Liebe Leserinnen und Leser,
der Schwerpunkt der zweiten Ausgabe des Theorieorgans Klassenkampf & Wissenschaft liegt auf der Frauen- und Geschlechterfrage und ihrer Bedeutung in Theorie und Praxis des Marxismus-Leninismus. Die Ideologische Kommission der KP hat hierzu unter dem Titel „Zur Frauen- und Geschlechterfrage“ eine umfangreiche Ausarbeitung vorgelegt.
Leitend bei dieser Ausarbeitung ist der Gedanke, dass die Befreiung der Frau untrennbar mit der Befreiung der Arbeiterklasse von Ausbeutung und Unterdrückung überhaupt – also mit dem Sturz der kapitalistischen Verhältnisse selbst – verbunden ist:
„‚Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus‘ – was bedeutet das? Manchen scheint es so, dass heute in einigen Teilen der Welt die vollständige Emanzipation der Frau noch im Kapitalismus zu erreichen sei: Zumindest der gesellschaftliche Anspruch an Geschlechterrollen verändert sich. (…) [Es] ist aber entscheidend, dass im Kapitalismus keine Befreiung der Frauen der Arbeiterklasse (oder auch in manchen Ländern der armen Bauernschichten) möglich ist. Stattdessen gibt es – neben hart erkämpften Errungenschaften – nur vorübergehende Maßnahmen, die die herrschende Klasse für die Verschleierung der Verhältnisse und zur Integration revolutionärer Maßnahmen erlässt.“
Der Kampf zum Sturz der Ausbeuter ist ein Kampf, den nur eine möglichst vereinte Arbeiterklasse unter Führung der Kommunisten gewinnen kann. Ein solcher Kampf ist also undenkbar ohne eine umfangreiche und gleichberechtigte Beteiligung der Arbeiterinnen in den Reihen der kämpfenden Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei.
Die Ausarbeitung der Ideologischen Kommission stellt den Versuch dar, die in den Programmatischen Thesen der KP formulierte Position auf ein stabiles Fundament zu stellen und zu vertiefen. Im ersten Teil des Textes wird das dialektisch-materialistische Verständnis von Geschlechtern, Geschlechterrollen und Sexualität dargelegt. Im zweiten Teil wird die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse von der Urgesellschaft bis heute dargestellt. Der dritte Teil stellt die Lage der Frau in Deutschland dar und geht dabei gesondert auf einzelne Aspekte ihrer Unterdrückung ein. Im vierten Teil werden – aufbauend auf den ersten drei Teilen – die Erkenntnisse zum Verhältnis von Klasse und Geschlecht zusammengefasst sowie die Kritik am Feminismus und an den bürgerlichen Antworten auf die Unterdrückung der Frau begründet. Der fünfte Teil ordnet die Frauenfrage in die Strategie und Taktik der Arbeiterbewegung und der KP ein.
Die Frauen- und Geschlechterfrage hat sich historisch als ein Einfallstor bürgerlicher Einflüsse in der kommunistischen und Arbeiterbewegung erwiesen. Die falsche strategische Orientierung der „Volksfrontpolitik“ hatte vor, während und in Folge des Zweiten Weltkriegs zu einer schrittweisen Zersetzung der kommunistischen Bewegung in Theorie und Praxis geführt. Der Graben zwischen Reformismus und Revolution wurde durch die Idee der Aktionseinheit zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen, oder anderen bürgerlichen Parteien, ideologisch verdeckt. Damit wurden die Tore in allen Bereichen der marxistischen Weltanschauung für bürgerliche Ideologie weit geöffnet.
So ist es heute beispielsweise üblich, von einer Frauenbewegung zu sprechen, ohne genauer zu benennen, welche Interessen welcher Frauen eigentlich durch die Bewegung vertreten werden sollen: Die Frauen der Arbeiterklasse, die Frauen kleinbürgerlicher Schichten oder gar Frauen der Bourgeoisie? Als vor 114 Jahren zum ersten Mal der Internationale Frauenkampftag veranstaltet wurde, war den Kommunistinnen und Kommunisten, aber auch vielen Arbeiterinnen und Arbeitern, klar, dass es keine gemeinsame Bewegung zur Befreiung der Frau aus Arbeiterklasse und Bourgeoisie geben kann – dass die Klassenspaltung grundlegender als die der Geschlechter und Voraussetzung für deren Spaltung ist.
Die heutige Realität der fehlenden Klassenperspektive in der Frauenbewegung ist Ausdruck jahrzehntelanger Bearbeitung der kommunistischen und Arbeiterbewegung durch bürgerliche Ideologen. Man behauptet, dass der Marxismus keine Position zur Befreiung der Frauen entwickelt habe oder tut so, als sei diese „nicht mehr zeitgemäß“ oder entspräche „nicht mehr dem Stand der Wissenschaft“, obwohl gerade das Gegenteil der Fall ist. Führende Ideologen der bürgerlichen Frauenbewegung erweisen sich dabei in ihren pseudowissenschaftlichen Schriften immer wieder als vehemente Gegner des Marxismus. Aber auch manche, die eine vermeintliche Nähe zum Marxismus behaupten, weichen immer wieder grundlegend vom Standpunkt des Marxismus ab und geraten damit ins Fahrwasser des Antikommunismus. Die Auseinandersetzung mit diesen ideologischen Strömungen ist notwendig, um die marxistisch-leninistische Position wieder vom Schutt zu befreien, mit dem sie von Feinden und vermeintlichen Freunden überhäuft wurde.
Der zweite Text in dieser Ausgabe der K&W widmet sich daher auch der Auseinandersetzung mit bürgerlichen und kleinbürgerlichen feministischen Strömungen. Es ist ein Beitrag der Kommunistischen Partei Mexikos, von der wir bereits in der Vergangenheit einen umfangreichen Parteitagsbeschluss unter dem Titel „Thesen über die Emanzipation der Frau“ auf unserer Website veröffentlicht haben. Der hier vorliegende Text unter dem Titel „Kommunisten und die Emanzipation der Frau: eine Debatte mit bürgerlichen und kleinbürgerlichen feministischen Strömungen“ erschien 2018 in der „International Communist Review“ und argumentiert, dass die Emanzipation der Frau integraler Bestandteil des Klassenkampfs ist und erst mit dem Sturz des Kapitalismus und dem Aufbau des Sozialismus realisiert werden kann. Der Text kritisiert jene bürgerlichen und kleinbürgerlichen Strömungen, die versuchen, die Frage der Gleichstellung der Frau lediglich auf rechtliche und kulturelle Reformen zu beschränken und den ökonomischen Kern der Unterdrückung der Frau leugnen oder beiseite schieben.
Der dritte Text im Schwerpunkt dieses Heftes beschäftigt sich mit der Lage der Frau in der sozialistischen Gesellschaft der DDR. Er versucht ein Erbe zu bergen, welches heute unter der antikommunistischen Hetze verschüttet ist: Nie waren Frauen so gleichgestellt wie im Sozialismus, nie waren die materiellen Voraussetzungen ihrer Unterdrückung so weitgehend beseitigt. Die sozialistische Gesellschaft der DDR und auch die der anderen sozialistischen Staaten zeigte uns, was möglich ist – und retrospektiv auch, wie weit der Weg zur vollständigen Befreiung der Frau noch war.
Neben dem Schwerpunkt zur Frauen- und Geschlechterfrage veröffentlichen wir in dieser Ausgabe der K&W noch zwei weitere Texte von nicht geringer Bedeutung: Der erste Text ist eine von uns gekürzte Fassung des Artikels „Die Wege des Parteiaufbaus, die Gewerkschaftsarbeit und die kommunistische Betriebsarbeit“, geschrieben 2021 vom Generalsekretär der Revolutionären Kommunistischen Partei Frankreichs (PCRF) Pierre Komorov. Der Text behandelt Strategie und Taktik im betrieblichen und gewerkschaftlichen Kampf. Unsere Kürzungen umfassen vor allem die Passagen zur konkreten Realität der kommunistischen und Gewerkschaftsbewegung in Frankreich. Für die Weiterentwicklung der KP in der Frage der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit kann dieser Artikel als Anregung dienen, denn die Bedingungen in Deutschland und Frankreich und auch der Zustand der kommunistischen Bewegung in beiden Ländern weisen Ähnlichkeiten auf. Die KP wird sich in den nächsten Monaten und Jahren vermehrt den Fragen nach Strategie und Taktik in Betrieb und Gewerkschaft widmen.
Schließlich veröffentlichen wir mit dieser Ausgabe der K&W auch eine Antwort auf eine Kritik der ehemaligen Ideologischen Kommission der KPD. Diese Kritik richtet sich gegen die KP in ihrer strategischen Ausrichtung auf ein „gesellschaftliches Bündnis“, also ein Bündnis aus Klassen und Schichten unter der Führung der Arbeiterklasse. Die ehemalige Ideologische Kommission der KPD vertritt die Ansicht, dass eine Strategie, welche darauf zielt, unter Führung der Arbeiterklasse Schichten des Kleinbürgertums (und der Kleinbauern) mindestens zu einer wohlwollenden Neutralität in einer revolutionären Situation zu bewegen, gleichbedeutend sei mit der historischen, falschen „Volksfrontstrategie“. In der Antwort auf diese Kritik begründen wir, warum eine revolutionäre kommunistische Strategie unbedingt das Verhältnis zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum bestimmen muss und warum Teile des Kleinbürgertums als „schwankend“ zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse verstanden werden und insofern strategisch in den Kampf involviert oder neutralisiert werden müssen.
Wir danken der PCM und der PCRF für die Möglichkeit der Veröffentlichung ihrer Texte. Wir freuen uns auf Rückmeldungen zu dieser Ausgabe der K&W und hoffen, mit den Inhalten die Debatten in der kommunistischen Bewegung in Richtung Parteiaufbau zu beleben.