Berechtigte Wut über rassistische Polizeigewalt

Die grausame Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten, der minutenlang auf dem Genick seines Opfers kniete, bis der 46jährige daran starb, geht als Video um die Welt – „Ich kann nicht atmen“, die immer wieder wiederholten Worte des sterbenden Opfers, sind in den USA und darüber hinaus zur Parole einer breiten Protestbewegung geworden. Sie stehen symbolisch für ein barbarisches, zutiefst menschenverachtendes System, das der Arbeiterklasse – im übertragenen oder eben auch im Wortsinne – keine Luft zum Atmen lässt. In den vergangenen Tagen haben sich Proteste gegen die Polizeigewalt entzündet. Teilweise kommt es auch zu schweren Ausschreitungen, bei denen z.B. die für den Mord verantwortliche Polizeistation von Minneapolis abgebrannt wurde. Präsident Trump reagierte auf die Proteste mit geheuchelter Anteilnahme am  „tragischen Tod“ Floyds, um dann, direkt im darauffolgenden Satz, anzudrohen, die Nationalgarde in die Stadt zu schicken und das Feuer auf „Plünderer“ eröffnen zu lassen. 

Der Mord an George Floyd steht in einer langen, nicht endenden Reihe von Polizeimorden an schwarzen Männern in den USA. Der Mörder Derek Chauvin ist ein Sadist und Rassist mit einer langen Liste an Tötungen und schweren Körperverletzungen im Dienst. Die Polizei hinderte dieser Sachverhalt nicht daran, ihn mehrfach für seine Arbeit auszuzeichnen. Doch diese Tatsachen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier nur in zweiter Linie um ein individuelles Problem geht. Die USA sind ein zutiefst rassistisches Gesellschaftssystem, in dem systematische Polizeigewalt gegen Schwarze und  Latinos auf  der Tagesordnung steht  und von den Repressionsorganen gedeckt wird. Das System bringt diese Barbarei regelmäßig hervor. Erst 1964, ein Jahrhundert nach der Abschaffung der Sklaverei, wurde das Apartheidssystem in den USA formell abgeschafft. Doch auch wenn das eine wichtige Errungenschaft des Klassenkampfes war, konnte damit keine reale ökonomische und soziale Gleichstellung erreicht werden. Die tiefe Armut und Verelendung, die große Teile der schwarzen Arbeiterklasse in den USA betreffen, aber auch die rassistische Diskriminierung, fördern natürlich die Kriminalität in den Elendsvierteln – und diese führt dazu, dass Schwarze permanent in den Fokus der Polizei geraten  und von „racial profiling“ betroffen sind. Weil die ökonomische Diskriminierung in den USA tief in der Gesellschaftsstruktur verwurzelt ist, ist auch der Rassismus fester Bestandteil des Herrschaftssystems und insbesondere der staatlichen Repressionsorgane.

In den USA kommt es sicherlich im internationalen Vergleich weitaus häufiger vor, dass die Polizei Zivilisten umbringt, aber auch in Deutschland gibt  es viele solcher „Vorfälle“: Im Fall von Oury Jalloh, der 2005 in seiner Zelle bei lebendigem Leibe verbrannte , deutet alles auf einen Mord durch die Polizei hin. Eine wirkliche Aufklärung gab es jedoch nie. Auch in den letzten Jahren kam es wiederholt zu Tötungen durch Polizisten, z.B. Adel B. in Essen im Juni 2019, oder Maria B. in Berlin im Januar diesen Jahres

Auch Trumps Ankündigung, das Militär auf Protestierende schießen zu lassen, ist vor dem Hintergrund des ganzen Systems der Unterdrückung zu betrachten. Im Kapitalismus ist der Staat Herrschaftsorgan des Kapitals. Auch in „demokratischen“ Ländern, wie es die USA für sich beanspruchen eines zu sein, hat der Staat die Funktion, die Masse des Volkes zu beherrschen und zu unterdrücken. Proteste und Widerstand mögen in einem gewissen Rahmen zwar erlaubt sein, doch Massaker an unbewaffneten Demonstranten gehören in der bürgerlichen „Demokratie“ immer schon zum üblichen Arsenal.

So eröffnete beispielsweise die Pariser Polizei im Oktober 1961 das Feuer auf eine friedliche Demonstration von Algeriern, die gegen den Krieg in Algerien protestierten. Dabei ermordete sie Hunderte Menschen, deren Leichen noch wochenlang in der Seine trieben. Die israelische Armee massakrierte allein 2018 an der Grenze zum Gazastreifen 183 Demonstranten. Auch in den USA gab es immer wieder solche Massaker. 1965 bei den sogenannten Watts-Unruhen in einem Stadtteil von Los Angeles, die sich ebenfalls gegen rassistische Polizeigewalt richteten, richtete die Nationalgarde ein Massaker mit 34 Toten an. Bei Protesten gegen den Vietnamkrieg im Jahr 1970 feuerte die Nationalgarde in eine Menge protestierender Studenten auf dem Campus der Kent State Universität, wobei vier getötet und neun schwer verletzt wurden. 1985 ließ die Polizei das Haus einer Lebensgemeinschaft der schwarzen Move-Bewegung in Philadelphia aus der Luft bombardieren, wodurch ein ganzer Straßenzug in Brand gesteckt und zerstört wurde und mehrere Familien mit Kindern den Tod fanden. Die Liste solcher Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen.

Der Straßenaufstand, den wir dieser Tage in den USA erleben, ist somit eine verständliche und berechtigte Reaktion auf einen reaktionären und rassistischen Staat. Er ist Ausdruck der zunehmenden Abwendung der jungen Generation von diesem Staat und dem kapitalistischen System, das er beschützt. Gleichzeitig ist es falsch, darin schon den Keim einer revolutionären Bewegung zu sehen. Spontane Wutausbrüche können die Kraft einer organisierten Arbeiterbewegung niemals ersetzen. Um das System wirklich infrage stellen zu können, bedarf es einer starken kommunistischen Partei und klassenkämpferischer Massengewerkschaften, die in der Lage sind, im Moment der tiefsten Krise des Staates, die Macht zu übernehmen. In größeren Teilen der Bevölkerung, vor allem der Jugend, entwickelt sich seit Jahren eine kritische Haltung gegenüber dem Kapitalismus und dem imperialistischen Staat. Bisher wird diese Entwicklung jedoch noch relativ erfolgreich von sozialdemokratischen Kräften innerhalb der Demokratischen Partei (vor allem Bernie Sanders, aber auch Alexandria Ocasio-Cortez oder Ilhan Omar) kanalisiert und für das System unschädlich gemacht. Zu einer Selbstorganisierung der Arbeiterklasse für ihre Interessen und den Sozialismus hat das nicht geführt. Im Gegenteil. Es wurden massive Illusionen geschürt, dass grundlegende Verbesserungen auch innerhalb des Kapitalismus, ohne Bruch mit dem Imperialismus und dem politischen System der USA, möglich wären. Die Arbeiterklasse hat somit immer noch die Aufgabe vor sich, sich von diesen bürgerlichen Kräften zu lösen und ihre eigenen Klassenorganisationen aufzubauen.

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