft ist sie so tief in das koloniale Projekt eingebunden, dass sie nicht in der Lage ist, einen proletarisch-internationalistischen Ausweg aus Krieg und Unterdrückung zu formulieren. Das zu ändern, ist die Aufgabe von Kommunisten.

Unsere Aufgabe als Kommunisten ist es auch, die bürgerliche Ordnung zu entlarven – einschließlich ihrer „Rechtsordnung“. Dieses Recht dient nicht unserer Klasse. Es dient den Herrschenden, nicht den Unterdrückten. Wir müssen das bürgerliche Recht als das Recht unseres Feindes erkennen, das nur ihm nützt, nicht den Opfern der Kriege, die für seine Interessen geführt werden. Und unsere Aufgabe liegt darin, jedes Opfer dieser Kriege zu betrauern, gleichwohl es selbst zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht erkannt haben mag, dass unsere Opfer erst im Sozialismus-Kommunismus ein Ende nehmen werden.

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