Der Bürgerkrieg an der Ruhr

Die Rote Ruhrarmee und ihre Lehren

Von Thanasis Spanidis

Die Flammen im Krupp-Werk stiegen hoch in den Himmel. Zermack sah hin und lauschte. Er hörte das Dröhnen der Eisen und das Pochen der schweren Hämmer. Er sah die Schächte und die Berge von Kohle und dachte an die vielen, die sich unten und in dem flammenden Werk wieder um das trockene Brot abmühten. Ihr Müheland, ihr Schmerzensland, ihre Ruhr! „Und wir werden uns von all den Peinigern frei machen, und wenn wir noch dutzende und hunderte Male in den Tod ziehen müßten!“ sagte er. „Und wenn wir es nicht selber erleben, dann sollen es unsere Kinder erleben. Ja, wir werden uns nicht aufgeben, bis das Land von allen Henkern frei ist. Es ist unser Schweiß, es sind unsere Blutstropfen, unsere Mühe. Unsere Mühe!“

Unsere Mühe!“ sagte Stamm.

Die Stadt stand rot und hell in dem auflodernden Flammenschein, als schürten dort mächtige Arbeitsarme die neue Glut. Und das Klirren der Ketten und die Schreie der Lokomotiven hörten sich an, als risse ein stöhnender Riese an seinen Fesseln …

Aus: Hans Marchwitza: Sturm auf Essen, Szene nach dem Sieg der Konterrevolution im Ruhrgebiet1

Einleitung

Im März 1920 hielt wohl ganz Deutschland den Atem an. Im industriellen Herz des Reiches, dem Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet, oder auch Ruhrgebiet, erhob sich für etwa zwei Wochen die Arbeiterklasse, weigerte sich, in die dunklen Kohlenschächte einzufahren und stellte ihre eigene, ihre Rote Armee auf. Zehntausende Bergarbeiter und andere Gruppen des Proletariats standen unter Waffen und lieferten sich Gefechte mit der Reichswehr und den Kräften der Reaktion. Dieser Kampf inspirierte verschiedene Romane und Filme, so verarbeitete etwa der 29-jährige Bergarbeiter Hans Marchwitza, der als Zugführer der Roten Ruhrarmee kämpfte, seine Erfahrungen in dem großartigen Roman „Sturm auf Essen“; der kommunistische Schriftsteller Karl Grünberg war zwar nicht selbst dabei, schrieb aber den nicht weniger authentischen und großartigen Roman „Brennende Ruhr“2 über das gleiche Thema.

Diese Rote Ruhrarmee wird trotzdem insgesamt, auch innerhalb der kommunistischen Bewegung, bisher kaum beachtet. Viel weniger als die Novemberrevolution, aber selbst weniger als der deutlich kleinere Hamburger Aufstand. Und wenn, dann wird das Thema oft mit Fokus auf den Kapp-Putsch vom 13. März behandelt, der dem Aufstand der Roten Ruhrarmee vorausging und ihn auslöste. Den Kapp-Putsch können wir deshalb hier nicht auslassen, der Fokus soll aber auf dem Klassenkampf und der Roten Ruhrarmee liegen.

Dafür werden wir zunächst auf den historischen Kontext eingehen, in dem sich der Putsch und Ruhr-Bürgerkrieg ereigneten, dann zuerst auf die Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet und dann auf die Kräfte der Konterrevolution in Deutschland. Im Anschluss geht es um den Versuch der Machteroberung durch die extreme Rechte im sogenannten Kapp-Putsch und um die Rote Ruhrarmee und ihren Kampf. Zum Schluss werden Lehren aus diesem Kampf diskutiert.

Der Kontext des Putsches. Weltkrieg, gescheiterte Novemberrevolution und Restauration durch die „Weimarer Republik“

1918 ging mit der Niederlage der Mittelmächte der erste imperialistische Weltkrieg zuende. Der Krieg war von den deutschen Monopolkapitalisten gewollt und diese hatten ihre groß angelegten Eroberungsziele bereits früh offengelegt: Es war ein Krieg zur Neuaufteilung der Welt unter die Kapitalisten der verschiedenen kriegsteilnehmenden Mächte. Er war von deutscher Seite ein Kampf um den „Platz an der Sonne“ für die deutschen Monopole und der Versuch, den Nachteil auszugleichen, den der deutsche Imperialismus bei der Aufteilung der Kolonien, vor allem in Afrika, gegenüber Frankreich und Großbritannien hatte. Der Krieg kostete auch in Deutschland Millionen Soldaten und Hunderttausende Zivilisten das Leben, hinzu kamen Scharen von Kriegsversehrten, die aufgrund furchtbarer Verstümmelungen oder psychischer Traumata teilweise kein normales Leben mehr führen konnten.

Die Arbeiterklasse in Deutschland hatte den Krieg, entgegen verbreiteter Mythen, nicht enthusiastisch begrüßt, sie hatte ihn mehrheitlich in den Jahren 1914-1918 ertragen, aber war seit dem Jahr 1918 zunehmend weniger bereit, ihr Leben für die Expansionspläne des Kaiserreichs bzw. der deutschen Bourgeoisie zu opfern. Im November 1918 war in Kiel die Revolution ausgebrochen, in der die Volksmassen millionenfach gegen das Gemetzel des Krieges aufstanden, den Rücktritt des Kaisers durchsetzten und Räte bildeten. Die große Mehrheit der Arbeiterklasse war für die Überwindung des Kapitalismus und den Sozialismus, allerdings war auch die Mehrheit von ihnen immer noch geblendet und in die Irre geführt durch die SPD, die zwar seit 1914 und seitdem durchgehend den Krieg unterstützt hatte, aber von vielen Arbeitern dennoch als „ihre“ Partei verstanden wurde. Sie glaubten deshalb an die Versprechen, dass mit der SPD in der Regierung nun die „Sozialisierung“ der Industrien anstehe und verstanden nicht, dass ohne eine revolutionäre Avantgardepartei ein Übergang zum Sozialismus grundsätzlich nicht denkbar ist.

Der politisch bewussteste und reifste Teil der Klasse erkannte allerdings, dass die SPD keineswegs den Sozialismus im Sinne hatte, sondern die Stabilisierung der kapitalistischen Ausbeuterordnung – wenn es nach Friedrich Ebert gegangen wäre, dem ersten SPD-Reichspräsidenten, sogar die Rettung der Monarchie3. Die Monate nach der Novemberrevolution waren von immer wieder aufflammenden, aber lokal begrenzten Bürgerkriegen zwischen revolutionären Arbeitern und den Kräften der Konterrevolution geprägt, wobei die SPD-Regierung mit den Freikorps zusammenarbeitete, um die Revolution gewaltsam niederzuschlagen. In den Feuern dieser Kämpfe wurde am 30. Dezember die Kommunistische Partei Deutschlands als Partei der Revolutionäre gegründet – viel zu spät, um in der lange vorher ausgebrochenen revolutionären Krise eine führende Rolle zu spielen und die Machtübernahme der Arbeiterklasse anzuführen. Den Januaraufstand 1919 in Berlin (der fälschlich als „Spartakusaufstand“ bekannt ist, obwohl die KPD ihn gar nicht geplant hatte) nutzen SPD und Freikorps, um die Führer der KPD, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, zu ermorden. Die Märzkämpfe in Berlin etwa zwei Monate später wurden ebenso brutal niedergeschlagen und gaben Gustav Noske, dem Reichswehrminister der SPD-Regierung, den Anlass, ein gewaltiges Massaker unter den Berliner Arbeitern anzurichten. Der Kommandant der konterrevolutionären Garde-Kavallerie-Schützen-Division Waldemar Pabst legte Noske einen Befehl zur Unterschrift vor, wonach jeder, der bewaffnet angetroffen würde, sofort zu erschießen sei. Noske unterschrieb diese Lizenz zum Massenmord, wohlwissend, was er unterschrieb. In wenigen Tagen ermordeten die Freikorps in Berlin mindestens 1200 Menschen, nach manchen Quellen deutlich mehr, und bombardierten Wohnviertel mit Artillerie, Flammenwerfern und Bomben aus Flugzeugen4. Wie an späterer Stelle behandelt, marschierten gleichzeitig die Freikorps auch damals schon im Ruhrgebiet ein und ermordeten zahlreiche Arbeiter. Das Gleiche geschah bei der Zerschlagung der Räterepubliken in München und Bremen, die sich im Januar (Bremen) und April (München) 1919 gegründet hatten. Der Massenmordbefehl von Pabst und Noske bildete auch die Grundlage für die massenhaften Hinrichtungen im Ruhrgebiet 1920, wo er wieder aus der Schublade gezogen wurde und überall zur Anwendung kam.

Die revolutionäre Rätebewegung wurde auf diese Weise brutal niedergemacht, zuerst gewaltsam aus dem politischen Raum verdrängt, dann durch das Betriebsrätegesetz mit zunächst „friedlichen“ Mitteln auch aus den Betrieben. Als gegen dieses Gesetz der SPD-Regierung, das entgegen seines Namens ein Gesetz zur weitgehenden Ausschaltung der Räte in den Betrieben war, die Arbeiterklasse Berlins am 13. Januar 1920 zu Hunderttausenden vor den Reichstag stürmte, kam es mit 42 Toten zum größten Massaker an einer Demonstration in der deutschen Geschichte durch die paramilitärische Sicherheitspolizei. Danach verhängte Ebert den Ausnahmezustand, verbot damit alle weiteren Versammlungen, ließ fast die gesamte KPD-Führung einschließlich ihres Vorsitzenden Paul Levi verhaften und setzte das Gesetz somit unter den Bedingungen einer, wenn auch temporären, offenen Diktatur durch. Demonstrationen vor dem Reichstag wurden daraufhin per Gesetz grundsätzlich verboten, die sogenannte Demokratie damit von Unmutsbekundungen aus dem Volk abgeschirmt. Das SPD-Zentralorgan Vorwärts verhöhnte die Opfer mit der Behauptung, die Sicherheitsorgane hätten „eine Zurückhaltung an den Tag gelegt, für die gerade die Demonstranten alle Veranlassung hätten, sich dankbar zu zeigen“5.

Die Revolution von 1918/19 war nun von dem konterrevolutionären Bündnis von SPD und Freikorps endgültig mit Strömen von Blut zerschlagen worden, doch die Hoffnung auf ein rotes Deutschland war in der Arbeiterklasse noch nicht verflogen. Im Gegenteil, sie loderte weiter in den Herzen von Millionen deutschen Arbeitern und würde sich in den folgenden Jahren noch einige Male Bahn brechen.

Die Weimarer Republik, die 1918 entstanden war, verriet schon durch ihren Namen, was sie war: Die Verfassungsgebende Nationalversammlung hatte in dem ruhigen thüringischen Städtchen Weimar statt in Berlin getagt, um möglichst weit entfernt von den revolutionären Massen zu sein, die etwas ganz anderes wollten, als diese reaktionäre, „schwarz-weiß-rote Republik“, wie sie in einem Arbeiterlied genannt wurde. Die Weimarer Republik war also in den eineinhalb Jahrzehnten ihrer Existenz ein relativ instabiler Staat. Grund dafür waren aber nicht die „antidemokratischen“ Bestrebungen der „extremen“ Parteien, wie die staatstragende Propaganda der Schulbücher bis heute behauptet. Der Grund lag darin, dass die Bourgeoisie in Deutschland sich in einer Situation der Schwäche befand: Der Versuch, sich durch die Eroberung eines Kolonialreichs und die erzwungene Schaffung eines deutsch dominierten Wirtschaftsraums in Europa einen großen Binnenmarkt zu schaffen, war in einer verheerenden militärischen Niederlage geendet6. Diese Niederlage bezahlte die deutsche Bourgeoisie nun im Versailler Friedensvertrag mit hohen Reparationszahlungen und einer eingeschränkten Souveränität: Die linksrheinischen Gebiete des Rheinlandes waren (bis 1929/30) von den westlichen Staaten der Entente (Frankreich, Belgien, Großbritannien und USA) besetzt und die Größe der Reichswehr auf 100.000 Mann begrenzt. Die hohe Staatsverschuldung während des Krieges konnte aufgrund der Niederlage nicht durch die Ausplünderung anderer Länder beglichen werden und wurde nun durch die Reparationszahlungen noch erhöht. Dies verkleinerte den Spielraum und die Bereitschaft der herrschenden Klasse, der Arbeiterklasse materielle Zugeständnisse zu machen. Die elenden Lebensbedingungen und die grauenhaften Erfahrungen des Krieges begünstigten die revolutionäre Stimmung in der Arbeiterklasse, während die staatlichen Repressionsorgane geschwächt waren. Was die Republik destabilisierte, war der Klassenkampf, der allerdings jahrelang zuvor vor allem von der herrschenden Klasse gegen das Proletariat geführt worden war, bevor dieses in der Novemberrevolution endlich zum Gegenschlag ausholte. Die revolutionäre Situation von 1918 bis 1920, teilweise bis 1923, war ein Ergebnis der Politik der herrschenden Klasse, die den bürgerlichen Staat durch den verlorenen Krieg destabilisiert hatte.

Die Weimarer Republik drückte ein momentanes Kräfteverhältnis zwischen den Klassen insofern aus, dass die Abdankung des Kaisers und die Einführung des parlamentarischen Systems ein Zugeständnis an die revolutionären Massen waren. Sie war aber insofern kein Kompromiss, als die Arbeiterklasse ihrer Einrichtung niemals zustimmte und große Teile der Klasse nur durch den bewussten Betrug der Sozialdemokratie an diese Republik gekettet wurden. Auf der anderen Seite gab sich aber auch die monarchistische und faschistische Reaktion mit dieser Republik nie zufrieden, sie wollte eine Führerdiktatur oder Monarchie, vor allem um die Arbeiterbewegung noch gründlicher und noch rücksichtsloser niederschlagen zu können, als es unter der Führung der „demokratischen“ SPD ohnehin geschah. Der rechte Flügel der Bourgeoisie (politisch vertreten durch die DNVP, die DVP, später die NSDAP sowie in der Reichswehr und den Freikorps) und der liberale Flügel (vertreten durch SPD, DDP und Zentrumspartei) waren sich jedoch einig in der wesentlichen Frage der Zeit: Priorität hatte für beide die Zerschlagung aller revolutionären Bestrebungen des Proletariats. Wichtigstes Instrument dazu waren in den frühen Jahren der Republik einerseits die Freikorps, andrerseits die Sozialdemokratie. Beide Kräfte arbeiteten zwischen 1918 und 1920 eng miteinander zusammen und ergänzten sich gegenseitig. In dieser Situation kam es 1920 zum Putsch und zum Bürgerkrieg im Ruhrgebiet.

Die Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet

Obwohl die Industrielle Revolution in Deutschland im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Zentrum im Ruhrgebiet hatte, entwickelte sich die dortige Arbeiterbewegung mit einer gewissen Verzögerung. Die Bergarbeiter des Ruhrgebiets waren lange Zeit trotz der elenden Arbeitsbedingungen kaum gewerkschaftlich organisiert und die (damals noch revolutionäre) Sozialdemokratie hatte nur geringen Einfluss. Unter dem Einfluss der Pariser Kommune, der ersten proletarischen Revolution der Geschichte, entwickelten sich aber auch in Deutschland ab 1871 Massenkämpfe der Arbeiterklasse, wobei nun auch die Ruhrarbeiter eine wichtige Rolle spielten. 1872 kam es zu einem ersten, entschlossenen Streik, der mehr als fünf Wochen andauerte und der Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet bedeutenden Auftrieb verschaffte7. Ein zweiter, deutlich größerer Arbeitskampf entbrannte 1889 als Teil eines gesamtdeutschen Bergarbeiterstreiks, an dem sich 150.000 Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Steinkohlenförderung beteiligten, etwa 100.000 davon im Ruhrgebiet: Es ging um Lohnerhöhungen, den Achtstundentag und weitere Fragen. Mit dieser bis dahin größten Massenaktion der Arbeiterklasse im Ruhrgebiet ging nun auch eine schnelle Politisierung einher und die SPD gewann an Einfluss, ohne jedoch schon die Führung der relativ spontanen Streikbewegung ausüben zu können. Die Kapitalisten der Ruhrindustrie reagierten auf den Streik mit brachialer Gewalt und versuchten, ihn militärisch niederschlagen zu lassen, wobei sieben Arbeiter ermordet wurden. Letztendlich endete der Streik ohne größere Errungenschaften, doch das politische Bewusstsein der Klasse hatte nun einen Sprung gemacht. Es bildete sich nun eine sozialistisch beeinflusste Bergarbeitergewerkschaft und viele Bergarbeiter strömten in die SPD oder begannen sie zu unterstützen, die Stimmen für die SPD vervielfachten sich bei den Reichstagswahlen8. 1905 kam es dann zu einem weiteren, noch größeren Arbeitskampf im Ruhrgebiet, verstärkt durch die erste russische Revolution, bei dem deutsche Arbeiter gemeinsam mit italienischen und polnischen Arbeitsmigranten kämpften. In ganz Deutschland, aber auch in Frankreich und Belgien kam es zu Solidaritätsaktionen9. Hier war schon sichtbar, wie sehr die Arbeiterbewegung sich inzwischen ihres internationalen Charakters bewusst geworden war. Eine weitere, noch größere Streikwelle folgte 1912.

Mit dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich im ganzen Land die Lage der Arbeiterklasse drastisch: Zusätzlich zum Massenmorden an der Front wurde die Arbeiterklasse einer verschärften Ausbeutung unterworfen und in den letzten Kriegsjahren raffte die Hungersnot auch unter der Zivilbevölkerung unzählige Leben dahin. Die SPD, offiziell eine revolutionäre marxistische Partei, hatte im August 1914 den Marxismus und die Arbeiterklasse verraten, indem sie sich hinter den Krieg des Kaiserreiches gestellt hatte und in den Folgejahren auch die Annexionsziele der Regierung unterstützte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hatte die Arbeiterklasse in Deutschland (und den meisten anderen Ländern) keine eigene Partei mehr, die ihre Interessen vertrat. Doch während in den ersten Wochen im Bürgertum noch die Kriegsbegeisterung vorherrschte, protestierten Teile der Arbeiterklasse von Anfang an gegen den Krieg. Auch im Rhein-Ruhrgebiet war dies der Fall und es entwickelte sich eine illegale Arbeit unter Gewerkschaftsaktivisten und in der sozialdemokratischen Jugend gegen den Krieg und die Politik des Burgfriedens (d.h. der Einstellung des Klassenkampfes durch die Arbeiterorganisationen während des Krieges)10. Der Krieg verlief für den deutschen Imperialismus immer ungünstiger, trotz des Sieges über Russland an der Ostfront, und die Versorgungslage der Bevölkerung, vor allem der Arbeiterklasse, wurde immer katastrophaler. In den ersten Monaten des Jahres 1917 brach eine Welle von Streikaktionen im Ruhrgebiet aus, denen auch Arbeitskämpfe in Nürnberg und verschiedenen Städten Norddeutschlands wie Hamburg und Bremen folgten11.

Das Jahr 1917 war nun auch das Jahr der großen Oktoberrevolution in Russland, die auch in Deutschland viele Arbeiter begeisterte – ein Volk hatte sich gemeinsam dem Massentod im imperialistischen Krieg entgegengestellt und mit dem Sturz der Kriegstreiber auch die Herrschaft der kapitalistischen Ausbeutung beendet. Russland hatte gezeigt, dass „es“ möglich war und in vielen Ländern der Welt kursierte in der Arbeiterklasse der Spruch: „Machen wir es wie in Russland!“.

In Deutschland brach die Revolution dann auch genau ein Jahr später aus, im November 1918. Ausgehend von Kiel verbreitete sich die Bewegung der Arbeiter- und Soldatenräte im ganzen Reich, so auch im Ruhrgebiet und Rheinland. Vom ersten Tag an stand die Führung der SPD fest auf der Seite der Konterrevolution – ihr einziges Ziel war es, die Revolution so schnell wie möglich verebben zu lassen und zahlreiche ihrer Funktionäre traten (wie sie später oft zugaben) mit diesem Ziel, und nur diesem Ziel, in die Räte ein. Gegen den Willen der reformistischen Gewerkschaftsführungen kam es auch im Ruhrgebiet ab dem 18. November zum Streik, der sich in den kommenden Wochen bis zum Jahresende schnell ausweitete. Die Arbeiter stellten zunächst vor allem betriebliche Forderungen (höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzungen usw.), dann kamen aber auch Forderungen nach „Sozialisierung“, also Verstaatlichung des Bergbaus hinzu12. In den Januar und Februar hinein nahm die Bewegung weiter an Fahrt auf, wobei der 20. Februar mit rund 180.000 streikenden Arbeitern einen Höhepunkt markierte. Jetzt waren die Hauptforderungen klar politisch: Sozialisierung der Betriebe und die Entwaffnung der konterrevolutionären Truppen wie der Freikorps, die zu diesem Zeitpunkt bereits die Novemberrevolution blutig niedergeschlagen und Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet hatten. Die neue Reichsregierung unter Friedrich Ebert (SPD) setzte auf brutale Gewalt gegen die streikenden Arbeiter: Sogenannte Sicherheits- und Bürgerwehren, also Milizen aus extrem reaktionären Bürgern, wurden gemeinsam mit den Freikorps gegen die Arbeiterklasse eingesetzt. Unter dem Druck des von der SPD organisierten weißen Terrors13 wurde der Streik am 21. Februar abgebrochen. Doch das besänftigte die Kräfte der Konterrevolution keineswegs: Die Freikorps marschierten nun erst recht im Ruhrgebiet ein und richteten überall Massaker unter den Arbeitern an – in gleicher Weise agierten Freikorps und reaktionäre militärische Verbände auch an vielen anderen Orten Deutschlands, vor allem in Berlin, wo konterrevolutionäre Truppen unter SPD-Reichswehrminister Gustav Noske ein wahres Blutbad anrichteten und nach manchen Schätzungen mehrere Tausend Arbeiter und Sozialisten abschlachteten, darunter auch den führenden kommunistischen Revolutionär und Mitbegründer der KPD Leo Jogiches, der verhaftet und im Gefängnis ermordet wurde.

Doch selbst der nackte, brutale Terror der Reaktion führte noch nicht dazu, dass der revolutionäre Wille in den Massen verebbte. In München gründeten revolutionäre Arbeiter im April eine Räterepublik. Und auch die internationale Entwicklung befeuerte den revolutionären Aufschwung, denn auch in Ungarn war im März die Ungarische Räterepublik gegründet worden, die sich einige Monate lang hielt, tiefgreifende revolutionäre Maßnahmen durchführte und deren Rote Armee sich anfangs erfolgreich gegen die ausländische Invasion zur Wehr setzte. Diese Entwicklungen befeuerten auch im Ruhrgebiet erneute Arbeitskämpfe, die immerhin erkämpfen konnten, dass unter Tage die Schichten auf siebeneinhalb Stunden begrenzt wurden – gefordert hatten die Arbeiter eine Sechsstundenschicht14.

Als der Kapp-Putsch im März 1920 das Land erschütterte, hatte die Arbeiterklasse des Ruhrgebiets also bereits einen Prozess des politischen Erwachens durchlaufen. Sie war bewusster und kampfbereiter denn je zuvor und hatte die Schrecken des weißen Terrors bereits am eigenen Leib erfahren. Die folgenden Wochen machten nun die Ruhrarbeiter, die lange Zeit politisch hinter der Arbeiterklasse beispielsweise Berlins und Norddeutschlands eher zurückgeblieben waren, für einige Zeit zur Vorhut der gesamten deutschen Arbeiterbewegung.

Die Kräfte der Konterrevolution

Die zwei Hauptkräfte der Konterrevolution in den Monaten und Jahren unmittelbar nach dem Krieg waren unbestreitbar einerseits die monarchistische und frühfaschistische Reaktion, die sich in verschiedenen Parteien, aber vor allem in den Freikorps und der militärischen Führung sammelten – und andrerseits die Sozialdemokratie. Die Zusammenarbeit dieser zwei Kräfte hatte die Novemberrevolution zu Fall gebracht. Sie würde kurz darauf angesichts der Bildung einer Roten Armee im Ruhrgebiet wiederbelebt werden, um das Gleiche erneut zu tun.

Die SPD hatte sich im frühen 20. Jahrhundert zunehmend vom Marxismus, und dabei insbesondere seinen revolutionären Konsequenzen, wegentwickelt. Mit dem Ausbruch des Krieges 1914 und der Unterstützung der SPD für den Krieg war der Bruch vollständig und nicht mehr umkehrbar. Die SPD war nun eine loyale Pseudoopposition des Kaisers und eine wesentliche Stütze, die den Krieg überhaupt möglich machte. Sie war eine Partei, die nun „Regierungsverantwortung“ trug, also den Kapitalismus mitverwaltete. Ihr besonderer Wert lag dabei (im Unterschied zu ihren liberalen Verbündeten DDP und Zentrumspartei) für die herrschende Klasse gerade darin, dass sie trotz ihres durch und durch bürgerlichen Charakters eine enorme Verankerung in der Arbeiterklasse besaß und dadurch als einzige Kraft in der Lage war, die Hinwendung des Proletariats zu den Revolutionären wirksam zu unterlaufen.

Um die brutale „Drecksarbeit“ der Konterrevolution, also den Massenmord an den revolutionären Arbeitern zu erledigen, fehlte der SPD-Führung sicherlich nicht die Bereitschaft, wohl aber eigene Organe. Sie musste daher auf die Freikorps und reaktionären Generäle zurückgreifen.

Was aber waren die Freikorps?

Die Freikorps entstehen aus den reaktionärsten Teilen des Kleinbürgertums, der Studenten und dem Offizierskorps der gewaltigen kaiserlichen Armee des Weltkriegs. Sie betrachteten, anders als die Mehrheit des Volkes und wohl fast alle Frontsoldaten, den „Großen Krieg“ nicht als den unbeschreiblichen Horror, der er war, sondern waren im Gegenteil begeistert über dieses „Stahlgewitter“, wie Ernst Jünger (einer der geistigen Wegbereiter der Nazis und selbst Freikorpsmitglied) es ausdrückte und betrachteten die Kriegsniederlage als unerträgliche Schmach. Die Zahl der Mitglieder dieser Formationen wird auf bis zu 400.000 geschätzt15. Die ideologische Basis der Freikorps war nicht einheitlich, aber überwiegend völkisch-nationalistisch, antisemitisch und vor allem antikommunistisch und getrieben vom Hass auf die Arbeiterklasse. Nicht nur in Deutschland hatten die Freikorps schon 1918 und 1919 tausendfach gemordet, sondern ein Teil von ihnen nahm auch im Baltikum auf Seiten der Weißen Armee am Russischen Bürgerkrieg teil und massakrierte dort das revolutionäre Proletariat und auch sonst jeden und jede, die ihnen über den Weg lief, um die Revolution des Oktober im Blut zu ertränken. Ein Beteiligter an den Verbrechen schrieb: „Wir erschlugen, was uns in die Hände fiel, wir verbrannten, was brennbar war. Wir sahen rot, wir hatten nichts mehr von menschlichen Gefühlen im Herzen. Wo wir gehaust hatten, da stöhnte der Boden unter der Vernichtung“16.

Über die geistige Verfassung und Feindbilder der Freikorps gibt beispielsweise folgendes bakanntes Lied der Marinebrigade Ehrhardt Auskunft:

Hakenkreuz am Stahlhelm,
Schwarz-weiß-rotes Band,
Die Brigade Ehrhardt
Werden wir genannt.

Arbeiter, Arbeiter,
Wie mag es dir ergehn,
Wenn die Brigade Ehrhardt
Wird einst in Waffen stehn.

Hakenkreuz am Stahlhelm,
Schwarz-weiß-rotes Band,
Die Brigade Ehrhardt
Werden wir genannt.

Die Brigade Ehrhardt
Schlägt alles kurz und klein,
Wehe Dir, wehe Dir,
Du Arbeiterschwein17.

Dass verschiedene Freikorps sich seit 1919 das Hakenkreuz zum Symbol wählten, war selbstverständlich kein Zufall, denn dieses war seit langem ein Symbol der völkischen, nationalistischen und antisemitischen extremen Rechten, nicht nur in Deutschland. Doch die Übereinstimmung mit dem späteren deutschen Faschismus war nicht nur symbolisch und ideologisch, sie war auch personell. Mitglieder von Freikorps waren unter anderem: Heinrich Himmler, Freikorps Oberland im Kampf gegen die Münchener Räterepublik, später „Reichsführer SS“ und einer der Hauptverantwortlichen für Holocaust und Vernichtungskrieg. Rudolf Höß (Freikorps Roßbach), später Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz. Ernst Röhm, Freikorps Epp im Kampf gegen die Münchener Räterepublik, wenige Jahre später oberster Führer der SA. Rudolf Heß, Freikorps Epp, beteiligt am Kampf gegen die Münchener Räterepublik, später Stellvertreter Hitlers. Hans Frank, ebenfalls Freikorps Epp, später ranghöchster Jurist des „Dritten Reiches“ und Generalgouverneur Polens, dort Organisator des Holocausts und der Massenmorde auch an nicht-jüdischen Polen sowie deren Versklavung als Zwangsarbeiter. Franz Ritter von Epp selbst, Kommandant des Freikorps Epp, später Reichsstatthalter des Naziregimes in Bayern. Oskar Dirlewanger, Mitglied in verschiedenen Freikorps, später als Offizier der Waffen-SS und in der Partisanenbekämpfung einer der berüchtigtesten Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs. Josef „Sepp“ Dietrich, kämpfte in den Freikorps gegen die Münchener Räterepublik, später als Generaloberst einer der zwei höchsten Generale der Waffen-SS und verantwortlich für den Massenmord an US-amerikanischen Kriegsgefangenen in Belgien. Friedrich August Jeckeln, Freikorpsmitglied, im Zweiten Weltkrieg General der Waffen-SS und Organisator der Massenvernichtung der sowjetischen Juden und anderer Kriegsverbrechen im besetzten Lettland, Weißrussland und der Ukraine. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Adolf Hitler war bei der Niederschlagung der Münchener Räterepublik in München, wurde durch die Freikorps geprägt, die München eroberten und begann, in ihrem Dunstkreis nationalistische und antikommunistische Vorträge zu halten.

Von den Freikorps, mit denen die SPD 1918-1920 eng zusammenarbeitete, führt somit eine direkte und ununterbrochene Linie zur SA, die auf den Straßen der Weimarer Republik Kommunisten und Arbeiter verprügelte und umbrachte, zum faschistischen Staat ab 1933, zum „Unternehmen Barbarossa“, dem Vernichtungskrieg in Osteuropa und zu den Verbrennungsöfen von Auschwitz. Die Freikorps lassen sich somit als frühfaschistische Formationen einschätzen (auch wenn der Begriff Faschismus in Deutschland damals noch nicht verbreitet war), als Bürgerkriegstruppe und Massenbasis für die Teile der Bourgeoisie, die bereits 1918 und in den Folgejahren zu einer offenen terroristischen Diktatur übergehen wollten. Mehr als jede andere Partei war es die SPD, die die Macht dieser Kräfte in den Anfangsjahren der Weimarer Republik stärkte und ihnen dabei half, ihre einzigen ernsthaften Gegner zu bekämpfen. Die Verantwortung der Sozialdemokratie für den Aufstieg des Faschismus kann allein deshalb historisch kaum überbetont werden, gerade weil dieser Zusammenhang von der bürgerlichen (aber auch großen Teilen der „linken“) Geschichtsschreibung totgeschwiegen und verfälscht wird.

Die Freikorps waren zwar die wichtigsten, aber nicht die einzigen paramilitärischen Einheiten der Konterrevolution. Nach der Novemberrevolution hatte der schon erwähnte Waldemar Pabst den Ministern für Reichswehr und Inneres, Gustav Noske und Wolfgang Heine, beide SPD, ein Konzept für eine paramilitärische Polizeieinheit, die sogenannte Sicherheitspolizei (Sipo) vorgelegt. Beide unterstützten die Idee sofort, denn bei der Novemberrevolution hatte sich gezeigt, dass die reguläre Polizei nicht reaktionär genug war und sich geweigert hatte, auf die Arbeiter zu schießen. Mit der Sipo würde so etwas nicht mehr passieren und sie würde auch als Bürgerkriegstruppe im Ruhrgebiet eine bedeutende Rolle spielen.

Neben der Sipo gab es noch die Technische Abteilung bzw. Technische Nothilfe, eine Mischung aus Streikbrecherorganisation und Freikorps, die im Fall großer Streiks den Betrieb zentraler Infrastruktur aufrechterhalten sollte, aber auch als reaktionäre Bürgerkriegstruppe diente.

Dann gab es die sogenannten Einwohnerwehren, die größtenteils aus antikommunistischen Kleinbürgern, Beamten und Offizieren bestanden, bewaffnete Milizen darstellten und bereit standen, um eine proletarische Revolution gewaltsam zu bekämpfen. Ihre politische Ausrichtung war jedoch nicht homogen. Überwiegend gehörten sie der extremen Rechten an, an manchen Orten waren sie aber auch loyal gegenüber der Regierung.

Und schließlich gab es die „Zeitfreiwilligenverbände“. Dabei handelte es sich um eine reaktionäre Milizarmee aus größtenteils monarchistischen oder noch weiter rechts stehenden Kräften, die gebildet wurde, um entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrags im Geheimen eine Untergrundstreitmacht auf Abruf zu unterhalten, insbesondere zur Bekämpfung der revolutionären Arbeiterklasse18.

Mit all diesen mehr oder weniger paramilitärischen und inoffiziellen militärischen Einheiten, die in ihrer überwältigenden Mehrzahl kaisertreu waren oder in etwa der Ideologie der späteren Nazis entsprachen, zusätzlich zur offiziellen Reichswehr, war die Weimarer Republik von vornherein ein durchmilitarisierter Staat mit einem Reservoir von Hunderttausenden inoffiziellen, überwiegend rechtsextremen und auf Rache für den verlorenen Krieg sinnenden Milizionären, was selbstverständlich dem Versailler Vertrag und den Interessen der Entente direkt zuwider lief. Also übten diese Druck auf die deutsche Regierung auf, die inoffizielle Schattenarmee aufzulösen. Es erübrigt sich zu sagen, dass die SPD-Regierung selbst keinerlei Interesse an der Auflösung dieser Truppen hatte, die sie zum Teil mit geschaffen hatte und die ihr so nützlich gewesen waren, um ihren wahren Feind, die Arbeiterklasse niederzumachen. Auf den Druck der Entente hin hatte Noske jedoch keine andere Wahl, als nachzugeben: Die Reichswehr musste nun bis Anfang April 1920 von 500.000 auf 200.000 Mann verringert werden, außerdem wurde die Auflösung der Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligen verlangt. Als ersten zaghaften Schritt verfügte Noske deshalb am 13. Februar 1920 die Auflösung der Freikorps Ehrhardt und Loewenfeld19. Die extreme Rechte in der Reichswehr und den Freikorps war nicht nur keineswegs bereit, diese Anordnung hinzunehmen, sondern trug sich ohnehin seit der Gründung der Republik mit Staatsstreichplänen, da ihnen selbst die „demokratische“ Fassade des reaktionären bürgerlichen Staates noch zuwider war. Der Befehl zur Auflösung der Freikorps bot nun den willkommenen Anlass, um zur Tat zu schreiten.

Der sogenannte Kapp-Putsch und der Abwehrkampf

Der Putsch vom 13. März, den wir der Einfachheit halber auch Kapp-Putsch nennen wollen, wie es üblich ist, obwohl Kapp nur eine der Führungsfiguren war, kam nicht aus heiterem Himmel. Neben dem bereits dargestellten allgemeinen Kontext der gescheiterten Revolution und siegreichen Konterrevolution sind mindestens zwei weitere Ereignisse als Vorläufer zu benennen.

Zu ersten Putschplanungen kam es bereits im Dezember 1918, also wenige Wochen nach Beginn der Novemberrevolution durch den Chef der Obersten Heeresleitung Wilhelm Groener. Groener hatte bereits am 10. November (also 3 Tage nach Ausbruch der Revolution in Kiel) mit Friedrich Ebert ein Bündnis geschlossen (den „Ebert-Groener-Pakt“), über dessen Zweck Groener später angab: „Der Zweck dieses Bündnisses (…) war die restlose Bekämpfung der Revolution“20. Die Revolution, die er als Verschwörung des Weltjudentums betrachtete21, hasste Groener mit derselben Leidenschaft wie Ebert. Angesichts der Stärke der Rätebewegung planten kurze Zeit später Teile des Heeres unter Groeners Führung einen Staatsstreich für den 10. Dezember, um eine Militärdiktatur zu errichten und die Revolution niederschlagen zu können. Führer dieser Militärdiktatur sollte Friedrich Ebert als Reichspräsident werden. Ebert, der über die Putschpläne in Kenntnis gesetzt wurde, unterstützte den Plan zuerst und nahm erst kurz vor der Ausführung Abstand, da der Putsch offensichtlich aussichtslos geworden war22.

Der zweite Vorläufer-Putschversuch wurde im Juli 1919 geführt von Waldemar Pabst, der ein halbes Jahr vorher, im Januar 1919, als Befehlshaber der Garde-Kavallerie-Schützen-Division die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie zahlloser revolutionärer Arbeiter befohlen hatte – bekanntlich in Absprache mit der SPD-Führung. Pabst schlug nun im Juli Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) eine Militärdiktatur mit Noske als Führer vor. Noske wusste aber, dass sich auch die Basis seiner eigenen Partei weitestgehend gegen ihn gewandt hätte und seine Diktatur vermutlich sehr kurzlebig gewesen wäre, weshalb er ablehnte. Aus ähnlichen Gründen hielt auch die Führung des Militärs den Putsch für verfrüht und versagte ihm die Unterstützung. Pabst wollte trotzdem am 21. Juli mithilfe der starken ihm unterstellten Truppe putschen, um eine terroristische Diktatur zu errichten, in der auf alle folgenden Handlungen die Todesstrafe stehen würden: Die Veröffentlichung einer Zeitung, die Teilnahme an Streiks oder „Unruhen“, die Behinderung von Arbeitswilligen, das Verteilen eines Flugblatts oder das Abreißen von Regierungsflugblättern. Der Pabst-Putsch hatte die volle Sympathie der Militärführung, Pabst wurde aber in letzter Sekunde durch die Generäle Maercker und Lüttwitz zurückgepfiffen, die ihn für mangelhaft vorbereitet hielten23.

Beim dritten Anlauf wenige Monate später schließlich machten die reaktionären Militärs ernst: Am frühen Morgen des 13. März 1920 zog die Marinebrigade Ehrhardt unter schwarz-weiß-roter Fahne und mit dem aufgemalten Hakenkreuz am Stahlhelm in Berlin ein und besetzte das Regierungsviertel. Die Regierung Ebert-Bauer konnte von den Putschisten nicht verhaftet werden, weil sie bereits nach Stuttgart geflohen war.

Anlass des Putsches war, dass die Siegermächte des Ersten Weltkriegs auf die Einhaltung der Bedingungen des Versailler Vertrags bestanden, konkret auf der drastischen Verringerung und Abrüstung der deutschen Armee und Auflösung der Freikorps. Dies war für die Militärs, die von einem erneuten Krieg zur Rückeroberung der verlorenen Gebiete träumten, nicht akzeptabel und neben der Absicht zur Vernichtung der Arbeiterbewegung der Grund für den Staatsstreich.

Die Putschisten wurden hauptsächlich geführt von:

  1. Wolfgang Kapp, Generallandschaftsdirektor von Ostpreußen (eine Art Verwaltungschef der Region), der schon 1917 die Deutsche Vaterlandspartei (DVLP) gegründet hatte, eine völkisch-nationalistische und antisemitische Partei, die sich gegen jeden Friedensschluss wendete und als politisch-ideologischer Vorläufer der NSDAP betrachtet werden kann.
  2. General Walther von Lüttwitz, einer der mächtigsten Militärs in Deutschland, der bereits ein Jahr zuvor das Massaker an den revolutionären Arbeitern geleitet hatte.
  3. Der bereits erwähnte Waldemar Pabst
  4. Im Hintergrund stand General Erich Ludendorff, der gemeinsam mit Paul von Hindenburg im Ersten Weltkrieg die Oberste Heeresleitung geleitet hatte, im Wesentlichen alle Elemente der Ideologie der späteren Nazis vertrat und bereits drei Jahre später erneut mit einem damals noch relativ unbekannten Führer der extremen Rechten in München erneut putschen würde – nämlich Adolf Hitler.

Teil der Verschwörer war außerdem Wilhelm Canaris, der spätere Leiter des militärischen Nachrichtendienstes unter Hitler24. Auch Hitler selbst flog umgehend mit dem Flugzeug nach Berlin und bot sich den Putschisten als Propagandaleiter an, woran diese jedoch kein Interesse hatten25.

Es war ein Putsch mit Ankündigung gewesen. In den Tagen vor dem Putsch hatte Lüttwitz bereits vielsagend angekündigt, er werde eine Auflösung der Truppen nicht zulassen. Am 10. März hatte Lüttwitz zunächst mit Ebert und Noske verhandelt und ihnen ein Ultimatum gestellt, eine Diktatur einzurichten mit Ebert und Noske an der Spitze und Lüttwitz als Oberbefehlshaber der Reichswehr, die Auflösung der Freikorps sollte zudem natürlich verhindert werden. Es kam zu keiner Einigung und etwa gleichzeitig erhielt Noske Warnungen, dass bereits ein Putsch vorbereitet würde. Erst jetzt entschied Noske sich, Lüttwitz am 11. März zu „beurlauben“ und unterschrieb Haftbefehle gegen andere Putschisten26. Doch das konnte den Putsch nicht mehr verhindern.

Der Putsch wurde zwar nur von einem kleineren Teil der Militärführung durchgeführt, konnte sich aber auf die Unterstützung oder zumindest Sympathie der gesamten Generalität verlassen. Berühmt geworden sind die Worte von Generaloberst Hans von Seeckt, als Noske ihm bewaffnete Gegenwehr gegen die Putschisten befahl: „Truppe schießt nicht auf Truppe“. Aus dem Militär war fast niemand bereit, zur Verteidigung der Regierung einen Finger zu rühren.

Hinter dem Putsch stand außerdem ein erheblicher Teil des deutschen Monopolkapitals. Als Zentrum der äußersten Reaktion und um den Putsch vorzubereiten war im Herbst 1919 die „Nationale Vereinigung“ geschaffen worden. Mitglieder waren z.B. Alfred Hugenberg, Eigentümer des Hugenberg-Konglomerats mit Unternehmen in Bergbau, Rüstung und Medien und Hugo Stinnes, Kopf des Stinnes-Konzerns, zwei der Spitzen der deutschen Industriemonopole. Verbindungen bestanden auch zu weiteren Monopolen wie der IG Farben und MAN27.

Das neue Regime schritt nun sofort zur Tat und verkündete, wie es Pabst bereits bei seinem vorherigen Putschversuch geplant hatte, die Todesstrafe auf fast Alles.

Ohne Unterstützung im Militär waren Ebert, Bauer und Noske gezwungen, sich auf die einzige starke Kraft zu stützen, die zum Widerstand gegen die entstehende terroristische Herrschaft bereit war: Die organisierte Arbeiterklasse. Deshalb rief sie zum Generalstreik auf, um ihre Haut zu retten (was sie gegenüber Militärs, die nicht direkt am Putsch beteiligt waren, aber im Generalstreik eine Todsünde sahen, aber sofort leugneten28). Andere SPD-Führer leisteten hingegen gar keinen Widerstand und kollaborierten mit den Putschisten, so z.B. August Winnig (ein späterer Nazi), sowie die sozialdemokratischen Polizeipräsidenten von Berlin und Breslau Eugen Ernst und Friedrich Vogt, die trotz des Putsches im Amt blieben29. Die bayrische SPD akzeptierte den Putsch30, der sich dort darin äußerte, dass Gustav Ritter von Kahr als Ministerpräsident Bayerns eine lokale rechtsradikale Diktatur errichtete, und leistete keinerlei Widerstand. Auch als der Kapp-Putsch wenige Tage später zusammenbrach, blieb Kahr an der Macht und baute Bayern zur „Ordnungszelle“ aus, wie es hieß, d.h. zu einem sicheren Hafen für die gesamte extreme Rechte, einschließlich der NSDAP und der rechtsterroristischen Organisation Consul. Bayern war damit, auch dank der SPD, der einzige Teil Deutschlands, wo der Kapp-Putsch erfolgreich blieb und die bürgerliche Demokratie schon 1920 im Wesentlichen abgeschafft wurde31.

Der Generalstreik, zu dem nun auch der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltengewerkschaften, die USPD und (nach kurzem Zögern) die KPD aufriefen, war ein spektakulärer Erfolg. Mindestens 12 Millionen traten in den Streik, was ihn zum größten der deutschen Geschichte macht32.

Der Streik wurde begleitet von massenhaftem Protest der Arbeiterklasse an vielen Orten des Reiches. Die Putschisten und sie unterstütztendes Militär und Freikorps gingen sofort mit äußerster Brutalität gegen die Protestierenden vor. In Berlin kam es an verschiedenen Orten schon am 13. März zu vielen Toten und Verwundeten, als die Brigade Ehrhardt mehrfach ohne Vorwarnung das Feuer auf Demonstranten eröffnete. In Leipzig richtete ein Zeitfreiwilligenregiment ein Massaker mit 40 Toten an, in Dresden schlachtete die Reichswehr mit Genehmigung der SPD-geführten sächsischen Regierung ungefähr 60 Menschen ab und verwunderte Hunderte weitere. Massaker gab es zudem in Potsdam, Gera, Halle und Cottbus. In Gotha kam es zu Gefechten, die die Arbeiter für sich entschieden, woraufhin die Putschisten vorgaben, sich zu ergeben – als die Arbeiter sich dann näherten, um die Truppen gefangen zu nehmen, wurden 90 von ihnen ermordet33. Gietinger gibt die Zahl der Toten allein in den ersten Putschtagen mit etwa 250 an, wovon die meisten unbewaffnete Demonstranten waren, die von Reichswehr, Freikorps und den anderen paramilitärischen Verbänden ermordet wurden34. All dies reichte nicht aus, um den Widerstand zu brechen. In vielen Städten des Reiches begannen die Arbeiter, sich selbst zu bewaffnen, z.B. durch Beschlagnahme von Waffen aus gestürmten Polizeistationen, sie entwaffneten putschistische Militäreinheiten und nahmen Feuergefechte mit dem Militär auf.

Der Schwerpunkt des Abwehrkampfes lag, abgesehen vom Ruhrgebiet, um das es an späterer Stelle ausführlicher gehen wird, im damaligen Mittel- und Ostdeutschland (d.h. im heutigen Ostdeutschland). In Sachsen kam es in allen größeren Städten zur Selbstbewaffnung des Proletariats und teilweise zur Entwaffnung der Reichswehr und Sipo. Zu einem Zentrum des Widerstands wurde Chemnitz mit seiner starken KPD, wo ein Aktionsausschuss aus SPD, KPD und USPD die politische Macht übernahm und Räte gebildet wurden. In Leipzig kam es nach dem Massaker der Reichswehr zu größeren Barrikadenkämpfen und die konterrevolutionären Truppen wurden von Arbeitermilizen in der Innenstadt eingekesselt. Obwohl überall die Reaktion von den bewaffneten Arbeitern in die Defensive gedrängt wurde, nahmen Vertreter der SPD und USPD aus Dresden am 17. März Waffenstillstandsverhandlungen auf und unterschrieben im Namen ihrer kämpfenden Basis praktisch eine völlige Kapitulation. In Magdeburg liefen Teile der Armee zu den Arbeitern über und versorgten sie mit Waffen. In Halle kam es zu schweren Kämpfen mit der Reichswehr. In Cottbus wurde eine Rote Garde mit 3000 Mann gebildet.

Auch in Thüringen war der Widerstand stark. In Gera wurden Freikorpstruppen überwältigt und entwaffnet, auf dem Land wurden zwei Reichswehrbataillone von etwa 2000 bewaffneten Arbeitern eingeschlossen und mussten sich ergeben. In Weimar wurden Einwohnerwehren und Sipo entwaffnet, in Suhl eine Reichswehreinheit zur Kapitulation gezwungen. Es wurde eine Thüringer Volkswehrarmee mit 5000 bewaffneten Kämpfern gebildet, die von einem USPD-Mann geführt wurde. Auch in den ländlichen Regionen Mecklenburgs, Pommerns und Schlesiens kam es zu massenhaftem Widerstand, an dem sich – was neu war – auch viele Zehntausende Landarbeiter beteiligten.

Schließlich erlitten die Putschisten auch in Norddeutschland, vor allem in Kiel und Hamburg Niederlagen gegen die Arbeitermilizen. Massaker der Reichswehr und Widerstand der Arbeiterklasse gab es in größerem Maße außerdem in Hessen und Bayern, wobei in Bayern die Reaktion, noch als Folge der Niederlage der Münchener Räterepublik im Vorjahr, die Oberhand behielt35.

Der Putsch stieß somit bereits in den ersten Tagen auf unüberwindliche Hindernisse. Der faktische Machtbereich des Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Regimes begrenzte sich abgesehen von Bayern im Wesentlichen auf Berlin, wo die militärische Überlegenheit der Reaktion zu erdrückend war, als dass die sehr kämpferische Arbeiterklasse der Hauptstadt ihr die Herrschaft hätte streitig machen können. Doch selbst hier bildeten sich Aktionsausschüsse gegen den Putsch und Arbeiter bewaffneten sich36. Im Ruhrgebiet schließlich bildete sich eine Rote Armee, die zur Gefahr für den Fortbestand des bürgerlichen Systems an sich zu werden drohte. Neben den militärischen Niederlagen der putschenden Truppen an den meisten Orten machte der Generalstreik dem Putsch schwer zu schaffen, da sowohl Eisenbahn als auch Kommunikation lahmgelegt waren.

Unter diesen Bedingungen war die Fortsetzung des Putsches unmöglich bzw. hätte möglicherweise in der proletarischen Revolution geendet, zumal es nicht auszuschließen war, dass sich auch in Mittel- und Ostdeutschland wie an der Ruhr eine Rote Armee bilden könnte. Die Sicherheitspolizei entzog den Putschisten am 17. März die Unterstützung, woraufhin Kapp zurücktrat und die Regierungsgeschäfte an Lüttwitz übergab, bevor dieser von seinen Offizieren ebenfalls zum Aufgeben gezwungen wurde37. Die Führer des Putsches flohen unter den Schutz der konterrevolutionären Diktatur Horthys in Ungarn, nach Österreich, Polen oder Schweden. Hermann Ehrhardt kehrte bald nach Bayern zurück, um dort unter dem Schutz der Behörden die rechtsterroristische Organisation Consul aufzubauen, die für zahlreiche Mordanschläge in der Weimarer Republik verantwortlich war.

Der erste Versuch einer faschistischen Machtübernahme war somit am Widerstand der Arbeiterklasse gescheitert, doch die herrschende Klasse würde aus dem Debakel ihre Lehren ziehen. Nur ein einziger Putschist (Traugott von Jagow) wurde strafrechtlich verfolgt, weil er sich der Polizei gestellt hatte, aber nur mit einer lächerlich geringen Gefängnisstrafe belegt. Sofern sie nicht zu den unmittelbaren Rädelsführern gehörte, blieb die militärische Führung, obwohl sie den Putsch unterstützt hatte, im Amt. Hans von Seeckt, der sich geweigert hatte, den Putschisten Widerstand zu leisten, wurde zum neuen Chef der Heeresleitung ernannt. Admiral Adolf von Trotha, der Oberbefehlshaber der Marine, hatte zwar den Putsch bedingungslos unterstützt, blieb aber im Amt38.

Sofort nach dem Ende des Putsches wurden die Freikorps, einschließlich derer, die den Putsch angeführt hatten, von der wieder eingesetzten „rechtmäßigen Regierung“ (also SPD, DDP und Zentrum) gegen die streikenden Arbeiter eingesetzt. Die Brigade Ehrhardt mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm, die Speerspitze des Kapp-Putsches, wurde bereits am 18. März (also einen Tag nach den Rücktritten von Kapp und Lüttwitz) von Seeckt in Berlin eingesetzt und mit Soldzulagen belohnt. Gemeinsam mit Reichswehrtruppen richteten sie mit Rückendeckung der SPD und ihrer Koalitionspartner tagelang hemmungslos ein Blutbad an und richteten massenhaft Arbeiter hin, darunter auch Teenager. Allein in Berlin starben 200 Menschen infolge des Putsches39.

Die Rote Ruhrarmee

Doch noch konnte von einer Stabilisierung des bürgerlichen Systems keine Rede sein. Im Ruhrgebiet hatte der Putsch etwas erweckt, was der gesamten Bourgeoisie – unabhängig von ihrer Haltung zum Putsch bzw. der Verfassung – einen tiefen Schrecken einjagte. Nicht nur rote Milizen wurden hier aufgestellt, sondern es entstand eine Rote Armee, die innerhalb kurzer Zeit das gesamte Ruhrgebiet unter ihre Kontrolle brachte. Doch beginnen wir von vorn:

Die ersten Tage: Zerschlagung des Freikorps Lichtschlag und Sieg im Bergischen Land

Als die Nachricht vom Putsch das Ruhrgebiet erreichte, wurden überall Aktionsausschüsse gegründet. Die verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung – neben KPD, USPD und SPD gab es auch syndikalistische und „linkskommunistische“ Kräfte, die vor allem im westlichen Ruhrgebiet stark waren – arbeiteten an manchen Orten zusammen, an anderen nicht oder nur teilweise, was hauptsächlich von der Haltung der örtlichen SPD-Führung und -Basis abhing40.

Das Reichswehrkommando für die Region, das in Münster bei General Oskar Freiherr von Watter lag, reagierte sofort und ließ das Freikorps Lichtschlag (das schon 1919 schwere Massaker im Ruhrgebiet angerichtet hatte) Richtung der kleinen Stadt Wetter im Ruhrgebiet in Marsch setzen. Watter hatte sich, wie viele Generäle, nicht eindeutig zum Putsch positioniert, sondern für eine abwartende Haltung entschieden. Dass er eigentlich auf der Seite von Kapp und Lüttwitz stand, war aber wohl ein offenes Geheimnis.

Auch Carl Severing (SPD), Staatskommissar der Reichsregierung für den Bereich Münster (einige Tage später auch preußischer Innenminister und am 1. Mai 1929 verantwortlich für das Massaker an Dutzenden Zivilisten in Berlin) sah schon am 15. März, also noch mitten im Kapp-Putsch, den Hauptfeind in den streikenden Arbeitern und beschloss, dass Truppen ins Ruhrgebiet geschickt werden müssten. Die SPD-Führung arbeitete also bereits während des Putsches mit den Putschisten gegen diejenigen zusammen, die gegen die Putschisten kämpften. Severing ordnete zudem die Verbreitung eines Flugblattes an, in dem gelogen wurde, die putschistischen Freikorps, die ins Ruhrgebiet geschickt wurden, stünden „unbedingt auf dem Boden der alten Regierung“41

Die 1. Abteilung des Freikorps Lichtschlag hatte einige Mühe, nach Wetter zu kommen, da die Bahnarbeiter sie nicht transportieren wollten und auf dem Weg andere Arbeiter die Schienen zerstört und bereits eine Kompanie des Freikorps festgesetzt und entwaffnet hatten. Als die Abteilung schließlich doch in Wetter eintraf, verhandelten die dortigen Arbeiter und der liberale Bürgermeister Cuno (DDP) mit ihnen und forderte sie zum Rückzug auf. Von den Freikorpssoldaten, die mit der Lüge mobilisiert worden waren, im Ruhrgebiet sei eine Räterepublik ausgerufen worden, liefen einige nun zu den Arbeitern über. Der Rest weigerte sich jedoch, abzuziehen und so stürmten 1500 bewaffnete Arbeiter den Bahnhof, besiegten die reaktionären Truppen und neutralisierten im Kampf auch deren Hauptmann Hasenclever42. Die moralische Wirkung dieses ersten Sieges der Ruhrarbeiter sowie die zahlreichen erbeuteten Waffen (einschließlich Artillerie) gaben der Bewegung nun Auftrieb.

Eine zweite Abteilung des Freikorps Lichtschlag wurde in Herdecke (zwischen Dortmund, Hagen und Witten) von etwa 6000 bewaffneten Arbeitern gestellt und eingekesselt. Die dritte Abteilung war in Dortmund angekommen und die dortige SPD-Führung versuchte alles, um die Freikorpstruppen unbehelligt durch Dortmund zu schleusen und Gegenmaßnahmen der Arbeiter (darunter viele SPD-Mitglieder) zu vereiteln. Auf einem SPD-Flugblatt wurde die Lüge verbreitet, wonach die Freikorps gegen den Putsch seien. Viele sozialdemokratische Arbeiter erkannten nun, dass ihre Führung mit den Putschisten zusammenarbeitete und gingen zum Protest auf die Straße. Auch die Dortmunder Arbeiter nahmen die Sache nun in die eigene Hand: Etwa 12.000 Arbeiter unter Waffen griffen an und zerschlugen die zahlenmäßig unterlegene Freikorps-Abteilung43.

Gleichzeitig wurde eine weitere Militäreinheit Watters, die Paderborner Husaren, in Kamen aufgerieben. Zunächst wurde sie von der Einwohnerwehr gestoppt, die anders als sonst fast überall von SPD-Anhängern kontrolliert war, bevor 2000 bewaffnete Arbeiter die Truppe umzingelten und zur Aufgabe zwangen44.

In Elberfeld und Barmen, heute beides Stadtteile von Wuppertal, marschierten am 15. März die Sicherheitspolizei und Freikorps ein und errichteten ihre Schreckensherrschaft. Sipo, Freikorps und auch die reguläre Polizei massakrierten zahlreiche Demonstranten, warfen Handgranaten in Wohngebäude und ermordeten auch wahllos ganz unbeteiligte Zivilisten. Arbeiter stürmten als Reaktion das Polizeipräsidium und übernahmen die Waffen (was sogar vom Oberbürgermeister gebilligt wurde). Mit diesen Waffen, außerdem mit Artillerie ausgerüstet und verstärkt durch herbeiströmende Arbeiter aus den Nachbarstädten eroberten die Arbeiter Elberfeld und zwangen die Freikorpstruppen zur Flucht. Watter befahl nun angesichts des für die Reaktion negativen militärischen Kräfteverhältnisses den Rückzug aus dem Bergischen Land, aber der Kommandant der Truppen vor Ort zog sich lediglich nach Remscheid (im Bergischen Land) zurück, um dort die „Entscheidungsschlacht“ zu suchen. Und die bekam er: Die Arbeiter organisierten sich nun immer besser und hatten erstmalig eine Kampfleitung gebildet und eine zentrale Koordination des Widerstands, die in Hagen ansässig war. Mit einer erdrückenden Übermacht von 20.000 Kämpfern stürmten die Arbeitermilizen Remscheid und zwangen die etwa 1000 Soldaten, ins britisch besetzte Köln zu fliehen. Die britischen Behörden nahmen sie dort fest und internierten sie, womit sie für den Kampf im Ruhrgebiet vorerst neutralisiert waren45. Auch in Elberfeld und Remscheid hatte die Arbeiterklasse nun in militärischer Hinsicht die Macht und hatte viele Infanteriewaffen und Artillerie erobert, die sie für die kommenden Kämpfe auch dringend brauchen würde.

Es lässt sich also zusammenfassen, dass die anfänglichen Versuche der Reaktion, die streikenden Ruhrarbeiter niederzuschlagen, in einem vollendeten Desaster für die Reichswehr und Freikorps endeten.

Aus losen Gruppen wächst eine Armee

Auch nach dem Ende des Putsches ging der Generalstreik weiter, da ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund), AfA (Allgemeiner freier Angestelltenbund) und Beamtenbund weiterhin auf die Erfüllung ihrer Forderungen warteten. Im Ruhrgebiet formierten sich die losen Gruppen bewaffneter Arbeiter immer mehr zu einer organisierten Armee, die sich zum Ziel gesetzt hatte, alle Truppen der Reaktion zu entwaffnen46.

Der Zentralrat in Hagen versuchte eine politische Führung der Bewegung zu sein, indem er die Räte der anderen Städte koordinierte. Eine Räterepublik wie in München oder Ungarn war das Ruhrgebiet aber nicht. Die bürgerlichen staatlichen Behörden wurden nicht zerschlagen, sondern lediglich der Kontrolle der Räte unterstellt, die sich damit im Wesentlichen darauf konzentrierten, den militärischen Widerstand zu organisieren und das tägliche Leben sowie eine Grundversorgung der Bevölkerung am Laufen zu halten. Nur punktuell, in Dortmund und Mülheim, wurden auch Fabrikräte gegründet, um die Betriebe zu kontrollieren. Enteignungen der Kapitalisten wurden im Allgemeinen nicht vorgenommen47.

Die Rote Ruhrarmee wurde teilweise aus Mülheim, teilweise aus Hagen kontrolliert. Da es sich um eine spontan und von unten gebildete Freiwilligenarmee handelte, entstand in der kurzen Zeit ihrer Existenz keine ganz feste Kommandostruktur, aber doch ein funktionierendes System aus Zügen und Kompanien mit ihren Kampfleitungen. Die Kompanien waren sehr unterschiedlich groß, im Durchschnitt 70 Mann, und oft nach sozialistischen Führern wie Luxemburg, Liebknecht, Kurt Eisner oder August Bebel benannt.

Die Rote Armee bestand ausschließlich aus (meist jungen) Männern, die in ihrer Mehrzahl Bergarbeiter waren, aber natürlich auch Arbeiter anderer Branchen und einige kleine Handwerker in ihren Reihen zählten. Frauen waren zwar zur Armee nicht zugelassen, unterstützten aber trotzdem massenhaft als Krankenschwestern oder in anderen Funktionen den Kampf. Auch Arbeitsmigranten aus Polen und Kriegsgefangene aus Russland, die immer noch nicht in ihre Heimat entlassen wurden, beteiligten sich in größeren Zahlen am Kampf. Insgesamt betrug die Stärke der Roten Ruhrarmee nach unterschiedlichen Schätzungen mindestens 50.000, möglicherweise aber bis zu 100.000 Kämpfer48.

Beim Beitritt zur Roten Armee wurde folgender Eid geschworen: „Ich schwöre auf das Programm der revolutionären Arbeiterschaft, dass ich die hohen heiligen Ideale für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit meinem Herzblut erkämpfen will. Die mir vorgelesenen Paragraphen des Reglements sollen mir stets als Richtschnur meines Handelns dienen. Es lebe der Sozialismus! Menschenrecht wer Menschenantlitz trägt!“49.

Die Rote Ruhrarmee unterteilte sich in drei Abteilungen: Im Süden im Bergischen Land, im Norden, wo gegen den Sitz der Reichswehr in Münster vorgegangen werden sollte, und im Westen, um das westliche Ruhrgebiet zu erobern. Im Süden kam es vorerst nach den Gefechten um Elberfeld und Remscheid zu keinen größeren Kampfhandlungen mehr. Die Nordabteilung marschierte in Richtung Münster und nahm mit geringem Widerstand Unna, Hamm, Kamen, Lüdinghausen und Lünen ein. Entlang der Lippe, die etwa parallel zur Ruhr durch Hamm, Lünen, Haltern, Dorsten und Wesel verläuft, bildete sich eine zusammenhängende nördliche Frontlinie heraus, wobei die Lippe aber auch übertreten wurde und die Rote Ruhrarmee bis 7 km vor Münster kam. Für einen Sturm auf die Stadt, in der die Freikorps starke Kräfte konzentriert hatten, reichte die Stärke allerdings nicht50. Die Rote Armee belagerte von Süden her außerdem das zur Festung ausgebaute Wesel, schaffte aber auch hier keinen Sturm auf die Stadt.

Im westlichen Ruhrgebiet herrschte nach dem Putsch zunächst noch der Terror der Reaktion. General Ernst Kabisch befehligte dort die Regimenter 61 und 62 der Reichswehr und das Freikorps Schulz. In Heiligenhaus, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen und Werden wurden Demonstrierende und Unbeteiligte erschossen, in Duisburg stürmte die Reichswehr die Stahlwerke und richtete am 17. März an einer Demonstration der KPD ein Blutbad mit 19 Toten an. Auch in Essen und Gelsenkirchen wurden Arbeiter ermordet.

Ab dem 17. März begann die Rote Ruhrarmee jedoch ihre Offensive zur Befreiung des westlichen Ruhrgebiets, die ein voller Erfolg wurde. Zuerst vertrieben rote Arbeiter die Sicherheitspolizei aus Wattenscheid und Gelsenkirchen, die sich nach Essen zurückzog und dort die Polizei und Einwohnerwehr verstärkte, womit die Reaktion in Essen insgesamt über etwa 1000 Bewaffnete verfügte. Die Rote Ruhrarmee führte mit der Eisenbahn weitere Kräfte aus Dortmund und Hagen für den Sturm auf Essen heran. In Essen hatten SPD, DDP und Zentrum die Kontrolle und schafften es, die Bevölkerung von allen Informationen der Außenwelt abzuschirmen, sodass nicht einmal die Essener KPD Bescheid wusste, dass die Genossen vor den Toren der Stadt standen. Nach Gefechten, die viele Stunden andauerten, verhandelte die Sipo schließlich mit der Roten Ruhrarmee und musste schließlich, als die Lage für sie aussichtslos wurde, aufgeben. Bedauerlicherweise wurde ihr der Abzug erlaubt, auch wenn sie die meisten Waffen zurückließ. Es kam noch zu einem Gefecht am Essener Wasserturm, da die dortige Sipo und Einwohnerwehr von der Kapitulation ihrer Kameraden anscheinend nichts wusste und sich weigerte, den Turm zu räumen. Danach hatte die Rote Ruhrarmee Essen unter Kontrolle und ein Arbeiterrat mit Vertretern aus den Betrieben übte die vollziehende Gewalt aus. Die verbliebenen Reichswehrgarnisonen in Duisburg, Düsseldorf, Mülheim und Hamborn waren nun absehbar nicht mehr zu halten. Nach der Befreiung von Essen und Remscheid musste General Kabisch den völligen Abzug seiner Truppen aus dem Ruhrgebiet befehlen. Mülheim, Hamborn, Duisburg und Düsseldorf fielen an die Rote Armee, die am 20. März das gesamte Ruhrgebiet, Düsseldorf und das Bergische Land kontrollierte51.

Die Gegenoffensive der Konterrevolution

Doch die Konterrevolution bereitete bereits den Gegenschlag vor. Watter stellte in einem Geheimbefehl fest, dass „wir es jetzt auf der Gegenseite mit einer gut organisierten, gut bewaffneten und gut geführten Truppe zu tun haben“ und gab seinen Truppen den Befehl zum Massenmord: Gefangene seien nicht zu machen, es seien „überall“ Standgerichte zu bilden, deren Urteil nur auf Todesstrafe lauten konnte52.

Die sozialdemokratische Führung wusste aber, dass es mit Gewalt alleine sehr schwierig werden würde, den Aufstand im Ruhrgebiet niederzuschlagen. Dazu war die Rote Ruhrarmee zu groß, zu gut bewaffnet und konnte sich auf den Großteil der Arbeiterschaft stützen. Zudem wäre ein Bürgerkrieg, der länger als ein paar Wochen dauert, mit großen Risiken für die herrschende Klasse verbunden gewesen, schließlich war man gerade nur knapp einem größeren proletarischen Aufstand in anderen Landesteilen entronnen. Die Regierung setzte daher an den zwei größten Schwächen der Roten Ruhrarmee an: Der Knappheit an Nahrungsmitteln, indem sie Lebensmittellieferungen von außerhalb unterband; und dem Fehlen einer einheitlichen, ideologisch standfesten und erfahrenen politischen Führung.

Severing erarbeitete deshalb einen Plan zur Spaltung und Schwächung der Roten Ruhrarmee. Er rief am 21. März die Koordinationszentrale der Arbeiter in Hagen dazu auf, den Streik abzubrechen und die Waffen abzugeben – erst dann werde es wieder Lebensmittellieferungen ins Ruhrgebiet geben. Und er lud die Arbeitervertreter zur Konferenz nach Bielefeld ein, um über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Severing wusste genau, dass solche Verhandlungen einen Keil zwischen die verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung treiben würden. Und so kam es auch: Nur ein Teil der Räte aus dem Ruhrgebiet schickte seine Vertreter am 23. März nach Bielefeld, während die aus Dortmund und dem westlichen Ruhrgebiet (Oberhausen, Mülheim und Duisburg), wo linksradikale Kräfte dominierten, fehlten. Die ultralinken Strömungen (Syndikalisten und „Linkskommunisten“) beteiligten sich nicht an der Konferenz, Vertreter der Roten Armee auch nicht. Anwesend waren Vertreter der SPD und USPD, der KPD und außerdem sogar der DDP und der Zentrumspartei aus Hagen, obwohl diese nur ganz am Anfang Mitglieder des Aktionsausschusses gewesen waren. DDR-Historikern zufolge handelten die KPD-Vertreter jedoch ohne entsprechenden Auftrag ihrer Partei, wofür sie später eine Rüge erhielten53. Die Vertreter der Regierung und der Ruhrarbeiter einigten sich schließlich am 24. März auf ein Waffenstillstandsabkommen: Die Rote Armee sollte sich südlich hinter die Lippe zurückziehen, sofort ihre Waffen und Munition abgeben und alle Gefangenen freilassen. Im Gegenzug versprachen die Regierungsvertreter den Gewerkschaften entscheidenden Einfluss auf die neu zu bildende Reichsregierung, die Aufhebung des Ausnahmezustands, neue Sozialgesetze, die „Sozialisierung“ (Verstaatlichung) der dafür „reifen“ Betriebe, die Auflösung der putschenden Freikorps, die Bestrafung der Putschisten, die Aufstellung von Ortswehren aus organisierten Arbeitern, Angestellten, Beamten und „republikanischer“ (also regierungstreuer) Bevölkerung. Und vor allem sollte die Reichswehr nicht in das Ruhrgebiet einmarschieren dürfen54.

Das Abkommen war von der ersten Minute an das Papier nicht wert, auf das es geschrieben war. Die Freikorps unter Watter handelten so, als gäbe es keinen Waffenstillstand und keine Zusage, auf den Einmarsch ins Ruhrgebiet zu verzichten und rückten weiter vor.

Die Zentrale in Hagen löste sich am 25. März auf, aber auf Initiative der KPD wurde in Essen nun ein Zentralrat gewählt, dem 10 USPD-, 7 KPD- und 1 SPD-Vertreter angehörten. Der Zentralrat sollte anders als bisher auch eine politische Gesamtleitung für das Ruhrgebiet bilden und der militärischen Leitung übergeordnet sein55. Auch dieser war aber keine überall anerkannte Führung der Roten Armee. Als der Zentralrat erneut verhandeln wollte, um von der Regierung die Einhaltung der Zugeständnisse einzufordern und dafür am 27. März die vorläufige Einstellung der Kämpfe beschließt, bestand die Kampfleitung in Mülheim darauf, den Kampf fortzusetzen56. Doch die neue Regierung unter Reichskanzler Müller (SPD) war ohnehin nicht mehr verhandlungsbereit, weil angeblich die Rote Ruhrarmee sich nicht an das Abkommen gehalten habe. Das war offensichtlich eine sehr verdrehte Interpretation der Lage, da es gar keine einheitliche zentrale Leitung der Roten Ruhrarmee gab und der größere Teil der Führung sehr wohl daran arbeitete, das Abkommen umzusetzen. Nun formulierte die Regierung am 28. März ein scharfes Ultimatum zur sofortigen Auflösung und Entwaffnung der Roten Armee, das Watter noch verschärfte, indem er die Frist für die Waffenabgabe und Auflösung der Räte auf den 31. März festlegte, was praktisch nicht erfüllbar war und es auch sein sollte. Der Zentralrat in Essen und die Räte in den einzelnen Städten beschlossen nun die Wiederaufnahme des Generalstreiks als Reaktion auf das Ultimatum und begannen, die Demobilisierung der Roten Armee umzukehren. Am 30. März, also sogar noch einen Tag vor Ablauf von Watters Ultimatum beschloss die Regierung aus SPD, DDP und Zentrum den endgültigen Bruch des Bielefelder „Abkommens“ und befahl den Einmarsch der Freikorps, wobei General Watter freie Hand zugesichert wurde. Die Gewerkschaften in Berlin intervenierten nun und schafften es, durch Vermittlung zwischen dem Essener Zentralrat und der Regierung die Frist um zwei Tage zu verlängern. Dies interessierte Watter und seine Freikorps jedoch nicht, die den Einmarsch fortsetzten und damit begannen, gefangene Arbeiter zu ermorden.

Karl Grünberg schreibt in seinem Roman „Brennende Ruhr“: „Jetzt war es ganz klar, daß man durch die Verhandlungen in eine Falle geraten war. Das Militär pfiff auf alle Vereinbarungen, schuf sich seine eigenen Bestimmungen. Selbst wenn die Arbeiterschaft einmütig des unterwürfigsten Geistes gewesen wäre, könnten diese Bedingungen nicht erfüllt werden, weil es schon rein technisch gar nicht möglich war. Das Militär stellte absichtlich solche wahnsinnigen Forderungen, um bei ihrer Nichterfüllung einen Vorwand zu gewaltsamem Einmarsch und blutiger Rache zu haben“57. Severing schätzte ein, das Bielefelder Abkommen habe in der Roten Armee „wie Sprengpulver“ gewirkt, und das war auch sein Zweck: Die linksradikale militärische Leitung in Mülheim lehnte das Abkommen ab und erklärte, lieber untergehen zu wollen, als den Kampf einzustellen, während die von rechten USPD-Führern dominierte Zentrale in Hagen es fernab der Realität als großen Sieg über die Reaktion feierte58.

Aber Severing, inzwischen auch preußischer Innenminister, hatte sein Spiel noch nicht ausgespielt. Er berief am 31. März eine neue Konferenz zur Verhandlung ein, dieses Mal in der Reichswehrzentrale Münster. Vertreter der Räte und Parteien aus dem Ruhrgebiet reisten zu den Verhandlungen, darunter auch Adolf Meinberg von der KPD aus Dortmund, einer der bekanntesten Arbeiterführer im Ruhrgebiet. Meinberg wurde auf der Anreise von Freikorps gefangen genommen, die ihn erschießen wollten. Das ging sogar Severing zu weit bzw. lief seiner Absicht zur Irreführung und Lähmung der Roten Armee entgegen, weshalb er einschritt, um den Mord zu verhindern. Auf der Konferenz von Münster wurde das Bielefelder Abkommen bestätigt und Watter sicherte zu, erst am 2. April einzumarschieren – was keinerlei Bedeutung hatte, da seine Freikorps von der Regierung ungehindert weiter vorrückten und mordeten. Aber bereits am Tag der Konferenz von Münster, also am 31. März, bereitete Severing den Einmarsch der Freikorps in die demilitarisierte Zone vor, die laut Versailler Vertrag zwischen dem französisch-britisch besetzten Rheinland und dem Deutschen Reich bestand59. Der Einmarsch folgte am nächsten Tag (allerdings war das Freikorps Faupel bereits am 31. März ins Ruhrgebiet eingedrungen60). Dieser Bruch des Versailler Vertrags musste zur Besetzung weiterer deutscher Städte durch die Entente führen und tat es auch61. Aber diesen Preis war die Regierung bereit zu zahlen, um den roten Arbeitern im Ruhrgebiet die Luft so weit wie möglich abzuschneiden. Als am 1. und 2. April die Einheiten der Roten Armee ihre Stellungen verließen, um das Ultimatum einzuhalten, wurden sie von den konterrevolutionären Truppen auf dem Rückzug angegriffen und dezimiert62.

Das Abkommen von Münster war wie das von Bielefeld nur eine Finte der Regierung gewesen, um die Rote Armee hinzuhalten, in illusorische Hoffnungen einzuwickeln und vom entschlossenen Widerstand abzuhalten. In Wirklichkeit wollten Regierung und SPD-Führung mit einem erneuten Blutbad ein Exempel statuieren, um der Arbeiterklasse den Kampfgeist auszutreiben und um zu verhindern, dass sie irgendeine der vereinbarten Forderungen der Ruhrarbeiter umsetzen müssten. Sie entschieden sich bewusst dagegen, einfach die Demobilisierung der Roten Armee abzuwarten; sie entschieden sich bewusst für den faschistischen Terror.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Rote Ruhrarmee endgültig in der Auflösung, am 2. April floh der Essener Zentralrat nach Barmen und die Arbeiter leisteten einen unkoordinierten Widerstand gegen die vorrückenden Freikorps und Reichswehreinheiten. Am selben Tag, aber noch fünf Stunden vor Ablauf von Watters Ultimatum stürmte die Reichswehr Dinslaken und massakrierte dort Hunderte Arbeiter. Auch einige Frauen, die angeblich für die Rote Armee Kartoffeln geschält oder als Krankenschwestern gearbeitet hatten, wurden erschossen.

Am 3. April bestätigte die Regierung erneut, dass die Reichswehr volle Handlungsfreiheit im Ruhrgebiet habe. Die Regierung war dabei voll und ganz über die Gräueltaten der reaktionären Truppen informiert, was zu keiner Kursänderung führte. Lediglich wurde am 4. April beschlossen, dass die Todesurteile der Standgerichte, zu denen es in diesen Tagen massenhaft kam, nicht mehr sofort vollstreckt, sondern an ein Kriegsgericht übermittelt werden sollten. Auch dieser Beschluss hinderte Freikorps und Reichswehr nicht daran, gefangene Arbeiter hundertfach mit oder ohne Standgericht sofort zu ermorden. Tausende Rotarmisten flohen nun in die von der Entente besetzten Gebiete, in denen sie zwar verhaftet, aber nicht ermordet wurden. Am 6./7. April rückten Freikorps in Dortmund, Essen, Mülheim und Dortmund ein, am 8. April war das gesamte Ruhrgebiet nördlich der Ruhr unter der Kontrolle der Reaktion63.

Die Rote Ruhrarmee war Geschichte. Die Arbeiterklasse des Ruhrgebiets hatte ihren bisher größten und heroischsten Kampf geführt und trotz spektakulärer Siege in den ersten Tagen verloren. Ihre Niederlage bezahlte sie mit Strömen von Blut. Und es erübrigt sich wohl zu sagen, dass die SPD-DDP-Zentrum-Regierung, nachdem sie das Waffenstillstandsabkommen durch den Reichswehreinmarsch in der Luft zerrissen hatte, auch keinen einzigen der anderen Punkte (wie bereits gesagt wurde, nicht einmal die Bestrafung der Putschisten) in die Tat umsetzte.

Was nun über den Ruhrpott hereinbrach war der nackte, enthemmte, barbarische Terror der faschistischen Reaktion. Die Opfer wurden hauptsächlich von den Freikorps, aber auch der Sicherheitspolizei gefoltert, verprügelt und dann erschossen, erstochen oder mit Gewehrkolben erschlagen. Ermordet wurde jeder, der mit der Waffe in der Hand angetroffen wurde; jeder, der als Angehöriger der Roten Armee denunziert wurde und viele, die auch nur verdächtigt wurden. Ermordet wurde eine größere Gruppe von Arbeitern, die einfach einen Kanal bauten und andere Arbeiter, die während der gesamten Kämpfe auf einer Baustelle ihrer Arbeit nachgegangen sind. Ermordet wurden Krankenschwestern des Roten Kreuzes und Arbeiter, die in einem Büro in Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens Waffen eingesammelt hatten, um sie zu übergeben. Erschossen wurden auch einige Überläufer und Deserteure der Freikorps, denen das Vorgehen ihrer eigenen Truppen die Augen geöffnet hatte und die sich an dem Morden nicht beteiligen wollten. Allein in der Stadt Pelkum wurden einige Hundert, wahrscheinlich etwa 300 Rotarmisten im Kampf und nach ihrer Kapitulation erschossen64. Freikorps unter Albert Leo Schlageter (der später als rechtsextremer Terrorist von den Franzosen hingerichtet wurde) beschossen die proletarischen Wohngebiete von Bottrop mit Artillerie. Bei Paderborn wurde vorübergehend ein Konzentrationslager für gefangene Ruhrarbeiter eingerichtet. Das Morden dauerte über eineinhalb Monate an, weitaus länger als die Rote Ruhrarmee existiert hatte65. Die Zahl der im Ruhrgebiet Ermordeten wurde nie genau gezählt. Gietinger schätzt sie auf 1500, Schwarz gibt eine Zahl von mindestens 2500 an66.

In der bürgerlichen Geschichtsfälschung wurde lange Zeit bewusst der Mythos verbreitet, es habe umgekehrt im Ruhrgebiet auch einen „Roten Terror“ und „Gräueltaten“ der Arbeiter gegen politische Gegner gegeben. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um frei erfundene Propaganda. Gietinger hat aus dem gesamten Ruhrgebiet aus verschiedenen Quellen nur drei Fälle ausfindig machen können, wo jemand außerhalb von Kampfhandlungen von den Arbeitern getötet wurde: Ein reaktionärer Zechendirektor, der von einer aufgebrachten Arbeitermenge gelyncht wurde, ein Spitzel der Regierung, der in Selbstjustiz von zwei Arbeitern erschossen wurde und ein gefangener Soldat, für dessen Erschießung aber ein eingeschleuster Provokateur des Staates verantwortlich war. In keinem dieser Fälle wurde jemand auf zentrale Anordnung der Räte oder der Roten Armee getötet67. Auch von den gefangen genommenen Putschisten wurde niemand, nicht einmal die Kommandeure der frühfaschistischen Freikorpseinheiten, exekutiert, obwohl dies die Erfolgsaussichten der Roten Armee erhöht hätte. Gedankt wurde den Arbeitern ihre extreme Milde im Umgang mit dem Feind nicht, ganz im Gegenteil.

Ihrem Selbstverständnis nach, das z.B. in dem Eid der Rotarmisten zum Ausdruck kam, war die Rote Ruhrarmee eine revolutionäre Armee, deren Ziel der Sozialismus war. In ihrem konkreten Kampf konzentrierte sie sich aber weitgehend auf die Zerschlagung der reaktionären Truppen und die Beseitigung der Machtgrundlagen der faschistischen Reaktion, nicht auf die Übernahme der politischen Macht und die Errichtung der Diktatur des Proletariats. So wurde die Fortführung der Kämpfe nach dem Zusammenbruch des Putsches so begründet: „Kapp, Lüttwitz und Noske sind zwar zurückgetreten, aber das System Noske-Lüttwitz besteht weiter. Jetzt muss weitergekämpft werden, bis die Reichswehr, Einwohnerwehr, Zeitfreiwilligen und grünen Sicherheitspolizisten entwaffnet sind und die werktätige Bevölkerung bewaffnet ist.“68. Ziel war also vorläufig eine Verbesserung der Kräfteverhältnisse im Klassenkampf durch Zerschlagung der besonders reaktionären militärischen Formationen und Legalisierung der Arbeiterbewaffnung. Außerdem zeigt sich auch hier, dass für die Ruhrarbeiter SPD-Reichswehrminister Noske richtigerweise in dieselbe Kategorie der Konterrevolution gehörte wie die Putschisten Kapp und Lüttwitz. Wenn antikommunistische „Historiker“ wie z.B. Reinhard Sturm in einem Text für das staatliche Propagandaorgan „Bundeszentrale für politische Bildung“ darüber phantasieren, der Kampf der Roten Ruhrarmee sei ein „Linksputsch“ und eine „Märzrevolution“ gewesen, dann ist das nicht nur gelogen, sondern dient dazu, die geschichtsrevisionistische These vom „Kampf der Republik gegen die zwei Extreme“ zu untermauern69.

Für die Machtübernahme in ganz Deutschland bestanden, aufgrund des schnellen Abebbens des bewaffneten Widerstands in allen anderen Regionen, im März 1920 wohl auch keine Erfolgsaussichten. Vor allem aber fehlte den meisten Arbeitern trotz all ihres Heroismus noch der politische Horizont, um den Abwehrkampf gegen die reaktionären Militärs in einen offensiven Kampf um die Macht zu übersetzen. Dafür war die KPD viel zu neu, viel zu unerfahren, politisch unreif und unklar und auch viel zu wenig unter den Ruhrarbeitern verankert. Hätte es in Deutschland zum Zeitpunkt des Kapp-Putsches hingegen eine kampferfahrene kommunistische Partei mit Masseneinfluss gegeben, dann hätte im Osten eine reale Chance auf die Bildung einer zweiten Roten Armee bestanden, wofür es ja bereits Ansätze gab. Gemeinsam mit proletarischen Aufständen in den anderen Großstädten, zu denen die Arbeiter ja offensichtlich bereit waren, hätten die beiden Roten Armeen die Kräfte der Konterrevolution wahrscheinlich überfordert und den Kampf um die Macht siegreich zum Ende führen können. Doch dies zu beurteilen, bleibt Spekulation.

Die Lehren

Die Rote Ruhrarmee wird heute in der bürgerlichen Geschichtsschreibung wie eine relativ unwichtige Episode deutscher Geschichte behandelt, im Geschichtsunterricht kommt sie meistens selbst in der Oberstufe gar nicht vor – selbst in Nordrhein-Westfalen. Für uns als Kommunistinnen und Kommunisten ist die Beschäftigung mit der Geschichte jedoch mehr als nur die Befriedigung eines persönlichen Interesses, geschweige denn das Schwelgen in glorreichen vergangenen Zeiten. Einerseits stellt die Befassung mit unserer Geschichte, der Geschichte der revolutionären und speziell der kommunistischen Arbeiterbewegung, eine unverzichtbare Kraftquelle dar, weil sie uns zeigt, welche Macht die Arbeiterklasse besitzt, wenn sie entschlossen und geschlossen ein Ziel verfolgt. Die Arbeiterklasse hat sich in den Märztagen des Jahres 1920 innerhalb weniger Tage ihre eigene Armee geschaffen, eine Armee unabhängig von den reaktionären Militärführern und allen anderen Organen des Ausbeuterstaates; eine Armee, die zwar nicht direkt für die Übernahme der politischen Macht kämpfte, aber objektiv eine dem bürgerlichen Staat entgegengesetzte Macht darstellte und von diesem auch eindeutig als solche erkannt und bekämpft wurde. Die Rote Ruhrarmee und ihr heldenhafter Kampf gehören zum besten, was die Arbeiterklasse Deutschlands und überhaupt der Klassenkampf der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker hervorgebracht hat.

Andrerseits bietet die Geschichte auch wertvolle Lehren an, die für die Entwicklung der revolutionären Strategie heute dringend notwendig sind. Hervorzuheben sind dabei insbesondere die folgenden:

Erstens zeigt uns die Geschichte der Roten Ruhrarmee die enorme Macht, die eine organisierte Arbeiterklasse verkörpert. Der Generalstreik und die Selbstbewaffnung der Arbeiter vereitelten den ersten Versuch eines Übergangs zu einem auf nackten Terror gestützten Herrschaftstypus, dessen Träger später ideologisch nahtlos in den Nazismus übergingen. Diese Erfahrung unterstreicht, dass nur die organisierte Arbeiterklasse den Übergang der Bourgeoisie zu einer solchen Herrschaftsform blockieren kann – und sich damit den Weg zur Revolution erleichtern kann.

  1. Der faschistische Putsch vertiefte die revolutionäre Krise der bürgerlichen Herrschaft

Zweitens zeigte der Kapp-Putsch, dass der Übergang zur faschistischen Herrschaftsform für die Bourgeoisie mit Risiken behaftet ist, diese Herrschaft an sich destabilisieren und sogar eine revolutionäre Situation auslösen kann. Es zeigte sich, dass die unter vielen Marxisten verbreitete Vorstellung, wonach ein Erstarken der revolutionären Arbeiterbewegung ein gleichmäßiges Erstarken der faschistischen Reaktion nach sich ziehen muss, viel zu mechanistisch ist. Denn wenn auch der Aufbau der faschistischen Bewegung durch Teile der Bourgeoisie als Reaktion auf die revolutionären Krisen von 1918/19 und 1920 erfolgte, so war es gleichzeitig auch die Stärke der Arbeiterbewegung, die den Übergang zur faschistischen Herrschaftsform 1920 blockiert hat und mit einer ausreichend starken, strategisch klaren und disziplinierten kommunistischen Partei möglicherweise das Potenzial gehabt hätte, den Kampf bis zur endgültigen Befreiung der Arbeiterklasse und damit zur Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln zuende zu führen.

  1. Kein dauerhafter Sieg ohne Führung durch die kommunistische Partei

Drittens erwies sich erneut, wie schon 1918/19, die herausragende Bedeutung der Führung aller Kämpfe durch die kommunistische Partei. Der Ruhrkampf war kein von einer revolutionären Partei geplanter und vorbereiteter Aufstand, er war im Kern eine spontane Abwehrreaktion der Arbeiterklasse auf einen Angriff des Klassenfeindes. Er hatte deshalb keine „rein revolutionären“ Charakteristika und die Zielvorstellungen der beteiligten Arbeiter gingen weit auseinander – von Teilen, die für die Diktatur des Proletariats kämpften bis zu anderen, die weiterhin große Illusionen in die bürgerliche Republik hegten. Der Name „Rote Armee“, der heutzutage in der Regel direkt mit dem Kommunismus in Verbindung gebracht wird, kann hier leicht in die Irre führen. Die Arbeiterklasse im Ruhrgebiet war politisch nicht ausreichend gereift, um sich geschlossen hinter einem kommunistischen Aufstand zu sammeln, trotzdem entwickelte sich 1920 in Deutschland und insbesondere im Ruhrgebiet aufgrund der objektiven Faktoren eine revolutionäre Situation. Nun bestand im März 1920 anders als im November 1918 zwar mit der KPD die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, die auch seit ihrer Gründung zum Jahreswechsel 1918/19 bereits beeindruckende Schritte nach vorne gemacht hatte, aber immer noch viel zu schwach und unerfahren war, um die eindeutige Führung des Aufstandes zu übernehmen, die opportunistischen Kräfte aus dieser Führung zu verdrängen, den Aufstand durch entsprechende Revolten in den anderen Industriezentren zu unterstützen und zu entlasten und bis zur Übernahme der Macht zu kämpfen. Der Ruhraufstand entstand durch keinen Plan der KPD oder irgendeiner anderen Partei, aber die KPD beteiligte sich an ihm und versuchte ihn zu organisieren. Als die Aussichtslosigkeit der Lage klar wurde, versuchte sie eine Art geordneten Rückzug, bei dem möglichst günstige Bedingungen für die Arbeiterklasse herausgeschlagen werden sollten – sie unterschätzte aber wohl die Bereitschaft der SPD-Führung, jedes von ihr gegebene Wort sofort zu brechen. Die Tragik liegt darin, dass die Arbeiterklasse bereit war, zu kämpfen und dabei enorme Opfer zu bringen, aber gleichzeitig nicht organisiert genug war, um diesen Kampf auch zu gewinnen. Die Kommunisten konnten in dieser Situation kaum etwas anderes tun als diesen Kampf weiter zu unterstützen, auch als seine Aussichtslosigkeit offensichtlich wurde, weil die Alternative, nämlich das Proletariat mit seinem heroischen Kampf alleine zu lassen, keine Alternative war. Die Tragik bestand des Weiteren darin, dass die KPD und allgemein die Kommunistische Internationale (Komintern) aus diesen Erfahrungen lernten und ihre Schlussfolgerungen zogen – insbesondere die auf dem V. Weltkongress der Komintern 1924 beschlossene Bolschewisierung der kommunistischen Parteien –, dass aber die revolutionäre Krise in Deutschland nach 1920 wieder abebbte und somit die KPD zu dem Zeitpunkt, wo sie vielleicht bereit gewesen wäre, die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen, die Gelegenheit dazu nicht mehr hatte. Die Worte von Engels über die „Kunst des Aufstandes“ wurden auch hier bestätigt: „Erstens darf man nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht fest entschlossen ist, alle Konsequenzen des Spiels auf sich zu nehmen. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Werte sich jeden Tag ändern können; die Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite; kann man ihnen nicht mit starker Überlegenheit entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet. Zweitens, hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handele man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands70.

  1. Die Sozialdemokratie als Steigbügelhalterin des und komplementäres Herrschaftsinstrument zum Faschismus

Viertens ist der Kampf des bürgerlichen Staates gegen die Rote Ruhrarmee ein weiteres, vielleicht sogar das schändlichste und entlarvendste Beispiel des Verrats der Sozialdemokratie an der Arbeiterklasse, die sie nach wie vor zu vertreten vorgab. Es war der gewaltige Generalstreik verbunden mit den bewaffneten Abwehraktionen des Proletariats, der die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung vor dem Putsch der rechtsextremen Reaktion rettete. Und die SPD-Führung dankte den Arbeitern damit, indem sie genau mit denjenigen frühfaschistischen Kräften, die noch am Vortag gegen sie geputscht hatten, paktierte, um die kämpfende Arbeiterklasse in ihrem Blut zu ertränken. Wichtig ist dabei jedoch die Erkenntnis, dass es nicht der besonders abstoßenden Charaktere eines Friedrich Ebert, eines Gustav Noske, Carl Severing, Gustav Bauer oder Philipp Scheidemann geschuldet war, dass die SPD die Rolle als Waffe der Konterrevolution und Stütze der Kapitaldiktatur spielte, sondern der ureigenste Charakter der Sozialdemokratie selbst. Die Rolle des Reformismus bestand und besteht darin, den Klassenkampf auf Ziele innerhalb der kapitalistischen Herrschaft zu beschränken, ihn damit für das Kapital ungefährlich zu machen, ihn zu be- und verhindern. Die Sozialdemokratie bietet sich dem Kapital an, um einen Teil der Arbeiterklasse als Unterstützungsbasis für eine bestimmte Variante bürgerlicher Herrschaft zu gewinnen. Als Trägerin der bürgerlichen Herrschaft tut sie konsequenterweise auch alles, was erforderlich ist, um diese Herrschaft gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung zu verteidigen. Somit sind die Rollen von Sozialdemokratie und Faschismus im bürgerlichen Staat zwar nicht identisch, aber komplementär: Während die Sozialdemokratie stärker auf die Einbindung, Manipulation und Entwaffnung der Arbeiterklasse setzt, was Severing als ihr Vertreter im März 1920 meisterhaft bewies, sind die Faschisten die Bürgerkriegstruppe des Kapitals, derer sich die herrschende Klasse (und damit auch die Sozialdemokratie als Vertreterin dieser Klasse) bedient, wenn die Einbindungstaktiken nicht mehr greifen, oder auch, wie im Falle der Roten Ruhrarmee, nachdem die sozialdemokratische Taktik die Arbeiterklasse entwaffnet hat. 1918 bis 1920 befand sich die bürgerliche Herrschaft in Deutschland eigentlich bereits mehr oder weniger in ihrem offen terroristischen Modus, bevor für einige Jahre die liberal-„demokratische“ Variante der bürgerlichen Herrschaft vorherrschte, allerdings immer wieder „ergänzt“ und auch entlarvt durch den Ausbruch offenen Terrors wie beim Blutmai 1929. Der Putsch hätte somit eher eine graduelle, allerdings trotzdem gravierende Verschärfung des weißen Terrors bedeutet, indem die ausführenden Organe des bereits stattfindenden Staatsterrors, also Freikorps und Reichswehr, beanspruchten, direkt die legislative und Regierungsgewalt auszuüben und auch die geringen Schranken, die dem Massenterror noch bestanden, zu beseitigen.

Die Übergänge zwischen Sozialdemokratie und Faschismus als Varianten bürgerlicher Politik waren dabei jedoch auch teilweise fließend, wie das Beispiel Gustav Noske zeigt, der sich 1918/19 und auch wieder 1920 als „Bluthund“, also Schlächter der Arbeiterklasse betätigte und in den Staatsstreichplänen der extremen Rechten als Führer einer Militärdiktatur zur Vernichtung der Arbeiterbewegung vorgesehen war; Noske, der, obwohl er einer der Führer der SPD war, für die Arbeiter des Ruhrgebiets zum Symbol des faschistischen Terrors wurde, weshalb sie die Freikorpssoldaten mit dem Hakenkreuz durchgängig als „Noskes“ oder „Noskiden“ bezeichneten.

  1. Die ambivalente Rolle der „Einheitsfront“ im Jahr 1920

Fünftens ist deshalb eine komplizierte, aber interessante Frage, wie die Zusammenarbeit der „Arbeiterparteien“ (als solche wurde auch die SPD trotz ihres konterrevolutionären Charakters bezeichnet, weil ihre Massenbasis proletarisch war) während des Ruhrkampfes einzuschätzen ist. In den Räten arbeitete die KPD mit Vertretern der schwankenden und im entscheidenden Moment immer versagenden USPD, aber eben auch der offen konterrevolutionären SPD und stellenweise sogar der DDP und Zentrumspartei zusammen. Selbstverständlich war diese Zusammenarbeit auf lokaler Ebene etwas anderes als die Taktik der „Einheitsfront von oben“, die eine Zusammenarbeit mit der reichsweiten Führung der SPD anstrebte – diese hätte in der damaligen Situation die Zusammenarbeit mit Ebert, Noske und Severing bedeutet, also die Zusammenarbeit mit den schlimmsten Feinden und Schlächtern der Arbeiterklasse. Es handelte sich aber auch um keine reine „Einheitsfront von unten“, also um Aktionseinheit mit den sozialdemokratischen Arbeitern im Rahmen des gemeinsamen Kampfes, da auch die Parteiapparate auf lokaler Ebene beteiligt waren. Die mechanische Trennung zwischen „Einheitsfront“ und der späteren „Volksfront“, die vom trotzkistischen Spektrum oft vorgenommen wird71, erwies sich auch hier als künstlich und illusionär, denn zwischen der Rolle der SPD und der anderen „demokratischen“ bürgerlichen Parteien, also Zentrum und DDP, bestand kein grundsätzlicher Unterschied. und Vertreter aller drei waren, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, im Abwehrkampf gegen den Putsch involviert.

Vermutlich gab es im März 1920 keine Alternative dazu, innerhalb der Räte und auch im militärischen Kampf mit Repräsentanten bürgerlicher und opportunistischer Parteien zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig war der starke Einfluss der SPD und vor allem auch der in den Räten einflussreicheren USPD auch ein eingebauter Selbstzerstörungsmechanismus für die Bewegung. Es war notwendig für die KPD, diesen Einfluss entschieden zu bekämpfen und zu schlagen, was aber in den zwei Wochen des revolutionären Krieges kaum möglich war. Auf der anderen Seite standen im westlichen Ruhrgebiet die ultralinken Strömungen der Arbeiterbewegung, die keinerlei taktische Notwendigkeiten anerkennen wollten und an denen Lenin wenige Wochen später begann, seine berühmte Kritik „Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ zu schreiben. Auch ihre Rolle war, trotz der Sympathie, die man ihnen entgegenbringen kann und trotz des Heroismus, mit dem sie die Reaktion bekämpften, nicht nur hilfreich und auch ihr Einfluss musste daher zugunsten des Einflusses der KPD zurückgedrängt werden. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt der notwendige Bruch mit diesen Kräften endgültig vollzogen werden muss, ist eine taktische Frage.

  1. Die Bedeutung der Nahrungsversorgung und Kontrolle strategischer Posten in der Revolution

Schließlich können aus dem Kampf der Roten Ruhrarmee auch Lehren für die Bedeutung der Kontrolle strategischer Verkehrswege und Ressourcen gezogen werden. Die Rote Armee geriet nicht zuletzt in die Defensive, weil sie von der Versorgung mit Nahrungsmitteln abgeschnitten wurde. Auch heute wäre ein Volksaufstand, der nicht dauerhaft mit Nahrung (aber auch Wasser, Energie usw.) versorgt wird, zum Scheitern verurteilt. Auch deshalb erfordern solche Aufstände genaueste Planung, um Erfolg haben zu können.

Was bleibt also?

Die Lehre aus dem Kampf der Roten Ruhrarmee liegt darin, in jedem heute zu führenden Kampf dafür zu kämpfen, dass der Arbeiterklasse ihre Kraft bewusst wird und sie versteht, dass es in ihrer Hand liegt, wenn auch nur als gesamte Klasse, diese Welt der Ausbeutung und des Krieges aus den Angeln zu heben. Dabei kann und muss die Wiederaneignung der eigenen Geschichte, frei von den Verfälschungen, mit denen der Klassenfeind sie gespickt hat, eine wichtige Rolle spielen. Zweitens geht es darum, die zentrale Rolle der kommunistischen Partei in allen Klassenkämpfen und insbesondere in der Frage des Übergangs zum Sozialismus nie wieder zu unterschätzen oder zu verwässern (wie es auch heute oft geschieht, wenn Marxisten implizit über den Übergang zum Sozialismus reden, ohne dabei die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei zu thematisieren). Schließlich ist es drittens geboten, absolute Klarheit über den konterrevolutionären Charakter der Sozialdemokratie zu entwickeln und diese Erkenntnis zu verbreiten.

1 Hans Marchwitza (1952): Sturm auf Essen. Berlin: Verlag Neues Leben, S. 352.

2 Karl Grünberg (1982): Brennende Ruhr. München: Damnitz Verlag.

3 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 15

4 Ebd., S. 31f.

5 Leo Schwarz (2020a): Tote im Haus. In: junge Welt. 11.1.2020.

6 Die Bestrebungen des deutschen Monopolkapitals, ein „Mitteleuropa“ zu erschaffen, also einen mitteleuropäischen Wirtschaftsraum unter seiner Führung und damit eine Art Vorläufer der späteren EU, sind ausführlich herausgearbeitet und durch Quellen belegt in: Reinhard Opitz (1977): Europastrategien des deutschen Kapitals. Köln: Pahl-Rugenstein.

7 Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (1966): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Band 1. Berlin: Dietz Verlag, S. 326.

8 Ebd., S. 409f.

9 Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (1966): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Band 2. Berlin: Dietz Verlag, S. 85.

10 Ebd., S. 227f.

11 Ebd., S. 304.

12 Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (1966): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Band 3. Berlin: Dietz Verlag, S. 149f.

13 „Weißer Terror“ bezeichnet Terror, der sich gegen die Revolution richtet.

14 Ebd., S. 220.

15 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 47.

16 Zit.n. Ebd., S. 81.

17 Volksliederarchiv: Hakenkreuz am Stahlhelm. Lied der Brigade Ehrhardt. Online: volksliederarchiv.de/hakenkreuz-am-stahlhelm, abgerufen am 19.6.2025.

18 Leo Schwarz (2020b): Kolossaler Brandherd. In: junge Welt. 13.3.2020; Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 35-59.

19 Leo Schwarz (2020b): Kolossaler Brandherd. In: junge Welt. 13.3.2020.

20 Zit.n. Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 18f.

21 Ebd., S. 19.

22 Ebd., S. 23f.

23 Leo Schwarz (2020b): Kolossaler Brandherd. In: junge Welt. 13.3.2020; Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 65ff.

24 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 85

25 Ebd., S. 175.

26 Ebd., S. 95ff.

27 Ebd., S. 77; Leo Schwarz (2020b): Kolossaler Brandherd. In: junge Welt. 13.3.2020.

28 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 111f.

29 Ebd., S. 116.

30 Ebd., S. 149.

31 Leo Schwarz 2020c: Bestürzende Einsicht, junge Welt, 18.3.2020.

32 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 117.

33 Ebd., S. 118f.

34 Ebd., S. 120.

35 Ebd., S. 121-150; Leo Schwarz 2020c: Bestürzende Einsicht, junge Welt, 18.3.2020.

36 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 120.

37 Leo Schwarz (2020b): Kolossaler Brandherd. In: junge Welt. 13.3.2020.

38 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 177.

39 Ebd., S. 179ff.

40 Ebd., S. 154.

41 Ebd., S. 165.

42 Ebd., S. 156ff.

43 Ebd., S. 163ff.

44 Ebd., 161ff.

45 Ebd., 167-171.

46 Ebd., S. 185.

47 Ebd., S. 205.

48 Ebd., S. 206-209.

49 Ebd., S. 211.

50 Ebd., S. 186ff.

51 Ebd., S. 188-199.

52 Ebd., S. 198f.

53 Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (1966): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Band 3. Berlin: Dietz Verlag, S. 281.

54 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 217.

55 Leo Schwarz (2020d): Hakenkreuze an der Wand. In: junge Welt. 26.3.2020.

56 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 285.

57 Karl Grünberg (1982): Brennende Ruhr. München: Damnitz Verlag, S. 258.

58 Leo Schwarz (2020d): Hakenkreuze an der Wand. In: junge Welt. 26.3.2020.

59 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 224.

60 Ebd., S. 228.

61 Die Entente verhielt sich während des gesamten Ruhrkampfes eher neutral – sicherlich nicht aus irgendeiner Sympathie mit den Arbeitern, sondern weil sie so kurz nach Kriegsende in den Remilitarisierungsbestrebungen des Deutschen Reiches die größere Gefahr sah.

62 Leo Schwarz (2020d): Hakenkreuze an der Wand. In: junge Welt. 26.3.2020.

63 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 288.

64 Leo Schwarz (2020d): Hakenkreuze an der Wand. In: junge Welt. 26.3.2020.

65 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 225-261.

66 Ebd, S. 261; Leo Schwarz (2020d): Hakenkreuze an der Wand. In: junge Welt. 26.3.2020.

67 Klaus Gietinger (2020): Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee. Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 237f.

68 Leo Schwarz (2020d): Hakenkreuze an der Wand. In: junge Welt. 26.3.2020.

69 Reinhard Sturm (2011): Kampf um die Republik 1918-1923. Online: bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/dossier-nationalsozialismus/39531/kampf-um-die-republik-1919-1923/ , abgerufen am 19.6.2025.

70 Friedrich Engels (1851/1852): Revolution und Konterrevolution in Deutschland. In: MEW 8, S. 95.

71 In der kommunistischen Strategieentwicklung wurde unterschieden zwischen der Einheitsfront von unten, der Einheitsfront von oben und der Volksfront. Bei der Einheitsfront von unten kämpfte die kommunistische Partei mit der Basis der anderen „Arbeiterparteien“ (womit einfach Parteien gemeint waren, die überwiegend Arbeiter organisierten) gemeinsam, jedoch nicht mit den sozialdemokratischen Führungen. Bei der Einheitsfront von oben richtete die KP auch Kooperationsangebote an die sozialdemokratischen Führungen (beispielsweise kamen diese zustande in Form der „Arbeiterregierungen“ in Thüringen und Sachsen 1923). Mit der Volksfront war eine Kooperation nicht nur mit den Führungen der sogenannten „Arbeiterparteien“, sondern auch anderer nicht-faschistischer bürgerlicher Parteien und den angeblich antifaschistischen Teilen der Bourgeoisie gemeint.

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