Kapitel 2: Marx, Engels und Lenin

2.1 Marx und Engels

2.2 Lenin und die Bolschewiki

Der Wissenschaftliche Sozialismus wurde von zahllosen Menschen weiterentwickelt und in der Praxis angewandt. Nur in der Wechselwirkung und Einheit von Kämpfen, Begreifen und Anwenden können wir revolutionäre Taten umsetzen und die Organisierung der Arbeiterklasse voranbringen. Wie im letzten Kapitel angedeutet, spielten allerdings Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt unter seinem Kampfnamen „Lenin”, dabei eine besonders herausgehobene Rolle. Diese drei wichtigen Führer der Arbeiterklasse stehen in dieser Grundlagenschule nicht im Vordergrund. Im Vordergrund steht die wissenschaftliche Lehre, die sie begründet haben. Trotzdem ist es sinnvoll, sich zunächst kurz mit ihrem Leben und den damit verknüpften historischen Bedingungen zu beschäftigen, da wir so die Entwicklung ihrer Erkenntnisse im Kontext der Geschichte der Arbeiterbewegung besser nachvollziehen können.

2.1 Marx und Engels

Karl Marx wurde 1818 in Trier als Sohn einer Familie deutscher Juden geboren. Er studierte ab 1835 Rechtswissenschaften in Bonn, dann ab 1836 in Berlin. Er beschäftigte sich ausführlich mit Fragen der Philosophie und Geschichte und geriet bald unter den Einfluss des kurz zuvor verstorbenen idealistischen (s. dazu Kapitel 3.1.2) Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Hegels Anhängerschaft spaltete sich zu dieser Zeit in zwei Lager: Die Althegelianer oder Rechtshegelianer einerseits, die in der preußischen Monarchie den Gipfel der Menschheitsentwicklung hin zum Fortschritt zu sehen glaubten. In scharfem Gegensatz zu ihnen standen die Junghegelianer oder Linkshegelianer, die den preußischen Staat der damaligen Zeit ablehnten und die Armut und Unterdrückung im damaligen Kapitalismus anprangerten. Marx gehörte zur Gruppe der Linkshegelianer. Seine Doktorarbeit in der Philosophie beendete er 1841 zum Thema der materialistischen Naturphilosophie der antiken griechischen Philosophen Demokrit und Epikur.

Marx begann 1842 in der liberalen Rheinischen Zeitung als Redakteur zu arbeiten und wurde bald zu ihrem Chefredakteur. Er vertrat damals einen radikal- demokratischen politischen Standpunkt, war also für eine radikale Demokratisierung der damaligen Gesellschaft, für die Überwindung rückständiger religiöser Vorurteile und Diskriminierungen und der Reste mittelalterlicher Gesellschaftsstrukturen. Bald schon wurde die Zeitung von der staatlichen Zensurbehörde in Köln verboten. Ab 1843-44 begann Marx, engeren Briefkontakt mit Friedrich Engels zu pflegen.

Engels war der Sohn eines reichen Industriellen der Textilproduktion. Trotz dieser Herkunft identifizierte er sich mit den elenden Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse und vertrat ähnliche, damals noch radikal-demokratische Standpunkte wie Karl Marx. Auch Engels beschäftigte sich viel mit philosophischen Fragen und gehörte zu den Linkshegelianern. Zunehmend wandte er sich aber der materialistischen Philosophie (in Deutschland vor allem Ludwig Feuerbach, aber auch den französischen Materialisten) zu. Engels vertiefte seine Sympathie mit der Arbeiterbewegung in Deutschland und England, lernte den Klassenkampf der Arbeiter kennen und begann unter diesem Einfluss, sich mit dem Kapitalismus und seiner Funktionsweise zu beschäftigen.

Zu dieser Zeit existierte Deutschland noch nicht als Nationalstaat, sondern vielmehr als eine Vielzahl kleiner staatlicher Einheiten, die noch von Fürsten und Königen regiert wurden. In Deutschland entstand in dieser Zeit die Arbeiterbewegung, während gleichzeitig auch das Bürgertum noch revolutionäre Ziele verfolgte und zu großen Teilen für die Abschaffung der Fürstenherrschaft kämpfte. Ökonomisch stützte sich das Bürgertum, oder die Bourgeoisie, auf die neu entstandene kapitalistische Industrie sowie den Handel und das Bankwesen.

Marx schrieb in seinen „ökonomisch-philosophischen Manuskripten aus dem Jahr 1844“ (MEW Ergänzungsband I) zum ersten Mal die Ansätze seiner neuen Theorie, des Wissenschaftlichen Sozialismus, auf. Kurz darauf erarbeitete er mit Engels zusammen ihre Werke „Die heilige Familie“ (MEW 2) und „Die deutsche Ideologie“ (MEW 3), in denen sie sich gegen die Ideen der Junghegelianer ihrer Zeit wandten. Hier kritisierten sie die Mängel sowohl der idealistischen Hegelianer als auch des damaligen Materialismus.

Politisch entscheidend war 1848 die Veröffentlichung des „Manifests der Kommunistischen Partei“ (MEW 4), bis heute auch bekannt als das „Kommunistische Manifest“. Das Kommunistische Manifest schrieben Marx und Engels im Auftrag des Bundes der Kommunisten, der ersten revolutionären Arbeiterorganisation der damaligen Zeit. In diesem Text werden die Grundsätze der politischen Programmatik wie auch der Weltanschauung der Kommunisten dargestellt.

1848 und 1849 brachen dann in vielen Ländern Europas bürgerliche Revolutionen aus, so auch in Deutschland. Die revolutionäre Bewegung richtete sich gegen die Herrschaft der absolutistischen Königshäuser, die zunehmend zur Fessel für die sich entwickelnde kapitalistische Produktionsweise wurde. Getragen war die Bewegung von der sich herausbildenden Bourgeoisie – die bürgerliche Klasse lebte zwar auch damals bereits von der Ausbeutung der Arbeiterklasse, hatte allerdings noch ein Interesse an der Durchsetzung bestimmter fortschrittlicher Veränderungen wie die Zersplitterung der Kleinstaaten zu überwinden oder an der Einführung bürgerlicher Gesetze, die für Kapitalinvestitionen Rechtssicherheit gewährleisteten. Die bürgerlichen Versprechen von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit und Volksherrschaft nach den Bedürfnissen des Kapitals wurden damit eingefordert.

Die Arbeiterklasse spielte in diesen revolutionären Aufständen bereits eine entscheidende Rolle, die Entwicklung im Rahmen der Produktionsverhältnisse war aber noch nicht so fortgeschritten, dass sie die Revolution politisch hätte anführen können. Marx und Engels unterstützten die Revolution, Engels nahm auch unmittelbar an den revolutionären Kämpfen teil.

Nach der Niederlage der deutschen Revolution mussten Marx und Engels nach England auswandern, um der politischen Verfolgung in Deutschland und Frankreich zu entgehen. Marx befasste sich in den Folgejahren intensiv mit der Analyse der Klassenkämpfe in Frankreich. Die daraus entstandenen Analysen („Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“ (MEW 7) und „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ (MEW 8)) sind bis heute extrem lehrreiche Beispiele dafür, wie der Wissenschaftliche Sozialismus angewendet werden kann, um politische Entwicklungen und die ihnen zugrunde liegenden Prozesse zu analysieren.

Vor allem aber widmete Marx sich nun dem Studium der Politischen Ökonomie. Das war nur konsequent, da es zu den wichtigsten Einsichten ihres philosophischen Standpunktes gehörte, dass die Entwicklung jeder Gesellschaft vor allem von ihrer ökonomischen Grundlage bestimmt ist. Aus diesem Studium der Ökonomie ging schließlich das Hauptwerk von Karl Marx, „Das Kapital“ hervor (MEW 23, 24 und 25). Der erste Band dieses gewaltigen Werks erschien 1867. Am zweiten und dritten Band arbeitete Marx bis zu seinem Tod weiter, schaffte es jedoch nicht, sie zu vollenden. Engels konnte sie jedoch so weit bearbeiten, dass sie 1885 und 1894 doch noch erscheinen konnten.

Engels setzte währenddessen seinen Schwerpunkt stärker auf die Befassung mit grundlegenden philosophischen Fragen. Daraus entstanden einige der wichtigsten Beiträge zum Wissenschaftlichen Sozialismus: der „Anti-Dühring“ (MEW 20) als Kampfschrift gegen den Revisionismus Dührings, der reaktionäre bürgerliche Elemente wie die Rassentheorie in die Arbeiterbewegung tragen wollte. Eine wichtige Rolle gespielt haben auch „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ (MEW 21), die „Dialektik der Natur“ (MEW 20) und „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“ (MEW 21).

Die Zeit, zu der Marx und Engels ihre ökonomischen Analysen verfassten, war geprägt von der Industrialisierung, wobei diese in England auch schon am Ende des 18. Jahrhunderts mit hoher Geschwindigkeit stattgefunden hatte und nun auch in anderen Ländern an Fahrt aufnahm. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, also noch zu Lebzeiten von Marx und Engels, wurden Deutschland und die USA zu Zentren der Entwicklung der kapitalistischen Industrie. Auf Grundlage der Erfahrungen aus Deutschland, aber auch aus England und Frankreich entwickelten Marx und Engels ihre Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, des Klassenkampfes zwischen Arbeitern und Kapitalisten sowie des Elends, in dem die Arbeiterklasse leben musste.

Marx und Engels beschränkten sich in dieser Zeit nie auf die Rolle reiner Theoretiker, sondern entwickelten sich im Gegenteil auch zu Führungsfiguren der entstehenden revolutionären Arbeiterbewegung. 1864 beteiligten sie sich an der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation, des ersten länderübergreifenden Zusammenschlusses der Arbeiterbewegung. Sie spielten dann auch eine führende Rolle in den Diskussionen um die Ausrichtung der Arbeiterbewegung und setzten sich dafür ein, dass die Arbeiterklasse sich die Eroberung der Staatsmacht zum Ziel setzen sollte.

Die Zersplitterung in Kleinstaaten wurde in Deutschland nach den Reichseinigungskriegen 1870/71 überwunden. Das Deutsche Reich wurde gegründet, allerdings nicht durch eine Revolution der fortschrittlichen Kräfte der Bourgeoisie, sondern durch ein Bündnis der Bourgeoisie mit dem alten Adel und den konservativen preußischen Militärs.

Die Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg führte zu einer Verschärfung der Situation der französischen Arbeiterklasse, auf deren Rücken die Kosten für den Krieg ausgetragen werden sollte. Als 1871 in Paris zum ersten Mal die Arbeiterklasse den bürgerlichen Staat zerstörte und für einige Wochen in Ansätzen ihre eigene Macht aufbaute, die „Pariser Kommune“, begrüßten Marx und Engels diese erste proletarische Revolution mit Begeisterung. Die Kommune von Paris, so schrieben Marx und Engels, war das erste Beispiel für die Diktatur des Proletariats, wie sie sie anstrebten. Nachdem die Kommune von französischen und deutschen Militärs niedergeschlagen und in ein furchtbares Massaker an den revolutionären Arbeitern gemündet hatte, analysierte Marx die Ursachen der schmerzhaften Niederlage in seiner Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ (MEW 17). Nach dem Tod von Marx im Jahr 1883 setzte Engels sein Werk fort und bemühte sich bis zu seinem eigenen Tod im Jahre 1895 weiterhin um den Aufbau der internationalen Arbeiterbewegung auf der programmatischen Grundlage des Wissenschaftlichen Sozialismus.

Diskussionsfragen:

  • Wie konnte sich Deutschland von der „Kleinstaaterei“ bis zur Gründung des Deutschen Reiches entwickeln? Gehe hier kurz auf die Rolle der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse ein.
  • Wieso war es gerade Marx und Engels möglich, diese Theorie zu entwickeln? Was waren wichtige historische, gesellschaftliche, soziale, etc. Entwicklungen dafür?

2.2 Lenin und die Bolschewiki

Lenin wurde 1870 in der russischen Stadt Simbirsk an der Wolga (heute nach Lenin benannt Uljanowsk) in eine angesehene Familie geboren. Trotz seiner gehobenen Herkunft war Lenins Bruder Alexander Mitglied einer revolutionären, allerdings nicht marxistischen Gruppe, die glaubte, durch Terroranschläge die zutiefst ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland verändern zu können. Nach einem Mordanschlag auf den Zaren Alexander III. wurde er hingerichtet. Diese Erfahrung prägte den jungen Lenin sehr. Er beschäftigte sich mit revolutionärer russischer Literatur und als er sein Studium in Kasan begann, beteiligte er sich an politischen Aktionen der Studentenbewegung. In den 1890er Jahren begann er dann auch mit dem Studium des Marxismus, teilweise über die Schriften des russischen Marxisten Georgi Plechanow, aber auch über die Lektüre der Werke von Marx und Engels. Er beteiligte sich 1895 in Sankt Petersburg an der Gründung des „Kampfbunds zur Befreiung der Arbeiterklasse“, der sich bereits 1898 mit anderen sozialistischen Gruppen zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) vereinigte.

1903 spaltete sich die SDAPR auf ihrem II. Parteitag in die reformistischen Menschewiki und Bolschewiki (benannt nach dem russischen Wort für Mehrheit, weil sie bei der Spaltung die Mehrheit stellten), die formell in derselben Organisation blieben, aber jeweils ihre eigene Politik entwickelten. Die Menschewiki (die Minderheitsfraktion) glaubten, dass Russland zu rückständig für eine sozialistische Revolution sei und sich daher zunächst der Kapitalismus in Russland entwickeln müsse, bevor der Sozialismus möglich wäre. Revolutionäre Aktionen lehnten sie daher ab, da sie befürchteten, damit die liberale Bourgeoisie zu verschrecken, die sie als Hauptkraft für die Entwicklung einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft in Russland sah. Die Bolschewiki unter Lenins Führung propagierten hingegen als erste Etappe ihres Kampfes eine bürgerlich-demokratische Revolution unter der Führung der Arbeiterklasse zum Sturz des Zarismus und als zweite Etappe die proletarische Revolution in Russland. Lenin sah das Russische Zarenreich als das schwächste Glied in der Kette des Imperialismus – das Land hinkte hinter den führenden imperialistischen Ländern wie England, Frankreich oder Deutschland hinterher, das Industrieproletariat machte nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, ihr Klassenbewusstsein und Kampfgeist hatte sich aber schon in einigen Kämpfen gegen Staat und Kapital wie in den Massenstreiks und der Revolution 1905 entwickelt und erprobt. In der Vorstellung Lenins musste die Arbeiterklasse Russlands die Kette der imperialistischen Staaten an diesem Glied zerreißen, um Revolutionen in anderen Ländern folgen zu lassen und mithilfe dieser Länder wäre es möglich, auch in Russland den Sozialismus aufzubauen. Außerdem waren Lenin und die Bolschewiki der Ansicht, dass die Partei der Arbeiterklasse keine lose und unverbindliche Sammlung von mehr oder weniger aktiven Anhängern sein dürfe, wie die Menschewiki glaubten, sondern nur als gut organisierte und disziplinierte Organisation von überzeugten Marxisten Erfolg haben könne – eine Organisation der Revolutionäre, die sich den Kampf für die Revolution zur Lebensaufgabe gemacht haben.

Im Ergebnis dieser Spaltung gelang es den Bolschewiki in den folgenden Jahren, eine starke und einheitliche revolutionäre Partei aufzubauen, auch wenn in dieser weiterhin scharfe inhaltliche Auseinandersetzungen um die richtige Linie geführt werden mussten. Lenin entwickelte sich zunehmend zum politischen und theoretischen Führer der bolschewistischen Fraktion. 1905 bis 1907 kam es in Russland zum Versuch einer bürgerlichen Revolution gegen die Selbstherrschaft des Zaren. Die SDAPR spielte dabei bereits eine wichtige Rolle in den Städten. Die Revolution wurde jedoch blutig niedergeschlagen. Die Bolschewiki mussten in den folgenden Jahren unter den schwierigen Bedingungen der zaristischen Unterdrückung ihre Partei aufbauen. Lenin entwickelte seine Theorie der revolutionären Kaderpartei und der proletarischen Revolution in dieser Zeit in verschiedenen Schriften: „Was tun?“ (LW 5), „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ (LW 7), „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ (LW23) und schließlich im Sommer 1917 „Staat und Revolution“ (LW 25), worin er die marxistische Auffassung vom bürgerlichen Staat hervorhob und damit gegen die Reformisten die Notwendigkeit der revolutionären Zerschlagung dieses Staates begründete. 1908 verteidigte er mit „Materialismus und Empiriokritizismus“ (LW 14) Marx’ Erkenntnistheorie. Damit reagierte Lenin auf idealistische, erkenntnisfeindliche Angriffe von österreichischen, deutschen und russischen bürgerlicher Autoren auf Marx’ Erkenntnistheorie, die sich nach der gescheiterten Revolution 1905 verstärkten.

Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs verfasste Lenin außerdem eines seiner zentralen Werke, “Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus” (LW 22) . Er hielt damit die Entwicklung des Kapitalismus zu seiner imperialistischen Epoche fest, der Epoche der Entstehung von Monopolen und des Finanzkapitals und kritisierte auch revisionistische Theorien in diesem Zusammenhang, bspw. in Annahmen über die Friedensfähigkeit des Imperialismus oder einer einseitigen, auf die militärisch reduzierte Ebene des Wesen des Imperialismus.

In der Praxis machte sich dieser Revisionismus, wie auch der Streit um die revolutionäre Strategie und die richtige Organisationsform schmerzlich bemerkbar: besonders in Deutschland kam es erst sehr spät zur Spaltung zwischen revolutionären Kommunisten und Reformisten, sodass sich 1914 die Führung der deutschen Sozialdemokratie beim Beginn des Ersten Weltkriegs hinter die „eigene“ herrschende Klasse stellte und damit die Arbeiter zu Millionen die Schlachtbank des Krieges führen konnte. Die internationalistischen und revolutionären Teile der Bewegung, die den Krieg abgelehnt hatten, mussten sich größtenteils ganz neu organisieren. Die beiden Grundsatzfragen, die Fragen der revolutionären Strategie und der Organisationsform, sind bis heute die zentralsten Streitpunkte zwischen revolutionären Kommunisten und Reformisten in der Arbeiterbewegung. Es sind zugleich zentrale Streitpunkte auch unter Kommunisten. In der Folge der Ereignisse um den Ersten Weltkrieg war die Arbeiterbewegung in einer tiefen Krise, hatte aber auch gleichzeitig ihre Macht und revolutionären Potentiale gezeigt.

Mit der in Deutschland 1918 gescheiterten Novemberrevolution zeigten sich die bitteren Folgen der verspäteten eigenständigen Organisierung der revolutionären Kommunisten in Deutschland. Im Gegensatz dazu konnte in Russland im Februar 1917  die jahrhundertealte Zarendynastie der Romanows gestürzt werden. Russland wurde eine bürgerlich-demokratische Republik. Doch die wesentlichen Forderungen der Arbeiter und Bauern, die sich vor allem nach einer Beendigung des mörderischen Weltkriegs, nach einer Neuverteilung des Landes und nach Brot sehnten, konnte die neue Regierung ebenso wenig befriedigen wie das Regime des Zaren. Allein die Bolschewiki waren in der Lage, auf diese Wünsche der Massen zu antworten. Lenin spielte hierbei wiederum eine Schlüsselrolle: Als er im April 1917 aus seinem Exil in der Schweiz zurückkehrte, stellte er mit den „Aprilthesen“ (Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, LW 24) das politische Programm vor, das im Kampf für den Sozialismus in Russland zu verfolgen sei. Darin argumentierte er, dass nur eine Machtübernahme der Arbeiter- und Soldatenräte (Sowjets), die sich in der Revolution gebildet hatten, verbunden mit der Verstaatlichung der Industrie und Banken, der Landverteilung an die Bauern und der Beendigung des Krieges, eine Lösung darstellen könne. Der organisierte Widerstand der Arbeiterklasse nahm im Verlauf des Sommers 1917 weiter zu, bis im Oktober (nach heutigem Kalender November) 1917 die Arbeiter der großen Städte, unterstützt von den Massen der Bauern auf dem Land und unter der Führung der Bolschewiki, die Macht übernehmen konnten.

Damit hatte zum ersten Mal eine proletarische Revolution gesiegt. Unter der Führung der Bolschewiki begannen die revolutionären Arbeiter, die es geschafft hatten, die Mehrheit der Bauernschaft auf ihre Seite zu ziehen, nun mit dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Die Bauernschaft spielte in Russland eine sehr wichtige Rolle, weil sie im weitgehend ländlich geprägten Russland die absolute Mehrheit der Bevölkerung darstellte.

Doch während die Machtübernahme im Oktober vergleichsweise unblutig abgelaufen war, rüsteten jetzt alle rückwärtsgewandten politischen Kräfte Russlands, die das Rad der Geschichte zurückdrehen und den Kapitalismus sowie die Herrschaft der Großgrundbesitzer wiederherstellen wollten, zum Sturm auf die neue Staatsmacht der Arbeiter und Bauern. Die Bauern spielten dabei eine komplexe Rolle: wie es auch Lenin selbst beschrieb, richtete sich der Kampf zunächst während der bürgerlich-demokratischen Revolution im Bündnis mit der gesamten Bauernschaft gegen die feudalistischen Strukturen, was aber mit dem Sturz des Zaren überging in einen Kampf der armen Bauern mit der Arbeiterklasse gegen die neue provisorische bürgerliche Regierung, die Kapitalisten und die Großbauern, die Kulaken (LW 11). Die konterrevolutionären Kräfte Russlands, die Anhänger des Zaren, Adlige, Unternehmer und Grundbesitzer, zahlreiche alte Offiziere und Funktionäre des alten Regimes, Geistliche und sonstige Gegner der neuen Ordnung begannen sich zu bewaffneten und formierten sich mit tatkräftiger Hilfe der kapitalistischen Länder zur „Weißen Armee“. Die Weiße Armee begann gemeinsam mit ausländischen Interventionstruppen aus fast allen größeren kapitalistischen Ländern einen blutigen Bürgerkrieg, der Millionen Menschen das Leben kostete. Die Revolutionsregierung konnte aber gestützt auf die Unterstützung der Arbeiter und der Mehrheit der Bauern und durch den Aufbau einer revolutionären Roten Armee den Krieg letztlich gewinnen und in den Jahren 1921/22 beenden.

Auch nach der siegreichen Revolution verfasste Lenin weiterhin wichtige Werke zur Theorie der proletarischen Revolution, so z.B. „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus“ (LW 31), in dem er sich mit den pseudoradikalen, aber in Wirklichkeit realitätsfernen und sektiererischen Positionen der Kommunisten in verschiedenen Ländern auseinandersetzte. Er verfasste außerdem die wichtigsten programmatischen Schriften der neu gegründeten Kommunistischen Internationale und war somit ebenso wie Marx und Engels einer der wichtigsten Organisatoren des internationalen Zusammenschlusses des Proletariats. Im Januar 1924 starb Lenin.

Sein Nachfolger an der Spitze der bolschewistischen Partei wurde Iossif Wissarionowitsch Dschugaschwili mit dem Parteinamen Stalin. Unter Stalins Führung wurde in dem neuen Staat, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR oder kurz Sowjetunion), die Landwirtschaft in Kollektivwirtschaften zusammengefasst und modernisiert, die Industrialisierung rapide vorangetrieben und schließlich der Überfall des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion erfolgreich zurückgeschlagen. Die Sowjetunion wurde der erste sozialistische Staat und eine Weltmacht, die jahrzehntelang der Hauptgegenspieler der imperialistischen Staaten, vor allem der USA, wurde.

Arbeitsfrage:

  • Was waren die zentralen Streitfragen zwischen Menschewiki & Bolschewiki? Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?

Diskussionsfrage:

  • Wieso war es gerade Lenin möglich diese Theorie zu entwickeln? Was waren wichtige historische, gesellschaftliche, soziale, etc. Entwicklungen dafür?