Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)
Ein Gastbeitrag von Nikolai Naumov
„Für Kommunisten dürfte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sie möglichst viele Menschen erreichen und organisieren müssen (Hervorgehoben durch N. N.), dass sie Teil der Arbeiterbewegung sind. Wie Marx sagte, geht es darum, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Und das geht nur, wenn die Volksmassen und vor allem die Arbeiterklasse ihre Lage erkannt hat und weiß, wie sie handeln kann.“
KO, Leitantrag zu 2. Vollversammlung, Zeile 5-9
In dem Leitantrag der Kommunistischen Organisation (KO) zur Arbeit in den Massen werden viele wichtige Fragen aufgeworfen und diskutiert. Doch möchte ich noch etwas ansprechen was meiner Ansicht nach ein durchaus wichtiger Punkt ist, jedoch im Leitantrag kaum Erwähnung fand. Es geht um das Verhältnis der Wissenschaft zur Arbeiterklasse und zur kommunistischen Bewegung. Es geht auch um die Massenarbeit innerhalb der Wissenschaft.
Doch vorerst möchte ich noch einige Worte über die Bedeutung des Leitantrags verlieren, den die KO nun vor einigen Monaten veröffentlicht hat. Ich stimme den restlichen Genossen vollkommen zu, wenn diese meinen der Leitantrag sei bedeutend. Es ist das erste Mal – meines Wissens nach –, dass eine solche Arbeit in der heutigen deutschen Arbeiterbewegung veröffentlicht wurde, somit das erste Mal, dass die Massenarbeit derart angesprochen und diskutiert wird. Der Leitantrag bildet somit einen Grundstein für das weitere Vorgehen der Kommunisten, auf dem weitere Stützpfeiler der Bewegung errichtet werden können. Er erlaubt uns das weitere Vorgehen bei der Arbeit in den Massen und bei dem Aufbau einer Kommunistischen Partei.
„Wenn wir also in unserer Massenarbeit auf die Arbeiterklasse orientieren und damit auch bezwecken, dass unsere neuen Reihen sich aus den Massen der Arbeiter aufstellen, heißt das nicht, dass wir keine Studenten mit kleinbürgerlichem Hintergrund mehr aufnehmen. Das Prinzip ist, dass jeder eine Aufgabe im Kampf der Arbeiterklasse übernehmen kann, seine Potentiale einbringen kann. Wenn wir eine Verbindung zur Arbeiterbewegung und zu ihrem politischen Ziel herstellen, können Studenten, Ingenieure oder Künstler eine positive Rolle spielen. Unser Auftrag ist der politische Kampf der Klasse und dafür alle Kräfte zu sammeln (Hervorgehoben durch N. N.), die ihn führen oder unterstützen.“
KO, Leitantrag zu 2. Vollversammlung, Zeile 760-769
In diesem Punkt stimme ich dem Leitantrag zu, doch möchte ich auch auf einen Punkt tiefer eingehen den ich ebenfalls für wichtig erachte. Es geht wie bereits zu Beginn erwähnt um das Verhältnis der Wissenschaft zur Arbeiterbewegung. Die Wissenschaft beruht bekanntlich auf einer materialistischen Methode um die Welt und ihre Vorgänge zu untersuchen. Einen solchen Anspruch haben auch wir als Marxisten, weswegen eine Zusammenarbeit nicht abwegig erscheint. Dazu kommt, dass viele Wissenschaftler ihre geistige – als auch physische – Arbeit an Kapitalisten verkaufen, was sie somit zu einem Teil des Proletariats macht. Wir sollten deshalb auch versuchen Personen der Wissenschaft zu organisieren und anzuwerben. Wladimir Iljitsch Lenin sprach sich am 1. März 1920 in einer Rede auf dem II. Gesamtrussischen Verbandstag des medizinischen und Sanitärpersonals folgendermaßen über das Verhältnis zwischen der Wissenschaft und dem Proletariat aus.
„Es gab eine Zeit, da die Vertreter der medizinischen Berufe ebenfalls von Mißtrauen gegen die Arbeiterklasse erfüllt waren und von der Wiederkehr der bürgerlichen Ordnung träumten. Jetzt haben auch sie sich davon überzeugt, daß man Rußland nur zusammen mit dem Proletariat einer kulturellen Blüte entgegenführen kann. Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Arbeitern – nur eine solche gemeinsame Arbeit wird imstande sein, die ganze Last des Elends, der Krankheiten und des Schmutzes zu beseitigen. (Hervorgehoben durch N. N.) Und das wird geschehen. Dem Bündnis von Wissenschaft, Proletariat und Technik wird keine noch so finstere Gewalt widerstehen können. (Hervorgehoben durch N. N.)“
Wladimir Iljitsch Lenin, Rede auf dem II. Gesamtrussischen Verbandstag des medizinischen und Sanitärpersonals, am 01. März 1920 [1]
Ich bin überzeugt, dass diese Worte nicht nur in einem Arbeiter- und Bauernstaat zutreffend sind, sondern sie vielmehr auch für die kapitalistische Gesellschaft eine gewisse Gültigkeit besitzen. Es zeigt sich, dass Wissenschaftler der allermeisten Bereiche nicht nur gute Genossen, sondern auch eine Bereicherung für die Arbeiterbewegung und die KP sein können. Das werde ich nun auch anhand einiger bekannter Beispiele aufzeigen. Eines der markantesten Beispiele der Vergangenheit ist das Vermächtnis Albert Einsteins. Einstein stand entschieden für den Sozialismus ein. Dies wird vor allem aus seinem Essay „Why Socialism?” ersichtlich, welchen er 1949 im Monthly Review veröffentlichte. In dieser Arbeit sprach Einstein sich im Sinne eines sozialistischen Wirtschaftssystems aus.
„Die ökonomische Anarchie der heutigen kapitalistischen Gesellschaft ist meiner Meinung nach die eigentliche Ursache des Übels. […] Ich bin davon überzeugt, dass es nur einen Weg gibt, diese Übel loszuwerden, nämlich die Errichtung eines sozialistischen Wirtschaftssystems (Hervorgehoben durch N. N.), begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialen Zielen orientiert. In solch einer Wirtschaft gehören die Produktionsmittel der Gesellschaft selbst und ihr Gebrauch wird geplant. Eine Planwirtschaft, die die Produktion den Bedürfnissen der Gemeinschaft anpasst, würde die Arbeit auf alle verteilen, die arbeiten können. Sie würde jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind einen Lebensunterhalt garantieren.“
Albert Einstein, Why Socialism?, Monthly Review 1949 [2]
Ein weiteres historisches Beispiel ist der russische Raumfahrtpionier Konstantin Ziolkowski. Dieser war ein bekannter Unterstützer der Bolschewiki und des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft. Dies wird aus seinen Briefe und Schriften ersichtlich. Ich möchte hier kurz ein Beispiel aufführen. Kurz vor seinem Tod am 18 September 1935 schrieb Ziolkowski einen Brief an Stalin indem er den Bolschewiki dankt und darum bittet sein Erbe fortzuführen.
“Before the revolution, my dream could not be materialized. However, October brought a recognition of my self-educated efforts. It was only soviet authority and the political party of Lenin and Stalin that displayed effective assistance. I felt the love of our national population and this provides me strength to continue the work, although I was already ill by this time. All of my efforts pertaining to aviation, rocketry, and inter-planetary travel, I bequeath to the Bolshevik Political Party and the Soviet government, as a genuine guidance in the progress of humanity’s culture (Hervorgehoben durch N. N.). I fell certain that this gesture will successfully conclude the work I have started.”
Konstantin Ziolkowski, Brief an Stalin, 13. September 1935 [3]
In der heutigen Zeit zählen Personen wie Grover Furr oder Paul Cockshott zu den nützlichen Figuren die sich gegen manch ein bürgerliches Paradigma auflehnen. Die Arbeit Grover Furrs hat unzählige bürgerlichen Mythen und Übertreibungen in Bezug auf die Zeitperiode Stalins widerlegt. Paul Cockshott wiederum hat mit seinen Texten zur Kybernetik die Möglichkeiten und das Potenzial einer sozialistischen Wirtschaft im 21. Jahrhundert aufgezeigt. Sie leisten mit ihrer tatkräftigen Arbeit einen bedeutenden Beitrag zur englischen/amerikanischen, als auch zur internationalen Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Geschichtsrevisionismus. Es sollte allerdings einem jedem Marxisten im Bewusstsein bleiben, dass ein großer Teil der Wissenschaft vom herrschenden System vereinnahmt und korrumpiert wurde und dass ein sehr großer Teil auch die bürgerlichen Ideen verbreitet. Diese Ideologisierung der Wissenschaft ist allgegenwärtig und damit auch gefährlich. Aber auch genau aus diesem Grund ist es unabdingbar die Massenarbeit auch auf die wissenschaftliche Gemeinschaft auszuweiten um beispielsweise gegen bürgerliche Geschichtsschreibung oder abstruse Vorstellungen der bürgerlichen Politökonomie vorgehen zu können.
Die Unterstützung von einem wachsenden Teil der Wissenschaft, würde uns nicht nur um fähige Genossen bereichern, sondern uns auch ein gutes propagandistisches Standbein bieten. Die Massenarbeit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft könnte die Massenarbeit in anderen Bereichen stützen, wenn nicht gar vorantreiben. Diesen Punkt könnte und sollte man theoretisch weiter ausführen, doch ist es nicht Sinn dieses Beitrags über die Agitation und Propaganda zu reden. Dies ist ein Thema für einen anderen Beitrag. Allerdings kann man festhalten, dass die „Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Arbeitern“ ein gewisses Prestige an sich hat, das wiederum durchaus nützlich sein könnte.
Bei all dem darf man allerdings auch nicht das eigentliche Ziel der Massenarbeit aus den Augen von verlieren, dass sich auch im bereits im Wort selbst wiederspiegelt. Die primäre Aufgabe ist die Organisierung der Massen, also der gesellschaftlichen Mehrheit. Man darf sich dementsprechend nicht auf eine Bevölkerungsgruppe beschränken, sondern muss in allen möglichen Bereichen die Organisierung vorantreiben. In diesen Bereichen müssen wir als Kommunisten schlussendlich auch um die führende Rolle streiten.
Doch was heißt das Ganze zusammengefasst? Es heißt, dass wir auch auf eine Zusammenarbeit mit Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft setzten müssen. Es heißt, dass wir den Wissenschaftlern aufzeigen müssen, dass die Wissenschaft „nur zusammen mit dem Proletariat“ uns „einer kulturellen Blüte entgegenführen kann“. Arbeit in den Massen, heißt nicht nur Arbeit unter den Arbeitern in Fabrik und Schacht, sondern gleichermaßen Arbeit innerhalb der Wissenschaft. Denn „nur eine solche gemeinsame Arbeit wird imstande sein, die ganze Last des Elends, der Krankheiten und des Schmutzes zu beseitigen“ und den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu sichern. Einer Gesellschaft die „jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind einen Lebensunterhalt garantieren“ wird.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Bibliographie:
[1] Wladimir Iljitsch Lenin, Rede auf dem II. Gesamtrussischen Verbandstag des medizinischen und Sanitärpersonals 01. März 1920 // Lenin Werke, Band 30, Dietz Verlag Berlin 1961 // S. 393-394 // auch unter: http://www.red-channel.de/LeninWerke/LW30.pdf (aufgerufen am 19.07.2019).
[2] Albert Einstein, Why Socialism? // Monthly Review 1949 // URL: https://monthlyreview.org/2009/05/01/why-socialism (aufgerufen am 19.07.2019) oder die deutsche Übersetzung auf Linksnet unter: https://www.linksnet.de/artikel/19102 (aufgerufen am 19.07.2019).
[3] Daniel H. Shubin, Konstantin Eduardovich Tsiolkovsky: The Pioneering Rocket Scientist and His Cosmic Philosophy // Algora Publishing (15. August 2016) // ISBN-10: 1628942371 // S.72f // URL: https://books.google.de/books?id=WG0EDQAAQBAJ&pg=PA64&lpg=PA64&dq=konstantin+eduardovich+tsiolkovsky:+the+pioneering+rocket+scientist+book&source=bl&ots=UmQ93OaqEK&sig=ACfU3U1s09xLWWYTs1xGmsvPv96Jrk861A&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwj3j8zOncHjAhWQblAKHTirBGEQ6AEwEHoECAkQAQ#v=onepage&q=konstantin%20eduardovich%20tsiolkovsky%3A%20the%20pioneering%20rocket%20scientist%20book&f=false (aufgerufen am 19.07.2019).