Die Bedeutung des Rechtsverständnis in der Organisationsfrage der Kommunisten
Marla Müller, Rike Groos, Toni Rosci
Die Kommunistische Bewegung hat kein einheitliches Verständnis über die revolutionäre Organisationsform. Das richtige Verständnis der Organisationsform ist allerdings erforderlich für eine kommunistische Organisierung – perspektivisch in Form der Partei Neuen Typs – um die Ziele der proletarischen Revolution und den Sozialismus zu erreichen. So wird der Demokratische Zentralismus sehr unterschiedlich oder gar nicht angewandt. Aber auch das richtige Verhältnis von Ziel und Form – also wie das gesetzte Ziel nach einer bestimmten Form verlangt und umgekehrt das Ziel nur durch die Form erreicht werden kann – hat eine große Bedeutung und muss selbst unter dem revolutionären Teil der Bewegung weiter diskutiert und geschärft werden.
Dieses mangelnde Verständnis hat zuletzt auch in der Kommunistischen Organisation (KO) einen nicht unerheblichen Einfluss gehabt. Mit dem außerordentlichen Kongress Anfang Januar 2023 hat sich die Spaltung der KO vollzogen, bei welcher sich der marxistisch-leninistische Teil und der revisionistische Teil der Organisation voneinander getrennt haben. Diese Spaltung ist zurückzuführen auf einen inhaltlichen Kampf, der sich um das Imperialismusverständnis entwickelt hat und ausgelöst durch den Ukrainekrieg Anfang 2022 zum Ausbruch kam. In der Diskussion um die Durchsetzung der politischen Linie der KO haben sich zahlreiche weitere Dissense aufgetan, die an anderer Stelle aufgezeigt wurden. Einer dieser Dissense bezieht sich auf den Charakter unseres Statuts und das darin enthaltene Organisationsprinzip des Demokratischen Zentralismus (DZ). Zu letzterem gibt es einen weiteren Diskussionsbeitrag, der auf das Verständnis der einzelnen Organisationsprinzipien und ihr Verhältnis eingeht. Wir möchten in diesem Beitrag das Verständnis des DZ und unseres Statuts um den Aspekt der Auslegung dieser Normen und Bestimmungen, dem Rechtsverständnis, erweitern. Wir zeigen in diesem Beitrag, wie Revisionismus in Form eines bürgerlichen Rechtsverständnisses zur Zersetzung der KO beigetragen hat.
Diesen Aspekt aufzunehmen, finden wir deswegen zentral, da in vielen internen Diskussionsbeiträgen innerhalb der KO lange diskutiert und “aufgezeigt” wurde, wer das Statut oder das Organisationsprinzip missachtet haben soll. Diese Auseinandersetzung wurde nicht öffentlich geführt. Der revisionistische Teil der Organisation hatte sich in über 30 internen Beiträgen fast ausschließlich mit formalen Fragen beschäftigt. Wir sehen ein grundlegendes Missverständnis auf der Seite der Revisionisten, was den Charakter des Statuts betrifft. Wir sehen das grundlegende Missverständnis darin, dass das Statut der KO behandelt wird, als wäre es bürgerliches Recht. Das machen wir daran fest, dass das Organisationsprinzip des Demokratischen Zentralismus nicht in ein Verhältnis zum Ziel und Zweck der Organisation gesetzt wird. Das Organisationsprinzip wird zum Selbstzweck erhoben, das seine Legitimation allein aus seiner Setzung heraus beansprucht. Also weil dieses Organisationsprinzip durch ein bestimmtes Verfahren als Organisationsprinzip akzeptiert wurde, gilt es unbedingt. Das ist ein bürgerliches Verständnis von Recht bzw. des Demokratischen Zentralismus. Dieses bürgerliche Verständnis gipfelte in der irrigen Argumentation der Revisionisten hinsichtlich eines “konkludenten Austritts”, also eines “de-facto Austritts” der Minderheit der Zentralen Leitung, die sich ohne Willensbekundung, allein aufgrund ihres Verhaltens, außerhalb des Gremiums gestellt haben soll und somit ein Verfahren zum Austritt oder Ausschluss dieser Mitglieder der Zentralen Leitung von ihrer Seite nicht mehr erforderlich gemacht habe. Auf diese Argumentation stützt sich die ganze Rechtfertigung, warum nur ein Teil der Zentralen Leitung plötzlich DIE Leitung sei und somit all ihre Beschlüsse bindend seien. Aber dazu später mehr im Kapitel “Das Statut der KO…konkludent?”.
Das marxistische Verständnis von Recht und des Organisationsprinzips des Demokratischen Zentralismus versteht dieselben als Instrumente, um den Zweck der Organisation zu erreichen. Aus der Legitimität des Zweckes wird die Legitimität der Mittel abgeleitet. Es geht uns hier um ein tieferes und vor allem politisches Verständnis vom Zusammenhang von Programmatik und Statut. Darum stellen wir erst Genese und Charakter von bürgerlichem Recht dar. Dann formulieren wir eine marxistische Kritik am bürgerlichen Rechtsverständnis, um anschließend aufzuzeigen, was ein marxistisches Rechtsverständnis ausmacht. Zuletzt zeigen wir anhand von Beiträgen aus unserer Debatte auf, worin sich das falsche Rechtsverständnis bei der revisionistischen Abspaltung der KO ausdrückt.
Natürlich ist dies nicht der Ort für eine „vollständige“ Rechtskritik. Es geht viel eher darum, dass alle die Grundgedanken nachvollziehen können, um die Debatten um das Organisationsprinzip in seinem Verhältnis zur Programmatik in der KO und darüber hinaus in der Kommunistischen Bewegung zu qualifizieren.
Bürgerliches Rechtsverständnis
Um das bürgerliche Rechtsverständnis und damit zusammenhängend auch die Kritik an ihm nachvollziehbar zu machen, widmen wir dieses Kapitel einer kurzen historischen Betrachtung der Entwicklung der Auslegung und dem Verständnis von Recht in unterschiedlichen Gesellschaftsformationen.
Recht hat in der „abendländischen“ Geschichte unterschiedliche Formen angenommen: das antike „athenische“ Recht hatte den Charakter, den Bürger zur Sittlichkeit (Werte; Moral; gutes Handeln) zu erziehen. Bei Aristoteles beispielsweise ist das Recht dazu da, um den guten Charakter der Bürger hervorzubringen. Hier ist Recht der Ausdruck der sittlichen Vorstellungen; Ausdruck von Ethik. Ethik ist hier vor allem im Wortsinne des ethos; also der gemeinsam geteilten Wertvorstellung und Umgangsform, zu verstehen. Es geht darum, worauf sich die Gemeinschaft als „gut“ geeinigt hat, also darum, was der Mensch als politisches Wesen als das Gute Leben versprachlicht hat. Aristoteles schreibt dazu: “Denn was von der Gesetzgebung festgelegt wird, ist gesetzlich, und jede einzelne gesetzliche Bestimmung nennen wir gerecht. Die Gesetze geben Bestimmungen über alles und zielen dabei entweder auf das, was allen gemeinsam förderlich ist, oder den Besten oder den Herrschenden, und zwar im Sinn der Tugend oder in einem anderen solchen Sinn. Daher nennen wir gerecht in einer Weise das, was das Glück und seine Teile für die politische Gemeinschaft hervorbringt und erhält” (1129b10-20). Recht gießt also die Wertvorstellung in eine Form der Verbindlichkeit. Damit ist Recht die Institutionalisierung der gemeinsam geteilten Vorstellung des Guten (Lebens). Der Staat, der in diesem antiken Verständnis eher als Gemeinschaft und weniger als der heutige Nationalstaat zu verstehen ist, nimmt sich der Aufgabe an, das Gute/die Sittlichkeit in die Form von Gesetzen zu gießen, um alle Bürger daran zu gewöhnen, gut zu handeln. Der Gesetzgeber erzieht also seine Bürger zum guten handeln: “Die Gesetzgeber machen die Bürger durch Gewöhnung gut – die Absicht jedes Gesetzgebers besteht darin” (1103b1-5). Wer gegen das Recht (die sittliche Ordnung) verstößt, wird bestraft. Die Strafe steht aber nicht im Vordergrund. Was im Vordergrund steht, ist die Erziehung hin zum sittlichen Bürger, der einen guten Charakter hat. Die Strafe soll vielmehr die Erziehung hin zur gemeinsam geteilten Wertvorstellung gewährleisten und stellt somit ein Instrument zur Erziehung dar (1113b20-30).
Zum aristotelischen Rechtsverständnis gehört aber auch noch ein anderer Aspekt, der insbesondere im “römischen” Rechtsgedanken historisch aufgehoben und historisch weiterentwickelt wird. Dieser Aspekt ist der, dass es gerecht ist, wenn “jeder das Seine” bekommt. Im römischen Rechtsgedanken, der u.a. von Cicero ausgeführt wird, hat der Staat weniger den Charakter des Erziehers hin zum guten Bürger. Der Staat hat eher den Charakter, darüber zu wachen, dass “jedem das Seine” zuteil wird. Das Recht hat aber immer noch sittlichen Charakter. Denn es soll dazu dienen auszumachen, wem was zusteht. Jedem soll das Stück Gerechtigkeit zuteilwerden, das er verdient. Wer einen guten Charakter hat bzw. sich an die sittlichen Vorgaben hält (also die Gesellschaft nicht stört), dem soll es auch gut ergehen. Wer die öffentliche Ordnung als Verkörperung der Gerechtigkeitsvorstellung stört, hat entsprechend bestraft zu werden. Aus diesem Kerngedanken ist auch ersichtlich, warum die Strafe im römischen Rechtsverständnis eine größere Rolle spielt. Sie ist kein Instrument der Erziehung, sondern Instrument der ausgleichenden Gerechtigkeit. Wer einem „guten Bürger“ Unrecht getan hat, muss büßen, damit die allgemeine Gerechtigkeit – insbesondere gegenüber dem Geschädigten – wiederhergestellt wird (Cicero, I.49).
Beide Rechtsverständnisse entwickelten sich in der Sklavenhaltergesellschaft, also einer ausbeuterischen Gesellschaftsformation, ohne rechtliche Gleichheit zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. Die Sklaven waren Eigentum der Sklavenhalter. Entsprechend bezieht sich die rechtliche Gleichheit hier auch nur auf eine kleine gesellschaftliche Gruppe – den besitzenden Männern (in Ausnahmefällen wurden besitzende Frauen miteinbezogen), den Sklavenhaltern. Diese gesellschaftliche Gruppe, nämlich die herrschende Klasse, war es, die den sittlichen Charakter des Rechts wesentlich prägte und offen die Klassenherrschaft rechtfertigte. Diese Grundgedanken bleiben im Feudalismus erhalten. Auch in dieser Gesellschaftsformation gibt es keine rechtliche Gleichheit. Die Klassen werden in Stände eingeteilt, denen die Herrschenden Rechte und Pflichten zuteilen. Die sittliche Begründung dafür wird dann aber ausgelegt mit Referenz auf die christliche Religion, die die Herrschaft der einen über die anderen rechtfertigen sollte. Die Sittlichkeit (also die Ethik, die Moral) im Recht sollte den Willen Gottes spiegeln, welcher in der Auslegung von Recht konsequent auf Seite der Herrschenden stand.
Mit der bürgerlichen Revolution nimmt Recht wiederum eine neue Gestalt an. Die bürgerliche Revolution schafft nicht die materielle Ungleichheit der Klassengesellschaft ab, aber sie schafft die formale/rechtliche Gleichheit zwischen den Klassen, die in der Sklavenhaltergesellschaft und der Ständegesellschaft nicht gegeben war. Durch diesen wichtigen Unterschied, ändert sich der Charakter des Rechts. Für den Charakter des Rechts steht nicht mehr die „Erziehung zur Sittlichkeit“ oder der „gerechte Anteil am Ganzen“ im Vordergrund, auch wenn das in der heutigen Rechtstheorie immer wieder eine Rolle spielt. Das, was das bürgerliche Recht zu bürgerlichem Recht macht, ist, dass es mit der bürgerlichen Revolution darum ging, „Gleichheit“ in Recht zu gießen – sicherzustellen, dass sich alle, sowohl Ausgebeutete wie Ausbeuter, als Gleiche vor dem Recht begegnen können. Bürgerliches Recht macht alle Bürger zu gleichberechtigten Personen, die miteinander rechtlich handeln können. Wie das athenische und römische Recht bezieht sich auch das bürgerliche Recht auf Werte. Dies ist aber nicht sein Spezifikum, sondern eher Teil seiner Legitimationsstrategie, wie wir noch genauer sehen werden. Für einen Vertrag ist es beispielsweise völlig irrelevant, was sein Inhalt ist. Es geht allein um die Form. Zwei Gleiche begegnen sich auf Augenhöhe und können einen „Äquivalententausch“ durchführen.
Damit das klappt, ist es für das Rechtsverständnis zentral, dass das Recht „entsittlicht“ wird. Das bedeutet, dass der Inhalt des Rechts keinen moralischen Standards genügen muss, dass Recht also nicht dazu da ist, jemanden zu erziehen und auch nicht den gerechten Anteil am Ganzen zuzuschreiben. Dem bürgerlichen Rechtsgedanken geht es vornehmlich darum, Rechtssubjekte zu konstruieren, die Rechtsverhältnisse eingehen können. Rechtssubjekte sind Menschen oder Unternehmen, die das Recht haben, Rechte und Pflichten zu haben. Sie können selbstständig Entscheidungen treffen und Rechtsgeschäfte tätigen und damit ein Rechtsverhältnis eingehen. Im Gegensatz dazu sind Rechtsobjekte Dinge, über die das Rechtssubjekt verfügen kann. Das klassische Beispiel für so ein Rechtsverhältnis ist nicht zufällig der Vertrag. Das Rechtssubjekt ist befähigt, ein solches Verhältnis einzugehen und wird zur Rechenschaft gezogen, wenn es etwas tut, das diesem Rechtsverhältnis zuwiderläuft. Dafür ist dann die Strafe relevant. Die Strafe soll garantieren, dass sich das Rechtssubjekt an das hält, was vereinbart ist. Strafe hat also keinen anderen Zweck, als eine Hürde für das Rechtssubjekt darzustellen, das Recht zu brechen. Dafür braucht es dann natürlich einen Staat, der eine vermeintlich neutrale Instanz herstellt, die dann darüber richten kann und die Strafe vollzieht.
Bürgerliche Rechtsphilosophen sagen, dass es eine Art von Natur des Menschen gibt, die dazu führt, dass er Teil einer rechtlichen Struktur werden kann oder anders formuliert, dass man das Rechtssubjekt und das Rechtsverhältnis erklären kann, indem man sich auf die Natur des Menschen bezieht. Sie glauben, dass es eine Natur des Menschen gibt, die man als Grundlage für die Erstellung von Rechtsstrukturen verwenden kann. Sie sagen, dass der Mensch ein Rechtssubjekt ist, weil er von Gott mit Vernunft ausgestattet ist, danach strebt, das größtmögliche Wohlergehen zu erreichen oder auf natürliche Weise an bestimmten Dingen interessiert ist. Diese Erklärungen über die Natur des Menschen sollen dann eine Begründung dafür liefern, warum Menschen bestimmte Dinge tun, autonom handeln und Rechtsverhältnisse schaffen können. Diese Begründung erklärt, warum die Form des Rechts (z.B. dass Menschen freiwillig ein Rechtsverhältnis eingehen) wichtig ist, aber nicht der Inhalt des Rechts (z.B. den Inhalt eines Vertrags). Der Inhalt des Rechtsverhältnisses wird durch die Form legitimiert. Diese Art der Legitimierung, die sich auf die Natur des Menschen bezieht, gibt auch die ethisch-moralische Legitimierung der bürgerlichen Gesellschaft.
Um das Recht gültig und richtig zu machen, muss es auf eine bestimmte Art und Weise gemacht werden. Das bedeutet, dass die normative (bindende) Grundlage von Recht, die dem Recht seine Legitimität und damit die Begründung gibt, warum wir uns daran halten sollten, erhalten bleibt, sich in der korrekten Setzung von Recht spiegeln muss. Denn, wie oben dargestellt, muss der Inhalt für bürgerliches Recht irrelevant für seine Legitimität sein. Darum wird die Konstruktion der Rechtssubjekte auf die Schaffung von Recht sozusagen “übertragen”. Ein Beispiel: Wenn man davon ausginge, Menschen seien Rechtssubjekte, weil sie von Natur aus (Gott) mit Freiheit der Vernunft ausgestattet sind, dann muss Recht in einer Art und Weise geschaffen werden, die dieser Freiheit der Vernunft Rechnung trägt. In der bürgerlichen Demokratie wird das dann so übersetzt, dass wenn die Mehrheit der Vernunftwesen aus freien Stücken einen Rechtsvertreter wählen oder einem Recht zustimmen, dann ist dieses Recht legitim. Nicht weil sein Inhalt richtig ist, sondern weil das Verfahren der Konstruktion der Rechtssubjekte (hier: Freiheit der Vernunft) entspricht. Wenn also das Verfahren zur normativen (bindenden) Begründung passt, dann muss das Recht auch passen.
Bürgerliches Recht zieht seine Legitimation also aus seiner Setzung – aus seiner Form. Wenn der Hervorbringungsakt dem Recht entspricht, ist es legitimes Recht. Es bezieht seinen Charakter und seine Legitimität rein aus der Form. Niemals aus seinem Inhalt. Genau dieses Verständnis von Legitimität sorgt dafür, dass es im Kapitalismus zum Instrument der herrschenden Klasse werden kann, eben weil alle „inhaltliche“ (materielle!) Ungleichheit in der Form verschwindet. Sein Zweck (die Klassenherrschaft – wie wir unten noch genauer sehen werden) wird an ihm selbst – im Unterschied zu den historisch vorangegangenen Rechtsverständnissen – nicht sichtbar. Genau deswegen ist es für das bürgerliche Rechtsverständnis so wichtig, dass es allein aus seiner Form heraus gilt. Die Konsequenzen, zu denen das Recht führt (Erhaltung der Klassenverhältnisse), sind völlig irrelevant für seine Legitimität. Damit hat Recht im bürgerlichen Verständnis einen intrinsischen Wert. Recht ist also an und für sich wertvoll, insofern es aus einer wertvollen Instanz (der menschlichen Natur) abgeleitet ist.
Ein verbreitetes Missverständnis über den sittlichen Charakter und die Funktion von bürgerlichem Recht ist bspw. das weitverbreitete Verständnis, dem Würdeartikel des Grundgesetzes einen sittlichen Charakter zuzuschreiben. Das ist ein Missverständnis, denn dieses Recht regelt nichts anderes, als dass der Staat nicht in die Sphäre der Subjektivität der Rechtssubjekte einzugreifen hat. Das bedeutet nicht mehr, als dass es eine vorrechtliche “Natur” des Menschen gibt, die diesen befähigt, Rechtssubjekt als freies Vernunftwesen zu werden. In diese vorrechtliche “Natur” hat der Staat nicht einzugreifen. Das muss er aber auch überhaupt nicht. Im Gegenteil, die Anerkennung dieser vorrechtlichen Natur des Menschen ist bereits die Legitimation für die Form des bürgerlichen Rechts. Anstelle von „Würde“ könnte da auch „Privatsphäre” oder „innere Willkürfreiheit“ stehen (je nach philosophischer Begründung eben). Das Wort der Würde gibt dem Recht aber eben noch keinen sittlichen Charakter, auch deswegen, weil es keine inhaltliche Bestimmung gibt und diese auch nicht zu legitimieren ist. Im Gegenteil, Würde dient hier als Legitimation der Schaffung von Rechtssubjekten und damit der Legitimation der Form des Rechts, nicht seines Inhaltes.
Das bürgerliche Rechtsverständnis kennzeichnet sich also darin, sich maßgeblich auf die Form des Rechts zu beziehen und diese als Selbstzweck zu betrachten. Damit wird auch seine Rolle für die Klassenherrschaft im bürgerlichen Staat deutlich. Das Recht schafft, stabilisiert und legitimiert den bürgerlichen Staat, wie auch umgekehrt. Recht und Staat sind miteinander verbunden. Allerdings wird diese Verbindung aus bürgerlicher Rechtsperspektive nicht sichtbar und ist genau deswegen so “elegant” für die Herrschaft der Bourgeoisie. Materielle Ungleichheit, Macht, etc. werden nicht sichtbar.
Marxistische Kritik am bürgerlichen Rechtsverständnis
Bevor wir auf die marxistische Kritik am bürgerlichen Rechtsverständnis eingehen, ein paar Worte zum Verhältnis von Recht und Staat: Marx, Engels und Lenin machen deutlich, dass Recht immer mit dem Staat verbunden ist. Lenin macht in Staat und Revolution klar, dass Recht nichts ist, ohne eine Instanz (den Staat), der dessen Einhaltung erzwingt (LW 25, S.485). Da der Staat das Instrument der Klassenherrschaft ist, gilt das für einen bürgerlichen Staat, wie für einen Arbeiterstaat. Recht muss durch den Staat aufrechterhalten und erzwungen werden, sonst kann es nicht erhalten bleiben. Diese Verbindung ist in der marxistischen Staatslehre begründet. Wir möchten die Leser auf die notwendige Verbindung von Staat und Recht hinweisen, können an dieser Stelle aber nicht näher darauf eingehen, da es uns in diesem Text nicht um ein umfassendes Grundlagenwerk zu Recht und Staat geht.
Marx und Engels gehen an unterschiedlichen Stellen auf die Funktion von bürgerlichem Recht für die kapitalistische Klassenherrschaft ein. In diesem Text möchten wir insbesondere auf zwei Kritiken eingehen, da sie wichtig werden, um den Kontrast von bürgerlichem Rechtsverständnis zum marxistischen Rechtsverständnis voll zu fassen und um die Problematik in der Debatte der KO um das Statut deutlich zu machen. Die erste Kritik bezieht sich auf die Konstruktion von Rechtssubjekten. Die zweite Kritik auf die vermeintliche Entpolitisierung von bürgerlichem Recht, welche unmittelbar mit der Herrschaft der Bourgeoisie verbunden ist.
Zur ersten Kritik: Das bürgerliche Rechtsverständnis, das die Rechtssubjekte aus einer vermeintlichen Natur des Menschen heraus konstituiert (siehe vorherigen Abschnitt), ist für Engels klarerweise Ausdruck der historischen Umstände (vgl. Anti-Dühring, MEW 20, S. 99) und rechtfertigt, respektive verschleiert, die Klassengegensätze. Exemplarisch kritisiert er im Anti-Dühring die Konstruktion der natürlichen Gleichheit. Er zeigt hier exemplarisch, dass jede Konstruktion einer ideellen Gleichheit in Widersprüche führt oder völlig weltfremd ist: “Um das Grundaxiom fertigzubringen, daß zwei Menschen und ihre Willen einander völlig gleich sind und keiner dem andern etwas zu befehlen hat, dazu können wir noch keineswegs jede beliebigen zwei Männer gebrauchen. Es müssen zwei Menschen sein, die so sehr von aller Wirklichkeit, von allen auf der Erde vorkommenden nationalen, ökonomischen, politischen, religiösen Verhältnissen, von allen geschlechtlichen und persönlichen Eigentümlichkeiten befreit sind, daß von dem einen wie von dem andern nichts übrigbleibt als der bloße Begriff: Mensch, und dann sind sie allerdings »völlig gleich«” (MEW 20, S.91). In anderen Worten, um zu beweisen, dass zwei Menschen und ihre Willen völlig gleich sind, müssen die beiden Menschen vollständig von allen Einflüssen und Unterschieden befreit sein, die sie von anderen Menschen unterscheiden. Erst dann kann man sagen, dass sie tatsächlich „völlig gleich“ sind. Weiter: “die völlige Gleichheit der beiden Willen [besteht] nur so lange […], als diese beiden Willen nichts wollen; daß, sobald sie aufhören, menschliche Willen als solche zu sein, und sich in wirkliche, individuelle Willen, in die Willen von zwei wirklichen Menschen verwandeln, die Gleichheit aufhört” (MEW 20, S. 95). Engels macht hier deutlich, dass die Konstruktion eines “natürlichen Menschen“, der in seiner Natürlichkeit gleich zu anderen Menschen ist, nicht existiert. Der individuelle Wille eines Menschen ist niemals völlig frei von seiner materiellen Umgebung zu denken. So muss dieser in einer Klassengesellschaft immer in Verbindung zu seine Zugehörigkeit zu einer Klasse betrachtet werden, da es keinen neutralen Willen geben kann. Damit entzieht Engels der bürgerlichen Konstruktion von Rechtssubjekten ihre normative Grundlage, die, wie im vorherigen Abschnitt dargelegt, ihre ganze Legitimität auf der Freiheit der Vernunft und des Willens aufbaut.
Marx geht in “Zur Judenfrage” auch auf die Konstitution der Rechtssubjekte ein und macht deutlich, was die Konstitution der Rechtssubjekte für die gesellschaftlichen Verhältnisse bedeuten: “Der Mensch wurde daher nicht von der Religion befreit, er erhielt die Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom Eigentum befreit. Er erhielt die Freiheit des Eigentums. Er wurde nicht von dem Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbefreiheit” (MEW 1, S.369). Die Konstruktion des Rechtssubjektes ist also notwendig, damit jeder “frei” mit seinem Eigentum (oder dessen nicht-Vorhandensein) und seinem Gewerbe umgehen kann. Diese Freiheit, selbstständig Rechtsverhältnisse einzugehen, ist also nichts anderes als die Freiheit, sich möglichst effizient den kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten der Warenproduktion und des Warenaustausches unterzuordnen. In den vorhergehenden Gesellschaftsformationen hatten die Arbeitskräfte durch Leibeigenschaft und Sklaverei diese Freiheiten nicht. Damit hemmten sie die kapitalistische Produktion, weil das Produktionsverhältnis verhinderte, dass die Arbeitskräfte dorthin wandern, wo die Nachfrage aufgrund der Profitrate am höchsten ist. Diese “doppelte Freiheit” – der Arbeiter kann seine Arbeit verkaufen und muss dies tun, da er frei von Produktionsmitteln ist – ist genau dafür notwendig, damit die kapitalistische Gesellschaftsformation möglichst störungsfrei funktionieren kann.
Marx geht an dieser Stelle mit seiner Kritik des bürgerlichen Rechts aber noch weiter. In der gleichen Schrift gibt er eine weitreichende Kritik zur bürgerlichen Gesellschaft und der für sie notwendigen Bedeutung des bürgerlichen Rechtsverhältnisses. Er stellt das Verhältnis zwischen Politik und Recht dar: “Das Menschenrecht der Freiheit hört auf, ein Recht zu sein, sobald es mit dem politischen Leben in Konflikt tritt, während der Theorie nach das politische Leben nur die Garantie der Menschenrechte, der Rechte des individuellen Menschen ist, also aufgegeben werden muß, sobald es seinem Zwecke, diesen Menschenrechten widerspricht. Aber die Praxis ist nur die Ausnahme, und die Theorie ist die Regel. Will man aber selbst die revolutionäre Praxis als die richtige Stellung des Verhältnisses betrachten, so bleibt immer noch das Rätsel zu lösen, warum im Bewußtsein der politischen Emanzipatoren [gemeint sind die bürgerlichen Revolutionäre, Anm. von uns] das Verhältnis auf den Kopf gestellt ist und der Zweck als Mittel, das Mittel als Zweck erscheint” (MEW 1, S.367). Der bürgerlichen Theorie nach soll die Politik – das politische, öffentliche Leben – dazu dienen, das Recht (hier im Speziellen das Menschenrecht als die Klassizität – der “Prototyp” – der bürgerlichen Rechte) zu schützen. In der Praxis der bürgerlichen Politik ist es allerdings umgekehrt. Das Recht wird beschnitten, sobald es sich im Konflikt mit der Politik befindet. Das Recht, welches der bürgerlichen Theorie nach Zweck der Politik sein soll, wird in der bürgerlichen Praxis zum Mittel der Politik. Die Politik, die der bürgerlichen Theorie nach das Mittel zur Einhaltung von Recht sein soll, wird in der Praxis zum Zweck von Recht. Hier wird schon deutlicher, dass nicht nur wie oben in Engels’ Kritik aus dem Anti-Dühring die Konstruktion der Rechtssubjekte unhaltbar ist, sondern auch, dass die Konstruktion der Rechtssubjekte und der Form der von ihnen eingegangen Rechtsverhältnisse zum Zweck der Politik werden – und die Politik ist in der bürgerlichen Gesellschaft nichts anderes als die Erhaltung der Klassenherrschaft.
Wir kommen zur zweiten Kritik. Mit der Konstruktion von Rechtssubjekten ist verbunden, dass die politische Revolution der bürgerlichen Revolution darin bestand, die bürgerliche Gesellschaft scheinbar zu entpolitisieren. Die politische Revolution hat die politischen Aspekte der bürgerlichen Gesellschaft aufgehoben. Sie hat die bürgerliche Gesellschaft in ihre einzelnen Teile zerlegt. Einerseits in die Individuen und andererseits in die materiellen und geistigen Elemente, die das Leben der Individuen bestimmen. Durch die politische Revolution wurden die Individuen von ihren politischen Pflichten befreit und ihre Aktivitäten und Lebensbedingungen haben nur noch eine individuelle Bedeutung (MEW 1, S.368). Marx führt weiter aus, dass die politische Emanzipation zugleich die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft von der Politik war: “Allein die Vollendung des Idealismus des Staats war zugleich die Vollendung des Materialismus der bürgerlichen Gesellschaft. Die Abschüttlung des politischen Jochs war zugleich die Abschüttlung der Bande, welche den egoistischen Geist der bürgerlichen Gesellschaft gefesselt hielten. Die politische Emanzipation war zugleich die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft von der Politik” (MEW 1, S.369). Die Abstimmung über die Belange des Lebens, die Abstimmung darüber, wie man zusammenleben möchte und das Überleben der Gruppe strukturieren möchte, ist in der bürgerlichen Gesellschaft kein Gegenstand der Öffentlichkeit. Die Struktur der Sicherung des Überlebens ist vorgegeben. Das individuelle Überleben zu sichern, ist dann eine Frage dessen, welches Rechtsverhältnis man eingeht, bzw. gezwungen ist, einzugehen. Letzteres bedeutet natürlich der Zwang zur Lohnarbeit. Und dieser Zustand der vorgegebenen Form des Rechtsverhältnisses als das einzig Richtige und Legitime, wird dann zum Schein des Natürlichen. Es erscheint uns, als könne es gar nicht anders sein, der Mensch sei ja von Natur aus so und so. Entsprechend ist die Form der Verhältnisse, die Menschen miteinander eingehen (um ihr individuelles Leben zu sichern) eben die des Rechtsverhältnisses, das letztlich immer eine Art Vertrag ist. Der Clou an dieser Entpolitisierung ist der, dass gerade durch die Entpolitisierung das Rechtsverhältnis als das natürliche, unumstößliche und wie oben gezeigt, als das legitime Verhältnis zwischen Menschen gilt. Die Entpolitisierung der bürgerlichen Gesellschaft und mit ihr eben die Entpolitisierung des Rechtsverhältnisses führt zur blinden Unterwerfung unter die Rechtsform (welchen Inhalt sie auch immer annehmen mag). Und damit erscheint die Rechtsform, also das Mittel, als Zweck. Und zwar als Zweck an sich selbst, der die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens bildet.
Die erste Kritik soll also auf die Konstruktion von Rechtssubjekten abzielen, insofern, als dass einer Konstruktion über eine natürliche Gleichheit jede Grundlage fehlt. Die zweite Kritik soll deutlich machen, dass die “Entpolitisierung” durch das Recht, die Rechtsform natürlich erscheinen lässt; die Form vor die Inhalte stellt und dabei die materielle Ungleichheit und Gewalt verklärt.
Marxistisches Rechtsverständnis
Im Unterschied zu einem bürgerlichen Rechtsverständnis geht ein marxistisches Rechtsverständnis von den materiellen Umständen aus und benennt offen die Klassenherrschaft, die das gegebene Recht stützt. Der wichtigste Unterschied zum bürgerlichen Rechtsverständnis ist der, dass das marxistische Rechtsverständnis Recht niemals als Selbstzweck begreift. Durch die Betrachtung von Recht in seinem materiellen Kontext wird direkt der funktionalistische Charakter von Recht deutlich: Als Mittel zur Klassenherrschaft. Das Recht hat für Marxisten also keinen intrinsischen Wert – keinen Wert in sich. Für Recht, das sich also Marxisten geben, ist zentral, dass sein instrumenteller Charakter deutlich wird. Sei das in einem sozialistischen Staat – als Beispiel die Verfassung der Sowjetunion – in dem das Recht als Instrument zur Herrschaft der Arbeiterklasse und des Aufbaus des Sozialismus dienen soll. Hier hat das Recht also einen instrumentellen Wert, insofern es einem Zweck dient, der gut ist. Das Recht bezieht hier also seine Legitimation aus seinem Zweck. Wenn der Zweck, dem das Recht dient, nicht gut ist, ist auch das Recht selbst nicht gut. Recht, das der Herrschaft der Bourgeoisie dient, ist für uns klarerweise nicht legitim.
Stalin hebt in seiner Rede zur Verfassung der Sowjetunion (SW 14, S.46) den instrumentellen Charakter von Recht – hier der neuen Verfassung – deutlich hervor. Stalin erklärt, dass sich alles Recht dem Zweck des sozialistischen Staates unterzuordnen hat. Dies zeigt zugleich den begrenzten Charakter des Gesetzes selbst. Revolution kann nicht per Dekret gemacht werden: Revolution, der Aufbau des Sozialismus, der Übergang zum Kommunismus kann nicht per Gesetz festgelegt werden. Was das Gesetz im Dienste des revolutionären Prozesses höchstens tun kann, ist die Direktiven der Partei zu konkretisieren und die Ergebnisse der Revolution festzuhalten. Es kann sie unterstützen. Es kann sie bewahren. Mehr kann es für den revolutionären Prozess nicht tun, und es kann sich auch nicht darauf beschränken: Das Gesetz muss auch das innere Leben der sozialistischen Staaten regeln, die ihre eigenen demokratischen Mechanismen haben. Deshalb kann es den gesellschaftlichen Wandel nicht steuern und ist in diesem Sinne seinem Charakter nach konservativ. Nehmen wir den Fall der sowjetischen Verfassung von 1936. Dies war die zweite Verfassung, die auf die vollständige Verstaatlichung der Industrie und die Kollektivierung des ländlichen Raums folgte. Seit der Verfassung von 1918 (die bereits 1924 aktualisiert wurde) hatte der Sozialismus gesiegt, die Wirtschaftsstruktur und die soziale Basis hatten sich verändert.
Die neue Verfassung nahm diese Erfolge auf, pries keine neuen Prinzipien an, sondern passte den institutionellen Überbau an die neue Realität an. Es ist jetzt nicht wichtig zu verstehen, wie adäquat dies war und ob und wo dabei Fehler gemacht wurden (z.B. bei der Frage des Wahlsystems). Die Sache ist, dass eine fetischistische (bürgerliche) Rechtsauffassung ein solches Ergebnis einfriert und absolut und unüberwindbar gemacht hätte. Dies gilt umso mehr, als es sich nicht, um nur ein Beispiel zu nennen, um ein einfaches Statut einer kommunistischen Organisation ohne wirkliches Programm handelt (zumindest wird das behauptet), sondern um die erste wirklich sozialistische Verfassung des ersten sozialistischen Landes der Welt. Sich jedoch auf das fortschrittlichste Rechtssystem zu beschränken, das die Menschheitsgeschichte hervorgebracht hat, hätte bedeutet, den historischen Prozess selbst zu unterbrechen und die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft, die zum Kommunismus führt, aufzuhalten. So wird in der Verfassung von 1936 bereits in den ersten Artikeln das genossenschaftliche Eigentum der landwirtschaftlichen Kolchosen anerkannt und geschützt. Wenn das Gesetz das letzte Wort hätte, wäre diese Form des Eigentums nach den Plänen der Partei für immer bestimmt gewesen. Wenn dies tatsächlich der Fall war, zumindest bis zum Sieg der Konterrevolution, so lag das nicht daran, dass die Partei die in der Verfassung verankerten Rechte verehrte und für unveränderlich hielt, sondern wegen der nachfolgenden revisionistischen Wende. Die Gesetze der sozialistischen Produktion erforderten eine Entwicklung hin zur ständigen Ausweitung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln. Wie Stalin ausdrücklich in “Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR” (1952) darlegt, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das genossenschaftliche Eigentum der Kolchosen in gesellschaftliches Eigentum in Form von sozialistischem Staatseigentum umgewandelt würde. Chruschtschows Revisionismus hat genau diesen Prozess unterbrochen. Der vielleicht gerade deshalb als Held der Verteidigung des Statuts, pardon, der Verfassung gelten sollte.
Hätte es aber nicht ausgereicht, das Ziel des Kommunismus in der Verfassung selbst zu verankern, die notwendigen Umgestaltungen zu beschreiben und vorzuschreiben? Eine berechtigte Frage, die Stalin in seiner Rede vom November 1936, in der er den Verfassungsentwurf vorstellt und kommentiert, der kurz darauf ratifiziert wird, sehr deutlich beantwortet. Stalin sagte: „Die Verfassung ist kein Programm”. “Während ein Programm von dem spricht, was noch nicht da ist und erst in der Zukunft erzielt und errungen werden soll, muss eine Verfassung im Gegenteil von dem sprechen, was bereits da ist, was jetzt, gegenwärtig, bereits erzielt und errungen ist. Ein Programm betrifft hauptsächlich das Künftige, eine Verfassung das Gegenwärtige”. Die Grenzen des Rechts können nicht durch das Recht selbst überschritten werden. “Muss unsere Verfassung diese Tatsache, die Tatsache der Erringung des Sozialismus, zum Ausdruck bringen? Muss sie auf dieser Errungenschaft basieren? Unbedingt muss sie das. Sie muss das, weil der Sozialismus für die Sowjetunion das ist, was bereits erreicht und errungen ist. […] Kann unsere Verfassung auf der höheren Phase des Kommunismus basieren, die es noch nicht gibt und die erst errungen werden muss? Nein, das kann sie nicht, denn die höhere Phase des Kommunismus ist für die Sowjetunion das, was noch nicht verwirklicht ist und was in der Zukunft verwirklicht werden soll. Sie kann das nicht, wenn sie sich nicht in ein Programm oder in eine Deklaration über künftige Errungenschaften verwandeln will” (SW 14, S.45). Das Recht kann und muss dann die Errungenschaften festschreiben und somit konsolidieren. Eine Garantie für die Zukunft kann es nicht geben. Letzteres dem ersten unterzuordnen, indem man beispielsweise das Programm einer revolutionären Partei ihrem Statut unterordnet, würde bedeuten, den Marsch in die Zukunft unter der Illusion aufzugeben, die Gegenwart zu verteidigen. Mit dem Ergebnis, dass auch die verloren geht.
Obwohl das Recht im Sozialismus kein Selbstzweck ist, ist seine Einhaltung deshalb noch nicht unwichtig. Andrej Janjewitsch Wyschinski, der führende Theoretiker des sowjetischen Jurisprudenz war und 1935 bis 1939 als Generalstaatsanwalt der Sowjetunion diente, führt dazu aus, dass die exakte und unbedingte Einhaltung des Sowjetrechts notwendig ist. Dies ist dadurch begründet, dass der Sowjetstaat den Interessen des Proletariats dient. Wer diese nicht einhält, handelt also gegen das Interesse der Arbeiterklasse und damit als Agent der Bourgeoisie. Klar ist, wäre das Sowjetrecht nicht im Interesse der Arbeiterklasse, dann könnte der strenge Gehorsam auch nicht gefordert werden (Wyschinski, 1948a, S.64f). Anhand der Ausführungen zu Stalin und der Diskussion um den Charakter von Recht in der Sowjetunion, wurde der instrumentelle Charakter von Recht verdeutlicht und klar gezogen, dass Recht keinen Selbstzweck hat und keine “neutrale” unabhängige Instanz ist. Es kann aus sich selbst heraus nicht fortschrittlich sein.
Um das Verhältnis von Form und Inhalt im marxistischen Rechtsverständnis besser zu verstehen, beziehen wir uns im Folgenden auf Ausführungen Lenins zum Verhältnis von politischem Programm und Organisation und betrachten ihre gegenseitige Bedingung. Der Zweck der Organisierung kann nur durch die Organisierung erfüllt werden. Gleichzeitig wirkt die Organisationsform selbst aber auch wieder auf die Zwecksetzung zurück.
Lenin macht in seiner Schrift “Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück (Die Krise in unserer Partei)” sehr klar, wie er die Hierarchie von Programm und Organisation versteht: “Das Programm ist tatsächlich wichtiger als die Taktik, die Taktik wichtiger als die Organisation” (LW 7, S. 389). Die Einheit in inhaltlichen Fragen ist die Voraussetzung für gemeinsame Organisierung. Bis diese zustande kommt, stellt es eine Notwendigkeit dar, sich abzugrenzen und damit den Kampf gegen den Opportunismus zu führen. Eine inhaltliche Einigkeit in Fragen der Programmatik und Taktik ist jedoch dann auch nicht ausreichend für eine Vereinigung und die Zentralisierung der Arbeit. Das ermöglicht erst der nächste Schritt, die Festlegung von Organisationsformen, in der sich die Minderheit unter die Mehrheit, jeder Teil unter das Ganze (dem Inhalt) unterordnet: “Die Einheit in Fragen des Programms und in Fragen der Taktik ist eine notwendige, aber noch unzureichende Bedingung für die Vereinigung der Partei, für die Zentralisierung der Parteiarbeit […]. Dafür ist noch die Einheit der Organisation notwendig, die in einer dem Rahmen eines Familienzirkels halbwegs entwachsenen Partei undenkbar ist ohne ein festgelegtes Statut, ohne die Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit, ohne die Unterordnung des Teils unter das Ganze. Solange wir in den Grundfragen des Programms und der Taktik keine Einheit hatten, sagten wir auch offen, daß wir im Zeitalter der Zerfahrenheit und des Zirkelwesens leben, erklärten wir offen, daß man sich voneinander abgrenzen muß, bevor man sich vereinigt, sprachen wir gar nicht von den Formen einer gemeinsamen Organisation, sondern ausschließlich von den neuen (damals wirklich neuen) Fragen des programmatischen und taktischen Kampfes gegen den Opportunismus. Jetzt hat dieser Kampf, wie wir alle anerkennen, bereits eine genügende Einheit gesichert, die im Parteiprogramm und In den Parteiresolutionen über die Taktik formuliert worden ist; jetzt mußten wir den nächsten Schritt tun, und wir haben ihn, mit unser aller Einverständnis, getan: wir haben die Formen einer einheitlichen, alle Zirkel zu einem Ganzen zusammenfassenden Organisation erarbeitet” (LW 7, S. 391).
Ist die inhaltliche Einigkeit über Programmatik und Taktik gegeben, auf deren Basis die Organisierung entwickelt wird, kann eine mangelnde Organisationsform wiederum zu einem Hemmnis der inhaltlichen Weiterentwicklung führen. Denn: “[d]ie mangelnde Entwicklung und Festigkeit der Form gibt keine Möglichkeit, weitere ernste Schritte in der Entwicklung des Inhalts zu machen, sie ruft einen beschämenden Stillstand hervor, führt zu einer Vergeudung der Kräfte, zu einem Mißverhältnis zwischen Wort und Tat” (LW 7, S. 394).
Bei einer solchen Vereinigung kann dennoch Kritik oder, wie Lenin schreibt, “Misstrauen” aufkommen. Dieses muss geäußert werden in Bezug auf das Programm, die Taktik oder das Statut: “Seitdem ich Mitglied der Partei bin, darf ich mich nicht nur auf mein unbestimmtes Mißtrauen berufen, denn das würde jeder Art Launen und jeder Art Dünkel des alten Zirkelwesens Tür und Tor öffnen; ich muß mein „Vertrauen“ oder „Mißtrauen“ mit formellen Argumenten begründen, d. h. mit dem Hinweis auf diese oder jene formell festgelegte Satzung unseres Programms, unserer Taktik, unseres Statuts,- ich darf mich nicht auf ein willkürliches „Vertrauen“ beschränken, sondern ich muß einsehen, daß über alle meine Entschlüsse und überhaupt über alle Entschlüsse jedes Teils der Partei vor der Gesamtpartei Rechenschaft abzulegen ist; ich muß den formell vorgeschriebenen Weg gehen, um meinem „Mißtrauen“ Ausdruck zu geben, um die Ansichten und die Wünsche durchzusetzen, die sich aus diesem Mißtrauen ergeben. (LW 7, S. 397/398). Nichts anderes ist passiert in der KO, als letzten November fast die Hälfte der Organisation statutengemäß einen außerordentlichen Kongress einberief, da die Mehrheit der Zentralen Leitung sich inhaltlich verselbständigte und eine politische Linie zu vertreten begann, die weder mit unserer Programmatik noch mit den letzten Beschlüssen der Vollversammlung übereinstimmte.
In dem Fall, dass durch unfähige Genossen im höchsten zentralen Gremium das Vorhaben der Partei zunichtegemacht wird, geht Lenin auch in seiner Schrift “Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben“ ein. Er beschreibt, “daß eine straffe Zentralisation die Sache allzu leicht zugrunde richten kann, wenn der Zentralstelle zufällig ein mit sehr großen Machtbefugnissen ausgestatteter unfähiger Mensch angehört”. Es ist “völlig unzulässig, ja geradezu schädlich” einer solchen Situation der Selbstherrschaft mit Dezentralisation oder Wählbarkeit zu begegnen. Auch gibt “[d]as Mittel dagegen […] kein Statut, es kann nur gegeben werden durch „kameradschaftliche Einwirkung“, angefangen mit Resolutionen all der vielen Untergruppen, fortgesetzt mit deren Anträgen an das ZO und das ZK und (im schlimmsten Falle) bis zum Sturz des völlig unfähigen Machtorgans“ (LW 6, S. 234). Das Mittel gegen das Ausnutzen der Machtbefugnisse des ZK ist also unbedingt die inhaltliche Auseinandersetzung und nicht das Statut, obwohl die inhaltliche Auseinandersetzung zunächst eine der durch das Statut geregelten Formen annehmen muss.
Er schreibt weiter, dass “die Frage des Statuts von so geringer Bedeutung” ist, da es v.a. darauf ankommt, dass die Organisation zu einer Kaderorganisation umgebaut wird, deren Kader alle eine Funktion erfüllen, eine gute Vernetzung in alle Zirkel und Betriebe aufbauen müssen und die Zentralstelle informiert ist über alle ihre Tätigkeit und Zusammensetzung. Eine feste Form der Organisierung anzustreben ist notwendig, allerdings nur durch die Tätigkeit selbst zu erreichen. Ein Statut dabei ist nicht das Zentrale: “Und nicht nur deshalb sind Statuten nutzlos, weil die revolutionäre Arbeit nicht immer eine feste Form zuläßt. Nein, eine feste Form ist notwendig, und wir müssen uns bemühen, der gesamten Arbeit nach Möglichkeit eine feste Form zu geben. Und eine feste Form ist in bedeutend größerem Umfang zulässig, als man gemeinhin annimmt, aber sie ist nicht durch Statuten zu erreichen, sondern nur und ausschließlich (wiederholen das immer und immer wieder) durch genaue Unterrichtung der zentralen Parteistelle: erst dann wird sich eine reale feste Form herausbilden, die mit realer Verantwortlichkeit und (Partei-)öffentlichkeit verbunden ist.” In der Bestimmung der Bedeutung des Statuts geht er sogar noch weiter: “Erst wenn wir lernen, von dieser Öffentlichkeit weitgehend Gebrauch zu machen, werden wir tatsächlich Erfahrungen sammeln über das Funktionieren dieser oder jener Organisationen, und nur auf Grund solch umfassender und vieljähriger Erfahrungen können Statuten zustande kommen, die keine Papierstatuten sind” (LW 6, S. 244). Mit der (Partei-)Öffentlichkeit ist gemeint, dass gerade sie die Inhalte aufdeckt, die die Standpunkte und Entwicklungsrichtungen der einzelnen Organisationseinheiten usw. erkennbar und diskutierbar macht. Jede kommunistische Organisation wird folglich in Folge ihrer Weiterentwicklung der Programmatik und ihres größer werdenden Erfahrungsschatzes ihre Organisationsform immer wieder anpassen müssen. Das Statut ist der Bedeutung des Inhalts nachgelagert.
Auch das EKKI schreibt in ”Thesen über die Bolschewisierung der Parteien der Komintern” im Jahre 1925 über das Verhältnis von innerparteilicher Organisation und Interessen des Kampfes, also Form und Inhalt: “Die wichtigste Voraussetzung der Bolschewisierung ist eine richtige, zur Eroberung der Massen führende bolschewistische Politik. Ohne richtige, bolschewistische Politik, die vor allem ein richtiges Wechselverhältnis zwischen der Partei und der gesamten Klasse, zwischen der Partei und den parteilosen Arbeitern herstellt, wird keinerlei organisatorische Form zum Ziele führen. Aber auch die beste Politik einer kommunistischen Partei wird nicht an die gesamte Parteimitgliedschaft und durch diese an die Arbeitermassen gelangen können, wenn der Partei nicht eine straffe, gut angepaßte Organisation zur Verfügung steht” (Band 2, S. 4.ff.). Auch hier geht das Verständnis hervor, dass die Bestimmung der richtigen Politik die wichtigste Voraussetzung ist. Aus einer organisatorischen Form allein heraus, wird man nicht zu dieser richtigen Politik gelangen. Gleichzeitig kommt aber auch die richtige Politik nicht aus ohne ihre richtige organisatorische Form, die erst die Erreichung der politischen Ziele gewährleistet. Das Organisationsprinzip des Demokratischen Zentralismus ist dem programmatischen Zweck untergeordnet. Der Demokratische Zentralismus ist also kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Dies stellen sie sehr klar heraus: “Die bolschewistische Partei betrachtet die innerparteiliche Demokratie nicht vom Gesichtspunkte eines abstrakten “Grundsatzes” aus. Sie stellt die Frage konkret. […]Die Formen der innerparteilichen Organisation haben sich den ausschlaggebenden Interessen des Kampfes um die proletarische Diktatur unterzuordnen. Unter allen Verhältnissen aber hat die Kommunistische Partei eine gewisse Freiheit der innerparteilichen Kritik, einen Geist der Gleichheit der Parteimitglieder untereinander, eine Zuvorkommenheit der höheren Organe den ihnen unterstehenden Zellen gegenüber, das Prinzip der Wählbarkeit usw. zu wahren” (Band 2, S. 4.ff.).
Die innerparteiliche Demokratie in Form des Demokratischen Zentralismus ist also nur wertvoll, wenn er den Interessen des Kampfes um die Diktatur des Proletariats dient, genauso wie das Recht in der Sowjetunion dem Zweck des Aufbaus des Sozialismus untergeordnet wird. Die Mittel werden immer dem Zweck untergeordnet.
In diesem Verhältnis von Zweck und Mittel ist auch der Charakter von Strafe zu verorten. Um den genauen Charakter von Strafe während der Entwicklung der Sowjetunion und der Partei verstehen zu können, müssen wir sicher noch mehr Forschung leisten. Der allgemeine Charakter von Strafe in einem marxistischen Rechtsverständnis ist allerdings klar. Strafe ist dazu da, um dem Zweck von Recht zu dienen. Nicht dem Recht als Selbstzweck, zur “Wiedergutmachung” o.ä., sondern damit der Zweck des Rechts erreicht werden kann. Wyschinski macht dies am Beispiel des sozialistischen Eigentums deutlich. Gerade der Schutz und die Stärkung von sozialistischem Eigentum ist zentral für die Errichtung des Sozialismus. Es gilt also das sozialistische Eigentum dringend zu schützen und zu erhalten. Entsprechend ist dies ein zentraler Pfeiler der Verfassung der Sowjetunion. Dies macht die Verfassung der Sowjetunion auch deutlich, indem alle, die das sozialistische Eigentum nicht achten, schützen und aufrechterhalten, Feinde des Volkes sind. Aus diesem Grund werden harte Strafen für das nicht-Achten von sozialistischem Eigentum durchgesetzt – also um das sozialistische Eigentum in seiner Zentralität für den Aufbau des Sozialismus zu schützen (Wyschinski, 1948b, S.648f.). Daraus wird deutlich, dass Strafe einen instrumentellen Charakter hat und nicht den Charakter der Vergeltung. Welches Instrument dann am besten geeignet ist für einen Zweck, ist eine konkrete Frage. Wer also eine Maßnahme für Rechtsbruch ansetzt, hat diese immer im Zusammenhang mit dem politischen Zweck des Rechts in seinem materiellen Kontext zu betrachten.
Das Statut der KO…
…marxistisch verstanden
Wir haben uns in der KO mit dem Statut eine Art “rechtlichen” Rahmen gegeben. Wie dieser zu verstehen ist, stand in den letzten Monaten vor dem außerordentlichen Kongress im Januar mit der Auseinandersetzung um das Imperialismusverständnis in der KO infrage. Anhand der obigen Ausführungen werden wir in diesem Kapitel das Statut einordnen, um dann die Debatte in der KO einzubeziehen.
Das Statut der KO legt einen Organisationszweck fest. Dieser Organisationszweck wird im ersten Paragrafen genannt, nämlich der Aufbau der Kommunistischen Partei (KP) in Deutschland. Wir machen deutlich, dass wir noch keine KP sind, und die Programmatischen Thesen unsere weltanschauliche Grundlage bieten, auf deren Basis wir die Partei aufbauen. Aus dem zu Beginn formulierten Zweck, der auf Basis der programmatischen Grundlage verwirklicht werden soll, leitet die KO ihren Charakter als demokratisch-zentralistische Organisation ab. Der Demokratische Zentralismus (DZ) als Organisationsprinzip ist abgeleitet aus dem Organisationszweck, der auf Basis der programmatischen Grundlage verfolgt wird.
Der DZ hat keinen Wert in sich selbst. Er ist aber wichtig für uns, weil er die überlegene und einzige Organisationsform ist, mit der wir den Zweck der KO, den Aufbau der Kommunistischen Partei und unseren Kampf gegen die Bourgeoisie, erreichen können. Nicht umsonst steht der Zweck in unserem Statut vor dem Organisationsprinzip. Wenn der Zweck, für welchen der DZ das richtige Instrument ist, nicht mehr gegeben ist, ist der DZ nichts anderes als blinder Gehorsam. Gibt es keine programmatische Grundlage, auf deren Basis der Zweck der Organisation verfolgt wird, dann ist der DZ keine angemessene Organisationsform. Denn ohne programmatische Basis oder ohne Organisationszweck handelt es sich bei einem starren Folgen des DZ um nichts anderes als blinden Gehorsam gegenüber einem Zentrum, dessen politische Ausrichtung der Willkür des Zentrums unterstellt ist. In einer solchen Situation hätten wir es tatsächlich mit einem autoritären Verständnis von Organisierung zu tun, bei dem blinde Loyalität und Gehorsam eingefordert wird. Dieses falsche Verständnis des autoritären Prinzips wurde in unserer Debatte mehrfach verteidigt und explizit vom revisionistischen Teil der KO eingefordert.
Wer nun das Statut so auslegt, dass der Organisationszweck ausgehöhlt wird und lediglich auf die Organisationsform abhebt, lässt unser Statut zu bürgerlichem Recht verkommen. Man bezieht sich auf das Statut rein um der Form Willen.
Das, worum wir aber streiten müssen, ist der Zweck der Organisation, der sich aus dem Inhalt und den damit verbundenen, von uns auf Basis des Marximus-Leninsmus, definierten Ziel der Organisation ableitet. Wenn nun in internen Diskussionsbeiträgen lang und breit die einzelnen Paragrafen des Statuts interpretiert werden, und ehemalige Genossen der KO bürgerliche Rechtsauslegung spielen, dann zeigen sie nur, dass sie die Grundlagen von marxistischem Rechtsverständnis, die das Statut der KO spiegelt, nicht verstanden haben.
Gleichzeitig ist es ein Ausdruck davon, dass genau dieser Inhalt unserer Organisation, den wir in den Programmatischen Thesen festgehalten haben, relativiert wird. “Es sind ja nur Thesen” oder “das muss alles noch geklärt werden”, wurde in verschiedenen Argumentationen von ehemaligen Genossen hervorgehoben, um unsere Programmatik gänzlich in Frage zu stellen und dem Statut unterzuordnen. Jedoch war und muss uns als KO klar sein: Auch wenn wir unsere Inhalte, auf die wir uns zur Gründung der KO geeinigt haben, als “Programmatische Thesen” betitelt haben und sie noch kein fertiges Parteiprogramm darstellen, haben sie programmatischen Charakter. Die darin getroffenen Positionen gelten für unsere Ausrichtung, bis wir sie ersetzen. Aus unserer politischen Einigkeit über diese Programmatik speist sich unsere Organisierung im Organisationsprinzip des Demokratischen Zentralismus, wie wir ihn im Statut festgehalten haben.
Ein zentrales Vorgehen der revisionistischen ehemaligen Genossen in der versuchten Zersetzung der KO war die Entpolitisierung des Statuts und damit eine Breitschlagung eines bürgerlichen Rechtsverständnisses in (ehemaligen) Teilen der KO. Damit sich Revisionismus auf dieser Ebene in Zukunft nicht mehr so schnell ausbreiten kann, stellen wir zentrale Vorgehensweisen der Revisionisten auf Ebene des Rechtsverständnisses dar.
…entpolitisiert durch die Revisionisten
Vor der Einberufung des außerordentlichen Kongresses, wurden politische Dissense durch die Revisionisten wahlweise ignoriert, verwischt oder gänzlich geleugnet. Nach dem Einberufen des außerordentlichen Kongresses aus politischer Begründung, haben die Revisionisten argumentiert, das Statut und der DZ stünden über der Programmatik und über politischen Begründungen. Dieses erste Vorgehen, indem ein bürgerliches Verständnis des Statuts breitgeschlagen wurde, hat im Kampf in der KO eine große Rolle eingenommen, da viele ehemalige Genossen darauf angesprungen sind.
So veröffentlichte der revisionistische Teil der ehemaligen Leitung, der in der Legislatur nach der Vollversammlung im April 2022 die Mehrheit darstellte, Folgendes: “Die Vollversammlung der KO im April 2022 hat neben Beschlüssen zur Aktionsorientierung und zur Klärung eine Leitung gewählt. Die Fraktionierer stellen die Legitimität der Leitung in Frage und brechen, ohne dies zu verheimlichen, Beschlüsse, die von dieser gewählten Leitung gefällt wurden. Kritik an Entscheidungen und Handlungen ist legitim. Die Fraktionierer setzen sich allerdings über die Wahlentscheidung der letzten Vollversammlung hinweg und warten nicht die Beschlüsse einer nächsten Vollversammlung ab, sondern setzen unser Organisationsprinzip eigenmächtig außer Kraft.” Mit den “Fraktionierern” ist hier der marxistisch-leninistische Teil der Leitung gemeint, der unter anderem aufgrund von Mehrheitsbeschlüssen zustande gekommenen Stellungnahmen, die ihrem neu gesetzten Inhalt nach den Programmatischen Thesen sowie der Aktionsorientierung widersprechen, einen außerordentlichen Kongress einberufen hatte. Das Ziel damit war sowohl eine Positionierung zur Imperialismusfrage einzufordern und damit eine kollektive Positionierung zu ermöglichen (im Gegensatz zu Positionierungen, die aufgrund von Mehrheitsbeschlüssen innerhalb der Leitung getroffen wurden, und nicht von den Beschlüssen der Organisation gedeckt waren), als auch eine Neuwahl der Leitung zu ermöglichen. Das Außerkraftsetzen der Organisationsprinzipien ist in ihrem Handeln dem Inhalt untergeordnet, sodass Brüche von Beschlüssen, die allein auf einer sich verselbstständigten Leitung fußen und selbst im Widerspruch zum Statut und den Programmatischen Thesen stehen, aber zur Erreichung des Inhalts dienen, legitimen Charakter haben. Und so steht dies gänzlich im Widerspruch zur falschen Einschätzung des revisionistischen Teils der Leitung über diese Beschlussbrüche: “Sie vertreten die Vorstellung, dass der Kampf gegen den von ihnen erkannten „Revisionismus“ all ihr Handeln und damit auch jegliche Beschlussbrüche legitimieren würde. Diese Demontage des Demokratischen Zentralismus ist höchst gefährlich und schädlich.”
Die Mehrheit der ehemaligen Zentralen Leitung hat sich über das Statut, in dem klar geregelt ist, dass die Programmatik vor dem Organisationsprinzip steht und der Kongress als das höchste Gremium über die politische Linie der Organisation bestimmt, hinweggesetzt. Sie ignorieren völlig, dass der Inhalt ihrer Beschlüsse (siehe G7 STN) bereits gegen die Programmatik und gegen die Organisationsprinzipien (Kongress beschließt politische Linie) widersprochen hat. Sie verabsolutieren, dass Genossen sich nun formal Anweisungen der Leitung widersetzt haben, um die Programmatik der KO zu retten. Sie verabsolutieren, dass sich Beschlüssen der Leitung niemals widersetzt werden dürfte, auch wenn diese bereits die inhaltliche Grundlage der Organisation ausgehöhlt hatte und darüber hinaus auch gegen das Organisationsprinzip verstoßen hat, nachdem es der Kongress ist, der die politische Linie festlegt. Eine solche Sichtweise verbürgerlicht das Statut.
Dieses bürgerliche Verständnis des Statuts wird sehr deutlich in der Ausführung eines anderen ehemaligen Genossen, welches von der ehemaligen revisionistischen Führung gelobt wurde. Er stellt dar, dass die Einberufung des außerordentlichen Kongresses (aKo) durch die Marxisten-Leninisten seiner Meinung nach schwerwiegende und weitreichende Konsequenzen hat. Seine Sorge gilt aber nicht den politischen Konsequenzen. Im Gegenteil. Er sorgt sich um tiefen Schaden, den allein die Einberufung des aKo der Organisation zugefügt hätte, weil ein “Präzedenzfall” geschaffen worden wäre, in dem wenige Personen das Statut in ihre eigene Hand genommen hätten, um zu sagen, wie es auszulegen sei. Der Schaden bestünde nun darin, dass mit diesem Präzedenzfall nun jede Person, wenn Emotionen hochkochten, Recht und Gesetz einfach in ihre eigene Hand nehmen können (als eine Form von Selbstjustiz). Der Willkür sei nun Tür und Tor geöffnet. Genossen seien nun ermutigt, das Statut, wann immer sie wollten, in die eigene Hand zu nehmen. Das ist die exakte Begründung, mit der Nicht-Marxisten im Alltag die Strafe nach bürgerlichem Recht rechtfertigen. Oft gehörte Sätze wie: “Sonst könne ja jeder tun und lassen, was er will!“ oder „Wo kämen wir denn sonst hin?” sind Ausdruck von dieser bürgerlichen Vorstellung. Sie zeigen, dass man sich an Recht halten müsse, weil es einen Selbstzweck hat. Wenn man Recht in seine eigene Hand nehmen würde, würde man den “heiligen” Charakter von Recht aufgeben. Hier entpolitisiert er Recht nach bürgerlichem Typ, indem er sich ausschließlich auf das Vorgehen der Einberufung des aKo bezieht, nicht auf seine politische Begründung. Allein das Vorgehen habe den “heiligen” Charakter des Rechts angetastet, indem ein Präzedenzfall geschaffen wurde.
Ein solches Verständnis von Statut und Recht ist zutiefst bürgerlich entpolitisierend, da es so tut, als spielte die politische Begründung gar keine Rolle. Wir machen dagegen deutlich: Allein die Entscheidung über einen guten oder schlechten ”Präzedenzfall” ist eine politische Entscheidung. Die Einberufung des außerordentlichen Kongress war politisch zweifellos richtig und im Sinne des Statuts, da sie den Zweck verfolgte, die Programmatik der KO zu verteidigen und weiteren Schaden von der Organisation abzuwenden. Sie war zudem auch der Form nach statutengemäß. Auf die Idee, dass die Einberufung des aKo aus politisch richtigen Gründen der Willkür Tür und Tor geöffnet hätte, kann man nur kommen, wenn man ein bürgerliches Rechtsverständnis an das Statut anlegt. Ausgehend vom marxistischen Rechtsverständnis sagen wir, dass es richtig ist, außerordentliche Kongresse einzuberufen, insofern die Zentrale Leitung mehrheitlich von Revisionisten besetzt ist, die die Programmatik der Organisation aushöhlen und sie zersetzen.
Ein anderer ehemaliger Genosse machte in internen Beiträgen das apolitische Verständnis von Organisierung besonders deutlich. Kurz vor dem aKo ruft er den marxistisch-leninistischen Teil der KO dazu auf, sich den Revisionisten anzuschließen. Er gibt offen zu, dass der revisionistische Teil keine einheitliche inhaltliche Grundlage hat. Dafür wolle sich dieser Teil auf Basis der kommunistischen Organisationsdisziplin organisieren. Das bedeutet nichts anderes als die Unterordnung unter beliebige Genossen, denn eine politische Personaldiskussion kann ohne politische Einheit nicht möglich sein. Die Organisationsdisziplin wird also bedingungslos gesetzt, auch wenn es gar keine inhaltliche Basis mehr gibt. So werden die “Rechtsverhältnisse” (hier der DZ) zum Zweck der Politik, die hier nichts anderes beinhaltet als den Zweck, den die dann gewählte Leitung willkürlich mit Inhalten ergänzen kann, da keine gemeinsame politische Grundlage existiert. Wer hier einwenden möchte, dass es neben der Imperialismusfrage doch ML-Grundlagen gäbe, die immer noch von diesen ehemaligen Genossen geteilt würden, sei beispielsweise daran erinnert, dass Teile der Revisionisten meinten, man könne in unserem inhaltlichen Dissens die Imperialismusfrage von der Kriegsfrage trennen. So zeigten sie bereits große Mängel im Verständnis der marxistischen Wissenschaft als Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang. Wenn eine so große Unklarheit im Bereich des Imperialismusverständnis besteht, dann ist klar, dass es Uneinigkeit über das Staatsverständnis, das Verhältnis von Basis und Überbau, Strategie und Taktik und eben auch dem Verständnis von gesetzmäßiger Entwicklung geben muss und auch gibt.
Diese Beispiele haben gezeigt, dass die Revisionisten an die Stelle eines politischen, marxistischen Verständnisses des Statuts ein apolitisches, bürgerliches Verständnis des Statuts gesetzt haben. Sie haben sich der Programmatik entledigt, um Gehorsam, begründet in der Form des Statuts, einzufordern.
…konkludent?
Eine besondere Rolle in der Diskussion um den Charakter des Statuts hat der sogenannte “konkludente Austritt” gespielt. Ein ehemaliger Genosse führte „juristisch-politische“ Ausführungen über vermeintliche Austritte von marxistisch-leninistischen Genossen aus Gremien an. Dazu bezog er sich auf die juristische Konkludenz. Konkludenz bedeutet für bürgerliche Juristen, dass es keiner expliziten Äußerung bedarf, um eine Handlung rechtskräftig zu vollziehen. Er führt das Beispiel eines Warenkaufs an, bei dem man auch wortlos die Ware und das Geld auf den Tresen legen kann, ohne dass explizit geäußert werden muss “ich kaufe diese Ware mit diesem Geld”, wodurch ein rechtskräftiger Warentausch zustande kommt. Es ist kein Zufall, dass das Rechtskonstrukt der Konkludenz aus dem Gewerbe kommt, ist es doch die logische Konsequenz aus der Konstruktion bürgerlicher Rechtssubjekte. Diese können ganz elegant Waren tauschen, indem sie selbstständig Verträge abschließen können, deren Einhaltung der Staat garantieren soll. Umso besser für die bürgerlichen Rechtssubjekte, wenn das noch einfacher geht, als darüber auch noch eine Willenserklärung abgeben zu müssen.
So profan und unproblematisch dieses Beispiel aussieht, hat es doch einen sehr problematischen Kern. Erstens deshalb, weil es keine neutrale Deutung einer Absicht oder eines Willens, der hinter einer Handlung steht, gibt. Konkludenz wird oft als eine Methode dargestellt, die objektiv und neutral ist, um Rechtsentscheidungen zu treffen, aber in Wirklichkeit von den Interessen der herrschenden Klasse beeinflusst wird. Wie oben dargestellt, besitzt die herrschende Klasse im Kapitalismus ihre eigenen Interessen und nutzt das Rechtssystem, um diese Interessen zu schützen und zu fördern, anstatt die Interessen der arbeitenden Klasse zu repräsentieren. Konkludenz, die als objektive Methode dargestellt wird, die auf logischen Schlussfolgerungen basiere, ist in Wirklichkeit ein Mittel, um die Interessen der herrschenden Klasse zu legitimieren und zu schützen. Daher ist Konkludenz nicht neutral, sondern vielmehr von den Interessen der herrschenden Klasse beeinflusst und daher ein unangebrachtes Konstrukt zur Entscheidung von Unklarheiten in einer kommunistischen Organisation.
Aus marxistischer Perspektive muss klar sein, dass die Deutung – oder vielmehr Unterstellung – einer Absicht eine Frage von politischer Position und Macht ist. So wird dieses juristische Konstrukt der Konkludenz von den bürgerlichen Verfolgungsbehörden genutzt, um Repression gegen linke Aktivisten durchzuführen. So kann über “Konkludenz” beispielsweise eine Mittäterschaft an Gewalt, die aus einer Demonstration heraus geschieht, konstruiert werden. Wer auf einer Demonstration ist, Gewalt beobachtet und sich nicht entfernt oder dies direkt der Polizei meldet, dem kann “konkludent” eine unterstützende Willensabsicht unterstellt werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Rondenbarg Prozess, bei dem Anwesenden bei einer Demonstration im Rahmen des G20 Gipfels 2017 in Hamburg Mittäterschaft an Gewalt gegen Polizisten unterstellt wird, obwohl sie nachweislich nicht an der Gewalt beteiligt waren. Es sei “konkludent”, dass sie hinter dieser Gewalt stünden, sie waren schließlich anwesend. Wem so eine Willensabsicht dann unterstellt wird, ist natürlich eine politische Entscheidung, die man nicht neutral aus den Handlungen eines Menschen ablesen kann.
Zweitens ist das Konstrukt der Konkludenz deshalb problematisch, weil es idealistisch ist. Damit die Konkludenz im bürgerlichen Rechtsverständnis Bestand haben kann, muss man glauben, dass es einen freien Willen gibt, der immer klar und bewusst ist. Aber für Materialisten gibt es so etwas nicht, da das Sein das Bewusstsein bestimmt. Für bürgerliche Rechtstheoretiker ist die Unterstellung des reinen Willens aber zentral für die Konkludenz, damit die Auslegung des Willens “neutral” sein kann, insofern eine andere Person mit einem “reinen”, “unbeeinflussten” Willen den Willen der ersten Person interpretieren kann. Angeblich frei von Klassen- oder Eigeninteresse (hier solltet ihr euch an Engels’ Kritik aus dem Anti-Dühring erinnern). Das Hantieren mit einem solchen Konstrukt entfernt uns von einem dialektisch-materialistischen Verständnis unseres Umgangs, unserer politischen Inhalte und unserer Organisationsform. Damit sollten wir als Kommunisten und als KO also zukünftig nicht oder nur äußerst vorsichtig umgehen.
An dieser Stelle halten wir es für wichtig, deutlich zu machen, dass es eine Form der “Konkludenz” auch in sozialistischem Recht geben kann. Mitunter kann es Situationen, in denen keine explizite Willensäußerung vorliegen muss, um einen rechtskräftigen Vorgang zu tätigen, geben. Allerdings hätten wir es hier mit einem anderen Charakter von Konkludenz zu tun, als sich in dem bürgerlichen Verständnis von Konkludenz des ehemaligen Genossen ausdrückt. In sozialistischen Staaten wird nicht so getan, als wäre der Staat und das Recht neutral. Im Gegenteil, es wird offen damit umgegangen, dass es sich um eine Klassenherrschaft des Proletariats handelt und Recht das Mittel eben dieser ist. So ist klar, dass Entscheidungen darüber, was “konkludent” sei, immer politische Entscheidungen sind und damit nicht “neutral” über eine Willensabsicht geurteilt werden kann. Viel mehr wird deutlich, dass dieses Urteil dann immer im Bezug zum Zweck des Rechts, also dem Aufbau des Sozialismus, steht und sich nicht einfach neutral aus der Handlung oder dem Gesetztestext ergibt.
Die Entpolitisierung unseres Statuts wurde von vielen Stellen vorgenommen. Sie gipfelte in der Vorstellung, des “konkludenten Austritts” von einigen Genossen aus dem Leitungsgremium. Darum beanspruchte die revisionistische Fraktion der ehemaligen ZL, dass sie alleine als ZL agieren könne. Es sollte allerdings klar geworden sein, dass erstens die Entpolitisierung des Statuts falsch ist, zweitens Konkludenz an sich äußerst problematisch und drittens, dass es konkludente Austritte in einer kommunistischen Organisierung nicht geben kann. Durch das Konstrukt eines “konkludenten Austritts” wird einer mehrheitlichen Führung letztlich die bedingungslose Entscheidungsmacht darüber übertragen, wann jemand, dem irgendwelche Verstöße unterstellt werden, „konkludent“ ausgetreten sei. Die im Statut geregelten Verfahren bzgl. statuarischer Maßnahmen und des Widerspruchsrechts dagegen werden einfach aufgehoben, indem so getan wird, als sei die ZL-Mehrheit eine neutrale Instanz, die völlig frei von politischem Willen die Handlungsabsichten von Genossen interpretieren kann. Mit dem Ziel, dann ebenfalls frei von politischem Willen “den Geist” des Statuts zu interpretieren, um juristisch einwandfrei daraus etwas abzuleiten. Das ist ganz und gar nicht im Sinne eines marxistischen Rechtsverständnis und einer kommunistischen Organisierung. Im Falle der KO war dieses Vorgehen der ehemaligen ZL-Mehrheit besonders absurd, da die ZL-Minderheit immer wieder offen ihre Willensabsicht, weiter in der ZL zu arbeiten, bekundet hatte.
Außerdem wäre die ehemalige ZL-Mehrheit nach dieser Logik selbst schon Anfang des Jahres 2022 konkludent aus der KO ausgetreten, als sie die Programmatik der KO (die Programmatischen Thesen) und damit den Demokratischen Zentralismus nicht mehr anerkannt haben. Da wir allerdings nichts auf das bürgerliche Konstrukt der Konkludenz geben, haben wir die ehemalige ZL-Mehrheit auf dem außerordentlichen Kongress der KO statutengemäß ausgeschlossen.
Für die Politisierung unseres Rechtsverständnisses
Wir haben in diesem Beitrag Gedanken zum weiteren Verständnis unseres Statuts formuliert, die auf den Beiträgen zum DZ und zum Revisionismus aufbauen, um unsere Debatte darum zu qualifizieren und weniger anfällig für Revisionismus zu machen.
Natürlich geht es in der aktuellen Situation der KO nicht um die Sicherung des sozialistischen Staates oder den Aufbau der Sowjetunion, auf die sich die Ausführungen von Stalin beziehen. Mit einem bürgerlichen Rechtsverständnis werden wir und die Kommunistische Bewegung aber auch niemals mit dem Kampf für den Sozialismus weiterkommen. Darum sollten wir klar haben, wie Form und Inhalt miteinander verbunden sind und dass die Organisationsform dem politischen Organisationszweck auf Basis unserer programmatischen Grundlage untergeordnet ist. Darum ist ein inhaltlicher, politischer Umgang mit unserer Organisierung auf allen Ebenen zentral. Nur so kann erkannt werden, welchen Charakter und welche Ursachen Brüche mit dem Statut haben. Es ist immer Gegenstand der Auseinandersetzung, inwiefern die programmatischen Grundlagen und die Linie der Organisation be- oder missachtet wurden. In dieser Auseinandersetzung gibt es keine übergeordnete “neutrale” Instanz, die darüber richten könnte und der man nur folgen müsste. Hier verbietet sich jeder Schematismus.
Die Wichtigkeit der (Re-) Politisierung betont Marx im Zusammenhang mit der bürgerlichen Gesellschaft und deren Rechtsverständnis selbst: “Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine »forces propres« |»eigene Kräfte«| als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht” (MEW 1, S. 370).
Literatur
Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt und herausgegeben von U. Wolf, 2006. Hamburg: Rowohlt.
Cicero, M. T.: De legibus – Über die Gesetze. Übersetzt und herausgegeben von R. Nickel, 1994. München: Artemis & Winkler.
EKKI (1925). Thesen über die Bolschewisierung der Parteien der Komintern. Die Kommunistische Internationale in Resolutionen und Beschlüssen 1925-1943, Band 2.
Komintern (1920). Leitsätze über die Rolle der KommunistischenPartei in der Proletarischen Revolution. Die Kommunistische Internationale in Resolutionen und Beschlüssen 1919-1924, Band 1.
Lenin, Wladimir Iljitsch. Werke. Berlin/DDR: Dietz Verlag.
Marx, Karl/ Engels, Friedrich. Werke. Berlin/DDR: Dietz Verlag.
Stalin, Josef. Werke. Berlin/DDR: Dietz Verlag.
Wyschinski, A. J. (1948a). Teachings of Lenin and Stalin on Proletarian Revolution and the State. Übersetzt von A. Rothstein. London: Soviet News.
Wyschinski, A. J. (1948b). The Law of the Soviet State. Übersetzt von H. W. Babb. London: Macmillan.