Stellungnahme des ZK der KP vom 6. November 2024
Immer wieder hat es der 9. November in die deutschen Geschichtsbücher geschafft: Novemberrevolution 1918, „Hitlerputsch“ 1923, „Reichspogromnacht“ 1938 und sogenannter „Mauerfall“ 1989. Alle vier Ereignisse, gerade in ihrem Zusammenhang, lehren uns nicht nur etwas über die deutsche Vergangenheit, sondern auch über ein Deutschland, das möglich gewesen wäre, und darüber, wohin sich unser Land heute entwickelt.
1918: Die Novemberrevolution
Am 9. November 1918 gab Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser, seine Krone ab. In den Tagen davor hatten Matrosen und Soldaten zuerst in Kiel, dann im ganzen Deutschen Reich gegen das Massaker des Ersten Weltkriegs revoltiert. Vier Jahre zuvor hatten die Regierungen im Auftrag der Großindustriellen, der Banken und Großgrundbesitzer den Krieg begonnen – hinter den Phrasen von Vaterlandsverteidigung, Schutz der Freiheit und nationaler Ehre versteckten sich damals, wie auch heute, die Interessen der herrschenden Klassen an Ressourcen und Absatzmärkten. Vier Jahre bluteten die Völker der Welt auf den Schlachtfeldern Europas für die Interessen der Ausbeuter. Im Herbst 1917 hatten die Völker Russlands mit der Oktoberrevolution sich bereits entschieden, ihr Schicksal in ihre eigenen Hände zu nehmen und waren nun dabei, den ersten sozialistischen Staat aufzubauen.
Und darum ging es den Arbeitern und Soldaten in Deutschland auch. Auch sie hatten verstanden, dass der Kapitalismus für das Massenmorden des Krieges direkt verantwortlich war und sie nur in einer sozialistischen Gesellschaft ein besseres Leben führen würden. Die Vertreibung des Kaisers gelang, weil die herrschende Klasse Deutschlands lieber den Kaiser opferte und damit einer Forderung der Revolution nachgab, als ihre eigene Herrschaft zu gefährden. Doch die Arbeiterklasse verlor den wesentlichen Kampf in den Jahren 1918/1919: den Kampf um ihre eigene Macht. Nicht nur hatte die Arbeiterklasse im Jahr 1918 keine Partei, die für ihre Interessen kämpfte (die Kommunistische Partei Deutschlands wurde erst Ende Dezember gegründet); ebenso verheerend war, dass viele Arbeiter, die die Revolution befürworteten, weiterhin der Illusion aufsaßen, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) wäre immer noch eine Partei der Arbeiterklasse. Doch die Sozialdemokratie hatte bereits 1914 den Krieg unterstützt, sie war längst zu einer Partei der Herrschenden und der Gegenrevolution geworden. 1918 war es die SPD, die den Reichspräsidenten Friedrich Ebert stellte und zum wichtigsten Verbündeten des Kapitals, der Großgrundbesitzer und kaiserlichen Militärs wurde, um die Revolution zu zerschlagen. Tausende tote Arbeiter, die Morde an den Arbeiterführern Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und das Ende der Revolution in Deutschland gingen schließlich auf das Konto der SPD und ihrer rechtsradikalen Verbündeten. Die kapitalistische Ausbeuterordnung war gerettet, die Kriegstreiber und Kriegsverbrecher mussten nicht mehr um ihre Privilegien fürchten.
1923: Der „Hitlerputsch“
Genau fünf Jahre später, am 8. und 9. November 1923 versuchte eine damals noch kleine faschistische Partei namens „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) unter einem relativ unbekannten Österreicher namens Adolf Hitler, von München aus gewaltsam die Macht in Deutschland zu übernehmen. Hitler stand General Erich Ludendorff zur Seite, einer der höchsten Vertreter des Militärs, der sich bereits 1920 am Kapp-Putsch beteiligt hatte. Hitler und Ludendorff scheiterten, weil die herrschende Klasse im Jahr 1923 den Zeitpunkt für eine Machtübergabe an die Nazis noch nicht als günstig einschätzte. Die Putschisten wurden von der Polizei aufgehalten. Im Nachgang des Putschversuchs wurden dem Chef der Heeresleitung der Reichswehr Diktaturvollmachten übertragen, die proletarischen Hundertschaften der KPD wurden zerschlagen, am 23. November 1923 wurde die KPD verboten. Der Staat nutzte den „Hitlerputsch“, um die Arbeiterbewegung nach der Niederlage des Hamburger Aufstands weiter zu schwächen, aber das Kapital setzte weiter auf die parlamentarische Herrschaftsform. Keine zehn Jahre später kam es ganz anders: Derselbe Adolf Hitler wurde von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, dem Ludendorff im Krieg als Stellvertreter gedient hatte und der jetzt mithilfe der SPD zum Reichspräsidenten gewählt worden war, zum Kanzler ernannt. Der Januar 1933 ging in die Geschichte ein als Beginn der verbrecherischsten Herrschaft, die die Welt je gesehen hat – des deutschen Faschismus, den die Faschisten selbst „Nationalsozialismus“ nannten.
1938: Die „Reichspogromnacht“
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 stürmten in ganz Deutschland die Nazis in organisierter Weise und auf Weisung des Regimes jüdische Geschäfte, Wohnungen, Friedhöfe und Synagogen. Jüdische Menschen wurden zu Zehntausenden angegriffen und zu Hunderten ermordet. Während das Regime die Novemberpogrome von 1938 als Ausdruck des Volkszorns darstellte, war es selbst dafür verantwortlich: Einerseits indirekt, indem bereits zuvor durch die antisemitische Hetze und laufende Gesetzesänderungen das Leben für Jüdinnen und Juden immer unerträglicher wurde und sie in den Augen vieler Deutscher zum ewigen Feind gemacht wurden. Andererseits wirkte das Regime als direkter Drahtzieher der Angriffe: Die SA und das NS-Kraftfahrkorps rückten aus, um Synagogen niederzubrennen, Betsäle zu schänden, jüdische Friedhöfe zu verwüsten, Schulen, Krankenhäuser und Läden anzugreifen und zu plündern und Jüdinnen und Juden zu misshandeln und zu demütigen. Nicht nur tat die Polizei nichts, um die Opfer zu schützen, sondern unmittelbar danach wurden 30.000 Juden in Deutschland verhaftet und in Konzentrationslagern interniert. Zehn Monate später begann Deutschland den Zweiten Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen – nach dem Ersten Weltkrieg ein zweiter, noch grausamerer Krieg der Kapitalisten um Profite. Sechzig Millionen Menschen, darunter sechs Millionen Jüdinnen und Juden im Holocaust, verloren in dieser Zeit ihr Leben.
1989: Der „Mauerfall“
Nach Kriegsende 1945 war Deutschland zunehmend ein geteiltes Land – im Westen wurde das Land in drei Besatzungszonen der kapitalistischen Westmächte aufgeteilt, in Ostdeutschland entstand die Sowjetische Besatzungszone. Dass ein einheitlicher deutscher Staat nicht mehr möglich war, lag daran, dass die Westmächte, vor allem die USA und Großbritannien, lieber einen mit ihnen verbündeten westdeutschen Staat akzeptieren wollten als einen zwar kapitalistischen, aber bündnisneutralen gesamtdeutschen Staat. Auf die Separationsbestrebungen der Westzonen, die 1949 in der BRD-Gründung mündeten, reagierte die sowjetische Zone ebenfalls 1949 mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In der DDR wurde vier Jahrzehnte lang erfolgreich eine sozialistische Gesellschaft aufgebaut: Die Nazis und Kriegsverbrecher wurden enteignet und bestraft, der Boden zugunsten der armen Bauern umverteilt, Industrie, Banken und Handel wurden verstaatlicht und die wirtschaftliche Entwicklung den Bedürfnissen des Volkes entsprechend geplant. Es gab weder Obdachlosigkeit noch Arbeitslosigkeit, Gesundheit und Bildung waren kostenlos und auf hohem Niveau, die Gleichstellung der Frauen war weit fortgeschritten und die DDR führte nie einen Krieg. Sie zeigte, dass ein anderes, ein besseres Deutschland möglich war. Doch als der erste große Anlauf zum Sozialismus in den Jahren von 1989 bis 1991, ausgehend von einer neuen, prokapitalistischen Führung der Sowjetunion, beendet wurde, da endete auch die DDR. Die „Berliner Mauer“, eine Grenzsicherung in Berlin, die 1961 errichtet worden war, um das wirtschaftliche Ausbluten der DDR und die Unterwanderung durch westliche Geheimdienste zu stoppen, wurde unter dem Druck von Massendemonstrationen geöffnet. Ein Jahr später war der erste sozialistische Staat in Deutschland Geschichte.
2024: In welchem Deutschland leben wir?
Die Herrschenden erzählen uns im Geschichtsunterricht, in verlogenen „Dokus“ und auch an den Universitäten pausenlos, das Ende der DDR wäre ein Segen, denn endlich sei den Ostdeutschen die „Demokratie“ gebracht worden. Sie verschweigen, dass in der DDR vielfältige Formen der politischen Beteiligung des Volkes bestanden, während die „Demokratie“ in der Bundesrepublik darin besteht, alle vier Jahre eine Partei zu wählen, die dann die Interessen des Kapitals auf unser aller Kosten durchsetzen darf. Die Kommunistische Partei Deutschlands wurde bereits 1956 verboten – niemals hat „Demokratie“ in der BRD bedeutet, dass das Volk sich für etwas anderes als für Kapitalismus, Wiederbewaffnung und Westbindung entscheiden durfte.
Nach dem Ende der DDR erfuhr in den 90er Jahren nicht nur der deutsche Nationalismus, sondern auch die neofaschistische Bewegung einen massiven Aufschwung. Wieder kam es in Deutschland zu faschistischen Pogromen, dieses Mal nicht primär gegen die jüdische Bevölkerung, sondern gegen Vietnamesen, Türken und andere Bevölkerungsgruppen.
Die Parole „Nie wieder Krieg!“, die in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg so vielen Deutschen aus der Seele sprach, wurde Schritt für Schritt zurückgedrängt. 1999 war die BRD am Überfall der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien beteiligt – der erste, aber nicht der letzte deutsche Kriegseinsatz nach 1945. Ab 2001 beteiligte sich Deutschland mit Soldaten am Afghanistankrieg, 2003 sprach die BRD sich zwar gegen den Angriff der USA auf den Irak aus, unterstützte ihn aber mit Überflugrechten und Transporten. 2014 unterstützte die BRD den von faschistischen Milizen angeführten Umsturz in der Ukraine und den darauf folgenden Krieg des neuen Kiewer Regimes im Donbass. Seit dem russischen Angriff 2022 ist die BRD in riesigem Umfang mit Waffen und Geld am Krieg in der Ukraine beteiligt – eine neue Ära massiv verschärfter Konflikte innerhalb der imperialistischen Weltordnung hat begonnen und die Bundesrepublik mischt im Krieg um Profite und Einflusssphären ganz vorne mit.
Wir bekommen oft zu hören, Deutschland habe „aus der Geschichte gelernt“ und stehe deshalb heute an der Seite „der Juden“. Alles daran ist eine Lüge. Denn ein wirklicher Bruch mit dem Faschismus war in der BRD nie gewünscht und nie geplant. Nach 1945 saßen in Westdeutschland Hunderte alte Nazis in den Parlamenten, im Militär, in Geheimdiensten, Gerichten und auch in der Bundesregierung. Verfolgt wurden hingegen erneut die konsequenten Gegner der Nazis, die Kommunisten. Auch stand die BRD nie auf der Seite „der Juden“, schon allein deshalb, weil es „die Juden“ als homogene Gruppe überhaupt nicht gibt. Die BRD stand und steht an der Seite des zionistischen Apartheidstaates Israel, der seinen Bezug zur jüdischen Geschichte missbraucht, um die Palästinenser zu unterdrücken und zu ermorden. Hätte die Lehre aus zwölf Jahren Faschismus „Nie wieder Völkermord!“ geheißen (wobei man sich fragen muss, weshalb man erst einen Völkermord begehen musste, um diese „Lehre“ zu ziehen), dann müssten wir uns fragen, warum Deutschland heute wieder einen Völkermord unterstützt: Der Genozid Israels in Gaza hat nach verschiedenen Schätzungen innerhalb eines Jahres bereits mehrere Hunderttausend Leben ausgelöscht, die Hälfte davon Kinder. Wer in Deutschland gegen dieses unvorstellbare Grauen aufsteht und protestiert, bekommt sofort die Härte der Staatsmacht zu spüren: Polizeiknüppel, Sprechverbote, Jobverluste und Anzeigen.
In diesem Jahr wird kurz vor dem 9. November 2024 eine „Antisemitismus-Resolution“ im deutschen Bundestag zur Abstimmung stehen. Der von Ampelkoalition und Unionsparteien vorgelegte Text instrumentalisiert und verfälscht den Kampf gegen Judenfeindlichkeit: Kritik an der israelischen Regierung und am Zionismus wird als antisemitisch eingestuft und soll unter anderem mit asylrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen beantwortet werden, „repressive Möglichkeiten“ sollen „konsequent ausgeschöpft“ werden – der von Markus Söder im November 2023 geforderte Entzug des deutschen Passes dürfte damit bald Realität werden.
Der deutsche Staat bereitet sich auf Krieg vor, Deutschland soll, so Kriegsminister Pistorius, wieder „kriegstüchtig“ werden – und zwar nicht für „kleine“ Kriege wie in Jugoslawien, sondern für den nächsten Weltkrieg gegen Russland und andere Rivalen. Die Bundeswehr wirbt immer dreister in Schulen für das „Abenteuer“ Krieg und auch dieses Mal werden es zuerst die Söhne und Töchter der Arbeiterklasse sein, die für die Interessen der Kapitalisten im Schützengraben verrecken.
Deutschland ist wieder auf dem Weg nach ganz rechts. Krieg, Militarisierung, zunehmender Nationalismus und Rassismus, der Abbau der Sozialsysteme, die Unterstützung des Gaza-Genozids und die immer massiveren Angriffe auf demokratische Rechte und die Meinungsfreiheit hängen engstens miteinander zusammen und befeuern sich gegenseitig. Wir sollten nicht glauben, dass sich 1933 genau so wiederholen wird – die Herrschenden brauchen aktuell keine NSDAP und keine ganz offene Diktatur, um auf ganzer Front gegen das Volk und die Arbeiterklasse in die Offensive zu gehen. Sie brauchen nicht einmal eine „rechtsextreme“ Partei – die AfD ist dabei nicht die Ursache der „rechten Gefahr“, wie viele Liberale glauben, sondern ihr Ausdruck –, genauso „rechtsextrem“ ist schließlich die Politik der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP, die uns in rasantem Tempo in den nächsten Weltkrieg treiben.
Aus der Geschichte lernen!
Wirklich aus der Geschichte zu lernen, bedeutet zu erkennen, dass der Kapitalismus der Menschheit nichts mehr zu bieten hat als immer neue Barbarei und Verbrechen. Er selbst ist das Verbrechen, er kann nicht verbessert, sondern nur abgeschafft werden. Diese Lehre haben erhebliche Teile der Arbeiterklasse in Deutschland in der Vergangenheit schon gezogen: 1918 beim Aufstand gegen die Kriegspolitik des Kaiserreiches, 1920, 1921 und 1923 bei den revolutionären Aufständen im Ruhrgebiet, in Mitteldeutschland und Hamburg und schließlich auch nach 1945, als jedoch nur im Osten Deutschlands der Wunsch nach einer sozialistischen Gesellschaft die Chance zur Verwirklichung bekam. Aus den Siegen und Niederlagen, den Errungenschaften und Fehlern, sowohl bei den Kämpfen um die Revolution als auch beim Aufbau des Sozialismus, müssen wir in der Tat lernen, um es in der Zukunft besser zu machen.
Die Lehre aus der Geschichte heißt, in jedem Kampf, den wir heute führen, sei es der Kampf um den Frieden oder um den Tarifvertrag, die Perspektive des Sozialismus im Blick zu haben. Denn nur der Sozialismus wird uns eines Tages von Krieg, Armut und Rassismus befreien.
Bauen wir die Kommunistische Partei auf! Für den Sozialismus!