Wir veröffentlichen im Folgenden die Übersetzung eines Textes des Genossen Hector Maravillo, welcher 2017 in der Zeitung „El Machete“ der Kommunistischen Partei Mexikos (PCM) erschienen ist. Im Text werden viele Fragen behandelt, die auch in den aktuellen Diskussionen um die Imperialismusfrage eine Rolle spielen. Wir freuen uns daher, ihn für den deutschsprachigen Raum in die Diskussion einzubringen. Die Redaktion der Zeitung „El Machete“ bedankt sich für die Übersetzung und die Verbreitung des Textes, wir bedanken uns bei der Redaktion und dem Genossen Maravillo für die Möglichkeit, ihn zu veröffentlichen. Zitate von Marx, Engels und Lenin sowie aus den Resolutionen der Kommunistischen Internationale wurden dort in ihrer gängigen deutschen Version wiedergegeben, wo die entsprechenden Texte einfach digital zugänglich sind.
Text im Original (Artikel veröffentlicht in: El Machete Nr. 8, S. 59-92)
von Hector Maravillo (Mitglied des ZK der Kommunistischen Jugendfront Mexikos FJC)
Inhalt
Imperialismus, als monopolistische Phase des Kapitalismus
Koloniale und abhängige Länder im Imperialismus
Die Debatte über koloniale und abhängige Länder in der Kommunistischen Internationale
Das Konzept der „nationalen Bourgeoisie“
Der Fall Mexiko: die Entwicklung der nationalen Monopolbourgeoisie?
Imperialismus, als monopolistische Phase des Kapitalismus
Die kapitalistische Akkumulation ist eines der allgemeinen Gesetze des Kapitalismus, die von Karl Marx in seinem Meisterwerk analysiert wurden und die die inhärente Notwendigkeit für das individuelle Kapital und das gesellschaftliche Kapital beinhalten, den Mehrwert als Kapital zu reinvestieren, um sich selbst zu reproduzieren. Dies „reproduziert das kapitalistische Verhältnis in einem vergrößerten Maßstab: mehr Kapitalisten oder größere Kapitalisten an diesem Pol, mehr Lohnempfänger an jenem Pol“. Die kapitalistische Akkumulation führt zu einem Konzentrationsprozess des Kapitals und damit zu einer Vergrößerung der Produktionsmittel und des Heeres der Arbeiter, über die das einzelne Kapital verfügt. Neben dieser Art der Kapitalkonzentration, die mit der Akkumulation identisch ist, gibt es einen Prozess der Konzentration der bereits gebildeten Kapitalien (Zentralisation), die Umwandlung vieler kleinerer Kapitalien in wenige größere Kapitalien. Beide Prozesse, die Konzentration und die Zentralisation des Kapitals, beeinflussen sich gegenseitig und erhöhen jeweils das Niveau ihrer Entwicklung: „Die Konzentration des Kapitals oder der Prozess seiner Attraktion wird in dem Maße intensiver, wie sich mit der Akkumulation die spezifisch kapitalistische Produktionsweise entwickelt. Im Gegenzug wird die Konzentration zu einem der großen Hebel für diese Entwicklung. Sie verkürzt und beschleunigt die Verwandlung der bisher zerstreuten Produktionsprozesse in gesellschaftlich kombinierte, in großem Maßstab durchgeführte Prozesse“ (Marx, Kapital, Bd. I). (Anmerkung der Redaktion: wir geben an dieser Stelle die deutsche Übersetzung der spanischen Version des „Kapitals“ wieder, in der es heißt: „la concentración de los capitales, o el proceso de su atracción, se vuelve más intensa en la proporción en que, con la acumulación se desarrolla el modo específicamente capitalista de producción. A su vez, la concentración se convierte en una de las grandes palancas de ese desarrollo. Abrevia y acelera la transformación de procesos de producción hasta ahora dispersos, en procesos combinados socialmente y ejecutados en gran escala”. Die Passage ist eine Übersetzung im Kapitel 23, Teil 1, Abschnitt 2 (Relative Abnahme des variablen Kapitaleils im Fortgang der Akkumulation und der sie begleitenden Konzentration), stellt jedoch keine genaue spanische Übersetzung der deutschen Version des Kapitals dar.)
Bei der Analyse der Entwicklungsgesetze des Kapitalismus entdeckte Marx auch die objektiven Grundlagen, auf denen eine neue Gesellschaft innerhalb des Kapitalismus keimte, aus dessen ideologischem Heiligenschein. Die Konzentrations- und Zentralisationsprozesse des Kapitals in den einzelnen Unternehmen, Branchen und allgemein in der Produktion und Verteilung von Waren waren die Form, in der sich die Vergesellschaftung der Produktion und der Arbeit vollzogi, aber in der Entwicklungsphase, in der Marx lebte und studierte, war dieser Prozess nicht das vorherrschende Merkmal der Wirtschaft, sondern nur eine zukünftige Tendenz. In der Phase der Entwicklung des Kapitalismus, die Marx und Engels erlebten und analysierten, hatte die Konzentration noch nicht den höchsten Grad erreicht, und „der in jeder besondren Produktionssphäre ansässige Teil des gesellschaftlichen Kapitals ist verteilt unter viele Kapitalisten, welche einander als unabhängige und miteinander konkurrierende Warenproduzenten gegenüberstehn.“ (ebd.).
Dieser unaufhörliche Prozess konsolidierte sich jedoch weiter, und einige Jahrzehnte nach Marx‘ Tod wurde er zum Hauptmerkmal des Kapitalismus und bestimmte die höchste Stufe seiner Entwicklung. Viele Theoretiker der Zweiten Internationale und sogar bürgerliche Intellektuelle untersuchten die Merkmale des Kapitalismus im letzten Viertel des 19. und in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts: die Rolle des Bankkapitals und der Aktiengesellschaften, die imperialistische Politik oder das Aufkommen neuer Formen der Unternehmensorganisation zwischen den Kapitaleignern (Kartell, Trust usw.). Aufgrund ihrer eigenen politischen und ideologischen Beschränkungen gelang es ihnen jedoch nicht, die Beziehung zwischen all diesen Prozessen zu durchdringen, die eine neue und letzte Phase in der Entwicklung des Kapitals mit wichtigen Folgen für die politische Strategie darstellten. Diese Rolle fiel Wladimir I. Lenin zu. Lenin, dem es nach zweijähriger Forschungsarbeit (festgehalten in den Notizbüchern über den Imperialismus) gelang, die Studien der bürgerlichen und opportunistischen Intelligenz jener Zeit sowie die wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Daten seiner Zeit in seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ zusammenzufassen.
In diesem Text wird der Imperialismus in seinem ökonomischen Wesen als Monopolkapitalismus definiert. Dies bestimmt den historischen Ort des Imperialismus, „das Monopol, das auf dem Boden der freien Konkurrenz und eben aus der freien Konkurrenz erwächst, bedeutet den Übergang von der kapitalistischen zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation.“, d.h. der Übergang zum Sozialismus. Lenin charakterisiert vier „Haupterscheinungsformen“ oder „„Hauptarten“ des Monopolkapitalismus in seiner imperialistischen Phase:
1. „Das Monopol ist aus der Konzentration der Produktion auf einer sehr hohen Stufe ihrer Entwicklung erwachsen. Das sind die Monopolverbände der Kapitalisten, die Kartelle, Syndikate und Trusts. Wir sahen, welch gewaltige Rolle sie im heutigen Wirtschaftsleben spielen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewannen sie in den fortgeschrittenen Ländern das völlige Übergewicht, und wenn die ersten Schritte auf dem Wege der Kartellierung zuerst von Ländern mit hohen Schutzzöllen (Deutschland, Amerika) getan wurden, so hat England mit seinem Freihandelssystem nur wenig später dieselbe grundlegende Tatsache aufzuweisen: die Entstehung der Monopole aus der Konzentration der Produktion.“
2. „Die Monopole haben in verstärktem Maße zur Besitzergreifung der wichtigsten Rohstoffquellen geführt, besonders in der ausschlaggebenden und am meisten kartellierten Industrie der kapitalistischen Gesellschaft: der Kohlen- und Eisenindustrie. Die monopolistische Beherrschung der wichtigsten Rohstoffquellen hat die Macht des Großkapitals ungeheuer gesteigert und den Gegensatz zwischen der kartellierten und nichtkartellierten Industrie verschärft.“
3. „Das Monopol ist aus den Banken erwachsen. Diese haben sich aus bescheidenen Vermittlungsunternehmungen zu Monopolisten des Finanzkapitals gewandelt. Drei bis fünf Großbanken einer beliebigen der kapitalistisch fortgeschrittensten Nationen haben zwischen Industrie- und Bankkapital eine „Personalunion“ hergestellt und in ihrer Hand die Verfügungsgewalt über Milliarden und aber Milliarden konzentriert, die den größten Teil der Kapitalien und der Geldeinkünfte des ganzen Landes ausmachen. Eine Finanzoligarchie, die ein dichtes Netz von Abhängigkeitsverhältnissen über ausnahmslos alle ökonomischen und politischen Institutionen der modernen bürgerlichen Gesellschaft spannt – das ist die krasseste Erscheinungsform dieses Monopols.“
4. „Das Monopol ist aus der Kolonialpolitik erwachsen. Den zahlreichen „alten“ Motiven der Kolonialpolitik fügte das Finanzkapital noch den Kampf um Rohstoffquellen hinzu, um Kapitalexport, um „Einflußsphären“ d.h. um Sphären für gewinnbringende Geschäfte, Konzessionen, Monopolprofite usw. – und schließlich um das Wirtschaftsgebiet überhaupt. Als z.B. die europäischen Mächte mit ihren Kolonien erst den zehnten Teil von Afrika besetzt hatten, wie es noch 1876 der Fall war, da konnte sich die Kolonialpolitik auf nichtmonopolistische Weise entfalten, in der Art einer sozusagen „freibeuterischen“ Besetzung des Landes. Als aber neun Zehntel Afrikas bereits besetzt waren (gegen 1900), als die ganze Welt verteilt war, da begann unvermeidlich die Ära des monopolistischen Kolonialbesitzes und folglich auch eines besonders verschärften Kampfes um die Aufteilung und Neuaufteilung der Welt.“
(Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus)
In der imperialistischen Epoche hat die freie Konkurrenz des Kapitalismus zu einer so starken Konzentration der Produktion geführt, dass sie zum Monopol wird.ii Dieser Prozess betrifft nicht nur die Organisation der einzelnen Kapitale und ihr Verhältnis in den einzelnen Wirtschaftszweigen, sondern endet damit, dass die Weltwirtschaft und damit die individuelle Wirtschaft eines jeden Landes der Konkurrenz der Monopole unterworfen wird.
Die monopolistischen Zusammenschlüsse von Kapitalisten (Kartelle, Konsortien, Trusts usw.) teilen in erster Linie den heimischen Markt unter sich auf und übernehmen mehr oder weniger vollständig die gesamte nationale Produktion. Doch im Kapitalismus und erst recht im Imperialismus ist der Binnenmarkt unweigerlich mit dem Weltmarkt verbunden. Und da sich dieser Prozess vor allem seit dem Kapitalexport fortsetzte und ausweitete, führten die Beziehungen dieser Monopolverbände mit dem Ausland zu Vereinbarungen mit internationalem Charakter zwischen ihnen, zur Bildung internationaler Kartelle (ebd.).
Die Monopole konkurrieren nicht nur um „ihren“ heimischen Markt, um Rohstoffe, Transportmöglichkeiten für ihre Waren und Märkte, in die sie sie einführen wollen; sie gehen über die Grenzen ihrer eigenen Länder hinaus und beginnen, um neue Märkte und Territorien zu konkurrieren. Darüber hinaus sind die Monopole angesichts der Grenzen, die „ihrer“ Volkswirtschaft bei der Erzielung steigender Profite gesetzt sind (Tendenz zum Sinken der Profitrate, unvermeidliche Tendenz zu Überproduktions- und Überakkumulationskrisen, starke Arbeiterbewegung usw.), gezwungen, ihr Kapital zu exportieren und die Welt mit anderen Monopolen zu bestreiten. So gelingt es ihnen nur um den Preis, dass sie die Widersprüche des Kapitalismus auf die ganze Welt übertragen, individuell zu überleben.
Auf der Grundlage des Verteilungs- und Wirtschaftsstreits der Welt zwischen den verschiedenen kapitalistischen Verbänden werden innerhalb und zwischen den Staaten politische Bündnisse für die territoriale Aufteilung der Welt, den Kampf um Kolonien und „Einflusssphären“ zwischen den Großmächten geschlossen.
Die Internationalisierung des Kapitalismus durch den Kampf zwischen den Monopolen um die Aufteilung der Welt, durch den Kapitalexport und die Kontrolle der Märkte, der Rohstoff- und Brennstoffquellen, der Handelswege usw. sowie der Kampf zwischen den Mächten um die Aufteilung von Kolonien und„Einflussgebieten“ bringen den Weltmarkt auf eine höhere Ebene der Verflechtung und gegenseitigen Abhängigkeit der kapitalistischen Ökonomien. Lenin benutzte das Schema der „imperialistischen Kette“, um den Arbeitern pädagogisch zu erklären, dass in der imperialistischen Epoche die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ländern und ihren Volkswirtschaften zu einem allgemeinen System werden, in dem jedes einzelne ein Element, „Kettenglieder der Operationen des Weltfinanzkapitals“ sind (ebd.)iii. Mit dieser erklärenden Figur zeigte Lenin die Verflechtung zwischen der Wirtschaft der Metropolen, in denen das Finanzkapital vorherrschte, und der Wirtschaft der anderen Länder, vor allem der Kolonien, auf, um die Ausbeutung der Arbeiterklasse und der Volksschichten in der ganzen Welt durch eine Handvoll Länder und mehr noch durch eine Handvoll Monopolgruppen zu demonstrieren.
Aus der Interdependenz („interdependencia“ im Original, was gelegentlich auch mit „gegenseitiger Abhängigkeit“ oder „Wechselwirkung“ übersetzt wird, Anm. d. Redaktion) der verschiedenen Volkswirtschaften, die zu bloßen Gliedern der imperialistischen Kette geworden sind, wird gefolgert, dass es im Monopolkapitalismus keine wirkliche Möglichkeit einer echten nationalen Wirtschaft gibt. Zweitens wird festgestellt, dass die Kämpfe der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern und der Volksmassen in den kolonialen Ländern auch Glieder desselben Kampfes gegen den Imperialismus bilden, die „innere“ und „äußere“ Front, wie Stalin es nennen würde, und schließlich diese Verflechtung der Weltwirtschaft, die Wirtschaftskrise eines jeden Landes in eine Krise des Weltkapitalismus verwickelt (wie 1929 und 2008, um nur einige Beispiele zu nennen), imperialistische Kriege unausweichlich macht und die revolutionäre Krise in der ganzen Welt verschärft (Stalin, Über die Grundlagen des Leninismus).
Auf dieser Grundlage hält Lenin an der Möglichkeit der sozialistischen Revolution in Russland fest, und es dauerte nur ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, bis sich dies durch die Fakten bestätigte. In der imperialistischen Kette, in der Weltwirtschaft, könne die proletarische Revolution nicht als ausschließliches Ergebnis der inneren Entwicklung eines Landes aufgefasst werden, sondern als „Ergebnis der Entwicklung der Widersprüche im Weltsystem des Imperialismus betrachten, als Ergebnis dessen, dass die Kette der imperialistischen Weltfront in diesem oder jenem Lande reißt.“ (ebd.)iv.
Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hat das Schema der imperialistischen Pyramide verwendet, um das imperialistische Weltsystem genauer zu veranschaulichen, im Gegensatz zu den Versuchen des Opportunismus, sich hinter entkontextualisierten Lenin-Zitaten zu verstecken, um die Verteidigung „ihrer“ „nationalen“ Monopole angesichts der Weltmarktkonkurrenz zu rechtfertigen. Das Bild der imperialistischen Pyramide unterstreicht, dass der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus keine Situation einiger weniger Länder ist, sondern die Basis, auf der sich alle wirtschaftlichen Beziehungen entwickeln. Die Position eines bestimmten Landes „definiert die verschiedenen Formen der Beziehungen zwischen den Kapitalisten, die durch Ungleichheit gekennzeichnet sind“. In das imperialistische System als Weltsystem werden „alle kapitalistischen Länder einbezogen, auch solche, die rückständig sind oder Reste vorkapitalistischer Wirtschaftsformen aufweisen. Die führenden Mächte stehen an der Spitze; zwischen ihnen herrscht ein starker Wettbewerb, und die getroffenen Vereinbarungen sind vorübergehender Natur“, aber „die imperialistische Politik wird nicht nur von den kapitalistischen Ländern an der Spitze ausgeübt, sondern auch von denen auf anderen Ebenen, einschließlich derjenigen mit starken Abhängigkeiten von den Großmächten, wie regionale und lokale Mächte“, wie Länder wie die Türkei oder Israel (Papariga, On Imperialism and the Imperialist Pyramid). Die Verteilung der Positionen, die die Länder in der imperialistischen Kette oder Pyramide einnehmen, ist nicht etwas Unveränderliches, wie Lenin in seinem Pamphlet zeigt, sondern etwas, das historisch durch die ungleiche Entwicklung des Kapitalismus bestimmt ist und das den Aufstieg neuer Mächte im imperialistischen Wettbewerb ermöglicht; zu Lenins Zeiten nahmen Deutschland, Japan und die Vereinigten Staaten diese neuen Positionen ein, heute sind es Länder wie China, die aufsteigen.
Koloniale und abhängige Länder im Imperialismus
Der Imperialismus verwandelte die vielfältigen Beziehungen zwischen verschiedenen Staaten und Nationen in eine Reihe von miteinander verknüpften Beziehungen, allerdings mit einem klaren Unterschied zwischen den Unterdrückerländern und den unterdrückten Nationen, den imperialistischen Ländern und den Kolonien. Aber wie alles in dieser Welt befindet sich auch dieser Widerspruch nicht in einem „reinen“ Zustand, sondern in einem Zustand der Entwicklung; daher ist der Widerspruch von verschiedenen Zuständen im Übergang umgeben. Das Fehlen eines dialektischen Kriteriums für die Herangehensweise an die Frage war ein wesentlicher Bestandteil einiger der konzeptionellen und vor allem politischen Probleme, mit denen die kommunistische Bewegung konfrontiert war und die der Opportunismus ausgenutzt hat.
Lenin hat, wie es weder seine Gewohnheit war, noch die Art und Weise, das Problem vom Standpunkt des dialektischen Materialismus aus anzugehen, nie einen Katalog der verschiedenen Übergangszustände oder eine Definition für die verschiedenen konkreten Formen der Länder, die der imperialistischen Unterdrückung unterworfen waren, angeboten. Es genügte, den wesentlichen Zustand all dieser Länder anhand des höchsten Falles imperialistischer Unterdrückung, der Kolonie, zu erklären, wie auf dem VI. Kongress der Kommunistischen Internationale, wo Travin (Sergej I. Gussew) in den Thesenentwürfen des Kongresses die Möglichkeit von 16 verschiedenen Kombinationen zur Charakterisierung der verschiedenen Arten von Kolonien hervorhob. Es ist daher sinnvoll, die gebräuchlichsten Bezeichnungen für diese Länder zu klären: Kolonie, Halbkolonie und abhängige Länder.
Kolonien gab es in der Freihandelsphase des Kapitalismus und sogar unter vorkapitalistischen Produktionsweisen und bedeuteten in unterschiedlichem Maße die Unterwerfung eines oder mehrerer Völker unter einen Staat, die politische Kontrolle und wirtschaftliche Ausbeutung ihres Territoriums. Das wesentliche Merkmal der Kolonie im Imperialismus ist, dass diese politische Unterwerfung und wirtschaftliche Ausbeutung dem Finanzkapital, den Monopolgesellschaften, dient und sich in der Kontrolle durch die imperialistischen Mächte materialisiert.
Neben den beiden grundlegenden Ländergruppen (die, die Kolonien besitzen und die Kolonien) gibt es aber auch „Übergangsformen staatlicher Abhängigkeit“, eine Reihe von verschiedenen Formen abhängiger Länder, „die politisch, formal selbständig, in Wirklichkeit aber in ein Netz finanzieller und diplomatischer Abhängigkeit verstrickt sind. Auf eine dieser Formen, die Halbkolonien, haben wir bereits hingewiesen. Ein Musterbeispiel für eine andere Form ist z.B. Argentinien.“ (Lenin, Imperialismusals höchstes Stadium des Kapitalismus).
Die metaphysische Argumentation hat es ermöglicht, die kolonialen und „abhängigen“ Länder ohne ihre notwendige Verflechtung mit der Weltwirtschaft zu betrachten und die Tatsache zu ignorieren, dass sie sich in einem Entwicklungsprozess befinden. Das koloniale Problem wird häufig als ein geschlossener Katalog betrachtet, in den alle Länder zwangsweise eingeordnet werden müssen. Dies wurde vom Opportunismus und der „Linken“ als Vorwand benutzt, um als Rezept Taktiken anzuwenden, die weder der konkreten Situation noch der revolutionären Strategie entsprachen, wobei einige Merkmale einseitig hervorgehoben wurden.
Das Beispiel Portugals, das Lenin in seinem Text anführt, ermöglicht es uns, die richtige Herangehensweise an das Problem auf der Grundlage des dialektischen Materialismus zu verstehen. Lenin sagt uns, dass Portugal, ein Land, das seine politische Unabhängigkeit als unabhängiger souveräner Staat bewahrt, in finanzieller und diplomatischer Abhängigkeit von England steht. Vor allem war Portugal ein kolonialistisches Land, da es seine Kolonien in Afrika besaß und ausbeutete, während es gleichzeitig von England abhängig war. Zeitgenössische Opportunisten, die sich über die These der Interdependenz („interdependencia“ im Original, Anm. der Redaktion) lustig machen, hätten das Gleiche von Lenin gedacht: „ein ‚abhängiges koloniales‘ Land“v Was für ein Unsinn, man weiß, dass das eine das eine und das andere das andere ist. Die Realität ist töricht und drängt sich auf, man denke nur an das Beispiel der Kolonialpolitik Spaniens gegenüber Marokko und Marokkos gegenüber dem saharauischen Volk oder an das Verhältnis zwischen der imperialistischen Politik der Europäischen Union als Ganzes und den besonderen Interessen Frankreichs und Deutschlands.
Es genügt, von der Gesamtheit aller Zusammenhänge des Prozesses auszugehen, um sich nicht auf dem Weg zu verirren. Zum Beispiel Portugal: Um seine Beziehung zu Angola im 20. Jahrhundert zu verstehen, muss man nachvollziehen, dass Portugal nicht nur die politische Kontrolle und die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes aufrechterhielt, sondern auch in ein Netz finanzieller (und damit diplomatischer) Abhängigkeit von England verstrickt war. Auf diese Weise hat die Ausbeutung der angolanischen Massen indirekt das britische Finanzkapital vermehrt, ohne die Profite der portugiesischen Bourgeoisie aus „ihren“ Kolonien zu unterdrücken.
Da die Wirklichkeit nur in Bewegung existiert und daher alle Prozesse und Phänomene sowie ihre jeweiligen Konzepte in einem ständigen Wandel begriffen sind, ist es unerlässlich, die koloniale Unterdrückung und die finanzielle Ausbeutung in ihrer Entwicklung zu analysieren. Nur so ist Lenins Warnung vor Persien und China zu verstehen, die von halbkolonialen Ländern mit begrenzter Unabhängigkeit im Begriff waren, vollständig zu Kolonien zu werden, die politisch völlig untergeordnet waren.vi Aber es erlaubt uns auch zu verstehen, dass die koloniale oder abhängige Situation nicht über Jahre hinweg statisch bleibt und dass ein Land, das sich vor Jahrzehnten in einer solchen Situation befand und auf die ungleiche Entwicklung des Kapitalismus reagierte, den Sprung schaffen und seinen Platz als aufstrebendes imperialistisches Land behaupten kann, wie es Brasilien, Südafrika, der Iran oder die Türkei in den letzten Jahrzehnten zumindest in ihrer Region versucht haben.
Die Debatte über koloniale und abhängige Länder in der Kommunistischen Internationale
Die Charakterisierung der Länder, die unter der Unterdrückung des Finanzkapitals durch den Imperialismus stehen, war für die Kommunistische Internationale ein Problem von größter Bedeutung, da davon die richtige Einschätzung des Charakters der Revolution in diesen Ländern und die Festlegung einer revolutionären Strategie mit der entsprechenden Taktik abhing; eine der am meisten diskutierten Fragen war die Rolle, die gegenüber der „nationalen“ Bourgeoisie eingenommen werden sollte.
Das Kolonialproblem wurde erstmals auf dem Zweiten Kongress (1920) der Kommunistischen Internationale (KI) in den !Thesen und Ergänzungen zu den nationalen und kolonialen Problemen“ in besonderer Weise analysiert. Was das nationale Problem betrifft, so enthalten die Thesen drei Warnungen, die man immer im Hinterkopf behalten muss, um nicht die Orientierung zu verlieren: [man müsse ausgehen] „erstens von einer genauen Einschätzung der konkreten historischen und vor allem der ökonomischen Situation; zweitens von einer klaren Herauslösung der Interessen der unterdrückten Klassen, der Werktätigen, der Ausgebeuteten, aus dem allgemeinen Begriff der Volksinteressen schlechthin, der die Interessen der herrschenden Klasse bedeutet; drittens von einer ebenso klaren Unterscheidung zwischen unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten und unterdrückenden, ausbeutenden, vollberechtigten Nationen“ (Lenin Werke 31, S. 133, im spanischen Original zitiert nach Los cuatro primeros congresos de la Internacional Comunista. Primera parte: 151-152).
Auf diesem Kongress wurden die nationale und die koloniale Problematik gemeinsam behandelt, und obwohl sie im Allgemeinen miteinander verwoben sind, bleiben sie qualitativ unterschiedlich. vii In den Thesen wird unterschieden zwischen rückständigeren Nationen und Staaten, „in denen feudale oder patriarchalische und patriarchalisch-bäuerliche Verhältnisse überwiegen“, eine Situation, die alle kommunistischen Parteien unter anderem dazu verpflichtet „erstens […] die bürgerlich demokratische Befreiungsbewegung in diesen Ländern [zu] unterstützen (…) viertens die Notwendigkeit, speziell die Bauernbewegung in den zurückgebliebenen Ländern gegen die Gutsherren, gegen den Großgrundbesitz, gegen alle Erscheinungsformen oder Überreste des Feudalismus zu unterstützen (…) fünftens […] Die Kommunistische Internationale muß ein zeitweiliges Bündnis mit der bürgerlichen Demokratie der Kolonien und der zurückgebliebenen Länder eingehen, darf sich aber nicht mit ihr verschmelzen, sondern muß unbedingt die Selbständigkeit der proletarischen Bewegung — sogar in ihrer Keimform — wahren“ (Lenin Werke 31, S. 137 f, im spanischen Original zitiert nach Los cuatro primeros congresos de la Internacional Comunista. Primera parte: 155-156)
Die in dieser These dargelegte Spaltung ist von grundlegender Bedeutung, auch wenn sie vielleicht unbemerkt bleibt, da sie den Kommunistischen Parteien verbindliche Aufgaben auferlegt. Der Prüfstein ist nicht in formalen Elementen wie der politischen Unabhängigkeit zu finden, sondern in der Charakteristik des Landes, seiner wirtschaftlichen Rückständigkeit, die sich in der Vorherrschaft feudaler oder patriarchalischer Verhältnisse ausdrückt. Aus den ersten beiden Vorbehalten geht hervor, dass das Bündnis mit der „nationalen Bourgeoisie“ nicht überall dort angewendet werden kann, wo es ein koloniales oder nationales Problem gibt, sondern nur in den Ländern, die wirtschaftlich rückständig sind.
Die ergänzenden Thesen, die auf der Grundlage des Vorschlags des indischen Kommunisten M.N. Roy verfasst wurden, entfalteten die kapitalistischen Verhältnisse in den Kolonien und definierten den Charakter der Revolution in diesen Ländern. Sie erklärten die Rolle der Kolonien in der imperialistischen Kette als „eine der Hauptquellen der Kräfte des europäischen Kapitalismus“, da sie über große Märkte und ausgedehnte Ausbeutungsgebiete verfügten, die den „kapitalistischen Mächten Europas“ neben dem dort erzielten Mehrwert zusätzliche Märkte für den Verkauf der Überproduktion und Quellen für Rohstoffe lieferten. Der Besitz und die Ausbeutung der Kolonien wurden zu einem großen Hindernis für die Niederlage des Kapitalismus.
Gleichzeitig verhinderte der ausländische Imperialismus, dass sich die Kolonien sozial und wirtschaftlich im gleichen Maße entwickelten wie die Klassen in Europa und Amerika. „Dank der imperialistischen Politik, die bestrebt ist, die industrielle Entwicklung in den Kolonien aufzuhalten, hat das eingeborene Proletariat eigentlich erst vor kurzem zu existieren begonnen. (…) Die lokal zersplitterte Hausindustrie hat der zentralisierten Industrie der imperialistischen Länder den Platz geräumt; infolgedessen wurde die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung gezwungen, sich mit Ackerbau zu beschäftigen und die Rohstoffe ins Ausland auszuführen. Andererseits ist eine schnell anwachsende Konzentration des Bodens in den Händen der Großgrundbesitzer, der Kapitalisten und des Staates zu beobachten, was wieder zur Vermehrung der Zahl der landlosen Bauern beiträgt.“ (zitiert nach der deutschen Version der Ergänzungsthesen über die Nationalitäten- und Kolonialfrage, im spanischen Original zitiert nach Los cuatro primeros congresos de la Internacional Comunista. Primera parte: 159)
Die Schlussfolgerung war einfach: Wenn die Fremdherrschaft die freie Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte und damit die Bildung einer starken Arbeiterklasse behindert, muss der erste Schritt der Revolution in den Kolonien die Zerstörung dieser Fremdherrschaft sein. Obwohl die Nuance wichtig ist, impliziert das imperialistische Wesen die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien als eine Säule der Stärke des Kapitalismus, aber es ist nur ein sekundäres Merkmal die Behinderung der industriellen Entwicklung, die nicht Teil des Imperialismus als Phase ist, sondern nur eine imperialistische, und daher eine vorübergehende, Politik.viii
Die Thesen machten deutlich, dass die Revolution in ihrer ersten Phase nicht kommunistisch sein konnte, aber dass die Führung von Anfang an in den Händen einer kommunistischen Avantgarde liegen sollte, um die Massen nicht zu desorientieren. Die Revolution in den Kolonien müsse kleinbürgerliche Reformen auf dem Lande durchführen, z.B. die Landverteilung, aber nicht notwendigerweise die Führung in die Hände der bürgerlichen Demokratie legen, sondern Propaganda entwickeln und Bauern- und Arbeitersowjets organisieren, die in enger Zusammenarbeit mit den Räterepubliken zum Kommunismus führen, ohne die verschiedenen Stadien der kapitalistischen Entwicklung zu durchlaufen (Ebenda: 160).
Der Vierte Kongress der KI (1922), der die auf dem Zweiten Kongress angenommenen Thesen bestätigteix, stellte eine Schwächung der imperialistischen Macht über die Kolonien fest, die nicht nur die Rivalität zwischen den verschiedenen imperialistischen Gruppen verstärkte, sondern auch „die Entwicklung des einheimischen Kapitalismus in den kolonialen und halbkolonialen Ländern erleichterte“. Bis dahin hatte das Finanzkapital der Metropolen „in seinem Versuch, den Mehrwert der Ausbeutung, der kommerziellen, industriellen und fiskalischen Ausbeutung der rückständigen Länder zu monopolisieren, versucht, letztere vom Weltwirtschaftskreislauf zu isolieren“. Auf diesem Kongress wird er als unauflösbarer Widerspruch zwischen den „Interessen des Weltkapitalismus“ und dem „Fortschritt der einheimischen Produktivkräfte in den Kolonien“ dargestellt, denn „das Wesen des Imperialismus besteht in der Ausnutzung des unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der Produktivkräfte in den verschiedenen Sektoren der Weltwirtschaft mit dem Ziel, die Gesamtheit des monopolisierten Mehrwerts zu sichern“ (Ebenda).
Aufgrund dieser Situation beschloss die Kommunistische Internationale, „jede national-revolutionäre Bewegung, die sich gegen den Imperialismus richtet“, zu unterstützen, ohne jedoch „die bestehende Verbindung zwischen der einheimischen Bourgeoisie und den reaktionären feudalen Elementen“ aus den Augen zu verlieren, eine Verbindung die so eng ist dass man sagen kann, dass die „Nationalisten ideologisch und politisch von den Großgrundbesitzern abhängen“, weshalb diese „einheimische Bourgeoisie“ eine hybride Politik betreibt, aus Angst vor Agrarparolen, die sie so weit wie möglich unterdrückt (Ebenda: 227). Zu Beginn übernehmen die Bourgeoisie und die Intellektuellen die Rolle der Avantgarde im kolonialen Kampf, aber wenn sich die proletarischen und bäuerlichen Massen diesen Bewegungen anschließen, „entfernen sich Elemente der Großbourgeoisie und der Bourgeoisie des Großgrundbesitzes“.
Der Fünfte Kongress der KI (1924) brachte keine besondere These zur Kolonialfrage hervorx, obwohl auf der 20. und 21. Tagung (30. Juni bzw. 1. Juli 1924) eine Diskussion zu diesem Thema stattfand. D. Z. Manuilsky, der von 1924 bis zu ihrer Auflösung Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale war, stellte zu Recht fest, dass der Zweite Kongress der KI die Haltung der jungen kommunistischen Parteien gegenüber der nationalen Befreiungsbewegung der an die Macht gelangten Bourgeoisie festgelegt hatte, fügte aber hinzu, dass sich diese Situation in zwei Ländern des Ostens geändert hatte, was bedeutete, die Haltung gegenüber einer Bourgeoisie festzulegen, die bereits an die Macht gelangt war (Fünfter Kongress der Kommunistischen Internationale. Berichte, Übersetzung aus dem Spanischen nach V Congreso de la Internacional Comunista. Informes: 273).
In dieser Diskussion kritisiert Manuilsky die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) dafür, dass sie eine so klare Situation wie die Position, die im Klassenkampf angesichts einer an die Macht gekommenen Bourgeoisie einzunehmen ist, nicht versteht. Er kritisierte die TKP dafür, dass sie empfahl, „das nationale Kapital gegen das ausländische Kapital zu unterstützen“, und wies darauf hin, dass die gleiche Tendenz in Russland mit dem legalen Marxismus von Struve existierte, der die Arbeiterklasse aufforderte, den Kapitalismus zu unterstützen. Beide Fehler rühren von der Verwechslung der Entwicklung der Produktionskräfte mit der Entwicklung des Kapitals her (ebd.: 273-274).xi
Im Gegensatz zu den vorangegangenen Kongressen entwickelte der Sechste Kongress der KI (1928) keine Thesen und Resolutionen zu den verschiedenen Einzelproblemen, sondern legte ein „Programm für die proletarische Weltdiktatur, ein Programm des Kampfes für den Weltkommunismus“ fest (Sechster Kongress der Kommunistischen Internationale. Hier und im Folgenden übersetzt aus dem Spanischen nach VI Congreso de la Internacional Comunista. Primera parte: 249). Aus diesem Grund wurde verstärkt versucht, die wesentlichen Merkmale der Wirtschaft in den Kolonien und der imperialistischen Kolonialpolitik zu systematisieren, um die allgemeine Strategie und Taktik für diese Länder festzulegen. In der ersten diesbezüglichen Erklärung stellt die Kommunistische Internationale fest, dass die Geschichte der Kolonien nur verstanden werden kann, wenn man sie „als integralen organischen Bestandteil der Geschichte der Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft als Ganzes, von ihren ältesten Formen bis zu ihrem letzten Stadium, dem Imperialismus“, betrachtet (ebd.: 195).
In dem Maße, wie die Kolonien vom Kapitalismus in seine Weltwirtschaft eingegliedert wurden, kommen „alle charakteristischen Merkmale (…) der kapitalistischen Produktionsweise und der bürgerlichen Gesellschaftsordnung wie in einem Spiegel in der wirtschaftlichen und politischen Geschichte der kolonialen und halbkolonialen Länder zum Ausdruck“ (ebenda: 195). Diesen Thesen zufolge werden die schädlichen Folgen der kapitalistischen Entwicklung in den Kolonien reproduziert, vor allem in der ersten Phase ihrer Existenz, aber die fortschrittlichen Folgen des Kapitalismus sind nur in geringem Maße spürbar.
In den Thesen des Sechsten Kongresses werden zwei Arten von Kolonialländern unterschieden, nämlich solche, die als Kolonisationsgebiete für die überschüssige Bevölkerung dienen und zu einer „Erweiterung ihres kapitalistischen Systems“ werden (Australien, Kanada usw.), und solche, die „von den Imperialisten als Verbrauchermärkte, Rohstoffquellen und Gebiete für die Platzierung von Kapital ausgebeutet werden“ (ebd.: 196).
Dieser Kongress definiert das „imperialistische Regime“xii sehr präzise als „ein Monopol der Bourgeoisie des imperialistischen Landes in dem jeweiligen abhängigen Land, das nicht nur auf wirtschaftlichem Druck, sondern auch auf außerwirtschaftlichem Zwang beruht und im Übrigen ein Monopol ist, das zwei Hauptfunktionen erfüllt: Sie dient einerseits der skrupellosen Ausbeutung der Kolonien (verschiedene Formen der direkten und indirekten Besteuerung, Superprofite […], Lieferung von billigen Rohstoffen […], Ausbeutung der Arbeitskraft usw. ); und andererseits dient das imperialistische Monopol der Aufrechterhaltung und Entwicklung der eigenen Existenzbedingungen, d.h. es erfüllt die Funktion der Versklavung der Massen in den Kolonien“. (Ebd.: 197).
Die allgemeine Tendenz der imperialistischen Länder besteht darin, ihre Kolonien „zu einem untergeordneten integralen Bestandteil des jeweiligen imperialistischen Systems zu machen und sie in dieses System einzugliedern im Interesse der Gewährleistung (sic) wirtschaftlicher Autarkie, um mit anderen imperialistischen Systemen zurechtzukommen, andererseits aber auch in dem Sinne, dass die Kolonien aus den unmittelbaren Beziehungen zur Weltwirtschaft als Ganzes amputiert werden und die Funktion eines obersten Vermittlers und Reglers aller ihrer wirtschaftlichen Kontakte mit der Außenwelt übernehmen“ (Ebenda: 200). Um das Monopol der Kolonie aufrechtzuerhalten, versucht das imperialistische Land, die einseitige Abhängigkeit der Kolonien von der Metropole zu verstärken und sie zu zwingen, die Interessen ihrer autonomen Entwicklung zu opfern und die Rolle eines bloßen wirtschaftlichen Anhängsels zu übernehmen. Die traditionelle Wirtschaftsordnung der Kolonien wird zerstört und der Kette des Finanzkapitals untergeordnet, wodurch das Gleichgewicht der Produktionszweige gestört und die Entwicklung der Produktivkräfte in den Kolonien künstlich behindert wird.
Die Wirtschaftspolitik des Imperialismus in den Kolonien geht Hand in Hand mit dem Ziel, „ihre Abhängigkeit aufrechtzuerhalten und zu vertiefen, ihre Ausbeutung zu verstärken und so weit wie möglich auf ihre autonome Entwicklung hinzuarbeiten“. Der Kapitalexport in den Kolonien beschleunigt tendenziell die Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse, aber nie mit dem Ziel, die Unabhängigkeit zu fördern, sondern eher, um die Abhängigkeit vom imperialistischen Finanzkapital zu verstärken. Nur unter dem Druck besonderer Umstände kann die Bourgeoisie der imperialistischen Staaten gezwungen werden, die Entwicklung der Großindustrie in den Kolonien zu fördern. So kann sie beispielsweise zur Kriegsvorbereitung zur Entwicklung bestimmter Industrien wie der Metallurgie oder der Chemie führen; die Konkurrenz durch stärkere Konkurrenten kann Zugeständnisse in der Zollpolitik erzwingen; oder um die Bourgeoisie der Kolonialländer in Zeiten der Revolutionsbewegung zu bestechen, kann sie den wirtschaftlichen Druck bis zu einem gewissen Grad lindern. Doch sobald diese außergewöhnlichen Umstände ihren Einfluss verlieren, zielt die Wirtschaftspolitik der imperialistischen Staaten sofort auf Unterdrückung ab (ebd.: 204).
In der Absicht, als Programm für die Weltrevolution des Proletariats zu dienen, legte der Sechste Kongress ein Schema der grundlegenden Revolutionstypen vor, die ineinandergreifen, um in ihrer Endphase die Weltdiktatur des Proletariats zu erreichen:
- „Hochentwickelte kapitalistische Länder (Vereinigte Staaten, Deutschland, England usw.) mit mächtig entfalteten Produktivkräften, weitgehend zentralisierter Produktion, verhältnismäßig geringem spezifischen Gewicht der Kleinbetriebe und mit einem bereits seit langem bestehenden bürgerlich-demokratischen politischen Regime. In diesen Ländern ist die politische Hauptforderung des Programms der unmittelbare Übergang zur Diktatur des Proletariats (…)“
- „Länder auf mittlerer kapitalistischer Entwicklungsstufe (Spanien, Portugal, Polen, Ungarn, die Balkanländer usw.) mit erheblichen Resten halbfeudaler Verhältnisse, in der Landwirtschaft, mit einem gewissen Minimum der materiellen Voraussetzungen zum Aufbau des Sozialismus, Länder, in denen die bürgerlich-demokratische Umwälzung nach nicht abgeschlossen ist. In manchen dieser Länder ist ein mehr oder minder rasches Umschlagen der bürgerlichdemokratischen Revolution in die sozialistische, in anderen sind Typen proletarischer Revolutionen mit umfangreichen Aufgaben bürgerlich-demokratischer Natur möglich (…) “
- „Koloniale und halbkoloniale Länder (China, Indien usw.) und abhängige Länder (Argentinien, Brasilien usw.) mit bestimmten Ansätzen, zuweilen sogar mit einer erheblichen, für einen selbständigen Aufbau des Sozialismus meist jedoch ungenügenden Entwicklung der Industrie; mit vorherrschenden mittelalterlich feudalen Verhältnissen oder der „asiatischen Produktionsweise“ sowohl in der Wirtschaft als auch im politischen Überbau; schließlich mit Konzentration der ausschlaggebenden Industrie-, Handels- und Bankunternehmungen, der wichtigsten Transportmittel, der Latifundien, Pflanzungen usw. in der Hand ausländischer imperialistischer Gruppen. (…) Der Übergang zur proletarischen Diktatur ist hier in der Regel erst über eine Reihe von Vorbereitungsstufen, erst als Ergebnis einer ganzen Periode des Umschlagens der bürgerlichdemokratischen Revolution in die sozialistische möglich. Der erfolgreiche Aufbau des Sozialismus ist in den meisten dieser Länder nur möglich bei unmittelbarer Unterstützung durch die Länder der proletarischen Diktatur.“ (Ebenda: 286-287)xiii
Der Charakter der Revolution wird in den folgenden Abschnitten skizziert.Der Charakter der Revolution ist, wie aus den jeweils beschriebenen Merkmalen hervorgeht, in der Entwicklung der Produktivkräfte eines jeden Landestyps umrissen, die objektiv den sozialistischen Aufbau ermöglichen.xiv
Im Falle der Kolonien und abhängigen Länder war nicht ihre Situation als solche, d.h. ihr Zustand als vom Imperialismus ausgebeutete Länder, sondern der niedrige Entwicklungsstand ihrer Produktivkräfte ausschlaggebend dafür, dass die Revolution zunächst nicht sozialistisch sein konnte.xv
Im Bericht der lateinamerikanischen Delegation zum Programm des Sechsten Kongresses leistete Ricardo Paredes, Gründer und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Ecuadors im Jahr 1931, einen enormen Beitrag zum Kolonialproblem, indem er die Situation der „abhängigen“ Länder präzisierte, aber vor allem auf die Notwendigkeit hinwies, die Entwicklung des Kapitalismus in den Kolonien und den abhängigen Ländern zu berücksichtigen. Ricardo Paredes argumentiert, dass das Programm des 6. Kongresses „die Entwicklung des Kapitalismus in den kolonialen und halbkolonialen Ländern nicht richtig wiedergibt“. Und er fügt hinzu, dass es notwendig ist, „die Form der imperialistischen Herrschaft in den kolonialen und halbkolonialen Ländern, die Art und Weise, in der sich der nationale Kapitalismus entwickelt, seine Beziehungen zum Imperialismus klar zu definieren“ (Sechster Kongress der Kommunistischen Internationale. Zweiter Teil: 177).
Um die Entwicklung des nationalen Kapitalismus und seine Beziehung zum Imperialismus zu erklären, ging Paredes vom Fall der lateinamerikanischen Länder aus, in denen vor allem die Vereinigten Staaten und Großbritannien in den Kolonien eine extraktive Industrie geschaffen hatten, die sich in großem Umfang entwickelt hatte. Sie versuchten, die verarbeitende Industrie in sehr kleinem Maßstab zu entwickeln, um die Industrie der Metropolen nicht zu schädigen und diese Länder zu zwingen, Fertigprodukte aus den Metropolen zu kaufen. Im Gegensatz dazu „versucht der nationale Kapitalismus, eine verarbeitende Industrie zu schaffen, aber die gesamte Wirtschaftspolitik des Imperialismus arbeitet dagegen an“.
In die freien Länder dringt der Imperialismus durch den Handel des Finanzkapitals ein. Der Imperialismus schafft eine starke wirtschaftliche Position und erobert gleichzeitig politische Positionen. Paredes weist jedoch darauf hin, dass es Länder gibt, die einer wirtschaftlichen und politischen Beherrschung eher widerstehen, „entweder weil sie größer und daher schwieriger zu unterwerfen sind, oder weil sie von ihrer geografischen Lage oder von der Konkurrenz anderer Imperialismen profitieren.“ Die ‚abhängigen‘ Länder seien die Länder, die aufgrund einer relativ großen politischen Kraft „in der Lage sind, der imperialistischen Durchdringung [mit dem Ziel der Kolonisierung] zu widerstehen“, wie Brasilien, Argentinien, Mexiko. Weiter fügt er hinzu, dass es sich um „Länder handelt, in denen die Kraft des Imperialismus nicht überwiegt.“ Dies ist entweder auf die politische Stärke dieser Länder (Argentinien, Brasilien) oder auf die schwache wirtschaftliche Durchdringung des Imperialismus (Ecuador) zurückzuführen. Aufgrund dieser fehlenden Vorherrschaft des Imperialismus schreitet die Entwicklung des Kapitalismus schneller voran als in den Kolonien, was zu einem stärkeren Proletariat und einer stärkeren nationalen Bourgeoisie und damit zu einer größeren Verschärfung des Klassenkampfes zwischen Kapital und Arbeit führt. Aus diesem Grund kritisiert Paredes die Tendenz in den abhängigen Ländern, die Stärke des Proletariats und der Bourgeoisie zu unterschätzen und die Stärke der Bauernschaft zu überschätzen, was die Strategie in diesen Ländern verändert.xvi Auf dem Siebten Kongress der KI (VII) kritisierte Paredes, dass das Proletariat und die Bourgeoisie unterschätzt wurden.
Auf dem Siebten Kongress der KI (1935)xvii legte Van Min (Chen Shao Yu) den Bericht über das koloniale und halbkoloniale Problem vor und beschrieb die Veränderungen, die seit dem Sechsten Kongress und 1935 stattgefunden hatten. Van Min nannte zwei Hauptmerkmale: die verstärkte Offensive des Imperialismus auf breiter Front gegen die kolonialen und halbkolonialen Völker und das Anwachsen der Kräfte der kolonialen Revolutionen. Diese beiden Änderungen führten objektiv zu drei wichtigen Konsequenzen, da sie die Taktik der damaligen Zeit veränderten:
- Die wachsende Unzufriedenheit und Empörung des gesamten Volkes gegen den Imperialismus und seine Agenten im Inneren des Landes, die günstige Voraussetzungen für die Bildung der antiimperialistischen Einheitsfront schaffen.Eine gewisse Verschärfung der Widersprüche zwischen der kolonialen und der imperialistischen Bourgeoisie, zwischen den konkurrierenden imperialistischen Mächten und zwischen den Gruppen und Schichten der kolonialen Bourgeoisie und den Großgrundbesitzern, die die Möglichkeit bietet, diese Widersprüche zur Entwicklung der revolutionären Massenbewegung zu nutzen.Die Schwächung des Einflusses des Nationalreformismus unter den Massen, die Bildung nationalrevolutionärer linker Flügel unter den nationalreformistisch-bürgerlichen Parteien und Gruppen.
- Stärkung der Rolle und der Autorität des Proletariats und seiner Partei (Faschismus, Demokratie und Volksfront. Siebter Kongress der Kommunistischen Internationale. Übersetzung aus dem Spanischen nach (Fascismo, democracia y frente popular. VII Congreso de la Internacional Comunista: 263 )
Angesichts des Vormarsches des Faschismus und der wachsenden Gefahr eines imperialistischen Krieges und erst recht eines Krieges gegen die Sowjetunion vollzog die Kommunistische Internationale in dieser Zeit eine taktische Wende, die sich auch auf die Kolonialfrage auswirkte. Eine Analyse der Beschlüsse und Auswirkungen dieser politischen Wende auf dem Siebten Kongress fehlt, aber unabhängig davon betraf ihr Gesamtvorschlag nur den Bereich der Taktik. Das Problem trat auf, als die KI 1943 aufgelöst wurde und sich die für diesen Zeitraum vorgeschlagenen Taktiken in der Strategie der verschiedenen kommunistischen Parteien zu ändern begannen. Die alte Kommunistische Partei Mexikos bildete da keine Ausnahme und blieb schließlich für mehrere Jahre in der nationalen Befreiungsbewegung stecken und trieb die mexikanische Revolution an der Seite des “nationalrevolutionären“ Flügels der mexikanischen Bourgeoisie voran.
Das Konzept der „nationalen Bourgeoisie“.
Das Konzept der „nationalen Bourgeoisie“ kann irreführend sein und zu verschiedenen Missverständnissen führen, wenn es nicht kritisch analysiert wird. Gegenwärtig wird dieser Begriff, um einen bekannten Fall anzusprechen, in Mexiko verwendet, um die mexikanische Bourgeoisie zu bezeichnen, deren Wesen es ist, gegen den Imperialismus und für die Entwicklung der Produktivkräfte des Landes, vorzugsweise des „mittleren“ Industriekapitals, zu sein. Eine solche Idee hat als ideologische Grundlage die Position von Vicente Lombardo Toledano, die auf subtile Weise alle kommunistischen und revolutionären Gruppierungen in Mexiko durchdrang, einschließlich der inzwischen aufgelösten Kommunistischen Partei Mexikos. Ein so metaphysisch verwendetes Konzept kann zu einer solchen Psychose führen, dass es heute in Mexiko Organisationen gibt, die, nachdem sie vergeblich, sogar unter Steinen, nach „nationalistischen Industriellen und Geschäftsleuten“ gesucht haben, die die „Interessen der Nation“ verteidigen können und mit denen sich die Arbeiterklasse nach dem Schema von Lombardo Toledano verbünden sollte, ihr Verschwinden als soziale Klasse erklärt haben! (Natürlich ist es einfacher, eine soziale Klasse mit einem Federstrich verschwinden zu lassen, als zu akzeptieren, dass sie sich verändern oder eine unwesentliche Eigenschaft verlieren kann).
Marx und Engels pflegten die Bourgeoisie eines jeden Landes beim Namen zu nennen, während Lenin sich über den Opportunismus lustig machte, der die internationale Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg zersetzte, indem er aufzeigte, dass die Politik der Kriegsteilnahme im Namen „seines“ Landes nichts anderes als ein verschleierter Versuch war, „seine“ Bourgeoisie im Kampf um die Aufteilung der Welt zu unterstützen. Solange sich der Kapitalismus in den unabhängigen Nationalstaaten entwickelte, gab es keinen Grund für Missverständnisse, der Begriff der „nationalen Bourgeoisie“ war überflüssig.
Die Frage wurde komplex, als sich die kapitalistischen Beziehungen auf Gebiete ausdehnten, in denen nationale Unterdrückung herrschte. Mit der Herausbildung einer Bourgeoisie in den unterdrückten Nationen beginnt „die grundlegende Frage für die junge Bourgeoisie“, nämlich der Markt. „Ihr Ziel ist, ihre Waren abzusetzen und aus dem Konkurrenzkampf gegen die Bourgeoisie anderer Nationalität als Sieger hervorzugehen. Daher ihr Wunsch, sich ihren „eigenen“, „heimatlichen“ Markt zu sichern. Der Markt ist die erste Schule, in der die Bourgeoisie den Nationalismus erlernt.“
Aus diesem wirtschaftlichen Kampf um den Markt entsteht einerseits eine Vereinigung der Bourgeoisie „der herrschenden Nation“, um eine Reihe von restriktiven Maßnahmen zu ergreifen, die in Repression umschlagen (Einschränkung der Freizügigkeit, Sprachbeschränkungen, Einschränkung des Wahlrechts, Einschränkung der Schulen, Einschränkung der Religion usw.). Auf der Grundlage dieser ständigen Schikanen setzt sich die Bourgeoisie „der unterdrückten Nation“ in Bewegung, appelliert an die Volksmassen ihres Landes, „erhebt ein Geschrei vom „Vaterland“ und gibt ihre eigene Sache für die Sache des ganzen Volkes aus.“ (Stalin, Marxismus und nationale Frage).
Für Lenin und Stalin war klar, dass das Wesen der Bourgeoisie im Streben nach Profit und kapitalistischer Akkumulation besteht, was sie dazu bringt, den Markt anzufechten. Das „nationale“ Merkmal einer bestimmten Bourgeoisie ist lediglich eine Funktion des Kampfes um den Markt und der Notwendigkeit, diese Interessen als die Interessen des gesamten Volkes darzustellen.
Auf den verschiedenen Kongressen der Kommunistischen Internationale werden je nach Übersetzung die Adjektive indigen, einheimisch, national, autochthon oder lokal verwendet, um die Bourgeoisie zu bezeichnen, der die Tatsache gemein ist, dass sie einem kolonialen oder halbkolonialen Land angehört. Das Hauptmerkmal dieses Konzepts ist natürlich, dass die Hauptstädte dieser Bourgeoisie zu einer Nation gehören, die unter dem imperialistischen Joch steht. Nicht die politischen Interessen, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt vertritt, noch die Größe oder der Wirtschaftssektor können die “nationale“ Bourgeoisie definieren, sondern einfach ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation. Diese Aussage kann für diejenigen, die die Idealisierung einer „nationalistischen Bourgeoisie“ so verinnerlicht haben, als große Ketzerei angesehen werden, dass es sich lohnt, zwei Anmerkungen zu machen, um die Idee noch deutlicher zu machen:
- Es gibt einige Merkmale, die jene Bourgeoisien einer unterdrückten Nation, die sich gegen den Imperialismus gestellt haben, früher hatten. Es wäre jedoch ein schwerwiegender logischer Fehler, den Sinn des Arguments umzukehren und zu behaupten, dass jegliches Industriekapital aufgrund dieser Tatsache national oder mehr noch, nationalistisch sein muss. Die politische Position, die das industrielle Kapital eines unterdrückten Landes einnimmt, hängt natürlich von objektiven, aber konkreten Interessen ab, d.h. von der Gesamtheit der bestehenden Widersprüche (ein einfaches Beispiel ist die gegensätzliche Position der industriellen Bourgeoisie von Monterrey im Jahr 1936 in Bezug auf die cardenistische Regierung).
- In den Thesen der KI wurde die Bourgeoisie, die eine antiimperialistische Position vertrat, in der Regel einer Schicht gegenübergestellt, die objektiv mit der imperialistischen Unterdrückung verbunden war, im Allgemeinen der Handels- und Wucher-Bourgeoisie. Wenn man die Thesen genau liest, stellt man fest, dass sie sich in den meisten Fällen auf eine Schicht oder einen Teil der Bourgeoisie des unterdrückten Landes beziehen, d. h. auf einen Teil der nationalen Bourgeoisie selbst und nicht auf eine separate soziale Klasse.xviii Ab etwa 1925 bezeichneten sowohl die Kommunistische Internationale als auch Stalin die Spaltung der nationalen Bewegung in zwei Flügel, den national-reformistischen und den national-revolutionären, als Ausdruck der Spaltung der Interessen der nationalen Bourgeoisie. Es war Mao, der diese Zweiteilung der Bourgeoisie in zwei Teile, in die Gegenüberstellung zweier verschiedener Klassen, der „Kompradorenbourgeoisie“ und der „nationalen Bourgeoisie“, umwandelte, was, unabhängig davon, ob diese Zweiteilung in China als eine besondere dargestellt wurde oder nicht, nach dem Niedergang der Kommunistischen Internationale zur vorherrschenden Ansicht der internationalen kommunistischen Bewegung wurde.xix Nach dem Triumph der Revolution in China ging er mit seiner berühmten Theorie des Widerspruchs zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie als Widerspruch innerhalb des Volkes sogar noch weiter.xx
Bis zu diesem Punkt wurde versucht, Probleme der Strategie und Taktik zu vermeiden, da diese direkt mit der konkreten Situation, im Wesentlichen mit der Entwicklung der Produktivkräfte und mit dem Kampf und dem Kräfteverhältnis auf nationaler und internationaler Ebene zusammenhängen. Die Position, die gegenüber der nationalen Bourgeoisie einzunehmen ist, wurde daher nur beiläufig angesprochen, wobei sich die Aufmerksamkeit auf die Entwicklung des Konzepts konzentrierte, das die Veränderungen der Realität widerspiegelt (sowohl die politischen und ideologischen Kämpfe als auch die wirtschaftlichen Veränderungen). Der einzige Fall, in dem Elemente des Strategischenxxi behandelt werden, ist der des Charakters der Revolution, der niemals dem politischen Auf und Ab oder einer konkreten Taktik untergeordnet werden kann, sondern absolut von der objektiven Entwicklung des Widerspruchs zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen abhängt. Bei letzterem ist die Warnung Stalins und der KKE vor der Gefahr der Verwechslung von Taktik und Strategie und der Anwendung einer Taktik, die nicht mit der strategischen übereinstimmt, zu beachten; die Taktik ist zweifellos ein Teil der Strategie, der sie untergeordnet ist und der sie dient.
Der Fall Mexiko: die Entwicklung der nationalen Monopolbourgeoisie?
Um die Veränderungen der nationalen Bourgeoisie angesichts der Entwicklung des Kapitalismus in ihren Ländern und in der Welt in seiner imperialistischen Phase aufzuzeigen, werden wir das Beispiel Mexikos verwenden. Da eine Analyse der Entwicklung der nationalen Bourgeoisie den Rahmen und die Möglichkeiten dieses Artikels sprengen würde, begnügen wir uns damit, drei Momente der wirtschaftlichen Situation der mexikanischen nationalen Bourgeoisie zu illustrieren, die die Veränderungen aufzeigen, die sie durchlaufen hat, ohne zu erklären, wie es dazu gekommen ist.
Nach Angaben des sowjetischen Historikers Shulgovski (Mexiko am Scheideweg seiner Geschichte) waren die Investitionen in bestimmten Wirtschaftszweigen im Jahr 1935 wie folgt: In der Erdölindustrie betrug der Anteil des inländischen Kapitals 1 % und der Anteil des ausländischen Kapitals 99 %; in der Metallindustrie betrug der Anteil des inländischen Kapitals 2 % und der Anteil des ausländischen Kapitals 98 %; die Elektroindustrie wurde zu 100 % von ausländischem Kapital kontrolliert. Die wichtigsten ausländischen Unternehmen, die in unserem Land investierten, waren die folgenden:
Die wichtigsten Monopole in unserem Land waren die folgenden: Compañía Mexicana de Petróleo El Águila (englisch), Standar Oil of New Jersey (amerikanisch) und Sinclair Pierce (amerikanisch), die zusammen 95 % der gesamten Ölproduktion kontrollierten. Compañía Mexicana de Luz y Fuerza Motriz (kanadisch-europäisch) und American An Foreign Power (amerikanisch), die rund 90 % der Elektrizitätswirtschaft kontrollierten. American Smelting, American Metal Co und Anaconda Koper, alle drei in amerikanischem Besitz, kontrollierten 90 % der Bergbauindustrie in Mexiko. Im Telekommunikationsbereich kontrollierten Western Union (amerikanisch), Ericson (schwedisch-amerikanisch) und Mexicana de Teléfonos (amerikanisch) den Telefondienst des Landes vollständig. Im Schienenverkehr gab es drei Monopole: Ferrocarriles Nacionales de México (zu 49 % von ausländischem Kapital kontrolliert), Ferrocarril Mexicano (englisch) und Ferrocarril Sudpacífico (nordamerikanisch). Der Seeverkehr wurde ausschließlich von ausländischen Reedereien bedient, sowohl im Passagier- als auch im Frachtverkehr; auch der Luftverkehr wurde von der in amerikanischem Besitz befindlichen Pan American World Airways kontrolliert. Im verarbeitenden Gewerbe nahm das ausländische Kapital zu, vor allem in der Produktion von Zwischenprodukten und Investitionsgütern. Zum Beispiel in der Automobilproduktion mit Montagewerken von Ford Motor Co, General Motors und Chrysler Corporation; in der Reifenherstellung mit Unternehmen wie Goofrich und General Tire. Die Zementindustrie wurde von British Cement Manufactures monopolisiert, die die beiden größten Zementwerke des Landes (Tolteca und Cementos Mixcoac) betrieben und etwa 90 % der gesamten nationalen Produktion herstellten. Ausländische Monopole waren auch in der mexikanischen Eisen- und Stahlindustrie mit Consolidada (Nordamerika), in der Papierindustrie mit Fábricas de San Rafael y Anexas (Frankreich) und Fábricas de Loreto y Peña Pobre (Deutschland), in der chemischen Industrie mit Dupont und American Smeltin, beide mit nordamerikanischem Kapital, beteiligt. Der Handel lag hauptsächlich in den Händen des französischen Kapitals mit großen Unternehmen wie dem Palacio de Hierro, El Puerto de Liverpool, dem Centro Mercantil, La Francia Marítima und Paris Londres. Das Bankensystem wurde ebenfalls von ausländischem Kapital dominiert, und zwar durch die Bank of London and Mexico und die National City Bank; hinzu kam die Beteiligung ausländischen Kapitals an der Banco Nacional de Mexico.
Die Auslandsinvestitionen, meist in Form von Tochtergesellschaften großer amerikanischer Monopole, beliefen sich auf 3,9 Milliarden Pesos, während das Bruttosozialprodukt in jenem Jahr (1935) 4,5 Milliarden Pesos betrug. Mexiko war direkt an das nordamerikanische Finanzkapital gebunden, das zum Beispiel 1929 Kapital in Form von ausländischen Direktinvestitionen in Höhe von 683 Millionen Dollar nach Mexiko exportiert hatte; es folgte das britische Kapital, das 1930 275 Millionen Dollar investierte, dann Spanien mit 238 Millionen Dollar und schließlich Frankreich mit nur 25 Millionen Dollar.
Es liegt auf der Hand, dass das ausländische, vor allem amerikanische Kapital die mineralgewinnende Industrie, die Energiewirtschaft und das Transportwesen vollständig oder fast vollständig kontrollierte, d. h. es kontrollierte das Rückgrat der mexikanischen Wirtschaft und hatte somit die Richtung der kapitalistischen Entwicklung in Mexiko in der Hand. Der direkte Wettbewerb zwischen der nationalen Bourgeoisie und dem ausländischen Kapital fand in der verarbeitenden Industrie und im Handel statt, wo beide jeweils etwa 50 % kontrollierten. Die nationale Bourgeoisie war eine relativ schwache Bourgeoisie (im Vergleich zu den ausländischen Monopolen), die nur in der verarbeitenden Industrie und im Handel konkurrieren konnte. Ihre Produktion war hauptsächlich auf den Inlandsmarkt ausgerichtet, obwohl einige Unternehmen begannen, sich über den Export mit der US-Produktion zu verbinden, ohne von den USA kontrolliert zu werden, wie z. B. Fundidora de Fierro y Acero de Monterrey. In jenen Jahren entstanden auch die ersten Keime eines nationalen Monopols, als 1936 die Valores Industriales (VISA) in Form einer Holdinggesellschaft gegründet wurden.
Es ist wichtig zu betonen, dass der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit vor allem in den am weitesten entwickelten Wirtschaftssektoren stattfand, die gleichzeitig vom ausländischen Kapital kontrolliert wurden; ihre Arbeiter sollten die Vorhut der Arbeiterbewegung und die Säulen der Vereinigung der Arbeiterklasse in der Konföderation der mexikanischen Arbeiter sein: Eisenbahner, Ölarbeiter und Elektriker. Das bedeutet, dass die entscheidenden Kämpfe der Arbeiterklasse sie direkt mit dem ausländischen Kapital konfrontierten, wobei sie zeitweise mit einigen Sektoren der nationalen Bourgeoisie zusammenfielen (was die Widersprüche zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie nicht unterdrückt, wie die enorme Streikwelle von 1936-1938 zeigte).
Aus Gründen, auf die wir hier nicht eingehen werden, stellte sich der mexikanische Staat mit Unterstützung der Arbeiterklasse und der Bauern dem US-amerikanischen und britischen Imperialismus entgegen, indem er 1937 die Eisenbahn verstaatlichte und 1938 die Ölindustrie enteignete. Mit weniger Konflikten wurde die Elektrizitätswirtschaft 1960 verstaatlicht, indem alle Aktien der Elektrizitätsgesellschaften aufgekauft wurden. Im Jahr 1958 gewährte der Staat mexikanischen Unternehmern die Möglichkeit, sämtliche Anteile am Telefondienst zu erwerben, der von Teléfonos de México (das aus der Fusion der mexikanischen Tochtergesellschaften von Ericsson und der International Telephone and Telegraph Company hervorging) vollständig monopolisiert war. 1972 erwarb der Staat 51 % der Anteile und wurde Mehrheitsaktionär. Ähnliches geschah im Luftverkehr mit der Gründung der halbstaatlichen Gesellschaft Aeropuertos y Servicios Auxiliares im Jahr 1965. Dies bedeutete, dass der mexikanische Staat im Laufe von drei Jahrzehnten ausländisches Kapital aus den Sektoren verdrängte, die wir zuvor als Rückgrat der mexikanischen Wirtschaft bezeichnet hatten, mit Ausnahme des Bergbaus. Es ist hier nicht der richtige Ort, um zu analysieren, wie dieser Prozess der nationalen Bourgeoisie direkt zugute kam, indem er für niedrigere Input- und Logistikkosten (Öl, Strom, Transport und Kommunikation) sorgte, und um jene politischen Positionen zu kritisieren, die in der Verstaatlichung einen Schritt in Richtung Sozialismus sahen, insbesondere den Lombardismus und den „revolutionären Nationalismus“. Das Einzige, was wir daraus schließen können, ist, dass das ausländische Finanzkapital aus diesen strategischen Sektoren verdrängt wurde und andere Mechanismen gefunden hat, um seine Mehrwertschöpfung fortzusetzen: durch Auslandsverschuldung, Kredite an mexikanische Unternehmen oder Verflechtung mit mexikanischem Bankenkapital.
1965 verfassten Arturo Gámiz und Pablo Gómez ein Dokument von enormer Bedeutung für den Klassenkampf in Mexiko, die Zweite Begegnung in der Sierra „Heraclio Bernal“ (Segundo Encuentro en la Sierra “Heraclio Bernal”), in dem sie die Notwendigkeit begründeten, nach kubanischem Vorbild zu den Waffen zu greifen und für die sozialistische Revolution in unserem Land zu kämpfen. Mit einem vollständig dialektischen Ansatz und einer pädagogischen Sprache für die Arbeiterklasse und die Bauern analysierten Gámiz und Pablo Gómez die Entwicklung des Kapitalismus in Mexiko in seiner imperialistischen Phase: „Die Volkswirtschaft hat einen ausgeprägten monopolistischen Charakter und ist vom Imperialismus abhängig. Wir können sagen, dass der Imperialismus 50 % der Wirtschaftsstruktur der Nation in seinen Klauen hat, der Staat kontrolliert etwa 30 % und der Privatsektor die restlichen 20 % der nationalen Wirtschaft. Der staatliche Sektor und der unabhängige private Sektor bilden die nationale Bourgeoisie. Der staatliche Sektor wird zugegebenermaßen vor allem auf Kosten des US-Imperialismus gestärkt, indem Unternehmen verstaatlicht werden. (…)
Die nationale Oligarchie, die uns regiert, wird in rasantem Tempo stärker und vergrößert ihre Macht auf allen Ebenen (…). Sie erwirbt einige Industrien und beteiligt sich an anderen mit dem Geld des Volkes. Waren 1955 von den 100 wichtigsten Unternehmen nur 10 eigene, so sind es heute 24, die zu den wichtigsten gehören. Insgesamt verwaltet sie mehr als 55 Unternehmen und ist an vielen anderen beteiligt.
Sie kontrolliert die Elektrizität, das Erdöl, die Petrochemie, die Kohle, die Mineralien, das Eisen, einen Teil der Eisen- und Stahlindustrie, die Eisenbahn, einen Teil der Telekommunikation, einen Teil der Zivilluftfahrt, einen Teil der verarbeitenden Industrie, die Papierindustrie, die Düngemittel, mehrere Banken und Finanzinstitute usw.; sie ist wahrscheinlich die mächtigste Oligarchie Lateinamerikas“.
Die Analyse des Zweiten Treffens der Sierra „Heraclio Bernal“ gibt ein Bild davon, was die nationale Bourgeoisie 1965 geworden war. Sie zeigt eine Bourgeoisie, die trotz eines Anteils von nur 50 % an der Wirtschaftsstruktur des Landes das Rückgrat und das Gerüst des Kapitalismus im Lande kontrolliert und ihm somit ihren Stempel aufdrücken kann, ohne seinen Zustand als abhängiges Land zu leugnen. Sie drückt sich zum Beispiel in einer gewissen politischen Freiheit bei der Gestaltung der mexikanischen Außenbeziehungen in dieser Zeit aus. Dies ist eine begriffliche Herausforderung an das metaphysische Denken: Ein abhängiges Land kann seine Produktivkräfte nicht entwickeln, weil der ausländische Imperialismus die Achse seiner Wirtschaft kontrolliert und ihm eine amorphe, abhängige Entwicklung aufzwingt. Was aber geschieht, wenn es einem abhängigen Land aufgrund einer Reihe konkreter Umstände gelingt, die Kontrolle über die Achse seiner Wirtschaft zu erlangen, ohne sich völlig aus der imperialistischen Abhängigkeit zu befreien? Arturo Gámiz und Pablo Gómez geben ein Beispiel dafür, was passiert: die Monopolisierung der Wirtschaft nicht nur durch ausländisches Kapital, sondern auch durch die nationale Bourgeoisie und damit ihre Stärkung. Die „unabhängige und souveräne“ Entwicklung des Kapitalismus konnte nicht anders als … den Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase zu entwickeln, was unter anderem die Konzentration und Monopolisierung des Kapitals, die Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital und die Suche nach neuen Märkten und Territorien impliziert.
Ein Teil dieses Prozesses wurde durch den Staatskapitalismus in Mexiko ermöglicht, der ihrer Meinung nach „die enge Integration oder Verschmelzung des Staatsapparats mit dem nationalen Kapital bedeutet, die Nutzung des Staates, um die Entwicklung dieses Kapitals zu erleichtern, es gegen den Imperialismus und vor allem gegen das Proletariat zu vertreten und zu schützen und bessere Preise für seine Waren und mehr Märkte zu suchen. Der Staat schützt die Interessen des Kapitals gegen den Imperialismus durch Kompromisse und gegen das Proletariat und die Volksmassen durch Kontrolle, mediale Berichterstattung und Unterdrückung der revolutionären Bewegung“. Dies wird deutlich, wenn man die Verschiebung der Widersprüche der Arbeiterbewegung vergleicht, die zuvor mit dem Imperialismus konfrontiert war und nun direkt mit ihrem Chef konfrontiert ist: dem Staat. Die Bewegung der Eisenbahner, Telegrafenarbeiter, Ärzte und Lehrer von 1956 – 1958 richtete sich direkt gegen den Staat, der diese Konflikte mit aller Härte unterdrückte. Auch während des „Arbeiteraufstands“ in den 1970er Jahren, bei dem die Elektriker und Atomarbeiter im Mittelpunkt standen, stellte sich die Arbeiterklasse direkt gegen die nationale Bourgeoisie.
In den Jahrzehnten nach dem Encuentro de la Sierra haben sich in der Wirtschaft des Landes große Veränderungen vollzogen, von denen die Privatisierungsprozesse hervorzuheben sind, durch die die großen staatlichen Unternehmen in private Hände übergingen: Eisenbahn, Luftverkehr, Telekommunikation, Petrochemie, Satelliten, Straßen, Fernsehen, Eisen und Stahl usw., und zwar in der ersten Periode von 1984 bis 1995. Die Elektrizitäts- und die Ölindustrie haben erst vor kurzem damit begonnen, denselben endgültigen Prozess einzuleiten. Die Privatisierungen erfolgten durch inländisches und ausländisches Kapital, und die Ergebnisse geben uns eine Vorstellung von den Kräfteverhältnissen, in denen sich beide Sektoren befanden:xxii In der Stahlindustrie gingen beispielsweise Altos hornos mit der Grupo Acerero del Norte an mexikanisches Kapital, Siderúrgica Lázaro Cárdenas-Las Truchas an die Grupo Villareal, ebenfalls mexikanisches Kapital (auch wenn sie kürzlich, im Jahr 2006, von dem europäischen Unternehmen AcerolMittal übernommen wurde), und Fundidora Monterrey wurde für insolvent erklärt. Im Falle der Eisenbahn wurde das Unternehmen aufgeteilt und in Teilen privatisiert und schließlich von Transportación Marítima Mexicana, Ferromex und Ferrotur (Carso-Gruppe) und Kansas City Southern (vor kurzem hat KCS TFM, Ferromex und Ferrotur übernommen) gekauft. Der berühmteste Fall ist die Privatisierung von Telmex, das an eine Gruppe verkauft wurde, die aus Grupo Carso, Southwestern Bell und France Cables et Radio besteht. Letztendlich ist es sehr kompliziert zu beantworten, welche „Gruppe“ mehr profitiert hat, das „ausländische“ Kapital oder das „nationale“ Kapital; sicher ist, dass in jenen Jahren das Kapital (zusammen mit dem Bankenkapital) so verflochten war und Formen der monopolistischen Vereinigung vorherrschten, dass es keine klare Trennlinie zwischen den beiden Kapitalien mehr gibt, obwohl man feststellen kann, welches Kapital innerhalb der Konzerne und Unternehmen hegemonial ist.xxiii
Es ist nicht notwendig, Daten vorzulegen, um die Konzentration und Zentralisation des Kapitals zu rechtfertigen, es ist mehr als offensichtlich, dass sie weit über dem Niveau liegt, auf dem sich die Wirtschaft 1965 befand, ganz zu schweigen von 1936. Es genügt zu sagen, dass von der gesamten Wirtschaft die Wirtschaftseinheiten mit mehr als 1.127 Beschäftigten (1.127), die von der Volkszählung 2009 als „sehr groß“ registriert wurden, 43 % der gesamten Bruttoproduktion des Landes erzeugen. Wenn wir dazu die 7.176 Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten addieren, kommen wir auf zwei Drittel der gesamten nationalen Produktion.
Auch in Bezug auf die Anzahl der Unternehmen ist die Situation diametral anders. Laut der von Expansión für 2011 erstellten Liste der 500 größten Unternehmen Mexikos gehören 54 % zum staatlichen Kapital und zu halbstaatlichen Unternehmen, die zusammen 68 % des Nettoumsatzes erwirtschaften (50 % beim staatlichen Kapital und 18 % bei den halbstaatlichen Unternehmen). Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass das nationale Kapital in den Unternehmen mit den höchsten Nettoumsätzen in der Mehrheit ist. Zählt man beispielsweise die Nettoumsätze der ersten 18 Unternehmen zusammen, von denen jedes mehr als 100 Milliarden Pesos umsetzt, so macht das nationale Kapital mit 8 Unternehmen 65 % aus, während das ausländische Kapital nur 35 % ausmacht (5 nordamerikanische Unternehmen und 4 aus anderen Ländern). Von den Unternehmen mit einem Inlandsumsatz zwischen 25 und 100 Milliarden Pesos entfielen mit 26 Unternehmen 63 % des Nettoumsatzes auf mexikanische Unternehmen, während in den Schichten zwischen 10 – 25 und 1 – 10 Milliarden Pesos 46 bzw. 49 % des Umsatzes auf inländische Unternehmen entfielen. Wie man sieht, entfällt bei den 66 größten Unternehmen mehr als die Hälfte des Umsatzes auf inländisches Kapital (65 und 63); nur bei den kleinsten Unternehmen mit einer Produktion von weniger als 10 Milliarden Pesos überwiegt ausländisches Kapital mit einigen Prozentpunkten. Das bedeutet, dass auf der höchsten Zentralisierungsebene das nationale Kapital, d. h. die mexikanischen Monopole, einen höheren Umsatz erzielen als die ausländischen.
Der wichtigste Sektor, in dem große Monopole in US-Besitz zu finden sind, ist laut der Expansión-Liste 2011 der Automobil- und Autoteile-Sektor: mit Chrysler, Ford und General Motors sowie Daimler. Dasselbe gilt für Deutschland mit Volkswagen oder für Japan mit Nissan, Toyota und Honda. Gefolgt von der Elektronikbranche mit dem koreanischen Unternehmen Samsung, Celastica aus Singapur. Bei den Banken handelt es sich hauptsächlich um spanische Unternehmen wie Bancomer und Santander, um amerikanische wie Banamex oder englische wie HSBC. Walmart sticht ebenfalls hervor, ebenso wie einige Lebensmittelunternehmen wie die Schweizer Nestlé oder die französische Danone. Die größten mexikanischen Monopolgruppen sind in der Lebensmittel-, Bergbau-, Getränke-, Petrochemie-, Bau- und Eisen- und Stahlindustrie tätig. Ebenso wie Finanzgruppen und Supermärkte.
Die folgende Tabelle zeigt die ersten Unternehmen und Konzerne auf der Liste von Expansión 2011 nach ihrem Nettoumsatz, um die wichtigsten in Mexiko tätigen Monopole zu nennen, die die direkten Feinde der Arbeiterklasse in unserem Land sind, unabhängig von ihrer Nationalität oder der Herkunft ihres Kapitals. Verfolgt man die Namen einiger der Eigentümer dieser Unternehmen (oder genauer gesagt der Inhaber der Mehrheit der Aktien der Unternehmen und Konzerne), so findet man die Söhne und Enkel jener nationalen Bourgeoisie aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: Jose Fernández Carbajal, Präsident von FEMSA, Schwiegersohn von Eugenio Garza Lagüera, Präsident von Grupo VISA; Armando Garza Sada, Präsident von Grupo Alfa, Sohn von Roberto Garza Sada, Gründer von HYLSA und Fábricas Monterrey; Alberto Bailleres, Sohn von Raul Bailleres, geschäftsführender Direktor der Serie B der Banco de México von 1941 bis 1952. Das Gleiche gilt, wenn man sich die Beziehungen und Hintergründe der heutigen Monopole ansieht. Die Schlussfolgerung ist dieselbe, sie sind die Erben der „nationalen Bourgeoisie“ des letzten Jahrhunderts, sie sind deren logische und historische Konsequenz. Die Bourgeoisie des 20. Jahrhunderts, die die nationalistischen Sektoren der PRI unterstützte, die Kredite von Nacional Financiera erhielten und in CANACINTRA waren, wurde zusammen mit der Bourgeoisie von Monterrey, die sich in den dreißiger Jahren gegen Cárdenas und in den siebziger Jahren gegen Echeverría stellte, umgewandelt. Sie ist nicht verschwunden, sie ist nicht gestorben, sie ist einfach den Gesetzen der kapitalistischen Entwicklung gefolgt und hat sich zu einer monopolistischen Bourgeoisie entwickelt, die untereinander, mit den Banken und mit dem ausländischen Kapital verflochten ist und in einem scharfen Wettbewerb steht.
Nettoumsatz (Millionen Pesos) | Gruppe oder Unternehmen | Land | Sektor | Details |
953,835 | América Móvil und Grupo Carso | Mexiko | Industrie/Dienstleistung | Telekommunikation (Telmex und Telmex international; Finanzdienstleistungen: Telefónica Finanzas México) Holding (Einzelhandel: Sanborns; Immobilien: Inmuebles Carso; Baugewerbe: CICSA; Elektrogeräte: Grupo Condumex) |
351,579 | Walmart de México | USA | Handel | Einzelhandel (Restaurants: Vips; Suburbia) |
335,417 | Fomento Económico Mexicano | Mexiko | Industrie | Getränke- und Bierindustrie (Coca-Cola FEMSA; Einzelhandel: OXXO) |
271,634 | Grupo Alfa | Mexiko | Industrie | Holdinggesellschaft (Chemie-PET-Petrochemie: Alpek; Automobil und Autoteile: Nemak -Aluminium Autoteile-; Lebensmittel: Sigma; Telekommunikation: Alestra; Erdgas und Kohlenwasserstoffe: Newpek) |
241,362 | Grupo BAL | Mexiko | Industrie | Holdinggesellschaft (Bergbau: Industria Peñoles, Fresnillo PLC; Versicherungen: GNP; Handel: Palacio de hierro; Finanzdienstleistungen: Valores Mexicanos Casa de Bolsa) |
181,299 | Grupo Salinas | Mexiko | Handel | Holdinggesellschaft (Grupo Elektra; Handel: Elektra-Geschäfte; Finanzdienstleistungen: Banco Azteca; Medien: TvAzteca; Telekommunikation: Grupo Iusacell; Automobil: Italika) |
178,260 | Cemex | Mexiko | Industrie | Zement- und Baustoffindustrie |
158,692 | General Motors de México | USA | Industrie | Montageindustrie |
147,813 | Organización Techint México | ARG/ITA | Industrie | Holdinggesellschaft (Stahl und Metallurgie) |
146,048 | Grupo Financiero BBVA-Bancomer | Spanien | Finanzen | Finanzdienstleistungen (Seguros BBVA-Bancomer; Pensiones BBVA-Bancomer; Afore Bancomer; BBVA-Bancomer Casa de Bolsa) |
126,197 | Grupo Financiero Banamex | USA | Finanzen | Finanzdienstleistungen (Acciones y Valores Banamex; Seguros Banamex; Afore Banamex) |
123,250 | Ford Motor Company | USA | Industrie | Automobilhersteller (Finanzdienstleistungen: Ford Credit Mexico) |
120,985 | Grupo Mexico | Mexiko | Bergbau (Transport: Ferromex, Ferrosur und Intermodal Mexico; Bau: Mexico Compañia Constructora MCC, Perforadora Mexico PEMSA und Consultec;) | |
117,163 | Grupo Bimbo | Mexiko | Industrie | Lebensmittel |
110,572 | Volkswagen de México | DE | Industrie | Automobilherstellung (Finanzdienstleistungen: Volkswagen Leasing) |
106,794 | Nissan Mexicana | Japan | Industrie | Automobilherstellung (Finanzdienstleistungen: NR Finance Mexico) |
93,700 | Organización Soriana | Mexiko | Handel | Einzelhandel |
88,209 | Grupo Televisa | Mexiko | Dienstleistungen | Medien (Televisa Kabel und Telekommunikation; Sky; Cablemas; Editorial Televisa) |
85,019 | Grupo Modelo | Mexiko | Industrie | Getränke und Bier |
78,000 | Chrysler Mexiko Holding | USA | Industrie | Automobilherstellung |
68,919 | Grupo Financiero Banorte | Mexiko | Finanzen | Finanzdienstleistungen (Seguros Banorte Generali; Pensiones Banorte Generali; Afore Banorte Generali; Banorte Casa de Bolsa) |
64,178 | Grupo Industrial Lala | Mexiko | Industrie | Lebensmittelindustrie |
63,445 | Grupo Xignux | Mexiko | Industrie | Holdinggesellschaft (Elektrogeräte: Viakable, Prolec GE; Lebensmittel: Qualtia alimentos) |
59,579 | Grupo Financiero Santander | Spanien | Finanzen | Finanzdienstleistungen (Santander Casa de Bolsa; Seguros Santander) |
58,490 | Grupo Maseca | Mexiko | Industrie | Lebensmittel (Maseca-Industriegruppe) |
57,227 | Pepsico de México | USA | Industrie | Getränke und Biere |
56,533 | Controladora Comercial Mexicana | Mexiko | Handel | Einzelhandel (Restaurants: Kalifornien) |
54,334 | Flextronics Manufacturing | Singapur | Industrie | Elektronik |
53,789 | Grupo Kuo | Mexiko | Industrie | Holdingindustrie (Chemie und Petrochemie: Resirene; Lebensmittel: Herdez del fuerte, Keken; Automobil und Autoteile: Dacomsa, Tremec-Getriebe; Asphalt: Dynasol; Forestaciones operativas de México) |
i „Diese Enteignung vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation des Kapitals. Ein Kapitalist verschlingt viele andere. Parallel zu dieser Zentralisation oder Enteignung einer Vielzahl von Kapitalisten durch einige wenige entwickelt sich in immer größerem Umfang die kooperative Form des Arbeitsprozesses, die bewusste technologische Anwendung der Wissenschaft, die methodische Ausbeutung des Bodens, die Umwandlung der Arbeitsmittel in Arbeitsmittel, die nur gemeinsam genutzt werden können, und die Ökonomie aller Produktionsmittel, weil sie als Produktionsmittel der gemeinsamen Arbeit, der gesellschaftlichen Arbeit, der Verbindung aller Völker durch das Netz des Weltmarktes und, als Folge davon, des internationalen Charakters des kapitalistischen Regimes eingesetzt werden“ (ebd.).
ii Bevor wir fortfahren, ist es wichtig, Lenins Vorbehalte gegenüber seiner Definition zu wiederholen. Erstens, dass die Definition, die er in diesem Text liefert, aufgrund der von der zaristischen Zensur auferlegten Beschränkungen gezwungen war, sich auf die wesentlichen wirtschaftlichen Merkmale zu konzentrieren und einige andere Elemente auszulassen, die im Text nur angedeutet werden, aber für eine vollständige Definition des Imperialismus notwendig sind. Zum Beispiel das Entstehen einer Arbeiteraristokratie als objektive Grundlage der opportunistischen Politik der sozialdemokratischen Parteien oder die unausweichliche Beziehung zwischen Imperialismus und sozialistischer Revolution. Zweitens, dass die Tendenz zur Konzentration der Produktion und zur Monopolisierung der Wirtschaft nicht die Beseitigung des freien Wettbewerbs bedeutet, sondern die Existenz von Monopolen über und neben dem Wettbewerb.
iii „all dies hat einerseits die einzelnen nationalen Wirtschaften und nationalen Territorien in Glieder einer einheitlichen Kette, genannt Weltwirtschaft, verwandelt und anderseits die Bevölkerung des Erdballs in zwei Lager gespalten: in eine Handvoll „fortgeschrittener“ kapitalistischer Länder, die ausgedehnte koloniale und abhängige Länder ausbeuten und unterdrücken, und in eine übergroße Mehrheit von kolonialen und abhängigen Ländern, die gezwungen sind, für die Befreiung vom imperialistischen Joch zu kämpfen“ (Stalin, Über die Grundlagen des Leninismus).
iv „Früher pflegte man an die Analyse der Voraussetzungen der proletarischen Revolution vom Standpunkt des ökonomischen Zustands dieses oder jenes einzelnen Landes heranzugehen. Jetzt ist diese Art des Herangehens bereits unzulänglich. Jetzt muss man an diese Frage vom Standpunkt des ökonomischen Zustands aller Länder oder ihrer Mehrheit, vom Standpunkt des Zustands der Weltwirtschaft herangehen, denn die einzelnen Länder und die einzelnen nationalen Wirtschaften haben aufgehört, sich selbst genügende Einheiten zu sein, sie haben sich in Glieder einer einheitlichen Kette, genannt Weltwirtschaft, verwandelt, denn der alte „zivilisierte“ Kapitalismus ist zum Imperialismus geworden, der Imperialismus aber ist ein Weltsystem finanzieller Versklavung und kolonialer Unterdrückung der gigantischen Mehrheit der Bevölkerung der Erde durch eine Handvoll „fortgeschrittener“ Länder.
Früher war es üblich, vom Vorhandensein oder Fehlen objektiver Bedingungen für die proletarische Revolution in den einzelnen Ländern oder, genauer gesagt, in diesem oder jenem entwickelten Lande zu sprechen. Jetzt ist dieser Standpunkt bereits unzulänglich. Jetzt muss man vom Vorhandensein objektiver Bedingungen für die Revolution im ganzen System der imperialistischen Weltwirtschaft als eines einheitlichen Ganzen sprechen, wobei der Umstand, dass diesem System einige industriell mangelhaft entwickelte Länder angehören, kein unüberwindliches Hindernis für die Revolution bilden kann, wenn das System als Ganzes oder, richtiger gesagt, da das System als Ganzes bereits für die Revolution reif geworden ist.
Früher war es üblich, von der proletarischen Revolution in diesem oder jenem entwickelten Lande als von einer einzelnen, sich selbst genügenden Größe zu sprechen, die der einzelnen, nationalen Front des Kapitals als ihrem Antipoden entgegengestellt wurde. Jetzt ist dieser Standpunkt bereits unzulänglich. Jetzt muss man von der proletarischen Weltrevolution sprechen, denn die einzelnen nationalen Fronten des Kapitals haben sich in Glieder einer einheitlichen Kette verwandelt, genannt die Weltfront des Imperialismus, der die allgemeine Front der revolutionären Bewegung aller Länder entgegengestellt werden muss.
Früher betrachtete man die proletarische Revolution ausschließlich als Ergebnis der inneren Entwicklung des betreffenden Landes. Jetzt ist dieser Standpunkt bereits unzulänglich. Jetzt muss man die proletarische Revolution vor allem als Ergebnis der Entwicklung der Widersprüche im Weltsystem des Imperialismus betrachten, als Ergebnis dessen, dass die Kette der imperialistischen Weltfront in diesem oder jenem Lande reißt.“(Ebenda).
v Auch auf Seiten der imperialistischen Mächte stellt sich das Problem der Übergangsformen. So schrieb Lenin 1916, dass es nicht nur einen „Kolonialimperialismus“ britischer Prägung gebe, sondern dass die imperialistische Unterdrückung auch durch andere Mechanismen erfolgen könne, wie im Falle des französischen Imperialismus, den er als „Wucher“ bezeichnet, oder des deutschen Imperialismus, der keine großen Kolonien besitze und dessen Kapital in den fortgeschrittenen Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten angelegt sei (ebd.). (-Imperialistische Länder, die in andere imperialistische Länder investieren, was für ein Horror, ein Angriff auf die unverrückbaren Muster! Was kommt als nächstes, China ohne Kolonien zu beschuldigen, imperialistisch zu sein?)
vi Oder heute mit der Situation in Palästina oder Haiti.
vii Im Jahr 1920, dem Jahr, in dem dieser Kongress stattfand, war die Lösung des Kolonialproblems in Sowjetrussland noch im Gange, und es sollte noch drei Jahre dauern, bis 1922 die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken gegründet wurde. Außerdem nahmen nur wenige Kolonialländer am 1. und 2. Kongress teil, und es waren hauptsächlich europäische Organisationen, die daran teilnahmen. Aus diesem Grund wurde bei der Analyse der nationalen Frage das Hauptaugenmerk auf den europäischen Fall gelegt: hauptsächlich auf den Balkan, Mitteleuropa und Irland.
viii Auf dem Dritten Kongress der KI (1921) wird erwähnt, dass „die Entwicklung der nationalen Industrie in diesen Ländern (Kolonialländer wie Südamerika, Kanada, Australien, Indien, Ägypten) wiederum eine Quelle neuer Handelsschwierigkeiten für England und für ganz Europa wird“ ( Übersetzung aus dem Spanischen nach Los cuatro primeros congresos de la Internacional Comunista. Segunda parte: 14-15). Diese Länder nutzten die Unterbrechung der internationalen Verbindungen, um ihre einheimische Industrie zu entwickeln; die Entwicklung oder die Behinderung der industriellen Entwicklung der Kolonien ist keine unheilbare Krankheit, sondern ein konkreter Streitpunkt zwischen imperialistischen Interessen.
ix Auf diesem Kongress wird das koloniale Problem als „die Frage des Ostens“ dargestellt, was eine Antwort auf das Aufkommen der Befreiungskämpfe bis 1924 in verschiedenen Ländern des asiatischen Kontinents und des Nahen Ostens, vor allem in China, Indien, der Türkei und Ägypten, darstellt.
x Im Gegensatz dazu gab es eine spezifische These „Zum nationalen Problem in Mitteleuropa und auf dem Balkan“.
xi Diese Verwirrung und ihre opportunistische Anwendung hat sich bis zur Absurdität in Fällen von imperialistischen Ländern wiederholt, wie im Fall der Besetzung des deutschen Ruhrgebiets durch Frankreich, aus dem Thalheimer (Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands, Jahre später als Opportunist und Trotzkist ausgeschlossen) begann, eine Reihe von Artikeln zu veröffentlichen, in denen er den Kampf für den Sozialismus durch einen Kampf für nationale Befreiung ersetzte. Manuilski kritisierte diese Position, indem er darauf hinwies, dass Thalheimer vergaß, dass Deutschland über ein entwickeltes Industrieproletariat verfügte und sich in der Phase des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus befand, und spottete über diese Tatsache, als ob „Deutschland dank der Besetzung des Ruhrgebiets zu einem wirtschaftlichen und sozialen Zustand zurückgekehrt wäre, der so primitiv war wie der von Marokko“ (ebd.: 274).
xii Vergessen wir hier nicht die Warnung von vorhin: Dass alle Imperialisten nach eigenen Kolonien streben, um sie auszubeuten und ihre Völker zu versklaven, bedeutet nicht, dass jeder Imperialismus kolonial ist; das Finanzkapital hat andere Wege gefunden, die Welt aufzuteilen und auszubeuten.
xiii Das Schema stellt einen weiteren Fall dar, nämlich den von noch rückständigeren Ländern, wie in einigen Teilen Afrikas, wo es fast keine Arbeiter und keine nationale Bourgeoisie gibt, die Mehrheit der Bevölkerung in Form von Stämmen lebt und der ausländische Imperialismus die Rolle eines militärischen Besatzers spielt.
xiv Wie die Thesen dieses Kongresses deutlich machen, wird die Möglichkeit, sich unter objektiven, günstigen Bedingungen in die Realität zu verwandeln, „durch den Kampf und nur durch den Kampf bestimmt. Deshalb ist es die Pflicht aller Kommunisten, für eine solche Entwicklung in Theorie und Praxis einzutreten und selbstlos dafür zu kämpfen“. (Ebd.: 194)
xv Aber es kann sein, dass die kapitalistische Entwicklung und die Entwicklung der Produktivkräfte in den Kolonien und den abhängigen Ländern voranschreiten, wie Stalin 1925 zu Recht feststellte: „Bisher hat man vom Osten als einem homogenen Ganzen gesprochen. Jetzt ist jedem klar, dass es den einheitlichen, homogenen Osten nicht mehr gibt, dass es jetzt Kolonien gibt, die vom kapitalistischen Standpunkt aus entwickelt sind oder sich entwickeln, und Kolonien, die zurückgeblieben sind oder zurückbleiben, für die nicht derselbe Maßstab gelten kann“ (Stalin, Bilanz der Arbeit der 14. Konferenz der KPR(B)).
xvi „Die Rolle der nationalen Bourgeoisie in den verschiedenen Bewegungen des Proletariats und der Bauernschaft ist in den verschiedenen Ländern unterschiedlich. Erstens: In den abhängigen Ländern, in denen es bereits eine nationale Bourgeoisie gibt, die eine politische Kraft darstellt, wird diese Kraft nicht gegen die Imperialisten eingesetzt, sondern gegen das Proletariat, das für seine Klassenforderungen kämpft. Der Hauptkampf muss hier gegen die nationale Bourgeoisie geführt werden, die mit den Imperialisten verbündet ist (…) Meiner Meinung nach unterschätzen die Thesen die Stärke der nationalen Bourgeoisie“ (Übersetzung aus dem Spanischen nach VI Congreso de la Internacional Comunista. Segunda Parte: 355).
xvii Der Siebte Kongress der Kommunistischen Internationale hatte die Tragik, dass er auch der letzte Kongress war und dass seine Resolutionen, Berichte und konkreten Vereinbarungen, die einer historischen Zeitschrift entsprachen, im Laufe der Jahre in allgemeine Umrisse umgewandelt wurden. Seltsamerweise sind es gerade diejenigen, die sich als Kämpfer gegen Dogmatismus und unabhängig von äußeren Einflüssen darstellen wollten, die am Ende die vom Siebten Kongress festgelegte Taktik wiederholen.
xviii Auf dem Sechsten Kongress der KI wird diese Frage deutlich: „Die nationale Bourgeoisie dieser Kolonialländer nimmt gegenüber dem Imperialismus keine einheitliche Position ein. Ein Teil dieser Bourgeoisie, vor allem die Handelsbourgeoisie, dient unmittelbar den Interessen des imperialistischen Kapitals (es handelt sich um die so genannte Kompradorenbourgeoisie) und vertritt allgemein und mehr oder weniger konsequent einen antinationalen und imperialistischen Standpunkt, der sich gegen die nationale Bewegung als Ganzes richtet, ebenso wie die feudalen Verbündeten des Imperialismus und die besser bezahlten lokalen Beamten. Der verbleibende Teil der lokalen Bourgeoisie, insbesondere der Teil, der die Interessen der lokalen Industrie vertritt, steht auf dem Terrain der nationalen Bewegung und stellt eine besonders schwankende, kompromissbereite Strömung dar, die als nationaler Reformismus (oder in der Terminologie der Thesen des Zweiten Kongresses als ‚bürgerlich-demokratisch‘) bezeichnet werden kann“.
xix 1935 schrieb er in seinem Text Über die Taktik des Kampfes gegen den japanischen Imperialismus: „Die nationale Bourgeoisie ist nicht dasselbe wie die Klasse der Großgrundbesitzer oder die Kompradorenbourgeoisie; es gibt Unterschiede zwischen ihr und den letzteren. Die nationale Bourgeoisie ist weder so feudal wie die Grundbesitzerklasse noch so kompradorisch wie die Kompradorenbourgeoisie. Ein Teil der nationalen Bourgeoisie unterhält mehr oder weniger zahlreiche Verbindungen zum ausländischen Kapital und zum Bodeneigentum im Lande; er bildet ihren rechten Flügel.“
xx „In unserem Land ist der Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie Teil der Widersprüche innerhalb des Volkes. Der Klassenkampf zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie ist im Allgemeinen ein Klassenkampf in den Reihen des Volkes, denn die nationale Bourgeoisie Chinas hat einen doppelten Charakter. In der Zeit der bürgerlich-demokratischen Revolution hatte sie in ihrem Charakter sowohl eine revolutionäre als auch eine versöhnliche Seite. In der Periode der sozialistischen Revolution beutet sie die Arbeiterklasse zwar aus Profitgründen aus, unterstützt aber die Verfassung und ist bereit, die sozialistische Transformation zu akzeptieren. Die nationale Bourgeoisie unterscheidet sich vom Imperialismus, der Grundbesitzerklasse und der bürokratischen Bourgeoisie. Der Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie, der ein Widerspruch zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern ist, ist an sich antagonistisch. Unter den konkreten Bedingungen Chinas kann dieser antagonistische Widerspruch zwischen den beiden Klassen jedoch in einen nicht-antagonistischen umgewandelt und mit friedlichen Mitteln gelöst werden, wenn er richtig behandelt wird. Aber der Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie wird zu einem Widerspruch zwischen uns und dem Feind werden, wenn wir ihn nicht richtig behandeln, d.h. wenn wir die Politik der Einheit, der Kritik und der Erziehung gegenüber der nationalen Bourgeoisie nicht anwenden, oder wenn sie diese unsere Politik nicht akzeptiert.“ (Mao, Über die richtige Lösung von Widersprüchen im Volke).
xxi „Die Strategie ist die Festlegung der Richtung des Hauptschlags des Proletariats auf der Grundlage der gegebenen Etappe der Revolution, die Ausarbeitung eines entsprechenden Planes für die Aufstellung der revolutionären Kräfte (der Haupt- und Nebenreserven), der Kampf für die Durchführung dieses Planes während des ganzen Verlaufs der gegebenen Etappe der Revolution.“ (Stalin, Über die Grundlagen des Leninismus).
xxii „Einerseits wollen wir daran erinnern, dass wir nie von einer – nennen wir es ‚gerechten‘ – Teilung der Bourgeoisie gesprochen haben, sondern von einer Teilung des Marktes, die auf dem Kräfteverhältnis, auf ungleicher Entwicklung und harten intermonopolistischen Kämpfen beruht. Andererseits ist die Trennung zwischen einer ‚nationalen Bourgeoisie‘, die angeblich entwicklungsorientiert, angeblich patriotisch und angeblich dem Imperialismus gegenüberstehend ist, und einer ausländischen Bourgeoisie völlig künstlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir in der Epoche des Imperialismus leben, einer Epoche, in der im Rahmen der Produktionsweise das kapitalistische Privateigentum zugunsten des kapitalistischen Kollektiveigentums abgeschafft worden ist. Der Prozess der Entstehung von Monopolen ist nicht nur der der Konzentration, sondern auch, und das ist sogar ein dominierender Prozess, der der Zentralisation. Übernahmen und Fusionen verflechten die Kapitalien der zuvor verstreuten Unternehmen und führen dazu, dass die verschiedenen beteiligten Großbourgeoisien aus Sicht der ‚Abhängigkeitstheorie‘ ununterscheidbare Interessen haben“ (Diego Torres, Monopolwirtschaft und Monopolmacht in Lateinamerika – ein Ansatz).
xxiii „Wo fangen diese Bourgeoisien an und wo hören sie auf, wo sind ihre Interessen nicht miteinander verflochten? KOF ist das Ergebnis der Fusion zwischen der amerikanischen Coca-Cola Company und der Abfüllgesellschaft FEMSA, deren Umsatz in Mexiko, Mittelamerika, Kolumbien, Venezuela, Brasilien, Argentinien und auf den Philippinen 37 Milliarden Dollar übersteigt. Für 20,1 Milliarden Dollar schlossen sich Grupo Modelo und Anheuser-Busch zusammen, was zu einer zentralisierten Produktion von 400 Millionen Hektolitern Bier und einem Umsatz von über 47 Milliarden Dollar führte. Die Grupo Alusa, die ihrerseits aus einer Kombination von chilenischem und peruanischem Kapital hervorgegangen ist, nahm ihre Tätigkeit in Kolumbien mit der Fusion der Grupo Flexa auf. Das chilenische Unternehmen Copec hat sein Kapital in Kolumbien mit dem Unternehmen Inversiones Nordeste zusammengelegt. Grupo Sura führte eine Transaktion im Wert von 3,6 Mrd. USD zum Erwerb von ING-Aktiva in Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru und Uruguay durch. Der Zusammenschluss des Kapitals der chilenischen Concha y Toro, der französischen Rothschild und der amerikanischen Fetze sowie die Kontrolle von Tochtergesellschaften in mehreren lateinamerikanischen Ländern ermöglichen es dieser Gruppe, Hunderte von Millionen Litern Wein zu produzieren und eine wachsende Marktdominanz zu erreichen. In drei Jahren flossen 15 Milliarden Dollar aus China in die Karibik, um Fusionsgeschäfte abzuschließen. Die Banamex hat ihr Kapital mit der amerikanischen Citibank fusioniert, in beiden Fällen mit Beteiligung der jeweiligen Staaten“ (Ebenda).