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Nach zwei Anschlägen auf das sog. »Greenvillage«, eine Sicherheitszone für internationale Organisationen in Kabul, hat die deutsche Bundesregierung den vorübergehenden Abzug eines Großteils ihrer dort stationierten Polizisten und Entwicklungshelfer angeordnet. Hier zeigt sich wieder einmal die gesamte Heuchelei und das Dilemma imperialistischer Politik.
Ein Land fällt unter die Räuber
Afghanistan hat eine lange Geschichte des Widerstands gegen ausländische Einflussnahme. Die Briten versuchten 80 Jahre lang, von 1839 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, die Region in ihr Empire einzugliedern, was stets an der erbitterten Gegenwehr der Afghanen scheiterte. In den 1970er Jahren kam es auch in Afghanistan zu revolutionären Umbrüchen und militärischen Auseinandersetzungen, in denen die USA und ihre Verbündeten in der Region Aufständische gegen die pro-sowjetische Regierung in Kabul aufrüsteten. 1996, nach mehreren verheerenden Bürgerkriegen, kamen dann die vom Westen hofierten Taliban an die Macht. Nachdem sie die geostrategischen Interessen der US-Ölindustrie bzgl. des Baus einer wichtigen Pipeline durch Afghanistan nicht durchgesetzt hatten, erklärte Washington sie kurzerhand zum Feind. Obwohl es sich bei den Taliban um lokale Stammesverbände handelt, die in erster Linie die Kontrolle über ihre Region sichern wollen, wurden sie nach 9/11 im Westen als Teil des »internationalen Terrorismus« dargestellt, damit die NATO sich ein UN-Mandat besorgen und in Afghanistan einfallen konnte. Die Propaganda im Vorfeld des Feldzugs war geprägt von staatlichen und NGO-Kampagnen für Frauen- und Menschenrechte, um dem Krieg ein menschliches Antlitz zu verleihen. Unter dieser Maske verbarg sich aber die Fratze des Imperialismus: Die Kampagnen waren häufig islamfeindlich und kolonialistisch und lenkten von den wahren Interessen der Kriegstreiber ab.
Auch im 21. Jahrhundert ging es den westlichen Imperialisten nämlich in erster Linie um die geostrategische Bedeutung Afghanistans – gegen die Nachbarstaaten Iran und Russland. Zudem galt das zerrüttete Land als Einfallstor in der Region. Der Invasion Afghanistans 2001 folgte der Angriffskrieg gegen Irak 2003. Nur weil dieser Kreuzzug aufgrund des Widerstands der irakischen Bevölkerung zum Fiasko für die USA und ihre Alliierten wurde, legte man in Washington zunächst die Pläne für einen Regime-Change in Syrien auf Eis. Dafür griff Israel 2006 den Libanon an und die Regierungen Bush und Obama brachten die Welt immer wieder an die Schwelle eines Krieges mit dem Iran. 2011 legte die NATO dann Libyen in Schutt und Asche und mischt sich seitdem auch in Syrien massiv ein.
Die BRD wieder vorne mit dabei
Für Deutschland war Afghanistan nach Jugoslawien der zweite Angriffskrieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Berlin wollte wieder zu den Großmächten gehören und dazu gehört, Krieg zu führen. 2002 erklärte der damalige Verteidigungsminister Struck (SPD), »die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt.« Dass damit die Sicherheit kapitalistischer Interessen gemeint war, machte 2010 Bundespräsident Köhler (CDU) deutlich, als er mit Blick auf Afghanistan erklärte, ein Großteil der deutschen Bevölkerung verstehe, weshalb es nötig sei, dass »auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege«. In Wahrheit aber lehnt die Mehrheit der deutschen Bevölkerung seit Jahren Kriege konsequent ab.
Neben Angriffskriegen nutzt die BRD vor allem Ausbildungsmissionen, um sich militärisch in andere Länder einzumischen. So bildet die Polizei Sicherheitskräfte des vom Westen abhängigen Regimes in Kabul aus, im Irak trainiert man kurdische Soldaten und in Mali Soldaten der Zentralregierung für ihren Kampf gegen Separatisten. Umgekehrt übt man mit der israelischen Armee Aufstandsbekämpfung und profitiert dabei von deren Erfahrung bei der Niederschlagung palästinensischer Proteste und dem Töten von Widerstandskämpfern.
Dass es in Afghanistan um Menschenrechte und Wiederaufbau geht, ist also heute wie damals gelogen. Die NGOs, die vor Ort arbeiten, sind selbst Teil des Besatzungssystems: Sie gehörten zum Propagandaapparat im Vorfeld des Krieges und dienen heute zur Legitimierung der Okkupation. Ihre Projekte orientieren sich mehr an den Vorgaben der Besatzer, als an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Sie arbeiten häufig mit korrupten Kontaktpersonen zusammen, die die Gelder in die eigene Tasche fließen lassen. Vor allem handelt es sich aber auch bei NGOs fast ausschließlich um kapitalistische Unternehmen, an denen Profitinteressen und Arbeitsplätze hängen. So fließen jährlich 430 Millionen Euro deutscher Steuergelder in »Aufbaumaßnahmen«. Statt »Hilfe zur Selbsthilfe« schafft dies Abhängigkeit. Kapitalistische »Entwicklungshilfe« ist und bleibt Entwicklungshilfe für den eigenen Kapitalismus.
Kein »sicheres Herkunftsland«!
2015 erklärte Bundeskanzlerin Merkel, Deutschland sei bereit, entgegen den Dublin II Regelungen Flüchtlinge aufzunehmen. Sie tat das aber nicht aus Menschenliebe, sondern aus zwei praktischen Gründen: Erstens ist das deutsche Kapital der größte Profiteur der EU. Deshalb hatte die Bundesregierung Angst, die verarmten und nun mit den Geflüchteten allein gelassenen Staaten Süd- und Südosteuropas könnten die EU verlassen. Zweitens giert die deutsche Wirtschaft nach billigen Arbeitskräften. Aus Syrien erhoffte man sich gut ausgebildete und zugleich billige Ärzte und Pfleger, die auch unter härtesten Bedingungen arbeiten. Zudem konnte man die syrischen Geflüchteten nicht allzu offen zurückweisen, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verspielen.
Dafür begann man im Gegenzug, andere Länder für »sicher« zu erklären, um die aufgenommenen Syrer durch abgeschobene Menschen anderer Nationalitäten auszugleichen. So wurden die Westbalkanstaaten für »sicher« erklärt, damit Roma, die dort bis heute verfolgt werden, leichter dorthin abgeschoben werden können. Es folgten die »sicheren« Diktaturen Marokko und Algerien. Auch nach Afghanistan schiebt die BRD ab. Das Land, in das deutsche Politiker nur unter höchsten Sicherheitsbedingungen und voll gepanzert reisen und aus dem nun deutsche NGOs und Polizisten evakuiert werden, gilt ebenfalls als »sicher«. Von mindestens einem Abgeschobenen ist bekannt, dass er nach seiner Deportation bei einem Anschlag ums Leben kam. Andere haben sich vor oder nach der Abschiebung selbst getötet. Wer dort keine Familie hat, lebt auf sich allein gestellt, einsam und unter Lebensgefahr. Parallel zur Gewalt steigt die Armut: Mehr als die Hälfte der Afghanen lebt von weniger als einem Dollar pro Tag. Statt zur Schule zu gehen, müssen die Kinder mit arbeiten, um zu überleben. Diese Praxis zeigt einmal mehr die zutiefst rassistische und menschenfeindliche Realität deutscher Politik.
Die westlichen Imperialisten, auch die BRD, haben Afghanistan zu dem Schlachtfeld gemacht, das es heute ist. Die Bundeswehr war an der Invasion beteiligt, sie hält das Land bis heute besetzt und auch sie tötete zahlreiche Zivilisten. Nur eines unter vielen Fällen ist das Massaker von Kundus vom September 2009, bei dem der damalige Oberst Klein durch einen gezielten Bombenangriff 119 Menschen, darunter Kinder, töten und verstümmeln ließ. Während sich die Bundesregierung auch 10 Jahre später weigert, die Opfer und Angehörigen zu entschädigen, ist Klein mittlerweile mehrfach befördert worden.
Die Zahl der Anschläge und der Getöteten steigt zur Zeit auch deshalb, weil die afghanische Bevölkerung die Besatzung nach fast 20 Jahren satt hat. Nicht alle Aufständischen sind »Gotteskrieger«. Viele wollen einfach in Unabhängigkeit leben oder ihre von den Besatzern ermordeten Familienmitglieder rächen und schließen sich deshalb militanten Gruppen an. Die erste Voraussetzung für einen Frieden unter den Afghanen ist deshalb der Abzug der Besatzungsmächte. Zur Besatzung zählen aber nicht nur die ausländischen Armeen, sondern auch die Polizisten und jene »Entwicklungshelfer«, die im Auftrag oder gemeinsam mit den Imperialisten arbeiten und von der hilflosen Situation in dem Land profitieren.
Nieder mit dem deutschen Imperialismus! Raus aus Afghanistan! Hoch die internationale Solidarität!