Massenarbeit in der Arbeiterklasse statt unter den Kleinbürgern

Beitrag zur Diskussion um den Leitantrag – keine Positionierung der Kommunistischen Organisation (siehe Beschreibung der Diskussionstribüne)

Ein Gastbeitrag von Oskar Kirsch

Liebe Genossen und Genossinnen,

ich verfolge angeregt eure Debatten und schaffe es nun mal endlich mich tagesaktuell einzumischen. Da mich bisher alle Beiträge vom Genossen Thanasis begeistert haben, will ich mit dieser Kritik an dem ersten Beitrag, in dem er sich meiner Einschätzung nach durchweg irrt, etwas – auch im Angesicht des insgesamt schon vielen durch die KO von mir Gelernten – erwidern: Dass Genosse Lennys Beitrag, in dem er die Arbeit in politischen Bewegungen kritisiert, wie Thanasis sagt, „übers Ziel hinausschießt“, ist richtig, aber nicht so wie Thanasis es begründet. Lenny hat nur die Kritik an politischen Bewegungen nicht scharf genug geführt und dafür auch nicht hinreichend ausgeführt, was stattdessen zwingende Handlungserfordernisse einer kommunistischen Organisation in der Massenarbeit sind. An letzterem krankt es auch bei Lip und Fiona. Deshalb will ich das nun an dieser Stelle und mit Bezug auf Thanasis Auffassungen tun. Unbenommen ist erstmal, dass, wie Thanasis ausführt, Klassenbewusstsein sich auf unterschiedlichen Wegen herausbildet, aber gleichzeitig Thanasis selbst ansprach, dass in politischen Bewegungen die Mehrheit kleinbürgerlich handelnde Menschen (Kleinbürger) sind. Ich würde sogar behaupten, es ist die sehr große Mehrheit. Das politische Problem mit den Kleinbürgern ist ja, dass sie sich IMMER der stärkeren der beiden den Kapitalismus bildenden Klassen anschließen: Bourgeoisie oder Proletariat. Da zurzeit die Bourgeoisie(n) international hervorragend vernetzt sind und die meisten Staaten ihr eigen nennen und mit diesen gleichzeitig die nationalen Arbeiterklassen unterdrücken, sind die Kleinbürger notwendigerweise auf ihrer Seite. Das heißt, da jede dieser genannten Bewegungen (Friedensbewegung, Umweltbewegung/Anti-Atomkraftbewegung/Fridays for Future, etc. – die bürgerliche Frauenbewegung, die antirassistische Bewegung und die Flüchtlingssolidarität wären hier wohl mindestens noch zu nennen) eine von Kleinbürgern dominierte Gruppierung ist, dienen sie in letzter Instanz der Stabilisierung des Kapitalismus und der in ihm herrschenden Klasse der Bourgeoisie. Wie findet das konkret statt?

Ich will es exemplarisch anhand der Friedensbewegung erläutern. Selbiges ließe sich aber in den anderen Bewegungen auch nachweisen und muss von der kommunistischen Wissenschaft geleistet werden: Ursprünglich von der sozialistischen Internationale vor 1914 gegen den Ersten Weltkrieg „gegründet“, war sie dort keine eigenständige Organisation. Ebenso wenig bei den Protesten der kommunistischen Internationale und ihrer Vorgänger seit dem Zimmerwalder Manifest bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Politik gegen den Krieg wurde dort ausnahmslos von den sozialistischen/kommunistischen Parteien selbst gemacht, und zwar als Teil der Arbeiterklasse in den Betrieben (Streiks und Sabotage) sowie auf der Straße (Demos und Kundgebungen). Die erste bürgerliche Organisation, die man als erste politische Bewegung in diesem Sinne als Friedensbewegung bezeichnen kann, war die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) von 1892 – gegründet von Adels- (Bertha von Suttner) und Bürgersprößlingen (Ludwig Quidde), die mehrheitlich der deutschen Volkspartei nahe standen und damit in letzter Instanz Antisozialisten waren. Der letzte Vorsitzende vor dem Zweiten Weltkrieg (1929-1933) war der Adelsoffizier Paul von Schoenaich, der als Mitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold den zunehmenden Einfluss der SPD in der DFG repräsentierte. Über den Zustand der SPD 1929 muss ich wohl hier nicht allzu viel erzählen. Jedenfalls hatte es Gründe, dass die DFG in der sowjetisch besetzten Zone verboten wurde. In der BRD war die DFG nach 1945 ein Sammelbecken für allerlei Leute, die man später am ehesten zu den Grünen rechnen konnte und auch die Deutsche Friedensunion wurde nicht von Kommunisten konsequent geleitet, geschweige denn gegründet, selbst wenn ein großer Teil ihrer Finanzierung aus der DDR stammte. Nun könnte man sagen: Aber sie waren doch für den Frieden und Abrüstung so wie die Kommunisten auch, also haben sie doch auch „Widerstand gegen die Kriegspolitik des deutschen Imperialismus“ geleistet, was Thanasis als Grund anführt, sich in solchen Bewegungen zu engagieren. Wenn die Bewegungen das täten oder getan hätten, würde das stimmen, haben sie aber nicht und tun sie auch heute nicht. Die einzige Bewegung, die seit 1914 Widerstand gegen die Kriegspolitik des deutschen Imperialismus geleistet hat, ist die kommunistische und ihre unmittelbaren Vorgänger. Während die SPD- und Gewerkschaftsführungen schon 1914 für den Krieg getrommelt haben, hat ihre Mitgliedschaft das mehrheitlich akzeptiert, kein Aufstand, kein zum Teufel jagen der Kriegsbejubler, kein Generalstreik. Selbst Karl Liebknecht hat im August 1914 für die Kriegskredite gestimmt, auch wenn er danach daraus gelernt hat. Ab 1918 waren es mitunter dieselben SPD- und Gewerkschaftsführer, die das Bündnis mit den Hauptkriegstreibern suchten, um die Arbeiterklasse um die Errichtung ihrer Räterepublik zu bringen. Wo dort jeweils die bürgerlichen Friedensaktivisten standen, ist nicht immer klar gewesen, aber sicher niemals konsequent an der Seite der Kommunisten und der russischen Sowjetrepublik, wie es ein Großteil der Arbeiter tat. Das heißt, die hier skizzierte Friedensbewegung hat niemals den endgültigen Frieden der Völker gewollt, weil sie statt daran mitzuwirken, die Herrschaft der Arbeiterklasse – als unumstößlich notwendige Bedingung dafür – zu errichten, diese versucht hat, durch ihr Engagement zu verhindern. Der Kapitalismus vor dem Weltkrieg sollte wieder her (und die Bürger und rechten Sozialdemokraten haben ihn ja danach auch wieder zurückbekommen). Am liebsten auch mit weniger Feudalismus, mehr Freiheiten (für die Bürger und reicheren Arbeiter) und etwas mehr Bildung für den Pöbel – nicht so viel, dass er Revolution macht, aber so viel, dass er aufhört, gewalttätig zu sein und auch höher qualifizierte Aufgaben in seinem Ausbeuterbetrieb wahrnehmen kann. Dieselbe Entwicklung hat die Friedensbewegung in ihrer Mehrheit auch nach 1945 bis heute genommen. Der Protest richtete sich immer mehrheitlich gegen Krieg, womit immer auch die Rüstung der UdSSR gemeint war. Die Behauptung, die DKP hätte erfolgreich bewirkt, dass sich die Stoßrichtung der Friedensbewegung hauptsächlich gegen die NATO richtete, ist einerseits antimonopolistisch demokratischer Größenwahn und andererseits ein Verkennen der antikommunistischen Qualität einer Organisation, die mit den Antikommunisten in ihren Reihen nicht bricht. Das ist auch nichts anderes, als bei anderen Organisationen, die ein zu stark die Reproduktionsbedingungen der Ausgebeuteten schädigendes Phänomen des Kapitalismus reformieren wollen, um den Kapitalismus als Ganzes zu stabilisieren – ob sie sich nun Pazifisten, Antimilitaristen, Sozialdemokraten, Sozialisten oder in manchen kruden Fällen sogar Kommunisten nennen. Das ist kein Grund, diese Bewegungen als Erstes dafür öffentlich anzuprangern, vielleicht nicht mal als zweites, aber revolutionäre Kommunisten müssen um die Funktion dieser Bewegungen wissen, um nicht den gleichen Fehler zu machen, wie andere sicher vielfach wohlmeinende Kleinbürger und auch vereinzelte Arbeiter, die sich dort engagieren, aber mit ihrem Engagement das Gegenteil von dem bewirken, was sie meinen erreichen zu wollen – in diesem Fall Frieden.

Kurzum: Wer nicht für die Herrschaft der Arbeiterklasse ist, ist gegen sie und wer sie nur in Worten fordert, sie aber in Taten hintertreibt, arbeitet gegen sie – das hat die gesamte Geschichte der Arbeiterbewegung bewiesen. Dabei gab es sicher auch vereinzelt andere Gründe für Kommunisten sich in solchen Bewegungen zu engagieren (vor allem, wenn eigene kommunistische Organisationen verboten waren), aber wie Thanasis am VII. Weltkongress der Komintern nachwies: immer mit der Konsequenz der Aufgabe der Eigenständigkeit der kommunistischen Organisationen mit den entsprechenden dort ebenfalls diskutierten Folgewirkungen. Deshalb müssen Kommunisten sicher „an allen Problemstellungen und Themen ansetzen, an denen der Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung … sich aufzeigen und zuspitzen lässt“, aber eben in eigenständigen kommunistischen und in Massenorganisationen. Auch Thanasis Hinweis, dass es „immer ein bestimmtes Personenpotential, das zu konkreten politischen Fragen aktiv wird und sich anhand dieser Fragen politisiert“, gibt, führt in die Irre, da dieser Personenkreis im Verhältnis zu den Erreichten, der von ihm an gleicher Stelle benannten „klassischen Massenarbeit“, einerseits sehr gering und andererseits kleinbürgerlich dominiert ist. Der Appell, dort auch Angebote zu schaffen, kann sinnvoll werden, wenn es eine starke kommunistische Partei mit breiter Verankerung in den Betrieben und Gewerkschaften bereits gibt und man sich daran machen muss, den Kleinbürgern über persönliche Kontakte die Gelegenheit zu geben, zur richtigen Seite – der Seite des Proletariats – zu schwanken, aber diese Frage wird sich dann stellen, wenn es soweit ist und jetzt die wenigen Kräfte der um Klarheit bemühten kommunistischen Organisationen auf die Kleinbürger aufzuteilen, wird nur zum Effekt haben, dass die Kleinbürger, die sich allesamt aufgrund der genannten Schwäche des Proletariats fest an die Bourgeoisie klammern, diese Kräfte für lächerlich halten und sie aufsaugen.

Dagegen sind Massenorganisationen solche, in denen sich Arbeitermassen anhand ihrer Lebensinteressen zusammenschließen: Gewerkschaften für die Erhöhung der Löhne/Gehälter und bessere Lohnarbeitsbedingungen und Sportorganisationen für die Wiederherstellung und Erhaltung der Arbeitskraft. Die Konsumgenossenschaften haben sich ja aufgelöst, die Rätebewegung wurde zerschlagen und in Form von Stadt- und Betriebsräten in den kapitalistischen Staat integriert und Arbeiterkulturorganisationen haben es ohne einen Arbeiterstaat selten über eine regionale Bedeutung hinaus geschafft und existieren heute ebenso nicht mehr. Als interessantes Agitationsfeld wären sicher noch die Wohnungsgenossenschaften zu nennen, die meinem Eindruck nach bis heute wenig von Kommunisten erschlossen wurden. Was allerdings sonst eine Massenorganisation im Wohnviertel sein soll, erschließt sich mir beim besten Willen nicht. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Arbeiter bis heute so etwas nicht von selbst gegründet haben – und ein Stadtteilzentrum oder ein Kulturladen sind keine Massenorganisationen und in den meisten Fällen nicht einmal offiziell zu einer kommunistischen Organisation zugehörige Gebäude. Vereinzelt mag Sinn machen, erst ein Gebäude mit Kleinbürgern, Sozialdemokraten, o.Ä. zusammen zu erschließen, um überhaupt eigenständige Versammlungsmöglichkeiten zu haben, aber organisch suchen sich kommunistische Organisationen, die merken, dass sie Räume benötigen, erst dann entsprechende Gebäude. Eine Sonderform der Massenorganisation stellt sicherlich die antifaschistische Schutzorganisation dar. Diese ist in Zeiten faschistischer Straßenübernahme zu gründen und offen für nicht-kommunistische Kräfte zu gestalten, um dort Nah- und Fernkampf zur Selbstverteidigung und zur Verteidigung von Genossen, Familien und Freunden zu erlernen und dauerhaft eingeübt zu halten, da ein wesentlicher Bestandteil des aufsteigenden Faschismus in einer bürgerlichen Republik sein individueller Alltagsterror ist. Dann besteht in der Arbeiterschaft aber auch ein Bedürfnis danach – wenn dies nämlich nicht mehr der Fall ist, sieht man anhand der Roten Hilfe Deutschland, was aus solchen Organisationen unter kleinbürgerlichem Einfluss irgendwann wird. Insoweit trifft Thanasis Argument, dass die von ihm beschriebene Herangehensweise schon von der KPD angewandt wurde, nicht zu. Die Antifaschistische Aktion und der Rote Frontkämpferbund waren solche Schutzorganisationen und sie wurden von der KPD gegründet und jeder wusste das. Die Rote Hilfe war eine Sonderabteilung mit juristischem Schwerpunkt u.a. zur Verteidigung der Schutzorganisationen, initiiert aus der Sowjetunion und ebenfalls gegründet durch die KPD. Und welche bedeutenden Gruppen gegen „Kolonialismus und imperialistische Kriegspolitik“ die KPD dazu noch unterstützt haben soll, müsste Thanasis nochmal genauer ausführen.

Vor diesem Hintergrund ist aktuell der einzig lohnenswerte Ort der Hauptagitation und -propaganda und damit zwingendes Handlungserfordernis einer kommunistischen Organisation in der Massenarbeit: der Betrieb und die Gewerkschaft. Dazu kommt, weil man dort unzusammenhängende Massen erreicht, noch die Öffentlichkeit für Demonstrationen, Veranstaltungen und Publikationen zu Themen, die die Arbeiterklasse angehen (wozu Krieg, Hitzetod, Frauenverachtung und Nationalchauvinismus sicher dazu gehören und Publikationen kann man auch in den Nachbarbriefkästen – im berühmten „Wohnviertel“ –, aber auch in den ’sozialen‘ Medien verteilen). Sporttreibende sind selten so eng verbunden, dass sich dort engere Beziehungen herausbilden, deshalb lohnt es sich zwar ein kommunistisches Sporterziehungskonzept zu haben und wo es sich anbietet, Sportpartner als Genossen zu gewinnen, aber zum jetzigen Zeitpunkt kann das kein Hauptschwerpunkt einer kommunistischen Organisation sein. Normalerweise sollte ein/e KommunistIn erst einmal hinreichend fähig werden, sich selbst zu verteidigen, bevor solche Sportbildungsfragen relevant werden.

Was allerdings die genauen Schritte für Kommunisten im Betrieb und in der Gewerkschaft sind, dort Propaganda zu betreiben, Gruppen aufzubauen und zu agitieren, hat der Leitantrag leider nicht weitergehend präzisiert. Insoweit würde ich dem Genossen Stoodt an dieser einen Stelle zustimmen, dass der Leitantrag hätte inhaltlicher werden und darüber hinaus kleinteilige nächste Schritte in der Massenarbeit benennen müssen. Die Pluralität der bisherigen Praxis in der KO wird dazu beigetragen haben, den Leitantrag so allgemein zu halten. Das bringt auf der anderen Seite den Vorteil mit sich, die verschiedenen Praktiken über einen längeren Zeitraum beobachten, analysieren und auf ihre Tauglichkeit hin überprüfen zu können – was dann aber auch konsequent gemacht werden muss.

Zuletzt ist zur Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit noch zu sagen, dass man im besten Fall mit den Kollegen auf Demonstrationen und Veranstaltungen ist und dafür nicht zuallererst die Kleinbürger aus einer Bewegung gewinnen muss und Thanasis Argument, durch reine Betriebsarbeit würde man nicht auf der Straße erscheinen, würde nur dann zutreffen, wenn die Betriebsarbeit sozialdemokratisch-gewerkschaftlich auf die unmittelbaren Lohninteressen beschränkt stattfinden würde. Wünschenswert ist stattdessen, dass mir der Kollege zum Bruder und die Kollegin zur Schwester wird, die mit mir in der kommunistischen Bewegung kämpfen, meine Sorgen und Hoffnungen teilen und sich von dem überzeugen und begeistern lassen, was mich überzeugt und begeistert hat. In diesem Sinne: Klarheit und Einheit.

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