Von Tom Hensgen und Thanasis Spanidis
Einer der letzten Diskussionsbeiträge war mit „Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen (PTh) der KO“ übertitelt. Dieser Titel war nicht zufällig gewählt. Es ging dabei darum, mit Argumenten und Fakten zu belegen, dass die KO bereits ein Imperialismusverständnis besitzt und dass dieses Verständnis das Wesen der Sache richtig trifft. Es ging auch darum, dass der Tendenz einiger Genossen, unsere programmatischen Grundlagen in ihrer Bedeutung für die Organisation zu relativieren, eine Absage erteilt werden muss.
Klaras und Philipps neue Diskussionsbeiträge belegen aus unserer Sicht nun eindeutig, wie richtig und wichtig das war. Denn Klara scheint den Verweis auf die nach wie vor geltenden PTh als „Verhärtung der Lager“ zu verstehen. Ist es das? Ist das Beharren darauf, dass wir uns auf eine verbindliche inhaltliche Grundlage geeinigt haben die Ursache der Entstehung von inhaltlich stark divergierenden, teilweise gegensätzlichen „Lagern“ in der KO?
Wir meinen, die Ursache der Entstehung von Lagern liegt doch woanders und dass es überhaupt notwendig geworden ist, daran zu erinnern, dass wir eine programmatische Grundlage haben, ist eine Folge dieser Lagerbildung – und nicht umgekehrt. Weshalb genau jetzt eine Reihe von Genossen relativ plötzlich zu der Einschätzung gekommen ist, mit der Imperialismusanalyse in den PTh würde grundsätzlich etwas nicht stimmen, können wir nicht genau beurteilen. Diesen Prozess können die Genossen selbst genauer darstellen, wenn sie möchten. Uns scheint aber eindeutig zu sein, dass die Verschärfung der zwischenimperialistischen Auseinandersetzungen dazu geführt hat, dass Mängel im Verständnis des Imperialismus, die einige Genossen aufweisen, nun deutlich zutage treten und sich in einer völlig falschen politischen Orientierung äußern.
Es ist zunächst einmal richtig: Wir haben die PTh in dem Bewusstsein verabschiedet, dass es später möglich sein wird, sie zu überarbeiten, zu erweitern und zu korrigieren. Das allein ist noch kein Unterschied zu einem Programm, denn auch ein solches kann und muss mit der Zeit immer wieder angepasst und überarbeitet werden, um den aktuellen Gegebenheiten zu entsprechen. Es ist allerdings auch richtig, dass die PTh noch kein ausgewachsenes Programm einer KP darstellen. Deshalb finden sich darin auch nicht nur klare Aussagen (diese finden sich allerdings sehr wohl), sondern auch Punkte, die vertiefend geklärt werden sollen.
All das ändert aber nichts an einer entscheidenden Tatsache: Die Programmatischen Thesen wurden nicht als ein „Arbeitspapier“ beschlossen, wo man einfach mal einen aktuellen Stand festhalten wollte. Philipp schreibt richtigerweise: „Im Prozess vor der Konstituierung gab es Genossen, die eine Standortbeschreibung abgelehnt hatten und einen ganz offenen (auch gegenüber trotzkistischen und maoistischen Gruppen) Prozess wollten. Diesen Weg sind wir zum Glück nicht gegangen, er wäre schnell im Chaos und in der Beliebigkeit geendet und er hätte fundamental unseren bisherigen Grundfesten insbesondere zur Geschichte der Kommunistischen Bewegung widersprochen. Deshalb ist zum Beispiel der Bezug der Thesen auf die DDR als größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung und auf die Sowjetunion als größte Errungenschaft der internationalen Arbeiterbewegung sehr zentral.“. Völlig unklar bleibt aber, warum die Charakterisierung der DDR wichtiger und zentraler gewesen sein soll als unsere Einschätzung zum Imperialismus und die Abgrenzung von bestimmten Imperialismusvorstellungen, die von den opportunistischen Teilen der kommunistischen Bewegung vertreten werden. Die Haltung zu imperialistischen Mächten und ihren Kriegen ist wohl kaum weniger entscheidend als die Einschätzung sozialistischer Staaten der Vergangenheit.
Worin besteht also nun der Charakter der Programmatischen Thesen?
Erstens wurden sie als die inhaltliche Grundlage der Kommunistischen Organisation beschlossen. In den PTh selbst steht dazu: „Die vorliegenden programmatischen Thesen sind die vorläufige inhaltliche Grundlage unserer Organisation. Diese dienen uns als Richtschnur, an der wir unsere Praxis ausrichten. Sie sind die Arbeitsgrundlage für die Analyse der historischen Periode, in der wir uns befinden“. Dass diese Grundlage vorläufig ist, liegt in der Natur der Sache. Niemand fordert einen Ewigkeitsanspruch für dieses Dokument. Einen solchen Anspruch kann – wie gesagt – auch ein ausgearbeitetes Parteiprogramm nie erheben. Es ist immer möglich, Änderungen auf einer Vollversammlung/einem Kongress zu beantragen.
Trotzdem gilt uneingeschränkt: Bis ein neues Programm beschlossen oder die Programmatischen Thesen überarbeitet sind, sind sie die gültige programmatische Grundlage der KO. Das war auch die bisherige Praxis bei der Aufnahme neuer Genossen. Für die Führung gilt das in einem besonderen Maße: Gerade sie ist an die Programmatischen Thesen gebunden.
Tatsächlich ist es sehr gefährlich, den Charakter der PTh als verbindlicher programmatischer Grundlage zu relativieren. Denn ohne eine solche Grundlage gibt es keinen Demokratischen Zentralismus. Die KO würde ohne die PTh im Wesentlichen auf einen bloßen Diskussionszirkel herabsinken. Sie wäre keine Organisation im engeren Sinne mehr und sollte dieses Wort wohl auch nicht mehr im Namen führen.
Zweitens entstanden die PTh nicht aus einer Laune heraus, sondern als Ergebnis eines Diskussionsprozesses. Der Genosse Edgar Kunze hat in einem Diskussionsbeitrag aufgezeigt, dass die Diskussion um den russischen Imperialismus bereits Jahre vor der Konstituierung der KO in der DKP und SDAJ geführt wurde. Bedauerlicherweise hat er aber die inhaltliche Positionierung ausgelassen, die von unserer Seite, damals noch als Mitglieder der DKP, in dieser Diskussion stattgefunden hat (zwar etwas später im Jahr 2017, da allerdings auch als Ergebnis von längeren, überwiegend mündlich geführten Diskussionen). Dass auch von Genossen, die maßgeblich an der Gründung der KO beteiligt waren, die Diskussion um den Imperialismus und besonders auch die Rolle Russlands und Chinas geführt wurde, sollte berücksichtigt werden, weil es ein anderes Gesamtbild ergibt. Es ist daher notwendig, an dieser Stelle ausführlich aus einem damaligen Beitrag zu zitieren:
„In der kommunistischen Bewegung stehen aktuell verschiedene Auffassungen darüber, wie die Leninsche Imperialismustheorie auf die heutigen Verhältnisse anzuwenden ist, gegeneinander. Nach einer Lesart, die auch in der DKP vorherrschend ist, ist der Imperialismus vor allem als Dominanz einer relativ kleinen Gruppe westlicher Staaten zu verstehen, die sich den Großteil der restlichen Welt unterwerfen. Afrika, Lateinamerika und viele Länder Asiens, aber nach manchen Lesarten selbst europäische Länder wie Griechenland, Portugal oder Osteuropa, sind demnach einfach abhängige Staaten. Dabei beruft man sich auf Lenins Unterscheidung zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen. Manchmal wird diese Abhängigkeit auch als „Neokolonialismus“ beschrieben, womit betont wird, dass der Kolonialismus nie wirklich überwunden wurde, sondern nur andere Formen annahm. Nach vielen Vertretern dieser Deutung gelten die Rivalen der USA und EU, hauptsächlich Russland und China, teilweise aber auch Länder wie Brasilien, nicht als imperialistisch; von manchen werden sie sogar als objektiv antiimperialistisch charakterisiert, da sie dem westlichen Vormachtstreben Widerstand leisten. Erst recht gilt das für kleinere Staaten, die in Opposition zur Vorherrschaft der NATO-Mächte stehen, z.B. Syrien, Iran, Venezuela, Ecuador, Bolivien.
Im Widerspruch dazu steht eine andere Imperialismusanalyse, die heute von einer Reihe kommunistischer Parteien vertreten wird. Demnach ist der Imperialismus viel stärker als ein internationalisiertes System von Produktionsbeziehungen zu verstehen, das alle kapitalistischen Länder umfasst. Der Imperialismus ist also nicht nur eine „Eigenschaft“ einiger Führungsmächte, sondern weil seine ökonomische Grundlage, der Monopolkapitalismus, in alle Ecken der Welt eindringt, sind auch grundsätzlich alle diese Länder Teil desselben imperialistischen Weltsystems. Antiimperialismus kann demnach nur bedeuten, das imperialistische System, d.h. den Monopolkapitalismus zu bekämpfen. Und da es kein Zurück zu einem nichtimperialistischen Kapitalismus geben kann, ist Antiimperialismus zwangsläufig antikapitalistisch. Die Vorstellung, eine nationale Unabhängigkeit vom Imperialismus erkämpfen zu können, ohne mit dem Kapitalismus zu brechen, ist demnach eine Illusion.
Von einem weltumfassenden imperialistischen System zu reden, bedeutet aber noch lange nicht, dass die einzelnen Staaten darin auf gleicher Stufe stehen. Im Gegenteil entwickelt der Kapitalismus sich je nach Land hochgradig ungleichmäßig. Daraus ergeben sich Hierarchien und Abhängigkeiten, die zwar auf Gegenseitigkeit beruhen, aber trotzdem sehr ungleich sind – so sind die USA auch von Mexiko abhängig, aber lange nicht so stark wie umgekehrt. Aus diesen Ungleichgewichten entstehen auch ständige Widersprüche und Konflikte zwischen den Staaten. Daher wurde für diese Analyse das Bild einer imperialistischen Pyramide geprägt, in der es zahlreiche Abstufungen gibt, aber alle Teil desselben Systems sind (zum Begriff der imperialistischen Pyramide: Aleka Papariga 2013: Über den Imperialismus und die imperialistische Pyramide, auf deutsch übersetzt unter: http://kommunisten-online.de/uber-den-imperialismus-und-die-imperialistische-pyramide/ ; KKE 2015: The imperialist unions, the inter-imperialist contradictions and the stance oft he communists, online: http://www.iccr.gr/en/news/The-imperialist-unions-the-inter-imperialist-contradictions-and-the-stance-of-the-communists/ ).
Die politischen Konsequenzen liegen jeweils auf der Hand: Während aus der ersten Analyse die Unterstützung bürgerlicher Regierungen und Staaten folgen kann, wenn diese als nicht imperialistisch oder gar antiimperialistisch eingeordnet werden, richtet sich die zweite Position notwendigerweise gegen das imperialistische und kapitalistische System als Ganzes.“i
Es ist sehr irreführend, wenn nun so getan wird, als seien die PTh nicht aus einer Diskussion hervorgegangen und als wäre nicht gerade auch die Positionierung zum Imperialismus das Ergebnis einer solchen Diskussion gewesen. Dass nicht alle Genossinnen und Genossen diese Diskussion im gleichen Maße durchdrungen haben, mag schon so sein. Das wird aber immer so sein, da sich unserer Bewegung immer wieder neue Leute anschließen, die sich die Komplexität der Diskussionen erst einmal mühevoll erarbeiten müssen. Ist das aber ein Grund, den bereits erreichten kollektiven Stand abzuwerten und zu relativieren?
Drittens besteht kein Widerspruch zwischen der uneingeschränkten Gültigkeit der Programmatischen Thesen als programmatischer Grundlage und der „Kritik und Selbstkritik und Offenheit der Diskussion“, wie Klara sie einfordert. Es ist doch sehr verwunderlich, wieso auf einmal das Pochen auf die Gültigkeit der programmatischen Grundlage in einem Gegensatz dazu gestellt wird, dass man offen diskutieren kann. Offen diskutieren, das kann und soll man und es ist sehr gut, dass wir das gerade tun. Aber Grundlage unserer Positionierung und auch der Aufnahme neuer Genossinnen und Genossen sind und bleiben die PTh. Daran gibt es nichts zu rütteln. Mit „Dogmatismus“, den Klara zu wittern meint, hat das alles wenig zu tun.
Viertens ist es inakzeptabel, wenn die eindeutigen Aussagen der PTh zum Imperialismus nun relativiert werden, weil man selbst inzwischen vielleicht lieber hätte, dass da eine andere Formulierung stünde. Klaras Beitrag liest sich so und soll wohl auch den Eindruck erwecken, aus den PTh ließe sich alles Mögliche ableiten.
Klara schreibt: „Ich meine, dass ein konsititutives (sic) Charakteristikum dieses Systems die Weltbeherrschung durch bestimmte Monopole und ihrer Staaten bedeutet“. Wie sie das meint, kann man in ihrem Beitrag „Imperialismus, Krieg und die kommunistische Bewegung“ nachlesen: Sie geht von einer „unipolaren“ Beherrschung der Welt durch die USA, ggf. im Bündnis mit einer Handvoll anderer „Räuber“ aus. Weshalb diese Analyse nicht nur falsch ist, sondern auch dem Verständnis der PTh widerspricht, wurde in dem Beitrag „Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen der KO“ aufgezeigt. In den PTh steht eben doch eindeutig etwas anderes, was sie auch selbst zitiert: „Wir kämpfen aber Seite an Seite mit unseren Genossen auf der ganzen Welt gegen den Imperialismus als Ganzes, als weltweites System. Besonders hervorzuheben sind daher auch die EU als imperialistisches Bündnis, die aufstrebenden Ökonomien der BRICS-Gruppe und der US-Imperialismus als nach wie vor militärisch gefährlichster imperialistischer Pol der Welt“.
Klara meint nun, man könnte diese Passage ganz unterschiedlich deuten („auch wenn es insofern interpretationsoffen ist, dass man auch daraus ableiten könnte, dass die BRICS imperialistisch sind“). Wirklich? Will irgendjemand ernsthaft behaupten, es wäre uneindeutig, wie diese Passage gemeint war und ist? Es ist doch wohl recht eindeutig: Es geht um den „Imperialismus als Ganzes, als weltweites System“. Der Kampf gegen diesen, als Gesamtsystem, ist das Wesentliche unserer Strategie. In diesem Kontext, quasi als Unterpunkte der Überschrift „Imperialismus“, werden nun die EU, die BRICS-Gruppe und die USA konkret genannt. Es ist wirklich unklar, wie diese Aussagen anders interpretierbar sein sollen, als dass den genannten Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika – ein auch imperialistischer Charakter zugeschrieben wird.
Noch klarer wird das durch diese Passage: „Diese These ist jedoch falsch. Sie beruht auf der falschen Vorstellung, der Imperialismus sei die Vorherrschaft einiger, „westlicher“ oder „nördlicher“ Staaten wie der USA, Westeuropas und Japans“. Ist das wirklich interpretationsoffen? Oder wird hier nicht vielmehr einer Vorstellung, wie Klara sie eindeutig in ihrem Diskussionsbeitrag zum Imperialismus vertritt, eine unmissverständliche Absage erteilt?
Klara zitiert auch folgende Aussage der PTh: „Es ist falsch, bestimmten, relativ unterlegenen imperialistischen Polen innerhalb dieses Systems eine prinzipielle Friedensfähigkeit oder fortschrittliche Rolle zuzuschreiben. Die fatale Konsequenz aus solchen Fehleinschätzungen ist, dass die Arbeiterklasse sich unter der Fahne fremder Interessen, nämlich des einen oder anderen imperialistischen Pols sammelt“. Leider arbeitet sie sich dann aber an den Punkten „prinzipielle Friedensfähigkeit“ und „fortschrittliche Rolle“ ab. Das war bisher tatsächlich nicht der Kern der Debatte, auch wenn Philipp in Russland tatsächlich eine „nationale Bourgeoisie“ auszumachen glaubt, die „in dem (begrenzten) Sinne fortschrittlicher ist, dass sie Bedingungen zur erfolgreichen Akkumulation des Kapitals herstellen will“ii. Entscheidender ist aber der zweite Satz des Zitates, auf den Klara leider gar nicht eingeht: Nämlich die deutliche Warnung vor einer „fatalen Konsequenz“, die da lautet: „sich unter der Fahne fremder Interessen, nämlich des einen oder anderen imperialistischen Pols“ zu sammeln. Wir haben diesen Satz sehr bewusst in die PTh geschrieben. Er schließt an der Position der Bolschewiki und der anderen internationalistischen Teile der sozialistischen Bewegung zum Ersten Weltkrieg an: Damals fand genau dieses Sammeln unter der Fahne des Imperialismus statt. Auch damals sprachen viele Opportunisten dem Imperialismus keine „prinzipielle Friedensfähigkeit“ zu. Auch damals wurde lediglich eine „Überschneidung der Interessen der Arbeiterklasse“ mit denen des einen oder anderen imperialistischen Pols behauptet: Sei es nun Deutschland, das vor der russischen Autokratie beschützt werden müsse oder Frankreich, das vor dem Militarismus der „Hunnen“ zu verteidigen sei oder „Mütterchen Russland“, das die deutsche Invasion abwehren müsse… natürlich immer nur, um Schlimmeres zu verhindern.
Kommen wir zurück zu den Programmatischen Thesen. Diese sind doch recht klar in einigen wesentlichen Aussagen: Erstens, Russland ist ein imperialistischer Akteur innerhalb eines imperialistischen Weltsystems. Zweitens, die Konflikte zwischen Russland/China einerseits und den USA, der NATO, der EU andrerseits sind zwischenimperialistische Konflikte. Die daraus hervorgehenden Kriege sind zwischenimperialistische Kriege. Drittens, wir als Kommunisten dürfen uns unter keinen Umständen auf eine der beiden Seiten stellen. Das ist die grundlegende Orientierung der PTh. Wenn einige nun die „Äquidistanz“ als Hauptgefahr in der kommunistischen Bewegung zu erkennen glauben, obwohl dies ein reiner Strohmann ist, so findet sich im Gegensatz dazu in den PTh keinerlei Grundlage dafür. Wenn Philipp den in den PTh erreichten Stand trivialisiert, indem er behauptet, „Im Abschnitt zum Imperialismus beschreiben wir zunächst auf sehr allgemeiner Ebene den Imperialismus vor allem auf ökonomischer Ebene als Monopolkapitalismus und bestimmen damit die Epoche. Das ist auch der Hauptzweck der Thesen in diesem Abschnitt – die Epoche zu bestimmen im größeren historischen Sinne“, dann ist das nicht richtig. In Wirklichkeit haben wir sehr viel mehr als nur solche allgemeinen Aussagen festgehalten.
Deshalb kommt Klara auch letzten Endes selbst nicht umhin, ihren Widerspruch zu den PTh offen zu artikulieren: „Die Begründung der Kritik jedoch, die in den PTh geliefert wird, finde ich falsch und irreführend. Erstens ist es ein Charakteristikum der imperialistischen Epoche des Kapitalismus, dass es die Vorherrschaft einiger Staaten gibt, zweitens ist die Tatsache, dass der Imperialismus eine gesetzmäßige Entwicklung des Kapitalismus ist, keine Begründung für die Nicht-Existenz von Vorherrschaft.“. Auch Philipp schreibt an verschiedenen Stellen, dass er die durchaus klaren PTh für „missverständlich“ oder „wenig nützlich“ einschätzt. Die PTh würden angeblich die angebliche „weltbeherrschende Rolle“ des Westens relativieren – das tun sie in der Tat, allerdings bewusst und zurecht, da die Vorherrschaft des Westens in der Tat sehr viel relativer und stärker infrage gestellt ist, als Klara und Philipp es sehen wollen. Fakten dazu liefert der Artikel von Thanasis „Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen“.
Nun, natürlich behauptet niemand, dass es keine „Vorherrschaft“ im imperialistischen System gäbe. Die Frage ist doch vielmehr, ob man diese als absolute Vorherrschaft eines Pols betrachtet (so Klara, Philipp und Alexander in ihren Diskussionsbeiträgen) oder, wie die PTh, als eine relative Vorherrschaft an der Spitze der „Pyramide“, die sich zudem der „Westen“ inzwischen mit China und auch anderen Ländern teilen muss. Die Charakterisierung des Imperialismus als monopolistischer Kapitalismus steht eben sehr wohl im Gegensatz zu einer solchen Auffassung, die glaubt, Imperialismus wäre lediglich am obersten Punkt der Spitze der Hierarchie zu finden, also da wo es piekst, wenn man sich draufsetzt. Denn es ist nicht zu bestreiten, dass das gesellschaftliche Verhältnis des Imperialismus sich auch auf den niederen Stufen dieser Pyramide findet.
Philipp macht klar, wie sehr sein Standpunkt im Gegensatz zu den PTh steht, wenn er schreibt, die Aufzählung von EU, BRICS und USA wäre „falsch, sie missachtet das tatsächlich herrschende Machtverhältnis auf politischer, ökonomischer und militärischer Ebene“. Und: „Es ist auch eine oberflächliche und unrealistische Aussage, gegen den „Imperialismus als Ganzes“ zu kämpfen – so etwas gibt es in der Realität nicht. Ich denke nicht, dass uns dieser Fehler bewußt (sic) war, das macht ihn aber nicht besser“. Diese Aussage hat es in sich – Philipp unterstellt hier unserem Kollektiv, es sei quasi „unbewusst“ in die Positionierung geschlittert, dass wir gegen den Imperialismus als Ganzes, als Weltsystem kämpfen. Dem ist nicht so. Diese Formulierung war kein Versehen, sondern eine bewusste Stellungnahme gegen ein Verständnis von „Antiimperialismus“, das damit nur eine Ausrichtung gegen den US-Imperialismus oder den „Westen“ meint.
Nun sagen die PTh auch etwas zum „Hauptfeind“: „Als Kommunisten in Deutschland sehen wir den deutschen Imperialismus, d.h. die deutsche Monopolbourgeoisie und ihren Staat als unseren Hauptgegner an“. Klara interpretiert das, man könne diesen Kampf auch führen, indem man ausschließlich den deutschen Imperialismus (ggf. noch seine Verbündeten, also USA etc.) angreift. Das ist allerdings damit ganz eindeutig nicht gemeint, wie der Satz davor („Der antiimperialistische Kampf muss sich deshalb gegen das Kapital und das kapitalistische System als Grundlage des Imperialismus richten“) und der Satz danach („Wir kämpfen aber Seite an Seite mit unseren Genossen auf der ganzen Welt gegen den Imperialismus als Ganzes, als weltweites System“) mehr als deutlich machen. Gegen den Imperialismus als System zu kämpfen schließt doch wohl logisch ein, auch gegen alle Staaten zu kämpfen, die dieses System stützen, einschließlich Russland und China. Ansonsten müsste man sich auch fragen, wie die Orientierung gegen den „Hauptfeind“ mit der Aussage in Einklang zu bringen wäre, sich auf keine Seite eines zwischenimperialistischen Konfliktes zu stellen.
Was ist das Problem mit der von Klara vorgeschlagenen Orientierung? Wäre es jetzt eine mögliche Lösung, einfach Parolen gegen den deutschen Imperialismus aufzustellen, ohne sich zum Krieg Russlands zu äußern? Allein die Vorstellung ist absurd: Wir würden damit auf die Straße gehen, anlässlich eines gerade stattfindenden Krieges, der in erster Linie vom russischen Imperialismus aktiv geführt wird (Ja, es ist ein Unterschied, ob man mit über 100.000 Soldaten in einem anderen Land Krieg führt, oder ob man „nur“ Waffen und Geld in dieses Land schickt, um eine Kriegspartei zu unterstützen). Wir würden aber zu diesem Krieg selbst eigentlich gar nichts sagen können, außer dass wir die Beteiligung Deutschlands daran ablehnen. Auf die dann zwangsläufig und zurecht kommende Frage, wie wir denn den Krieg und die Rolle Russlands einschätzen, könnten wir keine Auskunft geben. Oder schlimmer noch: Jeder würde das sagen, was er persönlich denkt. Ein einheitliches Agieren als Organisation wäre das nicht. Es würde auch zur Diskreditierung der KO innerhalb der Friedensbewegung beitragen, indem falsche Positionen, die das Morden an der ukrainischen Arbeiterklasse gutheißen, in unserem Namen auf die Straße getragen würden.
Was ist überhaupt der Sinn davon, dass Kommunisten mit ihren Positionen in Auseinandersetzungen eingreifen? Man möchte meinen, es ginge darum, Aufklärung über das Wesen der Dinge, über die Ursachen der Widersprüche und den Weg zu ihrer Lösung zu leisten. Genau das passiert durch die einseitige „Hauptfeind“-Fokussierung aber nicht, ganz im Gegenteil. Das Wesen des Krieges, nämlich das Aufeinanderprallen imperialistischer Interessen, wird nicht nur nicht benannt, es wird sogar verschleiert. Denn wenn der Krieg allein als Folge der aggressiven Politik eines Blocks dargestellt wird, erscheint die Außenpolitik der USA als das Hauptproblem, und nicht mehr die Widersprüche des imperialistischen Systems. Unsere Agitation und Propaganda wäre somit keine Aufklärung im Sinne der Arbeiterklasse mehr, sondern würde einfach dem russischen Imperialismus in die Hände spielen.
Am Ende verweist Klara darauf, dass wir in den PTh eine Reihe von Fragen zur Klärung festgehalten haben. Das ist richtig. Die „Entwicklung des Kapitalismus in Russland und China sowie die Formen ihrer Einbindung in das imperialistische Weltsystem“ wollten wir uns tatsächlich noch genauer ansehen. Wie gezeigt wurde, bedeutet das nun nicht, dass wir diese „Entwicklung des Kapitalismus“ und die „Formen ihrer Einbindung“ nicht auch damals schon glaubten einschätzen zu können. Heute, vier Jahre später, hat sich das Verständnis dieser Fragen sicherlich eher weiterentwickelt. Dazu haben auch verschiedene Publikationen beigetragen, z.B. „Zum ‚Handelskrieg‘ zwischen den USA und China“ oder „Machtverschiebungen in der imperialistischen Pyramide in der ‚Coronakrise‘“.
Klara verweist auf die Notwendigkeit weiterer Klärung. Sicherlich, eine weitere Vertiefung unseres Verständnisses des russischen und chinesischen Imperialismus, des Imperialismus als Weltsystem überhaupt, ist notwendig. Diese Notwendigkeit wird sich aber auch in ein paar Jahren nicht erledigt haben. Sie bleibt eine ständige, für immer unvollendete Arbeit. Wir können unser Verständnis hierzu lediglich verbessern und nie abschließen. Es stellt auch niemand infrage, dass hierzu eine Diskussion mit der DKP und SDAJ notwendig ist. Hier ist Bescheidenheit unsererseits in der Tat angebracht – hat sich doch gerade in den letzten Wochen gezeigt, dass die SDAJ eher in der Lage war, eine korrekte internationalistische und leninistische Position zum Ukrainekrieg einzunehmen als die KO. Hier sollten wir den Austausch suchen.
Klara geht es aber eigentlich um etwas anderes: „Ich gehe davon aus, dass die faktenreichen Darlegungen in den letzten Diskussionsbeiträgen, die in diese Richtung argumentieren, nicht diese Vertiefung meinen können“. „Leider scheint es bei manchen Beiträgen so, als müssten jetzt nur ein paar Daten und Fakten aneinandergereiht werden und so wäre die eine oder andere These belegt und basta. So ist es nicht.“
Wie sie zu diesen Einschätzungen kommt, erklärt sie leider nicht. Weder wird klar, wie sie dazu kommt, die verschiedenen Diskussionsbeiträge, die im Gegensatz zu ihrem weitgehend faktenfreien eigenen Beitrag nun endlich eine sachliche Fundierung der Diskussion versuchen (hier sind die Beiträge von Fatima Saidi, Bob Oskar, Pablo Medina und Thanasis Spanidis zu nennen), als Aneinanderreihung von Daten und Fakten abzuqualifizieren. Wird darin nicht eine theoretische und konzeptionelle Einordnung dieser Daten geleistet? Wenn sie dieser Einordnung widerspricht, wäre es hilfreicher, eine alternative Deutung zu entwickeln, anstatt zu leugnen, dass sie überhaupt stattfindet.
Noch wird nachvollziehbar, wieso Klara meint, die „faktenreichen Darlegungen“ wären nicht bereits Teil der von ihr geforderten „Klärung“ und „Vertiefung“. Was denn bitte sonst? Klara scheint mit „Klärung“ einen Prozess zu meinen, der nicht im Hier und Jetzt stattfindet und zu einem Teil auch bereits stattgefunden hat, sondern einen metaphysischen Zustand der allgemeinen und vollkommenen Erleuchtung, den wir irgendwann in ferner Zukunft erreichen können. Und bis dahin scheinen ihr die Programmatischen Thesen auch nur von begrenzter Gültigkeit zu sein.
All das bedeutet nicht, dass mit irgendeinem der bisher geschriebenen Beiträge „das letzte Wort“ gesprochen wäre und die Diskussion sich erledigen würde. Nein, wir müssen unser Verständnis – wie nun schon mehrfach betont – weiter vertiefen. Vertiefen heißt aber ganz ausdrücklich nicht, dass wir unsere Analyse über Bord werfen sollten. Denn dann werfen wir uns selbst, als eine Organisation mit einer klaren Grundlage, die im offenen Widerspruch zu dem von anderen Teilen der Bewegung entwickelten Verständnis steht, mit über Bord.
i Thanasis Spanidis/ Jona Textor/ Bob Oskar/ Antonio Veiga 2017: Worum geht es bei den Diskussionen in DKP und SDAJ? Thesen zur Strategie-, Organisations- und Imperialismusdebatte; Leider wurde dieser Artikel inzwischen von der Website der DKP entfernt.
ii Philipp Kissel: Zur Kritik am „Joint Statement“ und zur NATO-Aggression gegen Russland.