Aktuelles von Miro Kohnen und Karel Deutsch
Während in Europa die bürgerlichen Medien dem Genozid in Gaza inmitten des sogenannten „Waffenstillstands“, trotz der täglichen Ermordung von Palästinsensern durch den israelischen Staat, kaum noch Aufmerksamkeit schenken, verweigert sich die Linkspartei weiterhin einer klaren Positionierung zum Genozid. Stattdessen bekämpft sie in ihrem Streben nach Regierungsfähigkeit weiterhin palästinasolidarische Stimmen innerhalb der Partei und schafft zionistische Strukturen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Shalom.
Die jüngsten Ereignisse
Mehrere Ereignisse haben erneut den Kampf der Linkspartei gegen Gegner des Genozids innerhalb und außerhalb der eigenen Strukturen gezeigt: In Hamburg begrüßte die Linksfraktion etwa ausdrücklich die Entscheidung der Universität, die emeritierte Professorin Helga Baumgarten auszuladen, weil sie das israelische Narrativ zum 7. Oktober infrage stellte. In Dresden verweigerte die Partei ihrem eigenen Landtagsabgeordneten Nguyen den Zugang zu reservierten Räumen, da er sich dort mit Aktivisten treffen wollte, die gegen Waffenlieferungen an Israel vom Leipziger Flughafen aus protestieren.
Am 18. Dezember organisierte die Tageszeitung junge Welt im Karl-Liebknecht-Haus der Linkspartei eine Veranstaltung zur Lage in Gaza. Geplante Sprecher waren unter anderen Emma Fourreau von der französischen Schwesterpartei der Linken, La France Insoumise (LFI), sowie mehrere Aktivisten der Gaza-Flottillen. Am Ende standen sie jedoch vor verschlossenen Türen, da die Veranstaltung vom Tagungszentrum abgesagt wurde und kurzfristig die Räumlichkeiten verweigert wurden. LFI spricht dabei von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Mitte November tagte dann in Berlin der Landesparteitag der Linken, begleitet von der ständigen „Befürchtung“ eines offenen Schlagabtauschs zwischen einerseits dem pro-palästinensischen Flügel um die Neuköllner Sektion und andererseits dem pro-israelischen Flügel, der von Personen in zentralen Führungspositionen der Partei unterstützt wird. Die „Landesarbeitsgemeinschaft Palästinasolidarität“ brachte einen Antrag ein, durch den die Partei sich verpflichten sollte, den Genozid auch als solchen zu benennen. Die Gegenwehr war massiv. Am Ende der Debatte wurde ein revidierter Antrag verabschiedet, den man nicht mal als Kompromiss bezeichnen kann: Das Resultat ist eine weichgespülte Formel von „Leid auf beiden Seiten“, die Verurteilung des palästinensischen Widerstands und die Weigerung den laufenden Genozid als solchen zu benennen. Begründung: Der Internationale Gerichtshof (IGH) habe dies ja ebenfalls nicht getan.
Diese Begründung ist hervorzuheben: Nicht nur hat der IGH in seiner Geschichte überhaupt nur ein einziges Mal einen Genozid anerkannt, nämlich das Massaker von Srbenica im Jahre 1995, er tat dies auch erst ganze 12 Jahre nach dem Ereignis aufgrund etlicher Jahren des „Prüfens“ und des Anhörens. Auch die Anklage Südafrikas gegen Israel, welche aktuell noch über den IGH läuft und von dessen Urteil sich die Linkspartei leiten lassen will, soll Experten zufolge noch Jahre brauchen bis eine Entscheidung gefällt wird. Darüber hinaus ist auch völlig unklar, ob der IGH überhaupt ein Urteil sprechen wird, welches nicht im Interesse der westlichen Staaten steht. Der Gerichtshof ist nicht nur erheblichem Druck von den USA, Israel, Deutschland & Co ausgesetzt, sondern die Richter hatten sich Anfang 2024 nicht einmal durchringen können Israel zu einer Einstellung der militärischen Gewalt aufzufordern, auch wenn zu diesem Zeitpunkt das Ausmaß der Zerstörung und die Zahl der Opfer bereits beispiellos war. Zum Vergleich: der IGH hielt 2021 die Streitkräfte Myanmars zu Beginn der Angriffe auf die Rohjinga-Minderheit unverzüglich dazu an die Waffen niederzulegen – ein Schritt, der damals umfassend von den westlichen Staaten begrüßt wurde. Allein dieses Beispiel verdeutlicht, dass der IGH in einem Rahmen agiert, in dem die Anwendung rechtlicher Prinzipien von der geopolitischen Stellung des angeklagten Staates abhängt.
Vor diesem Hintergrund ist die Begründung der Linkspartei, die Beurteilung eines seit zwei Jahren andauernden Völkermords, bei dem neuesten Schätzungen zufolge hunderttausende Menschen ermordet wurden, vom abschließenden Urteil des IGH abhängig zu machen lächerlich. Außerdem sagt der beschriebene Antragsprozess viel über die tatsächliche Durchsetzungskraft des palästinasolidarischen Flügels in der Partei aus.
Der Kampf gegen palästinasolidarische Stimmen in der Partei
Dementsprechend war es nur die logische Konsequenz, dass wenige Tage nach dem Berliner Landesparteitag das Bundesschiedsgericht der Linkspartei den Ausschluss Ramsis Kilanis bestätigte. Kilani war bereits 2024 aufgrund seiner Palästinasolidarität massiv angefeindet worden, wie etwa von der langjährigen Bundestagsabgeordneten Petra Pau, die ihm und anderen palästinasolidarischen Stimmen auf X vorwarf: „Euch geht es null um die Menschen im Nahen Osten“.
Dass diese Diffamierung gegen einen Palästinenser gerichtet waren, dessen Vater und fünf Geschwister 2014 bei einem israelischen Luftangriff ermordet wurden, spielte für die so solidarische Linkspartei keinerlei Rolle. Martin Schirdewan und Katina Schubert stellten schließlich den Ausschlussantrag gegen Kilani. Darin hieß es, letzterer habe mit seinen Aktivitäten „schweren Schaden“ für die Partei verursacht. Gemeint war damit, dass er den Genozid klar benannte, das offizielle israelische Narrativ zum 7. Oktober infrage stellte und den kolonialen Charakter des Zionismus offen aussprach. Die Schiedskommission stimmte der Argumentation des Ausschlussantrags zu und erklärte Kilanis Positionen seien mit den „Grundprinzipien“ der Partei unvereinbar. Und damit hat die Kommission auch recht: Eine Partei, die vor allem in Regierungen sitzen will, kann sich keine Leute leisten, die an diesem Ziel rütteln. Wer mitregieren will, muss auch zeigen, dass er die Interessen des deutschen Kapitals verlässlich verwalten kann: Gerade jetzt, wo die Gewinne der deutschen Rüstungsindustrie unter anderem durch den Genozid durch die Decke gehen und Israel für die BRD ein strategischer Fixpunkt im Nahen Osten bleibt, können solche Unsicherheiten nicht geduldet werden. Eine bürgerliche Partei, die um Regierungsfähigkeit wirbt, muss deshalb klarmachen, dass die deutsche Unterstützung für Israel nicht verhandelbar ist. Palästinasolidarische Stimmen sind in dieser Hinsicht lediglich Störfaktoren, die es zu eliminieren gilt.
Dass die Linkspartei dabei gleichzeitig versucht auf den „Hype“ um den neuen New Yorker Bürgermeister Mamdani aufzuspringen, macht das ganze umso scheinheiliger: Zwar steht er als Sozialdemokrat, wie die Linkspartei, keineswegs für einen Weg zum Sozialismus, jedoch kommt er aus der palästinasolidarischen Bewegung. Die Linkspartei schließt also palästinasolidarische Stimmen wie Kilani aus, während sie gleichzeitig versucht Mamdanis Erfolg für sich zu nutzen. Das versuchte sie auch schon bei Mobilisierungen in den vergangenen Monaten wie zum Beispiel durch ihre Präsenz auf der „United4Gaza“-Demonstration in Frankfurt am Main am 30. August oder auf der „ALL Eyes on Gaza“-Demonstration am 27. September in Berlin.
Die Stärkung pro-israelischer Stimmen
Nun wurde einerseits am Wochenende vom 29./30. November die BAG Palästinasolidarität in Berlin gegründet. Außerdem beschloss die Linksjugend Solid auf ihrem 18. Bundeskongress Anfang November mit einer Zustimmung von 70 Prozent einen Antrag, in dem unter anderem der koloniale und rassistische Charakter Israels, die Apartheid und der Genozid an den Palästinensern anerkannt wurden. In der Folge protestierten 17 Bundestagsabgeordnete der Linken in einem Brief an die Parteiführung gegen den Beschluss. Die Parteiführung erklärte den Beschluss außerdem für „inhaltlich nicht mit den Positionen der Linken vereinbar“ und man dürfe nicht „die Existenz Israels delegitimieren“.
In diesem Kontext muss die formelle Gründung der BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft) Shalom am 22. November 2025 verstanden werden, auch wenn diese schon seit Juli aufgebaut wurde. BAGs haben in der Linken unter anderem die Funktion zur Erarbeitung und Festigung von verschiedenen Positionen zu sorgen, mit denen die Partei dann nach außen treten kann. So gibt es zum Beispiel die BAGs Betrieb & Gewerkschaft, Gesundheit, Pflege & Soziales oder auch Migration, Integration & Antirassismus. Diese Arbeitsgemeinschaften haben eine direkte Verbindung zum Parteivorstand, erhalten Parteiressourcen und haben Zugang zu wissenschaftlichem Personal der Bundestagsabgeordneten. Die BAG Shalom ist also als Institution in der Partei zu verstehen, die pro-israelische und zionistische Positionen befördern soll. Das zeigt sich auch in ihrer Selbstbeschreibung: „Die BAG Shalom bringt sich auf allen Ebenen der Partei aktiv in den Meinungsbildungsprozess ein, will eigene Positionen entwickeln, Bildungs- und Dialogformate gestalten und sowohl nach innen als auch nach außen für Aufklärung und Austausch stehen“ und betont ihre „Solidarität mit Israel“. Unter dem Banner der „Bekämpfung von Antisemitismus und Antizionismus“ wollen sie nun gegen unliebsame palästinasolidarische Positionen vorgehen. Für Thomas Dudzak zum Beispiel, einer der Sprecher der BAG Shalom, verläuft die Grenze zum Antisemitismus schon bei der Infragestellung des Existenzrechts des israelischen Staats. Passend zur Unterstützung der israelischen Staatsräson ist auch Tony Wohlfahrt, ehemaliger „Rechtsextremist und hochrangiger Funktionär, erst bei den REP [Republikanern; Anm. Autoren], dann in der DVU [Deutsche Volksunion; Anm. Autoren] und bei Pro NRW“, Teil der BAG Shalom.
Was bleibt?
Während die Partei nach innen und außen palästinasolidarische Stimmen bekämpft, versucht sie als „Mosaiklinke“ gleichzeitig, wie beschrieben, zum Beispiel auf Demonstrationen präsent zu sein, um aus den sich in der Palästinasolidarität politisierenden Menschen Potenzial abzugreifen. Diese Funktion wird auch die gerade erst gegründete BAG Palästinasolidarität erfüllen. Am Ende des Tages resultieren diese Vereinnahmungsversuche der Parteien Versuche Illusionen in den bürgerlichen Staat zu schüren und zusammen mit dem Abarbeiten tatsächlich palästinasolidarischer Menschen in den eigenen Parteistrukturen schließlich eine „Unschädlichmachung“ der Bewegung zu erreichen. Die Palästinabewegung wird damit weiter vom Ziel abgebracht den Kapitalismus als Hauptursache zu erkennen und zu bekämpfen. Stattdessen wird sie noch mehr in den bürgerlichen Rechtsrahmen gedrängt. Auf der angesprochenen „ALL Eyes on Gaza“-Demonstration geschah dies zum Beispiel durch Forderung der Unterstützung internationaler Institutionen, wie zum Beispiel dem angesprochenen IGH, was zusätzlich die Eigenaktivität der Bewegung über solch einen bürgerlichen Rahmen hinaus untergräbt.
Das alles soll nicht heißen, dass es in der Linkspartei keine vom Kampf für den Sozialismus überzeugte Menschen und ehrliche palästinasolidarische Stimmen gibt. Häufig hört man von diesen Stimmen, dass zwar der Zionismus der Parteiführung erkannt wird, aber gleichzeitig die Situation in der lokalen Ortsgruppe ganz anders und hoffnungsvoller sei. Aber kann das der Maßstab sein?
Man sollte an dieser Stelle eine Sache Revue passieren lassen: Mehr als zwei Jahre seit Beginn des Genozids kann die palästinasolidarische Bewegung innerhalb der Linkspartei wenig bis keine Erfolge aufweisen. Mit den neusten Entwicklungen startet die Partei nun eine Gegenoffensive, bei der sie klar die durchsetzungsfähigeren Ressourcen auf ihrer Seite hat um regierungsfähig im Sinne des deutschen Kapitals zu werden. Die palästinasolidarischen Menschen in der Parteibasis müssen erkennen, dass ihr Engagement in einer am Ende des Tages pro-zionistischen Partei völlig fehl am Platz ist. Ihre Kraft wäre weitaus besser investiert, wenn sie mit der Sozialdemokratie brechen würden.
Aber was bedeutet das für Menschen, die effektiv gegen Kolonialismus, Besatzung und Völkermord ankämpfen wollen? Die notwendige Kraft dafür entsteht nicht im bürgerlichen Parlament, nicht in Linksparteigremien, sondern genau dort, wo die Arbeiterklasse sich befindet – Häfen, Betriebe, Gewerkschaften. Nur dort kann die deutsche Unterstützung für Israels Kriegsführung tatsächlich unterbrochen werden.


