75 Jahre imperialistisches Bündnis

Beitrag von Denis Naumov

Letzte Woche jährte sich die Gründung eines der größten imperialistischen Bündnisse dieses Jahrhunderts. Entstanden vor 75 Jahren im Geiste des Antikommunismus, gerichtet gegen den erstarkenden Sozialismus. Die Rede ist von der NATO, die seit der Niederlage des Sozialismus nicht nur massiv expandierte und zahlreiche neue Mitgliedsstaaten aufnahm, sondern nun primär darauf ausgerichtet ist, die Stellung dieser Staaten im imperialistischen Weltsystem zu verbessern und ihnen Zugang zu wertvollen Ressourcen und Märkten zu sichern.

Entstehung des imperialistischen Bündnisses

Die Anfänge der NATO reichen zurück bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, als 1947 Frankreich und Großbritannien in Dünkirchen ein gegenseitiges Beistandsabkommen unterschrieben, dass weithin als Dünkirchener Vertrag bekannt ist: die Zusicherung einer Unterstützung im Kriegsfall.  Dieser Vertrag wurde ein Jahr später, 1948, im Brüsseler Pakt um die Beneluxstaaten Belgien, Luxemburg und die Niederlande erweitert. Das Beistandsbündnis schuf erste Strukturen, die später in die NATO übergingen.[1]

Am 4. April 1949 wurde auf Grundlage der vorangegangenen Verträge und Strukturen die heute bekannte »North Atlantic Treaty Organization«, kurz NATO, geschaffen, an der die führenden kapitalistischen Mächte beteiligt waren. Die zwölf Gründungsstaaten der NATO waren die USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien (damals mit Malta), Italien, Belgien, Dänemark (mit Grönland), Niederlande, Norwegen, Portugal, Luxemburg und Island. Der reaktionäre Geist der Gemeinschaft lässt sich bereits hervorragend daran ablesen, dass ihr mit Portugal eine von Salazar angeführte faschistische Diktatur angehörte und andere Staaten – wie z.B. Frankreich – weiterhin über zahlreiche Kolonien herrschten.

Drei Jahre später wurden Griechenland und die Türkei in das Bündnis aufgenommen und die NATO entwickelte sowohl politische als auch militärische Strukturen. So wurde beispielsweise Lord Hastings Ismay als erster NATO-Generalsekretär eingesetzt, welcher den Zweck der NATO darin sah, die USA drinnen, die Russen draußen und die Deutschen „unten“ zu halten.

Es wurde zudem ein NATO-Hauptquartier geschaffen, das zuerst in London, später in Paris, und ab 1966 in Brüssel lokalisiert war. Beginnend mit den Pariser Verträgen 1954/55 wurde  die Integration Westdeutschlands vorbereitet. Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland in die NATO erfolgte schließlich am 9. Mai 1955, während gleichzeitig in der BRD die Remilitarisierung vorangetrieben wurde. Hierbei ist es kein Geheimnis, dass die westdeutsche Regierung großflächig alte Nazi-Funktionäre einsetzte, um ihre Militär- und Repressionsorgane wieder aufzubauen. Unter dem Namen “Operation Paperclip” wurden 1,600 ehemalige Nazi-Fuktionäre rehabilitiert und in neue Stellen gehievt. In Deutschland ist Hans Speidel bekanntes Gesicht der Wehrmacht, der später wichtige Stellen innerhalb der Bundeswehr und NATO innehatte. Eine andere in diesem Zusammenhang bekannte Persönlichkeit war Adolf Heusinger, der von 1937 bis 1944 die Operationsabteilung des Generalstabes im Oberkommando des Heeres führte, damit aktiv am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt war und später zum Vorsitzenden der NATO-Militärausschusses ernannt wurde.[2] Auch wenn der Beitritt des faschistischen Spaniens unter Francisco Franco vorerst offiziell abgelehnt wurde, wurde dennoch von einzelnen NATO-Staaten eine Zusammenarbeit angestrebt, die vor allem dem Antikommunismus des Franco-Regimes zu verdanken war. So verschafften sich beispielsweise die USA größere militärische Präsenz in Europa, indem sie militärische Stützpunkte in Spanien bezogen, was gleichzeitig Francos Spanien aus der politischen Isolation löste.[3] [4]

Wie bereits angemerkt, geschah dies alles im Geiste des Antikommunismus zur Bekämpfung des erstarkenden Blocks sozialistischer Staaten in Osteuropa. Angesichts dieses Morgenrots trieb die NATO einen exzessiven Militarismus voran und schmiedete im verborgenen Atomkriegspläne – und das nur wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg.[5] Als Antwort hierauf gründete sich am 14. Mai 1955 die Warschauer Vertragsorganisation, im Westen bekannt als Warschauer Pakt. Die anfänglichen Gründerstaaten waren Albanien, Bulgarien, Ungarn, die DDR, Polen, Rumänien, die UdSSR und die Tschechoslowakei. Diese unterzeichneten bei einer Konferenz in Warschau das dazugehörige Abkommen über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand.

Dass die Entwicklung der NATO nicht reibungslos verlief, ist auf die verschiedenen Interessen innerhalb eines imperialistischen Bündnisses und die ungleiche Entwicklung der Staaten zurückzuführen. Ein Ausdruck dieser eigenständigen Interessen war 1966 der Austritt Frankreich aus der NATO, welches unter Charles de Gaulle zunehmend auf eine eigene atomare Bewaffnung drängte.[6] Erst im Jahr 2008 kündigte der damalige Staatspräsident Sarkozy Frankreichs Rückkehr in die NATO an.[7]

Auch in der Bundesrepublik war von einer “Nuklearen Teilhabe” die Rede, da diese eine zentrale strategische Rolle bei der Stationierung von Atomwaffen spielte. Dieses Konzept, das Westdeutschland in die Atomwaffenplanung der NATO miteinbezog, wurde von der Adenauer-Regierung vorangetrieben und verfolgte das Ziel, US-Atomwaffen im Falle eines Krieges mit deutschen Trägersystemen einzusetzen. Es wurde gegen massiven gesellschaftlichen Widerstand durch den NATO Doppelbeschluss 2. Dezember 1979 nochmals gefestigt, indem zusätzliche US-Atomraketen in Westdeutschland stationiert werden sollten, darunter Pershing II und die „Tomahawks“. In den damaligen Protesten gegen den Doppelbeschluss gewannen die Grünen an Unterstützung und zogen auch später in den Bundestag ein, nur um wenige Jahre selbst am ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr nach der Konterrevolution beteiligt zu sein und den Angriff auf Jugoslawien zu rechtfertigen.

Die atomare Bewaffnung war schon von Anbeginn ein strategischer Grundstein der NATO gewesen, welche einen Atomschlag immer als ein mögliches Mittel gegen den aufstrebenden Sozialismus ansah. Die Sowjetunion war derweil bestrebt, ein strategisches Gleichgewicht bezüglich der Stationierung von Atomwaffen aufrechtzuerhalten. Die “Massive Retaliation” Strategie, die von der NATO 1952 angenommen wurde, sah vor, auch auf beschränkte konventionelle Angriffe mit einem Atomschlag zu reagieren. Zuvor hatte die sogenannte “Vorneverteidigung” Gültigkeit, bei der die NATO noch beabsichtigte, einem möglichen Angriff so weit östlich wie möglich mit konventionellen Streitkräften zu begegnen. Im Jahr 1967 wurde diese allerdings wiederum durch die „Flexible Response“ Strategie ersetzt, welche ein stufenweises Vorgehen mit konventionellen Waffen, taktischen Atomwaffen und nuklearen Interkontinentalraketen vorzog, aber einen atomaren Erstschlag weiterhin als Option sah.[8] Es wurden zudem Angriffspläne gegen die UdSSR ausgearbeitet, die auch den Einsatz nuklearer Sprengkörper auf größere sowjetische Städte und Zentren vorsahen, beispielsweise seien hier “ (Direktive JIC 329, 1945)”, „Broiler“ (1947), „Halfmoon“ (1948) oder „Dropshot“ (1949) genannt.

Unter der Führung Gorbatschows kam es dann schrittweise zu einer Annäherung, was auch zu dem INF-Vertrag[9] vom 1. Juni 1988 führte. Der Vertrag sah eine atomare Abrüstung vor, bei der 2.692 atomare Mittelstreckenraketen eingestampft wurden. Bei dem NATO-Gipfel von 1990 in London wurde wenig später eine Erklärung herausgegeben, die die Warschauer Vertragsorganisation zu einem Partner statt zum Gegner erklärte. Sie kündigte gleichzeitig an, die bisherigen Strategien “Flexible Response” und “Vorneverteidigung” zu beenden, die primär gegen den sozialistischen Block gerichtet waren, und versprach eine weitere Reduktion der Atomwaffen.

Es waren auch die letzten Jahre des sozialistischen Blocks, welcher durch Marktreformen über Jahrzehnte hinweg geschwächt und korrumpiert und durch die Konterrevolutionen 1990/91 zerschlagen wurde. Seitdem konnte sich das imperialistische Bündnis der NATO ungehinderter als zuvor ausbreiten und auch militärisch innerhalb Europas operieren. Dies ist vor allem an den Angriffen auf die Bundesrepublik Jugoslawien zu sehen, bei der auch die Bundesrepublik eine zunehmend führende Rolle einnahm. Seit der Konterrevolution wurden in mehreren Phasen einer NATO-Osterweiterung weitere Staaten in das imperialistische Staatenbündnis integriert: Zunächst traten Polen, Tschechien und Ungarn kurz vor dem Angriff auf Jugoslawien der NATO bei. In den Folgejahren schlossen sich Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, und später die Slowakei und Slowenien dem imperialistischen Bündnis an. Albanien und Kroatien folgten im Jahr 2009, im Jahr 2017 Montenegro und 2020 Nordmazedonien.[10] Seit dem imperialistischen Krieg in der Ukraine sind nun auch noch Finnland und Schweden der NATO beigetreten.[11]

Zweck des Bündnisses

So wie die NATO zu Beginn als ein antikommunistisches, imperialistisches Bündnis gegründet wurde, das den führenden kapitalistischen Staaten als Bollwerk gegen den aufstrebenden Sozialismus diente, so hatte und hat es auch die Aufgabe, die Interessen des Kapitals zu schützen, indem es neben wertvollen Rohstoffen auch den Zugriff auf ausländische Märkte und billige Arbeitskraft absichert.

Insbesondere nachdem es nach der Konterrevolution und der Niederlage des Sozialismus im 20. Jahrhundert keinen ernstzunehmenden Gegenspieler mehr gab, etablierte sich die NATO zunehmend als militärisches Interventionsbündnis im Interesse der führenden kapitalistischen Staaten der NATO. Neben den Angriffen auf Jugoslawien folgten hier beispielsweise auch Einsätze in Afghanistan. Es ist ein Bündnis, welches militärisch dort durchgreift, wo es sinnvoll und möglich erscheint, die Interessen des Kapitals mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Es ist so gesehen die altbekannte Fortsetzung der kapitalistischen Politik mit anderen Mitteln. In dieser Hinsicht kann man es auch als Abschreckungsbündnis verstehen, als Drohung an die Staaten, die nicht nach der Pfeife der führenden kapitalistischen Staaten tanzen.

Zu Zeiten des Kampfes zweier Gesellschaftsysteme diente die NATO auch durchaus als ein Werkzeug für den verborgenen Auslandseinsatz der Bündnisstaaten, so beispielsweise durch die Unterstützung rechter paramilitärischer Gruppen und Schaffung eigener paramilitärischer Gruppen in mehreren Staaten unter dem Titel Operation Gladio, um im Falle einer Machtübernahme der Kommunisten diese zu stürzen. Zum Beispiel wurden so in Italien faschistische paramilitärische Gruppen mitaufgebaut und unterstützt, welche terroristische Angriffe auf die Sozialistische Partei Italiens und weitere Kommunisten verübten. Auch beteiligte sich die NATO mit dem „Prometheus“-Plan aktiv am Putsch der reaktionären Obristen in Griechenland 1967 zur „Abwehr einer kommunistischen Aggression“. Dies führte zur Installation einer reaktionären griechischen Militärdiktatur, die die nächsten 7 Jahre bestand haben sollte, dem Regime der Obristen.

Die NATO nahm nach der Konterrevolution nunmehr die Rolle ein, ihren Mitgliedssaaten innerhalb der imperialistischen Hierachie eine bessere Stellung zu sichern. Dies führte zum einen zu „Operation Deliberate Force“ 1995, dem von der NATO geführten Angriff auf serbische Stellungen in Bosnien, dem Einsatz von 60.000 Soldaten der Implementation Force (Ifor) in Bosnien und der umfangreichen Bombardierung Jugoslawiens 1999. Hierzu gehört ebenfalls der jahrelang andauernde Besatzungseinsatz in Afghanistan, der unter dem Vorwand des NATO-Bündnisfalls nach den Anschlägen 2001 in New York und Washington begonnen wurde.

Fazit

Trotz der Vergangenheit der NATO wird diese von bürgerlicher Seite immer wieder als ein vermeintliches Verteidigungsbündnis dargestellt, obwohl sie seit ihrer Gründung immer als ein imperialistisches Bündnis konzipiert war, zuerst gegen den an Kraft gewinnenden Sozialismus und später als Bündnis gegen andere kapitalistische Staaten. In der heutigen Zeit steht sie zunehmend anderen imperialistischen Polen gegenüber, die sich seit den 90er Jahren herausgebildet haben, allen voran einem sich neu formierenden Block um das kapitalistische China.

Obwohl die NATO nun seit 75 Jahren besteht sollten wir ihre Stabilität nicht überschätzen: jedes imperialistische Bündnis wird über kurz oder lang brüchig, denn die Bündnisstaaten haben immer auch entgegengesetzte Interessen. Bei der NATO zeugten lange Zeit die Diskussionen über die Zielmarke von 2% des BIP, die für Rüstung aufgewandt werden sollten, davon[12] Der von Macron 2019 prognostizierte „Hirntod“ der NATO[13] könnte schneller Realität werden als wir uns heute vorstellen können.

Anmerkung der Redaktion: In die ursprüngliche Version des Artikels hatte sich ein Fehler eingeschlichen: Hans Speidel unterstand Erwin Rommel in der Wehrmacht, Rommel brachte sich aber 1944 um und hatte daher natürlich selbst keine Stelle in Bundeswehr oder NATO inne


[1] https://history.org.uk/files/download/518/1204285707/britain_and_the_formation_of_nato.pdf

[2]https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article242086349/Adolf-Heusinger-Hitlers-General-und-Adenauers-Generalinspekteur.html

[3]https://www.nato.int/acad/conf/enlarg97/rodrigo.htm

[4]https://english.elpais.com/elpais/2018/10/22/inenglish/1540219578_899934.html

[5] https://www.imi-online.de/download/JG-NATO-Geschichte.pdf

[6] https://www.imi-online.de/2022/07/04/schoengeredetes-kriegsbuendnis-zur-geschichte-der-nato/

[7] https://www.imi-online.de/download/JG-NATO-Geschichte.pdf

[8]https://www.imi-online.de/download/JG-NATO-Geschichte.pdf

[9] das „INF“ stand dabei für Intermediate Range Nuclear Forces“

[10]https://www.imi-online.de/2022/07/04/schoengeredetes-kriegsbuendnis-zur-geschichte-der-nato/

[11] https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-05/nato-beitritt-finnland-schweden-faq

[12]https://www.zdf.de/nachrichten/politik/nato-verteidigungsausgaben-ziel-100.html 

[13]https://www.tagesschau.de/ausland/macron-nato-101.html

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