Kritik am veröffentlichten „Leitantrag“ der revisionistischen Fraktion in der Zentralen Leitung der KO

Von Joshua Relko und Fatima Saidi

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Am 19. Dezember 2022 veröffentlichte ein Teil der Zentralen Leitung der KO, welcher sich als offen agierende revisionistische Fraktion entpuppt hatte, unabgesprochen und ohne entsprechenden Beschluss des Gesamtgremiums mehrere Anträge an den bevorstehenden außerordentlichen Kongress. Darunter befindet sich der Antrag mit dem Titel „Wir kämpfen um die KO! – Leitantrag der Zentralen Leitung“.1 Der Titel ist irreführend, denn es ist kein Antrag der Zentralen Leitung (im Folgenden: ZL) der KO. Es ist stattdessen ein Antrag nur eines Teils der ZL der KO – und zwar genau des Teils, der eigenmächtig die Veröffentlichung initiierte und damit die eigene Fraktionstätigkeit öffentlich bekanntgab. Antragsteller dieses „Leitantrags“ ist eben diese revisionistische Fraktion in der ZL (eine Einordnung des Revisionismus wurde hier verfasst)2.

Wir widmen uns im folgenden Beitrag dem sogenannten Leitantrag in seiner veröffentlichten Fassung und werden an Auszügen aus diesem Antrag unsere Kritik formulieren. Wir werden ausführen, inwiefern die darin geäußerten Vorhaben und Vorstellungen nicht – wie behauptet – zum kommunistischen Klärungs- und Aufbauprozess beitragen, sondern geradewegs von ihm wegführen. Wir werden aufzeigen, dass die Intention des „Leitantrags“ darin besteht, nahezu alle Fortschritte der KO der letzten viereinhalb Jahre rückgängig zu machen, indem die Organisation als ganze und aktiv von ihrem revolutionären und damit notwendig antirevisionistischen Weg geführt wird.

Die zentralen Stränge des „Leitantrags“

Im Wesentlichen gibt die revisionistische ZL-Fraktion in ihrem Antrag vor, die in diesem Jahr begonnene Klärung der Kriegs- und Imperialismusfrage3 sowie die Aktionsorientierung gegen NATO und deutschen Imperialismus4 fortsetzen zu wollen. Es wird jedoch schnell klar, warum ein „Weiter so“, wie es die revisionistische ZL-Fraktion vorschlägt, nicht zur Klärung und zum Kampf gegen den deutschen und NATO-Imperialismus beiträgt. Der „Leitantrag“ bietet keinerlei Konzept zur politischen Führung, zum Aufbau der Kommunistischen Partei oder zur Klärung im Sinne der planmäßigen Entwicklung eines revolutionären Programms.

Die Außerordentlichkeit des anstehenden Kongresses kann dafür keine Entschuldigung sein – denn der grundsätzliche Anspruch an einen „Leitantrag“ ist, einen Plan für die weitere Organisationsentwicklung vorzulegen. Doch auch für die in den letzten Monaten umfassend gewordene Krise und drohende Zerstörung der KO, die den anstehenden außerordentlichen Kongress nötig machte, bietet der Antrag keine Lösungsvorschläge. Vielmehr wird die politische Rechtsentwicklung der Organisation in den letzten Monaten, die maßgeblich der revisionistische Teil der ZL zu verantworten hat, verkannt und der marxistisch-leninistische Teil der Mitgliedschaft zum Grundübel der KO erklärt. So erklärt sich auch, dass die ultimative Lösung der Krise der Organisation darin gesehen wird, sich des antirevisionistischen Teils der KO endlich zu entledigen. Unter anderem in dieser verzerrten Sicht auf die Lage der Organisation zeigt sich die Unfähigkeit der revisionistischen ZL-Fraktion zur Selbstkritik. Darüber hinaus gibt sie vor, in der Lage zu sein, eine politische Linie für die Organisation zu entwickeln. Im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien des Demokratischen Zentralismus formuliert der „Leitantrag“ allerdings keine zentrale und abrechenbare Orientierung, die die Mitgliedschaft kollektiv beschließen könnte. So bleibt es in der Hand der zukünftigen ZL, aus den konzeptlosen Allgemeinplätzen des „Leitantrags“, eine solche Orientierung abzuleiten. Das demokratische Element im Organisationsprinzip der Kommunisten wird dadurch zwangsläufig weitreichend eingeschränkt, da die Mitgliedschaft der Leitung durch ihre Wahl blindes Vertrauen mitgeben muss. Denn konkrete Rechenschaft über die Tätigkeiten der Leitung gegenüber der Mitgliedschaft ist so ausschließlich auf der Grundlage der Ableitungen, die die Leitung aus dem vagen Beschluss des „Leitantrags“ macht, möglich. Nicht mehr das höchste Gremium der Organisation – ihr Kongress – entscheidet über die zentralen Pfeiler ihrer politischen Ausrichtung, sondern das den Kongress interimsweise vertretende Gremium: die Zentrale Leitung.

Wir gehen nun anhand von Textauszügen genauer auf die zentralen Inhalte des „Leitantrages“ ein und formulieren anhand dieser unsere Kritik.

1 Zur Klärung

Der derzeitige Konflikt in der KO entspinnt sich unter anderem an der Frage der Klärung. Darum greift auch der „Leitantrag“ diese Frage auf. Zentrale Behauptung der Autoren ist, dass sich die KO zu Imperialismus und Krieg nicht positionieren dürfe, solange die Klärung dazu nicht abgeschlossen sei. Die revisionistische ZL-Fraktion tut also im gesamten „Leitantrag“ so, als würde sie keine Positionierung vorschlagen – tatsächlich scheint aber immer wieder eine pro-russische Haltung durch, wie wir in Abschnitt 1.1 beispielhaft zeigen werden.

Ansonsten bleibt es bei sehr oberflächlichen Vorschlägen: Der Antrag liefert wenig bis gar keine konkreten Vorstellungen, wie die Klärung der Kriegs- und Imperialismusfrage aussehen soll, geschweige denn findet eine Entwicklung des Klärungsprozess als Ganzes statt. Der „Leitantrag“ schlägt vor, dass jeder Einzelne sich mit allen möglichen Themengebieten auseinandersetzen soll. Dabei bleibt nicht nur die Frage offen, wie sich aus diesem Vorgehen die weitere Klärung entwickeln soll. Es fragt sich auch, wie mit einem solchen Verständnis von Kollektivität jemals Arbeitsergebnisse erreicht werden können. Wir widersprechen ausdrücklich einem solch falschen und ziellosen Verständnis von kommunistischer Kollektivität, in dem alle das Gleiche und alle Alles machen: Unter kollektiver Klärung verstehen wir ein zentral koordiniertes, arbeitsteiliges Vorgehen, das Ergebnisse hervorbringt, die vom gesamten Kollektiv durchdrungen und beschlossen werden sollen ­– und dafür braucht es Planung und Strukturen. Eine zentrale Schwäche des „Leitantrags“ ist, keine Antworten auf die Frage zu geben, ob und wie die Organisationsstrukturen, welche die KO in den letzten Jahren entwickelt hat, für die Klärung genutzt und weiterentwickelt werden. Vielmehr fordert der Antrag nahezu maximale Flexibilität, entwickelte Strukturen immer wieder über den Haufen zu werfen, sofern die „Klärung“ bzw. das, was die in der kommenden Legislatur amtierende Leitung als Klärung verkaufen wird, es erforderlich macht. Dieses anzunehmende Vorgehen deckt sich mit unserer Erfahrung aus der aktuellen Legislatur, in der der revisionistische Teil der ZL seine politische Mehrheit im Gremium genutzt hat, alle Strukturen, die Bildung und Klärung dienen sollten, de facto auszuhebeln und Arbeitsweisen etabliert hat, die ihrem oben beschriebenen falschen Verständnis von Kollektivität entsprechen. Die Vorschläge im Antrag wirken nahezu aus dem Ärmel geschüttelt. Obwohl wir die Klärung der Imperialismus- und Kriegsfrage bereits im April 2022 beschlossen haben und seitdem einige Erfahrungen mit verschiedenen – kaum zielführenden, da quasi ergebnislosen –Arbeitsmodi zur Dissenserfassung, politischen Diskussion und wissenschaftlichen Auseinandersetzung gesammelt haben, ist im „Leitantrag“ der revisionistischen ZL-Fraktion kaum ein Vorschlag zu finden, wie die weitere Klärung umgesetzt werden soll. Schauen wir uns aber konkret an, was der „Leitantrag“ zur Frage der Klärung vorschlägt.

1.1 Klärung und programmatische Grundlagen

Auffällig ist zum einen, dass der „Leitantrag“ versucht zu argumentieren, dass inhaltliche Positionierung und Klärung als Gegensätze zu verstehen seien. Dementgegen erläutert der „Antrag zur Klärung der Imperialismusfrage im Zusammenhang mit der Kriegsfrage“5, dass kollektive Klärung im Gegenteil unmöglich ist, ohne offenzulegen, von welchen Analysen und Standpunkten ausgegangen wird und ohne überhaupt von einer gemeinsamen theoretischen Basis auszugehen.

Von Beginn an unterstützte ein Großteil der revisionistischen ZL-Fraktion den russischen Einmarsch in der Ukraine. Im Laufe der internen Diskussionen der letzten Monate wurden von ihrer Kriegsbefürwortung abweichende Positionen bereits zu „roten Linien“ für die weitere gemeinsame Organisierung, und damit zum unmöglichen, nicht zu akzeptierenden Ergebnis der Klärung gemacht. Verschiedene KO-Stellungnahmen der letzten Monate waren von einer eindeutigen Haltung zu Fragen des Imperialismus und des Krieges geprägt, anstatt entsprechend der Aktionsorientierung den in der KO bestehenden Dissens offenzulegen und nicht-kollektive Positionen als solche zu kennzeichnen. Das haben wir genauer in unseren Beitrag „Das Maß ist voll“ dargelegt6. Dafür ernteten die entsprechenden Veröffentlichungen stets Kritik aus der Mitgliedschaft.

Im „Leitantrag“ vermeiden es die Autoren aber nun, ihre Positionen offenzulegen oder auch, entsprechende rote Linien zu formulieren. Vielmehr werden im „Leitantrag“ die bisherigen Klärungsvorstellungen der KO über Bord geworfen, denn unsere Klärung war immer mit – wenn man es so nennen möchte, wie die revisionistische ZL-Fraktion es tut – „Mindeststandards“ verbunden: Seien es die Grundannahmen der thematischen Arbeitsgruppen (AGs), die zum Teil öffentlich im BolscheWiki einsehbar sind, die Programmatischen Thesen, die noch unveröffentlichten, im April 2022 beschlossenen Thesen zum Parteiaufbau etc. Diese waren nie Dogmen, sondern der Ausgangspunkt, eine kollektive Klärung auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus in und mit der kommunistischen Bewegung überhaupt erst zu ermöglichen. Die Klärung kann dabei sowohl zur Vertiefung der Programmatischen Grundlagen unserer Organisation führen sowie zu ihrer Überarbeitung. Die Kurskorrektur, die im „Leitantrag“ bezüglich des Verhältnisses von Klärung und Positionierung nun vorgenommen wird, drückt sich folgendermaßen aus:

Dem (dem „Klärungs“-Verständnis der Revisionisten, Anmerkung der Autoren des Diskussionsbeitrags) stand die Forderung entgegen, die Diskussion von Anfang an einzuschränken, indem die Diskussion in ein Korsett von angeblich revolutionären Mindeststandards gesteckt werden sollte. So wurde sich gegen die offene Seite der Programmatischen Thesen gestellt, während die geschlossene Seite verabsolutiert wurde.“ (Begründung 1.2, Z. 277 ff)

und

Offensichtlich muss es falsch sein, wenn wir erst intern diskutieren, um dann mit einer Position nach außen zu treten. Wir wollen ja gerade in die Diskussion mit dem Außen, also der Bewegung, kommen. Uns fehlt genau die Programmatik, die es gilt, nach außen zu verteidigen. Stattdessen wollen wir in die schonungslose, und das heißt ehrliche und offene Diskussion mit der Bewegung treten. Wir können also als Klärungsprozess unsere interne Diskussion gar nicht wirklich davon abtrennen.“ (Begründung 2.3, Z. 614 ff)

Einem angeblich geschlossenen, d.h. vermutlich der Forschungsarbeit im Klärungsprozess bereits vorweggenommene Ergebnisse, Verständnis unseres kollektiv beschlossenen programmatischen Ausgangspunktes setzt die revisionistische ZL-Fraktion eine völlige inhaltliche Beliebigkeit entgegen und streut ihre Positionen zugleich in den „Leitantrag“, beispielsweise, wenn sie trotz angeblicher Nicht-Positionierung Aussagen wie „Wir bekämpfen nicht Russland, sondern die NATO und den deutschen Imperialismus.“ (Beschluss 1, Z. 108 f) trifft. Die politischen Positionen der Mehrheit der Antragsteller kennend, ist es naheliegend diese Aussage so zu interpretieren, dass die russische Bourgeoisie und ihr Staat keine Feinde der Arbeiterklasse seien. In der Vergangenheit der KO hat es durchaus Vorschläge gegeben, einen politisch (und organisatorisch) sehr offenen Klärungsprozess zu gestalten. Aufgrund der Gefahr, sich in ideologischer und organisationspolitischer Unverbindlichkeit und Beliebigkeit zu verlieren, konnten sich solche Klärungsvorstellungen in der Organisation schon vor ihrer Gründung nicht durchsetzen. Nun fällt der „Leitantrag“ hinter diesen kollektiven Diskussionstand zurück und befürwortet politischen Meinungspluralismus fernab von wissenschaftlicher Auseinandersetzung und Klärung und unter Aufgabe der kollektiven Positionen der Organisation.

Schon die im „Leitantrag“ formulierte Unterteilung der Programmatischen Thesen, in eine offene und eine geschlossene Seite, drückt ein Problem aus: Es handelt sich bei unserer programmatischen Grundlage um ein unteilbares Dokument, das unseren kollektiven Diskussionsstand, unsere Verortung in der kommunistischen Bewegung und unsere grundlegenden Annahmen zur Organisierung und zur Entwicklung eines Parteiprogramms ausdrückt. In jedem Kapitel der Programmatischen Thesen halten wir beispielhaft Fragen fest. Sie drücken die Notwendigkeit der Klärung aus, sind Ausdruck des Mangels eines revolutionären Programms und zeigen auf, an welchen es einer besonderen Weiterarbeit bedarf. Diese Fragen nun vom Rest der Thesen zu trennen und als Rechtfertigung für inhaltliche Beliebigkeit zu missbrauchen, kann in letzter Instanz nur dazu führen, die Programmatischen Thesen komplett zu revidieren (wie es bei Teilen der revisionistischen ZL-Fraktion schon anklingt, wenn diese lediglich noch von „Arbeitsthesen“ sprechen) und jeglichen Ansatz zur planmäßigen Klärung zu verunmöglichen. Dem möchten wir entgegensetzen, dass die Aufgabe eines organsiert handelnden und vorgehenden politischen Zusammenhangs, der wissenschaftliche Klärung mit dem Ziel des Parteiaufbaus beansprucht, zwangsläufig darin besteht, die eigenen programmatischen Beschlüsse in zunehmender Annäherung an die Wahrheit zu prüfen und zu vertiefen bzw. zu revidieren und im Anschluss zu überarbeiten, wie es der Antrag zur „Antrag zur Klärung der Imperialismusfrage im Zusammenhang mit der Kriegsfrage“7 unter anderem vorschlägt.

An späterer Stelle schreibt die ZL-Fraktion dann in ihrem Antrag:

Wir sehen die Gefahr, dass alles, wofür die KO in der Vergangenheit gestanden hat, nun beseitigt und ersetzt werden soll, durch eine „reine Lehre“, ihr einfaches Herunterbeten und eine Selbstüberhöhung anstatt der Fähigkeit zur Selbstkritik. Die Geschichte der KO als Aufbau- und Klärungsprozess wird dadurch de facto beendet, unabhängig davon, wie sehr auch von der Gegenseite die Worte „Klärung“ und „Aufbau“ verwendet werden.“ (Begründung 1.5, Z. 432 ff)

In den obigen Ausführungen sollte klar geworden sein, dass die KO nie ein solches Klärungsverständnis hatte, wie uns die revisionistische ZL-Fraktion in ihrem Antrag glauben machen will. Im Antrag zur Klärung an den außerordentlichen Kongress, in der Resolution „Nicht unser Krieg!“ sowie in der nicht veröffentlichten Handlungsorientierung werden sehr konkrete Vorschläge gemacht, die die krisenhafte Ausgangslage der KO, den Dissens zur Imperialismus- und Kriegsfrage sowie die kollektiven Grundlagen der Organisation einbeziehen. Das Vorhaben der Klärung und des Aufbaus im Leitantrag und weiteren Veröffentlichungen als Lüge zu diffamieren, entbehrt jeglicher Belege. Die veröffentlichten Anträge aus dem marxistisch-leninistischen Lager als leere Phrasen abzutun verdeutlicht, mit welcher Herablassung die Antragsteller des „Leitantrags“ auf Vorschläge aus der Mitgliedschaft reagieren, die KO wieder auf den Boden ihrer zentralen Beschlüsse zu stellen.

1.2 Umsetzung der Klärung

Wie schon erwähnt, bleibt der „Leitantrag“ selbst mit konkreten Vorschlägen zum „Wie weiter“ sehr sparsam. Lediglich in folgendem Abschnitt der Begründung (!) des Antrags erfahren wir etwas mehr:

Diese Arbeit wird erste systematische Schritte in der Arbeit zur Vorgeschichte des Kriegs, zur Rolle der NATO, zum Charakter Russlands, zur Weltordnung und damit verbunden zu den grundlegenden Fragen des Imperialismus sowie der Debatte in der kommunistischen Bewegung ermöglichen. Das kann in Form von Sammlung, Sichtung und Auswertung bestehender Analysen und Einschätzungen bestehen, aber auch in einer guten Darlegung und Einordnung der zu bearbeitenden Fragen sowie eigenen systematischen Darstellungen. Die gegenseitige Kritik und Hinweise auf Mängel, Lücken – das gemeinsame Diskutieren und Ringen um die richtige Einschätzung werden wir fortsetzen. Wir setzen auch die Erfassung der Positionen und des Forschungsstandes der Kommunistischen Parteien fort. Ab Frühjahr 2023 sollen aus den Vertiefungen zusammenfassende Texte erstellt werden, die den Stand der Arbeit und mögliche nächste Schritte festhalten. Wir ziehen aus dieser geleisteten Arbeit einen ersten Zwischenstand und bestimmen die nächsten Schritte. Der Zwischenstand bildet unsere inhaltliche Arbeit zum Krieg selbst, zum Entwicklungsstand des Imperialismus und auch zur IKB ab. Wir fassen auch unsere Methode und unsere Erkenntnisse, wie wir eine kollektive Klärung organisiert haben, zusammen. In den Zwischenstand beziehen wir unsere Arbeit seit der VV4 und den von uns gesichteten Diskussionsstand der internationalen Kommunistischen Bewegung ein.“ (Begründung 3.2, Z. 769 ff)

Es fällt auf, dass die revisionistische ZL-Fraktion mit dieser Beschreibung an einem im Oktober 2022 ausgearbeiteten Plan zur Klärung anknüpft, der ein in dieser bereits krisenhaften Situation der KO gewissermaßen aus der Not geborener Minimalkonsens war. Insgesamt bleiben die Vorstellungen des Antrags sehr vage, die „Sammlung, Sichtung und Auswertung“ bestehender Einschätzungen beispielsweise bleibt eine sehr zufällige Beschäftigung mit individuell herausgegriffenen Material – ohne festzulegen, auf welcher Grundlage oder nach welchen Kriterien das passiert (erst im Nachhinein soll „auch unsere Methode“ für die Bewegung zusammengefasst werden).

Auffällig ist, dass die revisionistische ZL-Fraktion selbst plötzlich „eigene systematische Darstellungen“ als Teil der ersten (!) systematischen Schritte der Klärung vorschlägt, denn bis Oktober dieses Jahres stellten sich die überwiegenden Teile ihrer Fraktion konsequent gegen solche Vorschläge. Seit Oktober tolerierten sie dann – als Zugeständnis an das marxistische Lager – solche „eigenen Darstellungen“ als Aufhänger für die Klärung.

Bisher wurden derartige Darstellungen – denn nichts anderes sind einige der in den vergangenen Monaten erschienenen und teils veröffentlichten Diskussionsbeiträge, etwa jene von Thanasis Spanidis – konsequent ignoriert. Bis heute gab es keine Einbeziehung dieser Beiträge seitens der revisionistischen ZL-Fraktion in die Klärung, keine Auseinandersetzung mit ihren Inhalten (und auch keine Widerlegung). Im Gegenteil wurden die Autoren zum Teil noch für ihre Beiträge diffamiert, weil sie damit der Klärung vorweggreifen würden. Wie kommt es, dass plötzlich auch umfassende eigene Darstellungen als erste systematische Schritte in der Klärung von den Antragstellern vorgeschlagen werden? Kommt der Wandel daher, dass die Spaltung nun absehbar ist und die Revisionisten in ihrer weiteren „Klärung“ keine Angst mehr vor Beiträgen der Marxisten-Leninisten aus den Reihen des eigenen Organisationszusammenhangs haben müssen?

Ein weiterer Wandel, scheint sich bei Teilen der revisionistischen ZL-Fraktion ergeben zu haben, was die Klärung von Kriegs- und Imperialismusfrage betrifft. Bis vergangenen Oktober war für sie unumstößlich, dass man sich zunächst (in einem Vorschlag hieß es: bis zum Sommer 2023) lediglich mit dem Krieg beschäftigen könne und die Imperialismusfrage hintenanstellen müsse. Vollkommen entgegen dem Beschluss der letzten Vollversammlung, der die Klärung der Imperialismusfrage in Zusammenhang mit der Kriegsfrage vorsah, orientierten sich die Revisionisten lieber an ihren eigenen Präferenzen, die in erster Linie eine detaillierte, aber isolierte und selektive Beschäftigung mit dem (Vor-) Kriegsgeschehen bedeuteten (siehe dazu auch den Diskussionsbeitrag „Klarheit durch Wissenschaft“ von Dezember 2022: https://kommunistischepartei.de/allgemein/klarheit-durch-wissenschaft/). Bei der Einigung auf den eben angesprochenen Minimalkonsens vom vergangenen Oktober rückten die Revisionisten von dieser Vorstellung ab, was ebenfalls einem Zugeständnis an die Vorschläge des marxistischen Lagers gleichkam. Nun kehrt die revisionistische ZL-Fraktion überraschenderweise doch auch von selbst zum ursprünglich beschlossenen Vorhaben zurück: Der Klärung der Imperialismusfrage im Zusammenhang mit der Kriegsfrage. Der Grund ist, dass sie sich nach der absehbaren Spaltung nicht mehr mit den Argumenten des marxistischen Lagers auseinandersetzen müssen und sich ihre revisionistischen Sichtweisen in der Imperialismusfrage leichter durchsetzen dürften.

1.3 Klärung im Kampf gegen den Revisionismus

In den noch unveröffentlichten Thesen zum Parteiaufbau hielten wir fest, dass die Klärung ein wesentliches Element im Kampf gegen den Revisionismus ist. Daran knüpft die ZL-Fraktion scheinbar an, wenn sie in ihrem „Leitantrag“ schreibt:

Die KO muss den Kampf gegen den Revisionismus führen. Dafür müssen wir unser Verständnis über ihn intensivieren. Der Revisionismus ist nicht einfach das Falsche, was der eigenen Position widerspricht und man deswegen bekämpfen muss. Die Vorstellung, dass der Kampf gegen den Revisionismus durch Ausschlüsse aus Organisationen gelöst werden kann, versteht das Phänomen des Revisionismus nicht. Der Revisionismus ist nicht vom Klassenkampf zu trennen, d.h. solange es Klassenkämpfe gibt, wird es auch Revisionismus in der revolutionären Arbeiterbewegung geben.“ (Begründung 2.1, Z. 517 ff)

und

Wir laufen Gefahr, diesen Kampf zu vereinfachen, wenn wir annehmen, dass wir mit unseren bisherigen Annahmen bereits den revolutionären Standpunkt gefunden hätten und Positionen, die diesen Annahmen widersprechen, deshalb revisionistisch seien.“ (Begründung 2.1, Z. 539 ff)

Zum einen zeigt sich in diesen Auszügen erneut, wie schwammig und unausgereift die Vorstellungen der anderen Fraktion für die Arbeit nach dem außerordentlichen Kongress sind. Es bleibt bei Allgemeinplätzen – was konkret passieren soll im angekündigten Kampf gegen den Revisionismus, bleibt offen. Wem an dieser Zusammenfassung Zweifel kommen, da wir hier nur Auszüge abbilden, den müssen wir enttäuschen: Konkreter wird’s im gesamten Antrag nicht8.

Zum anderen aber ist die Beschreibung eine Verzerrung dessen, was in der KO stets als Kampf gegen den Revisionismus diskutiert wurde und was auch wir darunter verstehen. Niemand hat behauptet, der Revisionismus sei einfach „das Falsche“ oder das „unseren Ansichten Widersprechende“. Auch war bisher niemand auf unserer Seite der Meinung, das Problem durch Ausschlüsse lösen zu können – unsere vehementen Forderungen nach inhaltlicher Auseinandersetzung um die Fragen von Krieg und Imperialismus, die zahlreichen inhaltlichen Beiträge und Kritiken der letzten Monate sowie schließlich die Einberufung des außerordentlichen Kongresses zeichnen auch ein anderes Bild. Dem gegenüber ist es gerade die revisionistische ZL-Fraktion, die mit Ausschlussverfahren und anderen statuarischen Maßnahmen in Reaktion auf das marxistische Lager versucht, die ideologische Auseinandersetzung für sich zu entscheiden.

Abschließend ist zu sagen, wie bezeichnend es ist, dass die revisionistische ZL-Fraktion an den zitierten Stellen ihres „Leitantrags“ den Kampf gegen den Revisionismus ankündigt, während sie mindestens in Teilen selbst revisionistische Ansichten in der Kriegs-, Imperialismus- und Strategiefrage vertritt (siehe dazu ebenfalls den Diskussionsbeitrag „Klarheit durch Wissenschaft“). Die Kritik daran versuchte die andere Fraktion organisatorisch zu unterdrücken, wie beispielsweise ein von ihr durchgesetzter Beschluss im vergangenen Herbst verdeutlichte: Dieser legte fest, dass eine Revisionismus-Zuschreibung in der laufenden Debatte gut begründet sein müsse, was natürlich unter Kommunisten Standard sein sollte. Die Krux liegt darin, dass nun allein ihr Urteil entscheiden sollte, ob die gelieferte Begründung gut genug ist – oder eben nicht.

2 Zum Organisations- und Parteiaufbau

Neben der Klärung spricht die revisionistische ZL-Fraktion in ihrem „Leitantrag“ an mehreren Stellen den Aufbauprozess der KO an und legt ihre Vorstellungen dar, wobei es auch hier an konkreten Vorschlägen zur Arbeit in der kommenden Legislatur mangelt. Beginnen wir mit folgender Einschätzung:

Die Klärung der Imperialismusfrage öffnete die KO für den Dissens und macht sie so potent wie nie zuvor. Gleichzeitig provozierte sie bei einem Teil der KO die Reaktion zur Verabsolutierung der Geschlossenheit.“ (Begründung 1.2, Z. 236)

Zunächst zum Ausgangspunkt in diesem Zitat: Die Revisionisten attestieren der KO mit dem Aufkommen des Dissens zur Imperialismusfrage eine Potenz wie nie zuvor. Die unübersehbaren Probleme, die das letzte Jahr diesbezüglich hervorbrachte (fehlendes Konzept zur Klärung, Planlosigkeit und zurückgehende Kollektivität, fehlende einheitliche Standards, Rückbildung von Strukturen,…) werden dabei ignoriert. Statt ein selbstkritisches Herangehen zu wagen, benennt sie wie bei den Fragen der Klärung als einziges Übel den Teil der Organisation, der eine angebliche „Geschlossenheit“ so verabsolutiert habe, dass er sich mit bestimmten Positionen in der Bewegung gar nicht mehr beschäftigen wolle – eine falsche Unterstellung wie auch unser Klärungsantrag zeigt. Damit aber wären wir beim zweiten Punkt.

Hält die KO ihren widersprüchlichen Charakter aufrecht, der Aufbau, Klärung, Unfertigkeit und Entwicklung in einer produktiven Spannung und Dynamik hält oder wird sie zu einer Organisation, die diese produktive Spannung und Dynamik zugunsten von scheinbarer Festigkeit und Klarheit auflöst?“ (Einleitung, Z. 51 ff)

und

Das Vorhaben eines Aufbau- und Klärungsprozess ergibt Gegensätze, die weder zu einer rein offenen noch zu einer geschlossenen Seite aufzulösen sind. Es ist die darin liegende Spannung, die einen produktiven und dynamischen Prozess erzeugt.“ (Begründung 1.1, Z. 198 ff)

Es ist offensichtlich, dass die revisionistische ZL-Fraktion mit diesen Darstellungen im „Leitantrag“ hinter den kollektiven Stand der KO zurückfällt, der sich in den Thesen zum Parteiaufbau ausdrückt: Sie spricht davon, dass Aufbau- und Klärungsprozess in einem gegensätzlichen oder widersprüchlichen Verhältnis stehen würden. Eine solche Sichtweise verkennt bewusst den eben erwähnten kollektiven Stand unserer Diskussion, der beides gerade nicht im Widerspruch zueinander versteht, sondern die Klärung als zentrales und notwendiges Element im Aufbauprozess der Kommunistischen Partei, mit dem Ziel der Entwicklung der revolutionären Strategie und Programmatik. Es ist keine „Spannung“, die den dynamischen Prozess erzeugt, sondern gerade die planmäßige Erarbeitung der zentralen Elemente einer revolutionären Partei (Programm, Kaderentwicklung, Apparate usw.).

Dass der Antrag aber dem planmäßigen Aufbauprozess eine klare Absage erteilt, wird an späterer Stelle noch einmal deutlich:

Es haben sich schematische Bilder eines technisch-voluntaristischen Aufbauprozesses entwickelt. Mitunter wird er als Prozess verstanden, der sich lediglich auf die Entwicklung der KO bezieht und sich neben der kommunistischen Bewegung stehend und unabhängig von der politischen Lage vollzieht. Das produktive und komplexe Wechselverhältnis zwischen unserem Handeln einerseits und der Bewegung und den politischen Entwicklungen andererseits wurde vernachlässigt. Wir können uns den Parteiaufbau nicht einfach als einen stetigen Entwicklungsprozess der KO vorstellen. Eine revolutionäre Organisation, die zur Führung der Kämpfe in der Lage ist, kann nur aus einer dynamischen Entwicklung der kommunistischen Bewegung und den gesellschaftlichen Verhältnisse erwachsen. Zugleich wird das nicht spontan aus den Bewegungen und Kämpfen selbst passieren. Die KO ist angetreten, diesen Prozess bewusst und planmäßig zu beeinflussen.“ (Begründung 2.4, Z. 659 ff)

in diese Aussage gibt es einen wahren Kern (die KO steht nicht neben der Bewegung oder politischen Entwicklungen, es gibt keinen davon isolierten oder linearen Aufbauprozess quasi nach Bausatz). Aus dieser Erkenntnis wird allerdings die falsche Schlussfolgerung gezogen: „… nur aus einer dynamischen Entwicklung der kommunistischen Bewegung und den gesellschaftlichen Verhältnisse[n]“ könne „eine revolutionäre Organisation“ erwachsen. Was bedeutet das anderes als Spontaneismus, als den Aufbauprozess von der Bewegung (und von den Verhältnissen) abhängig zu machen? Was bedeutet es anderes, als eine grundlegende Absage an unser kollektives Verständnis des Parteiaufbaus, das wir in den Thesen zum Parteiaufbau festgehalten haben? Diese Absage zeigt sich auch am schwammigen Begriff der „Formierung der Partei“, der im „Leitantrag“ gleich mehrmals genutzt wird, obwohl wir ihn bereits in den Thesen zum Parteiaufbau gerade wegen seiner Schwammigkeit bewusst nicht mehr verwendeten. Der Begriff „Formierung“ wird hier also von den Revisionisten gebraucht als klare Abgrenzung zu unserem kollektiv formulierten Verständnis, dass die KO die Partei aufbaut (in vollem Bewusstsein über die Möglichkeit von Fehlern oder auch des Scheiterns dabei!).

Auch wenn im letzten Satz das Wort „planmäßig“ fällt, so passiert dies lediglich im Kontext, dass die KO den Prozess der Bewegung und der Verhältnisse beeinflussen, nicht, dass sie planmäßig die Partei aufbauen solle. Zum einen wird hier eine Binsenweisheit formuliert (Die revolutionäre Organisation entwickelt ihre Stärke und ihren Einfluss in den Massen nicht einfach linear), um zum anderen ein Trugschluss (Die KO könne und müsse sich nicht selbst planmäßig an den Aufbau von derartigen Strukturen machen) zementiert. Unabhängig von ihren Äußerungen im „Leitantrag“ hat die ZL-Fraktion bereits in ihrer Praxis der letzten Monate oft genug gezeigt, dass sie dem planmäßigen Parteiaufbau real eine Absage erteilt.

Wie schon erwähnt, wird die revisionistische ZL-Fraktion nicht viel konkreter, was ihre Vorstellungen vom Aufbau angeht. An den wenigen Stellen, wo sie es wird, spiegelt sich die Revision unserer bisherigen Erkenntnisse wider. Ein Beispiel:

Die Entwicklung und Rolle der Arbeitsgruppen (AGs) steht exemplarisch für eine Dauerbaustelle in der Organisation. Wir dürfen auch diese Frage nicht einseitig auflösen: Stattdessen müssen wir die Entwicklung der Genossen im Sinne der Kaderentwicklung in den Vordergrund stellen. Es wurde viel erreicht in den AGs, aber es gibt auch immer wieder die Tendenz, die Umsetzung der Klärung von der Struktur her abzuleiten. Das überfrachtet die Funktion der AG-Leitung und droht von unserem Anspruch, die Klärung mit allen Tätigkeitsbereichen der Organisation zu verbinden, abzurücken, Hinter diese Erkenntnisse dürfen wir einerseits nicht zurückfallen, andererseits ist es wichtig, über das Konzept der AGs nachzudenken. Die Strukturen müssen ihren Nutzen erfüllen, indem sie die inhaltliche Entwicklung von Genossen ermöglichen. Wie kann das gelingen?

Auch hier dürfen wir keine zu schnellen Antworten erwarten, sondern müssen sie zum Gegenstand eines Reflexionsprozesses machen, der, wo nötig, auch in eine Neuaufstellung unserer Strukturen munden muss.“ (Begründung 2.4, Z. 683 ff)

Reflexion und ständige Selbstkritik sind unabdingbar für die Entwicklung einer revolutionären Organisation. Dass dies Planänderungen, Neuaufstellungen etc. beinhalten kann und manchmal muss, liegt auf der Hand. Hier aber muss sich die revisionistische ZL-Fraktion beispielsweise die Frage gefallen lassen, warum sie die stetige Entwicklung rund um die genannten AGs zwar benennt, aber nicht den kollektiven Stand der Diskussion dazu. So allgemein ihre Aussagen auch gehalten sind, die in den Thesen zum Parteiaufbau festgehaltene Rolle der AGs wird ignoriert. Der Absatz ist so offengehalten, dass man meinen könnte, die KO hätte noch nie über ihre AGs diskutiert. Dazu passt natürlich der reale Umgang der Revisionisten mit den entsprechenden Strukturen in der zurückliegenden Legislatur – ihr völliger Ausschluss aus der Klärung der Imperialismus- und Kriegsfrage.

3 Zur Orientierung in der Bewegung

Kommen wir nun zum dritten zentralen Aspekt des „Leitantrags“: den Vorstellungen der ZL-Fraktion zur Verortung in der kommunistischen Bewegung, die beim Lesen sofort ins Auge springen:

Die KO ist Teil der kommunistischen Bewegung. Wir ordnen uns nicht einem vorgeblich „revolutionären“ Pol der KKE und weiterer Parteien zu. Dieser Pol ist Teil der Auseinandersetzungen und Teil der Krise der Bewegung, und nicht bereits deren Antwort und Lösung.“ (Beschluss 2, Z. 112 ff)

und

Die Bereitschaft zur Auflösung der Offenheit knüpft sich an die Hoffnung, der revolutionäre Pol wäre die Antwort auf die Krise der Bewegung. Aber auch die Antworten der KKE lösen die Probleme der Debatte nicht. Wir müssen einsehen, dass blindes Vertrauen die Illusion in einen einfachen Weg darstellt. Der revolutionäre Pol, wie ihn sich viele von uns wünschen, existiert nicht.“ (Begründung 1.3, Z. 311)

und

Der darin liegende Irrweg ist sicher auch deshalb so verführerisch, weil er offensichtlich der einfachere Weg ist. In ihm steckt sowohl die Hoffnung auf eine höhere Instanz, die es schon durchdrungen haben wird, als auch das Abgeben der Verantwortung, selbst eine Beurteilung vornehmen zu können.“ (Begründung 1.3, Z. 346)

In diesen Aussagen betreibt die revisionistische ZL-Fraktion eine völlige Relativierung der ideologischen Auseinandersetzungen in der Internationalen Bewegung. Es geht nicht um „blindes Vertrauen“, wenn wir die unterschiedlichen Positionen, die international existieren, anerkennen und auf Basis unserer kollektiven Grundlagen dazu Einschätzungen treffen. Es geht auch nicht um die „Hoffnung auf eine höhere Instanz“ oder eine unkritische Haltung beispielsweise gegenüber der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), wenn wir uns positionieren und eine Orientierung bestimmen. Aber es geht um eine Verkennung von revisionistischen und opportunistischen Tendenzen in der Bewegung und eine Ignoranz gegenüber unseren wissenschaftlichen Kategorien, Marxisten von Opportunisten zu unterscheiden. Im „Leitantrag“ dagegen wird trotz unseres kollektiven Diskussionsstandes so getan, als hätten in geradezu pluralistischer Weise alle in der Bewegung vorhandenen Positionen denselben Stellenwert oder wären gleichberechtigte Bezugspunkte.

Doch wie wird diese Relativierung im „Leitantrag“ begründet?

Wir stellten fest, dass die KKE von einer Weiterentwicklung der Imperialismustheorie Lenins spricht. Es ist uns noch nicht gelungen, die Richtigkeit dieser Weiterentwicklung nachzuvollziehen. Vielmehr ergeben sich viele Fragen, womit deutlich wird, dass auch die KKE keine abschließenden Antworten auf die aufgeworfenen Fragen und den Dissens liefern kann. Dass auch sie nicht etwa über, sondern selbst mitten in der Debatte der Bewegung steht.“ (Begründung 1.3, Z. 332)

und

Die Vorstellung eines grundsätzlich revolutionären Pols geht von der Annahme aus, dass dieser bereits die Klarheit erreicht hatte, der es bedarf, um Antworten zu geben. Es ergab sich ein naives Vertrauen in die Äußerungen der KKE. Das, wofür die KO angetreten ist, dass Klärung erst erarbeitet und erreicht werden muss, wird damit auf den Kopf gestellt. Der „Klärungsprozess“ wird sinnentleert, indem er zum „Durchsetzungsprozess“ eines

vermeintlich revolutionären Pols gemacht wird.“ (Begründung 1.3, Z. 339)

Es ist bemerkenswert, dass der „Leitantrag“ hier von „naivem Vertrauen in die Äußerungen der KKE“ spricht, was den entsprechenden Teilen der KO unterstellt, sie hätten die Inhalte gar nicht durchdrungen. Angesichts der gesamten inhaltlichen Arbeit der KO der letzten Jahre, der zahlreiche Beschlüsse zu unseren kollektiven Grundlagen, angesichts der noch in den vergangenen Monaten stattgefundenen intensiven Beschäftigung mit einzelnen Parteien ist eine solche Unterstellung erst einmal nur verwunderlich. Ein Problem dagegen ist das Ansinnen der revisionistischen ZL-Fraktion, die Orientierung und das Herangehen der KO in den Debatten der Bewegung gänzlich über Bord zu werfen beziehungsweise umzukrempeln, indem sie vorgibt, dass die KO gar keine kollektive Grundlage zur Orientierung in der Bewegung hätte (oder haben dürfe). Was dann am Ende des Zitats verpackt ist in eine Absage an einen „Durchsetzungsprozess“, lässt durchblicken, dass es der anderen Fraktion letztendlich gar nicht mehr um die Erarbeitung und Durchsetzung von revolutionären Positionen geht. In Zusammenhang mit ihren oben kritisierten Klärungsvorstellungen wird in den Äußerungen zur Orientierung deutlich: Die revisionistische ZL-Fraktion stellt (vermeintliche) Einheit vor Klarheit und verdreht damit den Ansatz der KO um 180 Grad.

4 Zum Kampf gegen NATO und BRD-Imperialismus

So wenig die revisionistische ZL-Fraktion in ihrem „Leitantrag“ an konkreten Vorschlägen zur Arbeit im kommenden Jahr vorliegt, so sicher scheint sie sich zumindest noch in ihrem aktiven Kampf gegen den deutschen Imperialismus und die NATO. Leider wird gerade dieser Kampf als wacklige Begründung für ein diffuses Klärungs- und Aufbauverständnis genutzt:

Unser strategischer Hauptfeind, der deutsche Imperialismus, führt aktiv Krieg gegen Russland. In einer solchen Situation leichtfertig eine Position zu vertreten, die den Gegner der BRD zum Imperialisten erklärt und seine Handlungen als imperialistisch verurteilt, genau wie es unsere Herrschenden tun, ist brandgefährlich! Es mag sein, dass diese Sicht richtig ist. Doch weil die Konsequenzen fatal wären, wenn diese Sicht sich als falsch erweist und wir sie jetzt, sozusagen „vorläufig“, trotzdem propagieren, müssen wir die Klärung in dieser Situation umso ernster nehmen und an den Anfang stellen!“ (Einleitung, Z. 56 ff)

Ein solcher offener Ausgang des Klärungsergebnisses („Es mag sein, dass diese Sicht richtig ist.“) ist sehr unwahrscheinlich angesichts der offen und vehement vertretenen (Pro-Kriegs-) Positionen bei einem Großteil der Revisionisten: Hier wird unterstellt, die Positionierung gegen den Krieg in der Ukraine wurde leichtfertig eingenommen – damit wird ignoriert, dass wir und viele weitere Genossen in verschiedenen Texten und Diskussionen ausführliche Begründungen geliefert hatten, viel Arbeit darin investierten und sie über die letzten Monate hinweg immer wieder weiterentwickelt haben.

Darüber hinaus noch zu behaupten, dass unser Imperialismusverständnis dem der Herrschenden gleich käme, überbietet an Oberflächlichkeit noch die Kritik aus Teilen der Bewegung an unseren Corona-Positionen, dass diese gleichauf mit der Politik der Herrschenden gewesen seien, weil wir konsequente Maßnahmen zum Gesundheitsschutz forderten.

Die revisionistische ZL-Fraktion aber schließt an diese Behauptungen direkt an:

Die Aufgabe besteht darin, einen unabhängigen Standpunkt der Arbeiterbewegung zu entwickeln und zu halten. Es gibt die Gefahr, dass ein Teil der Bewegung ein unkritisches Verhältnis zur russischen Regierung einnimmt. Die viel größere Gefahr für die Arbeiterbewegung besteht aber darin, dass angesichts der historischen und aktuellen Erfahrungen immer wieder Teile der politischen Linken bis hinein in die kommunistische Bewegung, gerade in Deutschland, mit wehenden Fahnen, objektiv oder gar subjektiv ins Lager des eigenen Imperialismus gewechselt sind. Diese Gefahr droht auch der KO und wir wollen diese abwenden“ (Einleitung, Z. 65 ff)

und

Mit Nachdruck haben sich die Widersprüche und Probleme der Arbeiterbewegung in Deutschland und weltweit gezeigt. Die Gefahr der Komplizenschaft mit der eigenen Bourgeoisie ist real. Die deutsche Arbeiterbewegung darf den am Krieg beteiligten Ländern nicht mit Äquidistanz begegnen. Wir bekämpfen nicht Russland, sondern die NATO und den deutschen Imperialismus.“ (Beschluss 1, Z. 105 ff)

Wir widersprechen nicht der Feststellung, dass Teile der linken, Arbeiter- oder auch kommunistischen Bewegung spätestens mit den jüngsten Ereignissen im Ukraine-Konflikt ins Lager des deutschen Imperialismus übergelaufen sind. Die jedoch von der anderen ZL-Fraktion verbreitete Gewissheit, dass dies auch der KO drohe, ist nur als erneute Diffamierung gegen alle Genossen zu verstehen, die den Krieg verurteilen. Es kann nur darauf hinauslaufen, dass sie eine Verurteilung des russischen Einmarsches mit einer Unterstützung der NATO und des BRD-Imperialismus gleichsetzt. Diese Behauptung ist nicht neu, sondern wurde seit Offenlegung des Dissenses in der KO immer wieder ausgepackt. Nachvollziehbar darlegen konnten die Vertreter dieser Behauptung jedoch nie, warum gerade die Position, sich im Krieg weder aus die Seite Russlands noch auf die Seite der Ukraine oder der NATO zu stellen, ausgerechnet zu einer Positionierung an der Seite der Herrschenden führen sollte.

Das hier geäußerte Verständnis geht nicht darauf ein, dass es stets opportunistische Einflüsse sind, die die Arbeiterbewegung in Kriegssituationen an die Seite der Bourgeoisie treiben. Wie passt es zusammen, dass die Antragsteller einerseits ein konsequentes Handeln gegen den Burgfrieden einfordern, andererseits Revisionismus und Opportunismus nur in Worten den Kampf ansagen – sich also nicht inhaltlich damit auseinandersetzen oder ihm sogar durch Sprechverbote (Beschluss vom Herbst, s.o.) Steine in den Weg legen?

Wenn es in der KO so etwas wie einen Ansatz zum Überlaufen ins Lager der Bourgeoisie gibt, dann zeigt sich dieser bei Teilen der revisionistischen Fraktion selbst: Mit der Position der Unterstützung des russischen Einmarsches, einer (bisher nie belegten) Interessenüberschneidung zwischen den Klassen in diesem Krieg, haben sie der Klassenkollaboration bereits Tür und Tor geöffnet. Der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse wird vom Handeln der Bourgeoisie abhängig gemacht (das russische Militär müsse in der Ukraine für bessere Klassenkampfbedingungen sorgen und so weiter). Auch wenn die die angesprochenen Teile der Revisionisten derlei Ansätze bisher „nur“ auf die russische und damit nicht die eigene Bourgeoisie beziehen (und in ihren Worten natürlich die zeitliche Begrenztheit dieser Interessenüberschneidung und Unterstützung betonen) – die Möglichkeit ist gesetzt, letztlich auch im eigenen Land statt des revolutionären Klassenkampfes die Klassenzusammenarbeit und Stärkung der Macht der Bourgeoisie anzustreben beziehungsweise zur Voraussetzung für die Arbeitermacht zu erklären. Wer diese Möglichkeit für gänzlich abwegig hält, der sollte sich verdeutlichen: Es waren Vertreter der revisionistischen ZL-Fraktion, die die Aussage im KO-Podcast vom 4. Juni 2022 mit Yana von der KPD („Ich würde nicht vom deutschen Imperialismus sprechen. Es gibt die USA und ihre Satelliten.“) unwidersprochen ließen. Nach der Logik einer rein von den USA dominierten Weltordnung in Zusammenhang mit der von Teilen dieser ZL-Fraktion bereits geäußerten Haltung, jedes Aufbegehren gegen die Weltmacht USA sei zu begrüßen und zu unterstützen – was tut man da im Falle eines verschärften Konfliktes zwischen US- und BRD-Imperialismus? Was würde aus der Logik anderes folgen als die Unterstützung des deutschen Imperialismus?

5 Zum Schluss

Sicher ist die Kritik am veröffentlichten „Leitantrag“ der revisionistischen Fraktionierer in der ZL der KO mit unserem Beitrag nicht erschöpft. Doch bereits mit dieser schlaglichtartigen Auflistung der zentralen Aussagen dieses Antrags sollte deutlich geworden sein: Die kommunistische Klärung und den Parteiaufbau hat die revisionistische ZL-Fraktion längst aufgegeben. Ihr Antrag führt keinen einzigen Schritt aus der Krise der KO, sondern zementiert den Zersetzungs- und Abbauprozess der letzten Zeit. Was durch den sehr breiten und flexiblen Spielraum des Antrags bleibt, ist eine nahezu willkürlich durch die ZL zu bestimmende politische Linie und ein umfassendes Rollback, was die kollektive Grundlage der KO betrifft. Durch die Veröffentlichung des „Leitantrags“ auf der einen Seite und des „Antrags zur Klärung der Imperialismus- in Zusammenhang mit der Kriegsfrage“ sowie der Resolution „Nicht unser Krieg!“ auf der anderen Seite, können sich alle Außenstehenden selbst ein Bild machen und entscheiden: Stelle ich mich auf die Seite der revisionistischen ZL-Fraktion, die Klärung und Parteiaufbau langsam aber sicher der Auflösung preisgibt oder positioniere ich mich an der Seite des Lagers, das nicht die Seite von bürgerlichen Regierungen ergreift, an den Zielen der KO festhält und Anträge vorgelegt hat, die die Klärung, den Parteiaufbau und den Kampf gegen Imperialismus und Opportunismus auf die aktuelle Lage anwenden?

1 https://kommunistischepartei.de/wp-content/uploads/2022/12/ZL_LeitantragaKO-2.pdf

2 https://kommunistischepartei.de/allgemein/der-revisionismus-in-unseren-reihen/

3 https://kommunistischepartei.de/allgemein/beschluss-zur-klaerung-der-imperialismus-und-kriegsfrage/

4 https://kommunistischepartei.de/allgemein/aktionsorientierung-der-ko-gegen-den-deutschen-imperialismus/

5 https://kommunistischepartei.de/wp-content/uploads/2022/12/Antrag_Klaerung-2.pdf

6 https://kommunistischepartei.de/allgemein/chronologie-der-spaltung-eine-gegendarstellung/

7 https://kommunistischepartei.de/wp-content/uploads/2022/12/Antrag_Klaerung-2.pdf

8 https://kommunistischepartei.de/wp-content/uploads/2022/12/ZL_LeitantragaKO-2.pdf

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