Aktuelles von Daniel Borowski
Politik, Medien und Arbeitgeberverbände scheinen sich mal wieder einig zu sein: Bis ins Alter von 67 zu schuften reicht nicht aus, um ohne Armut seinen Ruhestand verbringen zu dürfen. So fordern beispielsweise sogenannte Wirtschaftsexperten der Bundesregierung, dass das Renteneintrittsalter zukünftig auf 70 Jahre steigen soll. Ein sogenannter „wissenschaftlicher Beraterkreis“ der Bundesregierung fordert sogar ein Renteneintrittsalter von 73 Jahren. Begründung: Die Gesellschaft altert. Immer mehr alte Menschen treffen auf immer weniger junge Leute. Einfache Rechnung – oder?
Was verschwiegen wird: Auch in den letzten Jahrzehnten ist die Produktivität gestiegen. Das heißt, heute können wir dank technologischer Entwicklung mit einer Arbeitsstunde mehr erwirtschaften als noch vor 30 Jahren. So einfach ist die Rechnung also doch nicht.
Wie lange gearbeitet werden muss, wie hoch die Rente ist, wie hoch unsere Löhne sind – all das ist kein Naturgesetz, sondern Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen uns, der Arbeiterklasse, und denen, die aus unserer Arbeit ihre Profite ziehen, den Kapitalisten. Seit Beginn der Arbeiterbewegung haben Beschäftigte um ihr Recht auf Erholung, auf Pausen, auf Ruhestand gekämpft – auch heute sollten wir das tun.
Es lässt sich außerdem fragen: Wo ist denn das ganze Geld hin, das angeblich so knapp ist, dass es nicht für anständige Renten und Sozialleistungen reicht? „Der Sozialstaat ist nicht mehr finanzierbar“ heißt es beispielsweise vom Bundeskanzler. Ist das Volkseinkommen etwa gesunken? Wurde alles an Kinder in Armut verschenkt? Natürlich nicht. Ein immer größerer Teil des Vermögens in der BRD liegt bei den Reichen. Aber auch im Staatshaushalt sind die Prioritäten andere als soziale Sicherheit für die arbeitende Bevölkerung.
Wir erleben heute im deutschen Staat die größte Aufrüstung und Kriegsvorbereitung seit dem deutschen Faschismus. Und schon bevor der Krieg ausbricht und unsere Leben fordert, kostet er vor allem sehr viel Geld: Etwa 40 Prozent des gesamten Bundeshaushalts sollen in wenigen Jahren ins Militär und kriegsrelevante Infrastruktur fließen. Es liegt auf der Hand: Das Geld wird für den Krieg benötigt, für uns bleibt nichts übrig.
Fassen wir zusammen: Bei der Rente geht es nicht um Rechenaufgaben von schlauen Leuten oder um „Jung gegen Alt“, sondern um den Interessengegensatz zwischen Beschäftigten und Unternehmern. Und für einige unserer Kollegen um nichts weniger als um Leben oder Tod: In den unteren Einkommensgruppen stirbt jeder fünfte Arbeiter bereits vor dem 65. Lebensjahr. Das ist die bittere Realität: Schuften bis ins Grab.
Forderungen nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters sind also ein direkter Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse. Dagegen braucht es wirksamen Widerstand. Wir müssen mehr Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen, sich wieder in den Gewerkschaften zu organisieren und aktiv für eine Verbesserung ihres Lebensstandards einzustehen. Wenn wir nicht kämpfen, verlieren wir.
Das heißt aber auch, dass die gewerkschaftliche Praxis sich verändern muss. Alle zwei bis drei Jahre eine mehr oder weniger kämpferische Tarifrunde für ein paar Prozente Lohnerhöhung reicht nicht aus. Auch die „große Politik“, wie das Renteneintrittsalter, muss auf die Agenda gesetzt werden. Nutzen wir Betriebsversammlungen, Petitionen und Tarifrunden, um für unsere Interessen auch gesamtgesellschaftlich zu kämpfen: Für Arbeitszeitverkürzung, für soziale Sicherheit für unsere Familien und für eine Rente, die wir noch erleben dürfen und die uns nach einem harten Arbeitsleben einen würdigen Ruhestand ermöglicht.
Die Erhöhung des Rentenalters verhindern und die Militarisierung bremsen: Dafür brauchen wir den Druck aus den Betrieben. Dafür sollten wir uns heute und hier zusammenschließen, über unsere Ängste und Sorgen reden und gemeinsam kämpfen. Aber machen wir uns dabei keine Illusionen: Jeder Teilerfolg und jedes erkämpfte Recht sind nie sicher in einem System, das von den Profiten der Kapitalisten bestimmt wird. Nur in einer sozialistischen Wirtschaftsordnung können unsere Interessen als Beschäftigte verwirklicht werden. Wer wie lange arbeitet, und wie unsere Rente aussieht, das wird dort von uns als Gesellschaft selbst bestimmt – und nicht von den Interessen der Unternehmer.