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1945 – unmittelbar nach dem Ende des II. Weltkriegs – gründeten Gegner und Verfolgte des NS-Regimes sogenannte „Ausschüsse für die Opfer des Faschismus (OdF)“, welche sowohl bei der unmittelbaren materiellen Versorgung der ehemals Verfolgten unterstützten, als auch ein politisches Vertretungsorgan jener darstellten. Vor allem politische Häftlinge und solche, die bereits in den illegalen Lagerkomitees politisch organisiert waren, wurden in die Arbeit der Ausschüsse einbezogen. Der im Juni 1945 in Berlin gegründete „Hauptausschuss Opfer des Faschismus“ spiegelte durch die politische Vielfalt seiner Gründungsmitglieder seine Überparteilichkeit und Überkonfessionalität wieder. Am 09. September 1945 wurde der erste „Tag der Opfer des Faschismus“ begangen, an dem in zahlreichen Städten, Schulen, Betrieben und Kirchen Tausende zusammen kamen, um die Opfer des Faschismus zu ehren. 30 Demonstrationszüge zogen an diesem Tag in Berlin in Richtung des Stadions in Neukölln, welches nach dem ermordeten Arbeitersportler und KPD-Mitglied Werner Seelenbinder benannt war. 100.000 Menschen versammelten sich dort am neu errichteteten Ehrenmal mit der Inschrift „Die Toten mahnen die Lebenden“. Erinnerung und Totenehrung sollten mit der eindringlichen Mahnung verbunden werden, dass es nie wieder zu Krieg und Faschismus kommen dürfe. Mit dieser Entwicklung einhergehend hatte sich 1947 die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gegründet. Ihre Länderkonferenz beschloss im selben Jahr, den Gedenktag immer am zweiten Sonntag im September zu begehen.
Volkstrauertag statt OdF
Während von der Sowjetunion die Perspektive aufgezeigt wurde, ein geeintes antifaschistisch-demokratisches Deutschland aufzubauen, rüstete sich der deutsche Imperialismus im Westen erneut unter Führung der alten Nazielite. Damit einhergehend sollte jede Erinnerungskultur an eine widerständige Arbeiterbewegung und kommunistischen Widerstand während des Faschismus unmittelbar ausradiert werden. Die SPD verabschiedete bereits 1948 einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der besagte, dass Parteimitglieder nicht gleichzeitig Teil der VVN sein durften.
Ab 1948 beteiligte sich der Berliner Magistrat nicht mehr an der Kundgebung zum „Tag der Opfer des Faschismus“ im Lustgarten und richtete stattdessen eine eigene Gedenkfeier in Plötzensee aus, wobei die VVN weiterhin zur Großkundgebung im Lustgarten aufrief. 1950 kam es außerdem zur Gründung des „Bundes der Verfolgten des Naziregimes“, einer explizit antikommunistischen Abspaltung der VVN. Auf Veranstaltungen des BVN wurde den „Opfern des Faschismus“ gleichermaßen gedacht wie den „Opfern des Bolschewismus“. Der „Tag der Opfer des Faschismus“ wurde 1952 in der BRD durch den „Volkstrauertag“ ersetzt und es fand eine zunehmende Verwässerung der antifaschistischen Inhalte statt. Fortan war das offizielle Gedenken wieder vollständig in die Ideologie der Herrschenden integriert. Die Errungenschaften der Geschichte der Arbeiterklasse wurden wieder umgeschrieben, ins Gegenteil verkehrt und in verzerrter Gestalt als Waffe gegen sie gewendet.
Antikommunistische Repressionen
Der Kampf zwischen den zwei Systemen, der Gewaltherrschaft des Kapitals auf der einen Seite und der Aufbau eines sozialistischen Staates auf deutschem Boden auf der anderen, spitzte sich zu. Somit auch der antikommunistische Repressionsdruck in der BRD. Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Faschismus wurden in verschiedenen Städten verboten, Menschen daran gehindert, an ihnen teilzunehmen oder Kränze niederzulegen. In Frankfurt wurden 1951 Teilnehmer der Gedenkveranstaltung mit Wasserwerfern von der Polizei vertrieben. Im Rahmen der staatlichen Repressionen gegen kommunistische Organisationen, kam es 1959 ebenso zu einem Verbotsgesuch gegen die überparteiliche VVN. Dass die Bourgeoisie kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Faschismus hatte und nur eine oberflächliche Erinnerungskultur zulassen konnte, zeigte u.a. die personelle Besetzung leitender Posten in der BRD. Der vorsitzende Richter im Verbotsverfahren gegen die VVN, Fritz Werner, war bereits vor 1933 Mitglied der NSDAP sowie der SA beigetreten und wurde dort zu einer führenden Position berufen. Auch der zuständige Anwalt der Bundesregierung, Hermann Reuß, arbeitete bereits im Faschismus als Richter.
Gedenken in der DDR
Die Gründung der DDR diente dem Ziel, ein antifaschistisches-demokratisches Deutschland aufzubauen, von dessen Boden aus nie wieder Krieg ausgehen sollte. Dementsprechend war der Antifaschismus einer der Grundpfeiler des Arbeiter- und Bauernstaates. Nach dem Ausruf des Aufbaus des Sozialismus in der DDR 1952 wurde die VVN 1953 im Osten aufgelöst, da das Gedenken an die Opfer des Faschismus und die unzähligen Widerstandskämpfer ein zentraler Bestandteil des sich im Aufbau befindenden sozialistischen Staates darstellte. Nach der Auflösung der VVN führte somit das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer gemeinsam mit der Nationalen Front und der SED jährlich den „Internationalen Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg“ durch, an dem sich regelmäßig vor allem in Berlin 100.000 Menschen beteiligten.
Antifaschismus heißt…
Heute liegt die Anti-Kriegs-Bewegung in Deutschland am Boden. Es werden ganz im Sinne der Herrschenden hier und da kleine Tafeln in Erinnerung an verschiedene Opfergruppen errichtet, über den mutigen Widerstand der Arbeiter und Kommunisten wird jedoch geschwiegen. Vermeintlicher Antifaschismus gibt sich heutzutage bunt, laut, individuell und geschieht Seite an Seite tanzend mit den Parteien der Bourgeoisie. Genau diese Parteien sind es jedoch, die Kriege im Interesse des Kapitals führen und führen werden. Die Krisen immer auf dem Rücken der Arbeiterklasse austragen werden. Nur ein Antifaschismus, der die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse als Grundlage des Faschismus bekämpft, kann mehr als nur Symptombekämpfung betreiben. Die illusionäre Vorstellung, der Faschismus sei eine der bürgerlichen Demokratie absolut entgegengesetzte Herrschaftsform, läuft auf die Verteidigung des Kapitalismus in seinen weniger autoritären Varianten hinaus.
Erobern wir uns unsere Geschichte einer mutigen, widerständigen Arbeiterbewegung zurück und tragen sie wieder auf die Straße! Erinnern wir den Opfern des Faschismus und den kommunistischen Widerstandskämpfern, die trotz grausamster Folter, Inhaftierung und Ermordung bis zum Ende voller Zuversicht für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Krieg gekämpft haben! In dem Gedicht „Heimkehr“ von Karl Schnog, welches am 09. September 1945 auf der ersten Gedenkveranstaltung für die Opfer des Faschismus verlesen wurde, heißt es:
„Ich bin nicht eher froh und frei
und habe keine guten Stunden,
bis daß ein End‘ der Tyrannei
für jeden Schaffenden gefunden.
Drum halte nicht den Kopf gesenkt,
sag nicht, dass ich nicht „an dich denke“.
Die Freiheit ist mir erst geschenkt,
wenn ich der Welt die Freiheit schenke.“
Karl Schnog, „Heimkehr“