Die Corona-Pandemie geht mit schweren Einbußen für die Arbeiterklasse einher. Viele von Kurzarbeit Betroffene, aber auch kleine Selbständige und Erwerbslose stehen vor der Armut, anderen droht der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Laut einer ifo-Umfrage planen 18% der deutschen Firmen Stellen abzubauen oder befristete Verträge nicht zu verlängern [1]. Von März auf April ist die Zahl der Arbeitslosen mit über 300.000 Neumeldungen besonders stark gestiegen. Insgesamt liegt die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland damit nach offiziellen Angaben bei mehr als 2,6 Millionen. [2] Dass diese Zahlen schöngerechnet werden, ist lange bekannt. Die tatsächliche Zahl dürfte bei etwa 3,5 Millionen Erwerbslosen liegen [3].
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wieder in vollem Gange. Laut einer INSA-Umfrage [4] sprechen sich 51% der Deutschen für ein BGE aus. Eine Petition, welche die Einführung des BGE fordert, ist mit 176.134 Unterzeichnern „die erfolgreichste Online-Petition, die je an den Bundestag gerichtet wurde“ [5], [6]. Viele verbinden mit dem BGE die Hoffnung ihre Existenzängste und ihre Vereinzelung zu überwinden.
Was auf den ersten Blick wie ein Geschenk aussieht, entpuppt sich bei genauerem Blick als ein Instrument der Herrschenden zur Steigerung der Profite und zur Niederhaltung der Arbeiterklasse. Um zu verstehen wie dieses Instrument funktioniert, müssen wir einen Blick auf die kapitalistische Warenproduktion und das Lohnsystem werfen.
Ausbeutung, Lohn und Reproduktion
Die kapitalistische Warenproduktion basiert auf dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Arbeiter wollen möglichst viel Lohn und Freizeit, die Kapitalisten wollen möglichst hohe Profite. Der Arbeiter verkauft dem Kapitalisten seine Arbeitskraft und produziert für ihn Waren. Der Kapitalist zahlt dem Arbeiter einen Bruchteil vom Wert dieser Waren als Lohn aus und eignet sich den größten Teil, den Mehrwert, privat an. Aus diesem Mehrwert schöpft der Kapitalist den Profit. Der Lohn, der dem Arbeiter ausgezahlt wird, muss dabei mindestens für seine Reproduktionskosten reichen – das heißt, er muss sich davon Lebensmittel kaufen können, die er zur Erhaltung seiner Arbeitskraft benötigt. Damit dem Kapitalisten genug Arbeiter zur Verfügung stehen, müssen diese genug Lebensmittel haben, um selbst zu überleben, aber auch um ihre Kinder großzuziehen, damit neue Arbeiter nachkommen. Fällt der Lohn unter die Kosten für den Erhalt der Arbeitskraft, ist die Warenproduktion und damit der Profit der Kapitalisten nicht mehr sichergestellt.
Da die Löhne zum Teil unter dieser Grenze liegen, muss der Staat einspringen und die Löhne der Arbeiter subventionieren. Diesen Zweck erfüllen zum Beispiel das Kindergeld, oder das Aufstocken von niedrigen Einkommen durch das Jobcenter. Der Kapitalist kann den Arbeitern also einen geringeren Teil des Produzierten Wertes abgeben und so seinen Profit erhöhen. Finanziert wird das aus Steuergeldern, die zu einem bedeutenden Teil aus den Löhnen der Arbeiter gezahlt werden. Die Kapitalisten eignen sich durch diese Subvention aus Steuergeldern also indirekt einen Teil des Lohns der Arbeiter an.
Die Vertreter des BGE
Die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen ist nicht neu. In Deutschland entwickelte sie sich mit der Einführung der Hartz-Gesetze Mitte der 2000er Jahre. Befürworter des BGE finden sich von reaktionären Wirtschaftseliten bis ins kommunistische Spektrum. Auch wenn sich die vorgeschlagenen Modelle unterscheiden, bleibt die Grundidee dieselbe: Ein Pauschalbetrag für alle, ohne Bedürftigkeitsprüfung als elementarer Bestandteil sozialer Absicherung. Ob das BGE dabei als Ergänzung zur bestehenden Sozialversicherung oder als Ersatz dienen soll, wer es bekommen soll, wie hoch es angesetzt wird und aus welchen Mitteln das BGE finanziert werden soll, sind hierbei die wesentlichen Parameter zur Unterscheidung verschiedener Modelle.
Dabei steht fest, dass die Mittel für das BGE aus der Produktion von Waren durch menschliche Arbeit stammen müssen, da dies im Kapitalismus die einzige Möglichkeit ist Wert zu schaffen. Das BGE muss also entweder von den Löhnen der Arbeiter, oder aus den Profiten der Kapitalisten bezahlt werden.
Befürworter der Kapitalseite schlagen vor, das BGE über Höhere Steuern auf alltägliche Konsumgüter zu finanzieren. Zu ihnen gehören DM-Chef Götz Werner, aber auch Investoren großer Banken oder Hedgefonds-Manager. Sie setzen sich dafür ein, die Kosten des BGE aus den Löhnen und nicht aus den Profiten zu zahlen. Es geht also darum, ähnlich wie es beim Kindergeld der Fall ist, eine Lohnsubvention einzuführen, die von den Arbeitern selbst bezahlt wird. Wenn es nach den Modellen der Unternehmer geht, soll mit der Einführung des BGE außerdem der Sozialstaat eingestampft werden. Um eine Kranken- und Rentenversicherung müssten sich die Menschen dann privat kümmern.
Für Teile des Kapitals wäre das BGE also eine willkommene Maßnahme. Denn im Kapitalismus geht die Steigerung der Produktivkräfte immer mit einer Freisetzung menschlicher Arbeitskraft einher. Da aber Mehrwert nur aus menschlicher Arbeit gewonnen werden kann, sinken die Profite, wenn weniger menschliche Arbeit in die Produktion einfließt. Um die Profite stabil zu halten, müssen die Löhne gesenkt werden. Das BGE soll dafür sorgen, dass die Reproduktion der Arbeitskraft gewährleistet bleibt, während die Löhne immer weiter gesenkt werden.
Linke Befürworter argumentieren, ein BGE würde den Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, da unbezahlte Tätigkeiten mit dem BGE entlohnt würden. Außerdem würde eine ausreichend hohe Grundversorgung die Position der Arbeiter gegenüber den Kapitalisten stärken, was bessere Arbeitsbedingungen und eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit zur Folge hätte. Damit das BGE nicht von den Kapitalisten genutzt werden kann, um Löhne zu senken und den Sozialstaat abzubauen, werden verschiedene Begleitmaßnahmen vorgeschlagen. Dazu gehören ein Gesundheitssystem, das allen einen kostenlosen Zugang garantiert, kostenlose Bildung, ein kostenloser ÖPNV, eine Regulierung des Wohnungsmarktes, flächendeckend hohe Mindestlöhne und ein Steuersystem, dass die Steuerlast auf die Reichen verlagert. Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) beispielsweise will das BGE durch eine „radikale Umverteilung des vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums“ finanzieren [7]. Wie diese umfangreichen Maßnahmen unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen durchgesetzt werden sollen bleibt unklar. Klar ist aber, dass jede noch so kleine Lücke im Regelnetz dieser Begleitmaßnahmen dazu führen würde, dass das BGE als Waffe des Kapitals gegen die Arbeiterklasse genutzt werden kann.
Das BGE eine Win-Win-Situation?
Von vielen Befürwortern, auch von Linken, wird das BGE als eine Win-Win-Situation für Kapitalisten und Arbeiter dargestellt. Es wird behauptet, dass mit dem BGE sowohl die Rechte der Arbeiter gestärkt als auch die Unternehmen unterstützt werden. Arbeiter sind abgesichert und müssen nicht mehr jeden Job annehmen, Unternehmen können flexibler planen und ihre Produktion rationalisieren, da sie von ihren Pflichten als Arbeitgeber entbunden werden. Doch diese Vorstellung ignoriert den unlösbaren Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Beide Seiten stehen sich mit gegensätzlichen Interessen gegenüber. Es kann keine Lösung geben, von der beide Seiten profitieren. Entweder die Rechte der Arbeiter werden eingeschränkt und die Kapitalisten steigern ihre Profite, oder die Arbeiter erkämpfen sich auf Kosten der Kapitalisten einen Teil des Mehrwerts.
Das BGE ist meist von der Vorstellung geprägt, man könne durch parlamentarische Einflussnahme auf den Staat, schrittweise in eine „befreite Gesellschaft“ hineinwachsen. Das Konzept der Partei DIE LINKE beispielsweise versteht sich als „Vorschlag für eine sozioökologische Transformation hin zu einer Gesellschaft, die kapitalistische und patriarchalische Herrschaftsverhältnisse überwunden hat“ [8]. Attac betrachtet das BGE als „Baustein im Transformationsprozess mit dem Ziel, ein „Gutes Leben für Alle“ zu schaffen“ [9]. Die Vorstellung man könne die Grundwidersprüche des Kapitalismus durch ein staatliches Reformprogramm lösen missachtet den Klassencharakter des Staates und widerspricht der Tatsache, dass der Staat in erster Linie dem Kapital und nicht den Menschen dient. Von eben diesem Staat einen umfangreichen Angriff auf die Kapitalisten zu erwarten ist reine Augenwischerei. Die Forderung nach einem BGE ist aber nicht nur Ausdruck von Staatsillusionen, sondern auch davon, wissentlich die Arbeiterklasse entwaffnen zu wollen, indem man ihr mit dem Lohnkampf ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen nimmt.
Gleichzeitig wird die Vorstellung bedient, dass ein menschlicher und friedlicher Kapitalismus grundsätzlich möglich sei. Doch die Widersprüche des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium sind notwendigerweise mit seiner Existenz verbunden. In Anbetracht der zerstörerischen Kriege, die der Imperialismus nach außen führt und der repressiven Absicherung, die er nach innen organisiert, sind Vorstellungen eines menschlichen Kapitalismus illusionär und tragen zur Desorientierung der Arbeiterklasse bei.
Entkopplung von Arbeit und Lohn
Sowohl Vertreter des Kapitals als auch linke Unterstützer argumentieren, dass es eine Entkopplung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung geben müsse. Durch den Verlust von Arbeitsplätzen sei es perspektivisch nicht mehr möglich, die Bedürfnisse der Menschen über die Erwerbsarbeit zu befriedigen. Soziale Absicherung soll deshalb durch ein BGE aus Steuergeldern und nicht mehr durch die Löhne gewährleistet werden. Das Netzwerk Grundeinkommen, zu dem auch Attac und Katja Kipping (MdB, DIE LINKE) gehören, argumentiert, dass ein BGE nicht nur für „Arbeitnehmer“ von Vorteil wäre, sondern auch für Arbeitgeber, da es „mehr Autonomie für Unternehmerinnen und Unternehmer durch deren Befreiung von der Verantwortung als Arbeitgeber“ [10] garantieren würde. Genau diese Entkopplung ist es aber, die es den Kapitalisten ermöglicht, die Löhne immer weiter zu senken und der Arbeiterklasse ein zentrales Druckmittel nimmt.
Kapitalisten werden nicht aus gutem Willen die Arbeitsbedingungen der werktätigen Massen verbessern. Um tatsächliche Verbesserung durchzusetzen, muss Druck auf die Kapitalisten ausgeübt werden, indem ihre Profite angegriffen werden. Dafür müssen sich die Massen der Arbeiter organisieren und die Betriebe bestreiken, in denen die Profite erwirtschaftet werden. Den Kapitalisten, durch ein BGE, zu ermöglichen die Arbeitsverhältnisse zu flexibilisieren steht im Widerspruch zu diesem Ziel.
Das BGE soll als universeller Heilsbringer alle Probleme lösen und entpuppt sich dabei als die Wunschvorstellung den Kapitalismus so lange zu reformieren bis er seine unmenschliche Gestalt verliert. Mehr noch: ein BGE wird unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen als Werkzeug der Kapitalisten gegen die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten verwendet werden und bietet aus diesem Grund auch keine kurzfristige Lösung für die Corona-Krise. Stattdessen sollten wir Maßnahmen erkämpfen, die sich nicht so leicht gegen die Arbeiterklasse wenden lassen.
Was wir fordern sollten
Das Grundinteresse der Arbeiter ist es, die notwendige Arbeitszeit für alle zu reduzieren und die Freizeit für alle zu erhöhen. Dies kann nur in einem kollektiven Kampf gegen das Kapital und seinen Staat erkämpft werden. Eine wichtige Grundforderung der Arbeiterklasse ist deshalb die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Allerdings reichen die Löhne oft kaum zum Leben. Während die Mieten vielerorts steigen, arbeitet fast ein Viertel der Beschäftigten im Niedriglohnsektor [11]. Das bedeutet, dass viele für Löhne deutlich unter 2000 Euro brutto arbeiten müssen. Daher steht auch die Forderung nach höheren Löhnen auf der Tagesordnung. Auch die Abschaffung von Befristungen, Leih- und Zeitarbeit, aber auch eine menschenwürdige Grundsicherung für Erwerbslose ist im Sinne der Arbeiterklasse und sollte im gemeinsamen Kampf durchgesetzt werden. Denn durch unsichere Arbeitsverhältnisse und viele von Existenzängsten verunsicherte Erwerbslose, wird die Arbeiterklasse erpressbar und ihre Kampfbedingungen verschlechtern sich.
Jede erkämpfte Verbesserung muss uns darin schulen, uns gegen die Feinde der Arbeiterklasse zu organisieren und unsere Forderungen zu schärfen. Wir dürfen uns keine Illusionen machen: das Kapital und sein Staat werden uns nicht helfen. Verbesserungen müssen wir selbst erkämpfen. Langfristig bietet nur der Sozialismus die Möglichkeit, die Probleme der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten zu lösen.
[2] https://www.arbeitsagentur.de/presse/2020-27-der-arbeitsmarkt-im-april-2020
[3] https://www.die-linke.de/themen/arbeit/tatsaechliche-arbeitslosigkeit/2020/
[4] https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2020/_03/_14/Petition_108191.nc.html
[7] http://www.kpoe.at/sozialpolitik/grundeinkommen/2019/es-ist-genug-fuer-alle-da
[9]https://www.attac.at/fileadmin/user_upload/aktivistInnen/grundeinkommen/allgemein/BGE_Positionspapier.pdf
[10] https://www.grundeinkommen.de/grundeinkommen/idee
[11] https://www.linksfraktion.de/themen/a-z/detailansicht/niedrigloehne/