Standpunkt gegen den Marxismus

Die revisionistische Ideologie der Gegenstandpunkt-Gruppe

Von Thanasis Spanidis

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Wer über längere Zeit in der BRD kommunistisch aktiv gewesen ist, besonders im universitären Umfeld, dürfte früher oder später dem Gegenstandpunkt begegnet sein. Diese Strömung hat in vielen Städten ihre Ortsgruppen (ebenfalls als lose Diskussionszirkel) und sucht nach neuen Anhängern durch das Verteilen ihrer Zeitungen, das Organisieren von Vorträgen und den Verkauf ihrer „grauen Bände“, eben der Zeitschrift „Gegenstandpunkt“.

Das Weltbild des GSP in seinen Kernbestandteilen herauszuarbeiten und zu kritisieren, ist sehr mühsam und aufwändig – zum einen, weil bestimmte Grundauffassungen, die beim GSP der Beschäftigung mit allen anderen Themen zugrunde liegen, nur selten irgendwo explizit ausgeführt werden; zum anderen, weil das gesprochene, wie auch das geschriebene Wort beim GSP durch eine extrem anstrengende, unverständliche Sprache auffällt, durch die man sich erst einmal durcharbeiten muss. Doch dazu später mehr.

Der GSP hat, aus Gründen, die am Schluss angesprochen werden sollen, durchaus einigen Einfluss: Seine lokalen Diskussionsgruppen und akademischen Vorträge sind nur ein Teil davon. Sein ideologischer Einfluss findet sich auch in diversen Gruppen der linken Szene, beispielsweise innerhalb der Jugendorganisation „die Falken“. Selbst ins kommunistische Spektrum reicht dieser Einfluss hinein. Eine kritische Auseinandersetzung der Ideologie des GSP aus marxistischer Sicht hat es bisher trotzdem kaum gegeben.

Hier soll ein Aufschlag dazu geleistet werden, der sicherlich verbesserungsfähig und unvollständig bleibt. Es soll vor allem gezeigt werden, dass die Ideologie des Gegenstandpunkts ein in sich kohärentes Theoriegebäude darstellt, das sich allerdings (wie verschiedene Varianten der bürgerlichen Ideologie) weigert, sich selbst als solches zu verstehen (eine Weltanschauung haben für den GSP immer nur die anderen). Mit dieser Annahme, dass ihre eigene Erkenntnis sozusagen voraussetzungslos ist, fallen die GSPler letztlich in bürgerliches Denken zurück. Der GSP, dessen Vorgänger die „Marxistische Gruppe“ (MG) und die „Marxistische Streit- und Zeitschrift“ (MSZ) sowie davor die „Roten Zellen“ bildeten, versteht sich selbst als marxistisch – und die kommunistische Bewegung in ihrer Gänze als revisionistisch. In Wirklichkeit ist die Ideologie des GSP als dezidierter Antimarxismus zu verstehen, als umfassender Bruch mit der Theorie und Praxis des Marxismus. Damit ist er ein ideologischer Gegner der Kommunisten, seine Rolle ist objektiv, d.h. trotz gegenteiliger Absichten seiner Anhänger, der Organisierung des Proletariats und der Revolution entgegengesetzt. Diese These zu belegen, ist Ziel meines Textes.

Es ist meine Absicht, den politischen Irrweg des GSP auf das Schärfste zu kritisieren. Dies soll jedoch keine Absage an eine solidarische und sachliche Diskussion mit denjenigen Genossen sein, die vielleicht an dem einen oder anderen Punkt den Thesen des GSP mehr abgewinnen können als ich. Im Gegenteil, mein Text ist als Aufschlag einer solchen Diskussion zu verstehen. Meine Polemik richtet sich gegen den GSP mit seiner zynischen Besserwisserei, seiner offenen Verachtung für die Arbeiterklasse und das Volk, seinem antikommunistischen Geschichtsbild und seiner faktischen Resignation vor dem Kapitalismus. All diejenigen, die anders als der GSP das ernsthafte Anliegen haben, die kommunistische Bewegung wiederaufzubauen, gehören natürlich in eine andere Kategorie.

Der vorliegende Text ist bei weitem nicht die erste Kritik am GSP. So findet man im Netz Texte, die etwa die psychologischen Grundauffassungen des GSP kritisieren (vgl. z.B. Ess 2014). Auch die „wertkritische“ Zeitschrift Krisis hat eine ausführliche Kritik des GSP veröffentlicht, der in Teilen sogar zuzustimmen ist. Ihr Wert wird jedoch dadurch massiv gemindert, dass sie letztlich selbst von einem antimarxistischen und antikommunistischen Standpunkt aus formuliert ist und dementsprechend den GSP ausgerechnet für das am schärfsten kritisiert, was ihm am wenigsten vorzuwerfen ist: der (letztlich inhaltsleere, weil rein abstrakte) Bezug auf die Arbeiterklasse als diejenigen, die den Kapitalismus stürzen können und sollen sowie eine nicht ausreichend antikommunistische Haltung gegenüber dem realen Sozialismus. Dabei ist es gerade der faktische Antikommunismus des GSP, der eins seiner Erkennungsmerkmale ist und einen Gutteil seiner Attraktivität für die linke Szene ausmacht. Von einem ganz anderen, deutlich sympathischeren Hintergrund ausgehend hat auch der „Revolutionäre Aufbau“ eine Kritik am Revisionismus des GSP entwickelt, die sich auf den Individualismus dieser Strömung fokussiert. Es handelt sich dabei im Kern um eine richtige Kritik, die weiter unten aufgegriffen wird. Jedoch beschränkt sich die Befassung mit dem GSP dabei auf einen, wenn auch wesentlichen problematischen Aspekt und ist daher nicht ausreichend. Entscheidend für die Kritik des GSP an der bürgerlichen Gesellschaft sind seine philosophischen, d.h. vor allem erkenntnistheoretischen Auffassungen, zudem auch seine Haltung zu Staat und Nation. Politisch bedeutsam ist darüber hinaus seine (mit dem Staatsbegriff eng verknüpfte) Imperialismustheorie sowie seine mangelhafte Kritik des real existierenden Sozialismus.

Natürlich fokussiert dieser Text sich auf all das, was der GSP grundlegend falsch macht. Damit soll nicht geleugnet werden, dass seine Analysen, z.B. von bestimmten Ländern, politischen Entwicklungen oder der bürgerlichen Ideologie, nicht auch oft zu richtigen Ergebnissen kommen. Darüber hinaus sind seine theoretischen Irrwege durchaus in vielen Fällen als falsche Reaktionen auf theoretische Fehlentwicklungen in der kommunistischen Bewegung zu verstehen, beispielsweise als Kritik an der „antimonopolistischen Demokratie“ und der darin enthaltenen falschen Staatsvorstellung, an den Konzepten zur Anwendung des Wertgesetzes im Sozialismus, einem schematischen und deterministischen Verständnis des historischen Materialismus usw. Gerade diese „rationalen“ Aspekte beim des GSP machen allerdings auch einen Teil seiner Gefährlichkeit aus, weil es dadurch umso schwieriger wird, den problematischen Kern zu erkennen. Dafür bedarf es bereits eines einigermaßen entwickelten marxistischen Verständnisses und die Gefahr, theoretisch unerfahrene Menschen in der Phase ihrer Politisierung an diese Gruppe zu verlieren, ist gegeben.

Allerdings bringt es der GSP weder zu einer richtigen Kritik, noch zu brauchbaren eigenen Auffassungen zu all den genannten inhaltlichen Fragen. Dass die Auffassungen, die der GSP an den Kommunisten vergangener Jahrzehnte kritisiert, ebenfalls revisionistisch sind, ändert schließlich nichts am Revisionismus der GSP-Ideologie selbst.

Der Gegenstandpunkt existiert seit Mitte der 90er Jahre unter diesem Namen. Sein Vorläufer war die „Marxistische Gruppe“ (MG) und deren Vorläufer wiederum die Roten Zellen Arbeiterkampf in München, die seit den 70ern aktiv waren (Bierwirth 2016, 11). Da die heutige Weltanschauung des GSP weiterhin auf dem aufbaut, was damals erarbeitet wurde, wird sich die Kritik an manchen Stellen auch mit den Texten der Vorläufer des GSP befassen.

Die Methode der „Kritik“: Ein Wissenschaftsprogramm im Gegensatz zu Dialektik und historischem Materialismus

Der GSP meidet zwar jeden Ansatz praktischer politischer Arbeit, die dem Kapitalismus ernsthaft etwas entgegensetzen könnte, unterzieht das System dafür aber einer sehr grundlegenden „Kritik“. Während viele auf der Linken die radikale Praxisfeindlichkeit des GSP befremdlich finden und kritisieren, erfreut sich ihre Theorie hingegen einer weitaus größeren Beliebtheit, weit über die Diskussionszirkel des GSP hinaus. Dies ist jedoch inkonsequent und zeugt von einem mangelnden Verständnis gerade der Auffassungen des GSP – denn, wie hier gezeigt werden soll, hängt gerade die revisionistische Theorie des GSP untrennbar zusammen mit seinem opportunistischen Verhältnis zur Praxis.

Das Problem beginnt bereits bei den erkenntnistheoretischen Grundlagen, also der Philosophie des GSP. „Kritik“, also der (einzige) Existenzgrund des GSP, funktioniert für ihn folgendermaßen: Sie „formuliert die Unangemessenheit zwischen Bedürfnissen und den Gegenständen ihrer Befriedigung, den Gegensatz zwischen Erwartungen und dem, was die Umstände dafür hergeben; sie zeigt, wie Interessen durch die Taten anderer Leute verletzt werden.“ (GSP: Kritik – wie geht das?, künftig: Kritik). Das geht aber dann doch nicht einfach so, denn: „Wissen um die objektiven Einschränkungen, welche die eigenen Bedürfnisse und Ziele zuschanden werden lassen, ist schon nötig, wenn es darum geht, dem Sein ein Sollen entgegenzuschmettern (…). Ohne richtige Urteile über die „Sachen“, die Missfallen erregen und Schäden verursachen, sitzt Kritik nicht“ (Kritik).

Auf den ersten Blick erscheint das als vernünftige Herangehensweise: Kritik hat letzten Endes immer einen impliziten Maßstab, warum also nicht die eigenen Interessen? Und um etwas zu kritisieren, muss man es zuerst verstehen. Dass hier etwas faul ist, wird spätestens dann klar, sobald man sich in den Textwüsten des GSP auf die Suche nach einer umfassenderen Darstellung des Herangehens der GSP-Kritik, also nach ihrer erkenntnistheoretischen Methode macht. Die wird man nämlich nicht finden, denn es gibt sie nicht. Für den GSP ist mit dem oben zitierten im Wesentlichen bereits alles gesagt, was es in erkenntnistheoretischer Hinsicht zu sagen gibt. Die objektive Realität liegt für den GSP einfach so auf der Hand. Um sie richtig zu erkennen, bedarf es keiner weiteren theoretischen Voraussetzungen, keiner verallgemeinerten Erkenntnisse oder Vorannahmen über die Welt. Bierwirth schreibt dazu treffend: „Kritik besteht in dieser Vorstellung aus einem einfachen Vergleich. Auf der einen Seite stehen die Interessen des Individuums (seine „Privatinteressen“), auf der anderen Seite der begriffene Zweck der Sache. Wie genau diese beiden Prämissen zu bestimmen sind, wird (…) nicht ausgeführt. Sie gelten gewissermaßen als unproblematisch und offen zu Tage liegend.“ (Bierwirth 2016, S. 41)

Subjekt irgendeiner Erkenntnis ist für den GSP immer das Individuum. Erkenntnis selbst funktioniert für den GSP im Sinne eines direkten und wahrheitsgetreuen Abbilds der Realität im Bewusstsein. Während er damit zu Recht Stellung bezieht gegen den absurden Standpunkt, es gebe keine objektive Realität und Erkenntnis sei damit beliebig, begeht der GSP den entgegengesetzten Fehler: Statt die Voraussetzungen einer wirklichkeitsadäquaten Erkenntnis zu reflektieren, wozu für den Marxismus entscheidend auch Klassenstandpunkt und -lage des Erkenntnissubjekts, sowie insgesamt der historische gesellschaftliche Kontext des Erkenntnisaktes gehören, gilt für ihn nur die Wahrnehmung und „Erklärung“ des konkreten Gegenstands: „Verfehlt sind auch alle Versuche, den Erkenntnischarakter der Naturwissenschaften ‚historisch-materialistisch’ zu bestimmen durch Rekurs auf die Bildung ihrer Begriffe. Eine solche Untersuchung behauptet von vorneherein die Erkenntnis als etwas Subjektives, historisch Relatives und kann deshalb die Wissenschaft als kapitalistisch kritisieren, ohne sich überhaupt auf sie einzulassen“ (Marxistische Gruppe 1973: Zum Charakter der Naturwissenschaften, S. 4f.).

Für den GSP ist Erkenntnis dagegen nie relativ, sie ist, zumindest sofern es sich um richtige, objektive Erkenntnis handelt, nie geprägt, bestimmt oder begrenzt durch den gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem sie stattfindet. Völlig im Gegensatz zu allem, was die marxistische, und vielem von dem, was die bürgerliche Wissenschaft an Erkenntnissen über die Entwicklung des Bewusstseins über bestimmte historische Epochen hinweg produziert haben, wird hier ein ahistorischer, abstrakter Mensch an sich behauptet, den es natürlich nie gegeben hat und nicht geben kann. In Wirklichkeit ist ein bestimmter Bewusstseinsstand in der Geschichte nie einfach so entstanden, weil sich ein Individuum die Welt mal eben so „richtig erklärt“ hat. Tatsächlich handelte es sich immer um komplizierte Prozesse des intellektuellen Austausches zwischen Individuen innerhalb eines gesellschaftlichen Zusammenhangs, die in vielfacher Weise von den materiellen Voraussetzungen bestimmt waren und in ihrem Ergebnis ein höheres Niveau der Erkenntnis zustande brachten: Indem die Befassung mit intellektuellen Fragen nur bestimmten Teilen der Gesellschaft überhaupt materiell ermöglicht wurde und damit automatisch von deren sozioökonomischen Interessen geprägt war; indem die intellektuelle Entwicklung sich auf der Grundlage einer spezifischen gesellschaftlichen Praxis entwickelte und deren bewusstseinsmäßiger Ausdruck war, wobei diese Praxis wiederum durch die antike Sklavenhaltergesellschaft, den Feudalismus, Kapitalismus usw. maßgeblich bestimmt war; indem sich darum bestimmte Fragen für die Menschheit und ihre Philosophen auf einer bestimmten historischen Stufe nicht stellten und daher auch keine Versuche zu ihrer Beantwortung unternommen wurden usw. usf. Für den GSP gibt es all dies konsequenterweise nicht, daher muss es wohl der reinste Zufall gewesen sein, dass Reformation und Humanismus sich ausgerechnet vor dem Hintergrund der frühbürgerlichen Gesellschaft bzw. des ausgehenden Feudalismus ereigneten, die Aufklärungsphilosophie zur Zeit der beginnenden industriellen Revolutionen, der Marxismus gleichzeitig mit dem Aufkommen der Arbeiterbewegung etc.

Auch psychologische oder sonstige Faktoren scheiden für den GSP aus. Dass beispielsweise positive und negative Emotionen und Eindrücke sich auf die Urteilsbildung auswirken können, kann er sich nicht vorstellen. Der Wille ist für den GSP vollkommen selbstständig und kann nicht durch irgendetwas bestimmt sein. Was das Individuum wolle, sei nur abhängig davon, mit welchen Urteilen es sich zu den eigenen Bedürfnissen und der Außenwelt stellt. Es ist aber eine falsche, idealistische Annahme, dass nicht auch der Wille von Gefühlen bestimmt wäre. Das sieht man etwa daran, dass es zwar möglich ist, sich gegen einen eigenen Wunsch zu entscheiden, aber die Überwindung umso größer ist, je stärker der Wunsch ist. Zudem zeigen psychologische Untersuchungen, dass Gefühle nicht nur bewusstes Resultat, sondern auch Ursache von Urteilen sein können, dass Menschen sich unabhängig von der Stärke des bloßen Arguments leichter von etwas überzeugen lassen, wenn dieses mit positiven Gefühlen in Verbindung gebracht wird usw. Der Wille ist also auch durch Stimmungen bedingt und damit nie absolut frei. Indem der GSP diese Tatsache ignoriert, fällt er hinter die Erkenntnisse der bürgerlichen Psychologie zurück (vgl. Ess 2014). Die adäquatere Auffassung, wonach Denken und Fühlen in einem Wechselverhältnis stehen und damit auch die (politische) Bewusstseinsbildung psychologischen Faktoren unterliegt und keine bloße Folge von logischer Argumentation ist, ist für den GSP inakzeptabel, weil er, wie unten gezeigt wird, das dialektische Denken in Gänze verwirft.

Bei Marx und Engels findet der GSP daher auch zwei grundlegende Fehler: Die Dialektik und den historischen Materialismus. Mit beidem können GSP-Revisionisten nicht das Geringste anfangen. Dass und warum die Dialektik der theoretische Hauptfeind des GSP ist, wird verständlich, wenn man sich mit seinem eigenen erkenntnistheoretischen Standpunkt auseinandersetzt.

Der GSP hat ein betont selektives Verhältnis zu den Klassikertexten: Diejenigen unter ihnen, die sich wie „Das Kapital“ irgendwie aus dem Kontext der Gesamttheorie von Marx, Engels und Lenin reißen und irgendwie mit Gewalt in den fremden Rahmen der GSP-Ideologie einpassen lassen, lässt man gelten und empfiehlt sie neben den grauen „Gegenstandpunkt“-Heften auch immer wieder zur Lektüre. Diejenigen, in denen es entweder um die Grundlagen der neuen Wissenschaft, oder aber um die Befassung mit Strukturveränderungen des Kapitalismus (Lenins Imperialismusschrift) geht, werden dagegen genüsslich zerpflückt.

Der „Fehler“ in der „Deutschen Ideologie“ von Marx und Engels sowie in Engels‘ „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ liegt für den GSP in der „Grundlegung einer marxistischen Weltanschauung“ überhaupt. Denn der GSP selbst vertritt nach eigener Auffassung keinerlei Weltanschauung, sondern lediglich eine Ansammlung richtiger Erkenntnisse über die Welt. In den Klassikertexten des Marxismus finde man dagegen „einen vor und jenseits aller Wissenschaft eingenommenen ‚Standpunkt‘, der dann seinerseits Vorschriften über den Gang und die Resultate der Theorie erlassen habe“ (GSP: Materialismus als Weltanschauung. Marx/Engels, die deutsche Ideologie (künftig: Ideologie), S. 1f). Marx hatte offenbar seine eigene Theorie nicht verstanden, denn: „Marx muß ganz übersehen haben, daß er mit solchen Bemerkungen einen (ihm sicher auch!) aus der Erkenntnistheorie wohlbekannten Zirkel fordert: Zum Verständnis des ‚Nachfolgenden‘ und der neuen Einsichten soll ein wissenschaftlicher ‚Standpunkt‘ vonnöten sein, den man erst einmal – mindestens der ‚Erleichterung‘ halber – haben muß.“ (Ideologie, S. 2).

Ebenso wie für den GSP Denken, Bewusstsein und Erkenntnis keinerlei Geschichte, Entwicklung und dementsprechende historische Voraussetzungen haben, genauso wenig werden theoretische Voraussetzungen der Erkenntnis anerkannt. Damit scheitert der GSP bereits an einer der fundamentalsten Fragen der Wissenschaft, nämlich was Erkenntnis überhaupt ist. Dass dann ausgehend von dieser falschen Grundposition zu allen konkreten Fragen vom GSP in vielen Fällen großer Mist produziert wird, sollte nicht mehr verwundern.

Erkenntnis ist in Wirklichkeit nämlich keineswegs einfach die Wahrnehmung und Sammlung von Einzeldaten über die objektive Realität. Sie ist immer schon auch eine bestimmte Art und Weise, die Daten der Wahrnehmung zueinander in Beziehung zu setzen und damit zu sinnvollen Aussagen über den Zusammenhang der verschiedenen Elemente der Wirklichkeit zu kommen. Die große Leistung des dialektischen Denkens besteht dann gerade darin, auf den in sich widersprüchlichen Gesamtzusammenhang aller Dinge aufmerksam zu machen und diesen konkret durch den Prozess der Wissenschaft gedanklich zu rekonstruieren. Ausgangspunkt der theoretischen Erkenntnis ist für den Marxismus darum die ontologische (d.h. Aussagen über das grundlegende Sein der Dinge machende) Auffassung, dass die Realität eine Totalität (d.h. Gesamtheit) darstellt, in der sich alle Elemente zu allen anderen verhalten. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Wissenschaft, denn somit ist jedes einzelne Element der Realität nur in seinem Zusammenhang mit dem Ganzen erschöpfend zu verstehen, ebenso wie das Ganze umgekehrt nichts anderes ist als die Verhältnisse der Elemente zueinander. Die unendliche Komplexität des Erkenntnisgegenstandes bedeutet dann, dass es zwar sehr wohl möglich ist, zutreffende Aussagen über Einzelaspekte und auch den Gesamtzusammenhang der Welt zu machen, dass auch Aussagen über das Wesen des Gesamtzusammenhangs möglich sind, aber diese sich in ihrer Reichweite immer an dieser unendlichen Komplexität relativieren. Es ist eben nie möglich, alles zu wissen und zu erkennen.

Gerade die dialektische Methode ist für den GSP aber völlig inakzeptabel. „Daß eine bestimmte ‚Denkmethode‘ der richtigen Erkenntnis des Kapitalismus vorausgesetzt sei, kann nur jemand behaupten, der den bestimmten Zusammenhang etwa von Lohn, Preis, Profit Kredit usw. nicht in den ökonomischen Gegenständen selbst entdeckt sondern in einer bestimmten Art des Denkens.“ (GSP: Teleologischer Reklamefeldzug für Marxsche Theorie. Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (künftig: Entwicklung), S. 6). Und: „Wo Marx etwa den bestimmten Zusammenhang zwischen Geld und Ware erklärt, erfindet Engels das Prinzip, daß die Dinge in ihrem Zusammenhang aufgefaßt werden müßten; wo Marx etwa die Formverwandlung des Kapitals als Geld-, Waren- und produktives Kapital im Kapitalkreislauf erklärt, gibt es bei Engels das Prinzip, die Dinge in ihrer Veränderung und Bewegung zu begreifen etc. Man versuche einmal, nur ausgerüstet mit einem Haufen solcher ‚Denk‘-Prinzipien wie ‚allgemeine Wechselwirkung‘, ‚Vergehn‘, ‚Bewegung‘ oder ‚Umbildung‘ auf die Welt loszugehen, um etwas über sie in Erfahrung zu bringen“ (Entwicklung, S. 7).

Auch wenn der GSP von Erkenntnistheorie im Allgemeinen nichts wissen will und vehement bestreitet, selbst eine erkenntnistheoretische Position zu vertreten, verraten die bisher zitierten Textstellen tatsächlich einiges über seinen philosophischen Standpunkt: Es handelt sich schlicht und einfach um eine Variante des bürgerlichen Empirismus und Positivismus. Der empiristisch-positivistischen Auffassung zufolge gehen wissenschaftliche Erkenntnisse letztlich allein auf die Wahrnehmung und die formale Logik zurück, während allgemeine Aussagen über zugrundeliegende Wesenheiten (oder im Falle des Marxismus: Gesetzmäßigkeiten) für Empiristen nichts als metaphysischer Hokuspokus sind. Genauer könnte man auch den Standpunkt des GSP zu dieser Frage nicht beschreiben. Damit steht er freilich bürgerlichen Denkern wie Karl Popper oder Rudolf Carnap weitaus näher als Karl Marx.

Für eine Gruppierung, die sich selbst im Grunde als die einzig wahren Marxisten versteht, ist das durchaus bemerkenswert. Hätte sich Marx nämlich an die vom GSP empfohlene erkenntnistheoretische Auffassung gehalten, wäre „Das Kapital“ nie geschrieben worden, zumindest nicht von ihm. Denn die Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise lassen sich nicht einfach voraussetzungslos in den Dingen selbst erkennen. Vielmehr musste Marx zu ihrem Verständnis selbst theoretische Begriffe wie Wert, Mehrwert, Klasse, abstrakte/konkrete Arbeit usw. entwickeln, die ihrerseits Abstraktionen von den empirischen Einzeldaten der kapitalistischen Gesellschaften darstellen – allerdings eben keine willkürlichen, rein gedanklichen Abstraktionen, sondern Realabstraktionen, die auf real wirksame Tendenzen in kapitalistisch verfassten Gesellschaften verweisen. Diese Begriffe fügen sich bei Marx zu einem dialektischen Gesamtzusammenhang zusammen, weshalb er eine Theorie der kapitalistischen Produktionsweise und der Geschichte insgesamt entwickelt hat und nicht eine Wissenschaft von den Einzeldingen.

Im Unterschied zu den idealistischen dialektischen Systemen bei Hegel und anderen Philosophen geht die materialistische Dialektik von Marx, Engels und Lenin als Erkenntnismethode tatsächlich von den materiellen Tatsachen aus und stellt deren inneren Zusammenhang wissenschaftlich dar. Sie tut das aber nicht voraussetzungslos, durch den unmittelbaren Blick auf den Gegenstand, sondern angeleitet durch theoretische Vorannahmen. Nur so ist es überhaupt möglich, dass Wissenschaft sich weiterentwickelt, weil man eben nicht jedes Mal „bei Null“ anfangen muss, sondern frühere Erkenntnisse verallgemeinert und in die Theorie einfließen lässt. So funktioniert jede Wissenschaft, ob bürgerlich oder marxistisch und unabhängig davon, ob man sich dessen bewusst ist oder es – wie der GSP – leugnet.

Gehen wir weiter: Nicht nur die Dialektik, sondern konsequenterweise auch die materialistische Auffassung von der Gesellschaft und ihrer Geschichte ist für den GSP ein grundlegender Fehler bei Marx, Engels und den Kommunisten (da der GSP sich selbst als Gralshüter der ewigen Wahrheiten des Kommunismus versteht, nennt er Marxisten-Leninisten für gewöhnlich „Revisionisten“). Die grundlegende These des Marxismus, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, dass also Bewusstsein sich immer in Abhängigkeit von materiellen Faktoren entwickelt und mit diesen verflochten ist, ist für den GSP einfach Unsinn. Er hält dagegen, „daß bei aller ‚Verflochtenheit‘ das Bewußtsein sich zum ‚materiellen Verkehr der Menschen‘ (wie auch zur übrigen Welt) als seinem Gegenstand verhält, aus dem es nicht zugleich entspringt – dann wäre es ja gerade kein Bewußtsein“ (Ideologie, S. 11). Auf deutsch übersetzt: Die objektive gesellschaftliche Realität ist Gegenstand des Bewusstseins, also das Bewusstsein macht sich Begriffe über die Realität – deshalb kann laut GSP das Bewusstsein nicht gleichzeitig gesellschaftliches Produkt sein. Worin hier das Argument liegen soll, ist schleierhaft. Denn natürlich können sich die gesellschaftlichen Bedingungen und das Bewusstsein der Menschen über diese sehr wohl gleichzeitig und in Wechselwirkung miteinander entwickeln. Sie können es nicht nur, sie tun es auch und haben es immer getan. Das Bewusstsein ist Produkt der Materie und hat diese gleichzeitig zu seinem Inhalt. Unmöglich erscheint das dem GSP nur aufgrund seines beschränkten Horizonts, der wiederum Ergebnis seines im Grunde positivistischen Wissenschaftsbegriffs ist. Denn das Denken in einseitigen Kausalitäten, bei denen es immer nur auf der einen Seite die Ursache, auf der anderen die Wirkung gibt, ist charakteristisch für den Positivismus, jedoch keineswegs für den Marxismus.

Dementsprechend gibt es für den GSP auch nur eine Form der Kausalität. Wenn Marx sagt, das Sein bestimmt das Bewusstsein, interpretiert der GSP diese Aussage so, dass das Bewusstsein von den gesellschaftlichen Umständen vollständig determiniert sind, dass es also keine Möglichkeit gibt, dem falschen Bewusstsein zu entrinnen. Auf Grundlage dieser Interpretation wundert er sich dann, wie Marx sich seine eigene Rolle als revolutionärer Wissenschaftler erklären konnte: „Als wäre nicht schon das Hinschreiben dieses Arguments der beste Beleg dafür, daß mit Vokabeln wie ‚Sublimat‘ die Leistung, die allem Denken innewohnt, nicht zu erfassen ist – als würde einem der ‚materielle Lebensprozeß‘ kurzum vorgeben, welches Bewußtsein man von ihm hat, wird Bewußtsein und falsches Bewußtsein (‚Nebelbildungen‘) identifiziert.“ (Ideologie, S. 12 ). Damit wäre dann tatsächlich eine Revolution unmöglich. Der GSP begibt sich hier auf das Niveau plattester bürgerlicher Marxismus-Kritik, bei der der historische Materialismus zuerst völlig verzerrt wiedergegeben wird, um dann mit Leichtigkeit „widerlegt“ zu werden.

Natürlich hat Marx seine Position aber nie so verstanden, wie es ihm der GSP unterstellt. Tatsächlich war er ziemlich eindeutig: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (MEW 8, S. 115). Es finden sich viele weitere Textstellen, die hier angeführt werden könnten. Natürlich sind diese auch den Autoren beim GSP bekannt. Aber da sie den Inhalt des Marxschen Materialismus nie verstanden haben und ausgehend von ihrem antidialektischen Standpunkt auch nicht können, müssen sie hier einen logischen Widerspruch bei Marx annehmen, auch wenn die Aussagen von Marx in Wirklichkeit durchaus zusammenpassen.

Da es für den positivistischen Standpunkt des GSP allgemeine Gesetze der Entwicklung nicht gibt, oder besser: nicht geben kann und soll, kann er mit dem gesamten wissenschaftlichen Anliegen von Marx und Engels letzten Endes nichts anfangen. Für den GSP gibt es immer nur einzelne, abgesonderte Gegenstände, die man sich einzeln und abgesondert ansehen kann. Wo der Marxismus einen inneren Zusammenhang zwischen den verschiedenen Produktionsweisen und Gesellschaftsformationen aufgedeckt hat, gibt es für den GSP nur absolute Unterschiede. Doch damit nicht genug: Wo die Gründe für die Übergänge zwischen den verschiedenen Produktionsweisen liegen, interessiert den GSP nicht, jedenfalls liegen sie wohl woanders als in der materiellen Struktur der Gesellschaften: „Aus der allgemeinen Einsicht, daß die Geschichte eine der Ablösung von Produktionsweisen ist, folgt keineswegs, daß die Gründe dieser Ablösung im produktiven, ‚materialistischen Zusammenhang‘ zu suchen sind, der von sich aus (…) ‚stets neue Formen annimmt‘. In Wahrheit beweist das Nach- und Nebeneinander verschiedener Formen dieses Zusammenhangs ja nur, daß es für die ‚Produktion des materiellen Lebens‘ in dieser Abstraktheit gleichgültig ist, wie sie organisiert wird, jede Produktionsweise also die ihr entsprechenden Bedürfnisse des unter ihre Bedingungen gesetzten Überlebens der Menschen ‚befriedigt‘“. (Ideologie, S. 10). Klar, hätten Marx und Engels einfach nur behauptet, dass in der Geschichte ökonomische Gesetzmäßigkeiten die Entwicklung bestimmen, wäre das eine abstrakte Aussage. Sie haben aber, zumindest ansatzweise und im Falle des Kapitalismus sehr ausführlich, den Charakter dieser Gesetzmäßigkeiten konkret herausgearbeitet. Ihren Forschungsergebnissen könnte der GSP nun zustimmen oder sie bestreiten, aber in Wirklichkeit interessieren sie ihn überhaupt nicht – denn ihn stört wohl, wiederum ganz im Sinne des Positivismus, überhaupt die Annahme allgemeiner Gesetze, die sich theoretisch erkennen lassen.

Auch das Denken hat für ihn keine Geschichte. Wenn Engels die Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus aus seinen mangelhaften Vorgängern (dem utopischen Sozialismus, der dialektischen und materialistischen Philosophie, der klassischen Politischen Ökonomie) darlegt, kann der GSP ihm nur widersprechen: „Was soll denn eigentlich dieser ‚Sozialismus‘ sein, der sich ‚entwickelt‘ habe? Was ist denn das Identische dieses Gegenstandes, ohne welches seine Entwicklung nicht gedacht, geschweige denn nachvollzogen werden kann? (…) Wenn sich der ‚Sozialismus‘ von der ‚Utopie‘ zur ‚Wissenschaft‘ entwickelt hat, dann handelt es sich eben im einen Fall um die Erfindung ‚gesellschaftlicher Zukunftsvorstellungen‘ und im anderen Fall um die wissenschaftliche Erklärung des Kapitalismus“ (Entwicklung, S. 4). In Wirklichkeit ist aber eben der wissenschaftliche Sozialismus nicht einfach nur die „wissenschaftliche Erklärung des Kapitalismus“, sondern erstens eine sehr viel umfassendere Theorie, die eben die Erklärung des Gesamtzusammenhangs anstrebt. Zweitens beruht sie auf der Parteinahme für die Arbeiterklasse. Diese ist nämlich nicht nur, wie es der GSP annimmt, Ergebnis der wissenschaftlichen Analyse, sondern gleichzeitig auch ihr ganzer Sinn. Marx und Engels kamen ja auch nicht erst dann auf die Idee, das Proletariat zu befreien, als sie den Kapitalismus „erklärt“ hatten. Sie ergriffen auf der Grundlage von bereits gezogenen Schlüssen Partei für das Proletariat und den Sozialismus, um eine wissenschaftlichere Grundlage für diesen zu erarbeiten. Sie mussten dabei nicht „bei Null“ anfangen, sondern hatten mit den bürgerlichen, mittelalterlichen und antiken Philosophen sowie überhaupt dem Entwicklungsstand der Wissenschaften bereits jede Menge äußerst nützliches Material als Arbeitsgrundlage.

Versuchen wir also zusammenzufassen: Der GSP formuliert seine „Kritik“ keineswegs von einem marxistischen Standpunkt aus, sondern vom Standpunkt des bürgerlichen Positivismus, also einem Wissenschaftskonzept, das dem des Marxismus durchaus entgegengesetzt ist. Ohne seine erkenntnistheoretischen Ausgangspunkte als solche kenntlich zu machen, geht er davon aus, dass die Erkenntnisgegenstände immer bereits als solche auf der Hand liegen. Trotzdem brauche man aber „Wissen“ über den Gegenstand, um ihn erkennen zu können. Hierin liegt bereits ein grundlegender Widerspruch: nämlich einerseits keine Theorie entwickeln zu wollen, andrerseits aber ja gerade den eigenen Seinszweck darin zu sehen, über die Gründe des Elends im Kapitalismus aufklären zu müssen, weil sich ja nun mal die meisten Menschen nicht von sich aus „richtige Urteile über die Sachen“ machen – der Weg zum „richtigen Urteil“ soll aber wiederum mit einer Theorie oder Weltanschauung nichts zu tun haben…

Auch wenn es auf den ersten Blick paradox wirkt, erweist sich hier der mechanisch-materialistische erkenntnistheoretische Standpunkt ontologisch (d.h. das Sein betreffend) als lupenreiner Idealismus: Die Bewusstseinsinhalte bestehen demnach einfach nur aus den Sinneswahrnehmungen, dadurch ist das Bewusstsein nicht vom gesellschaftlichen Sein geprägt, sondern eine autonome Instanz, die ihrerseits in die gesellschaftliche Entwicklung eingreifen kann. Damit ist es für den GSP umgekehrt das Bewusstsein, das das Sein bestimmt. Es wird später noch zu sehen sein, was so eine Auffassung für Blüten treibt.

Der GSP behauptet, die Philosophie insgesamt zu kritisieren und selbst keine philosophische Position einzunehmen. Damit nimmt er die Position eines naiven Realismus, des „gesunden Menschenverstands“ ein, die heute von Strömungen der analytischen Philosophie vertreten wird, die die Philosophie als Anwendung formaler Logik propagieren (Bierwirth 2016, S. 37).

Die Konsequenzen dieser Position sind überaus weitreichend. Für den GSP ist das Individuum mit seinen Interessen, die es unmittelbar erkennen kann, der Ausgangspunkt der politischen Programmatik (siehe nächstes Kapitel). Damit entspricht seine Position im Grunde den liberalen rational choice-Ansätzen in der neoklassischen Ökonomie: Das Individuum, das sich dazu entschließt, seine Interessen in Konkurrenz zu allen anderen durchzusetzen. Diese Interessen sind nicht das Produkt gesellschaftlicher Umstände und von historisch entstandenen Bewusstseinsformen, sondern einfach gegeben, ohne Geschichte. Im Unterschied zu dieser Rechtfertigungsideologie des Kapitalismus vertritt der GSP allerdings, dass das Individuum sich auch gegen seine Rolle als Konkurrenzsubjekt entscheiden könnte und sollte. Ein kommunistischer Standpunkt kommt dabei trotzdem nicht heraus, wie später gezeigt wird.

Individualismus statt Bewegung

Wie gezeigt wurde, ist also der erkenntnistheoretische Ausgangspunkt das Individuum, das mit seinem „gesunden Menschenverstand“ seine Interessen erkennt und verfolgt: „Kritik führt den Vergleich durch, den das praktische Gefühl unmittelbar mit dem Befund entscheidet, dass die Umwelt den eigenen Vorstellungen einfach nicht entspricht.“ (Kritik).

Im Unterschied zu wirtschaftsliberalen Positionen geht der GSP aber nicht davon aus, dass diese individuellen Interessen am besten in der freien Konkurrenz einer kapitalistischen „Marktwirtschaft“ verfolgt werden, sondern dass der Kapitalismus eine „Schädigung“ (in GSP-Sprache) dieser Interessen bewirkt. Zwar wird richtig darauf verwiesen, dass die Interessen des Individuums aufgrund seiner Klassenlage, also seiner Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse „geschädigt“ werden. Diese Feststellung bleibt aber weitgehend folgenlos. Denn letztlich bleibt der individualistische Standpunkt vorherrschend. Der GSP vertritt „eine Parteilichkeit für das Individuum mit seinen Bedürfnissen und Interessen, an der dann die gesamte Welt gemessen wird: Wie verhält sich dieses und jenes zu meinen individuellen Bedürfnissen?“. Die Marxsche Theorie des Kapitals wird „aus dem marxistischen System herausgelöst und für einen anderen, ihm fremden Zweck, instrumentalisiert: Die Unverträglichkeit der Produktion für Profit mit dem Individualismus aufzuzeigen“. (Revolutionärer Aufbau 2017: Erste Anmerkungen zu einer Kritik des Revisionismus des Gegenstandpunkt-Verlages).

Die „Agitation“ des GSP (die in Wirklichkeit keine ist, s.u.) richtet sich immer ausschließlich an das Individuum, dem man klarzumachen versucht, dass seine (immer schon angenommene und unterstellte) Zustimmung zum Staat und dem Kapitalismus gegen seine Interessen verstößt. Antworten auf die entscheidende Frage, wie sich die Arbeiterklasse zu einem kollektiven politischen Subjekt formieren kann, vermisst man beim GSP völlig, da die Frage an sich überhaupt nicht gestellt wird. Überhaupt spielen Fragen der Kollektiventwicklung, der Organisierung, der Formierung zur Bewegung in den Texten der Gruppe keine Rolle.

Seinen Individualismus vertritt der GSP, wie seine sonstigen Standpunkte, auch durchaus offensiv. Da das Verhältnis des Individuums zur Welt für den GSP wie alles andere keine Frage des Standpunkts ist, sondern aus einer Erkenntnis der objektiven Tatsachen bereits automatisch hervorgehen soll, lehnt er konsequenterweise auch jegliche Moral ab. Dabei wird keine Unterscheidung zwischen einer bürgerlichen Moral und sonstigen möglichen moralischen Standpunkten gemacht: „Der kategorische Imperativ der Moral lautet: Denke bei deinem Tun nicht (nur) an dich, sondern immer (auch) an die anderen. Das Gebot wäre sinnlos, ginge es nicht von einem Gegensatz der Interessen aus: Wenn ich mein Wohl verfolge, dann gehe ich über das Wohl anderer hinweg, beschädige oder verunmögliche es gar; wenn ich hingegen das Wohl anderer zu meiner Sache mache, bleibt das meine mehr oder weniger auf der Strecke“ (GSP: Sind die marxistischen Kritiker der Moral nicht die größten Moralisten?).

Die Kritik des GSP an der Moral besteht also darin, dass sie im Widerspruch zum Egoismus steht. Dass die Rücksicht auf Interessen und Bedürfnisse auch und gerade in einer sozialistischen, also nicht von unvereinbaren Interessengegensätzen geprägten Gesellschaft ein notwendiges Prinzip darstellt, kommt ihm nicht in den Sinn. Dabei ist eine bestimmte Form der Moral auch für die kommunistische Bewegung notwendig. Ungezügelter Egoismus (der übrigens auch ein moralischer Standpunkt ist, wenn auch kein sonderlich sympathischer) ist wohl kaum eine geeignete Grundlage, um eine Klassenbewegung aufzubauen. Die Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse und die Bereitschaft, Partikularinteressen den gemeinsamen Zielen unterzuordnen, sind zwingende Voraussetzungen dafür, einen schlagkräftigen Widerstand gegen das Kapital aufzubauen – und gleichzeitig auch die schärfste Waffe gegen das Kapital, das seinerseits aufgrund der innerkapitalistischen Konkurrenz zu einer wirklichen Klassensolidarität nie in der Lage ist.

Der bürgerliche Staat als „Subjekt der Ökonomie“:

Die Staatsauffassung des GSP schließt an den Individualismus in seiner Theorie an. Einerseits wird er als Garant gesehen, der die Gesellschaft angesichts der gegensätzlichen Interessen der Individuen zusammenhält: „Die legitime Gewalt des Staates unterwirft die Bürger dem Gesetz. Der Staat verschafft dem Recht Geltung und zwingt sie dadurch zur wechselseitigen Anerkennung ihres freien Willens.“ (GSP: Der bürgerliche Staat, künftig: Staatstext).

Andrerseits wird auf ihn selbst dieselbe Methodologie angewandt wie auf die Individuen: Er wird wie das Individuum als autonomes, in sich widerspruchsfreies Subjekt verstanden: „Der souveräne Staat ist von den Bürgern getrennte, selbständige Instanz, die mit keinem besonderen Interesse identisch ist und gerade und nur deswegen von allen anerkannte Gewalt ist, weil er sein Interesse, das Allgemeinwohl, gegen die Privatsubjekte durchsetzt.“. „Der Staat sorgt dafür, daß jeder mit seinem Privateigentum an der Vermehrung des Reichtums teilnimmt und nur entsprechend dieser Teilnahme sein Auskommen hat.“. „In der Unterordnung aller Aufgaben, um deren Erfüllung willen er sich als politisches Subjekt der Ökonomie betätigt, unter das Kriterium des wirtschaftlichen Wachstums, in der Relativierung aller Funktionen entsprechend dieser Zielsetzung der Wirtschaftspolitik fällt der  Grund  des bürgerlichen Staates – die freie Konkurrenz – unmittelbar zusammen mit  seinem Zweck:  er ist bewußter Agent des  Inhalts  der Konkurrenz, die bekanntlich nicht die Individuen, sondern das Kapital in Freiheit setzt.“ (alle Zitate aus: Staatstext; Markierungen im Original).

Diese Auffassung vom Staat als Subjekt drückt sich in nahezu allen Texten des GSP aus, es handelt sich um eine der Grundpositionen seiner Weltanschauung. Was in Bezug auf die Individuen schon falsch war – deren Bewusstsein ist nie widerspruchsfrei und auch nicht unabhängig von äußeren Bedingungen und Einflüssen – muss in Bezug auf den bürgerlichen Staat, also ein die gesamte Gesellschaft umfassendes Herrschaftsverhältnis, erst recht in die Irre führen.

Denn in Wirklichkeit und in der marxistischen Theorie ist der bürgerliche Staat nicht einfach „politisches Subjekt der Ökonomie“. Er ist selber Teil der Produktions- und Eigentumsverhältnisse bzw. deren politischer Überbau und damit Ausdruck dieser Verhältnisse. Die ökonomischen Verhältnisse des Kapitalismus sind in sich widersprüchlich und bedürfen umfassender Regulierung, um überhaupt funktionieren zu können. Diese reicht von der Garantie des Privateigentums gegen die wirtschaftliche Konkurrenz über die Festlegung eines extrem umfassenden Regelwerks für eine immer komplexer werdende Ökonomie und die eigene ökonomische Rolle des Staates bis hin zu seiner letzten politischen Zweckbestimmung als bewaffneter Arm des Kapitalismus im Fall des revolutionären Aufstands. In erster Linie ist der Staat dabei abhängig von der Kapitalakkumulation, denn diese ist das Bewegungsgesetz, das die Entwicklung der ganzen bürgerlichen Gesellschaft entscheidend bestimmt. Stockt sie, fehlen dem Staat nicht nur seine Einkünfte, sondern der Regulierungsbedarf und die Staatsausgaben steigen sprunghaft an, die sozialen Konflikte nehmen zu usw. usf.

Das weiß auch der GSP und erkennt es stellenweise auch an: „Da die staatlichen Eingriffe in die Ökonomie die Unterwerfung der öffentlichen Gewalt unter die Bedürfnisse des Kapitals darstellen, dienen sie auch den Gesetzmäßigkeiten, welche der Akkumulation des Kapitals immanent sind. (…) Der Ohnmacht  gegenüber dem kritischen Verlauf der Akkumulation stellt der Staat also die Macht  gegenüber ihren Opfern zur Seite.“ (Staatstext). Diese Erkenntnis bleibt aber rein abstrakt, denn sobald es darum geht, wie konkret die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten die staatliche Politik bestimmen, zieht der GSP sich wieder auf seine Subjektvorstellung vom Staat zurück, die dem widerspricht (s.u., Kapitel zur Imperialismustheorie).

Allerdings zieht er auch aus dem allgemeinen Zugeständnis an den Marxismus, dass der Staat den kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, nicht die Konsequenzen, die zu erwarten wären.

Diese Konsequenz wäre nämlich die Auffassung, dass die entscheidenden Subjekte in der kapitalistischen Gesellschaft nicht der Staat, sondern die Bourgeoisie und das Proletariat sind. Ihre Tätigkeit, die Schaffung des Werts, die Akkumulation des Kapitals, sind sowohl Quelle der gesellschaftlichen Widersprüche als auch Existenzgrundlage des Staates als Interessenvertretung der einen Klasse gegen die andere. Die ökonomischen und politischen Interessen der Bourgeoisie, die erfolgreiche Anhäufung von Mehrwert und die Niederhaltung der beherrschten Klassen und Schichten machen den bürgerlichen Staat erst notwendig und möglich.

Für den GSP ist es dagegen umgekehrt der Staat, der den Individuen die Konkurrenz aufzwingt und damit den Kapitalismus „einrichtet“: „Der bürgerliche Staat ist die politische Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft. Er unterwirft (!) die Agenten der kapitalistischen Produktionsweise unter Absehung von allen natürlichen und gesellschaftlichen Unterschieden seiner Herrschaft und gewährt ihnen damit die Verfolgung ihrer gegensätzlichen Sonderinteressen: Gleichheit & Freiheit. Er verpflichtet sie, die ökonomische Konkurrenz unter Respektierung des Privateigentums abzuwickeln: jeder wird gezwungen, die ausschließende Verfügung über den Reichtum der Gesellschaft anzuerkennen und zum Prinzip seines ökonomischen Handelns zu machen“ (Staatstext).

Das stimmt schon historisch nicht: Die Bourgeoisie entstand nicht, weil sie durch einen bewussten Plan von den Staaten produziert wurde. Ihre Entstehung, Entwicklung, ihr Aufstieg zur Macht und ihre Reproduktion sind das Ergebnis sozioökonomischer Gesetzmäßigkeiten, die sich im Schoß der Feudalordnung in Europa entfalteten. Die Regierungen haben diese Entwicklung lediglich beschleunigt, aber nicht initiiert.

Es ist aber auch theoretisch ein falsches Verständnis des bürgerlichen Staates. Denn wenn der Staat ein autonomes Subjekt ist, müsste er über sein Handeln auch frei entscheiden können. Er müsste sich dann auch dagegen entscheiden können, der Gesellschaft den Kapitalismus aufzuzwingen. Wäre es dann nicht auch denkbar, einfach die Kontrolle im Staat zu übernehmen und ihn für ein ganz anderes Ziel, nämlich den Sozialismus zu benutzen?

In Wirklichkeit obliegt die Entscheidung, als ideeller Gesamtkapitalist zu fungieren, aber nicht den Politikern der Regierung. Diesen Charakter hat der bürgerliche Staat nämlich bereits dadurch, dass er der Staat der kapitalistischen Gesellschaft ist – und nicht umgekehrt, wie es der GSP behauptet. Marx und Engels schrieben dazu richtigerweise: „Nur der politische Aberglaube bildet sich noch heutzutage ein, daß das bürgerliche Leben vom Staat zusammengehalten werden müsse, während umgekehrt in der Wirklichkeit der Staat von dem bürgerlichen Leben zusammengehalten wird.“ (MEW 2, S. 128, M.i.O.).

Der bürgerliche Staat „unterwirft“ sich die Bourgeoisie keineswegs, wie der GSP behauptet. Er kann zwar in seiner Funktion als Vertreter des kapitalistischen Gesamtinteresses gegen die Interessen einzelner Kapitalisten handeln, aber nicht gegen die langfristigen Interessen der Kapitalistenklasse insgesamt. Die Bourgeoisie hat sich nämlich umgekehrt den bürgerlichen Staat geschaffen, zumeist durch die bürgerlichen Revolutionen, die die vorherigen absolutistischen Staatswesen zerschlagen oder umgeformt haben. Dieser kapitalistische Charakter des Staates lässt sich einerseits nicht ändern, weil der Staat ohne Kapitalakkumulation nicht bestehen kann. Auf der anderen Seite ist der bürgerliche Staat aber auch konkret der Ort der Herrschaft des Kapitals. Durch zahlreiche direkte und indirekte, personelle und institutionelle Verbindungen ist das Kapital mit dem Staat verbunden, besonders das Monopolkapital. Diese Verbindungen sind entscheidend für die Auswahl des Staatspersonals, die Interessenformulierung und den Ausgleich zwischen den Kapitalfraktionen, die Ausrichtung noch jeder vermeintlich nebensächlichen politischen Entscheidung an den Bedürfnissen des Kapitals usw. usf.

Für den GSP ist das aber ganz und gar unerheblich, da „die personalen Verflechtungen darauf beruhen, dass die Interessen von Staat und Unternehmern auch sachlich miteinander verflochten sind“ (GSP: „Ich möchte entschieden widersprechen, die westlichen Staaten als Demokratie zu bezeichnen“, künftig: Demokratie). Das ist zwar richtig, kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, sich mit den personalen Verflechtungen dann nicht mehr zu beschäftigen. Denn diese sind für das kapitalistische Wesen des Staates durchaus wesentlich und notwendig. Und sie widersprechen direkt der Vorstellung vom Staat, der sich den Rest der Gesellschaft inklusive der Kapitalisten unterwirft.

Man kann nicht einerseits anerkennen, dass es in jedem bürgerlichen Staat zwischen dem Kapital und dem Staat eine Vielzahl personeller, ökonomischer, politischer, institutioneller Verbindungen gibt, diese dann aber andrerseits für theoretisch irrelevant erklären. Zur korrekten marxistischen Bestimmung des bürgerlichen Staates reicht es eben nicht aus, auf strukturelle Zwänge zu verweisen, die den Staat dazu bringen, die Kapitalakkumulation zu fördern. Die vielfältige Einflussnahme auf und Mitwirkung beim Regieren durch die herrschende Klasse ist ebenso ein Wesensmerkmal des bürgerlichen Staates, tritt regelmäßig auf, lässt sich somit verallgemeinern und kann von einem marxistischen Staatsbegriff nicht ausgeblendet werden.

In Wirklichkeit unterwirft sich der bürgerliche Staat auch nicht insgesamt die Gesellschaft, sondern er ist die politische Herrschaft einer Minderheit der Gesellschaft über ihre Mehrheit, nämlich der Bourgeoisie über das Proletariat und andere unterdrückte Schichten. Davon will der GSP aber nichts wissen. Für ihn ist die bürgerliche „Demokratie“ nämlich keineswegs ein Schein oder Betrug an den Massen, sondern absolut real: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und entspricht seinem politischen Willen, indem sie ihn als das Allgemeininteresse gegen die Privatsubjekte durchsetzt“ (Staatstext, Markierungen im Original). Dieser Satz stammt nicht, wie man meinen könnte, aus einer Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung, sondern vom Gegenstandpunkt.

Dahinter steht eine extreme Verachtung für die Massen: „Der gemeinsame Wille zur Unterordnung unter die staatliche Herrschaft stiftet überhaupt erst die Gemeinsamkeit, die eine Bevölkerung zu einem Volk werden lässt (…) Als geordnete Masse ist das Volk Produkt, Basis und Werkzeug der staatlichen Herrschaft und hat keinen anderen Willen als den zur Unterordnung unter die staatliche Gewalt“. Auf einen Kritiker, der einwendet, dass die bürgerliche Demokratie keine wahre Demokratie sei, antwortet der GSP: „Und dieser ungemütliche Haufen – das Volk – übt Dir in der Demokratie zu wenig Macht aus? Wir jedenfalls haben von ihm und seinem demokratisch-konstruktiven Zusammenwirken mit seiner Herrschaft schon ziemlich lang die Schnauze voll.“ (Demokratie)

Der bürgerliche Staat ist für den GSP also nicht die Diktatur des Kapitals über die Arbeiterklasse und andere Volksschichten – eine Diktatur, die eben nicht nur durch Zwang, sondern auch durch das Organisieren von Zustimmung funktioniert. Er ist vielmehr die Herrschaft des Volkes selbst: „Im Unterschied zum absolutistischen Staat bevorzugt er keinen Stand, keine Klasse; jedermann kommt in den Genuß aller Rechte und niemand hat Privilegien. Nicht durch seine Parteinahme, seinen unmittelbaren Einsatz für das Interesse bestimmter Teile der Gesellschaft, wird er Diener einer Klasse – das allen garantierte Gesetz und die Gerechtigkeit organisieren den Vorteil der Stärkeren und den bleibenden Nachteil der minder bemittelten Bürger“ (Staatstext, Markierungen i.O.). Natürlich ist es richtig, dass der bürgerlich-liberale Staat die Klassenherrschaft nicht in erster Linie durch gesetzliche Diskriminierung durchsetzt. Aber diese Tatsache tritt in den Hintergrund im Angesicht der politischen Macht des Geldes und der gewaltigen Unterschiede im Zugang zu politischer Macht und Einfluss, die sich daraus ergeben. Der bürgerliche Staat setzt sich eben sehr wohl, auch unmittelbar, für das Kapital ein. Und das tut er auch nicht nur, indem er allen dieselben Gesetze und Regeln aufstellt – in dieser Darstellung liegt der GSP vielmehr ein weiteres Mal auf der Linie mit erzbürgerlichen Vorstellungen, nämlich der ordoliberalen Utopie einer strikt regelbasierten Ökonomie. Das „allen garantierte Gesetz“ wird eben eher nur dann zuverlässig eingehalten, wenn es um die Zwangsräumung einer arbeitslosen Familie aus ihrer Wohnung geht und weniger dann, wenn Großbanken oder Industriekonzerne mit öffentlichen Mitteln vor der Pleite gerettet werden.

In der Staatstheorie des GSP erscheint der Staat wie in der liberalen Ideologie letzten Endes als mehr oder weniger neutrale Instanz, die über den Klassen steht, denn er organisiert nur die Rahmenbedingungen der Konkurrenz. In dieser Konkurrenz setzen sich dann eben die „Stärkeren“ gegen die „minder bemittelten Bürger“ durch und nicht etwa die Diktatur einer Klasse über die andere. Klassengegensätze werden beim GSP zwar nicht geleugnet, aber sie verschwimmen und treten in den Hintergrund.

Tatsächlich funktioniert die Erklärung des Staates beim GSP auch ganz ähnlich wie im politischen Liberalismus der Aufklärung. Es sind ja die Bürger, die sich als kapitalistische Konkurrenzsubjekte betätigen wollen, dafür aber den Staat brauchen, also unbedingt beherrscht werden wollen und sich den Staat nach ihrem Willen schaffen: „Um dieser Freiheit willen geht es ihnen um den Staat, ohne den sie sich ihrer Mittel gar nicht bedienen könnten: vom praktischen Standpunkt erscheint ihnen die Staatsgewalt als Bedingung der freien Konkurrenz, also wollen sie anerkannte Staatsbürger sein, weil sie es wegen ihrer ökonomischen Interessen sein müssen.“ (Staatstext, Markierungen i.O.). Die Staatgewalt ist hier wie in der Vertragstheorie von Thomas Hobbes geschaffen worden, um den Kampf Aller gegen Alle in geregelte Bahnen zu lenken. Auch das hat viel mit liberalen Staatsillusionen und dafür wenig mit dem Marxismus oder der Realität bürgerlicher Staaten zu tun.

Die Ursünden: „Volk“ und „Nation“

Da für ihn der Staat keine Klassenherrschaft ist, sondern Ausdruck des Volkes, versteht sich von selbst, dass der GSP für das Volk nicht allzu viel übrig hat. Volk und Nation sind für ihn dabei mehr oder weniger dasselbe: „Der ökonomische Erfolg der Klasse, die mit ihrem Geld zu ihren Gunsten die gesellschaftliche Arbeit kommandiert, ist die gemeinsame Sorge der Nation, einschließlich des kommandierten Volkes selber.“ (GSP: Das Volk – eine furchtbare Abstraktion (künftig: Volk), M.i.O.). Volk und Nation sind also definiert dadurch, dass sie sich willentlich dem kapitalistischen Staat unterordnen. Ein Volk, das nicht von chauvinistischem Nationalismus ergriffen ist, kann der GSP sich gar nicht vorstellen: „So leben moderne, aufgeklärte Citoyens als Volk die radikale Abstraktion von ihren materiellen Lebensbedürfnissen und ihrer politischen Unzufriedenheit. Und das tun sie – wie alle Völker vor ihnen – bis zur letzten Konsequenz. Wenn ein Staat gegen eine fremde Herrschaft losschlägt, weil er seine ‚vitalen Interessen‘ in Gefahr sieht, sich also am Leben und den Lebensmitteln fremder Untertanen vergreift, das Leben eigener Bürger aufs Spiel setzt und nationalen Reichtum opfert, dann ‚erkennt‘ ein Volk in seiner totalen Inanspruchnahme durch seine höchsten Gewalten seine Identität mit deren gewalttätigen Ansprüchen und will nichts weiter als den möglichst prompten ‚gemeinsamen‘ Erfolg; und für die Gewissheit, dass es auf den auch ein abgrundtiefes Recht hat, bedient es sich nationaler Heldensagen, Kreuzzugsideen und dergleichen Sinnstiftungen mehr“ (Volk, M.i.O.)

Die Nation ist dann also die Gesamtheit der Untertanen des Staates. Alles, was an „nationalen Heldensagen“ und „Sinnstiftungen“ zur nationalen Tradition gehört, ist für den GSP einfach nur die idealistische Rechtfertigung für den eigentlichen Nationalismus, nämlich die Zustimmung zum Staat.

Der reale Zusammenhang ist allerdings ein anderer. Dass eine Nation nicht einfach nur eine Gruppe von Menschen ist, die sich einem Staat unterordnet, sieht man daran, dass Nation und Staatsvolk keineswegs identisch sind. Jeder Staat zählt mehr als eine Nationalität zu seinen Bürgern, entweder durch Einwanderung oder als alteingesessene nationale Minderheiten. Umgekehrt heißt das, dass nicht alle Nationen einen Staat haben. Und es ist keinesfalls unmöglich, einer Nation anzugehören und gegenüber einem anderen Nationalstaat loyal zu sein. Genauso wie es möglich ist, was der GSP ja selbst beweist, einer Nation anzugehören und überhaupt keinem Staat gegenüber loyal zu sein.

Wesentlich brauchbarer im Sinne des historischen Materialismus ist dagegen z.B. der Nationenbegriff Stalins: „Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart. Dabei versteht sich von selbst, daß die Nation, wie jede historische Erscheinung überhaupt, dem Gesetz der Veränderung unterworfen ist, ihre Geschichte, ihren Anfang und ihr Ende hat.(Stalin: Marxismus und nationale Frage). In dieser Definition ist das Verständnis enthalten, dass die Nation sich historisch herausgebildet hat; dass sie auf realen Gemeinsamkeiten wie Sprache, Kultur und Mentalität („psychische Wesensart“) beruht; dass es sich um eine relativ stabile, aber nicht ewige und unveränderliche Gemeinsamkeit handelt; und dass die Konstitution und Entwicklung von Nationen durch die Entstehung kapitalistischer Staaten (Gemeinsamkeit des Territoriums und Wirtschaftslebens) bedingt sind. Nun kann man sich zum Staat und dem Kapitalismus positiv oder negativ verhalten. Sprachliche und kulturelle Prägung sind dagegen kaum das Ergebnis einer individuellen Entscheidung. Und es ergibt auch wenig Sinn, in diesem Sinne eine ablehnende Haltung zur Nation einzufordern. Eine Sache ist die Unterordnung unter die Bourgeoisie und ihren Staat. Eine ganz andere ist es, ein positives emotionales Verhältnis zur eigenen (oder einer anderen) nationalen Kultur, Sprache, der Landschaft oder der Mentalität der ansässigen Bevölkerung zu haben. Teil einer solchen objektiv bestehenden Gemeinschaft zu sein oder sein zu wollen, ist an sich noch überhaupt nicht problematisch. Auch ergibt sich daraus keine ausschließende oder abwertende Haltung gegenüber anderen Gemeinschaften. Der GSP macht wie andere „antinationale“ Gruppierungen den Fehler, die Komplexität der Nation, die eben verschiedene Aspekte in sich vereint, auf einen dieser Aspekte zu reduzieren. Damit übernimmt er letzten Endes einfach den Nationenbegriff der Bourgeoisie: Denn für die Bourgeoisie sind die Gemeinsamkeit der Sprache, Kultur usw. natürlich letzten Endes nichts anderes als ein ideologisches Instrument, um die Unterordnung der gesamten Gesellschaft unter ein fiktives „Interesse der Nation“ zu bewirken, das nichts anderes sein kann als das Interesse des Staats als ideellem Gesamtkapitalisten, also das Interesse des Kapitals. Im Alltagsbewusstsein des Proletariats und anderer Volksschichten ist die Nation aber durchaus etwas anderes, nämlich eine diffuse Vermischung von verschiedenen Elementen, die keineswegs alle reaktionär sind. Die reaktionäre, weil exklusive und auf Burgfrieden zwischen den Klassen hinauslaufende Seite des Nationenbegriffs ist dabei oft, aber überhaupt nicht immer vorhanden oder gar vorherrschend. Es gibt hingegen keinen plausiblen Grund, diese Seite zu verabsolutieren und sie wie der GSP als einzige in die Bestimmung des Nationenbegriffs einzubeziehen, anstatt sie zu bekämpfen, während und indem man die progressiven Elemente der Nation, wie z.B. den kollektiven Kampf gegen nationale Unterdrückung und die progressiven Elemente der Volkskultur, aufgreift und konstruktiv in die politische Arbeit einbezieht. Auch die im Nationalgefühl enthaltene Gemeinsamkeit ist nicht nur reaktionär. Denn das Zusammenkommen von Menschen derselben Nationalität, wie es beispielsweise bei großen Sportereignissen geschieht, kann angesichts der kapitalistischen Vereinzelung und Individualisierung durchaus auch positiven Charakter haben – ob der Chef und die Bundeskanzlerin in die Fußballparty einbezogen werden und ob die Fans der gegnerischen Nationalmannschaft niedergemacht werden, das steht dabei ja noch nicht fest. Die kapitalistische Kultur bietet der reaktionären Tendenz hier zahlreiche Anhaltspunkte, trotzdem können auch hier klassenbewusste proletarische Kräfte ihren Einfluss geltend machen. Dies ist allerdings eine Möglichkeit, der sich die „antinationale“ Interpretation von vornherein selbst beraubt.

In der Arbeiterbewegung wurden diese Unterschiede überwiegend durchaus berücksichtigt, auch wenn es den idealistischen Fehler des nationalen Nihilismus auch hier gegeben hat (allen voran bei Rosa Luxemburg). Lenin dagegen verteidigte die eine Form des Nationalstolzes, während er im selben Atemzug den nationalen Chauvinismus verurteilte: Ist uns großrussischen klassenbewußten Proletariern das Gefühl des nationalen Stolzes fremd? Gewiß nicht! Wir lieben unsere Sprache und unsere Heimat, wir wirken am meisten dafür, daß ihre werktätigen Massen (d.h. neun Zehntel ihrer Bevölkerung) zum bewußten Leben erhoben werden, daß sie Demokraten und Sozialisten werden. Es schmerzt uns am meisten, zu sehen und zu fühlen, welchen Gewalttaten, welcher Unterdrückung und welchen Schmähungen die Zarenschergen, Gutsbesitzer und Kapitalisten unsere schöne Heimat unterwerfen. (…) Wir sind erfüllt vom Gefühl nationalen Stolzes, und gerade deshalb hassen wir ganz besonders unsere sklavische Vergangenheit (…) und unsere sklavische Gegenwart, in der dieselben Gutsbesitzer, unterstützt von den Kapitalisten, uns in den Krieg führen, um Polen und die Ukraine zu erdrosseln…“  (LW 21, S. 92). Lenin weist hier darauf hin, dass gerade die emotionale Verbundenheit mit der Heimat ein Antrieb dafür sein kann, das System zu bekämpfen, das diese Heimat und die Mehrheit der Menschen darin seiner Herrschaft unterwirft und zerstört.

Natürlich sind die Interessen der Klassen innerhalb einer Nation gegensätzlich. Für die Arbeiter eines Landes sind die Kapitalisten desselben Landes nicht nur irgendwelche Gegner, sondern ihre unmittelbaren, größten Gegner. Ein Allgemeininteresse der Nation kann es deshalb nicht geben, im Gegensatz übrigens zur Vorstellung des GSP, der, wie der bürgerliche Nationalismus, genau dieses „Allgemeinwohl“ als reale Zielgröße der bürgerlichen Politik annimmt. Die Grenze zum Nationalismus liegt nämlich genau da, wo das imaginäre Allgemeinwohl der Nation, das in Wirklichkeit das Interesse der herrschenden Klasse ist, zum übergeordneten Ziel erklärt wird. Insofern hat der GSP auch durchaus Recht damit, dass der faschistische Nationalismus eine Variante des in der bürgerlichen Gesellschaft angelegten Nationalismus ist, wenn auch an seiner Faschismusanalyse sonst kaum etwas stimmt (vgl. Huisken: Warum Demokraten (Neo-)Faschisten nicht kritisieren, sondern nur verbieten können). Denn der nationale Staat beruht auf der Kapitalakkumulation, weshalb die Unterordnung aller entgegengesetzten Klasseninteressen unter dieses Ziel tatsächlich eine naheliegende und häufige Forderung bürgerlicher Politik ist. Der Fehler des GSP liegt eben an anderer Stelle, nämlich in seiner üblichen Methode, jedes soziale Phänomen, so auch die Nation, außerhalb seiner Geschichte und nur unter Betrachtung eines seiner Aspekte zu betrachten.

Zu Recht hat die Arbeiterbewegung überwiegend ein viel differenzierteres Verhältnis zur Nation gehabt als es der GSP, auch wenn es Fehler in die eine und in die andere Richtung, in Form von nationalem Nihilismus und Linksnationalismus gegeben hat. Die Nationen sind als solche entstanden mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft, wobei sie auf Traditionen verschiedenster Art und in vielen Fällen auf bestehenden Staatswesen aufbauten. Damit waren sie erst einmal eine historische Errungenschaft, denn durch den Kapitalismus entstand eben ein viel engerer gesellschaftlicher Zusammenhang, eine höhere Stufe der Vergesellschaftung, deren Form die Nation anstelle der lokalen oder gar Stammesgemeinschaft war. Produkt dieser Entwicklung ist auch die Arbeiterklasse und damit die Arbeiterbewegung.

Aber auch heute, im entwickelten, nationalstaatlich verfassten Kapitalismus, ist die Nation differenzierter zu betrachten: Die meisten sozialistischen Revolutionen im 20. Jahrhundert und eine Reihe derer, die an eigenen Fehlern oder der Übermacht des Gegners gescheitert sind, waren nur durch die Verbindung des nationalen mit dem sozialistischen Kampf möglich. Ob Lenins berühmte Unterscheidung zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen heute noch sonderlich hilfreich ist, ist eine Frage, die an anderer Stelle zu diskutieren wäre. Nationale und koloniale Unterdrückung haben jedoch in der Geschichte des Kapitalismus und auch des Imperialismus eine wichtige Rolle gespielt und der Kampf dagegen war oft genug Katalysator für den Klassenkampf. Auch heute existiert nationale Unterdrückung noch nahezu überall, wie auch der Blick auf den Umgang des deutschen Imperialismus mit Immigranten und Flüchtlingen zeigt.

Erwartungsgemäß kann der GSP aber mit einer solchen marxistischen Haltung, die die Widersprüchlichkeit des Nationenbegriffs berücksichtigt, überhaupt nichts anfangen: „Weil solche Erhebungen (der nationalen Befreiungsbewegungen, Th.S.) sich gegen die Herrschaft einer kapitalistischen Nation richten, beurteilten sie diese vom Standpunkt des revolutionären Weltproletariats und machten sie zum Gegenstand internationaler Solidarität – auch wenn sich der Inhalt der Kämpfe gar nicht gegen den kapitalistischen Staat wandte, sondern um die Einrichtung einer eigenen nationalen Herrschaft ging“ (GSP: Die „nationale Frage“ in der Arbeiterbewegung (künftig: Nation), S. 5, M.i.O.).

Auch hier beharrt der GSP auf seinem sektiererischen Standpunkt: Widerstand, auch wenn er sich gegen skandalöse Unterdrückung richtet, wird nicht unterstützt, solange er sich nicht nach dem Programm des GSP richtet. Dabei ist das Problem, das hier angesprochen wird, durchaus real: Ein Kampf um nationale Unabhängigkeit ist keineswegs an sich fortschrittlich. Würde jede ethnische, religiöse oder nationale Gruppe ihren Nationalstaat einfordern, wäre die logische Konsequenz immer weitere Zersplitterung, damit auch der Arbeiterklassen, mehr Grenzen und im Fall einer sozialistischen Revolution immer schlechtere Voraussetzungen, um den Sozialismus in einem oder wenigen Ländern aufzubauen. Deshalb sollten Kommunisten einen nationalen Kampf nicht voraussetzungslos unterstützen (auch das ein häufiger „linker“ Fehler), sondern diese Frage immer davon abhängig machen, was den Interessen der Arbeiterklasse nützt. Separatismus aus nationaler Borniertheit gehört nicht dazu, nationalistischer Chauvinismus erst recht nicht. Aber auch ein antinationaler Standpunkt, der die Nation insgesamt, als Ganze verwirft und sich damit viele Möglichkeiten verbaut, an fortschrittliche historische oder kulturelle Traditionen dieser Nation anzuknüpfen, ist falsch.

Dieser antinationale Standpunkt hat in der Praxis schwerwiegende negative Auswirkungen. Sie zeigen sich zum Beispiel an der Haltung des GSP gegenüber nationalen Befreiungsbewegungen. Historisch verfolgten zahlreiche dieser Bewegungen mal mehr, mal weniger konsequente sozialistische Ambitionen, was eine Folge davon war, dass die Kommunisten sich in der Regel an die Spitze des nationalen Befreiungskampfes stellten und die UdSSR unter den Völkern der Dritten Welt hohes Ansehen für die praktische Unterstützung solcher Kämpfe genoss.

Besondere Bedeutung hat in Deutschland der Fall des palästinensischen Befreiungskampfes – nicht zuletzt, weil die extrem rechte Strömung der „Antideutschen“ innerhalb des „linken“ Spektrums enormen Einfluss ausübt. Eine klare Positionierung zu dieser Frage ist deshalb für eine kommunistische Bewegung essenziell, weshalb hier kurz auf dieses Beispiel eingegangen werden soll, um den problematischen Charakter der GSP-Position zur nationalen Frage aufzuzeigen. Eine Parteinahme für den zionistischen Staat, die ihn eindeutig als reaktionäre politische Gruppierung ausweisen würde, ist dem GSP glücklicherweise nicht vorzuwerfen. Seine staatskritische Linie hält er auch hier durch. Allerdings bezieht er dieselbe Kritik auch auf den Kampf der Palästinenser. So heißt es: „Ein ‚palästinensisches Volk‘ das sich als solches versteht und den Willen zum ‚eigenen palästinensischen Staat‘ fasst, begreift die Subsumtion unter die Gewalt einer Staatsmacht als seinen höchsten Daseinszweck. (…) Das bildet man sich als seine Befreiung ein, dafür, dieser Macht zur Existenz zu verhelfen, setzt man sich ein, wenn es sein muss, unter Aufopferung der eigenen und auch der Existenz all jener Volksgenossen in spe, die man unter dem Dach einer eigenen Nation vereinen möchte.“ (GSP: Jassir Arafat. Die Symbolfigur der palästinensischen Sache und ihr symbolträchtiger Abgang, M.i.O.).

Zwischen Unterdrückern und Unterdrückten wird also in dieser Hinsicht nicht unterschieden. In dem Kampf um einen eigenen Staat sieht der GSP wieder mal nur den Willen zur Unterordnung unter die bürgerliche Herrschaft, auch wenn es sich dabei um eine Losung handelt, die Ausdruck des Widerstands gegen brutale nationale Unterdrückung ist wie im Falle der Palästinenser. Diese werden schließlich seit Jahrzehnten von einem Staat unterdrückt, der sie als Nation ausgrenzt, zu Nichtbürgern oder (bestenfalls) Bürgern zweiter Klasse erklärt, unterdrückt, einsperrt und ermordet. Der Kampf um einen eigenen Staat (oder einen gemeinsamen, also nicht-zionistischen Staat der Araber und Juden) ist in dieser Situation die einzig mögliche Konsequenz und die einzige Möglichkeit, den Zustand der Rechtlosigkeit und brutalen Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu überwinden. Dass der Kampf um die Ein- oder Zweistaatenlösung nicht ausreicht, ist eine andere Sache. Gerade deshalb müssen die Kommunisten sich an die Spitze dieses Kampfes stellen, um den nationalen Befreiungskampf mit dem sozialen, also dem Kampf um den Sozialismus zu verbinden. Wird der nationale Kampf beiseite geschoben, für irrelevant oder (wie beim GSP) für falsch erklärt, also durch die Losung des Sozialismus einfach ersetzt, vergibt man sich faktisch die Erfolgschancen nicht nur für die nationale Befreiung, sondern auch den Sozialismus.

Die Ablehnung des Volkes ist dann noch um einiges absurder als die der Nation. Hierbei handelt es sich nicht nur um einen Definitionsstreit. Manchmal ist die international wohl einmalige Abneigung der deutschen Linken gegen den Volksbegriff ja auch darauf zurückzuführen, dass auf deutsch das Wort „Volk“ historisch sowohl im Sinne von „die Massen“, also der Arbeiterklasse und ihrer potenziellen Verbündeten im Kampf gegen das Kapital, verwendet wird; als auch im Sinne von „Volksgemeinschaft“, „Blut und Boden“. Die deutsche Linke hat sich zu großen Teilen darauf eingeschossen, nur den zweiten Volksbegriff wahrzunehmen und damit zu verwerfen. Wie gezeigt wurde, geht es beim GSP aber um ein noch grundsätzlicheres Problem: Das Volk wird an sich schon deshalb abgelehnt, weil es die kapitalistische Herrschaft befürworte.

Abgesehen davon, dass dies, wenn es denn stimmen würde, doch wohl eher ein Grund wäre, erst recht die Klassenorganisierung und kommunistische Agitation und Propaganda mit aller Kraft zu betreiben, darf auch die Analyse selbst bezweifelt werden. Dazu später mehr.

Imperialismus als staatlicher Willensakt

Der Imperialismus ist das heutige globale System des Monopolkapitalismus. Er bestimmt die gesellschaftliche Entwicklung entscheidend. Seine Analyse und die ständige Aktualisierung dieser Analyse ist darum eine grundlegende Aufgabe des Marxismus und der Kommunisten. Lenin hatte als ökonomischen Kern des Imperialismus das Monopolkapital ausgemacht. Es dürfte an dieser Stelle nicht mehr verwundern, dass der GSP ausgehend von seiner abweichenden philosophischen Position und Staatsauffassung eine grundsätzlich andere Imperialismustheorie vorschlägt. Lenins Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ ist ihm zufolge dagegen ein „aktueller, aber falscher Klassiker“ (GSP: Ein aktueller, aber falscher Klassiker. Lenin, der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (künftig: Imperialismus)). Sehen wir uns also die Kritik des GSP an Lenins Theorie an.

Diese Kritik lässt sich grob in drei Argumentationsstränge unterteilen. Erstens lehnt der GSP die ökonomische Analyse des Monopolkapitalismus, also des Entstehens des Monopol- und Finanzkapitals ab. Zweitens hat Lenin nach Auffassung des GSP das Verhältnis von Ökonomie und Politik falsch bestimmt. Drittens bestreitet der GSP die Entfaltung der grundlegenden Widersprüche im Imperialismus und die politischen Implikationen die diese haben.

Erstens, zur ökonomischen Analyse: Mit der „Entdeckung der Monopole“ habe sich Lenin einer „handfesten Revision gerade der Marxschen Erklärung der Ökonomie“ schuldig gemacht (Imperialismus, S. 3, M.i.O.). Dass es zu Monopolen kommen kann, will wohl auch der GSP nicht ausdrücklich bestreiten, wohl aber dass diese heutzutage eine strukturbestimmende Rolle in der Ökonomie spielen: „Die Bewährung in der Konkurrenz ist nämlich etwas ganz anderes als ihre Abschaffung, und daß das Monopol zum Ideal eines jeden Unternehmers wird, heißt noch lange nicht, daß dieses Ideal mit Preis- und Marktabsprachen erreicht wäre“ (Imperialismus, S. 3f, M.i.O.). Auch davon, dass der Kapitalismus in ein neues, eben monopolistisches Stadium übergegangen sein soll, will der GSP nichts wissen: „Aber auch noch so viele, gezählte und beim Namen genannte ‚monopolistische Unternehmensverbände (?), Kartelle, Syndikate‘ belegen die ‚Ablösung der kapitalistisch freien Konkurrenz durch die kapitalistischen Monopole‘ nicht, und wenn einmal die Industrieschutzzölle, das andere Mal der Freihandel als Motor der Kartellbildung herhalten müssen, so ist explizit von einem Mittel der Konkurrenz die Rede, dem Lenin freilich wieder die ‚monopolistische Tendenz‘ entlockt“ (Imperialismus, S. 4, Markierung und Fragezeichen .i.O.).

Der GSP fällt hier ein weiteres Mal seiner undialektischen Weltauffassung zum Opfer. Für Lenin bedeutet die Entstehung des Monopols keineswegs die „Abschaffung der Konkurrenz“, sondern ihren Formwandel, von der „freien Konkurrenz“ eben zur Monopolkonkurrenz. Man könnte meinen, er hätte diesen Standpunkt nicht ausdrücklicher formulieren können. Um nur zwei Textstellen unter vielen heranzuziehen: „Zugleich aber beseitigen die Monopole nicht die freie Konkurrenz, aus der sie erwachsen, sondern bestehen über und neben ihr und erzeugen dadurch eine Reihe besonders krasser und schroffer Widersprüche, Reibungen und Konflikte“ (Lenin Werke, Band 22, S. 270). Und: „Je höher entwickelt der Kapitalismus, je stärker fühlbar der Rohstoffmangel, je schärfer ausgeprägt die Konkurrenz“ (LW 22, S. 265).

Es ist unmöglich, dass der GSP diese Textstellen nicht kennt. Eher ist davon auszugehen, dass er sie einfach nicht verstanden hat. Denn für den GSP gibt es wie für den Positivismus nur absolute Gegensätze, während für den Marxismus (und das dialektische Denken allgemein) auch und gerade Gegensätze miteinander vermittelt sind und ineinander übergehen können. Lenins Argument besteht gerade darin, dass die Monopole aus der freien Konkurrenz der vielen nichtmonopolistischen Kapitale erwachsen und diese überwinden, indem sie eben die strukturbestimmenden Sektoren der Ökonomie unter der Herrschaft weniger Monopole neu ordnen. Diese Monopole stehen aber miteinander ebenfalls in Konkurrenz. Die Konkurrenz stellt ein Grundgesetz der kapitalistischen Produktionsweise dar, wird in ihr immer wieder neu produziert und kann innerhalb des Kapitalismus nicht überwunden werden.

Dennoch hat sich mit dem Übergang des Konkurrenzkapitalismus zum Monopolkapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts die Struktur dieser Konkurrenz entscheidend verändert. In einem ständigen Wechselspiel von Konkurrenz und Kooperation beherrscht seitdem eine recht überschaubare Gruppe großer Kapitalgruppen wesentliche Teile der Ökonomie. Diese Entwicklung geht gesetzmäßig aus der von Marx analysierten Tendenz zur Zentralisation und Konzentration des Kapitals hervor. Dieses Gesetz wirkt auch im Monopolkapitalismus weiterhin, weshalb der Monopolisierungsgrad der Ökonomie heute noch um ein Vielfaches stärker ausgeprägt ist als zu Lenins Zeiten.

Den qualitativ neuen Charakter der Epoche des Monopolkapitals kann der GSP nicht begreifen: „Die Aussage, das Monopol löse die freie Konkurrenz ab, ist missverständlich, weil sie impliziert, dass die freie Konkurrenz nicht eine logische Abstraktion sondern eine tatsächliche historische Phase der Kapitalentwicklung ist“ (Wirth 1973, 24). Die offensive Geschichtslosigkeit, die Verweigerung jeder Beschäftigung mit der wirklichen Geschichte, hat beim GSP (und leider nicht nur bei diesem, siehe Michael Heinrich und Konsorten) zu einer idealistischen Methode der Kapitallektüre geführt, die im „Kapital“ ausschließlich eine logische Begriffsentwicklung sehen will, die in keiner Weise Ausdruck historischer Entwicklungen ist. Engels hatte diesen Fehler bereits zu Recht kritisiert: „Die logische Behandlungsweise war also allein am Platz. Diese aber ist in der Tat nichts andres als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten“ (MEW 13, S. 475). Was sollte auch eine rein logische Entwicklung ökonomischer Kategorien für eine Aussagekraft haben, wenn sie nichts mit dem realen historischen Entwicklungsprozess zu tun hat?

Eben weil das Monopol sich logisch aus der Konkurrenz entwickelt, die eben zur immer weiteren Konzentration und Zentralisation führt, hat es sich auch historisch daraus entwickelt. Eben deswegen ist der Monopolkapitalismus als wirkliche historische Phase des Kapitalismus gesetzmäßig entstanden, besteht als solche bis heute und stellt sein höchstes Entwicklungsstadium dar.

Nicht besser ist die Abwicklung des Begriffs Finanzkapital durch den GSP. Auch hier herrscht schlicht Unverständnis darüber, was Lenin mit dem Finanzkapital meint. Dabei zitiert der GSP selbst, wohl eher zufällig, gerade eine entscheidende Textstelle Lenins dazu: „Die Trennung des Kapitaleigentums von der Anwendung des Kapitals in der Produktion, die Trennung des Geldkapitals vom industriellen oder produktiven Kapital, die Trennung des Rentners, der ausschließlich vom Ertrag des Geldkapitals lebt, vom Unternehmer und allen Personen, die an der Verfügung über das Kapital unmittelbar teilnehmen, ist dem Kapitalismus überhaupt eigen. Der Imperialismus oder die Herrschaft des Finanzkapitals ist jene höchste Stufe des Kapitalismus, wo diese Trennung gewaltige Ausdehnung erreicht“  (LW 22, 242). Das Finanzkapital ist im Kern nämlich die Herrschaft des Kapitaleigentums, d.h. des verselbstständigten Geldkapitals über die anderen Formen des Kapitals. Dieses kann, muss aber nicht in Form der Vorherrschaft der Banken auftreten, die die Verwertung des Geldkapitals zum zentralen Vorgang der gesamten kapitalistischen Ökonomie machen. Das Industriekapital wird dabei aber keineswegs irgendwie unterjocht, sondern im Gegenteil selbst zum Finanzkapital, da auch seine Akkumulation finanzkapitalistische Form annimmt. Dieser Zusammenhang ist an anderer Stelle näher zu behandeln, würde aber hier den Rahmen sprengen.

Was sagt der GSP dazu? „Fast kriegt man Mitleid mit den netten Herren Industriellen angesichts des Molochs Finanzkapital. (…) Nicht einmal der simple Gedanke, daß auch die Bank von der Nachfrage nach Kredit ‚abhängig‘ ist und diese vom Geschäftsgang der Industrie (…) kommt da auf! (…) Der anständigen industriellen Ausbeutung von einst stehen ‚dunkle und schmutzige‘ Machenschaften der Banken von heute gegenüber, statt eines ehrbaren Zinses gibt es wieder ‚Wucher‘“ (Imperialismus, S. 8). Und natürlich darf auch der typische antideutsche Vergleich der Leninschen Imperialismustheorie mit der Ideologie der Nazis nicht fehlen: „So haben die Epigonen auch nach der faschistischen Unterscheidung zwischen raffendem und schaffendem Kapital nicht davon abgelassen, die Leninsche Erfindung der Finanzmonopolisten für ganz verwerflich zu halten und ihnen zur Last gelegt, daß sie als unnütze Couponschneider die braven Industriellen einseifen und die ganze Gesellschaft schröpfen.“ (Imperialismus, S. 12).

Lenin war es allerdings keineswegs darum gegangen, das Finanzkapital moralisch zu kritisieren. Ihm ging es um die Analyse dieser neuen Qualität des Kapitals und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft. Für den GSP ist dagegen Kapital gleich Kapital, da, die historische Entwicklung ignorierend, das Kapital einfach als logische Ableitung aus der Warenform fehlinterpretiert wird. Machtverhältnisse unter den Kapitalisten spielen in dieser Theorie keine Rolle, ebenso wenig wie die strukturelle Verwandlung des Kapitals in Richtung des immer höheren Stellenwerts der Verwertung des Geldkapitals – obwohl letztlich auch diese realhistorischen Entwicklungen auf die von Marx analysierten grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Warenproduktion zurückzuführen sind. Nichts in Lenins Schrift oder gar seiner politischen Praxis deutet darauf hin, dass er die Industrie oder das frei konkurrierende Kapital für moralisch dem Finanzkapital überlegen gehalten und dementsprechend irgendwelche Klassenbündnisse oder gar eine Rückkehr zur freien Konkurrenz angestrebt hätte. Im Gegenteil ist für Lenin das Monopol „ein gigantischer Fortschritt in der Vergesellschaftung der Produktion“ (LW 22, S. 209) und bekanntlich ja auch die Schaffung der ökonomischen Voraussetzungen für den Sozialismus.

Das Entscheidende der Leninschen Theorie des Monopolkapitals, nämlich den notwendigen Zusammenhang von Finanzkapital und Monopol, sowie die unmittelbar internationale Dimension des Monopols, das den Drang des Kapitals auf den Weltmarkt vervielfacht, hat der GSP nicht verstanden. Wirklich Kritikwürdiges hat er an Lenins Theorie nicht gefunden. Was er kritisiert, sind daher auch vor allem Aussagen, die nicht von Lenin kommen, sondern ihm vom GSP untergeschoben werden.

Zweitens stört sich der GSP erwartungsgemäß an der Rolle des Staates in Lenins Imperialismustheorie. Auch wenn Lenins Arbeit sich auf die ökonomischen Veränderungen konzentriert und die politische Seite eher nur anreißt, wird seine Auffassung in ihren Grundrissen klar. Er wirft den Revisionisten der II. Internationale vor, die Politik in ihrer Imperialismusanalyse von der Ökonomie zu trennen. Lenin zufolge steht die Politik dagegen in einem Zusammenhang mit der ökonomischen Basis, der Staat beruht auf den ökonomischen Verhältnissen, er sichert diese durch das bürgerliche Recht ab und vertritt das Kapitalinteresse. Dem GSP mit seiner revisionistischen Auffassung vom Staat als eigenständigem Subjekt kommt in dieser Theorie naturgemäß der Staat viel zu kurz. Mit Lenins Hinweis darauf, den dialektischen Zusammenhang zwischen Politik und Ökonomie zu beachten, kann er schon gar nichts anfangen, da er der Trennung von Politik und Ökonomie ja selbst verfallen ist: „Lenin verpflichtet großzügig auf die Unterscheidung zwischen Ökonomie und Politik, und das aus der ‚orthodoxen‘ Sicherheit heraus, daß letztere ohnehin in nichts anderem besteht als in der Exekution der Geschäftsinteressen des Kapitals.“ (Imperialismus, S. 2, M.i.O.). Wo Lenin das geschrieben haben soll, schreibt der GSP natürlich nicht. Wenn die Politik nur aus der Exekution von Geschäftsinteressen des Kapitals bestünde, dürfte es ja für Lenin auch keinen politischen Klassenkampf geben. Für Lenin ist hingegen der kapitalistische Staat ein Staat des Kapitals, der im Klassenkampf die Interessen des Kapitals durchsetzt.

Im schroffen Gegensatz zur marxistischen Staatsauffassung steht, wie bereits gezeigt wurde, das Staatsbild des GSP. Der Staat wird als frei handelndes Subjekt konstruiert, das nicht den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Lenin hat die Tendenz des Imperialismus zur Überakkumulation, verschärften Krisenhaftigkeit und temporären Lösung dieser Widersprüche durch den Kapitalexport aufgezeigt: „Die Notwendigkeit der Kapitalausfuhr wird dadurch geschaffen, daß in einigen Ländern der Kapitalismus ‚überreif‘ geworden ist und dem Kapital (…) ein Spielraum für ‚rentable‘ Betätigung fehlt“ (LW 22, S. 245). Diese grundlegende Gesetzmäßigkeit des Imperialismus will der GSP nicht wahrhaben, da damit der Handlungsfreiheit des Staat Grenzen gesetzt würden, was wiederum den eigenen liebgewonnenen Staatsfetisch zerstören würde: „„Hier, beim Kapitalexport, schafft er es, die Freiheit der imperialistischen Nationen, aufgrund der gelungenen Akkumulation von Reichtum (…) in pure Not zu verwandeln“ (Imperialismus, S. 11, M.i.O.).

Hätte der GSP einfach darauf verwiesen, dass auch die Zuspitzung ökonomischer Widersprüche die staatliche Politik nicht zwangsläufig determiniert, dass auch dann diese Politik immer noch Gegenstand von Klassenauseinandersetzungen, Kräfteverhältnissen, historischen Zufällen usw. ist und dass die Kapitalisten nicht aus „Not“, sondern aus eigenen Interessen handeln, so wäre ihm zuzustimmen. Dann gäbe es allerdings auch keinen Widerspruch zu Lenin. Der GSP geht aber viel weiter: Für ihn ist der bürgerliche Staat eben frei handelndes Subjekt, das irgendwie auf magische Weise zu einem eigenen Bewusstsein und Willen gelangt ist, die es jetzt durchsetzt und sich von ökonomischen Gesetzen dabei nicht beirren lässt. Es wurde bereits gezeigt, inwiefern es sich dabei um einen Reflex bürgerlich-liberaler, aber keineswegs marxistischer Auffassungen handelt.

Im Ergebnis kommt der GSP zu einer Imperialismustheorie, die eben genau den revisionistischen Fehler der II. Internationale wieder aufnimmt: Der Imperialismus wird nicht mehr als Resultat gesetzmäßiger Entwicklungen des Kapitalverhältnisses verstanden, sondern als aggressive Außenpolitik von Staaten, die irgendwie auf die (ja eigentlich ziemlich unsinnige) Idee gekommen sind, sich gegenseitig an den Kragen zu wollen: „Daß ein moderner Krieg zwischen imperialistischen Staaten – und die bestreiten sich gegenseitig zunächst die Mittel ihrer Souveränität und dann, in der Konkurrenz der Waffen, wo nur noch militärisch ‚kalkuliert‘ wird und nicht kaufmännisch, die Souveränität selbst – materiellen Zugewinn bringen oder wenigstens verheißen müsse, ist die revisionistische Manier, den ökonomischen Grund der staatlichen Gewalttätigkeit zu behaupten“. Beim imperialistischen Krieg geht es dem GSP zufolge also gar nicht um Profite oder überhaupt ökonomische Gründe, sondern darum, dass ein Staat „auf die Schranke eines anderen Souveräns trifft, der sich eine wechselseitige Abhängigkeit und Benützung nicht mehr leisten kann und will (!!)“. „„Denn bürgerlich ist eine Ideologie allemal, die den staatlichen Kriegszweck ausgerechnet mit der Überlegung konfrontiert, was denn dabei herausspringe und für wen…“ (Alle Zitate aus Imperialismus, S. 12, M.i.O.). Die treibende Kraft im Kapitalismus ist also gar nicht die Kapitalakkumulation und das unersättliche Interesse der Bourgeoisie an dieser, sondern der Wille eines irgendwie mysteriös zustande gekommenen kollektiven Subjekts namens Staat. Der „unbewegte Beweger“ von Aristoteles findet hier seinen Eingang in die Gesellschaftstheorie und der Abschied vom marxistischen Staats- und Kapitalismusbegriff ist perfekt. Mit der Realität imperialistischer Kriege hat diese idealistische Auffassung allerdings recht wenig zu tun: Von der Aufstellung von Kriegszielen durch die Industriellenverbände in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bis zu den Stellvertreterkriegen der Systemauseinandersetzung mit dem Sozialismus waren imperialistische Kriege immer Ausdruck von Kapitalinteressen, und sei es nur das Interesse an der Erhaltung der imperialistischen Ordnung an sich. Es waren eben nicht irgendwelche Staaten als Subjekte, die auf diese Idee kamen, sondern imperialistische Staaten als politischer Ausdruck konkreter imperialistischer ökonomischer Verhältnisse.

Drittens verwirft der GSP Lenins Analyse der Widersprüche, die aus dem Kapitalverhältnis entspringen und im Imperialismus auf höherer Stufenleiter erscheinen. Der Grundwiderspruch des Kapitalismus besteht zwischen der immer höheren Vergesellschaftung der Produktion und der privaten Aneignung der Produkte. Der Kapitalismus macht die einzelnen Kapitale und damit auch den Rest der Gesellschaft in immer stärkerem Maße vom gegenseitigen Austausch abhängig, das Kapital organisiert die Produktion und Verteilung des Wertes immer stärker planmäßig und gesamtgesellschaftlich, wozu es auch das Agieren des Staates als ideellem Gesamtkapitalisten immer mehr benötigt. Gleichzeitig aber verbleiben die Produkte eben in der Form des Wertes, also des Privateigentums. Deshalb können immer größere Massen von Waren nicht auf dem Markt realisiert werden, deshalb führt mit dem tendenziellen Fall der Profitrate gerade die immer höhere Entwicklung der Produktivkräfte zu periodischen Krisen.

Der GSP sieht das anders: „Dieser beliebte Widerspruch (…) beruht schon in seiner Urfassung auf einer hohen Meinung vom gesellschaftlichen Charakter der Produktion, für den der Kapitalismus ein dickes Plus erntet, obwohl er diese Qualität mit jeder Produktionsweise teilt“ (Imperialismus, S. 6).

Auch hier wird wiederum klar, dass von der Marxschen Kapitalanalyse kein bzw. ein grundlegend falsches Verständnis vorherrscht, wenn der gesellschaftlichen Charakter des Kapitalismus mit dem des Feudalismus für vergleichbar gehalten wird. Den Feudalismus und andere vorkapitalistische Produktionsweisen zeichnet ja gerade aus, dass die Produzenten im Wesentlichen in ihrer Vereinzelung verbleiben. Die Form der Ausbeutung, die durch außerökonomischen Zwang durchgesetzt wird, führt da eben nicht dazu, dass die einzelnen Wirtschaftssubjekte miteinander in einen ständigen Austausch über die Warenform treten, sondern dieser Austausch findet nur gelegentlich statt, er durchdringt nicht die ganze Gesellschaft. Damit waren die Produkte eben zum größten Teil auch nicht gesellschaftlich, sondern wurden individuell als Subsistenz oder von der Ausbeuterklasse konsumiert, ohne den Umweg über den Markt gemacht zu haben. Ganz anders im Kapitalismus, wo der gesellschaftliche Charakter der Produkte durch ihre Warenform und das Geld, also ihre universelle Austauschbarkeit hergestellt wird. Wenn der GSP diesen Zusammenhang nicht verstanden hat, ist es kein Wunder, dass auch die darauf aufbauende Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie für ihn ein Buch mit sieben Siegeln bleibt.

Dementsprechend ist es auch nicht überraschend, dass der GSP in der Vergesellschaftung der Produktion durch den Kapitalismus keinen historischen Fortschritt erkennen will. Dabei stellen erst die kolossale Zusammenführung und gesellschaftliche Organisation der Produktionskapazitäten und die davon nicht zu trennende explosive Entwicklung der Produktivkräfte durch den Kapitalismus die ökonomischen Voraussetzungen für eine sozialistische Planwirtschaft her, in der auf Grundlage der vergesellschafteten Produktion auch die Aneignung des Produkts vergesellschaftet wird.

Selbst unter kapitalistischen Bedingungen hat das eine ursprünglich emanzipatorische und zivilisatorische Bedeutung; dass diese mit fortschreitender Entwicklung des Kapitalismus immer mehr wieder ins Gegenteil umschlägt, ist die andere Seite der Medaille.

Aber auch die barbarischsten Seiten des entwickelten Imperialismus können, wie Lenin wusste, die Revolution beschleunigen: Die historischen Erfahrungen mit dem imperialistischen Krieg zeigen ja schließlich, dass er wie kein anderes gesellschaftliches Ereignis als Katalysator der revolutionären Bewegung und des Zusammenbruchs der kapitalistischen Herrschaft wirken kann. Auch das ist dem GSP gänzlich unverständlich: „Genauso beliebt blieb die Verheißung, daß schlechte Erfahrungen (mit dem Krieg, Th.S), auf die man nur noch deuten muß, wenn sie die “friedliebenden” Menschen schon gemacht haben, Wunder wirken“ (Imperialismus, S. 13). Bewusstsein kann für den GSP ja nur aus Argumenten entstehen, die man sich „einleuchten lässt“; es wurde bereits oben gezeigt, dass in der idealistischen Auffassung des GSP vom Denken kein Platz dafür ist, dass der Mensch von seinen materiellen Umständen bewegt wird.

Das geht dann genauso wenig umgekehrt. Der GSP sieht eine „reaktionäre Wendung Lenins“ darin, dass für ihn die Arbeiteraristokratie zur sozialen Stütze des Imperialismus wird. Das ist für ihn einfach die Leninsche Fassung des „Volksspruches ‚Den Leuten geht’s zu gut‘“ (Imperialismus, S. 13). In Wirklichkeit sollte es eigentlich eine allgemein nachvollziehbare Tatsache sein, dass privilegierte Lebensumstände dazu führen können, dass man sich mit dem herrschenden System abfindet oder zumindest den Kampf dagegen mit all seinen Opfern nicht aufnehmen will.

Zusammenfassend ist die falsche Imperialismusanalyse des GSP vor allem Ausdruck seiner falschen Staatsanalyse. Da der Staat zum autonomen Subjekt erklärt wird, ist die Ökonomie lediglich ein Instrument in seinen Händen, um seine finanzielle Grundlage zu sichern. Die Entwicklungsgesetze des Kapitalismus, der sich gesetzmäßig zum Monopolkapitalismus weiterentwickelt, die Internationalisierung des Kapitalverhältnisses durch die Monopole und ihren Kapitalexport und die Auswirkungen, die das auf den Staat notwendigerweise hat, spielen in der Imperialismustheorie des GSP keine entscheidende Rolle.

Auch hier kehrt der GSP ausgehend von ultra-linken Positionen, die selbst noch in Lenins Analyse des Finanzkapitals irgendeinen bündnispolitischen Opportunismus zu finden glauben, zurück in den Schoß des bürgerlichen Denkens. Seine falsche Imperialismusanalyse zeugt von einem ordinären Revisionismus, der dem der II. Internationale auf theoretischer Ebene in nichts nachsteht. Während die Reformisten typischerweise die Politik als autonom begreifen, um ihre Bestimmtheit durch ökonomische Gesetze und damit den Imperialismus überhaupt zu leugnen oder ihn zu einer Variante der Außenpolitik erklären, macht der GSP dasselbe, allerdings nicht um den Imperialismus zu leugnen, sondern ihn zur alleinigen Machenschaft des Staates zu erklären. Zu einem adäquaten Verständnis des Imperialismus taugt das eine wie das andere nichts.

Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis – oder auch überhaupt keine Praxis

Theoretische Fehler in revolutionären Bewegungen führen in aller Regel zu praktischen Fehlern. Im Falle des Gegenstandpunkts führen sie dagegen zur gänzlichen Abwesenheit jeder Praxis – sieht man einmal vom Verteilen von Zeitungen und Organisieren von Vorträgen ab. Denn diese Art von „Praxis“ reduziert sich auf das Verkünden der GSP-Lehre gegenüber der Masse der Ungläubigen, dem ungeliebten „Volk“.

Alles, was der Marxismus in den letzten eineinhalb Jahrhunderten an Erkenntnissen über den Zusammenhang von Theorie und Praxis zutage gefördert hat, schreibt der GSP dagegen in den Wind: Dass sich Klassenbewusstsein nicht durch bloßes Verkünden von Zusammenhängen entwickelt, sondern dass Agitation und Propaganda in einem gekonnt austarierten Verhältnis zueinander stehen müssen und revolutionäres Bewusstsein überhaupt in erster Linie in den Klassenauseinandersetzungen gewonnen wird. Zwar sind theoretische Erkenntnisse über den Kapitalismus auch durch reines Textstudium möglich, aber diese bleiben notwendig verkürzt, oberflächlich, einseitig und ohne praktische Ausrichtung, wenn sie nicht mit Kampferfahrungen verbunden und bereichert werden. Die Arbeiter, die von der revolutionären Theorie überzeugt werden sollen, müssen in vielen Fällen den Klassengegensatz und die Möglichkeit des erfolgreichen Widerstandes und Kampfes erst am eigenen Leib erfahren, bevor sie bereit sind, sich von Illusionen und Passivität zu lösen. Der GSP hingegen spricht über die Arbeiterklasse zwar als die „Geschädigten“ im Kapitalismus, die eigentlich ein Interesse an seiner Überwindung haben, betreibt aber selbst reine Ideologiekritik: Falsche oder vermeintlich falsche Auffassungen in der Klasse werden kritisiert, ausgebreitet, zynisch auseinandergenommen und nicht selten der Lächerlichkeit preisgegeben. Angebote zur Organisierung oder für den gemeinsamen Kampf für bessere Lebens- und Kampfbedingungen macht der GSP aus Prinzip nicht. Seine Thesen können daher, selbst wenn sie richtig wären, ihre Adressaten somit nicht erreichen.

Die empiristische Erkenntnistheorie führt hier nämlich geradewegs in den Idealismus: Da Erkenntnisse sich einfach durch die Wahrnehmung und das logische Denken bilden, können psychologische Faktoren oder emotionale Einflüsse keine Rolle spielen. Daher ist es auch egal, wie oder in welchem Kontext die Kommunisten ihre Adressaten ansprechen. Der GSP geht grundsätzlich davon aus, dass das bessere Argument sich durchsetzt. Letztlich ist das eng verwandt mit der Hegelschen Vorstellung vom Weltgeist, der die geschichtliche Entwicklung vorantreibt. Das müsste gerade der GSP aus eigener Erfahrung eigentlich besser wissen, da sich nur die wenigsten Leute von den kaum genießbaren Textungeheuern in den grauen Gegenstandpunkt-Bänden überzeugen lassen. Selbst die Karikatur einer Praxis, die der GSP betreibt, wird aber nicht an der Realität überprüft. Diese dogmatische Haltung ist eins der Elemente, die den Sektencharakter der Gruppierung ausmachen.

Ein anderes Element, das ebenfalls diesen Sektencharakter ausweist und wiederum die Abschottung von den Massen verstärkt, ist die charakteristische, selbst für akademisch gebildete Menschen kaum erträgliche Sprache der GSP-Jünger. Dazu gehört einerseits die konsequente Verwendung von Begriffen wie „Demokratie“, „Menschenrechte“, „Freiheit“, „Gleichheit“, „Gerechtigkeit“, die vom GSP aber allesamt ausschließlich im Sinne der reaktionärsten bürgerlichen Ideologie mit Inhalt gefüllt und dementsprechend rein negativ belegt und abgelehnt werden. Der Gedanke, dass man um manche Begriffe auch kämpfen sollte und ihre Auslegung nicht allein dem Gegner überlassen sollte, liegt dem GSP absolut fern, da ihn die psychologische Wirkung dessen, dass diese Begriffe allgemein positiv besetzt und ihre Ablehnung daher allgemein negativ gesehen wird, nicht interessiert – oder richtiger, solche Wirkungen in seinem streng empiristischen Weltbild keinen Platz haben. Gleichzeitig sieht der GSP kein Problem damit, regelmäßig solche diskriminierenden Ausdrücke wie „Neger“ ganz selbstverständlich zu benutzen, so als spielte es keine Rolle, wie bestimmte Wörter politisch aufgeladen sind.

Andrerseits ist die Sprache des GSP aber auch bis zur Unverständlichkeit verschwurbelt, umständlich, verschachtelt und voll von Ironie, Zynismus und auffallend unüblichen Ausdrucksweisen. Es ist deshalb für gewöhnlich bereits nach wenigen Sätzen möglich, einen GSP-Anhänger als solchen zu identifizieren.

Die Kritik an der Sektensprache des GSP berührt mehr als nur die Oberfläche, da diese einerseits mit den philosophischen Grundpositionen der Gruppe zusammenhängt und andrerseits eben ein massives Hindernis für eine Massenwirksamkeit darstellt. Nicht einmal die primitive Einsicht, die selbst dem GSP nicht versperrt sein sollte, dass man ein Argument zuerst verstehen muss, um es „prüfen“ und sich dann „einleuchten lassen“ zu können, scheint vorhanden zu sein.

Die Texte, die der GSP an deutschen Universitäten austeilt, dürften selbst von den Studenten nur in seltenen Fällen überhaupt verstanden werden. Die meisten dürften darin hingegen ein unverständliches Geschreibsel sehen, das irgendwie an Allem rummeckert, aber ohne Gegenvorschläge zu machen.

Genau das ist jedoch erklärte Absicht des GSP, denn konstruktive Vorschläge sind für ihn das Sakrileg schlechthin. Dabei sollte es für Kommunisten in der Tat selbstverständlich sein, dass sie keine konstruktiven Vorschläge zur besseren Verwaltung des Kapitalismus machen sollten – auch wenn diese Einsicht unter dem Einfluss des Rechtsopportunismus oft genug missachtet wurde. Etwas ganz anderes wären aber konkrete Angebote zur Organisierung, zum gemeinsamen Kampf oder auch das Reden über die Lösung konkreter Probleme in der sozialistischen Gesellschaft. Das bestimmt dann auch seine Haltung zum real existierenden Sozialismus, die weiter unten behandelt werden wird.

Aber zunächst noch mal zurück zum Verhältnis des GSP zur Arbeiterklasse: Rhetorisch ist diese in den Texten immer mal wieder der Bezugspunkt, man wünscht sich also irgendwie schon, sie durch „Agitation“ für den Kommunismus zu gewinnen. Was der GSP als „Agitation“ bezeichnet, ist allerdings das Gegenteil davon. Die Unterscheidung zwischen Agitation und Propaganda ist in der Arbeiterbewegung seit Plechanow bekannt. Lenin fasst sie folgendermaßen: „Der Propagandist vermittelt viele Ideen an eine oder mehrere Personen, der Agitator aber vermittelt nur eine oder nur wenige Ideen, dafür aber vermittelt er sie einer ganzen Menge von Personen.‘) Unter Propaganda würden wir die revolutionäre Beleuchtung der gesamten gegenwärtigen Gesellschaftsordnung oder ihrer Teilerscheinungen verstehen, unabhängig davon, ob das in einer Form geschieht, die dem einzelnen oder der breiten Masse zugänglich ist. Unter Agitation im strengen Sinne des Wortes (sic!) würden wir verstehen: den Appell an die Massen zu bestimmten konkreten Aktionen, die Förderung der unmittelbaren revolutionären Einmischung des Proletariats in das öffentliche Leben.“ (LW 5, S. 423). Offensichtlich handelt es sich beim GSP keineswegs um Agitation, sondern im Gegenteil um eine (besonders schlechte) Form der Propaganda. Aus Lenins Unterscheidung wird auch klar, dass Agitation immer im Zusammenhang mit der Praxis, mit der Organisierung und Mobilisierung der Arbeiterklasse stehen muss. Die Pseudo-„Agitation“ vom GSP dagegen richtet sich zu einem großen Teil gerade darauf, sämtliche realen Praxisansätze in besserwisserischer Manier auf Fehler abzusuchen, die man dann in zynischer Selbstgerechtigkeit auseinandernehmen kann. Dabei ist die Kritik am Reformismus vieler „linker“ Gruppierungen natürlich an sich berechtigt – wenn man selbst weder eine Alternative darstellt, noch ernsthaft anstrebt, eine aufzubauen, reduziert sie sich allerdings auf Kritik als Freizeitbeschäftigung, als Kunst um der Kunst wegen.

Denn der GSP hat, das sollte noch einmal betont werden, keinerlei wissenschaftliche Beschäftigung mit der Praxis des Klassenkampfes vorzuweisen: Begriffe von Strategie und Taktik entwickelt er nicht; eine Bündnispolitik betreibt er nicht und will das auch nicht; Agitation im Leninschen Sinne lehnt er ab; mit den Dynamiken, den Triebkräften des Auf und Ab von Klassenbewegungen befasst er sich nicht; die Voraussetzungen für das Entstehen revolutionärer Situationen, das ernsthafte Studium der Siege und Niederlagen der kommunistischen Bewegung interessieren ihn nicht.

Der Kampf um Reformen zur Verbesserung der Lebenslage der Arbeiterklasse wird abgelehnt und verächtlich gemacht. Über ihn schreibt der GSP: „Die besondere Gemeinheit dieser Stellung zur Lage der arbeitenden Klasse besteht darin, all das, was diese sich erkämpfen mußte, zu feiern und das Prädikat ‚erkämpft‘ als ein dickes Plus bei all dem Zeug zu vermerken, was der bürgerliche Staat den Proleten beschert.“ (Staatstext, Markierungen i.O.). Dass Kommunisten jede Errungenschaft der Arbeiterklasse verteidigen und daran erinnern, wie hart diese erkämpft wurden, was ja in der Tat ein weiterer Grund dafür sein sollte, sie nicht leichtfertig aufzugeben, ist für den GSP also nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern einfach nur bösartig.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die Praxisfeindlichkeit des GSP nicht einfach ein weiteres Element seiner insgesamt opportunistischen Haltung ist, sondern sich logisch aus seinen theoretischen Grundpositionen ergibt. Das ist zum einen ein weiteres Mal die erkenntnistheoretische Grundposition, die davon ausgeht, dass Erkenntnis einfach durch die Wahrnehmung der Realität und das „sich einleuchten lassen“ von Argumenten zustande kommt, womit dann auch alle Gründe entfallen, weshalb das Führen von Klassenkämpfen irgendwie zur Entstehung von Klassenbewusstsein beitragen sollte. Während für Marx das Bewusstsein wesentlich durch die gesellschaftliche Praxis bestimmt war, entspringt es für den GSP ja einfach aus der Beschäftigung mit dem Erkenntnisgegenstand – und um den Gegenstandpunkt zu lesen, muss man in der Tat nicht in betriebliche Auseinandersetzungen involviert sein; im Gegenteil nimmt einem der reale Klassenkampf ja nach dieser Auffassung die Zeit, die man auch nutzen könnte, um sich im Studierzimmer einzuschließen.

Dann ist es auch der revisionistische Staatsbegriff, der hier eine Rolle spielt: Weil der Staat als Subjekt aufgefasst wird und nicht als gesellschaftliches Verhältnis, soll nun auch jede Forderung, die an den Staat gestellt wird, automatisch falsch sein, ebenso wie der Kampf um Rechte innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft oder über diese hinaus.

Und schließlich geht der GSP ja davon aus, dass jeder, der nicht für ihn ist, gegen ihn ist. Und weil das Volk nicht die Analysen des GSP teilt, sondern nach seiner Auffassung nichts anderes im Sinn hat, als sich mit Freuden Staat und Kapital unterzuordnen, hat man von ihm eben „die Schnauze voll“ und will schon gar nicht dafür kämpfen, es an die Macht zu bringen.

Natürlich ist hier bereits bei der Analyse einiges im Argen. Denn es stimmt nun mal einfach nicht, dass die Masse des Volkes sich gerne und widerspruchslos dem Kapitalismus unterordnet. Sicher, es gibt Nationalismus und idealistische Illusionen über den bürgerlichen Staat. Natürlich haben die meisten Arbeiter nicht von sich aus bereits ein entwickeltes Klassenbewusstsein oder gar einen konsequenten revolutionären Standpunkt. Eine ablehnende Haltung gegenüber dem Staat als Ganzem, der Regierung, der Polizei oder der Macht der Konzerne findet man dagegen sehr häufig vor. Nun kann es sein, dass dieselben Personen in anderen Fragen bürgerliche Illusionen vertreten. Der GSP kann sich, wiederum ausgehend von seiner falschen Erkenntnistheorie und Ablehnung jeglicher Form der Psychologie, einfach nicht vorstellen, dass das Bewusstsein eines Menschen auch widersprüchlich sein kann. Daher ist das Fehlen einer in sich geschlossenen „tauglichen“ (d.h. der GSP-Lehre entsprechenden) Erklärung der Welt für ihn gleichbedeutend mit einer positiven Haltung zum bürgerlichen Staat. Die Menschheit unterteilt sich in den GSP einerseits und die Antikommunisten bzw. „Nationalisten“ andrerseits. Eine spontane, diffuse, inkonsequente Gegnerschaft zum Staat oder zum Kapitalismus wird daher nicht als Anknüpfungspunkt für weitergehende Arbeit und Bewusstseinsentwicklung verstanden, sondern einfach als falscher Standpunkt, den man widerlegen muss.

Bei alldem hat der GSP natürlich dann irgendwie doch die Erfahrung gemacht, dass seine Argumente bei der Arbeiterklasse nicht sonderlich gut ankommen. Seine Vorgängerstrukturen hatten daraus bestimmte Schlussfolgerungen gezogen und begründet. Bei den Roten Zellen hieß es dazu: „[D]ie außerhalb des Proletariats (!) sich vollziehende Entstehung des wissenschaftlichen Sozialismus als Überwindung der Schranke bürgerlicher Erkenntnis charakterisiert die Aufgabe kommunistischer Politik: Die Aufhebung des Widerspruchs, daß das Wissen über den Kapitalismus getrennt vom Proletariat (!) existiert, kann nur darin liegen, daß es dieses Wissen und damit seine eigene Stellung zum Kapital zur Grundlage seines Handelns macht. Es muß sich das Wissen erwerben.“ (zit.n. Bierwirth 2016, S. 16; Markierungen i.O.). „Träger dieser Wissenschaft ist die Intelligenz, die in ihrer von der materiellen Produktion getrennten gesellschaftlichen Tätigkeit den kapitalistischen Zweck erfüllt und im Gegensatz zum Proletariat steht. Dennoch bringt sie Voraussetzungen mit, aufgrund derer sie relevante Funktionen für kommunistische Politik erfüllen kann. Deshalb agitieren wir Intellektuelle.“ (zit.n. Bierwirth 2016, S. 19; Markierungen i.O.).

Was der GSP heute de facto ausschließlich betreibt, nämlich das „Agitieren“ von Akademikern, während er über das Proletariat nur redet, wurde also damals explizit als Strategie formuliert. Konsequenterweise beschäftigt der GSP sich daher auch inhaltlich kaum mit den Nöten, Problemen und Sorgen des Proletariats und seinen tatsächlichen Bewusstseinsinhalten, sondern verwendet einen guten Teil seiner propagandistischen Kapazitäten auf die Kritik der bürgerlichen Wissenschaft, um diese den Studenten auszutreiben.

Der elitäre und akademische Charakter des GSP ist also ebenfalls eine Folge seiner falschen philosophischen Grundposition. Wenn man für richtige Erkenntnisse lediglich Wissen braucht, wenn Interessen, Standpunkte und soziales Umfeld dafür keine Rolle spielen, dann gibt es tatsächlich keinen Grund, der Arbeiterklasse besondere Beachtung zu schenken. Dann ergibt es tatsächlich Sinn, die Intellektuellen der Gesellschaft als bevorzugtes Objekt seiner Propaganda auszuwählen. Aus einer antimarxistischen Theorie folgt dann eine antimarxistische „Praxis“ oder auch Nicht-Praxis. Für Marxisten ist die Arbeiterklasse dagegen deshalb Bezugspunkt, weil sie aufgrund ihrer Klassenlage besondere Voraussetzungen dafür hat, 1) den Klassenwiderspruch und ihre objektive Rolle im Klassenkampf zu erkennen und 2) durch die kollektive Organisierung die kapitalistische Gesellschaft revolutionär zu überwinden.

Vom Revisionismus zum Antikommunismus – Das Geschichtsbild des GSP am Beispiel der Sowjetunion unter Stalin

Ohne praktische Arbeit ist es nicht möglich, die Arbeiterklasse für den Sozialismus zu organisieren. Man muss also kein Hellseher sein, um voraussagen zu können, dass der GSP immer eine marginale elitäre Sekte bleiben wird. Dennoch kann man sich die hypothetische Frage stellen, wie sich solche Gruppen im Falle einer (natürlich nicht von ihnen geführten) Revolution verhalten würden. Die Antwort erhält man, wenn man sich den Standpunkt des GSP zum Sozialismus allgemein und zum historischen Sozialismus des 20. Jahrhunderts im Besonderen ansieht.

Dass der GSP keine politischen Forderungen oder Kampflosungen aufstellt, wurde bereits erörtert. Doch nicht einmal die von ihm angestrebte Gesellschaft will er irgendwie konkreter beschreiben. Das zu tun weigert er sich selbst auf direkte Nachfrage. Die Aufforderung eines Lesers, ein „durchdachtes planwirtschaftliches Konzept“ vorzulegen, beantwortet der GSP so: „Wer nach vernommener Kritik fragt, ob etwas anderes als das Kritisierte überhaupt geht, lässt die Analyse der Ursachen der ‚systembedingten gesellschaftlichen Übel‘ stehen, als ob er sie teilen würde. Wäre es so, könnte er aber nicht mehr vernünftig daran zweifeln, dass Anderes als das kritisierte Schlechte möglich ist.“ (GSP: Warum wir nicht mit einem durchdachten planwirtschaftlichen Konzept für den Kommunismus werben (künftig: Kommunismus).

Das ist natürlich Blödsinn. Es ist sehr wohl möglich, den Kapitalismus abzulehnen und an der Möglichkeit des Sozialismus zu zweifeln. Dass solche Zweifel nicht vernünftig begründbar sind, steht auf einem ganz anderen Blatt, aber von der antikommunistischen Alltagspropaganda werden sie ja nun mal in die Köpfe der Leute gepflanzt. Auch hier scheint wieder die falsche Erkenntnistheorie des GSP durch: Weil der Zweifel an der Realisierbarkeit der Planwirtschaft nicht vernünftig ist, kann er ja nicht ernst gemeint sein, sondern muss in Wirklichkeit eine versteckte Parteinahme für den Kapitalismus sein. Nun sind solche Zweifel nicht nur möglich, sondern auch ein sehr reales Hindernis für den Aufbau der kommunistischen Bewegung. Denn auch jemand, der den Kapitalismus aus tiefster Überzeugung und mit marxistischem Verständnis ausgerüstet ablehnt, dürfte sich kaum motiviert für ein Ziel einsetzen, geschweige denn große persönliche Opfer bringen, wenn er nicht von der möglichen Umsetzung einer Alternative überzeugt ist.

Der GSP hingegen spricht gegen sämtliche Überlegungen, wie eine kommunistische Gesellschaft aufzubauen wäre, ein „Bilderverbot“ aus. Der Kommunismus folgt damit einer Nicht-Vorstellung, er ist ein abstraktes Ideal. Gemessen an diesem Ideal kann natürlich jeder Versuch zu seiner Verwirklichung nur schlecht wegkommen. Da der GSP keinerlei praktisches Verhältnis zum Klassenkampf, zur Arbeiterbewegung und ihren Organisationen und zur Diktatur des Proletariats hat, dominiert eine überwiegend negative Befassung mit dem historischen Sozialismus.

Der GSP stellt, wie gezeigt wurde, in praktisch jeder Hinsicht ein völliges Abgehen von marxistischer Methodik dar. Es ist darum kein Wunder, dass er politisch letztlich da landet, wo alle Revisionisten am Ende landen, nämlich beim nahezu ungezügelten Antikommunismus.

In einem bekannten Artikel der GSP-Vorgängerzeitschrift MSZ aus den 80ern („Stalin – wer war das?“) findet sich bereits alles Wesentliche, was der GSP zum Sozialismus im 20. Jahrhundert zu sagen hat.

Während Marxisten sich seit Jahrzehnten die Frage stellen, was beim ersten Anlauf zum Sozialismus eigentlich falsch gelaufen ist, sodass die Konterrevolution den Sieg davontragen konnte, ist für den GSP die Sache wieder einmal ganz einfach: „Die Brutalitäten der Stalinschen Kommandowirtschaft gehen restlos darauf zurück, daß die ‚Sprache‘ des Kommandos das Geld war.“ (GSP: „Stalin – wer war das? (künftig: Stalin), S. 5, M.i.O.). „Es wurde, erstmals im großen Stil, der Widerspruch wahrgemacht, mit Geld zu planen; gerade so, als wäre ein zugewiesener Fonds an schönen neuen ‚roten‘ Rubeln schon dasselbe wie die Produktionsmittel, die ein Betrieb sich damit beschaffen sollte“ (Stalin, S. 4). „Damit wurde an sämtlichen materiellen technischen Erfordernissen einer schlüssigen Arbeitsteilung entschlossen und unverrückbar vorbei ‚geplant‘ (…) damit wurde konsequenterweise das Maß an Terrorisierung der Arbeitskräfte nötig, das die heuchlerischen Freunde einer kapitalistischen Ausbeutung Stalin so freudig erregt vorwerfen“  (Stalin, S. 5).

Während für die Trotzkisten das Übel in der „Bürokratie“ liegt, die sich die Gesellschaft unterworfen habe, ist es für den GSP einfach die Tatsache, dass man in der Sowjetunion nicht sofort den Sprung in den Kommunismus gewagt hat. Dabei weist er durchaus zu Recht darauf hin, dass eine Planwirtschaft, die die Ware-Geld-Beziehungen nicht beseitigt, einem inneren Widerspruch unterliegt (für eine marxistische Beschäftigung mit diesem Thema vgl. Tschinkel 2017). Damit ist er im Recht gegenüber all den Kommunisten, die die korrekte Anwendung des Wertgesetzes für ein Merkmal der sozialistischen Produktionsweise halten (z.B. Kalt 2010). Der GSP stellt sich dann aber keineswegs die Frage, wie dieser Übergang zu sozialistisch-kommunistischen Produktionsverhältnissen zu bewerkstelligen ist.

Nun, für die sowjetischen Kommunisten unter der Führung Stalins stellte sich das Problem etwas anders. Sie mussten den Sozialismus schließlich nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität aufbauen und zwar unter den rückständigen Bedingungen des ehemaligen Zarenreichs. Und auch wenn der GSP dies nicht anerkennen möchte – es ist durchaus ein reales Problem, dass das Wertgesetz im Kapitalismus die Produktion und Verteilung reguliert (wenn auch eben im Sinne der kapitalistischen Ausbeutung) und seine Überwindung dementsprechend nur möglich ist, wenn ein anderer funktionierender Regulierungsmechanismus an seine Stelle tritt. Die Instrumente für einen solchen Mechanismus wurden seit der Oktoberrevolution und verstärkt seit der Einrichtung der zentralen Planwirtschaft Ende der 20er entwickelt. Dem standen aber zahlreiche objektive Hindernisse im Weg: die Zerstörungen des Bürgerkriegs, die riesigen Entfernungen, das dünne Transport- und Kommunikationsnetz, Opposition gegen den Sozialismus im Inneren, der niedrige Bildungsstand der politischen und wirtschaftlichen Funktionäre und vor allem auch die überwiegend landwirtschaftliche Basis der Ökonomie, die eine zentrale Planung der Millionen zersplitterten Produktionseinheiten zunächst schlicht unmöglich machte.

Unter diesen Bedingungen hielt Stalin ein gewisses Wirken des Wertgesetzes für unvermeidlich und konnte ihm sogar Positives abgewinnen: „Unter unseren gegenwärtigen Verhältnissen ist das wirklich nicht schlecht, da dieser Umstand unsere Wirtschaftler im Geiste einer rationellen Leitung der Produktion erzieht und sie diszipliniert. Es ist nicht schlecht, da er unsere Wirtschaftler lehrt, die Produktionswerte zu berechnen, sie genau zu berechnen und ebenso genau die Sachwerte in der Produktion zu erfassen und nicht über aus der Luft gegriffene ‚schätzungsweise Angaben‘ zu schwätzen“. Die ökonomische Kalkulation musste sich nach dem Aufwand zur Produktion der Güter richten und dafür brauchte man mathematisch fähige Köpfe, die durch diese Art der Planung erst ausgebildet wurden. Deshalb hielt Stalin das Wertgesetz oder die Wirtschaftsrechnung mit Geld aber noch lange nicht für prinzipiell notwendige Instrumente des sozialistischen Aufbaus. Im Gegenteil: „Der Wert ist ebenso wie das Wertgesetz eine historische Kategorie, die mit dem Bestehen der Warenproduktion zusammenhängt. Verschwindet die Warenproduktion, so verschwinden auch der Wert mit seinen Formen und das Wertgesetz“ (Stalin: Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR (künftig: Ökonomische Probleme)). Wichtig war ihm die Unterscheidung zwischen einer begrenzten Wirkung des Wertgesetzes, die sich aus dem Vorhandensein von Warenbeziehungen ergab und einer Regulierung der Ökonomie durch das Wertgesetz, die er richtigerweise für unvereinbar mit einer sozialistischen Produktion hielt. Erst nach Stalins Tod und dem 20. Parteitag der KPdSU rückten die nachfolgenden sowjetischen Führungen von diesen Erkenntnissen schnell ab und versuchten tatsächlich, im Rahmen einer sozialistischen Planwirtschaft die Betriebsführung kapitalistischer Unternehmen zu imitieren. Diesen Unterschied, der ja nicht gerade marginal war, sondern letztlich die Voraussetzungen für den Sieg der Konterrevolution 1989/90 schuf, erkennt der GSP gar nicht erst an.

Der GSP stört sich noch an einem anderen Argument Stalins: Dieser hatte nämlich erkannt, dass auch der Aufbau des Sozialismus objektiven Gesetzmäßigkeiten folgt. Für den GSP ist auch das ein Sakrileg: „Was Marx und Engels am Kapitalismus kritisiert haben: die scheinbare Dinglichkeit der in der Produktion eingegangenen gesellschaftlichen Verhältnisse, die der Ausbeutung den Charakter eines sachlichen Erfordernisses verleiht – genau das erhebt Stalin zur letzten Wahrheit auch über die Produktionsweise, die er selbst mit seinem machtvollen Kommando über Arbeiter, Bauern und Eigentum ins Werk gesetzt hat“ (Stalin, S. 6). Natürlich meinte Stalin in Wirklichkeit mit den Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus nicht dieselben wie die, die im Kapitalismus wirken. Stalin reißt immerhin auch an, welche Gesetze ihm dabei vorschweben: Nämlich als „Grundgesetz“ des Sozialismus die maximale Befriedigung der wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft und als Mittel dazu das Gesetz der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft (Ökonomische Probleme). Diese Bestimmungen sind sehr allgemein. Sie zeigen aber, dass es sich für Stalin einerseits nicht einfach um die Fortsetzung kapitalistischer Gesetze handelte, er andrerseits aber auch davon ausging, dass auch der sozialistische Aufbau zwangsläufig bestimmten feststehenden Grundlinien folgen muss, die damit Gesetzescharakter haben, da sie in jeder sozialistischen Gesellschaft notwendigerweise die Grundrichtung der Entwicklung bestimmen. Der GSP lehnt diese Auffassung ab, weil er glaubt, dass damit das Wertgesetz wieder in die sozialistische Produktion eingeführt werden sollte; in Wirklichkeit wendet Stalin sich damit gerade gegen solche Vorstellungen, indem er darauf hinweist, dass der Sozialismus seinen eigenen, ganz anderen Gesetzmäßigkeiten folgt. Lehnt man diese Erkenntnis ab, läuft das letztlich auf eine beliebige, unwissenschaftliche Vorstellung vom Sozialismus hinaus, wonach der Sozialismus ein rein subjektiver Willensakt und dementsprechend frei gestaltet werden kann. Genau solche Vorstellungen waren es allerdings, die schließlich dazu führten, dass die Wirtschaftsplanung zugunsten von Marktmechanismen ausgehöhlt und am Ende ganz aufgegeben wurde. Der GSP erklärt Stalin zu einem Urvater dieser Entwicklung, dabei argumentierte er damals deutlich für die entgegengesetzte Position.

Nachdem der GSP die Wurzel allen Übels in der Sowjetunion in den Überbleibseln der Warenwirtschaft aus seiner Theorie abgeleitet hat, muss er sich mit der tatsächlichen Geschichte gar nicht mehr befassen. Das vermeidet er auch konsequent, denn die hätte ja die schön zurechtgelegte Theorie des GSP ins Wanken bringen können.

Von seiner theoretisch abgeleiteten Kritik aus kann sich der GSP alles andere nämlich ohnehin schon erklären und das ganz ohne den lästigen Blick auf die geschichtlichen Fakten. Die Zwangsarbeit im Gulag? Ein Instrument von Stalins Wirtschaftspolitik, das durch die Planung mit Geldgrößen zustande kam (Stalin, S. 14). Da macht es ja nichts, dass einerseits kein Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen ersichtlich ist und andrerseits die historische Forschung längst nachgewiesen hat, dass die Zwangsarbeit in der Sowjetunion eine reine Strafmaßnahme und ökonomisch irrelevant war. Etwas anderes wäre auch schwer erklärlich, wenn es in der Sowjetunion zu dieser Zeit nur maximal drei Millionen Häftlinge aller Art gab, die sowieso, sofern sie Zwangsarbeit leisteten, nur etwa die Hälfte der Arbeitsproduktivität eines normalen Arbeiters aufbrachten (Allen 2003, S. 109)

Die Moskauer Prozesse und Massenrepressionen 1937-38? Alles Ergebnis von Stalins Paranoia, die wiederum daher kam, dass der Generalsekretär meinte, sich auf  Gesetzmäßigkeiten stützen zu können und sich daher historisch im Recht sah. Dumm nur, dass diese Darstellung nichts mit dem wirklichen Geschichtsverlauf zu tun hat und die Repressionen in Wirklichkeit als Reaktionen auf innere und äußere politische Bedrohungen verstanden werden müssen (Thurston 1996, S. 57).

Alle bürgerlichen Klischees über die Stalin-Periode übernimmt der GSP in seiner Analyse, keins ist ihm dämlich genug: Stalins Paranoia; die durch Zwangsarbeit angetriebene Industrialisierung; das „Terrorisieren der Arbeitskräfte“; nicht fehlen dürfen natürlich auch Stalins „persönliche Willkür“ und seine Dummheit (Er sei halt „alles andere als ein heller Kopf“ gewesen).

Für den GSP hat die Oktoberrevolution zwar irgendwie schon den Kapitalismus abgeschafft, aber nur, um dann eine Art Kopie des Kapitalismus unter staatlicher Leitung zu machen. Der reale Sozialismus war für ihn lediglich „verstaatlichte Ausbeutung“ (vgl. Staatstext), womit er sich der falschen Theorie des „Staatskapitalismus“ ziemlich annähert. Solche Behauptungen sind immer ein Zeichen dafür, dass nicht nur der Sozialismus, sondern auch der Kapitalismus nicht verstanden wurde. Denn Ausbeutung gibt es immer nur dann, wenn es eine Ausbeuterklasse und eine ausgebeutete Klasse gibt. In der Sowjetunion gab es weder das eine, noch das andere. Es gab keine gesellschaftliche Gruppe, die sich das Mehrprodukt aneignete, sondern dieses wurde für die Entwicklung der gesamten Gesellschaft eingesetzt.

Wenn die Sowjetunion aber nur eine Art komischer Kapitalismus war, ist es kein Wunder, dass man sie sich beim GSP auch so vorstellt, daher das „Terrorisieren der Arbeitskräfte“. Auch das ist antikommunistische Geschichtsverdrehung. Zwar war der Lebensstandard zu Beginn der Industrialisierung tatsächlich allgemein sehr niedrig, was allerdings durch das ökonomische Entwicklungsniveau bedingt war und nicht irgendwelche Terrorkampagnen. Dennoch gab es zahlreiche Möglichkeiten für die Arbeiter, im Betrieb und außerhalb davon Kritik an Missständen zu äußern oder sich an der ökonomischen Entscheidungsfindung zu beteiligen (Thurston 1996, S. 164-198).

Das Bild von der Sowjetunion, das der GSP seinen „Analysen“ zugrunde legt, ist unverkennbar der antikommunistischen Propaganda des Kalten Krieges entnommen. Das offensiv vertretene Desinteresse des GSP an historischen Tatsachen, seine felsenfeste Überzeugung, alles Wissenswerte immer schon zu wissen und logisch ableiten zu können, führen ihn hier zum ordinären bürgerlichen Antikommunismus. Was auch nicht anders sein kann, da die einzige Möglichkeit, diesen zu besiegen im theoriegeleiteten wissenschaftlichen Arbeiten liegen würde.

Zum Schluss ein paar Zeilen zu der Art und Weise, wie der GSP die sowjetische Außenpolitik der damaligen Zeit abfertigt. Die Volksfrontpolitik, deren Bewertung tatsächlich kompliziert ist, beschreibt er folgendermaßen: „Sie wollten Opportunisten sein und weckten damit doch immer wieder bloß Argwohn gegen die Echtheit ihres Opportunismus. Das umso mehr, weil sie nicht einmal eine Linie der Anpassung durchhalten konnten, sondern zwischendurch auch wieder dazu angehalten wurden, die Sozialdemokratie als Hauptfeind anzugreifen, so als hätten sie mitten im Kapitalismus kein größeres Problem, als so ähnlich wie Stalin in Rußland mit falschen Freunden und “Verrätern” abzurechnen.“ (Stalin, S. 17). „Daß sein Staat zum Hauptopfer des unbefriedigten deutschen Imperialismus wurde, registrierte der Generalsekretär nicht als glanzvolles Scheitern seiner allseitigen außenpolitischen Anbiederei zuletzt bekanntlich noch bei den Nazis“ (ebd.). All das sei eine „ausdrückliche Absage an das Projekt einer Weltrevolution“ (Stalin, S. 14) gewesen.

Die fatalen Folgen der selbst gewählten Geschichtslosigkeit des GSP könnte man kaum besser verdeutlichen als an diesen Zitaten. Keine Rolle spielt die äußere Bedrohung einer ganzen Kohorte faschistischer Mächte, die von Ost und West aus die Invasion in der Sowjetunion planten, kein Verständnis findet man beim GSP für die taktischen Überlegungen der Komintern, wie der Faschismus zu stoppen wäre. Der GSP macht die „destruktive Kritik“ zum Prinzip, auch gegenüber der kommunistischen Bewegung, mit der man ja eigentlich meint, irgendwo ein gemeinsames Ziel zu teilen. Die „außenpolitische Anbiederei“, also der verzweifelte Versuch der sowjetischen Diplomatie, sich Verbündete für den kommenden Krieg zu suchen, wird verurteilt und pauschal als gescheitert abgehandelt, so als wäre die Anti-Hitler-Koalition gar nicht zustande gekommen, als hätte die Rote Armee den Zweiten Weltkrieg nicht gewonnen. Findet man beim GSP Vorschläge, wie die Genossen es hätten besser machen können? Fehlanzeige.

Interessant und vielsagend ist auch die Kritik an der Komintern-Haltung zur Sozialdemokratie. Die Orientierung der Komintern auf den Kampf gegen die Sozialdemokratie als Hauptgegner stützte sich auf deren Erfahrungen damit, dass die Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung das zentrale Hindernis für die revolutionäre Organisierung der Arbeiterklasse darstellte, auf die Rolle der Sozialdemokratie als offen konterrevolutionäre Kraft in der Weimarer Republik, auf ihre Rolle beim Aufstieg des Faschismus usw. Für den GSP ist dagegen die Sozialdemokratie offenbar nur irgendeine bürgerliche Kraft, die man zwar kritisieren kann, aber nicht gesondert bekämpfen muss. Die kommunistische Analyse der Rolle der Sozialdemokratie hat der GSP nie verstanden.

Während der GSP auf dieser Seite Schnittmengen mit dem Zentrismus hat, der ebenfalls den Kampf gegen den Reformismus vermeidet, vertritt er auf der anderen Seite und für gewöhnlich ultra-linke, sektiererische Positionen: „Für die Revolution sollte ‚die Zeit‘ nicht ‚reif‘ sein; aber um in Spanien für den Unterschied zwischen dem Faschismus und einer linksliberalen Republik zu bluten, für die auch noch nicht einmal ein kommunistischer Übergang erlaubt war, dafür waren Stalin die kommunistischen Kämpfer gut genug – und die sich nicht zu schade…“ (Stalin, S. 17 ). Auch hier gilt, dass die Erfahrungen der spanischen Volksfrontregierung wie alles andere kritisch auszuwerten sind, aber darum geht es dem GSP nicht, da er wie immer seine Antwort schon vor der historischen Analyse gefunden hat. Hier geht es nicht um die berechtigte Kritik an der Vorstellung einer „Verteidigung der Demokratie“ durch die Kommunisten, sondern darum, dass überhaupt jeder Kampf, der Opfer für ein Ziel fordert, das nicht unmittelbar der Kommunismus ist, verworfen wird. Selbst dem Kampf gegen den Faschismus wird die Berechtigung abgesprochen. Ein Verständnis dafür, dass der Kampf für die Revolution konkret nur durch viele Einzelkämpfe geführt werden kann, fehlt völlig.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass die Geschichtsauffassung des GSP, ausgehend von seinem empiristischen, also mechanisch materialistischen philosophischen Standpunkt, gerade bei idealistischen Positionen landet, die die ernsthafte Befassung mit der realen Geschichte für überflüssig halten. Letztlich zeigt der Umgang des GSP mit der Geschichte der Sowjetunion genau das Vorgehen, das er dem ML vorwirft, nämlich die Entwicklung der Kritik aus einem feststehenden Prinzip (Kritik der Warenproduktion), die sich dann von historischen Tatsachen nicht mehr irritieren lässt und sich daher auch nicht die Mühe macht, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Die Geschichte der Klassenkämpfe wird in ihrer Gesamtheit gemessen an einem Ideal, wobei sie natürlich mit diesem nie übereinstimmen kann. Mit der Feststellung dieser Differenz zwischen Realität und Ideal ist für den GSP die Kritik dann aber auch schon abgeschlossen, denn eine historisch-materialistische Auseinandersetzung, die Handlungen auch immer anhand den zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen beurteilen würde, will man partout nicht leisten. Der GSP ist im Ergebnis dann „chruschtschowianisch“ in seiner Abrechnung mit Stalin, da er noch jeden letzten Blödsinn des Stalinbildes von nach 1956 für bare Münze nimmt, sofern er nur negativ und reißerisch genug ist; er ist „trotzkistisch“ in seiner linksradikalen Verabsolutierung der Weltrevolution, die jeden notwendigen Zwischenschritt als Verrat an der Sache denunziert. Er will es nicht, aber er leistet faktisch der herrschenden Klasse gute Dienste bei der Dämonisierung des Sozialismus im 20. Jahrhunderts.

Fazit:

Anhand einer Reihe von Grundsatzfragen wurde aufgezeigt, dass die Gegenstandpunkt-Gruppe entgegen ihren eigenen Behauptungen keineswegs den Marxismus gegen seine revisionistische Verfälschung verteidigt, sondern selbst grundlegend und umfassend mit dem Marxismus bricht. Der Revisionismus des GSP zieht sich dabei durch alle drei grundlegenden Bestandteile des Marxismus (während seine historischen Quellen sowieso in Gänze verworfen werden). Die philosophischen Grundlagen werden offensiv abgelehnt, die politische Praxis des Klassenkampfes sowieso. Auf dem Gebiet der Kritik der Politischen Ökonomie mag es auf den ersten Blick so scheinen, als würde der GSP zumindest hier marxistische Positionen verteidigen. Aber auch das ist ein Irrtum: Getragen von einer rein logischen, d.h. idealistischen Lesart des Marxschen Werks kommt der GSP zu einer ahistorischen Auffassung der kapitalistischen Produktionsweise, die sich als unfähig erweist, den realen Kapitalismus und seine Entwicklungstendenzen theoretisch zu erfassen. Im Imperialismusbegriff des GSP lassen sich die fatalen Konsequenzen dieser Herangehensweise betrachten.

Nun ist die Tatsache, dass die Theorie des GSP in vieler Hinsicht im Gegensatz zum Marxismus steht, für sich genommen noch kein Argument dagegen. Wenn Marx oder Lenin, möglicherweise sogar der Marxismus sich irgendwo geirrt haben sollten und uns der GSP auf diese Fehler hinweisen würde, dann wäre ihm dafür zu danken. Man könnte ihm dann lediglich noch vorwerfen, dass er sich zu Unrecht auf den Marxismus beruft. Es wurde hingegen gezeigt, dass in Wirklichkeit die Auffassung des GSP in allen Punkten, wo sie dem Marxismus wesentlich widerspricht, einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhält. Tatsächlich handelt es sich um Standpunkte, die eine Übernahme von bürgerlichen Auffassungen anzeigen und damit als revisionistisch zu bezeichnen sind.

Wenn die Theorie des GSP so fundamental falsch ist, wie erklärt sich dann ihre große Popularität in Teilen der deutschen Linken?

Die diversen Modeideologien, unter denen der GSP nur eine Variante darstellt, sind in der linken Szene umso erfolgreicher, 1) je radikaler sie sich selbst inszenieren und 2) je weniger radikal sie in Wirklichkeit sind, also je geringer die notwendige Überwindung und Loslösung von bürgerlichem Denken und Handeln ist. Der GSP erfüllt beides zur Perfektion: Er feiert sich als grundsätzliche Kritik alles Bestehenden, er begnügt sich mit nichts als dem reinen Kommunismus als Ziel und verwirft alle notwendigen Zwischenschritte (d.h. die Entwicklungsphasen des Sozialismus) als „revisionistisches“ Teufelszeug. Gleichzeitig liefert er die theoretische Begründung und Rechtfertigung dafür, warum der harte tägliche Kampf in und mit der Arbeiterklasse um bessere Lebens- und Kampfbedingungen, aus dem sich Klassenbewusstsein erst entwickeln könnte, bestenfalls vergeblich, schlimmstenfalls aber falsch und illusionär ist; er verschiebt den Aufbau einer kommunistischen Partei, die eine tatsächliche Revolution ja erst anführen könnte, auf den Tag des jüngsten Gerichts, an dem ausreichende Massen sich die gepredigten Wahrheiten des GSP endlich „einleuchten lassen“ haben werden; er verwirft den historisch erkämpften Sozialismus in zynischer Weise als von vornherein fehlgeleitetes, geradezu lächerliches Unterfangen, das 1989/90 sein „verdientes Ende“ gefunden habe. Der GSP ist damit perfekt anschlussfähig an den bürgerlichen Individualismus, der sich dann mit der Pose des kritischen Kritikers schmücken kann, sich in die Niederungen des Klassenkampfes nie begeben muss und sich mit einer ernsthaften Befassung mit der eigenen Geschichte nicht abmühen braucht. Den bürgerlichen Antikommunismus, die Verfälschung und Umschreibung revolutionärer Geschichte nimmt er im Wesentlichen einfach hin und die schwierige Aufgabe jedes Kommunisten, die eigene Geschichte kritisch zu verteidigen, erklärt er für überflüssig. Kein Wunder, dass der GSP in erheblichen Teilen der „linken Szene“ durchaus gern gesehen wird als, wenn auch vielleicht etwas schräger, Lieferant von radikaler Theorie, wenn man diese dann mal braucht, um sie neben die eigene opportunistische Praxis stellen zu können. Kommunisten werden dagegen gerade von diesen Teilen der Szene oft genug bis aufs Messer bekämpft, da sie all das darstellen, was die Szene hasst und all das nicht darstellen, was die Szene an der bürgerlichen Gesellschaft liebt und nicht missen will.

Während der Klassenkampf auf diese Individuen getrost verzichten kann, gibt es auf der anderen Seite auch einen gewissen Einfluss der GSP-Ideologie innerhalb der kommunistischen Bewegung in Deutschland, ob in ihrem organisierten Teil oder dessen Umfeld. Diese Genossen abzuschreiben oder gar zu bekämpfen wäre natürlich ein großer Fehler. Die Auseinandersetzung muss inhaltlich geführt werden als Diskussion über unterschiedliche Auffassungen zu Grundfragen des Marxismus.

Dass falsche Positionen wie die des GSP überhaupt Verbreitung finden und, wenn auch fast ausschließlich im akademischen Spektrum, als plausibles Theorie-Angebot angenommen werden, ist ein Symptom der Schwäche der kommunistischen Bewegung. Der GSP an sich ist Ergebnis des Niedergangs der marxistischen Theorie und Praxis und eine, wenn auch falsche, überzogene und ebenfalls revisionistische Reaktion auf den rechten Revisionismus in der kommunistischen Bewegung. Weil die kommunistische Bewegung von Revisionismus und Dogmatismus diverser Spielarten durchsetzt war, nahm ihre Ausstrahlungskraft auf kritische Intellektuelle in den Nachkriegsjahrzehnten immer weiter ab. Etwa seit den 60ern entstanden als Reaktion darauf in Westeuropa immer neue Formen der Abkehr vom Marxismus im mehr oder weniger radikalen Gewand: Die Marx-Entsorgung Althussers in Frankreich und in seinem Gefolge die Postmoderne; in Westdeutschland waren das die „Neue Marx-Lektüre“, die Wertkritik und schließlich auch die „Marxistische Gruppe“, aus der später der GSP wurde. Diese Auffassungen müssen bekämpft werden, denn ihre Auswirkungen auf die Arbeiterbewegung sind potenziell fatal. Bekämpfen kann man sie aber nur dadurch, indem die marxistische Theorie ihr Niveau und ihre Attraktivität zurückgewinnt, als kritische Wissenschaft zum Verständnis der Welt und als Anleitung zu einer wirkmächtigen revolutionären Praxis.

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