Interview: „Die Unterschiede müssen herausgearbeitet werden“

Richard Corell (KAZ) zu Übergängen und Widersprüchen der historischen Entwicklung

Wir haben Richard Corell von der Kommunistischen Arbeiterzeitung (Ausrichtung Kommunismus) zur Einschätzung Russlands, zur Entwicklung des Imperialismus und zur Strategie der Arbeiterklasse interviewt. Das Gespräch ist in voller Länge als Podcast auf unserer Website zu finden.

Wie ist deiner Meinung nach der Krieg in der Ukraine einzuschätzen? Wie ist es zu der gegenwärtigen Situation gekommen und was sind die wesentlichen Interessen der beteiligten Akteure?

Das Wesentliche an der Geschichte ist, dass die NATO der Aggressor in dem Ganzen ist. Nur daraus lässt sich der ganze Krieg verstehen. Das Vorrücken der NATO in Richtung Osten ist wohl bekannt. Auch die strategische Bedeutung der Ukraine machte Zbigniew Brzeziński schon früh deutlich. Der entscheidende Punkt ist das Ziel, die Ukraine auf die Seite der Imperialisten zu ziehen. Es geht in der gesamten Auseinandersetzung und in diesem Krieg darum, Russland ökonomisch und politisch nicht mehr hochkommen zu lassen. Die NATO soll so weit vorangetrieben werden, dass sie eine direkte Bedrohung für Moskau darstellt. Bei dieser Schwächung der Russischen Föderation ist es wichtig, Russland als Bündnispartner Chinas zu verstehen.

Dieser Krieg, der sich gegen Russland richtet, versteht sich nur, wenn man sich über das große Ziel der Imperialisten im Klaren ist: die Zerstörung der VR China als ein sozialistisches Land. Es geht darum, die Allianz zwischen China und Russland zu zerstören und schließlich Russland so zu schwächen, dass es für die Imperialisten wieder möglich wird, ein neues, dem Imperialismus höriges Regime zu installieren. Die NATO stellt bei dem Ganzen keinen einheitlichen Block dar. In dieser gesamten Auseinandersetzung finden sich unterschiedliche Interessen, bspw. zwischen dem deutschen Imperialismus als Vormacht in der EU und dem US-Imperialismus.

Darin, dass die NATO ein Aggressor ist, besteht unter Kommunisten Einigkeit. Die Kontroversen beginnen, wenn es um die Einschätzung der Aktivität Russlands geht. Wie würdest du das militärische Vorgehen Russlands einzuschätzen?

In der aktuellen Diskussion geht es um die Frage, ob Russland ein imperialistisches Land ist oder etwas anderes. Ich würde sagen, dass man der Beantwortung dieser Frage erst einmal vorwegschieben muss, dass es sich bei der Geschichte der russischen Föderation um einen in der Menschheitsgeschichte bisher einmaligen Vorgang handelt.

Russland befindet sich seit der Konterrevolution in einem Übergang, in einer Art Transformation vom Sozialismus. Und hier setzt die Frage an, Transformation wohin? Diese Frage ist in meinen Augen noch nicht ganz entschieden. Ich denke, dass sich in Russland aus dieser Besonderheit einer Gesellschaft im Übergang eine Differenzierung ergeben hat, die ich mit den Begrifflichkeiten ‚nationale‘ und ‚Kompradorenbourgeoisie‘ beschreiben würde. Geht es im Transformationsprozess nach der russischen Kompradorenbourgeoisie, dann soll sich Russland zu einer imperialistischen Großmacht entwickeln. Geht es nach der Arbeiterklasse, ist es das Interesse, dass aus Russland wieder ein sozialistisches Land wird, dass die Diktatur des Proletariats wieder erkämpft wird. Möglich wäre, als ein Übergang zur Diktatur des Proletariats, eine Volksdemokratie wie es in China der Fall war – ein Zustand, in dem mehrere revolutionäre Klassen die Herrschaft übernehmen.

Solange die Frage der Transformation Russlands unentschieden bleibt, solange ist klar, dass der Imperialismus das Interesse hat, das Land in dem Status einer Halbkolonie zu halten. Unter einer Halbkolonie verstehe ich das, was Lenin auch immer wieder in seiner Imperialismusschrift anführt, also einen Staat, der politisch souverän scheint, aber ökonomisch vom Imperialismus abhängig ist. Diese Kategorie kann man heute noch auf sehr viele Länder dieser Welt anwenden.

Zu der Frage, wie Kommunisten sich zu den Klassenauseinandersetzungen in Halbkolonien stellen müssen, möchte ich auf Lenin verweisen, bei dem wir hier fündig werden. Lenin schrieb bereits auf dem ersten Weltkongress der Komintern einschlägige Sachen zu der nationalen und kolonialen Frage. Die wurden lange diskutiert und auf dem vierten Weltkongress mündete dies in einer Resolution. Auch auf dem sechsten Weltkongress wurde noch einmal einiges zu dieser Frage geschrieben.

In der Diskussion über die Einschätzung der russischen Föderation spielt die ökonomische Verfasstheit des Landes eine wichtige Rolle. Kann man hier von einem russischen Imperialismus sprechen?

Wir sollten in der Diskussion mitbedenken, dass es etwas Neues ist, wenn es Großunternehmen gibt – ich verwende hier noch nicht den Begriff Monopole –, die aus der Kollektivwirtschaft hervorgegangen sind. Diese stellen etwas anderes dar als Großunternehmen, die aus dem Akkummulationsprozess im Kapitalismus über die Konzentration und Zentralisation gewachsen sind und schließlich zu Monopolen geworden sind. Es geht hier um eine Entwicklung des Kapitalismus hin zum Imperialismus, die fast einhundert Jahre dauerte. Der Übergang von Volkseigentum in kapitalistisch wirtschaftende Großunternehmen beschreibt etwas ganz Neues, das wir noch nicht theoretisch durchdrungen haben.

Blickt man auf die wirtschaftliche Stellung Russlands im globalen Kontext, zeigt sich etwas Typisches für Halbkolonien. Beim Warenexport Russlands stellt sich die Frage, in welchem Bereich sie auf dem Weltmarkt eine starke Stellung einnehmen, welche es ihnen ermöglichen würde, dort wirklich mit anderen Imperialisten in Konkurrenz zu treten. Eine starke Stellung besitzt Russland nur im Rohstoffbereich. Über diesen Bereich hinaus besitzt Russland keine Stellung, die ihm eine ökonomische Großmachtposition erlauben würde. Die russischen Energieunternehmen sind nicht Teil des Ölkartells. Sie sind Außenseiter dieses Kartells und es war immer das Bestreben der Kartellmitglieder, Russland unter Kontrolle zu bringen. Nicht, um es in das Kartell aufzunehmen, sondern um leichter die Ölpreise diktieren zu können.

Auch in der russischen Rüstungsindustrie sehen wir etwas, das aus der Sowjetzeit übernommen wurde. Diese Übernahme stellt ein Faustpfand für Russland dar, mit dem sich Russland vor direkten Zugriffen des US-Imperialismus und anderen Imperialisten schützen kann. Die Rüstungsindustrie in Russland schafft die Möglichkeit, dass sich andere Halbkolonien ebenfalls bewaffnen können, um sich unter Umständen auch zur Wehr setzten zu können. Russlands Stärke in diesem Bereich ist ein Problemfeld. Aber es bietet auch ein Potenzial, dass es in eine fortschrittliche Richtung geht. Dass Völker und Länder unterstützt werden, die berechtigterweise um ihre Unabhängigkeit ringen.

Wie würdest du die politische Herrschaft, also die Staatsmacht in Russland charakterisieren?

Ich denke, dass das in Russland noch nicht entschieden ist. Im Augenblick scheint es so, als würde eine kleine Clique, die hinter Putin steht, den Staatsapparat kontrollieren. Das ist vermutlich aber nicht so einfach. In Russland geht es um eine Auseinandersetzung um die Identität des Landes. Da kann diese Clique nicht einfach herrschen, wie sie will.

Es gibt in der Bourgeoisie eine Differenzierung zwischen Kompradoren und der nationalen Bourgeoisie. Blickt man auf den Krieg, dann hatte diese nationale Bourgeoise die Zustimmung der russischen Kommunistischen Partei, die ich als Vertretung der Arbeiterklasse sehe. Der Ausgangspunkt des Krieges war, dass die KPRF in der Duma beantragt hatte, dass die Volksrepubliken im Donbass anerkannt und die Beziehungen zu den Volksrepubliken geöffnet werden sollen. Das war ein Rückgriff auf den Versuch, die Arbeiterklasse mit ins Boot zu holen. Das ist etwas Bekanntes in nationalrevolutionären Befreiungskriegen.

Du schreibst davon, dass in Russland die nationale Bourgeoisie an der Macht sei. Wie ist das einzuschätzen? Ist von ihr etwas anderes als eine imperialistische Politik, wie sie die alten Imperialisten betreiben, zu erwarten?

Die Frage, wie es mit Russland weitergeht, ist für mich noch nicht entschieden. Es ist klar, dass die nationale Bourgeoise als solche nicht in der Lage ist, eine Befreiungsmission zum Sieg zu führen. Die Führung in einer volksdemokratischen Revolution kann nur die Arbeiterklasse übernehmen. Wenn die Arbeiterklasse nicht die Führung übernimmt, wird das Übliche passieren. Die Bourgeoise wird versuchen, stärker zu werden, es wird wieder größere Versuche geben, sich an den Imperialismus dranzuhängen und sich mit einer imperialistischen Macht zu verbinden.

Ich denke, genau das ist die Fragestellung und die Aufgabe, vor der die Russische Föderation steht und über die sich auch die Genossen der KPRF streiten. Wie schwierig es ist, die ganze Strategiefrage zu entscheiden, wissen wir selbst zu gut. Daher sind es große Fragestellungen, die auch in der Russischen Föderation gegeben sind. Ich denke, wir müssen hier eine Klärung betreiben und uns historische Beispiele anschauen. Da ist China ein wichtiges Beispiel, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

Worauf müsste deiner Einschätzung nach die Arbeiterklasse in Russland orientiert werden?

Ratschläge an Organisationen in anderen Ländern sind nicht mein Ding. Folgt man meiner Analyse, dass es sich bei Russland um eine Halbkolonie handelt und der Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, würde man sich darauf verständigen, dass man in Russland so etwas wie eine volksdemokratische Revolution anstrebt. Eine neue Demokratie, die die Unabhängigkeit Russlands verteidigt und sich daraus der Weg zum Sozialismus öffnet. Das sage ich unter dem Vorbehalt, dass wir die Transformation vom Sozialismus – wohin auch immer – noch nicht wirklich verstanden haben. Die Zeiträume, in denen sich Gesellschaftsformationen ändern, sind oft sehr lange.

Was würdest du sagen, ist heute charakteristisch für die Dynamik des Imperialismus im Unterschied zu Lenins Zeiten?

Die Dynamik des Imperialismus würde ich so sehen: Die Konterrevolution 1989 und die folgenden Jahre, in denen alles untergepflügt wurde, zum Teil mit den sog. ‚Bunten Revolutionen‘, haben die Dynamik des Imperialismus nochmal richtig angeheizt. Wir sind in einer Phase der territorialen Neuaufteilung der Welt angekommen. Zunächst mal ohne Weltkrieg. Das ist die Besonderheit, die man sehen muss. Die Konterrevolution hat dem Imperialismus eine Atempause gegeben, die er in bekannter Weise genutzt hat, um die Ausplünderung der Welt nochmal in neue Höhen zu führen. Direkt nach 1992 hat eine sog. Koalition der Willigen den großen Golf-Krieg angezettelt, dann der Jugoslawien-Krieg und viele weitere, die folgten. Bis 2010 ist zudem das Vormachtstreben des deutschen Imperialismus eine prägende Entwicklung. Auf der einen Seite gibt es also die Tendenz des abnehmenden US-Imperialismus und auf der anderen Seite eine zunehmende Stärke Europas, die meines Erachtens jetzt scheinbar an eine Grenze gestoßen ist.

Ein Punkt innerhalb der Diskussion ist die Frage der mulipolaren Weltordnung. Siehst du in ihr etwas, mit der die Arbeiterklasse ihre Stellung verbessern kann?

Ich denke, dass man sich bei dieser Frage in die Lage der sozialistischen Länder, aber auch Halbkolonien versetzten muss. Diese Länder sagen natürlich, umso multipolarer die Welt, umso mehr imperialistische Zentren, desto besser ist die Situation für uns. Im besten Fall können wir einen „Schutzherrn“ auswählen. Das ist das klassische Spiel, das Halbkolonien unter der Führung der nationalen Bourgeoisien gespielt haben. Sie versuchten, die Imperialisten gegeneinander auszuspielen. Aus der Perspektive der sozialistischen Länder ist klar, dass Multipolarität gut ist. Wenn ein solches Land nur dem US-Imperialismus gegenübersteht und dies die anderen imperialistischen Großmächte vereint, dann können sie einem viel leichter etwas diktieren, als wenn sie gegeneinander ausgespielt werden. Für uns muss klar sein, dass wir alles dafür tun müssen, den deutschen Imperialismus bei seinen Versuchen, mit der EU unter seiner Hegemonie selbst ein eigenständiger Pol zu werden, zu bekämpfen. Wenn ein sozialistisches Land wie Vietnam oder China sagt, dass es toll wäre, wenn die EU als imperialistisches Projekt stärker wird und dem US-Imperialismus Paroli bietet, dann ist das aus ihrer Perspektive richtig. Wir müssen die EU trotzdem bekämpfen, denn die Stärkung der EU ist im Augenblick die Stärkung des deutschen Imperialismus.

In der Auseinandersetzung um die Entwicklung Russlands spielen der deutsche und der US-Imperialismus eine wichtige Rolle. Wie würdest du das Verhältnis dieser beiden Imperialisten zueinander beschreiben? Gibt es hier Widersprüche?

Der deutsche Imperialismus ist in der Entwicklung Richtung Osten in einen Widerspruch mit dem US-Imperialismus gekommen. Ich denke mit Nord Stream 2 ist dies mehr als deutlich geworden. Das ist nur die offensichtliche Seite von etwas, das schon lange schwelt. Die strategische Orientierung der frühen NATO war immer „keeping the Soviets out of Europe, keeping the Germans down in Europe and keeping the US in Europe”. Eine gewisse Parallele dazu zeigt sich auch heute. Die USA haben zwischen Russland und Deutschland eine Art Schutzkorridor gebaut mit Polen und einem Teil der baltischen Staaten, wo der US-Imperialismus entsprechende Raketenbasen stationiert hat. Das ist nicht nur etwas, dass sich gegen Russland richtet, sondern auch Deutschland unten halten soll. Das ist der Hintergrund von Victoria Nulands Aussage „Fuck the EU“.

Was aktuell passiert, gibt dem deutschen Imperialismus mehrere Optionen. Über all im Osten sollen mehr Truppen, mehr Waffen stationiert werden. Der deutsche Imperialismus kann endlich aufrüsten. Wenn der Einfluss der USA in Osteuropa schwächer wird, dann werden noch mehr Staaten und diese dann noch stärker vom deutschen Imperialismus dominiert – mehr als sie es im Rahmen der EU bereits sind.

Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, welcher EU-Staat im Osten bereits ein Eurostaat und dadurch leichter erpressbar ist. Oder welche EU-Staaten wie Polen mit dem Zloty oder Ungarn mit dem Forint zwar schon vielfach abhängig sind, aber doch noch gewisse Hebel haben. Hier zeigt sich die nächste Welle des deutschen Ostland-Ritts, der gerade eingeläutet wird. Dafür auch die militärische Power durch das 100 Mrd.-Sondervermögen, das bereits vor dem Krieg in der Ukraine geplant war. Der deutsche Imperialismus versucht gerade etwas auf die Beine zu stellen.

Das ist der Hintergrund hinter den ganzen Fragen der digitalen, militärischen und Rohstoffsouveränität. Aus diesen Ansprüchen ergibt sich, dass der Einzige, der in der Lage ist eine Koalition gegen Russland zu führen, wenn die USA im Ukrainekrieg eine Niederlage erfahren, letztlich Deutschland ist. Der deutsche Imperialismus hat sich zeitweise dem US-Imperialismus untergeordnet, weil sie noch nicht in der Lage sind, einen Konflikt offen auszutragen. Die AfD vertritt letztlich genau diese Position als Sprachrohr eines bestimmten Teils des deutschen Monopolkapitals, wonach die USA sich eine Niederlage in der Ukraine einholen sollen. Am Ende ist Russland geschwächt, die USA sind geschwächt und der deutsche Imperialismus kann endlich auftreten.

Ich denke, in diesem Sinn ist es das Interesse der internationalen Arbeiterklasse, dass der Imperialismus auf keinen Fall in der Ukraine siegen darf. Es ist, glaube ich, ganz klar in unserem Interesse, dass der deutsche Imperialismus, der ja inzwischen Kriegspartei ist, das müssen wir auch mal deutlich zum Ausdruck bringen, dort nicht weiter kommt, sondern ihm klar die Grenze in der Ukraine gezeigt wird.

Was ist dein Eindruck von der gegenwertigen Debatte in der internationalen kommunistischen Bewegung zu der Frage in der Ukraine, aber auch der Frage des Imperialismus. Welche Relevanz spielt dieser Dissens, diese Unklarheiten für unsere Bewegung und wie können wir da vorankommen, was brauchen wir eigentlich?

Ich habe in Gesprächen mit Leuten die Erfahrung gemacht, wenn man einen klaren Standpunkt zum Krieg bezieht, dass es dann wenig hilfreich ist, wenn man sagt „Ich bin ja auch gegen den Krieg und das ist ja alles nicht so doll.“. Meine Erfahrung ist, wenn man sagt, dass Russland sich wehrt und zwar zu Recht, dass man dann gleich ganz anders ins Gespräch kommt. Wenn man von vorneherein sagt „Die Russen sind nicht schuld.“, dann hat man eine ganz andere Gesprächsgrundlage. Eine Äquidistanz zu Russland hält uns eher von einer direkten Auseinandersetzung ab, in der man erkennen kann, wo Kollegen stehen.

Dass wir in der kommunistischen Bewegung solche Debatten führen müssen, ist natürlich auch unsere Schwäche. Es ist schade, dass gerade solche hervorragenden Parteien wie die KKE und andere hier meines Erachtens keinen Weg zur Lösung einschlagen. Das ist insgesamt ein Mangel an Führung. Vielleicht zur Einordnung: Nach dem Ersten Weltkrieg hat sich die Lage nochmal geändert. Vor dem Ersten Weltkrieg und zu Lenins Zeiten war klar, dass es unsere Aufgabe ist, für die Niederlage der eigenen Bourgeoisie zu kämpfen. Nach dem Ersten Weltkrieg ergab sich aber auch eine neue Situation, in der man auch für den Sieg des sozialistischen Landes eintreten musste. Das war damals die Sowjetunion. Ich tue mir da etwas leichter als ihr, weil ich sage, wir müssen heute auch für den Sieg des sozialistischen Landes China kämpfen. Hinzu kommt: Wir müssen auch für den Sieg eines Landes eintreten, das um seine nationale Unabhängigkeit gegen den Imperialismus ringt wie das aktuelle Russland.

Wir sind alle noch im Findungsprozess und ich möchte davor warnen zu glauben, dass es die Strategie in ihrer Gesamtheit bereits gibt. Ich denke, wir müssen zwei Dinge berücksichtigen. Das erste ist: Was haben wir in unserem Werkzeugkasten und was davon wurde aus verschiedenen Gründen nicht genutzt. Zu diesen nicht genutzten Werkzeugen gehören die Fragen der Halbkolonie, Kompradoren und der nationalen Bourgeoisie. Das zweite ist: Die Strategie ist immer von der Entwicklung abhängig. Ich verweise nochmal auf Lenin zur „Junius-Broschüre“, das ist gleich im Band 22 hinter dem Imperialismus. Er verweist sehr deutlich darauf, wie sich Zeiten verändern können und plötzlich auch bei imperialistischen Ländern nationale Befreiungskriege möglich werden und dann wieder die Strategie geändert werden muss. Von daher plädiere ich dafür, dass man erst auf die Welt schaut und sagt, welche Umstände in den unterschiedlichen Ländern zu finden sind und welche Strategien sich daraus ergeben.

Aus diesen Erkenntnissen heraus können wir dann etwas dazu sagen, was uns in einem imperialistischen Land mit den Kämpfen verbindet, die Genossen und Völker in Halbkolonien, vom Imperialismus abhängigen Ländern und in sozialistischen Ländern führen. Wenn man sich einigen will auf eine Strategie, dann muss man auch erst die Unterschiede kennen, die es in den verschiedenen Ländern gibt, und verstehen, dass sie nicht alle in einen Topf geworfen werden können. Die Unterschiede müssen herausgearbeitet werden, damit man zusammenkommen und sich dann auf der Grundlage verständigen kann.

Richard Corell schreibt für die Kommunistische Arbeiterzeitung, die „Junge Welt“, die „Unsere Zeit“ und die „World Review for Political Economy“, die Zeitschrift der World Association for Political Economy (WAPE). Er hat Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre studiert und zuletzt an einer privaten Fachhochschule gearbeitet.

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