Aktuelles von Fatima Saidi
Beim G7-Gipfel und mit dem neuen NATO-Rüstungsziel inszenieren sich Staaten wie Deutschland und die USA als Hüter von Demokratie und Frieden. Doch hinter dieser Fassade stehen knallharte Konkurrenzinteressen und Profitstreben – auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung.
G7 und NATO – „Stabilitätsanker in einer unsicheren Welt“ und „Stärkung der Rechtsstaatlichkeit“?
Zwischen dem 15. und 17. Juni trafen sich führende Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Japans, Kanadas, Großbritannien und der USA in Kanada, um ihre gemeinsamen Interessen weiterzuverfolgen. Sie bezeichnen sich selbst als „führende Demokratien“ und geben vor, Demokratie zu schützen und zu stärken sowie die internationale Zusammenarbeit verbessern zu wollen, was zentrale globale Fragen wie Klima, Umwelt und Gesundheit betrifft. Auch der Kampf gegen Korruption und Desinformation gehört angeblich zu ihren Zielen. Doch all das dient vor allem als Rechtfertigung für weltweite Einmischung – stets im Namen jener „Regeln“, die sie selbst definiert haben. Wie praktisch es für diese Länder ist, deren Auslegung immer neu bestimmen zu können, zeigte sich 2014: Nach der Annexion der Krim wurde Russland kurzerhand zum „Regelbrecher“ erklärt – und galt damit als ausgeschlossen aus der sogenannten Wertegemeinschaft.
Wessen Regeln eigentlich – und warum gerade diese sieben kapitalistischen Staaten? Genau darin liegt der Knackpunkt. Denn tatsächlich geht es der herrschenden Politik nicht um Demokratie oder Menschenrechte, sondern um Militarisierung, den Zugang zu Absatzmärkten und die Kontrolle über kritische Rohstoffe – vor allem durch Großprojekte in Afrika und Asien. Dabei konkurrieren die G7-Staaten weltweit um die Profite ihrer jeweiligen Konzerne sowie um Einfluss auf Produktionsbedingungen und geopolitische Einflusssphären. Auch China, Russland und zunehmend Indien treten in diesen Konkurrenzkampf ein – ebenfalls mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln. Die G7 inszenieren sich dabei als moralisch überlegen – was bei anderen als aggressiv gilt, erscheint bei ihnen als legitim – solange es gegen „autoritäre Staaten“ oder „Terror“ gerichtet ist.
Ähnlich stellt sich auch die NATO dar. So betonte sie 2023, dass sie kein bloßes Militärbündnis sei, sondern eine Wertegemeinschaft, die auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit basiere. Ihre Militäreinsätze – etwa in Afghanistan, Libyen oder im Kosovo – werden als Verteidigung der Menschenrechte und Schutz vor „verrückten Diktatoren“ dargestellt. Auch ihre Aufrüstungspläne und provozierende Kriegsmanöver, von der Ostsee bis zum chinesischen Meer, rechtfertigt sie mit dieser Argumentation.
Der 51. G7-Gipfel: Geschlossen für den Genozid, aber sonst wenig Konkretes
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Die G7-Staatschefs erklärten geschlossen ihre Unterstützung für Israels Angriff auf den Iran und betonten, dass der Iran keinesfalls in den Besitz von Atomwaffen gelangen dürfe. Obwohl Israel zahlreiche Nachbarländer angegriffen hat, wird der Iran als Hauptverursacher von Instabilität und Terror in der Region dargestellt. Zugleich bekräftigten die G7 das „Recht auf Selbstverteidigung“ Israels – ein bemerkenswerter Widerspruch, wenn man bedenkt, dass viele der militärischen Aggressionen in der Region von Israel selbst ausgehen.
Der Zeitpunkt war für die Herrschenden der G7 geschickt: Selbst in deutschen Medien begann die bisher grenzenlose Unterstützung Israels allmählich zu bröckeln, und kritische Stimmen wurden lauter. Durch die ideologische Verzerrung des israelischen Angriffs auf den Iran in den Statements, die der Gipfel verabschiedet hat, ist das gewünschte Bild wieder hergestellt: Die internationale Wertegemeinschaft müsse sich gegen bedrohliche Diktaturen und Terror verteidigen. Dabei gerät in Vergessenheit, dass es nicht das erste Mal wäre, dass militärische Angriffe mit vorgeschobenen Begründungen gerechtfertigt werden. Dass es im Irak nicht um Massenvernichtungswaffen ging, in Afghanistan nicht um Frauenrechte und auch Russland 2022 die Ukraine nicht aus antifaschistischen Motiven überfiel, sollte mittlerweile offensichtlich sein. Ebenso wenig geht es Israels Herrschenden heute um den Kampf gegen iranische Atomwaffen – es geht um offen formulierte Fantasien von einem „Großisrael“. Und auch den westlichen Verbündeten geht es nicht um den Schutz jüdischen Lebens, sondern um Israel als strategischen Stützpunkt für ihren geopolitischen Einfluss in der Region.
Abgesehen von der demonstrativen Unterstützung Israels herrschte unter den G7-Staatschefs weitgehende Uneinigkeit. Vor allem aufgrund der vorzeitigen Abreise von US-Präsident Trump blieb das Thema, das viele der übrigen Teilnehmer eigentlich ins Zentrum rücken wollten, unbehandelt: die Zoll- und Handelspolitik der USA. Diese steht zunehmend im Zeichen verschärfter Konkurrenz – nicht nur gegenüber China, sondern auch gegenüber den anderen G7-Staaten. Besonders der kanadische Premier hatte im Vorfeld auf eine Diskussion gedrängt, da die 90-tägige Aussetzung gegenseitiger Zölle am 9. Juli ausläuft.
Auch die Frage weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine wurde nicht diskutiert. Hier zeigen sich strategische Differenzen: Die USA legen den Fokus zunehmend auf die Umzingelung Chinas, da sie befürchten, dass eine weitere Schwächung Russlands mit zu hohen Kosten verbunden sein könnte. Das deutsche Kapital wurde durch den Abbruch der Handelsbeziehungen mit Russland eher geschwächt und ist stärker in Abhängigkeit von den USA geraten – nutzt die neue Lage jedoch zugleich für massive Aufrüstung und zur Stärkung seiner internationalen Position.
Zu sechs weiteren Themenfeldern wurden gemeinsame Erklärungen abgegeben. Besonders zynisch: Die G7 kritisieren Einschüchterung und Gewalt gegen Journalisten oder politische Oppositionelle – jedoch nur in Staaten wie dem Iran oder Russland. Von Julian Assange, Edward Snowden, inhaftierten ETA-Mitgliedern in Frankreich oder hierzulande überwachten linken und palästinasolidarischen Gruppen sprach natürlich niemand. Auch der Kampf gegen „illegale Migration“ und sogenannte Schleuser wurde betont – selbstverständlich ohne die Fluchtursachen zu benennen oder die Verantwortung der G7-Staaten dafür zu reflektieren. Weitere besprochene Themen waren die Förderung von Künstlicher Intelligenz, die Sicherung strategisch wichtiger Rohstoffe für das Kapital der G7-Staaten, Quantentechnologien und Waldbrände – Letztere allerdings ohne irgendeinen Hinweis auf den menschengemachten Klimawandel.
Der diesjährige G7-Gipfel macht erneut deutlich: Im Kapitalismus sind internationale Bündnisse nie dauerhaft stabil – ihre Einigkeit reicht nur so weit, wie es den jeweiligen Profitinteressen nicht widerspricht.
5 Prozent fürs Militär – Dimensionen des Kalten Kriegs
Was der vermeintliche Schutz der Welt im Namen der Demokratie tatsächlich bedeutet, machten die 32 NATO-Staatschefs in der Vorbereitung auf den NATO-Gipfel Anfang Juni deutlich: Bis 2035 sollen alle Staaten jährlich mindestens fünf Prozent ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) für Militärzwecke ausgeben. Davon sollen 1,5 Prozent etwa für militärisch nutzbare Bahnstrecken, panzertaugliche Brücken und erweiterte Häfen eingesetzt werden. Es zeigt sich: Was Politiker – etwa in Deutschland – als „Investitionen in Infrastruktur“ verkaufen, dient in Wahrheit der Kriegsvorbereitung und der Herstellung umfassender „Verteidigungsfähigkeit“.
Diese Ankündigung kommt nicht aus dem Nichts: Bereits im Januar hatten die USA das sogenannte Fünf-Prozent-Ziel gefordert. Damit wird die Rüstungsspirale fortgesetzt, die 2022 mit dem russischen Angriff auf die Ukraine nach dem Kalten Krieg neu in Gang gesetzt wurde. Nach altbekannter Logik präsentierten westliche Medien Russland als „Terrorstaat“ – unberechenbar und, so die NATO, „die größte und direkteste Bedrohung für die Sicherheit der Alliierten und für den Frieden und die Stabilität im euro-atlantischen Raum“.
Dabei geriet dieses Zerrbild eines übermächtigen russischen Angriffsapprats selbst durch Analysen westlicher Experten ins Wanken, die auch offenlegten, wie diplomatische Bemühungen durch westliche Vertreter frühzeitig ignoriert, blockiert oder mutwillig sabotiert wurden. Neben westlichen Zeitungen wie The Atlantic, Newsweek oder The National Interest räumte auch CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul ein, man dürfe Russlands „Kriegsmaschinerie“ nicht überschätzen.
Solche Zwischentöne gingen jedoch im Getrommel der Kriegsrhetorik unter. Statt Deeskalation lautete die Devise: Aufrüsten, Abschrecken, Eskalieren. Die USA haben ein Interesse daran, dass ihre Bündnispartner im militärischen Wettlauf mit China mehr Lasten tragen – insbesondere angesichts der hohen Kosten ihrer globalen Militäreinsätze. Gleichzeitig bot die begonnene Aufrüstung und Umstellung auf Kriegswirtschaft auch für das europäische Kapital Perspektiven für Profite: Ein „kriegstüchtiges Europa“ wurde zur wirtschaftlichen Chance.
Nur wenige Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine beschloss die NATO sogenannte Verteidigungspläne – strategische Szenarien für einen möglichen Krieg mit Russland. Um das Bild eines rein „defensiven Bündnisses“ aufrechtzuerhalten, wurde dies als „Vorwärtsverteidigung“ bezeichnet. Zur Finanzierung der entsprechenden Aufrüstung und Aufstockung der Truppen wurde das Ziel von zwei Prozent des BIP angegeben – ein Drittel der NATO-Mitglieder hat dieses bislang noch nicht erreicht.
Das Muster bleibt dasselbe: Die Militärausgaben steigen unaufhörlich – Summen, die früher undenkbar gewesen wären, gelten heute als selbstverständlich. Wer diese Entwicklung kritisiert, gilt schnell als realitätsfern. Dabei sind die weltweiten Rüstungsausgaben im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen – so stark wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle: Seit 2015 haben sich die deutschen Rüstungsausgaben fast verdoppelt.
Die Großmachtfantasien der deutschen Herrschenden
In den vergangen Monaten zeigte sich, dass nicht alle NATO-Staaten bei diesem Aufrüstungswettrennen mitziehen können. Während sich der deutsche Staat die wachsenden Schulden derzeit noch leisten kann – finanziert durch steigende Einnahmen aus Lohn- und Mehrwertsteuer, also auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung –, geraten andere Länder zunehmend an ihre finanzielle Belastungsgrenze. Frankreich, Italien und Spanien kämpfen bereits heute mit hohen Staatsschulden und befürchten eine erneute Schuldenkrise. In Frankreich beläuft sich die Staatsverschuldung auf 116 Prozent der Wirtschaftsleistung – sollte dieser Wert weiter steigen, droht eine Wiederholung der Eurokrise von vor 15 Jahren. Spaniens Regierung protestierte stark gegen das Fünf-Prozent-Ziel und wird dieses wohl vorerst nicht anstreben.
Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte im vergangenen Monat offen, dass die Bundeswehr zur „konventionell stärksten Armee Europas“ ausgebaut werden solle. Bereits 2023 forderte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die NATO-Aufrüstung gezielt dafür zu nutzen. Mit ihrer aggressiven Schulden- und Aufrüstungspolitik strebt die Bundesregierung inzwischen sogar an, Frankreichs Armee zu überholen – ein Vorhaben, das noch vor wenigen Jahren als politisch undenkbar galt. Um den Aufrüstungsdruck innerhalb des Bündnisses weiter zu erhöhen, drohten die USA im Vorfeld des Gipfels damit, ihre Teilnahme abzusagen, falls nicht alle NATO-Staaten dem Fünf-Prozent-Ziel zustimmten – während sie für sich selbst eine Ausnahme in Anspruch nehmen wollen.
Die deutschen Politiker haben längst die Weichen gestellt: Es begann mit dem Märchen von der „kaputtgesparten Bundeswehr“ – obwohl der Rüstungshaushalt inzwischen mehr als verdoppelt wurde. Es folgten die Rede von der „Zeitenwende“, der Aufbau neuer Feindbilder und die mediale Aufrüstung: Die Bundeswehr wird heute als „Karrierechance“ und „Krisenhelfer“ inszeniert – nahbar in Szene gesetzt in YouTube-Serien oder ZDF-Produktionen. Der letzte und entscheidende Baustein war die Änderung des Grundgesetzes: Während für soziale Ausgaben und Investitionen die Schuldenbremse gilt, sind neue Schulden für das Militär seit März unbegrenzt möglich. Parallel wird die Industrie auf militärische Produktion umgestellt. Der Plan dahinter? Die Politiker sagen es selbst: Laut CDU-Außenpolitiker Wadephul strebt Deutschland eine „Führungsrolle in Europa“ an, der andere Staaten zu folgen hätten.
Die Bundeswehr will ihre Streitkräfte deutlich vergrößern: Die bisher acht bestehenden Kampfbrigaden sollen in den nächsten Jahren fast verdoppelt werden. Zusätzlich plant sie über Jahre hinaus neue Großprojekte: Neue Kriegsschiffe wie Fregatten, moderne Kampfjets wie die F-35, leistungsfähige Hubschrauber, Weltraum- und Cyberfähigkeiten, sowie der Ausbau der Infrastruktur für NATO-Truppen in Deutschland.
Die Militärausgaben sind bereits jetzt drastisch gestiegen: von 35 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf heute knapp 90 Milliarden Euro – davon 62 Milliarden im Bundeshaushalt. Das entspricht 2,1 Prozent des BIP. Die geplante Erhöhung bedeutet laut Kanzler Merz eine Steigerung auf 225 Milliarden Euro – mehr als das Dreifache des aktuellen Budgets. Zunächst sollen die Militärausgaben vor allem über Schulden finanziert werden, später jedoch aus dem regulären Haushalt. Es braucht keine Hellseherkünste, um zu erkennen, dass die Kürzungen bei Bildung, Arbeit, Gesundheit und Sozialem gerade erst angefangen haben.
Was tun?
Die Erzählungen von Politik und Medien zeigen Wirkung: Noch 2019 waren nur 50 Prozent der Bevölkerung dafür, die Militärausgaben auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen, jetzt sind 70 Prozent für weitere Erhöhungen – alte Menschen genauso wie junge.
Unsere Aufgabe muss deshalb sein, in unserem Umfeld gegen diese Erzählungen anzukämpfen. Wir müssen die vorgeschobenen Begründungen für Krieg und Aufrüstung entlarven und deutlich machen: Es sind die Reichen und Mächtigen, die Kriege führen und Aufrüstung vorantreiben – stets im eigenen Interesse. Niemals geht es dabei um den Schutz der arbeitenden Menschen. Immer geht es um Profite, Einfluss und strategische Vorherrschaft.
Was uns als „Sicherheit“ verkauft wird, bedeutet in Wahrheit mehr Gewalt, mehr Leid und mehr Krieg. Die Aufrüstungsspirale entfacht bestehende Konflikte neu und bereitet neue Kriege vor. Den Krieg stoppen kann letztlich nur die Arbeiterklasse. Deshalb müssen wir uns in gemeinsamen Kämpfen organisieren – mit unseren Kolleginnen und Kollegen, Nachbarn oder Mitschülern. Nur so können wir sichtbar machen, in wessen Interesse Politik tatsächlich gemacht wird, und dass wir keinesfalls schwach sind, wenn wir uns gemeinsam organisieren und solidarisch und entschlossen handeln.