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Der staatsterroristische Mord am bedeutenden iranischen General Qassem Soleimani, sowie einem der führenden Befehlshaber der irakischen Brigaden Abu-Mahdi Al-Muhandis und ihren Begleitern läutet eine neue Zeit in der Region und international ein. Kommunistinnen und Kommunisten haben die Aufgabe, mit aller Kraft und Aufmerksamkeit die Lage im Sinne des proletarischen Internationalismus zu analysieren und damit die Richtung für den revolutionären Kampf des internationalen Proletariats zu weisen. Symbolische Bekundungen gegen Krieg und für den Frieden sind nicht ausreichend.
Die internationale Situation
Wir befinden uns in einer historischen Phase der Verschärfung der innerimperialistischen Widersprüche und der Neuordnung des internationalen Machtgefüges, eine Phase also der grundlegenden Neuaufteilung der Welt, die mit einem heftigen Aufeinanderprallen der imperialistischen Staaten einhergeht. Im Zuge dieses Prozesses bilden sich neue Bündnisse und alte Blöcke werden umgebildet: auf der einen Seite stehen die alten Mächte, die ihre hegemoniale Stellung infrage gestellt sehen – das ist zurzeit vor allem die Weltmacht Nummer eins USA, aber auch die alten europäischen Imperialisten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien. Auf der anderen Seite stehen die aufstrebenden imperialistischen Länder: China, Russland und andere. Im gesamten imperialistischen Weltsystem findet eine Bündnisbildung entsprechend dieser Frontstellung statt: auf allen Kontinenten ordnen sich in einem schwierigen Prozess der Abspaltung und des Zusammenschlusses regionale Mächte diesen Blöcken zu, alte Bündniskonstellationen werden infrage gestellt. Die sich gegenüber stehenden Blöcke sind wiederum selbst voller einander entgegenstehender Interessenlagen. Die europäischen Mächte untereinander, aber auch in ihrem Verhältnis zu den USA, befinden sich in einem ständigen Gezerre um die Durchsetzung ihrer gegensätzlichen Interessen.
Die Region Westasien
Die Region Westasien, die sich im Osten von Afghanistan bis nach Libanon und Palästina, also zum Mittelmeer als den westlichsten Punkt Asiens, im Norden von der Türkei bis in den Süden nach Yemen erstreckt, ist durch seine geografische Lage und seine Energiereserven geostrategisch betrachtet von höchster Brisanz. Die Frontstellung in dieser Region zwischen den alten und den neuen Imperialisten drückt sich real in einer Frontstellung zwischen Spaltung und Einheit der Völker aus. Die USA und ihre internationalen und regionalen Verbündeten sind dazu gezwungen, ihre Macht durch Spaltung und Destabilisierung zu behaupten, wohingegen ihre internationalen und regionalen Gegner sich gegen sie nur durch Einheit und Stabilität verteidigen können. Die Konfessionalisierung, die Förderung nationaler Sonderinteressen, das Gegeneinander aufhetzen verschiedener Volksgruppen sind eine mittlerweile abgewetzte Waffe in den Händen der alten Imperialisten, allen voran den USA. Die ihnen entgegenstehenden Kräfte haben gar keine andere Option, als die Karte der Einheit der Nation und Einheit der Völker der Region auszuspielen.
Insbesondere ein Vielvölkerstaat wie der Iran ist aus seiner objektiven Lage heraus – schon nur zur Aufrechterhaltung der eigenen nationalen Einheit – regelrecht dazu gezwungen, die Parole der Einheit herauszugeben. Des Weiteren wird der Iran durch die von den USA forcierte Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten dazu gezwungen, auch in der gesamten Region – quasi als Verteidigungslinie – gegen die konfessionelle Spaltung Position zu beziehen. Das wiederum heißt nicht, dass der Iran Gelegenheiten zur Stärkung der eigenen Truppen entlang konfessioneller Linien nicht nutzt, so wie das im Irak geschehen ist. Wenn man aber die Haupttendenz der Entwicklung herausarbeitet – und nur darum geht es hier – ist festzustellen, dass in der Region eine Frontstellung zwischen den Kräften der Spaltung und Zerstörung (Fremdherrschaft / Besatzung) auf der einen Seite und den Kräften der Einheit und der Souveränität (Selbstbestimmung) entstanden ist.
Durch das staatsterroristische Attentat auf General Soleimani ist dieser Gegensatz in einer besonderen Schärfe zum Ausdruck gekommen. General Soleimani war die Verkörperung der Front der Einheit, sowohl im Iran als auch in der Region. Er war der Architekt einer einheitlichen Widerstandsfront von Palästina über Jemen, über Irak bis nach Afghanistan. Die Hoffnung der USA, dass durch die Beseitigung seiner Person eine verstärkte Spaltung in der Region forciert werden kann, hat sich in den letzten Tagen als historischer Trugschluss erwiesen: Die Front der Einheit in der Region hat durch den Mord an Soleimani eine neue Qualität erhalten. Diese Front richtet sich nun explizit gegen den Hauptaggressor USA und fordert seinen Abzug aus der gesamten Region. Das irakische Parlament hat beschlossen, dass alle fremden Truppen aus dem Land abziehen sollen. Die Frage der nächsten Zeit aus der Perspektive der Front der Einheit und für das gesellschaftliche Bündnis gegen die Fremdherrschaft werden sein, wie es gelingt, diese Front zu erweitern: die Türkei weiter aus dem Bündnis mit den USA herauszubrechen und in diese regionale Front einzubetten, genauso die sunnitische Basis im Irak, nicht unbedingt ihre politischen Vertreter, auf Grundlage ihrer feindlichen Haltung gegenüber den USA in das Bündnis der Einheit hineinzuholen, Teile der kurdischen Fraktionen aus der tödlichen Umarmung der USA und der Besatzungsmacht Israel herauszulösen und in die gemeinsame Front zu holen. Des Weiteren gehört es zu den großen Herausforderungen das schon sehr poröse Bündnis der Golfstaaten aufzulösen und Qatar und die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien sowie Oman mindestens in eine neutrale Position zu bringen.
Ein grundlegender Fehler ist es jetzt, diese Frontstellung als in irgendeiner Weise z.B. als „objektiv“ antiimperialistisch zu bezeichnen. Wir haben es real mit einem Tauziehen zwischen imperialistischen Staaten auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen zu tun. Eine Verklärung der staatlichen Vertreter der nationalen Kapitalistenklasse zu Antiimperialisten führt nur dazu, dass die Interessen der Arbeiterklasse in diesem Kampf nicht erkannt und im schlechtesten Fall den Interessen der nationalen Bourgeoisien untergeordnet werden.
Ebenso ist es ein grundlegender Fehler, aus der richtigen Erkenntnis, z.B. dass Russland und Iran kapitalistische Länder sind, die falsche Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Frontstellung in der Region für das internationale Proletariat keine praktische Bedeutung hätte, also eine äquidistante Haltung einzunehmen, nach dem Motto „Was interessiert uns der zwischenimperialistische Krieg, wir müssen den Arbeiterkampf in den Ländern unterstützen.“ Diese Haltung drückt die Arbeiterklasse herunter auf rein ökonomische und soziale Kämpfe und spielt den Aggressoren indirekt in die Hände. Große Teile des Proletariats aber haben schon erkannt, dass ihre existentiellen Belange mit dem Kampf um Frieden in der Region verknüpft sind.
Für die Völker der Region, die von Besatzung, Krieg, Ausbeutung und Fremdbestimmung gebeutelt sind, ist diese Frontstellung eine große Chance, um einen weiteren Schritt Richtung Selbstbestimmung zu gehen. Unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten ist es die Aufgabe der bewussten Teile des Proletariats im Zuge des Kampfes für Selbstbestimmung das Bestmögliche für die Arbeiterklasse herauszuholen, indem sie, wo es geht Arbeiterrechte und demokratische Forderungen nach Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit erkämpfen, indem sie Organisationen und mindestens Komitees der Arbeiterinnen und Arbeiter aufbauen und soweit wie möglich die politische Führung der Massen übernehmen. Zweifelsfrei wird das von Land zu Land unterschiedliche Formen annehmen müssen, je nach Entwicklungsstand des nationalen Proletariats, seines Bewusstseinsstandes und seiner Organisationen.
Die Bedeutung der Frontstellung in Westasien für das iranische Proletariat
Die Islamische Republik Iran ist eine kapitalistische Gesellschaft. Eine Kapitalistenklasse steht, – wie in allen anderen kapitalistischen Ländern – einer immens gewachsenen Arbeiterklasse gegenüber. Um aber die Situation der iranischen Arbeiterklasse zu begreifen, reicht es nicht, auf einer solchen allgemeinen Ebene zu bleiben. Die nationalen Besonderheiten müssen herangezogen werden. Zu diesen nationalen Besonderheiten gehören die revolutionäre Erfahrung von 1979, die auf Basis der Revolution entstandene besondere Konstellation des gesellschaftlichen Machtgefüges, zu der die organisierten Massen gehören. Die iranische Kapitalistenklasse steht in einem vielschichtigen widersprüchlichen Verhältnis zu dieser Ordnung: einerseits ist die Massenbasis ein Garant für die Behauptung der eigenen Macht gegenüber einer Opposition, die die gesamte Ordnung infrage stellt und auch gegen die Gefahren von Außen, auf der anderen Seite ist diese Basis die ständige Infragestellung ihrer kapitalistischen Bestrebungen, die faktisch im Gegensatz zum revolutionären Erbe, z.B. in Form der verfassungsmäßigen Grundsätze der Gesellschaft durchgesetzt werden muss. Dazu gehören unter anderem die in der Verfassung festgelegten Ziele der gesellschaftlichen Produktion, die sehr konkret die ökonomische und soziale Versorgung der Massen, das Recht auf Arbeit für alle Erwerbsfähigen, die Versorgung mit Wohnung und Bildung auf der einen Seite und auf der anderen Seite die vorgeschriebene Eigentumsordnung, die auf einem großen Teil auf staatlichem Eigentum an Produktionsmittel beruht, zu einem anderen Teil genossenschaftliches und privates Eigentum erlaubt.
Die iranische Arbeiterklasse ist einerseits ein unverzichtbarer Faktor in der Verteidigung der nationalen Souveränität des Landes und kann sich andererseits im Kampf gegen die Kapitalistenklasse auf die verfassungsmäßigen Errungenschaften der Revolution berufen. Diese Situation in ihrem eigenen Sinne auszunutzen, ist die Aufgabe der revolutionären Kräfte im Proletariat. Ein großer historischer Fehler ist es aber, stattdessen hauptsächlich auf den Sturz der Islamischen Republik zu orientieren, im schlimmsten Fall gar im Bündnis mit den imperialistischen Aggressoren, und damit den Bewusstseinsstand der Arbeiterklasse zu ignorieren. Wer noch eines Beweises dafür bedarf, dass ein Großteil der iranischen Bevölkerung hinter dieser Ordnung steht, die nach 1979 errichtet wurde, hat sie spätestens jetzt bei den Trauerfeierlichkeiten für General Soleimani, Al-Muhandis und ihre Weggefährten bekommen. Dutzende Millionen Iraner aus allen Schichten der Bevölkerung waren auf den Straßen, um ihre Trauer und Kampfbereitschaft zu zeigen. Die Kapitalistenklasse im Land muss gleichzeitig vor diesen Massen zittern: die Forderung nach einer ‚harten Rache‘ beinhaltet zuallererst die Vertreibung der Besatzung und Fremdherrschaft in der Region und die Herstellung von Einheit und Frieden. Die Kraft der Massen beinhaltet aber auch eine Besinnung auf die Stärke der Massen in der Revolution und verweist auf die Möglichkeit ihres Einsatzes, um an den historischen Erfahrungen der Revolution anzuknüpfen und ihre Errungenschaften zu verteidigen und zu vertiefen.
Eine Kapitalistenklasse, die bereit war das Atomabkommen mit ihren Feinden auszuhandeln, um ausländische Investitionen ins Land zu ziehen und den Weg für weitere Privatisierungen freizumachen, wird in den heutigen Tagen das Fürchten gelernt haben. Die zwischenimperialistischen Widersprüche jedoch führten dazu, dass dem Machtstreben der iranischen Bourgeoisie durch die USA ein Riegel vorgeschoben wurde, zuallererst um die Konkurrenten auszuschalten. Frankreich z.B. hatten einen großen Gas-Deal mit Iran auf dem Plan, der durch den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen durchkreuzt wurde. Aus dieser Situation kommt die iranische Kapitalistenklasse nur heraus, wenn sie sich der Kraft, Standhaftigkeit und Ausdauer der Massen bedient, sonst droht ihr womöglich ein ähnliches Szenario wie Syrien oder Irak. Für die iranische Arbeiterklasse und ihre besten Köpfe heißt das: jetzt die verfassungsmäßigen Rechte der Arbeiter auf den Plan rufen, jetzt zu fordern, die illegalen Privatisierungen des Staatseigentums zurückzunehmen, sozusagen bis an die Grenzen der durch die Revolution errungenen Arbeiterrechte den Kampf zur Verbesserung der Lage vorantreiben. Das entsprechende Bewusstsein für diesen Kampf ist gegeben und für alle spürbar. Das wiederum heißt nicht, dass das Ziel Sozialismus nicht mehr auf der Tagesordnung steht. Das ist natürlich, wie überall sonst, auch im Iran der Fall. Die Bedingung dafür ist die Schaffung einer revolutionären Arbeiterpartei, die im Iran ihre Arbeit aufnimmt.
Alle Bestrebungen aber, die versuchen in einem instrumentellen Verhältnis zur Arbeiterklasse, ohne Berücksichtigung des vorherrschenden Bewusstseinsstandes und der realen äußeren Bedrohung primär den Sturz der Islamischen Republik in den Fokus zu rücken, wofür es in den Reihen der Arbeiterklasse offensichtlich kaum Bereitschaft gibt, werden faktisch die Arbeiterklasse spalten. Zweitens werden sie die Arbeiterbewegung schwächen, weil die hauptsächlichen Kämpfe, die jetzt geführt werden müssen, die Verteidigung der nationalen Souveränität einerseits und das Zurückdrängen der kapitalistischen Reformen durch die iranische Bourgeoisie andrerseits sind. Davon aber lenkt die einseitige Frontstellung gegen die Islamische Republik nur ab.
Die Bedeutung der Frontstellung in Westasien für das internationale Proletariat
Für das internationale Proletariat ist die Frontstellung in Westasien ein Weckruf, den Kampf in den eigenen Ländern entsprechend aufzunehmen: Kampf gegen die eigene Bourgeoisie und ihre Kriegspläne in Westasien, Schaffung einer einheitlichen Front im eigenen Land für die Unterstützung der Front gegen die Besatzungsmächte in der Region. Dieser Kampf beinhaltet folgende Aspekte:
- Kampf gegen jegliche Form der Spaltung, sei es durch Konfessionalisierung, durch vorgeschobene und falsche Religionskritik, sei es durch eine äquidistante Menschenrechtsrhetorik
- Entlarvung, Abgrenzung und Distanzierung von allen Kräften, die explizit oder implizit die Front der Aggression und Spaltung unterstützen. Dazu gehören alle Kräfte, die die Kriegsgefahr herunterspielen und auch all diejenigen Kräfte, die meinen durch die Ausnutzung der Macht des Stärkeren (USA und ihre Verbündeten) eine ‚Demokratisierung‘ der Region herbeiführen zu können.
- Unterstützung der Arbeiterklasse in allen Ländern in Westasien in ihrem je national spezifischen Kampf für mehr politische und ökonomische Rechte und um die Verbesserung ihrer ökonomischen und sozialen Lage und für die Schaffung von eigenständigen, klassenbewussten Organisationen, um den Kampf für den Sozialismus führen zu können.