Kapitel 7: Die Kommunistische Partei

Kapitel 7: Die Kommunistische Partei

7.1 Organisationsprinzipien der Kommunistischen Partei

7.2 Verhältnis zwischen Partei und Arbeiterklasse

Eine Bewegung, die von Illusionen über den Kapitalismus ausgeht, wird keine revolutionäre praktische Orientierung entwickeln können, sondern sich an unrealistischen Lösungen auf dem Boden des bestehenden Systems abarbeiten. Sie wird für den Kapitalismus nie eine Gefahr darstellen. Die Erarbeitung und tiefe Verinnerlichung der revolutionären Theorie ist für die Arbeiterbewegung daher eine der entscheidendsten Fragen überhaupt.

Die revolutionäre Theorie braucht aber erstens einen Ort, an dem sie kollektiv und systematisch entwickelt werden kann. Sie entsteht nicht von selbst; es reicht nicht aus, wenn einige klassenbewusste Arbeiter die Klassiker des Marxismus-Leninismus lesen. Denn der Marxismus-Leninismus, der Wissenschaftliche Sozialismus, ist keine Sammlung von Lehrbuchweisheiten. Er bedarf der ständigen Anwendung auf die Realität, der permanenten Weiterentwicklung und Präzisierung anhand der politischen Praxis, der Auswertung der historischen Erfahrungen der Bewegung und der Analyse einer sich ständig verändernden Welt. Eine solche anspruchsvolle systematische wissenschaftliche Arbeit kann nur in einer bestimmten Art der Organisation geleistet werden – einer Organisation der Arbeiterklasse, die in sich die fortgeschrittensten und konsequentesten Vertreter der Klasse vereint und die Erfahrungen der Klasse zusammenführt, auswertet und ihre Schlussfolgerungen daraus zieht.

Zweitens muss diese Organisation in enger Verbindung mit der Arbeiterklasse stehen, um den Wissenschaftlichen Sozialismus nicht nur entwickeln, sondern ihn auch in allgemein verständlicher Form in die Arbeiterklasse zurückzutragen und seine Erkenntnisse im Klassenkampf der Arbeiterklasse handlungsleitend werden zu lassen.

Diese Organisation der Arbeiterklasse, von der hier die Rede ist, kann nur die Kommunistische Partei sein. Die Kommunistische Partei ist also eine Weltanschauungspartei, sie ist organisierter Träger des Marxismus-Leninismus, ihre gesamte Existenz, ihr innerer Aufbau und ihre Politik beruhen auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen dieser Weltanschauung.

Zwar kommt es immer wieder auch zu spontanen Kämpfen des Proletariats, zu Widerstandshandlungen gegen das Kapital, zu unkontrollierten Ausbrüchen des Volkszorns. Diese Kämpfe laufen jedoch ins Leere, wenn ihnen die organisierte Führung durch die Kommunistische Partei fehlt. Engels schreibt dazu: „Solange die unterdrückte Klasse, also in unserm Fall das Proletariat, noch nicht reif ist zu seiner Selbstbefreiung, solange wird sie, der Mehrzahl nach, die bestehende Gesellschaftsordnung als die einzig mögliche erkennen und politisch der Schwanz der Kapitalistenklasse, ihr äußerster linker Flügel sein“ (Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW 21, S. 168). Erst wenn innerhalb der Arbeiterbewegung die fortschrittlichsten Arbeiter, die in der Kommunistischen Partei organisiert sind, eine Führungsrolle übernehmen, erhalten die Kämpfe eine klare Richtung, da sie sich am Ziel der Machtübernahme orientieren. Erst dann gewinnen sie die Ausdauer, um auch nach Rückschlägen den Kampf immer wieder fortzusetzen; und die kollektive Einschätzungsfähigkeit und Weitsicht, um in jeder schwierigen Lage die Nerven zu behalten und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nur mit einer solchen Führung kann die Arbeiterklasse ihre Kräfte im entscheidenden Moment, in der revolutionären Situation, bündeln und die Macht übernehmen. Die Kommunistische Partei ist somit eine unverzichtbare, ja sogar die wichtigste Waffe der Arbeiterklasse in ihrem Kampf um die Macht.

7.1 Organisationsprinzipien der Kommunistischen Partei

Eine Partei die diese Aufgaben erfüllen soll, die die Kommunisten zu einer wirklichen Kampfgemeinschaft zusammenschließt, neue Generationen von Kommunisten heranbildet, die den Wissenschaftlichen Sozialismus ständig in der Praxis überprüft und weiterentwickelt, die die Arbeiterklasse in die Lage versetzt, sich möglichst schlagkräftig zu organisieren und um die Macht zu kämpfen – eine solche Partei muss in einer ganz bestimmten Weise organisiert sein.

Die Kommunistische Partei (KP) kann sich keinesfalls wie die bürgerlichen Parteien organisieren, in denen die Mitgliedschaft eine mehr oder weniger formelle Angelegenheit ist. Man erhält ein Parteibuch, zahlt einen Mitgliedsbeitrag und ansonsten entscheidet man weitgehend selbst, in welchem Maße man sich engagiert oder auch nicht. Engagement heißt dann meistens aber auch nur, ab und zu auf einer Mitgliederversammlung aufzutauchen, beim Wahlkampf mitzuhelfen oder sich selbst als Kandidat aufzustellen. Dass die bürgerlichen Parteien (auch die „linken“ unter ihnen) so organisiert sind, ergibt sich aus ihrem Wesen und ihrem Zweck – es sind eben keine Organisationen, die auf den Sturz der Klassenherrschaft ausgelegt sind, sondern im Gegenteil sind sie gerade Instrumente zur Verwaltung und konstruktiven Mitarbeit im Kapitalismus und Karrierekanäle für das zukünftige Führungspersonal des bürgerlichen Staates. Letztlich sind sie Teile des Staates, sie haben also seine ganze geballte Macht auf ihrer Seite.

7.1.1 Die Kommunistische Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse

Eine Kommunistische Partei dient einem völlig entgegengesetzten Zweck. Sie ist kein Mittel zum Mitmachen in den kapitalistischen Institutionen, auch wenn das nicht bedeutet, dass sie die Teilnahme an Parlamentswahlen ablehnt. Sie existiert, um die Arbeiterklasse da zu organisieren, wo sie lebt und arbeitet und sie auf den Kampf um die Macht vorzubereiten. Die Kommunistische Partei verfolgt das Ziel, zur Vorhut, zur Avantgarde der Arbeiterklasse zu werden. Auch dieser Begriff kommt aus der Militärtheorie und bezeichnet bei einem Angriff die militärische Abteilung, die den Vortrupp darstellt. Die Avantgarderolle der Partei besteht darin, dass die Partei die Organisation der Arbeiter mit dem fortschrittlichsten, konsequentesten Bewusstsein darstellt, die im Klassenkampf die führende Rolle spielt und von der Arbeiterklasse auch als Führung akzeptiert wird. Was das genau bedeutet, wird im folgenden Unterkapitel besser dargestellt.

Die Kommunistische Partei hat in diesem Kampf die herrschende Klasse, den Staat und die vorherrschende Ideologie gegen sich. Potenziell hat sie zwar die Arbeiterklasse und anderen unterdrückten Schichten hinter sich und vertritt damit die Mehrheit der Gesellschaft. Allerdings kann sie dieses Potenzial die meiste Zeit über nur zu einem Teil ausschöpfen, weil die bürgerliche Ideologie in ihren verschiedenen Varianten in der Gesellschaft weiter vorherrscht. Dazu später mehr.

Die Kommunistische Partei kämpft die meiste Zeit über einen Kampf aus einem massiv ungünstigen Kräfteverhältnis heraus. Selbst eine starke Kommunistische Partei mit Masseneinfluss, wie es z.B. die KPD in den 1920ern und bis 1933 war, genießt zumeist nur die Unterstützung einer Minderheit der Gesellschaft. Wie kann sie diesen Kampf trotzdem gewinnen? Indem sie die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kräfte so effizient wie möglich nutzt, um neue Mitglieder zu gewinnen und ihren Einfluss auf die Massen auszubauen. Das kann sie aber nur, wenn sie einheitlich auftritt und ihre Kräfte nicht zersplittert.

Die Mitglieder der Kommunistischen Partei müssen es deshalb als ihre ständige Verantwortung verstehen, im Klassenkampf und auch in der Partei selbst eine aktive Rolle zu spielen und sich nach ihren Möglichkeiten einzubringen. Es kann unterschiedliche Grade der Aktivität geben, je nachdem in welcher Lebenssituation sich jemand befindet. Aber Passivität, also die Existenz sogenannter „Karteileichen“, hat in der KP keinen Platz.

7.1.2 Der Demokratische Zentralismus – Das Organisationsprinzip der revolutionären Partei

Das Organisationsprinzip, in dem diese Anforderungen verwirklicht sind, ist der Demokratische Zentralismus. Demokratischer Zentralismus bedeutet einerseits, dass die Politik der Partei und all ihre wichtigen Beschlüsse, besonders die zu strategischen Fragen, breit in der Partei diskutiert werden, sodass möglichst alle Argumente für oder gegen eine bestimmte Position angehört und abgewogen werden können. Bei weniger wichtigen Beschlüssen reicht es dagegen oft auch aus und ist sinnvoller, wenn die Diskussion nur auf der Ebene geführt, die dazu entscheidungsberechtigt ist und den entsprechenden Einblick hat. Schließlich wird der Beschluss per Mehrheitsentscheidung gefasst. Dieser Beschluss ist dann für alle verbindlich. Ein Beschluss des Parteitages oder der obersten Leitungsorgane für alle Parteimitglieder, ein Beschluss einer lokalen Gliederung der Partei für die Mitglieder, die in dieser Gliederung zusammengeschlossen sind. Beschlussverbindlichkeit bedeutet, dass gefällte Entscheidungen auch dann eingehalten und umgesetzt werden, wenn man persönlich nicht mit ihnen übereinstimmt. Gegenüber dieser Regel haben viele Menschen erst mal ihre Zweifel, weil sie in der bürgerlichen Gesellschaft mit der liberalen Illusion erzogen wurden, dass Freiheit darin besteht, dass man als Individuum tun und lassen kann, was man will. Eine solche Freiheit existiert aber in Wirklichkeit nie, denn was das Individuum tun kann und was nicht, was es überhaupt tun will, sein Denken und Handeln, ist von seiner Position in der Gesellschaft bestimmt, von seinen ökonomischen Möglichkeiten und den Einschränkungen seiner Klassensituation. Sich freiwillig einer KP anzuschließen, sich bewusst ihrer Disziplin zu unterwerfen, um kollektiv Einfluss auf den Lauf der Geschichte zu nehmen, um eine bessere Welt zu erschaffen – darin drückt sich ein ungleich viel größeres Maß an Handlungsfreiheit aus.

Die Beschlussdisziplin in der Kommunistischen Partei bedeutet auch keineswegs, dass man Beschlüsse kritiklos hinnehmen muss, obwohl man sie ablehnt. Ganz im Gegenteil: Jeder Kommunist hat das Recht und sogar auch die Pflicht, seine Meinung in der Partei kundzutun, gerade dann, wenn er die Politik der Partei für falsch hält. Die anderen Genossen der Partei und insbesondere die Leitungsorgane haben die Pflicht, Kritik ernst zu nehmen, sie nicht zu behindern, sondern zu fördern, sie zu überprüfen und gegebenenfalls Konsequenzen für ihr eigenes Handeln und das der Partei daraus zu ziehen.

Die Kommunistische Partei ist durch den Demokratischen Zentralismus eine zutiefst demokratische Partei. Demokratie ist in der KP kein totes formales Verfahren, wie in den bürgerlich-„demokratischen“ Staaten und Parteien, wo es vor allem darum geht, alle paar Jahre für den einen oder anderen Kandidaten zu stimmen, während der Inhalt der Politik im Wesentlichen durch das Kapital vorbestimmt ist. In der KP ist der Wahlprozess nur ein Aspekt des demokratischen Parteilebens und in der Regel nicht der wichtigste. Weil politische Entscheidungen, bevor sie gefällt werden, aber auch während und nachdem sie umgesetzt wurden, ständig diskutiert werden, weil auch die Personalpolitik der Partei, also wer welche Funktion übernehmen sollte, Gegenstand ausführlicher Diskussionen ist, ist die Möglichkeit jedes Einzelnen zur Einflussnahme auf Beschlüsse ungleich viel umfassender, als es durch eine bloße Abstimmung möglich wäre. Zentralismus bedeutet auch, dass die Erfahrungen zusammengeführt, ausgewertet und allen zugänglich gemacht werden. Erst der Zentralismus ermöglicht also die demokratische Beteiligung an der Entwicklung der Partei als Ganzer, anstatt einer lokal beschränkten Teilhabe. Das bürgerliche Demokratieverständnis geht davon aus, dass die Meinungen der Wähler irgendwie schon feststehen und sich nur noch in den Wahlen ausdrücken müssen. In Wirklichkeit ist die persönliche Meinung aber vor allem dadurch bestimmt, welche Position man in der Gesellschaft innehat und wie man diese selbst interpretiert, also welchen ideologischen Einflüssen das Individuum unterliegt – bei den meisten Menschen sind das vor allem die Einflüsse der Bourgeoisie.

In der Kommunistischen Partei muss man aber davon ausgehen, dass es keinen Interessensgegensatz gibt, da alle letztlich dasselbe Ziel verfolgen. Einen Meinungsstreit gibt es natürlich trotzdem noch, was auch gut und notwendig ist, da erst die Gegenüberstellung verschiedener Sichtweisen es ermöglicht, zu einem wirklich umfassenden, möglichst alle Aspekte einer Sache berücksichtigenden Bild zu kommen. In der Diskussion können die meisten Meinungsverschiedenheiten aber überwunden werden, sodass ein Großteil der Entscheidungen einstimmig getroffen werden kann.

Die Entscheidungsfindung muss in einer revolutionären Organisation einerseits demokratisch sein, also die Meinung und den Willen möglichst aller Mitglieder berücksichtigen und in die Entscheidung einfließen lassen. Sie muss andrerseits aber auch effizient und schnell sein. Denn nicht immer hat man die Zeit, Entscheidungen lange zu diskutieren. Das gilt nicht nur für Extremsituationen, in denen die schnelle Entscheidungsfindung sogar eine Frage auf Leben und Tod sein kann. Auch unter weniger dramatischen Bedingungen ergibt es keinen Sinn und ist auch nicht möglich, jede Detailentscheidung von der Gesamtheit der Mitglieder treffen zu lassen. Der Demokratische Zentralismus schließt deshalb auch verschiedene Organisationsebenen, also eine organisatorische Hierarchie ein.

Das höchste Entscheidungsorgan ist in einer KP immer der Parteitag, weil er die gesamte Mitgliedschaft der Partei repräsentiert. Der Parteitag ist ein Kongress, zu dem die örtlichen Gliederungen der Partei ihre Delegierten wählen. Der Parteitag entscheidet über die grundsätzliche Aufstellung der Partei und die Richtung ihrer Politik: Das Statut der Partei, also ihre Organisationsweise, das Parteiprogramm, also die Strategie der Partei und wesentliche Analysen der politischen Lage, sowie wichtige Resolutionen zu anderen Fragen werden vom Parteitag entschieden. Diese Beschlüsse sind die höchsten, die es in der Partei gibt. Sie zu ändern oder aufzuheben, z.B. ein neues Parteiprogramm zu beschließen, ist nur auf einem anderen Parteitag möglich, niemand sonst hat dieses Recht.

Der Parteitag wählt zudem das Zentralkomitee (ZK). Das ZK ist das höchste beschlussfassende Leitungsorgan der KP zwischen den Parteitagen. Denn ein Parteitag ist jedes Mal mit großem Aufwand verbunden und kann daher in der Regel nur alle paar Jahre stattfinden. Das Zentralkomitee übernimmt in der Zwischenzeit die politische Leitung der Partei. In ihm werden alle Erfahrungen der Partei zusammengeführt und zentral analysiert. Die lokalen Gliederungen werden vom ZK angeleitet. Das ZK beschließt zudem das politische Tagesgeschäft, also z.B. die Reaktion auf aktuelle politische Entwicklungen, die Herausgabe der Parteizeitung, die Organisierung von landesweiten Großveranstaltungen usw. Und nicht zuletzt hat das ZK die Aufgabe, die Parteitage vorzubereiten. Die Entscheidungen des ZK beruhen auf der Analyse der Erfahrungen und Einschätzungen der Gesamtpartei, was natürlich auch bedeuten kann, entgegen den Erfahrungen und Einschätzungen einzelner Parteiorganisationen Entscheidungen zu treffen.

Damit die zentrale Leitung, aber auch untergeordnete Leitungsgremien der Partei (z.B. die Leitungsgremien der Grundorganisationen) in der Lage sind, den Gesamtüberblick zu behalten und die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen, ist die Partei auf ein funktionierendes Berichtswesen angewiesen. Die Leitungsorgane brauchen ständige Berichte aus allen Bereichen, die zum Zentrum laufen. Sie dienen gleichzeitig der Übermittlung von Informationen und Einschätzungen, aber auch der Formulierung von Kritik. Auf Grundlage der Analyse und Verallgemeinerung dieser Berichte können dann Orientierungen für die Praxis in allen Organisationseinheiten gegeben werden. Umgekehrt muss das Zentralkomitee regelmäßig die Basis der Partei über wichtige Beschlüsse, Diskussionen und Entwicklungen informieren.

Die grundlegende Organisationseinheit einer KP, auf der die gesamte Organisation aufbaut, ist die Grundorganisation. Jedes Mitglied der KP, vom einfachen Aktivisten bis zum Generalsekretär des Zentralkomitees, muss in einer Grundorganisation aktiv sein. Die Grundorganisationen entwickeln vor Ort die Politik, sie greifen in die Kämpfe ein oder initiieren sie, in ihnen werden auch die Beschlüsse und Dokumente der Partei diskutiert. Die Grundorganisationen sollten also im Wesentlichen arbeitende Einheiten sein. Es ist wichtig, dass in ihnen auch Meinungen und Argumente über politische und weltanschauliche Fragen ausgetauscht werden, allerdings sind sie auch keine Diskussionszirkel, die alles zerreden und Diskussionen als Selbstzweck führen.

7.1.3 Kritik und Selbstkritik

Die Grundorganisationen sind auch ein wichtiger Ort für Kritik und Selbstkritik unter den Kommunisten. Da dort die Praxis besprochen und ausgewertet wird, muss es auch den Raum geben, Mängel und Fehlverhalten einzelner Genossen oder ganzer Gliederungen und Organe der Partei zu kritisieren. Die Kritik an einem hohen Funktionär der Partei muss dabei genauso möglich und selbstverständlich sein wie die an jedem „einfachen“ Mitglied. Kritik und Selbstkritik findet aber nicht nur in der Grundorganisation statt, sondern in der gesamten Organisation. Die Partei kann für vergangene Fehler auch als Ganze Selbstkritik üben, auch vor der Öffentlichkeit. Bestimmte Fragen von allgemeiner Bedeutung für die Arbeiterklasse, wie z.B. Fragen der Strategie, wo es wichtig ist, möglichst viele Stimmen und Erfahrungen einzubeziehen, sollten grundsätzlich eher öffentlich diskutiert werden.

Normalerweise finden Kritik und Selbstkritik aber intern statt. Insbesondere werden politische Konflikte innerhalb der Partei ausgetragen und in den dafür vorgesehenen Gremien und Kanälen gelöst. Sie werden nicht nach außen getragen, weil das das einheitliche Auftreten der Partei untergraben kann. Je mehr der Klassengegner über Spannungen und Auseinandersetzungen in der Kommunistischen Partei weiß, desto besser kann er sie für seine Zwecke ausnutzen, sie in seinen Medien verzerrt darstellen, versuchen die Gräben zu vertiefen oder sogar Unzufriedene identifizieren, die als Spitzel angeworben werden könnten.

Aus diesem Grund werden in einer KP keine Fraktionen oder Strömungen zugelassen. Das Verbot der Fraktionsbildung innerhalb der Kommunistischen Partei wurde im Jahr 1921 zuerst von den Bolschewiki in Russland beschlossen, als Schlussfolgerung historischer Erfahrungen und folgerichtige Umsetzung des Demokratischen Zentralismus. Man hatte erkannt, dass in früheren Revolutionen die Konterrevolution immer in der Lage gewesen war, Konflikte innerhalb des revolutionären Lagers auszunutzen, um die Revolution als Ganze zu bekämpfen. Der Beschluss besagte u.a.: „Die unbedingt notwendige Kritik an den Mängeln der Partei muß so gehandhabt werden, daß jeder praktische Vorschlag .in möglichst präziser Form unverzüglich, ohne jegliche Verschleppung, an die örtlichen und zentralen leitenden Organe der Partei zur Erörterung und Entscheidung weitergeleitet wird. (…) Jedwede Analyse der allgemeinen Linie der Partei oder die Auswertung ihrer praktischen Erfahrung, die Kontrolle der Durchführung ihrer Beschlüsse, das Studium der Methoden zur Berichtigung von Fehlern usw. dürfen auf keinen Fall vorher in Gruppen erörtert werden, die sich auf Grund-irgendeiner „Plattform”‘ u. ä. bilden, sondern sind ausschließlich der unmittelbaren Behandlung durch alle Parteimitglieder zuzuleiten“ (Ursprünglicher Entwurf der Resolution des X. Parteitags der KPR über die Einheit der Partei, LW 32, S. 247). Damit wurde Kritik also nicht unterbunden, sondern im Gegenteil in die dafür vorgesehenen Bahnen geleitet und so sichergestellt, dass die dafür gewählten Verantwortlichen und die gesamte Partei sich damit beschäftigen. Der Beschluss richtete sich gegen Gruppen innerhalb der Partei wie z.B. Leo Trotzki und seine Anhänger, die versuchten, als intransparente Diskussionszirkel hinter verschlossenen Türen ihre eigene politische Linie zu entwickeln und diese dann in der Partei durchzusetzen. Es wurde von allen Parteimitgliedern gefordert, dass sie sich mit ihrer Kritik der offenen Diskussion in der Partei stellen und somit alle an diesen Diskussionen teilhaben lassen. Dieses Vorgehen ist nicht nur um ein Vielfaches transparenter, sondern es stellt auch die Argumente in den Vordergrund, weil es undemokratische Gruppendynamiken verhindert, die dem Gesamtkollektiv der Partei entgegenlaufen. Es wird bis heute von den Kommunistischen Parteien als ein Grundprinzip des Demokratischen Zentralismus hochgehalten.

7.1.4 Die Kommunistische Partei als Kaderpartei

Die Kommunistische Partei ist eine Kaderpartei. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass sie es nicht darauf anlegt, um jeden Preis möglichst viele Mitglieder zu gewinnen, sondern dass sie einen hohen Anspruch an jedes einzelne Mitglied stellt, sich so weit wie möglich zu einem Kader, einer kommunistischen Persönlichkeit zu entwickeln. Das ist ein Ziel, das Kommunisten ihr Leben lang anstreben. Niemand wird dieses Ziel jemals vollständig und zur Perfektion erreichen. Kommunisten sollten zwar immer an ihren Fehlern und Schwächen arbeiten, werden sie aber nie zur Gänze überwinden können. Trotzdem ist es richtig und notwendig, festzuhalten, welche Eigenschaften ein kommunistischer Kader idealerweise aufweist. Entscheidend ist nicht, ob alle diese Eigenschaften erfüllt sind, sondern ob man bereit ist, sich an diesem hochgesteckten Ziel zu orientieren und zu entwickeln.

Ein kommunistischer Kader ist nicht einfach jemand, der viel Marx und Lenin gelesen hat oder der das Parteibuch der KP vorzeigen kann. Er ist jemand, in dessen Leben der Kampf für die sozialistische Revolution eine zentrale Rolle spielt, der es sich gewissermaßen zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Arbeiterklasse zu organisieren und ihren Kampf zu führen und zu unterstützen. Dafür muss er sich im engen Kontakt zur Arbeiterklasse befinden, auch und besonders dann, wenn er selbst nicht aus der Arbeiterklasse stammt. Er muss die Fähigkeit entwickeln, auf andere Menschen politisch Einfluss zu nehmen, sie in der Entwicklung ihres Klassenbewusstseins anzutreiben, zu begleiten und zu unterstützen. Er muss in der ersten Reihe der Kämpfe der Arbeiterklasse stehen und sich in diesen Kämpfen für die bessere Organisierung der Klasse, für die Überwindung von Spaltungen und die Bekämpfung von Illusionen einsetzen. Er muss in der Lage sein, auch in zugespitzten Situationen des Klassenkampfes den verschiedenen Instrumenten des Gegners standzuhalten, ob es sich nun um Versuche der Einbindung und Bestechung, oder der Einschüchterung und Repression handelt.

Und nicht zuletzt muss er, um diese Aufgaben erfüllen zu können, ein umfassendes Wissen über den Marxismus-Leninismus, aber auch über die politische Lage, die Geschichte der Arbeiterbewegung und die aktuelle Politik der Partei haben. Dadurch gewinnt die Bildungsarbeit und ideologische Arbeit in der KP eine hervorgehobene Bedeutung. Ohne eine systematische, kontinuierliche und gute Bildungsarbeit werden die Mitglieder der Partei nicht die erforderlichen Fähigkeiten erwerben können, um die Partei und die Sache des Kommunismus unter allen Bedingungen korrekt vertreten und erklären zu können. Sie werden ohne Bildung auch keine richtigen Einschätzungen treffen können und die Rolle als Vorhut der Arbeiterklasse nicht erfüllen können. Die Fähigkeit der Gesamtpartei, auf neue Entwicklungen, auf Herausforderungen, auf den Druck der bürgerlichen Parteien usw. bestmöglich reagieren zu können, setzt voraus, dass all ihre Mitglieder diese Fähigkeit erwerben. Denn ein gewisses Niveau der politischen Bildung ist faktisch überhaupt erst die Voraussetzung, um sich an den Diskussionen in der Partei auf Augenhöhe beteiligen zu können. Politische Bildung darf hier nicht als trockenes Bücherwissen verstanden werden – zwar gehört das Studieren von Texten unverzichtbar dazu, doch genauso auch ein Verständnis der Gesellschaft und des Klassenkampfes, wie es letzten Endes nur in der Praxis erlernt werden kann. Die Teilnahme an der Bildungsarbeit ist somit auch für jeden Kommunisten eine Pflicht.

Der Charakter der KP als Kaderpartei hat auch Konsequenzen für ihre Mitgliederpolitik. Die KP ist keine Massenorganisation und darf nicht mit einer solchen verwechselt werden. Dass die Partei keine Massenorganisation ist, heißt nicht, dass sie nur wenige Mitglieder haben kann. Natürlich hat die Kommunistische Partei das Ziel, immer stärker zu werden, was auch bedeutet, dass sie ihre Mitgliederzahl ständig steigern muss. Ob die Partei groß oder klein ist, hängt davon ab, ob die Partei und ihre Kader gut arbeiten, es hängt aber auch ab von der Entwicklung des Klassenbewusstseins in den Massen. Da dieses Bewusstsein sich in bestimmten Situationen sprunghaft entwickelt, kann auch die Mitgliederzahl der Kommunistischen Partei in manchen Phasen nur langsam, in anderen dagegen rasant anwachsen.

Die Aussage, dass die KP keine Massenorganisation ist, bedeutet also etwas anderes: Nämlich dass es nicht ihr Ziel ist, jeden zum Parteimitglied zu machen, der zu einem bestimmten Thema aktiv werden will. Sie will nicht einmal jeden aufnehmen, der sich als Marxist oder Kommunist versteht. Sie ist die Partei der Kommunisten, aber das bedeutet eben auch, dass sie hohe Anforderungen an ihre Mitglieder stellt. Die meisten Menschen, auch wenn sie mit der Politik der Partei sympathisieren mögen, erfüllen diese Anforderungen zunächst nicht. Es ist das Ziel, möglichst viele von ihnen in die Lage zu versetzen, der Partei beizutreten. Doch wenn der Beitritt zur Kommunistischen Partei verfrüht stattfindet, führt er nicht zur Stärkung der Partei, sondern zur Überforderung von Genossen, die oft darin resultiert, dass sie sich wieder davon entfernen. Daher sollten vor dem Eintritt in eine KP gewisse Erfahrungen im Klassenkampf gesammelt und die wichtigsten Grundlagen des Marxismus-Leninismus angeeignet werden.

Obwohl die Partei ihren Mitgliedern einiges abverlangt und wohl nie die Mehrheit der Arbeiterklasse zu Parteimitgliedern machen wird, ist sie natürlich darauf angewiesen, ständig zu wachsen. Das setzt voraus, dass sich im Klassenkampf immer wieder neue Individuen hervortun, die besonders kämpferisch, besonders konsequent und in ihrem Klassenbewusstsein besonders fortgeschritten sind, sodass sie in die Partei aufgenommen werden können.

Eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung neuer Genossen auf die Mitgliedschaft in der KP kann auch der kommunistische Jugendverband spielen. Die Jugend der Arbeiterklasse ist in ihrer Lebenslage natürlich auch durch ihre Klassensituation bestimmt. Die Jugend ist keine eigene Klasse und sie hat keine Interessen, die unabhängig vom Klassengegensatz wären. Vielmehr ist auch die Jugend gespalten in die Arbeiterjugend und die Jugend der Bourgeoisie, die gegensätzliche und unvereinbare Interessen haben. Der kommunistische Jugendverband vertritt daher natürlich nicht die Interessen der Jugend im Allgemeinen, weil es das auch nicht gibt. Er vertritt die Interessen der Arbeiterjugend.

Wenn aber die Arbeiterjugend nur ein Teil der Arbeiterklasse ist, warum dann überhaupt ein eigener Jugendverband? Weil die Jugend der Arbeiterklasse zwar grundsätzlich keine anderen Interessen hat als die Arbeiterklasse, aber trotzdem eine eigene Lebenslage, eigene Bedürfnisse, ihren eigenen Zugang zur Politik usw. Jugendliche sind oft mit besonderem Feuer bei der Sache und eher bereit, ihr Leben auf den Kampf auszurichten, als es die meisten Erwachsenen sind. Sie sind auch oft von besonders scharfen Ausbeutungsbedingungen betroffen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für die kommunistische Partei, der Arbeit unter den Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Viele, aber nicht alle Kommunistischen Parteien, haben zu diesem Zweck einen kommunistischen Jugendverband geschaffen. Der Beitritt zum Jugendverband hat in der Regel nicht dieselben hohen Voraussetzungen wie die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei, allerdings ist natürlich auch hier notwendig, dass die Mitglieder der Jugendorganisation sich mit dem Kampf für den Kommunismus identifizieren. Der kommunistische Jugendverband ist also keine Massenorganisation. Ob die Gründung eines solchen Jugendverbandes immer notwendig und hilfreich ist, müsste im konkreten Fall diskutiert werden, daher wollen wir es an dieser Stelle offen lassen..

7.1.5 Historische Auseinandersetzungen zur Organisationsfrage

Die Frage, wie sich die Revolutionäre organisieren müssen, ist eine sehr politische Frage, die daher auch seit den Anfängen der Arbeiterbewegung umstritten ist. Die grundlegenden Organisationsprinzipien und Charakteristika der Kommunistischen Partei wurden bereits von Marx und Engels formuliert. So erklären sie bereits 1848 den Charakter der Kommunistischen Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse: „Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus“ (Marx/Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474). Der von Marx und Engels mitgegründete Bund der Kommunisten, für den sie das Kommunistische Manifest schrieben, war im Kern bereits nach dem Demokratischen Zentralismus organisiert: In ihm organisierten sich nur die bewusstesten und diszipliniertesten revolutionären Arbeiter. Es galt die Pflicht zur Einhaltung von Beschlüssen, wobei das höchste Gremium der Organisation wie bei den späteren Kommunistischen Parteien der Kongress war und es zwischen den Kongressen eine zentrale Leitung gab.

Lenin hat die Prinzipien des Demokratischen Zentralismus also nicht einfach „erfunden“, sondern eher übernommen, verteidigt, theoretisch ausgearbeitet und weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung fand innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), der damaligen sozialistischen Partei der russischen Arbeiterklasse, als innerparteiliche Auseinandersetzung statt. Im gesamten russischen Zarenreich hatten sich durch den Aufschwung der Arbeiterbewegung in Europa und die steigende Popularität des Marxismus eigenständige Zirkel von Sozialisten gebildet, die es nun zu einer einheitlichen Organisationsstruktur zusammenzuführen galt. Dabei gingen jedoch innerhalb der Bewegung die Vorstellungen darüber, wie eine solche Partei organisiert sein sollte, weit auseinander. Die Menschewiki um Pawel Axelrod vertraten die Position, dass jeder, der der Partei hilft und sich ihr zurechnet, auch als Mitglied der Partei zählen solle. Lenin beschreibt die Haltung der Menschewiki zur Organisationsfrage als „Eintreten für eine verschwommene, nicht fest gefügte Parteiorganisation; ihre Abneigung gegen den Gedanken (…) des Aufbaus der Partei von oben nach unten, ausgehend vom Parteitag und den von ihm geschaffenen Körperschaften; ihr Bestreben, von unten nach oben zu gehen und es jedem Professor, jedem Gymnasiasten und ‚jedem Streikenden‘ selbst zu überlassen, ob er sich als Parteimitglied betrachten will; ihre Feindseligkeit gegen den ‚Formalismus‘, der vom Parteimitglied die Zugehörigkeit zu einer von der Partei anerkannten Organisation verlangt“ (Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, MEW 7, S. 200f).

Lenin legte in seiner Schrift „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ (MEW 7) dar, dass nur bewusste Revolutionäre in der Partei organisiert werden sollten. Voraussetzung für die Mitgliedschaft müsse sein, dass man in einer Parteiorganisation (also z.B. einer Betriebszelle der Partei) aktiv ist. Gerade durch starke, disziplinierte und schlagkräftige Parteiorganisationen werde es möglich sein, auf breite Massen der Arbeiterklasse Einfluss zu nehmen und die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu fördern.

Die unterschiedlichen Vorstellungen kamen vor allem auf dem zweiten Parteitag der SDAPR im Jahr 1903 zum Vorschein. Lenin und seine Genossen kämpften darum, die SDAPR in eine feste Organisation mit straffer Disziplin zu verwandeln, während andere Kräfte die Partei weiterhin als lose Struktur von Zirkeln ohne klare Beschlussdisziplin und Rechenschaft erhalten wollten. Dadurch kam es zur faktischen Spaltung der Partei, wobei die Gruppe um Lenin die Mehrheit stellte. Während beide Flügel formell weiterhin in derselben Partei blieben, war die Partei nun in die Bolschewiki („Mehrheitler“) und Menschewiki („Minderheitler“) gespalten. Dass sich die bolschewistische Linie durchsetzen konnte, war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass 1914 ein Großteil der russischen Arbeiterbewegung die Position gegen den imperialistischen Ersten Weltkrieg aufrechterhielt und dass 1917 die Arbeiterklasse ihren Kampf erfolgreich auf die Machteroberung orientieren konnte.

Die Oktoberrevolution 1917 zeigte schließlich auch die Gültigkeit der von Lenin aufgestellten Organisationsprinzipien als korrekte Grundlage für die Arbeit einer revolutionären Partei. Es zeigte sich in den folgenden Jahren, dass es auch nach der Machteroberung erforderlich ist, dass die Partei einheitlich handelt und keine Fraktionsbildung in den eigenen Reihen toleriert. 1921 beschloss die Partei daher auf ihrem zehnten Parteitag, dass die Bildung von Gruppen und Plattformen in der Partei unzulässig sei. Stattdessen müssten politische Fragen und Kritik an der Arbeit der Partei immer mit allen Parteimitgliedern diskutiert werden. Leo Trotzki unterstützte 1921 diesen Beschluss. Später stellte dieser jedoch ein Problem für seine Ziele im innerparteilichen Kampf gegen die Mehrheit der Parteiführung dar. Trotzki organisierte mehrfach organisierte Fraktionen innerhalb der Partei, um gegen die Linie der Parteiführung anzukämpfen. Er rechtfertigte dies damit, der Beschluss sei angeblich nur „vorübergehend“ gemeint gewesen. Tatsächlich deutet jedoch nichts auf eine solche Interpretation hin, vielmehr handelt es sich beim Fraktionsverbot, wie oben ausgeführt wurde, um eine wichtige Weiterentwicklung des Demokratischen Zentralismus, die zu einer Stärkung der innerparteilichen Demokratie und Transparenz führt und daher heute in allen marxistisch-leninistischen Parteien angewandt wird.

1925 wurde in der Kommunistischen Internationale die Bolschewisierung aller nationalen Sektionen, also der Kommunistischen Parteien beschlossen. In einer Resolution des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) vom 4. April 1925 heißt es dazu: „Die Haupt- und Grundform der Organisation jeder bolschewistischen Partei ist die Parteizelle im Betriebe. Das alte, von der Sozialdemokratie übernommene Organisationsprinzip, nach dem die Partei auf der Grundlage der Wahlkreise in Rücksicht auf die Bedürfnisse der Parlamentswahlen aufgebaut wird, ist für die Kommunisten unannehmbar. Eine echte bolschewistische Partei ist unmöglich, wenn die Organisation in ihrer Grundlage nicht auf den Betriebszellen beruht.“ (EKKI 1925). Bolschewisierung bedeutete auch, die Kommunistischen Parteien nach dem Demokratischen Zentralismus zu organisieren, also freie Diskussion, Kritik und Selbstkritik, strenge Beschlussdisziplin und Rechenschaftspflicht für alle Organe der Partei einzuführen. Sie bedeutete, dass die Kommunistischen Parteien die Herausbildung von proletarischen Kadern zur zentralen Aufgabe des Parteiaufbaus machten. Sie bedeutete, dass überall die Arbeit in den Gewerkschaften, auch den reaktionärsten unter ihnen, sowie andere Formen der Massenarbeit entwickelt werden.

In der KPD wurde die Bolschewisierung unter der Führung Ernst Thälmanns vorangetrieben. Den Sieg des Faschismus über die Arbeiterbewegung 1933 konnte die KPD trotzdem nicht verhindern. Die Gründe dafür müssen analysiert werden, wobei auch die Niederlagenanalyse der Komintern selbst in den folgenden Jahren zu berücksichtigen ist. Bereits 1932 hatte das EKKI festgestellt, dass viele Kommunistische Parteien, darunter insbesondere auch die KPD, nur eine oberflächliche Bolschewisierung durchlaufen hatten und vielfach noch Organisationspraktiken der alten Sozialdemokratie anwandten, was sie daran hinderte, sich in den Betrieben und der Arbeiterklasse zu verankern, die Mitglieder der Partei weltanschaulich zu festigen und die Partei vor Repressionen zu schützen (Pjatnizki 1932).

Arbeitsfragen:

  • Worin bestehen die Prinzipien des Demokratischen Zentralismus?
  • Was bedeutet es, dass die Kommunistische Partei eine Kaderpartei ist? Warum kann sie nicht wie eine Massenorganisation funktionieren?

Diskussionsfragen:

  • Die Kommunistische Partei will die Vorhut der Arbeiterklasse sein. Bedeutet das nicht eine Bevormundung der Arbeiterklasse?
  • Ist der Demokratische Zentralismus wirklich das einzig denkbare Organisationsprinzip für eine revolutionäre Arbeiterpartei?

7.2 Verhältnis zwischen Partei und Arbeiterklasse

Die kommunistische Partei ist, wie schon dargestellt wurde, die Partei der Arbeiterklasse. Aber was bedeutet das genau? Es bedeutet erstens, dass ihre Weltanschauung die der Arbeiterklasse ist, der Marxismus-Leninismus. Es bedeutet zweitens, dass Programm darin besteht, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten, die Herrschaft der Arbeiterklasse zu errichten und den Sozialismus aufzubauen. Drittens bedeutet es, dass die KP ihre Praxis darauf ausrichten muss, vor allem die Arbeiterklasse zu organisieren, sowohl in selbstorganisierten Massenorganisationen, als auch in der kommunistischen Partei.

Es bedeutet andrerseits aber nicht, dass die KP nur aus Arbeitern besteht. Natürlich können auch Personen aus anderen Schichten und Klassen Mitglieder der Partei werden, wenn sie den Kampf der Arbeiterklasse unterstützen. Die KP muss danach streben, sich auch in dem Sinne zu einer Arbeiterpartei zu entwickeln, dass die Arbeiterklasse unter den Mitgliedern sowie in der Führung in der Mehrheit ist, indem die Partei den Schwerpunkt ihrer Arbeit und Mitgliedergewinnung auf die Arbeiterklasse legt.

Diese Schwerpunktsetzung der Praxis ist von entscheidender Bedeutung. Die KP fokussiert ihre Kräfte auf die Arbeit mit den Massen der Arbeiter, nicht z.B. auf Studenten, linke Intellektuelle mit kleinbürgerlichem Hintergrund oder auf eine subkulturelle „Szene“. Das gesamte Handeln der Partei, ihr Organisationsaufbau, ihre Veröffentlichungen, ihre Kaderentwicklung, selbst ihre ideologische Arbeit und Bildungsarbeit sind auf das Ziel ausgerichtet, die Arbeiterklasse für den Klassenkampf zu organisieren und die kommunistische Weltanschauung in ihr zu verbreiten.

Als Kaderpartei ist die KP an sich keine Massenpartei – jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie danach strebt, niedrigschwellig möglichst viele Mitglieder aufzunehmen. Das bedeutet auf der anderen Seite nicht, dass eine KP nicht trotzdem viele Mitglieder haben kann. Der Weg zur Stärke führt aber nicht über die Mitgliedergewinnung um jeden Preis, sondern über die Verbesserung der Qualität ihrer Agitation und Propaganda, die bessere Organisierung, die Entwicklung wirklicher proletarischer Führungspersonen für den Klassenkampf.

7.2.1 Partei und Massenorganisationen

Wie kann die KP trotzdem der Aufgabe gerecht werden, wirklich breite Massen zu erreichen und zu organisieren, wenn sie gar nicht als Massenorganisation ausgelegt ist?

Die Antwort liegt in der scharfen Unterscheidung zwischen der revolutionären Organisation der Kommunisten einerseits und den Massenorganisationen andrerseits. Während sich in der Kommunistischen Partei nur diejenigen organisieren, die im vollen Umfang vom Kommunismus überzeugt sind und für dieses Ziel kämpfen, hat eine Massenorganisation einen ganz anderen Charakter. Massenorganisationen rekrutieren sich auf viel breiterer Grundlage aus dem Volk. Die wichtigste Form der Massenorganisation ist die Gewerkschaft. In einer Gewerkschaft organisieren sich alle Arbeiter, die für ihre Interessen und die ihrer Klasse kämpfen. Dazu gehört der Kampf für einen höheren Lohn, für Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich, bessere Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz usw. Die Kommunisten haben aber auch die Aufgabe, diesen Kampf zu politisieren, doch dazu später mehr. Die Übereinstimmung mit einer bestimmten Weltanschauung ist dabei kein Kriterium und sollte es auch nicht sein. Wir kämpfen in diesem Sinne für Gewerkschaften, die die Arbeiter möglichst vieler Branchen und Betriebe, aber auch aller weltanschaulichen und politischen Richtungen vereinen. Diese bieten meistens die besten Voraussetzungen für die Arbeiterklasse, um geschlossen für das Interesse der gesamten Klasse zu kämpfen, das alle Arbeiter gemein haben und die notwendige Schlagkraft entwickeln, um das Kapital wirklich zu Zugeständnissen zu zwingen.

Die Kommunisten dürfen sich nicht davor fürchten, in denselben Gewerkschaften zu wirken, in denen auch ihre politischen Gegner aktiv sind und in denen die meisten Arbeiter den Parteien des Systems folgen. Den Einfluss dieser Kräfte müssen die Kommunisten und andere klassenkämpferische Arbeiter zurückdrängen, aber nur indem sie innerhalb der Gewerkschaften ihre schmutzige, arbeiterfeindliche Rolle entlarven und die Anhängerschaft dieser Parteien für den gemeinsamen Kampf gewinnen.

In den Gewerkschaften haben die Kommunisten also eine doppelte Aufgabe: Auf der einen Seite kämpfen sie für die Einheit der Klasse im Klassenkampf und gegen jede Spaltung an. Auf der anderen Seite müssen sie aber auch gegen die bürgerlichen und opportunistischen Gewerkschaftsführungen kämpfen, die sich zwangsläufig immer wieder gegen die Interessen der Arbeiter wenden und die Zusammenarbeit mit dem Kapital dem konsequenten Arbeitskampf vorziehen werden. Beide Aufgaben hängen eng miteinander zusammen: Denn der Opportunismus und die Kollaboration der Gewerkschaftsführungen verschärfen in der Praxis in vielen Fällen die Spaltung der Arbeiterklasse, z.B. indem die Kommunisten aktiv ausgegrenzt wurden oder indem „Kompromisse“ geschlossen werden, die die Spaltung zwischen prekär angestellten Arbeitern im Niedriglohnsektor und den besser bezahlten Teilen der Klasse vertiefen. Umgekehrt können sich diese Funktionäre darauf stützen, dass es eine Arbeiteraristokratie gibt, die eher versucht, ihre besonderen Interessen gegenüber den stärker benachteiligten Arbeitern zu verteidigen, als Seite an Seite mit ihnen für Verbesserungen für die ganze Klasse zu kämpfen. Denn die vermeintlichen Sonderinteressen dieser Schicht der Arbeiterklasse vertreten die Gewerkschaftsführungen und werden daher von ihnen unterstützt. In Wirklichkeit hätten aber auch die bessergestellten Arbeiter letztlich viel mehr durch eine konsequent kämpferische Arbeiterbewegung zu gewinnen als durch das kurzsichtige Beharren auf Vorteilen, die sich aus ihrer relativen Besserstellung ergeben.

Gewerkschaften sind natürlich nicht die einzige Form der proletarischen Massenorganisation. Sie sind die wichtigste, weil sie die Arbeiter im Arbeitsprozess selbst organisieren und es ermöglichen, die Klasse in den Streik zu führen, also die kapitalistische Akkumulation zum Schaden des Kapitals zu unterbrechen. Deshalb spielt die Organisierung der Arbeiterklasse in den Betrieben auch in der Revolution eine entscheidende Rolle.

Gleichzeitig muss die Kommunistische Partei aber auch die Selbstorganisierung der Arbeiterklasse und der Volksmassen in anderen Bereichen vorantreiben, wie im Wohnviertel, über Sport und Kultur, in Schulen und Universitäten usw. Die verschiedenen Formen der Massenorganisierung müssen darauf ausgerichtet sein, möglichst viele Menschen zu aktivieren und in den Kampf für ihre Interessen zu führen. Ihre Grundlage muss die Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten sein.

7.2.2 Die Rolle der Kommunisten in den Massenorganisationen

Die Kommunisten müssen in den verschiedenen Massenorganisationen aktiv sein, ebenso wie sie es in den Gewerkschaften sind. Sie müssen darum kämpfen, eine Führungsrolle in den Kämpfen zu spielen und damit wirklich zur Avantgarde der Arbeiterklasse zu werden. Avantgarde sein bedeutet aber nicht, sich zur Führung zu deklarieren und den Massen nur noch Parteitagsbeschlüsse und die Lehrsätze des Marxismus vorzutragen. Die Rolle als Führung der Klasse können die Kommunisten sich nur verdienen, indem sie in allen Kämpfen die erste Reihe stellen, indem sie am konsequentesten, am aktivsten, am vorbildlichsten, am bewusstesten im Sinne der ganzen Klasse den Kampf führen.

Das strategische Ziel der Kommunisten besteht dabei erstens darin, die verschiedenen Kämpfe der Arbeiterklasse und der Massen zusammenzuführen, sodass diese sich nicht mehr isoliert nebeneinander abspielen, sondern zusammenfließen, sich gegenseitig unterstützen und inspirieren und gegen den gleichen Feind richten. Darin ist bereits enthalten, dass das strategische Ziel zweitens darin besteht, dass alle Kämpfe auf einer antikapitalistischen und antiimperialistischen Grundlage geführt werden, also mit dem letztendlichen Ziel, den Kapitalismus und Imperialismus auf den Abfallhaufen der Geschichte zu befördern.

Widerspricht dieses Ziel nicht dem Charakter der Massenorganisationen als Anlaufstelle für breite Massen der Klasse, über politische Lager hinweg? In der Tat gibt es hier ein Spannungsverhältnis, das aber zwangsläufig existiert und vor dem die Kommunisten nicht zurückschrecken dürfen. Diese Spannung geht unvermeidbar aus der großen Aufgabe des Klassenkampfes hervor, die Mehrheit der Arbeiterklasse, die noch nicht der sozialistisch-kommunistischen Idee folgt, gerade für diese Idee zu gewinnen. Es gibt keine andere Möglichkeit, diese Aufgabe zu erfüllen, als für die Einheit der Arbeiterklasse zu kämpfen und gleichzeitig für die Radikalisierung dieses Kampfes zu kämpfen, damit er sich gegen den wirklichen Gegner der Arbeiterklasse richtet. In der Praxis besteht die Herausforderung für die Kommunisten darin, einerseits konsequent die Klasseninteressen in den Vordergrund zu stellen, aber andrerseits auch in seinen Parolen, Forderungen und Aktionsformen dem Bewusstseinsstand der Klasse nicht zu weit vorauszueilen und sich damit zu isolieren. Natürlich wäre es z.B. falsch, wenn ein Kommunist sich in einem Betrieb ohne Kampferfahrung und ohne gewerkschaftliche Organisierung vor die Arbeiter stellt und eine flammende Rede für die Revolution hält. Genauso ist es aber falsch, die Massen in ihrem Kampfgeist zu bremsen und dazu zu bringen, sich mit dem einen oder anderen Zugeständnis zufriedenzugeben, wenn sie eigentlich bereit wären, in den unbefristeten Streik zu treten.

Der Kampf der Kommunisten für eine antikapitalistische Ausrichtung der Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen bedeutet auch, dass die Gewerkschaften und die Volksbewegung keine „neutrale“ Haltung gegenüber eindeutig politischen Fragen wie der Frage der Regierung und der Staatsmacht einnehmen darf. Diese opportunistische Auffassung wird in der Regel von der Sozialdemokratie propagiert. Was die sozialdemokratischen Führungen damit jedoch erreichen wollen, ist in Wirklichkeit gar keine politische Neutralität der Massenorganisationen, zumal es eine solche gar nicht geben kann. Ihr Ziel ist es, zu verhindern, dass die organisierte Arbeiterklasse das kapitalistische System als Ganzes infrage stellt. Sie soll sich mit kleineren Verbesserungen oder auch nur dem Versprechen solcher Verbesserungen zufriedengeben und bei den nächsten Wahlen ihr Kreuzchen weiterhin bei der sozialdemokratischen Partei machen. Damit ist die Forderung, dass die Gewerkschaften sich aus politischen Fragen „heraushalten“ sollen nichts anderes als die indirekte Position, dass die Bewegung eine Stütze des Kapitalismus sein soll. Die politische „Neutralität“ der Arbeiterbewegung ist nichts anderes als der Standpunkt der Klassenkollaboration. Die Kommunisten wissen dagegen, dass der Kampf um die unmittelbaren Probleme der Arbeiter nicht vom Kampf um die Macht trennbar ist, sondern beide miteinander verbunden sind. Nur wenn die Bewegung bereit ist, mit dem Kapital und seinem System vollständig zu brechen, nur dann kann sie auch schon jetzt konsequent, ohne Rücksicht auf das Wohlergehen „des Betriebs“ oder „des Wirtschaftsstandorts“ die Interessen der Arbeiter verteidigen.

7.2.3 Die Notwendigkeit der Kommunistischen Partei im alltäglichen Klassenkampf

Für jede Situation im Klassenkampf die richtige Einschätzung zu treffen und die richtigen Antworten darauf zu finden, ist eine Aufgabe, die für jedes Individuum zu groß ist. Nur ein Kollektiv mit einer funktionierenden Diskussionskultur, in dem die verschiedenen Seiten und Aspekte jeder Angelegenheit beachtet und abgewogen werden können, bevor eine Entscheidung getroffen wird, kann garantieren, dass in den meisten Fällen das bestmögliche Vorgehen gewählt wird. Besonders im gewerkschaftlichen und betrieblichen Kampf, wo die Konfrontation mit dem Klassenfeind unmittelbarer stattfindet als in anderen Formen der Massenarbeit, ist ein solches Kollektiv als Stütze unvermeidbar. Ein isolierter Einzelkämpfer kann zwar mit den besten Absichten antreten, wird aber auf lange Sicht den verschiedenen Instrumenten des Gegners, den Versuchen zur Einbindung oder zur Erpressung, Einschüchterung und Unterdrückung nicht widerstehen können.

All das zeigt, warum die Kommunistische Partei ein unverzichtbares Instrument der Arbeiterklasse im Klassenkampf ist. Sie kann nicht durch Massenorganisationen ersetzt werden. Im Gegensatz ist die Vorstellung, durch revolutionäre Gewerkschaften die Revolution machen zu können, wie sie von der anarcho-syndikalistischen Richtung vertreten wird, eine grundlegende strategische Fehlorientierung. Sie vermischt die notwendige organisatorische Trennung von Revolutionären einerseits und breiten Massen andrerseits, wodurch sie weder die Entwicklung der revolutionären Theorie und politischen Programmatik, noch die Organisierung der breiten Massen richtig bewerkstelligen kann. Gibt es keine KP, wie es heute faktisch in vielen Ländern der Fall ist, ist es auch unmöglich, dass die einzelnen Kämpfe der Arbeiterklasse sich zu einem wirklichen Klassenkampf um die Machtübernahme weiterentwickeln.

Um verständlich zu machen, warum die Kommunistische Partei als Avantgardepartei zwingend erforderlich ist, muss ein weiteres Mal hervorgehoben werden, dass revolutionäres Klassenbewusstsein oder gar kommunistisches Bewusstsein nicht von selbst entstehen. Lenin schreibt über das revolutionäre Bewusstsein: „Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden. Die Geschichte aller Länder zeugt davon, daß die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft nur ein trade-unionistisches Bewußtsein hervorzubringen vermag, d. h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze abzutrotzen u. a. m.“ (Lenin: Was tun?, LW 5, S. 385f). Es ist also möglich, dass die Arbeiter spontan, also von sich aus verstehen, dass sie sich gewerkschaftlich organisieren müssen und ihre Lage sich nur durch den Kampf verbessert. Es ist aber nicht möglich, dass sie von sich aus die gesamte revolutionäre Theorie des Wissenschaftlichen Sozialismus verstehen und dass nur eine Revolution unter Führung der KP ihre Lage grundlegend verbessern kann. Diese Erkenntnis muss „von außen“ in die Klasse hineingetragen werden. Dieses „von außen“ darf man natürlich nicht falsch verstehen: Die Kommunisten sind ja auch Teil der Arbeiterklasse oder haben sich ihrem Kampf verschrieben und sind daher Teil der Kämpfe der Klasse. Aber trotzdem ist die KP nicht mit der Arbeiterklasse identisch. Sie steht für einen höher entwickelten Bewusstseinsstand und versucht, dieses Bewusstsein in der Klasse zu verbreiten.

7.2.4 Agitation und Propaganda

Die Kommunisten fördern die Entwicklung des Klassenbewusstseins und die Mobilisierung der Klasse im Klassenkampf durch die Mittel der Agitation und der Propaganda. Die kommunistische Propaganda verfolgt das Ziel, umfassende Aussagen des Wissenschaftlichen Sozialismus zu vermitteln. Es geht bei der Propaganda nicht vorrangig darum, möglichst breite Massen aufzurütteln, sondern um die korrekte Vermittlung gesellschaftlicher und politischer Zusammenhänge. So schreibt Lenin, „daß der Propagandist zum Beispiel bei der Behandlung der Frage der Arbeitslosigkeit die kapitalistische Natur der Krisen erklären, die Ursache ihrer Unvermeidlichkeit in der modernen Gesellschaft aufzeigen, die Notwendigkeit der Umwandlung dieser Gesellschaft in eine sozialistische darlegen muß usw. Mit einem Wort, er muß „viele Ideen” vermitteln, so viele, daß sich nur (verhältnismäßig) wenige Personen alle diese Ideen in ihrer Gesamtheit sofort zu eigen machen werden. Der Agitator hingegen, der über die gleiche Frage spricht, wird das allen seinen Hörern bekannteste und krasseste Beispiel herausgreifen — z. B. den Hungertod einer arbeitslosen Familie, die Zunahme der Bettelei usw. — und wird alle seine Bemühungen darauf richten, auf Grund dieser allen bekannten Tatsache der „Masse” eine Idee zu vermitteln: die Idee von der Sinnlosigkeit des Widerspruchs zwischen der Zunahme des Reichtums und der Zunahme des Elends, er wird bemüht sein, in der Masse Unzufriedenheit und Empörung über diese schreiende Ungerechtigkeit zu wecken, während er die restlose Erklärung des Ursprungs dieses Widerspruchs dem Propagandisten überlassen wird.“ (ebenda, S. 423). Die Agitation dient also im Gegensatz zur Propaganda nicht dazu, für alles perfekte und tiefgehende Erklärungen zu bieten, sondern ihr geht es darum, die Massen zu erreichen, sie emotional mitzunehmen und für den Kampf zu gewinnen. In der Praxis sind Agitation und Propaganda aber auch nicht mechanisch voneinander getrennt und können manchmal fließend ineinander übergehen.

7.2.5 Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen

Schlechte Lebensbedingungen und auch eine Verschlechterung für die Arbeiterklasse, eine Verschärfung ihrer Probleme führen also keineswegs automatisch zur Entstehung von Klassenbewusstsein. Kommunisten sollten daher nicht enttäuscht sein, wenn in einer Krise die Empörung der Massen über die schlimmen Lebensbedingungen und die volksfeindliche Politik der Herrschenden sich nicht in Unterstützung für die Kommunistische Partei und den Sozialismus übersetzt.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass unter kapitalistischen Bedingungen das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen fast immer ungünstig für die Arbeiterklasse ist. Gerade darin besteht die Stabilität der Herrschaft des Kapitals und seines Staates. Dieses ungünstige Kräfteverhältnis äußert sich auch darin, dass die KP trotz gewaltiger Anstrengungen, obwohl sie bereits eine führende Rolle in den entscheidenden Kämpfen spielt und von großen Teilen der Arbeiterklasse als Avantgarde akzeptiert wird, trotzdem einen vergleichsweise geringen Einfluss ausübt und nur von einer Minderheit offen unterstützt wird. Denn es ist ein großer Schritt für die meisten Arbeiter, sich offen zum Kommunismus oder auch nur der Unterstützung der Kommunistischen Partei zu bekennen. Die Entwicklung des Klassenbewusstseins ist eben nicht nur vom ökonomischen Elend bestimmt, sondern von viel mehr Faktoren, wie kulturellen Aspekten, familiären Einflüssen, besonderen Erfahrungen usw.

Nur in einer revolutionären Situation, in der die Herrschaft der Bourgeoisie bereits entscheidend geschwächt ist und daher die revolutionäre Machtübernahme möglich wird, nur in dieser Situation ist das Kräfteverhältnis nicht mehr eindeutig zugunsten der herrschenden Klasse, aber auch noch nicht klar zugunsten der Arbeiterklasse. Die KP muss sich und möglichst breite Teile der Klasse auf diese Situation vorbereiten. Ein Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse kann es im Kapitalismus überhaupt nicht geben, sondern erst nachdem der bürgerliche Staat gestürzt und die Produktionsmittel vergesellschaftet wurden. Erst dann hat die Arbeiterklasse die Mittel in der Hand, um ihre Herrschaft mit allen notwendigen Mitteln abzusichern und zu verteidigen.

Arbeitsfragen:

  • Was ist damit gemeint, dass die KP eine Arbeiterpartei ist? Was ist damit nicht gemeint?
  • Was sind die Aufgaben der Kommunisten in den Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen?
  • Was ist nach Lenin der Unterschied zwischen Agitation und Propaganda?

Diskussionsfragen:

  • Ist es richtig, dass es die Aufgabe der Kommunisten ist, gewerkschaftliche Kämpfe zu politisieren? Kann das nicht dazu führen, dass man sich von den Massen entfernt, weil diese die Verbindung von Lohnfragen zu politischen Fragen noch nicht erkennen können?
  • Sollten die Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen Organe der Kommunistischen Partei sein, oder von dieser unabhängig? Was wären jeweils die Vor- und Nachteile?