Am 3.12.2020 und 9.12.2020 waren fünf Personen im sogenannten ,,Rondenbarg-Prozess“ vor Gericht. Ihnen drohen mehrere dutzend weitere Prozesstage und harte Urteile, weil sie sich 2017 an den Protesten gegen den G20 Gipfel beteiligt haben. In dessen Vorfeld wurden mehrere Straftatbestände verschärft und das Versammlungsrecht massiv angegriffen.
Was steht in den Gesetzen?
Artikel 8 des Grundgesetzes lautet: ,,(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“
Die in (2) gemeinten Gesetze sind z.B. das Strafgesetzbuch (StGb), welches im Mai 2017 verschärft wurde. Bei diesen Verschärfungen handelt es sich konkret um die §113, 114, 125 (Widerstand und tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte sowie Landfriedensbruch).
Innerhalb der Paragraphen wird meist zwischen ,,normalen“, ,,schweren“ oder ,,besonders schweren“ Fällen einer Tat unterschieden. Der ,,besonders schwere“ Fall des §113 StGB (Widerstand) war ursprünglich so definiert, dass der Täter oder ein anderer Beteiligter ein gefährliches Werkzeug mitführt oder für den Angegriffenen eine schwere Gesundheitsschädigung herbeiführt. Seit der Verschärfung des Paragraphen reicht es für einen ,,besonders schweren“ Fall aus, die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich zu begehen. Es ist also nicht nötig, ein gefährliches Werkzeug mitzuführen oder den Angegriffenen schwer zu verletzten. Ein solcher ,,besonders schwerer“ Fall wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft. Den Straftatbestand ,,Tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte“ gibt es erst seit der Gesetzesverschärfung im Mai 2017. Hierfür ist eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren vorgesehen.
Die Initiative ,,Grundrechte verteidigen“ schreibt, dass für den Vorwurf des Widerstands oft schon ein ängstlich weggezogener Arm reiche. Da Streiks und Demonstrationen gemeinschaftlich durchgeführt werden, haben es Polizei und Justiz leicht, von einer ,,gemeinschaftlichen Tat“ zu reden und den Betroffenen dadurch – seit der Verschärfung 2017 – einen ,,besonders schweren Fall“ vorzuwerfen.
Der §125 StGB definiert Landfriedensbruch wie folgt: ,,Wer sich an 1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder 2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Es reicht also aus, Teil einer Menschenmenge zu sein, unabhängig davon, ob man selbst Gewalt anwendet. Das stand bereits vor 2017 in dem Paragraphen. Neu ist, dass dies auf politische Versammlungen angewendet wird. Zudem wurde der ,,besonders schwere Fall“ umdefiniert, sodass er eher eintritt.
Zu den Verfahren im Kontext des G20 Gipfel
Wenige Wochen nach diesen Verschärfungen fand der G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg statt. Bereits Monate vor dem Gipfel waren Talkshows, Politikerreden und Presseberichte geprägt von einer Hetze gegen die Proteste. Bei dieser Stimmungsmache wurden nicht Inhalte aufgegriffen und kritisiert, sondern Gipfelgegnern pauschal unterstellt, dass sie nur auf Gewalt und Krawall aus seien. Währenddessen wurden die oben genannten Paragraphen stillschweigend verschärft.
Die Bundesregierung hat sich Hamburg als Ort für den Gipfel gezielt ausgesucht. Der G7-Gipfel 2015 fand in Elmau statt. Die Gegenproteste dort waren überschaubar und die Gipfelteilnehmer hatten so weitestgehend ihre Ruhe. Die Herrschenden hatten 2017 in Hamburg ein Riesenaufgebot an Polizei und Bundeswehr. Dieses hat vor Ort die Bekämpfung von Aufständen geübt und so der Welt gezeigt, dass sie mit ihrer Gewalt auch eine so umstrittene Veranstaltung in einer Großstadt unter Kontrolle haben.
Unterschiedliche Aktionen im Rahmen der Anti-G20-Proteste wurden und werden weiterhin strafrechtlich verfolgt. Im Juli diesen Jahres endete der ,,Elbchaussee-Prozess“ nach fast 70 Verhandlungstagen gegen fünf Angeklagte: Sie wurden wegen Landfriedensbruch und Beihilfe zur Brandstiftung verurteilt. Sie waren angeblich Teil einer Menschenmenge, die aus 220 Personen bestand. Jeder, der Teil von ihr war, habe sich durch seine Anwesenheit strafbar gemacht, unabhängig davon, ob er selbst Gewalt angewendet habe. Die Staatsanwaltschaft forderte mindestens zweieinhalb Jahre Haft und die Verteidigung plädierte auf Freisprüche. Verurteilt wurden die Jugendlichen zu 120 Arbeitsstunden, die Erwachsenen erhielten mindestens eine Bewährungsstrafe und der Hauptangeklagte eine mehrjährige Haftstrafe.
Am 3.12.2020 begann der ,,Rondenbarg-Prozess“. Aus einer Menschenmenge von ca. 200 Personen wurden 86 identifiziert und angeklagt. Den Betroffenen wird schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall sowie in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen. Die Justiz versucht nicht einmal, den Einzelnen Gewaltanwendungen zu beweisen – es gibt nicht mal verletzte Polizisten. Man will die Betroffenen allein aufgrund ihrer Anwesenheit bei der Demonstration am Rondenbarg verurteilen. Die Justiz hat sich dazu entschieden, die Betroffenen gruppenweise vorzuladen. Vorerst müssen fünf Angeklagte wöchentlich nach Hamburg reisen, um an ihren Gerichtsterminen teilzunehmen. Dafür wurden gezielt die Personen ausgesucht, die während der Proteste minderjährig waren und deren Verhandlungen deshalb nicht öffentlich sind – demensprechend dürfen weder Presse noch Freunde der Betroffenen in den Gerichtsaal. Auf die Angeklagten warten mehrere dutzend Verhandlungstage für die sie ständig ihren Alltag unterbrechen müssen und ggf. erhebliche Schwierigkeiten bei der Uni, Ausbildung oder Arbeit haben werden.
Die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft Nana Frombach ist der Auffassung, „dass allein das Mitlaufen im Schwarzen Block“ für eine Strafbarkeit nach §125 ausreiche. Sie vergleicht Anti-G20-Demos mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Mai 2017, welches Hooligans behandelt, die sich zu einer Schlägerei verabredet haben. Der BGH urteilte dazu, dass allein die ,,psychische Unterstützung“ der Teilnehmer strafbar sei. Diese Auslegung wurde auch beim ,,Elbchaussee-Prozess“ angewendet und droht den Angeklagten Personen vom Rondenbarg.
Weitere Gesetzesverschärfungen, deren Konsequenzen und Anwendungen
Die Verschärfungen und Auslegungen des Gesetzes sind ein massiver Angriff auf das Versammlungsrecht. Aus Sicht der Politik ist es dennoch nicht genug: In der Zeit nach dem G20-Gipfel wurden in mehr und mehr Bundesländern die Polizeigesetze verschärft, die ermöglichen, wesentlich repressiver gegen Proteste vorzugehen.
Insgesamt geht es also nicht bloß darum, gegen die Gipfelproteste schonungslos vorzugehen. Vielmehr boten die Proteste eine gute Gelegenheit, mit Gesetzesverschärfungen zu beginnen, die Stimmungsmache gegen Links zu verschärfen und die Repressionen somit inhaltlich zu legitimieren. Durch Abschreckung soll eine Politisierung und Aktivierung breiterer Teile der Bevölkerung verhindert werden. Die gesetzliche Grundlage für scharfe Urteile wurde geschaffen und Verdächtigen muss keine konkrete Tat mehr nachgewiesen werden.
Zwei aktuellere Beispiele zeigen, dass §125 StGB auch gegen antifaschistische Proteste angewendet werden soll: Bei Versuchen die Naziaufmärsche zum ,,Tag der deutschen Zukunft“ (Worms, 06.06.2020) und dem ,,zentralen Heldengedenken“ (Remagen, 14.11.2020) zu blockieren, wurden ca. 500 bzw. ca. 90 Personen eingekesselt, kontrolliert und ihnen wurde Landfriedensbruch vorgeworfen. Es drohen hohe Strafen, im schlimmsten Falle orientiert sich die Justiz an den G20-Prozessen.
Aktuell droht sogar eine weitere Verschärfung des Landfriedensbruch-Paragraphen. Der Innenminister von NRW, Herbert Reul (CDU), strebt genau dies an (Zeit Online, 10.12.2020 – „Reul will Paragraphen für Landfriedensbruch ändern“).
Kampf gegen die Repression
Repressionen gehören zur kapitalistischen Gesellschaft dazu. Der Großteil der Bevölkerung – die Arbeiterklasse – erarbeitet den Reichtum einer Minderheit und soll mittels Repression von kollektivem Widerstand abgehalten werden. Die Arbeiterbewegung und die Kommunisten in Deutschland sind bereits sehr schwach aufgestellt, zersplittert und nicht in der Arbeiterklasse verankert. Mit den erweiterten Rechtsspielräumen kann der Staat ein Wiedererstarken massiv bekämpfen.
Das Organisieren von Solidarität und Widerstand gegen die Einschüchterungen und Verurteilungen durch den bürgerlichen Staat sind richtig und wichtig. Hierbei gilt es allerdings, den Gegner klar vor Augen zu haben, da sonst die Gefahr droht, zahnlos zu werden und das Ziel der Stärkung der Klassenkämpfe aus den Augen zu verlieren. Wie auch bei anderen politischen Themen setzen viele auf breite Bündnisse. Diese zielen jedoch nicht auf die Mobilisierung breiter Teile der Massen ab, sondern auf die Einbeziehung möglichst vieler politischer Organisationen. Problematisch wird es, wenn dies bürgerliche Parteien, wie die Partei die Linke (PdL), miteinschließt.
Es mögen sich Politiker von der PdL solidarisch mit Betroffenen von Repression äußern. Entscheidend sind aber nicht Worte, sondern Taten: Die PdL trug als Teil der Berliner Landesregierung die Repression gegen den Jugendwiderstand mit, sie stellte im Bundestag einen Antrag, der die BDS-Bewegung kriminalisiert und unterstützte z.T. Verschärfungen der Polizeigesetze. Diese aktuellen Beispiele offenbaren den Charakter der PdL als Partei, die die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse im Kern akzeptiert hat.
Die Bekämpfung von Repression kann nur wirksam sein, wenn der Kapitalismus als Ursache in Gänze in den Blick genommen wird und wenn man sich zugleich von bürgerlichen Parteien abgrenzt. Wir müssen den Kampf gegen Repressionen dafür nutzen, breite Massen über den Klassencharakter des Staates und seiner Justiz aufzuklären. Es braucht eine breite Bewegung der Unterdrückten in diesem System, die den Repressionen nicht nur ihre gelebte Solidarität entgegenhält, sondern den Staat der Kapitalisten unter Druck setzt und letztlich zerschlagen kann. Dazu braucht es sowohl eine kommunistische Partei als auch starke Gewerkschaften, die sich politischer Kämpfe annehmen.
Hier konnte nur eine grobe Einordnung der Gesetzesverschärfungen und des Umgangs damit vorgenommen werden. Es bleiben zahlreiche offene Fragen und Aufgaben: Eine genauere Analyse derartiger Repression und Gesetzesverschärfungen steht noch aus. Ebenso bleiben die richtige Orientierung für die Arbeit in den Massen und die Frage, wie breitere Teile der Massen für die Thematik sensibilisiert werden können, vorerst offene Fragen. Darüber hinaus gilt es die Frage, welches konkrete Ziel solche Vorstöße seitens des Staates momentan haben, zu untersuchen und welche Auswirkungen die verschärften Repressionsinstrumente beispielsweise im Zuge von Streiks haben können.
Stoppt die Angriffe auf die Versammlungsfreiheit!
Freiheit für alle politischen Angeklagten und Gefangenen!