Stellungnahme der Zentralen Leitung der KO vom 14. Juni 2024
Die Wahlen zum EU-Parlament liegen hinter uns und alle reden über die Ergebnisse. Vor allem rechtsradikale Parteien haben in vielen EU-Ländern große Stimmenzuwächse zu verzeichnen: In Frankreich ist der Rassemblement National (31,4 %), in Italien die Fratelli d’Italia (28,9 %), in Österreich die FPÖ (25,5 %) zur stärksten Kraft geworden, in Belgien der Vlaams Belang (13,8 %) zur zweitstärksten Kraft, in Spanien legte Vox deutlich zu (9,6 %) und die neue rechtsradikale Partei Se Acabo la Fiesta (4,5 %) zog auf Anhieb ins Parlament ein. Auch in Deutschland ist die AfD mit 16% zweitstärkste Kraft hinter der CDU geworden.
Der Höhenflug der AfD ist nichts Neues, ihr Wahlerfolg kam mit Ankündigung. In Deutschland wurde im Vorfeld zu den Wahlen mobilisiert mit dem unsinnigen Slogan „Wer nicht wählt, wählt rechts“. Die Wahlbeteiligung lag mit etwa 65% in Deutschland auf Rekordhöhe und offensichtlich hat die Rechnung, dass nur möglichst viele Leute zur Wahl gehen müssen, um der AfD die Stimmen streitig zu machen, nicht funktioniert – viele Wähler, darunter auch viele Jungwähler, haben der AfD trotz (oder gerade wegen) der Anstrengungen ihrer Konkurrenten, sie ins politische Abseits zu schieben, ihre Stimme gegeben. Insbesondere in Ostdeutschland konnte die AfD sehr hohe Ergebnisse erzielen: In allen ostdeutschen Regionen mit Ausnahme Berlins und seines direkten Umlands hat die AfD überall die Wahlen mit ungefähr 30% gewonnen, mit einem Höchstwert von 31,8 % in Sachsen. Bemerkenswert ist auch hier, dass die Wahlbeteiligung in Ostdeutschland insgesamt eine der höchsten war (in vielen Kreisen um die 70%)1.
Der „Rechtsruck“ – nicht nur durch die AfD
Die AfD hat sich endgültig als fester Bestandteil des Parteiensystems etabliert und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis sie auf Landes- und dann Bundesebene in Regierungen eingebunden wird. Wofür die AfD steht, ist bekannt und muss nicht im Detail ausgeführt werden: Gesetze zugunsten des Kapitals, Hetze gegen Migranten und Muslime, Verfälschung der Geschichte zur (teilweisen) Rehabilitation des Faschismus. Eine gestärkte AfD wird dazu beitragen, solche Positionen in der Gesellschaft zunehmend salonfähig zu machen.
Wenn jedoch vom gesellschaftlichen Rechtsruck gesprochen wird und damit nur die AfD gemeint ist, geht das an der Realität völlig vorbei. Denn die AfD ist lediglich der Ausdruck einer allgemeinen Verschiebung des politischen Spektrums nach rechts, in Richtung einer autoritären, rassistischen und kriegstreiberischen Politik, für die in den letzten Jahren hauptsächlich die Parteien der „Ampel“ – SPD, FDP und Grüne – gemeinsam mit der CDU/CSU die Verantwortung tragen. Diese Parteien haben den Putsch in der Ukraine 2014 unterstützt und die Ukraine in den Krieg mit Russland getrieben, sie sind es, die den Krieg durch Waffenlieferungen in nie dagewesenem Ausmaß weiterhin nähren. Sie sind es auch, die den Völkermord des rechtsextremen zionistischen Regimes in Gaza umfassend unterstützen und in Deutschland in den letzten Monaten die Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt, teilweise ganz abgeschafft haben. All diese Parteien sind Teil des „Rechtsrucks“ und die Außenpolitik der „Ampel“ gegenüber Russland ist sicherlich eher als „rechtsradikal“ zu bezeichnen als die der AfD.
Das falsche Dilemma zwischen den Parteien der sogenannten „Mitte“ und der AfD lenkt von dem ab, worum es tatsächlich geht: Dass die Politik aller Parteien für das Kapital gemacht wird und nicht für die Arbeiterklasse und breiten Schichten des Volkes, für die Familien Quandt, Albrecht, und Plattner und nicht für die Hafenarbeiter, Pflegekräfte, Taxifahrer und Kioskbesitzer.
Die Ergebnisse
Neben den Zugewinnen der AfD und dem deutlichen Wahlsieg der Union sind folgende Aspekte bemerkenswert:
Erstens kommt die SPD weiterhin nicht aus ihrer tiefen Krise heraus, sie hat 1,9 Prozentpunkte verloren und liegt nun bei 13,9%. Die Partei Die Linke als zweite sozialdemokratische Partei hat 2,8 Prozentpunkte verloren und liegt damit bei 2,7%, zieht damit zwar noch mit 3 Sitzen ins Parlament ein, aber spielt so gut wie keine Rolle mehr. Auch anderswo lässt sich beobachten: Wenn die Parteien der „Mitte“ sich inhaltlich kaum noch unterscheiden und alle die gleiche arbeiterfeindliche Politik umsetzen, laufen die Wähler als erstes der Sozialdemokratie weg, deren Konzept ja darin besteht, Wähler damit anzulocken, dass sie soziale Verbesserungen versprechen.
Zweitens sind die Grünen der große Verlierer der Wahl – ihr Ergebnis ist von 20,5 auf 11,9% gefallen. Besonders bei jungen Wählern verfängt die verlogene Klimaschutz-Rhetorik der Partei, die in der Regierung nichts für den Klimaschutz getan hat und deren Kriegspolitik natürlich selbst extrem klima- und umweltschädlich ist, nicht mehr: Bei den Wählern zwischen 16 und 24 sank ihr Anteil noch extremer von 34 auf 11%. Auch die felsenfeste Unterstützung der Grünen für den israelischen Genozid stößt in der jungen Generation eher auf Unverständnis. Das ist wohl der einzig positive Aspekt dieser Wahlen in Deutschland – dass mit den Grünen eine fanatisch kriegslüsterne Partei ihre Aura verloren hat. Es wird darauf ankommen, mit den vielen jungen Leuten, die dieser Partei nun nicht mehr vertrauen, aber das Thema Klimaschutz weiterhin ernst nehmen, darüber zu sprechen, dass im Kapitalismus ein ausreichender Schutz der Umwelt nicht möglich ist und die Perspektive im Sozialismus liegt.
Drittens ist das Bündnis Sahra Wagenknecht aus dem Stand auf immerhin 6,2% gekommen, ein Ergebnis, das auf die fast durchgängigen zweistelligen Werte in den ostdeutschen Bundesländern zurückzuführen ist. Indem das BSW soziale Fragen aufgreift und die Kriegspolitik der Regierung kritisiert, kann es einen Teil der Wählerschaft auf sich ziehen und wird somit vermutlich ebenfalls vorerst zum bleibenden Faktor im Parteiensystem.
Viertens hat, vor allem unter Jungwählern, die Partei „Volt“ einen großen Erfolg erzielt: 9% in dieser Altersgruppe und insgesamt 2,6%, was fast einer Million Wählern entspricht. Offensichtlich ist ein erheblicher Teil der jungen ehemaligen Grünen-Wähler nun zu Volt abgewandert, die ein ähnliches Profil wie diese vertreten: ein schwammiges „progressives“ Image, indem man sich „gegen rechts“ und mit allgemeinen Phrasen für Minderheitenrechte einsetzt – so warb ihre Spitzenkandidatin Nela Riehl beispielsweise damit, eine „schwarze Frau aus der Arbeiterklasse“ zu sein und damit Gruppen zu repräsentieren, die im EU-Parlament nicht vertreten werden. Volt vertritt die Arbeiterklasse, die ja zu einem erheblichen Teil aus Frauen und Migranten besteht, jedoch schon mal gar nicht. Mit ihrem Programm stellen sie sich zu 100% hinter die reaktionäre und volksfeindliche Konstruktion der EU und agieren damit als vermeintlich „progressives“ Mäntelchen der Kapitaldiktatur. Sie stehen für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Eskalation des Krieges mit Russland. Den Vogel hat die Partei nun kürzlich mit ihren Unvereinbarkeitsbeschlüssen zum „Linksextremismus“ und gegen „Antisemitismus und Antizionismus“ abgeschossen – Volt will nicht mit sogenannten „linksextremistischen“ Kräften (also solchen, die den Kapitalismus abschaffen wollen) zusammenarbeiten und betont seine „Ablehnung von antisemitischem, antizionistischem und israelfeindlichem Gedankengut“. Sie betreiben damit die tatsächlich antisemitische Gleichsetzung von Judentum und Zionismus bzw. Israel und unterstützen unmissverständlich die Vernichtung des palästinensischen Volkes im Genozid Israels. Volt bezeichnet sich selbst gerne als „Antithese des Rechtspopulismus“ – dabei steht ihr Programm in Wirklichkeit selbst rechtsaußen. Für die nächsten Jahre ist klar: Dieser rechte Verein ist ein Feind der Arbeiterklasse und muss konsequent bekämpft werden.
Hoffnung für die Arbeiterklasse?
Bereits in unserer Stellungnahme vor den Wahlen haben wir eingeschätzt, dass keine der Parteien, die in Deutschland antreten, konsequent für die Interessen der Arbeiterklasse eintritt. Eine kommunistische Partei, die dem kapitalistischen System den Kampf ansagt, die die Wahlen und das Parlament als Bühne benutzt, um den Klassenkampf voranzubringen und letzten Endes den revolutionären Bruch herbeizuführen, eine solche Partei gibt es in anderen Ländern. In Deutschland gibt es sie momentan noch nicht. Deshalb gab es bei den Wahlen für die Arbeiterklasse auch nichts zu gewinnen.
DKP und MLPD, die beiden Parteien, die bei den Wahlen um den Anspruch konkurrierten, den Kommunismus zu vertreten, mussten beide deutliche Stimmenverluste hinnehmen. Die DKP beispielsweise sank von über 19.000 auf noch gut 14.000 Stimmen bundesweit, auch die MLPD verlor Tausende Stimmen (von 17.500 auf 13.000). Auch wenn wir die Wahl dieser Parteien nicht unterstützt haben, sind ihre Verluste kein Grund zur Freude – vielmehr zeigen sie die Schwäche der kommunistischen Bewegung in unserem Land und die Effektivität der Logik des „kleineren Übels“ und der Illusionen, die von der Sozialdemokratie in ihren verschiedenen Varianten (SPD, Linkspartei, BSW, Mera25) verbreitet werden. Auch eine revolutionäre kommunistische Partei wird eine langwierige und schwere Arbeit leisten müssen, um sich in den Massen zu verankern und von diesen als wirkliche Alternative gesehen zu werden.
Und doch liegt hierin die einzige Hoffnung für unsere Klasse – die eigene Organisierung gegen die Zumutungen des kapitalistischen Lebens auf allen Ebenen voranzutreiben und vor allem die Partei der Arbeiterklasse zu schaffen.
Hoffnung bedeutet auch das Wahlergebnis aus Griechenland – die KKE, die Kommunistische Partei, konnte ihren Stimmenanteil von 5,3 auf 9,3% erhöhen. Dieses Ergebnis ist nicht zu verwechseln mit dem Auf und Ab der Stimmen bei den bürgerlichen Parteien – es ist die Frucht vieler Jahre harter Kämpfe gegen das Kapital, die bürgerlichen Regierungen und die EU und Ausdruck eines veränderten Bewusstseinsstandes der Arbeiterklasse Griechenlands. Ein weiteres Mal zeigt sich, dass eine Partei, die ein überzeugendes Programm für die Revolution vorlegen kann, auch in der Lage ist, breite Massen für dieses Programm zu gewinnen.