Kommentar von Tristan Roth
Mit einer „Handreichung“ für ihre Bildungs- und Sicherheitsabteilung hat die KZ-Gedenkstätte Buchenwald eine Grenze überschritten. Was unter dem Titel Problematische Marken, Codes, Symbole und Zeichen rechtsradikaler und antisemitischer Gruppierungen firmiert, ist nicht etwa ein Beitrag zur Aufklärung über Faschismus, sondern im Gegenteil ein Versuch, den Antifaschismus selbst zu kriminalisieren. Wer sich als Kommunist und Antiimperialist in die antifaschistische Tradition stellt, wird von dieser Gedenkstätte nicht nur offen als „problematisch“ bezeichnet, sondern in einem Atemzug mit Neonazis genannt. Diese Gleichsetzung ist infam. Sie ist der offene Versuch, das Gedenken an den Widerstand gegen den deutschen Faschismus vollständig in den Dienst der „Staatsräson“ zu stellen – und wer sich dem verweigert, fliegt raus.
Bereits in der Vergangenheit kam es immer wieder zu Vorfällen, bei denen Besucher mit linken oder palästinasolidarischen Symbolen des Geländes verwiesen wurden. Auch auf der Website der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora werden unter dem Titel „Besucher:innen, die nicht willkommen sind“ keineswegs nur rechte Akteure wie die NPD angeführt – auffällig oft sind dort auch linke Organisationen genannt. Was früher zum Selbstverständnis des Gedenkens gehörte, gilt heute als Provokation – und wird zunehmend kriminalisiert.
Antikommunistische Akteure
In einem eigenen, zwölf Seiten umfassenden Abschnitt listet die insgesamt 57 Seiten umfassende Broschüre „(potentiell) antizionistische/israelfeindliche Symbole und Organisationen“ auf. Es heißt dort, „Gruppen aus der autoritär-dogmatischen Linken“ seien „anfällig für spezifische Formen des Antisemitismus“. Als Quellen für solche Diffamierungen dienen neben der staatlich geförderten israelloyalen Amadeu-Antonio-Stiftung notorisch antikommunistische rechte Akteure und Hetzportale wie der Politikwissenschaftler Stephan Grigat oder der „antideutsche“ Blog Ruhrbarone.
Als vermeintliche Zeichen „antijüdischer Mobilisierungen“ führt die Broschüre die Forderung nach einem Waffenstillstand, die Benennung von Apartheid und Genozid oder Symbole wie das der Wassermelonen oder des Olivenzweigs an – letzterer stehe „für die Verbindung des palästinensischen Volkes mit dem palästinensischen Boden“ und könne „als Negierung des Rechts von Jüdinnen und Juden auf ein Leben in Israel verstanden werden“. Durch die Verwendung einer roten Fahne mit Hammer und Sichel in Verbindung mit einer Palästina-Fahne werde der israelische Staat „delegitimiert und in die Nähe von Imperialismus und Faschismus gerückt“. Die politische Intention ist offenkundig: Der Erinnerungsort soll frei gehalten werden von kommunistischer oder antiimperialistischer Kritik – auch wenn diese historisch tief im Widerstand gegen den Faschismus verwurzelt ist.
Wenn sogar der Ruf nach einem Waffenstillstand als „antisemitisch“ diffamiert wird, ist klar: Es geht um Disziplinierung. Wer gegen israelische Kriegsverbrechen demonstriert, wer Solidarität mit den Opfern von Besatzung, Vertreibung und Bombardierung zeigt, wird hier nicht mehr als Verbündeter der antifaschistischen Erinnerung gesehen, sondern als „Problem“. Antifaschismus wird in diesem Deutungsrahmen zum Vorwand umetikettiert: Nicht mehr der Kampf gegen Faschismus, sondern die Unterdrückung jeder Kritik an einem mit Deutschland verbündeten Apartheidstaat soll den „Konsens“ bilden. Die Gedenkstätte versucht, sich hier als Vollzugsorgan einer neuen, reaktionären Erinnerungspolitik zu profilieren.
Delegitimierung und Herabwürdigung
Linken und palästinasolidarischen Gruppen wirft die Gedenkstätte vor, den Ort „zu instrumentalisieren“, besonders zu den Jahrestagen der Befreiung des Konzentrationslagers. Neben anderen Organisationen wird in der Broschüre auch die Kommunistische Partei angeführt. Sie „posierte im April 2024 sowie im April 2025 mit dutzenden Mitgliedern vor der Figurengruppe (Cremer-Plastik) am Mahnmal oberhalb der Massengräber“, heißt es über unsere Partei. Weiter wird beanstandet, dass dabei „Vereinsfahnen“, „eine Palästina-Fahne“, „Fahnen der DDR und der Sowjetunion“ sowie „Kufiyas als Symbol des militanten Antizionismus“ gezeigt wurden.
Dass eine kommunistische Partei, die das Gedenken an die Selbstbefreiung der Häftlinge 1945 mit Blumen, Fahnen und Schweigeminute begeht, mit einer Vokabel wie „posierte“ bedacht wird, spricht Bände. Diese Wortwahl zielt auf Delegitimierung und auf die Herabwürdigung einer politischen Praxis, die in der DDR über Jahrzehnte zu den Grundpfeilern der antifaschistischen Erinnerungskultur gehörte.
Dass Palästinasolidarität, sowjetische und DDR-Symbole sowie antifaschistische Bekenntnisse heute als „antisemitisch“ diffamiert werden, ist Ausdruck eines tiefgreifenden ideologischen Wandels hin zu einem im Sinn der deutschen „Staatsräson“ nach rechts gerücktem Geschichtsbild: Gedenken im Geist des antifaschistischen Widerstands wird inzwischen selbst zum Verdachtsfall. Das zeigt, wie weit sich die staatlich verwaltete Erinnerungskultur inzwischen von den historischen Wurzeln des Gedenkens entfernt hat. Statt an die Rolle der Kommunisten im Widerstand zu erinnern – sie waren die ersten, die von den Nazis verfolgt, inhaftiert und in die Konzentrationslager verschleppt wurden –, werden diejenigen, die ihr politisches Erbe hochhalten, aus ebenjenen Gedenkorten ausgeschlossen.
Weitergabe an Justizbehörden
Noch brisanter ist, dass die Gedenkstätte versucht, den politisch motivierten Charakter der „internen“ Broschüre nachträglich zu relativieren, indem sie betont, es handle sich um eine „nicht zur Veröffentlichung bestimmte Arbeitsfassung“, die „keine politische Positionierung im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost“ darstelle. Tatsächlich wurde das Dokument aber über offizielle Justizverteiler verbreitet – laut Gedenkstätte angeblich ein Fehler, der „hätte nicht passieren dürfen“. So wurde das Pamphlet in Schleswig-Holstein über mindestens vier Verteiler des Oberlandesgerichts (OLG) versendet – darunter an alle Richter, Justizsekretariate und die Bewährungshilfe. Der Absender war ein OLG-Richter, der angab, auf Anregung seines Präsidenten gehandelt zu haben. Laut Generalstaatsanwaltschaft ist das Dokument bereits zuvor bei der bundesweiten Tagung der OLG-Präsidenten Ende Mai in Weimar verteilt worden – ohne dass auf den angeblich internen Charakter aufmerksam gemacht worden ist.
Mit anderen Worten: Ein ideologisch gefärbtes Papier, das kommunistische Symbolik, Palästina-Solidarität und Antikolonialismus mit Antisemitismus und Rechtsradikalismus gleichsetzt, kursiert in der deutschen Justiz. Das ist kein Ausrutscher, sondern ein massiver Angriff auf alle, die heute im Geist der antifaschistischen Tradition politisch aktiv sind. Die Repression gegen emanzipatorische Politik erhält damit eine neue Qualität – gestützt auf die Autorität einer national bedeutsamen Gedenkstätte.
Der politische Angriff auf das Gedenken
Es wäre naiv, darin nur einen Fehlgriff der Gedenkstätte zu sehen. Tatsächlich zeigt sich hier, wie weit sich die deutsche Erinnerungskultur bereits von ihren antifaschistischen Ursprüngen entfernt hat. Letztlich geht es um die politische Säuberung eines Erinnerungsortes von allen unliebsamen Stimmen – insbesondere solchen, die sich der deutschen Staatsräson, der bedingungslosen Unterstützung der israelischen Regierungspolitik, nicht unterordnen. Sogar die marxistische Faschismusanalyse, die der Schwur von Buchenwald – „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“ – transportiert, versucht die Gedenkstätte zu delegitimieren, indem sie seinen Verfassern manipulative Absichten unterstellt.
Die Wurzeln des Nazismus, das waren Kapitalismus, Militarismus und Kolonialismus. Wer heute gegen Imperialismus, Aufrüstung und Kriegspolitik protestiert – auch gegen die Bombardierung Gazas durch die israelische Armee –, handelt im Geist dieses Schwurs. Ihn dafür aus Gedenkstätten zu verbannen, ist ein Angriff auf den antifaschistischen Grundgedanken selbst. Die Gedenkstätte scheint zu einem Ort geworden zu sein, an dem der Schwur von Buchenwald selbst zum Problem erklärt wird – das ist die wahre Schändung des Gedenkens. Es handelt sich dabei, wie die junge Welt richtig feststellt, um die „Frucht des Revisionismus“. In einem Kommentar zum Thema schreibt die Tageszeitung: „In der DDR war die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald das sichtbare Symbol antifaschistischer Staatsräson. Doch nach deren Ende führte auch auf dem Ettersberg der Weg der Erinnerungspolitik über verschiedene Zwischenstufen zur heute geltenden imperialistischen Staatsräson bedingungsloser Unterstützung Israels. Der zionistische Staat erledigt laut Kanzler Merz schließlich die ‚Drecksarbeit für uns alle‘.“
Was unsere Haltung sein muss
Wir als Kommunisten müssen die – teilweise als „unbefristet“ bezeichnete – Ausgrenzung kommunistischer Organisationen aus dem Gedenken in Buchenwald scharf verurteilen. Wir stehen für eine antifaschistische Erinnerungskultur, die nicht staatlicher Opportunität folgt, sondern den historischen Tatsachen verpflichtet ist. Wer Kommunisten aus Buchenwald ausschließt, beleidigt nicht uns – sondern die Toten. Kommunisten bildeten den Kern des organisierten Widerstands im Lager. Ihre Selbstorganisation und die Selbstbefreiung im April 1945 sind untrennbar mit dem Widerstand gegen den Faschismus verbunden. Die Gleichsetzung kommunistischer, internationalistischer Symbolik mit rechtsradikaler Hetze relativiert nicht nur reale Bedrohungen, sondern dient auch dazu, kritische Positionen zur israelischen Besatzungspolitik zu delegitimieren und die deutsche Erinnerungspolitik vollständig in den Dienst staatlicher Außenpolitik und Bündnisinteressen zu stellen.
Wir lassen uns nicht aus der Geschichte des antifaschistischen Widerstands drängen – und schon gar nicht aus dem Gedenken an jene, die im KZ Buchenwald gefoltert und ermordet wurden. Wir sagen klar und deutlich: Wer Hammer und Sichel aus Buchenwald verbannen will, verrät die Tradition dieses Ortes; wer Kommunisten aus Buchenwald vertreibt, stellt sich nicht gegen den Faschismus – sondern auf seine Seite. Die Gedenkstätte entehrt nicht nur das Andenken der Ermordeten – sie bereitet, etwa indem sie den aktuell stattfindenden Völkermord in Palästina, verübt von einer aus Faschisten bestehenden israelischen Regierung, offen unterstützt und Antifaschisten diffamiert, die Rehabilitierung jener Verhältnisse vor, gegen die sie gekämpft haben. Es ist nicht das Gedenken, das hier geschützt wird – es ist der neue Faschismus, der gegen jeden Widerstand immunisiert werden soll.