In der Krise zeigt sich die hässliche Fratze des Kapitalismus am deutlichsten. Unsere Leben sind weniger wert als die Profite der Monopolkonzerne – Menschen werden und mussten bereits sterben. Das Gesundheitssystem wurde kaputt gespart und es müssen weiterhin Millionen von Menschen ohne die notwendigen Maßnahmen zum Schutz ihrer Gesundheit arbeiten. Überall zeigt sich die Unfähigkeit des Kapitalismus, die gesellschaftlichen Bedürfnissen zu befriedigen.
Mit der Verschärfung der Krise werden viele Menschen am eigenen Leib spüren, dass das kapitalistische System nicht den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung dient, sondern einer kleinen Minderheit, und auf deren Interessen zugeschnitten ist. Denn die Krise der Wirtschaft wird auf den Rücken der arbeitenden Bevölkerung ausgetragen. Die herrschende Klasse weiß selbst nur zu gut um die Fragilität ihrer Situation. Zwei Mechanismen sollen ihre Herrschaft in jeder Krise sichern – Integration und Spaltung.
Integration der Arbeiterklasse in den Herrschaftsapparat
In einem Strategiepapier des Bundesinnenministeriums, dessen Authentizität bisher nicht zweifelsfrei bewiesen werden kann, malen die Autoren einen möglichen Zusammenbruch mit ungeahnten politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen als Worst-Case-Szenario der Entwicklung der Coronakrise aus:
„Sollten die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zur Eindämmung und Kontrolle der Covid-19-Epidemie nicht greifen, könnten im Sinne einer „Kernschmelze“ das gesamte System in Frage gestellt werden. Es droht, dass dies die Gemeinschaft in einen völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie verändert. Dementsprechend wäre es naiv, davon auszugehen, dass ein Rückgang des BIP um eine zweistellige Prozentzahl, etwa jenseits der 20%, eine lineare Fortschreibung der Verluste aus dem Fehlen einiger Arbeitstage bedeuten und ansonsten das Gesamtsystem nicht in Frage stellen würde.“
Auch wenn die Urheberschaft des Papiers nicht restlos geklärt werden kann, zeigt doch die Tatsache, dass es von vielen bürgerlichen Medien zitiert wird, wie ernst die Situation ist. Für die herrschende Klasse ist aber mit Worst-Case-Szenario nicht der mögliche Tod von vielen Menschen gemeint, sondern der Einbruch der Wirtschaftskrise und die politischen und sozialen Folgen für das deutsche Kapital. Im Klartext:
„Die gegenwärtige Krise durch COVID-19 hat das Potential das Vertrauen in die demokratischen Institutionen in Deutschland nachhaltig zu erschüttern. Dem kann und muss entgegengewirkt werden. Dies gelingt am besten, wenn der Staat – Bund, Länder und Kommunen – proaktiv und koordiniert auftritt und somit nicht als „lähmender“, sondern als mobilisierender Faktor tätig und sichtbar wird. Wichtigste Botschaft der Kommunikation staatlicher Akteure: Das Virus ist ein Risiko für alle. Es wird unser Leben kurz-, mittel- und langfristig verändern. Wir haben das Risiko erkannt, arbeiten auf allen Ebenen zusammen, orientieren uns an der wissenschaftlichen und praktischen Evidenz und handeln entschieden aber nicht panisch. Nur mit einem Zusammenkommen und Wirken von allen Kräften in der Gesellschaft können wir die Verlangsamung der Neuinfizierungen und schließlich Eindämmung des Virus schaffen. Der Staat braucht dazu die Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger, nur dann können wir das Virus schnellstmöglich eindämmen und ein demokratisches Zusammenleben (sowohl politisch, sozial als auch wirtschaftlich) garantieren.“
Das Bundesinnenministerium & Co. setzten in dieser bedrohlichen Lage auf eine klare Kommunikationsstrategie:
„Neben umfassender Information und Aufklärung von Seiten staatlicher Behörden, ist der Staat in besonderer Weise auf die zivilgesellschaftliche Solidarität angewiesen. Dieses „Zusammen“ muss mitgedacht und mitkommuniziert werden. Dazu braucht es ein gemeinsames Narrativ (#wirbleibenzuhause, oder «gemeinsam distanziert» – «physische Distanz – gesellschaftliche Solidarität») und im besten Fall viele Gesichter (Prominente, Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler), die sich mit der Kampagne identifizieren.“
Nach dieser Erzählung sitzen wir alle im gleichen Boot und müssen jetzt alle zusammenhalten. Alle „Zusammen“ – das hört sich erstmal sehr gut an. Doch mit „Zusammen“ ist gemeint, dass die Arbeiterklasse „zusammen“ für die herrschende Klasse die Pobacken für die Wirtschaft „zusammen“ kneifen soll.
Diese geheuchelten Aufrufe der Solidarität dienen nicht dem tatsächlich notwendigen gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern sollen einzig und allein die Bevölkerung im Sinne der Kapitalistenklasse mobilisieren. Sie verdecken den Interessenswiderspruch zwischen denjenigen, die durch ihre Arbeit das System am Laufen halten, und denjenigen, die sich durch Ausbeutung an dieser Arbeit bereichern. Wir sollen solidarisch sein mit den Großkonzernen, die jetzt Verluste machen, und doch bitte auf Streiks und Lohnforderungen angesichts der Krise verzichten. Wir sollen die Ängste um die Gesundheit der Gesundheitsarbeiter und ihre Arbeitsbedingungen mit Klatschen übertönen. Gleichzeitig wird die Ausnahmesituation genutzt, um Angriffe auf die Arbeitsbedingungen durchzuführen. Auf der anderen Seite heucheln Medien und Politik Anteilnahme, um die Fassade zu wahren.
Die Linie der Politik wird auch in den Betrieben übernommen. Das Kurzarbeitergeld ist effektiv eine staatliche finanzierte Unterstützung der Unternehmer und eine Lohnkürzung für die Arbeiter. Lohnkürzungen, verschlechternde Arbeitsbedingungen und drohender Jobverlust sollen auch hier überlagert werden durch ein „Zusammenhalten“ von Arbeiter und Unternehmer, um „gemeinsam“ durch die Krise zu kommen. Dafür sollen die Arbeiter jetzt zurückstecken, damit die Unternehmer nach der Krise wieder wie gewohnt Profite machen können.
Die Hilfsbereitschaft der Menschen wird vereinnahmt und führt zur Spaltung
Um diese Kampagne des staatlich orchestrierten „Zusammen“ effektiver zu machen, sollen auch die Nachbarschaften mobilisiert werden. Die vielen lokalen Initiativen von Nachbarn, die sich spontan gebildet hatten, werden nun vom Staat ins Visier genommen. Diese lokal sehr unterschiedlichen Initiativen waren eine Reaktion darauf, dass gerade ältere und arme Menschen mit Ängsten und Versorgungsproblemen sich selbst überlassen wurden. Soziale Gruppen, wie obdachlose Menschen, deren Versorgung schon vor der Krise oftmals von ehrenamtlichen Strukturen abhing, befinden sich jetzt noch mehr in einer lebensbedrohlichen Lage. Der Staat baut darauf, dass ehrenamtliche Strukturen die Lücken des sogenannten Sozialsystems füllen, um Geld zu sparen.
In vielen Städten geht der Staat nun auf diese ehrenamtlichen und selbstorganisierten Strukturen in der Nachbarschaft zu und versucht diese staatlich zu vereinnahmen und zu bestimmen. Dies geschieht durch finanzielle Versprechungen oder auch offene Drohungen gegen selbstorganisierte Strukturen. Die teilweise spontanen Initiativen sollen in die bereits bestehenden staatlichen, kirchlichen o. ä. Organisationen integriert werden. Hiermit kann sich der Staat die praktische Solidarität der Menschen als erfolgreiches Krisenmanagement verbuchen, während er gleichzeitig die Verantwortung auf individuelle Ebene weiter abgibt. Die Erfahrungen aus bisherigen Krisen haben gezeigt, dass die Professionalisierung und Institutionalisierung immer zu einer Entpolitisierung und Passivität der Helferstrukturen führt. Anstatt einer politischen Klassensolidarität führt sie de facto zu Vereinzelung, zu Solidarität als bloßer Dienstleistung.
Die Kehrseite der versuchten Integration ist immer die Spaltung. Die herrschende Klasse und ihr Staat versuchen stets, die Einheit der Arbeiter im Kampf um ihre Interessen zu verhindern, in dem die notwendige gemeinsame Organisierung in viele einzelne, sich teilweise widersprechende Bewegungen gespalten wird. Viele ehrenamtliche und auf Wohltätigkeit fokussierte Strukturen fördern nicht nur die Integration von Solidarität in staatliche Strukturen. Stattdessen spalten sie die Menschen in Helfende und Hilfsbedürftige und führen nicht zu Klassensolidarität auf Augenhöhe. Die Spaltung verläuft auch entlang der Linie derer, die sich auf eine staatliche Integration einlassen, und derjenigen, die das strikt ablehnen.
Falsche Theorien, die in Umlauf kommen, führen dazu, dass viele Menschen nicht in der Lage sind, den Ernst der Lage richtig einzuschätzen und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Die widersprüchliche Kommunikation der Medien, aber auch Verschwörungstheorien in den verschiedensten politischen Lagern führen zur Verwirrung und Desorientierung der Klasse.
Den staatlichen Einfluss zurückdrängen
In dieser schwierigen Situation muss die Arbeiterklasse sehr wachsam sein. Sie darf sich nicht unter dem Deckmantel einer heuchlerischen „Solidarität“ in eine falsche, vermeintlich klassenneutrale Notgemeinschaft eingliedern lassen. Denn: nein, wir sitzen nicht alle im gleichen Boot. Und nein, wir schützen uns nicht, um für ihre Profite zu funktionieren, sondern weil wir den Kampf gegen die Kapitalisten weiterführen wollen und für unsere gefährdeten Klassengeschwister da sein wollen.
Gerade wir als Kommunisten müssen zeigen, dass wir im Kampf um die Interessen unserer Klasse eine Vorreiterrolle spielen können. Auch in unserer täglichen praktischen Arbeit haben wir Erfahrungen dazu gesammelt. Es macht große Hoffnung, dass nun viele Menschen erkennen, dass die gesellschaftlichen Probleme nicht individuell gelöst werden können, sondern gemeinsam angegangen werden müssen. Gleichzeitig werden wir in unserer Praxis auch vor vielfache Herausforderungen gestellt. Wir werden unsere praktische Arbeit in den Gewerkschaften, Nachbarschafen und den Betrieben verbreitern und die bisherigen Erfahrungen verallgemeinern. Auch auf theoretischer Ebene werden wir die Mechanismen der staatlichen Integration genauer analysieren und Strategien gegen die Vereinnahmung entwickeln. Wir wollen gegen die Verwirrung und Desorientierung durch Medien und Politik wissenschaftliche Analysen erarbeiten. Praktisch muss echte Solidarität für die internationale Arbeiterklasse gefördert und der Spaltung und Irreführung entgegengesetzt werden. Zuletzt wollen wir auch die Rolle der Gewerkschaften als die Massenorganisationen der Arbeiterklasse stärken und in den Gewerkschaften darum kämpfen, ihnen wieder einen klareren Klassenstandpunkt zu geben. Auch sollen nicht nur die betrieblichen Kämpfe in den Gewerkschaften zusammengeführt werden, sondern auch die nachbarschaftliche Solidarität.