von Joshua Relko
„Tradition, Familie, Privateigentum“ prangt in goldenen Lettern auf der meterlangen Standarte, die einer der Herren mit beiden Armen stemmt. Ein anderer betet durchs Megafon, ein Dritter spielt Dudelsack.
Was sich am 17. Oktober am Campus der Universität zu Köln zugetragen hat, war kein Theater, sondern eine reaktionäre, frauenfeindliche und antikommunistische Provokation. Die Wurzeln von „Tradition, Familie, Privateigentum“ (im Folgenden: TFP) liegen in Brasilien, wo sich vor über 60 Jahren der katholischen Kirche angehörende dezidierte Antikommunisten gegen die zunehmend aufbegehrenden und linkspolitisierten Volksmassen zusammenschlossen. Heute handelt es sich um eine international vertretene Organisation, die in Deutschland und Österreich vor allem mit Kampagnen gegen Schwangerschaftsabbrüche auf sich aufmerksam macht. Natürlich ist sie, wie andere kirchliche Rechte auch, auf dem jährlichen Marsch für das Leben vertreten. In den vergangenen Wochen tourte die „Studentenaktion“ von TFP durch mehrere deutsche Städte und zeigte sich an verschiedenen Hochschulen, um ihre religiös kaschierten Drohgebärden gegen Frauen öffentlich zu inszenieren.
Spontaner Gegenwind
Nach kurzer Zeit bildete sich spontan eine Menschentraube aus Studierenden, die ihre Ablehnung der rechten Ansammlung lautstark zum Ausdruck brachte. Trotzdem blieb sie in ihrer Spontaneität zögerlich und zumeist auf Abstand. Ein koordinierteres Vorgehen hätte Handlungsspielräume geschaffen, um die rechte Kundgebung in ihrem Wirken direkt einzuschränken. Wenn Faschisten, Rassisten, Frauenfeinde oder Kriegstreiber an unseren Lebensorten auftauchen, ist es richtig, dass wir ihnen dort Grenzen aufzeigen. Und es ist auch richtig, wenn die Umstände das zulassen, ihre Zusammenrottungen auseinanderzutreiben. Eine wirksame Bewegung der Arbeiterklasse, ihre jungen und studierenden Generationen eingeschlossen, muss sich verteidigen können. Sie muss in den Arbeitsstätten, den Universitäten und Schulen den Schutz ihrer Klassengeschwister organisieren und bürgerliche Provokationen konkret bekämpfen. Im Aufbau klassenkämpferischer Strukturen muss die Politisierung unserer Mitmenschen also Hand in Hand gehen mit organisierter Handlungsfähigkeit.
Dabei darf sich der Blick nicht auf solche Propagandisten der Straße wie TFP beschränken. Die angeblich so progressive Ampelregierung hat zwar Paragraph 219a des Strafgesetzbuches gekippt, der öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche seitens der Arztpraxen kriminalisierte, aber die prinzipielle Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen – also der fortbestehende Paragraph 218 – bleibt unangetastet.i Dass die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fortbesteht und dass die Fortschritte der DDR auch in dieser Frage von der Konterrevolution 1990 hinweggefegt wurden, liegt ja nicht an offen reaktionären Gruppen wie TFP. Verantwortlich sind die politischen Vertreter der Kapitalisten in diesem Land – also die „etablierten“ Parteien in wechselnder Regierungsverantwortung, ob konservativ oder sozialdemokratisch . Wer sich über die frauenfeindliche Hetze von TFP empört, sollte den Klassenstaat nicht verschonen.
Gegen wen?
TFP ist natürlich – in Relation zur Stimmung der Gesamtgesellschaft – eine unbedeutende Randerscheinung. Nichtsdestotrotz schafft sie eine Drohkulisse für Frauen und bietet sich teilweise als Stichwortgeberin für die Aufrechterhaltung reaktionärer Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen an.ii Nützlich sind solche Randgestalten in jedem Fall für liberale und sozialdemokratische Kräfte, die sich in ihrer Empörung über diesen „Backlash“ als „progressiv“ verkaufen können. Auch in Köln, wo Gruppen wie die Jusos (SPD-Jugendorganisation) sehr zuvorkommend den Protest gegen die kirchlichen Hetzer unterstützten, während sie gleichzeitig im AStA die Staatsräson in Solidarität mit dem israelischen Kolonialregime verteidigen. Die jungen Opportunisten beschwören aus ihren mitgebrachten Megafonen einen kämpferischen Antifaschismus, während ihre Mutterpartei Versammlungsgesetze einschränkt und Antifaschisten ins Gefängnis bringen lässt.
Der Protest am 17. Oktober wurde von einem breiten Querschnitt der Studierendenschaft getragen und daran muss angeknüpft werden. Am Ende fanden sich mehrere hundert Leute, ohne Versammlungsanmeldung, auf dem Platz zusammen und gingen auch nicht, als die Bereitschaftspolizei auffuhr. Die Mehrheit derer, die sich den Rechten entgegenstellten, ist unorganisiert und teilt dennoch das politische Anliegen. Behalten Jusos und Konsorten in solchen Mobilisierungen die Regie, wird es bestenfalls bei Abwehrkämpfen gegen die Spitzen des bürgerlich-reaktionären Eisbergs bleiben. Kann stattdessen eine klassenorientierte und unabhängige Organisierung geschaffen werden, entwickeln sich Arbeits-, Lern- und Lebensorte tatsächlich zu Bollwerken gegen die Angriffe der Reaktion, zu einem unangenehmen Pflaster für TFP und ähnliche Akteure.
Gegen reaktionäre Umtriebe klassenorientiert und praktisch zu kämpfen, heißt also nach wie vor: Massenselbstschutz organisieren! Schließt euch zusammen in Uni, Viertel und Betrieb. Wehrt euch gegen rechte Provokationen und sozialdemokratische Vereinnahmung!
i https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/gesetzesvorhaben/paragraph-219a-2010222
ii https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/abtreibung-gegner-marsch-leben-netzwerk-afd-100.html