Das Militär schlägt Wurzeln

Wie das NATO Manöver Red Storm Bravo in Hamburg die Kriegsvorbereitungen in zivilen Institutionen vorantreibt

Von Robert Förster

Zwischen Donnerstag, dem 25., und Samstag, dem 27. September, fuhren – von der Polizei unterstützt – schwere Militärkonvois der Bundeswehr durch Hamburg, während Militärhubschrauber über der zweitgrößten Stadt und dem größten Hafen der BRD kreisten. Im Militärmanöver Red Storm Bravo übte Deutschland als Teil des imperialistischen NATO-Bündnisses die „West-Ost-Konfrontation“ mit Russland und seinen Verbündeten. Doch unterschied sich dieses Manöver von dem inzwischen typischen Säbelrasseln der Manöver in Osteuropa oder in der Ostsee, denn es wurde nicht nur die reibungslose und widerstandslose Massenmobilisierung der NATO-Kräfte, sondern verstärkt auch die der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft geübt. So betont der Hamburger Innensenator Andy Grote, dass die militärisch zivile Zusammenarbeit gestärkt werden müsse.[1]

Das Manöver schaffte einen Vorgeschmack darauf, wie die ersten Wochen eines Krieges im mehr oder weniger frontfernen Deutschland aussehen könnten und mit welchen Mitteln der bürgerliche Staat die Arbeiterklasse nutzen und sich gefügig machen will.

Wie der Namensteil „Bravo“ andeutet, gab es auch ein Red Storm Alpha, das etwa zur selben Zeit im letzten Jahr im Hamburger Hafen stattfand. Dieses war mit insgesamt nur 100 Beteiligten aber deutlich kleiner und bemühte sich vorrangig um den Schutz des Hafens.

An Red Storm Bravo waren ca. 500 Bundeswehrsoldaten und ca. 300 Bedienstete aus Privatwirtschaft und Staat beteiligt. Konkret wurde die Massenmobilisierung der NATO bei einem Szenario der militärischen Eskalation mit Russland im Baltikum geübt, wo die NATO-Staaten Polen, Litauen, Lettland und Estland einerseits über den strategisch wichtigen Suwalki-Korridor mit dem NATO-Partner Polen verbunden sind und andererseits auf die zu Russland gehörende Exklave Kaliningrad, das russische Kernland und das nahe gelegene St. Petersburg treffen.

Nach dem „Operationsplan Deutschland“ wäre Deutschland, anders als im Kalten Krieg, nicht mehr unmittelbar zu Kriegsbeginn ein Frontstaat, sondern eine „Drehscheibe“, also Aufmarschgebiet der NATO-Truppen. Bei einer Eskalation würde also in Deutschland nicht nur die BRD ihre Truppen mobilisieren und an die Front bringen. Es würden auch fast alle anderen NATO-Truppen sowie fast jeder Panzer, jeder Schuss Munition, jede Konserve und jede Bandage in Deutschland ankommen und mit der deutschen Verkehrsinfrastruktur nach Osteuropa gebracht werden.

Dabei spielt insbesondere der Hamburger Hafen, der vom öffentlichen Unternehmen Hamburger Hafen Logistik AG (HHLA) betrieben wird, eine zentrale Bedeutung: Als größter deutscher Hafen und einer der größten Häfen Europas stand er dementsprechend im Zentrum von Red Storm Bravo und war der Ausgangspunkt der Militärkonvois, die durch die Stadt nach Osten fuhren.

Gemäß NATO-Planungen würden bei einem Krieg ca. 800.000 Soldaten und 200.000 Fahrzeuge in wenigen Wochen und Monaten dort abgefertigt und die Truppen versorgt werden[2]. Dass diese Aufgabe aktuell zu bewältigen wäre, ist zweifelhaft: Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe sieht einen Investitionsbedarf von drei Milliarden Euro, damit die Häfen ausreichend militärisch nutzbar werden.[3]

Doch auch Hamburgs zivile und militärische Produktion spielt eine bedeutende Rolle. Beispielsweise befinden sich die wichtige Kriegsschiffwerft Blohm+Voss sowie eine Produktionsstätte der Flugzeugmonopols Airbus in Hamburg.

Die große Bedeutung der Hamburger Infrastruktur und Produktion für die Aufmarschpläne der NATO macht Hamburg im Falle eines Krieges zu einem attraktiven Ziel für Angriffe aller Art durch russische Streitkräfte. Um einen solchen Angriffsfall zu simulieren, wurden im Rahmen von Red Storm Bravo bei den Unternehmen HHLA, Blohm+Voss und ihrer Werksfeuerwehr sowie bei Airbus auch Massenanfälle von Verletzten geübt, die durch einen Luftangriff aufkommen würden.

Doch die Bundesregierung gibt offen zu, dass auch der Umgang mit „zivilen Protesten“ trainiert werden müsse – denn das Elend eines Krieges destabilisiert bekanntermaßen die bürgerliche Herrschaft. Und so beteiligte sich auch die Polizei bei der Begleitung und Absicherung der Militärkonvois und der Sicherung von relevanten Punkten wie Brücken und Verkehrswege, inklusive einer gespielten Verkehrsblockade (vergleichbar mit den Aktionen der Gruppe Letzte Generation), die von der Polizei möglichst schnell und effizient geräumt werden sollte. Im Falle eines Krieges hätte die Bundeswehr ebenso Befugnisse bei der inneren Sicherheit. Die Macht der staatlichen Gewalt wäre insgesamt deutlich ausgeweitet – was wiederum sehr viel stärkere Repressionen ermöglichen würde als in diesem Fall erprobt wurden.

Ebenfalls war das Technische Hilfswerk (THW) am Manöver beteiligt, welches im Kriegsfall für die Instandhaltung und den Ersatz von kritischer Verkehrsinfrastruktur (etwa dem Ersetzen einer zerstörten Brücke mit einer provisorischen Behelfsbrücke oder dem Aufbau von Feldlagern), Unterstützung beim Transport von Kriegsgerät und die schnelle Räumung von durch Proteste blockierten Straßen zuständig wäre.

Zwar nicht direkt am Manöver beteiligt, hielt die Agentur für Arbeit eine eigene Übung im Kontext der Militarisierung ab. Konkret übten 75 Mitarbeiter die Anwendung des Arbeitssicherstellungsgesetzes (ASG). Dieses aus dem Kalten Krieg stammende und noch nie angewendete oder von einer Behörde geprobte Notstandsgesetz würde im Falle eines Krieges mit der Zweidrittelmehrheit des Bundestags die reibungslose Funktion der auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnten Kriegswirtschaft sicherstellen. Nach dem Gesetz kann das Recht auf Beendigung von Arbeitsverhältnissen in kritischen Sektoren eingeschränkt werden, indem eine Einwilligung durch die Agentur für Arbeit bei einer Kündigung notwendig wird. Ebenso können Wehrpflichtige in Arbeitsverhältnisse und Frauen in das Gesundheitswesen verpflichtet werden. Bei Missachtung droht eine Geldstrafe oder ein Jahr Freiheitsstrafe. Kritische Sektoren sind etwa die lebensmittelherstellenden Gewerbe, Energiegewerbe, die Bundeswehr, die Rüstungsproduktion oder Teile des IT-Gewerbes.

Red Storm Bravo ist Teil der offenen Vorbereitung auf einen Krieg mit Russland, unter Einbeziehung traditionell nichtmilitärischer Institutionen, wie der öffentlichen Infrastruktur, privater Unternehmen und überwiegend nichtmilitärischer öffentlicher Behörden. Diese nun zunehmende Verknüpfung von Zivilem und Militärischem, sowie die Vorbereitung der Niederschlagung von Erhebungen reiht sich nahtlos in die aggressive Militarisierung Deutschlands zur Wahrung der Interessen des deutschen Imperialismus ein.

Der in die Krise geratene deutsche Imperialismus ist bereit, notfalls mit jeder Gewalt, seine Position in der Welthierarchie zu erhalten oder auszubauen. Die 2022 im Ukrainekrieg weiter eskalierte Konfrontation in Osteuropa mit dem schwächeren russischen Imperialismus ist dabei die wohl wichtigste Front[4]. Der deutsche Imperialismus  will nicht nur seine über die EU eingebundenen Absatzmärkte und das Reservoir an billigen Arbeitskräften in Osteuropa behaupten, er versucht, seine Militarisierung vor seiner Bevölkerung als eine defensive Schutzmaßnahme vor der angeblich drohenden russischen Gefahr zu legitimieren.

Man darf die Auswirkungen eines deutschen Krieges in Osteuropa auf die deutsche Arbeiterklasse nicht unterschätzen (insbesondere auf die Arbeiter, die im Einzugsgebiet der Kämpfe leben), wie der ebenfalls kaum in Deutschland geführte Erste Weltkrieg bezeugt. So wären deutsche Städte, Fabriken und Infrastruktur nicht nur das ständige Ziel von Luftangriffen, es würde nicht nur die zivile Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft umgeformt werden – mit bedeutend weniger Raum für die Konsumgüterindustrie. Es würden auch Hunderttausende bis Millionen von Arbeitern zum Mord an ihren Klassengeschwistern nach Osteuropa geschickt werden, von denen Zahllose nur in Leichensäcken oder verstümmelt zurückkehren würden. Da die NATO-Verbündeten Frankreich, das Vereinigte Königreich und die USA, sowie der Rivale Russland bis an die Zähne atomar bewaffnet sind, droht außerdem eine historisch beispiellose Zerstörung von menschlichen Leben und Lebensgrundlagen.

Doch der deutsche Imperialismus hat auch Interessen auf allen Weltmeeren und Kontinenten. Die zeigten und zeigen der Kosovokrieg, der Afghanistankrieg, die Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg und die Unterstützung verbündeter Staaten wie der Türkei und Israel. Die mit der „defensiven Aufrüstung“ legitimierten Waffen können überall auf der Erde genutzt werden, um für die Interessen des deutschen Imperialismus Arbeiter zu ermorden.

Egal, ob die neuen Waffen und Soldaten in Osteuropa oder in Afrika morden, die enormen Kosten werden sicherlich nicht auf dem Rücken der Kapitalistenklasse getragen werden. Die Rechnungen werden durch eine höhere Besteuerung von Arbeit und Konsum, aber vor allem durch einen weiteren Abbau des bereits gestutzten Sozialsystems bezahlt werden. Die Kreditaufnahmen im Rahmen der Aufrüstung betragen allein seit 2022 rund 600 Milliarden Euro. Hinzu kommen die Ausgaben der Verteidigungshaushalte – die Kosten der Militarisierung sind riesig. Zukünftig wird die BRD als NATO-Mitgliedsstaat fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die „Verteidigung“ auszugeben, was etwa 40% des Bundeshaushalts entspricht.

An allen drei Tagen, an denen Red Storm Bravo stattfand, gab es Demonstrationen gegen das Manöver – mit wenigen Hundert Teilnehmern. Die Natur und Konsequenzen der Militarisierung sind bei großen Teilen der Arbeiterklasse noch nicht ausreichend angekommen, viele glauben der Lüge, dass die Aufrüstung rein defensive Zwecke erfülle. Andererseits macht sich allerdings auch keine allgemeine Kriegsbegeisterung erkennbar und die offensichtlichen Offensiven des deutschen Imperialismus – etwa der Wirtschaftskrieg mit Russland und Militärlieferungen an Ukraine, aber vor allem auch an Israel – treffen auf nur moderaten oder fast gar keinen Rückhalt in der Bevölkerung.


[1] Landespressekonferenz am 23. September 2025. https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/senat/presseservice-des-senats/landespressekonferenz/landespressekonferenz-am-23-september-2023-1100670

[2] Hamburg Journal (2025): Landeskommandeur Leonards zu Wehrpflicht und „Red Storm Bravo“. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hamburg_journal/landeskommandeur-leonards-zu-wehrpflicht-und-red-storm-bravo,hamj-2758.html

[3] Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (2025): Bundeswehrmanöver Red Storm Bravo: Seehäfen sind Schlüsselorte der Zeitenwende. https://zds-seehaefen.de/2025/09/23/bundeswehrmanoever-red-storm-bravo-seehaefen-sind-schluesselorte-der-zeitenwende/

[4] Eine Einordnung des Kriegs durch die KP hier: Ein Jahr russische Invasion in der Ukraine – ein Jahr Leid und Tod für die Arbeiterklasse. https://kommunistischepartei.de/stellungnahmen/ein-jahr-russische-invasion-in-der-ukraine-ein-jahr-leid-und-tod-fuer-die-arbeiterklasse/

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